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1 Künstlerische Theoriebildung und Praxis in der Moderne / Artistic Practice and Theory in Modern Art Internationale und öffentliche Konferenz des Kunstgeschichtlichen Instituts der Goethe- Universität, Frankfurt/Main Freitag, 19.11. - Sonntag, 21.11.2010 Goethe-Universität, Frankfurt/Main, Campus Westend, Casinogebäude, Raum 1.801 Schon Theo van Doesburg fand sich mit der Kritik konfrontiert, zeitgenössische Künstler seien zu sehr Theoretiker und ihre Werke entstünden aus a priori angenommenen Theorien. In seinen Grundbegriffen der Neuen Gestaltenden Kunst (1924) antwortet er darauf: In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall. Die Theorie entstand als notwendige Folge der schaffenden Tätigkeit. Die Künstler schreiben nicht über die Kunst, sondern aus der Kunst heraus. Van Doesburgs Stellungnahme dient nicht nur zur Rechtfertigung der eigenen theoretischen Arbeit, die der Künstler mit den Grundbegriffen erstmals in einer Publikation fixiert. Sie zeigt zugleich, dass das Verhältnis zwischen künstlerischer Theoriebildung und Praxis in der Moderne schon damals Anlass zur Diskussion gab. Im OEuvre moderner und zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler steht die verbale Selbstreflexion oft gleichberechtigt neben der visuellen Produktion. Die Gründe für diese Parallelität sind vielfältig: sei es der Versuch, Interpretations- oder Rezeptionsmodelle für das eigene Werk einzuführen, die bestehende Kunstgeschichtsschreibung zu ‚korrigieren’, eine neuartige Arbeitsweise zu legitimieren oder autobiographisch zu wirken. Das ihnen gemeinsame Ziel, die Etablierung der Deutungshoheit durch den Künstler selbst, liegt aber auf der Hand. Die radikale Selbstbefreiung der modernen Kunst aus den ikonographischen Konventionen und die damit einhergehende Öffnung für eine Vielfalt von Deutungen führt seitens der Künstler somit oft zum Versuch einer Re- Semantisierung, der von der Kunstwissenschaft nicht ignoriert werden sollte. In der Auseinandersetzung mit den Künstlerästhetiken bewegt sich die Forschung in einem Kontinuum, das von der direkten Übernahme der Selbstdeutung als gültige Interpretationshilfe und der vollständigen Trennung von Werk und Schrift als zwei voneinander unabhängigen, ja einander möglicherweise diametral gegenüber stehenden Phänomene reicht. Die Konferenz Künstlerische Theoriebildung und Praxis in der Moderne zielt auf die Frage, wie Künstlerästhetiken im Rahmen des OEuvres fungieren. Welche Bindungen haben sie an das Werk? Sind sie konstitutiver Teil seiner ästhetischen Einheit oder schaffen sie vielmehr eine arbiträre

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Page 1: Künstlerische Theoriebildung und Praxis in der Moderne ... · Künstlerische Theoriebildung und Praxis in der Moderne / Artistic Practice and Theory in Modern Art Internationale

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Künstlerische Theoriebildung und Praxis in der Moderne / Artistic Practice and Theory in Modern Art

Internationale und öffentliche Konferenz des Kunstgeschichtlichen Instituts der Goethe-

Universität, Frankfurt/Main

Freitag, 19.11. - Sonntag, 21.11.2010

Goethe-Universität, Frankfurt/Main, Campus Westend, Casinogebäude, Raum 1.801

Schon Theo van Doesburg fand sich mit der Kritik konfrontiert, zeitgenössische Künstler seien zu

sehr Theoretiker und ihre Werke entstünden aus a priori angenommenen Theorien. In seinen

Grundbegriffen der Neuen Gestaltenden Kunst (1924) antwortet er darauf: In Wirklichkeit ist genau

das Gegenteil der Fall. Die Theorie entstand als notwendige Folge der schaffenden Tätigkeit. Die

Künstler schreiben nicht über die Kunst, sondern aus der Kunst heraus. Van Doesburgs

Stellungnahme dient nicht nur zur Rechtfertigung der eigenen theoretischen Arbeit, die der Künstler

mit den Grundbegriffen erstmals in einer Publikation fixiert. Sie zeigt zugleich, dass das Verhältnis

zwischen künstlerischer Theoriebildung und Praxis in der Moderne schon damals Anlass zur

Diskussion gab.

Im Œuvre moderner und zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler steht die verbale

Selbstreflexion oft gleichberechtigt neben der visuellen Produktion. Die Gründe für diese Parallelität

sind vielfältig: sei es der Versuch, Interpretations- oder Rezeptionsmodelle für das eigene Werk

einzuführen, die bestehende Kunstgeschichtsschreibung zu ‚korrigieren’, eine neuartige Arbeitsweise

zu legitimieren oder autobiographisch zu wirken. Das ihnen gemeinsame Ziel, die Etablierung der

Deutungshoheit durch den Künstler selbst, liegt aber auf der Hand. Die radikale Selbstbefreiung der

modernen Kunst aus den ikonographischen Konventionen und die damit einhergehende Öffnung für

eine Vielfalt von Deutungen führt seitens der Künstler somit oft zum Versuch einer Re-

Semantisierung, der von der Kunstwissenschaft nicht ignoriert werden sollte. In der

Auseinandersetzung mit den Künstlerästhetiken bewegt sich die Forschung in einem Kontinuum, das

von der direkten Übernahme der Selbstdeutung als gültige Interpretationshilfe und der vollständigen

Trennung von Werk und Schrift als zwei voneinander unabhängigen, ja einander möglicherweise

diametral gegenüber stehenden Phänomene reicht.

Die Konferenz Künstlerische Theoriebildung und Praxis in der Moderne zielt auf die Frage, wie

Künstlerästhetiken im Rahmen des Œuvres fungieren. Welche Bindungen haben sie an das Werk?

Sind sie konstitutiver Teil seiner ästhetischen Einheit oder schaffen sie vielmehr eine arbiträre

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Bedeutungsstruktur, die an das Werk nachträglich herangetragen wird und den Blick darauf eher

verstellt als erhellt? Wo erzählt der Künstler seine Geschichte: im Werk, in der begleitenden Schrift,

in ihrer Verbindung oder in ihrer Differenz?

Die dreitägige Konferenz bietet eine Plattform, auf der unterschiedliche methodische

Herangehensweisen an diese Fragen exemplarisch vorgestellt und diskutiert werden. Die Beiträge

setzen sich zum einen auf theoretischer Ebene mit der Frage nach Verbindungen und Brüchen

zwischen Werk und Künstlerästhetik auseinander und zum anderen diskutieren sie an

exemplarischen Fällen verschiedene Modi des Umgangs mit diesen beiden Phänomenen. Bei einem

relativ offenen geographischen und zeitlichen Rahmen konzentriert sich die Konferenz auf die

umrissene systematische Problemstellung.

When confronted with the critique that contemporary artists were too theoretically inclined and their

artworks mere by-products of underlying theoretical concepts, Theo van Doesburg responded to this

accusation in his Principles of Neo-Plastic Art (1924): In fact, precisely the opposite is the case. The

theory came into being as the necessary consequence of creative activity. Artists do not write about

art, they write from within art. Van Doesburg’s statement serves not only as a justification of his

own theory, which he formulated for the first time in his Principles. It also proves that the

relationship between artistic practice and theory was as open to discussion in the early 20th century

as it is today.

Within the œuvres of a majority of modern and contemporary artists, verbal self-reflexion takes an

equal position alongside their visual production. Various reasons may be found for this parallel: the

artists want to establish the mechanisms of interpretation, assign specific functions to their artworks,

or they attempt to intervene in art historical writing to legitimize a new form of art. All of these

efforts have the concerted aim of establishing and protecting the artist’s interpretive authority. The

radical liberation of modern art from previous iconographic conventions results in a simultaneous

growth of interpretive possibilities. In order to counter this profusion of interpretations, the artists

themselves establish a recognizable semantic framework for approaching their radically new

aesthetics.

Art historical scholarship has tended to adopt divergent methodological approaches toward this

increase of artists’ theories: either the artists’ self-interpretation is directly appropriated as a

significant interpretive tool, or artwork and artist’s comment are regarded as completely separate

sources. In this context, the conference Artistic Practice and Theory in Modern Art confronts the

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question as to how the artist’s theory frames a 20th century œuvre. How is the artist’s commentary

connected to the artwork? Is it a constitutive part of the work’s aesthetic identity, or does it establish

an independent narrative in which the artwork may subsequently be integrated? Where does the artist

tell his story: in the work of art, the accompanying commentary, or in the interplay between these

two sources? These questions are relevant not only within the academic context, but in the museum

sphere and for art criticism as well.

This 3-day conference aims to create a platform for the discussion of diverse approaches to

answering these questions. The papers will on the basis of case studies critically assess different

modes of examining and relating the two sources of artistic practice and theory. Since the question of

methodology is at the basis of this conference, the underlying concept of "modern art" is not strictly

defined either geographically or chronologically. The conference will be held in English and

German.

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TAGUNGSPROGRAMM

Freitag, 19.11.2010 9.30 Begrüßung durch Regine Prange

Einführung durch Eva Ehninger und Magdalena Nieslony (Goethe-Universität, Frankfurt/Main)

Sektion 1 (Leitung: Iris Wien, Goethe Universität, Frankfurt/Main) 9.45 Peter J. Schneemann (Universität Bern):

Typologie der künstlerischen Theoriebildung nach Funktionen 10.30 Kaffeepause 11.00 Julia Gelshorn (Universität Wien):

Künstlerwissen? Objektivität und Fiktionalität in der zeitgenössischen Kunst 11.45 Johannes Meinhardt (Hochschule für Gestaltung, Schwäbisch Hall):

Der Geist in der Kunst. Künstlerische Entscheidung und Theoretische Überdetermination 12.30 Mittagspause Sektion 2 (Leitung: Lars Blunck, TU Berlin) 14.00 Michael F. Zimmermann (KU, Eichstätt-Ingolstadt):

Umberto Boccioni als Autobiograph und als Ideologe des Futurismus: Lebensstrom und Formfindung, Obsession und Programm

14.45 Magdalena Nieslony (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):

Apologien des Suprematismus. Bilder, Texte, Diagramme 15.30 Kaffeepause 16.00 Gregor Wedekind (Gutenberg-Universität, Mainz):

Theorie nach Kunst – Kunst nach Theorie? Zur Praxis der Selbstreflexion bei Paul Klee 16.45 David Joselit (Yale University, New Haven):

The Scarce and the Saturated

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Samstag, 20.11.2010 Sektion 3 (Leitung: Henning Engelke, Goethe-Universität, Frankfurt/Main) 9.30 Tobias Vogt (Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris/FU, Berlin):

Künstlertheorien der Theorieverweigerung 10.15 Eva Ehninger (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):

Bildkritik vs. Überwindung des Bildes. Praxis und Theorie der amerikanischen Minimal Art

11.00 Kaffeepause 11.30 Dieter Schwarz (Kunstmuseum Winterthur):

Künstlertheorien in den USA und in Italien 12.15 Dominic Rahtz (UCA, Canterbury):

Daniel Buren’s Theoretical Practice 13.00 Mittagspause Sektion 4 (Leitung: Christian Janecke, HfG Offenbach) 14.30 Sabine Kampmann (HBK, Braunschweig):

Das Interview als Tarnkappe: Andy Warhol und Christian Boltanski 15.15 Antje Krause-Wahl (AfBK, Mainz):

Von der Artist’s Lecture zur Lecture Performance - Formen der Künstlerischen Theoriebildung in Künstlervorträgen

16.00 Kaffeepause 16.30 Felix Thürlemann (Universität Konstanz):

Wenn alles von Belang ist: Wolfgang Tillmans’ künstlerisch-theoretischer Komplex

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Sonntag, 21.11.2010 Sektion 5 (Leitung: Hans Aurenhammer, Goethe-Universität, Frankfurt/Main) 9.30 Isabelle Graw (Städelschule, Frankfurt/Main):

Theoretisierende Maler/innen und malereikritische Theorie 10.15 Regine Prange (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):

...wo das Schauspiel des Lebens sich mit seiner Analyse mischt... - Jean-Luc Godards filmisches Œuvre als ästhetische Theorie

11.00 Kaffeepause 11.30 Resümee durch Juliane Rebentisch (Goethe-Universität, Frankfurt/Main)

und abschließende Diskussion Konzeption/Organisation: Eva Ehninger und Magdalena Nieslony Die Veranstaltung ist bei freiem Eintritt öffentlich. Hinweise unter http://www.kunst.uni-frankfurt.de/theorie-praxis.htm

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Freitag, 19.11.2010 11.00 Uhr Julia Gelshorn

Künstlerwissen? Objektivität und Fiktionalität in d er zeitgenössischen Kunst

Der Vortrag möchte am Beispiel der afro-amerikanischen Künstlerin Renée Green zeitgenössische

Strategien eines künstlerischen Umgangs mit Wissen, Geschichte und Subjektivität beleuchten. In

ihren Installationen arbeitet Green unterschiedliche thematische Felder des Wissens auf, wobei sie

inhaltlich, methodisch und theoretisch das Verhältnis von Fakten und Fiktionalität zur Disposition

stellt. Greens Arbeiten beziehen sich – zum Teil explizit – auf Robert Smithson, der, wie andere

Künstler in den 1960er und 70er Jahren, eine Aneignung wissenschaftlicher Methoden verfolgte und

sich damit kritisch von einer Kunst abgewendete, die vorgab, Zugang zum Unbewussten und damit

auch zu einer ‚tieferen Wahrheit‘ zu haben. Die künstlerische Hinwendung zu wissenschaftlichen

Methoden setzte dieser romantischen Vorstellung eine rationale, kalkulierte Werkherstellung und

eine objektivierbare Semantik entgegen. Während jene Bewegung, etwa in der Konzeptkunst, auch

als Fortsetzung moderner künstlerischer Konzepte zu verstehen ist, in denen Ästhetik durch

Rationalität, Technizismus und Funktionalismus ersetzt wurde, muss die Position Smithsons aber

vielmehr als eine ironische verstanden werden, da er zwar wissenschaftliche Methoden imitierte,

zugleich aber einen Skeptizismus gegenüber reiner Rationalität äußerte und sich damit auch von den

parallelen Ansätzen der Neo-Avantgarden absetzte. Künstlerwissen wird bei Smithson als eines

entwickelt, das wissenschaftliche Paradigmen ebenso aufgreift wie unterläuft. Hier setzt auch Renée

Green an, die ihre Arbeiten selbst in genealogischer Verbindung zu Smithsons Sites und Non-Sites

sowie zu seinem Interesse an der Entropie sieht. In ihren Installationen greift sie ebenfalls

wissenschaftliche, rationale Methoden und Darstellungsformen auf, legt diese aber zugleich – ganz

im Sinne eines postmodernistischen Geisteswissenschaftsparadigmas – als subjektive und fiktionale

Strukturen bloß, um Wissen und Identität als einen offenen, netzwerkartigen Prozess zu untersuchen.

Ähnlich wie Bruno Latours Anthropologie der Wissenschaftsgeschichte die Moderne durch ihre

Gläubigkeit an vermeintlich objektive Fakten charakterisiert hat, dabei aber die Fakten und den

Fetisch auf den gleichen etymologischen Wortstamm des Machens, Herstellens, Fabrizierens

zurückführt, thematisiert auch Green das Verhältnis von Fakt und Fiktion als eines, das

gleichermaßen auf Konstruktion zurückzuführen ist wie auf Imagination. Es wird im Vortrag darum

gehen aufzuzeigen, mit welchen Mitteln Green im Sinne Latours Wissen als eine ,Passage‘ zwischen

Faktizität und Fiktion entwirft und die Dialektik von ‚Realität‘ und Konstruktion in ein

‚Dazwischen‘ überführt, das sie künstlerisch sichtbar zu machen versucht.

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Freitag, 19.11.2010

11.45 Uhr

Johannes Meinhardt

Der Geist in der Kunst. Künstlerische Entscheidung und theoretische Überdetermination

Der Essay geht von der zwar bekannten, aber zu wenig ernst genommenen Tatsache aus, dass die

Heroen der abstrakten Malerei (vor allem Malewitsch, Kandinsky, Mondrian) sich genötigt sahen,

umfangreiche Theorien zu entwickeln, die primär der Verständigung mit sich selbst dienten. Mit völlig

untauglichen Mitteln, mit den abstrusesten okkulten und spirituellen Theorien aus Theosophie,

Anthroposophie, Okkultismus, Neo-Platonismus, haben diese Künstler versucht, neue, vorher

unbekannte Wahrnehmungsweisen, mit denen sie in ihrer Malerei konfrontiert worden waren, zu

verstehen und zu begründen (dieses Begründen ist primär das Problem). Die sich in der Erfahrung und

der Wahrnehmung des Werks aufdrängende Notwendigkeit, den Wahrnehmungsgegenstand, das

abstrakte Gemälde, ein „autonomes System der Bildfläche“, neu denken zu müssen, hat sie dazu

gebracht, diese neuen Wahrnehmungen – etwa eines völlig neuen Typs von Bildraum – mit den ihnen

zur Verfügung stehenden, unzureichenden Mitteln zu artikulieren. Die Texte dieser Künstler sind also

daraufhin zu lesen, welche Erfahrungen und Wahrnehmungen im Gemälde und im Bildraum sie zu

begreifen und zu formulieren versuchen.

Daraus lässt sich eine allgemeinere Untersuchung der Motivation und vor allem der Überdetermination

künstlerischer Entscheidungen ableiten, welche bei vielen Künstlern der Moderne und der Späten

Moderne, die mit neuen Gegenständen (der Wahrnehmung) und Wahrnehmungen in ihrem eigenen

Werk konfrontiert waren, als Gleichzeitigkeit sehr unterschiedlicher Motivationsebenen (von denen die

Erzeugung von Theorie nur eine oft unverzichtbare Ebene ist) nachweisbar ist. Diese

Überdetermination der künstlerischen Entscheidungen entwertet nicht die Theorie der Künstler,

sondern macht ihre Funktion in der Selbstverständigung der Künstler, in ihrem Verständnis der eigenen

Werke und in ihren Entscheidungsprozessen sichtbar. Diese Überdetermination scheint zumindest in

Werken hohen Rangs eine irreduzible Notwendigkeit künstlerischer Arbeit zu sein.

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Johannes Meinhardt

The Spirit in Art. Artistic Decision and Theoretical Overdetermination

This essay proceeds from the quite well-known fact, nevertheless not taken serious sufficiently,

that the heroes of abstract painting (first of all Malevich, Kandinsky, Mondrian) made the experience to

be forced to develop extensive theories, which served primarily to the aim to come to an artistic

understanding of themselves. Using totally inadequate means, using the most abstruse occult and

spiritualistic theories in Theosophy, Anthroposophy, Occultism, Neo-Platonism, these artists tried to

understand and to prove (and this proving is the most important problem) new, previously unknown

types of perception they happened to be confronted with in their paintings. The necessity, obtruding

itself in the experience and perception of the art works, to understand and to think the particular object

of perception, the abstract painting, an `autonomous system of the picture plane´, in a new way,

contrived them to articulate this new perceptions – for example a totally new type of pictural space –

with the insufficient means which were at their disposal. Therefore the writings of this artist should be

read thereupon which experiences and perceptions in paintings and in the pictural space of the

paintings they try to comprehend and to formulate.

Coming from this reading it is possible to derive a more general research of the motivation and

especially the overdetermination of artistic decisions. This overdetermination can be proven in the

work of many artists of Modernism and Late Modernism who had been confronted with new objects of

perception and new perceptions in their own work existing as the simultaneousness of very different

layers of motivation – and the production of artistic theory is but one of these layers although often

indispensable. The overdetermination of artistic decisions does not depreciate these artists’ theory but

makes understandable its function in their self-understanding, in their understanding of their own

works and of their processes of decision. Overdetermation seems to be an irreducible necessity of

artistic work, at least in work of high grade.

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Freitag, 19.11.2010 14.00 Uhr Michael F. Zimmermann

Umberto Boccioni im Dreieck von Theorie, Werk und „Lebenschaffen“

Längst hat man verstanden, dass Künstlertheorien nicht der Erklärung eines Oeuvres dienen, sondern

ihrerseits als Werke zu betrachten sind. Boccionis Werk als Maler und Plastiker sowie als Ideologe

des Futurismus lädt dazu ein, das Spannungsverhältnis von Werk und Theorie durch Einbezug eines

Dritten auszuloten: des Lebens. Schamma Schahadat hat das Verhältnis Lebenskunst - Kunstleben

am Beispiel der russischen Literatur untersucht. Die Analyse des Lebenschaffens soll keineswegs den

Biographismus mit seinen Zirkelschlüssen vom Leben aufs Werk und umgekehrt reanimieren. Sie

zielt nicht auf Gründe oder Ursprünge des Werks im Leben, sondern umgekehrt auf das Leben als

Werk – jenseits aller Werke. Die Selbstinszenierung durch Kunst als gelebte und eben dadurch ins

Werk gesetzte Ideologie macht Entgrenzungen sichtbar, die für die Avantgarden prägend bleiben: die

von Theorie und künstlerischer Praxis, aber auch die von Werk und Aktion, schließlich von Kunst

und Leben.

Der Beitrag gilt Boccionis Theorie, seinem Oeuvre und seinem “Lebenschaffen”. In der Theorie

widmet sich der Vortrag dem Konzept der „Materie“, wie Boccioni es mit den Futuristen im

Anschluss an Bergson und Sorel entwickelt hat. In seinem Oeuvre wird ein futuristischer

Werkkomplex mit Darstellungen seiner Mutter als Gegenbild zu den Arbeiten um den futuristischen

Vorwärtsstürmer „muscoli in velocità“ interpretiert. Im „Lebenschaffen“ wird auf Boccionis

aggressiv-totalitäre und zugleich karnavaleske – und insofern proto-dadaistische – Überhöhung der

Geschlechtsstereotypen des 19. Jahrhunderts eingegangen, wie sie sich auch in seinen Tagebüchern

niederschlägt.

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Freitag, 19.11.2010 14.45 Uhr Magdalena Nieslony

Apologien des Suprematismus

Kazimir Malevič gehört zu den am meisten gefeierten Figuren der Avantgarde, die Sekundärliteratur

und die Ausstellungen seiner Arbeiten sind heute beinahe unübersichtlich geworden, sein Ruf als

einer der Väter der Konkreten Kunst, der monochromen Malerei, der Konzeptkunst und des

Minimalismus ist jedem Kunstinteressierten bekannt. Die Rezeption seines Suprematismus hat der

Künstler von Anfang an durch schriftliche Äußerungen gesteuert und diese Strategie im

avantgardistischen Kampf der Schulen und Ismen hat sich ausgezahlt – bis heute werden die

suprematistischen Bilder zumeist durch das Filter der kunsttheoretischen Vorgaben des Meisters

betrachtet. Die Übernahme der weltanschaulich-visionären Spekulationen aus Malevičs Texten führt

in den Deutungen der Malerei meistens dazu, daß nicht nur Malevičs Ontologie unhinterfragt auf die

Malerei projiziert, sondern oft auch dessen Offenbarungston übernommen wird. Eine Alternative zu

dieser Assimilation der Theorie in der Deutung bieten nur scheinbar diejenigen Ansätze, die den

Suprematismus als formalistisch-selbstbezüglich interpretieren indem sie scheinbar ohne einen

wesentlichen Bezug auf die Künstlertexte bildimmanent verfahren. Mein Beitrag widmet sich der

Analyse dieser beiden Rezeptionsmuster – vor allem am Beispiel von Malevičs Hauptwerk

„Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ – und will die Frage entfalten, inwiefern diese Polarität

schon in Malevičs Texten angelegt ist.

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Magdalena Nieslony

Apologies of Suprematism

Kazimir Malevič belongs to the most celebrated figures of the Avant-Garde: the literature and the

exhibitions dedicated to his work are abounding, and his reputation as one of the fathers of concrete

art, monochrome painting, conceptual art, and minimalism is known to everyone interested in

modern art. Malevič channeled the reception of his work from the very beginning by his written

commentaries, and this strategy in the avant-garde campaign of artistic schools and “isms” has payed

off – even today, his suprematist paintings are mostly seen through the master’s theoretical

parameters. The assimilation of Malevič’s ontological speculations becomes obvious not only in the

predominantly uncritical projections of the artist’s theory on the paintings, but also in Malevič’s

prophetic tone, which the authors imitate. The second tendency of interpreting Malevič concentrates

on the formal analysis of the pictures and establishes Suprematism as a self-reflexive, formalist

current. I will try to show, that this seemingly work-immanent method and its results are based on

the artist’s writings as well and do not offer an alternative approach to the adaption of Malevič’s

theory stated above. Concentrating on the critical discussion of Malevič’s most famous work, the

Black Square, I will analyze these two patterns of interpretation and discuss to what extent their

polarity is already contained in the artist’s theory.

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Freitag, 19.11.2010 16.45 Uhr

David Joselit

The Scarce and the Saturated

Quantitative analysis has never been a respectable methodology in the history of art. But how can

modernism be understood without taking into account the explosion of images (and image worlds)

that is one of its fundamental conditions?

Two artists of the 20th century were especially adept at managing integrated economies of images as

opposed to individual works of art: Marcel Duchamp and Andy Warhol. Indeed, their greatest

historical contribution may have less to do with the content of their works, than with their regulation

of art’s quantity. Duchamp pursued a carefully designed policy of scarcity whereas by the 1960s

Warhol had taken the opposite track, seeking to saturate as many media channels as possible,

ranging from independent film to publishing while never neglecting painting and sculpture. In each

case the artist developed a characteristic “time-signature” for his work.

Duchamp famously exploited the delay, which made it possible for him to “store time” during his

expanded process of production, which for example spanned 8 years for the Large Glass and 20 for

the Etant donnés. Warhol on the other hand followed a strategy of dilation in which the storage of

time expanded into an almost infinite present—either in the “moving stillness” of the Screen tests or

in the spatialized repetitions of his silkscreens.

But both Duchamp and Warhol accumulated time: they made what might be called time batteries.

And indeed, as Jonathan Crary has argued with regard to attention, modernity is deeply rooted in the

regulation and capitalization of time: from Fordism to the Internet. Duchamp was the last artist to

successfully work through scarcity (a strategy that would later morph into the ephemeral arts of

performance, land art, etc) and Warhol was the first to do so through the saturation of every possible

“social network” available to him. Together they delineate the polar limits of modern art’s response

to the image explosion of modernity: the scarce and the saturated.

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David Joselit

Knappheit und Sättigung

Die quantitative Analyse war noch nie eine respektierte Methode der Kunstgeschichte. Aber wie

kann man den Modernismus verstehen, ohne die explosionsartige Vermehrung von Bildern (und

Bilderwelten) zu berücksichtigen, die eines seiner fundamentalen Merkmale darstellt?

Zwei Künstler des 20. Jahrhunderts waren besonders versiert darin, zusammenhängende Systeme

von Bildern zu bearbeiten anstatt individuelle Kunstwerke zu schaffen: Marcel Duchamp und Andy

Warhol. Tatsächlich kann als ihr größter historischer Beitrag weniger der Inhalt ihrer Arbeiten gelten

sondern vielmehr die Kontrolle der Kunstmenge. Duchamp folgte einer ausgeklügelten Methode der

Verknappung während Warhol ab 1960 den entgegen gesetzten Weg einschlug und versuchte, so

viele Medien wie möglich zu sättigen. Seine Angebotspalette umspannte independent film und

Publikationen, aber er arbeitete auch als Maler und Bildhauer. In jedem Medium entwickelte der

Künstler eine spezifische „Zeit-Signatur“ für seine Arbeit.

Duchamp nutzte bekanntlich die Verzögerung aus, was es ihm ermöglichte während seines

langsamen Arbeitsprozesses „Zeit einzulagern“, beispielsweise in seinem Großen Glaß, an dem er 8

Jahre arbeitete, oder in Étant donnés, eine Installation, die erst 20 Jahre nach Beginn der Arbeit fertig

gestellt wurde. Warhol hingegen folgte einer Strategie der Ausdehnung, in welche die Speicherung

von Zeit sich zu einer beinahe unendlichen Gegenwart ausdehnte – entweder in dem „bewegten

Stillstand“ der filmischen Probeaufnahmen oder in den Siebdrucken, die räumlich angeordnet

werden.

Aber sowohl Duchamp als auch Warhol speicherten Zeit: Sie produzierten sozusagen Zeitbatterien.

Und tatsächlich ist die Moderne, ähnlich wie Jonathan Crary dies bezüglich der Aufmerksamkeit

diskutiert hat, tief verwurzelt in der Regulierung und Aktivierung von Zeit: vom Fordismus bis zum

Internet. Duchamp war der letzte Künstler, der erfolgreich mit dem Konzept der Knappheit arbeitete

(eine Strategie die sich später in die ephemere Kunst der Performance, Land Art, etc. verwandeln

wird) und Warhol war der erste, der dies erreichte durch die Sättigung aller „sozialen Netzwerke“,

die ihm zur Verfügung standen. Gemeinsam beschreiben sie die Gegenpole der Antwort der

modernen Kunst auf die Bilderexplosion der Moderne: Knappheit und Sättigung.

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Samstag, 20.11.2010 9. 30 Uhr Tobias Vogt

Künstlertheorien der Theorieverweigerung In den Texten der Abstrakten Expressionisten tritt anscheinend erstmalig im 20. Jahrhundert eine

kollektiv empfundene Sprachskepsis auf, die sich in manchen Fällen bis zur Wortverweigerung und

weiter der Ablehnung jeglicher Theoriebildung steigert: “I deplore most the overemphasis on words.

Not the poet’s words, but the words that explain, reason, debate, deduce, make ‚fakt’“, lautet etwa

die Wortmeldung von Clyfford Still, die einen Widerspruch produziert.

Der Vortrag behandelt zunächst die genutzten Formen und Verfahren, mit deren Hilfe die Abstrakten

Expressionisten ihre unterschiedlichen Verweigerungen äußerten – oder unterließen. Mit Blick auf

die jeweiligen Medien, ihren Textsorten und der benutzten Rhetorik lässt sich etwa zwischen einem

im Tagebuch notierten Zweifel an der Versprachlichung von Visuellem und etwa einer im

Museumskatalog erklärten Theorieverweigerung besser differenzieren. Des weiteren zeigt sich am

Beispiel von Still, in welchem Maße gerade der steigende Vermittlungsdruck, der durch den

wachsenden Markt für zeitgenössischer, amerikanischer Kunst im New York der fünfziger Jahren

entstanden war, den Maler erst zur Konstruktion eines Theoriegebäudes herausforderte, das seine

Verweigerung enthielt.

Die Veröffentlichung der Theorie, ob erzwungen oder von Künstlerseite strategisch eingesetzt,

provozierte New Yorker Kritikerinnen und Kritiker, welche die widerstandsgewillte Kunst an das

Publikum vermitteln mussten. Bei Still gewann die zunächst im Privaten überdachte

Theorieverweigerung, so die These, erst durch diese Reaktionen der Öffentlichkeit, auf die wiederum

Still reagierte, den Charakter einer Künstlertheorie und damit den Charakter einer Paradoxie, deren

mögliche Nebenwirkung der reiche Umfang von Stills bislang unveröffentlichter Gemäldeproduktion

ist. Im Hintergrund dieser Überlegungen, die mit einem Ausblick auf Frank Stellas Umgang mit der

nun etablierten Theorieverweigerungstheorie enden, erscheinen einerseits Arnold Gehlens „Zeit-

Bilder“ mit ihrer Rede von der „Kommentarbedürftigkeit“ abstrakter Kunst und andererseits die

„Dialektik der Aufklärung“ von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno als Zeitgenossen von

Stills Kulturpessimismus.

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Tobias Vogt

Artists’ theories of refusing theory

For the first time in the 20th century, a collectively felt scepticism towards language occured in the

writings of Abstract expressionists. In some cases, this increased into a refusal of words and even the

rejection of any formation of theory. As Clyfford Still wrote, “I deplore most the overemphasis on

words. Not the poet’s words, but the words that explain, reason, debate, deduce, make ‘fact’”, which

produces a contradiction.

This lecture examines the formats and methods with which these painters expressed their respective

refusals – or refrained from doing so. A consideration of the various media, the types of text and the

rhetoric that were employed allows for a better differentiation between doubts about the possibility to

verbalize of the visual – as written down in a diary – and a refusal of theory – as explained in an

exhibition catalogue. Furthermore, the example of Still shows to what extent the increasing pressure

to mediate his paintings, affected by the growing market for contemporary American art in 1950s

New York, challenged the painter to construct a theory that contained in itself its very refusal.

The publication of theoretical thoughts, either strategically advanced by the artist or externally forced

by curators, gallerists, and dealers, provoked critics who had to moderate the antagonistic art to the

public. Through the reactions in public media, to which Still reacted again, his refusing of theory,

which was originally conceived in private, gained the characteristics of an artist’s theory and with

that, those of a paradox. A side effect of this conflict between the artist and the public might prove to

be the enormous volume of Still’s as yet unpublished output. In the background of these

considerations, which close with Frank Stella’s view on the now established theory of refusing

theory, appear on the one side Arnold Gehlen’s “Zeit-Bilder” with its emphasis on the

“Kommentarbedürftigkeit” of abstract art and on the other side the “Dialektik der Aufklärung” by

Max Horkheimer and Theodor W. Adorno as contemporaries of Still’s cultural pessimism.

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Samstag, 20.11.2010

10.15 Uhr

Eva Ehninger

Pictorial Criticism vs. Rejection of the Image.

Artistic Practice and Theory in American Minimal Ar t

The tension between Donald Judd’s serial objects and his theoretical discussion of this ‘new three-

dimensional art’ was already pointed out by contemporary critics such as Rosalind Krauss, Robert

Smithson, or Elizabeth C. Baker. Their critique has spawned a discourse on the hidden pictorialism

of Judd’s ‘specific objects’ still prevalent today. Instead of following this line of thought focussed on

an uncovering of the immanent illusionistic traits in Judd’s artworks, I will in this talk return to the

artist’s theory.

My aim is to examine Judd’s rejection, in his writings, of the pictorial. I shall argue that his

theoretical dismissal of the image may be regarded as the flipside of the pictorial criticism palpable

in his works of art. Both Judd’s artistic practice and his theory aim at a critique of a concept of visual

perception that is informed by pictorial conventions. Both thus revitalise the originally modernist

pictorial criticism as a critique of the pictorial conventions of perception. This, however, is lost if

Judd’s theory is pitted against his artworks and devalued as a ‘wrong’ or at least

‘incomplete’ description of his artistic practice.

A re-reading of Judd’s artistic theory does not only uncover the alliance between his writings and his

artworks in their critique of the pictorial. Such a re-evaluation may also serve as a key to unlock the

theoretical disdain of American Minimalism as a whole towards the image and its perception. Far

from being the closet illusionist of Krauss’ interpretation, Judd the artist and Judd the writer appear

as staunch modernist critics of pictorial representation.

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Eva Ehninger

Bildkritik vs. Verweigerung des Bildes.

Praxis und Theorie der Amerikanischen Minimal Art

Die Spannung zwischen Donald Judds seriellen Objektinstallationen und seiner theoretischen

Diskussion der „neuen dreidimensionalen Kunst“ wurde schon von zeitgenössischen Kritikern wie

Rosalind Krauss, Robert Smithson oder Elizabeth C. Baker offen gelegt. Ihr Einwand resultierte in

einem Diskurs zum versteckten Illusionismus in Judd’s „specific objects“, der bis heute aktuell ist.

Anstatt diesem Diskussionsstrang zu folgen, der sich auf die Enthüllung der immanenten

illusionistischen Charakteristika von Judds Objektarbeiten konzentriert, möchte ich in meinem

Beitrag auf die Theoriebildung des Künstlers zurückkommen mit dem Ziel, seine völlige

Verweigerung des Piktoralen nachzuvollziehen.

Ich meine, dass Judds theoretische Ablehnung des Bildes als die Unterseite jener Bildkritik

verstanden werden kann, die in seinen Arbeiten weiterhin nachvollziehbar ist. Sowohl Judds

künstlerische Praxis als auch seine Theoriebildung zielen auf die Kritik eines Konzepts visueller

Wahrnehmung, das auf bildhaften Konventionen beruht. Diese Weiterentwicklung der – ursprünglich

modernistischen – Bildkritik zu einer Kritik an bildhaften Konventionen der Wahrnehmung geht

verloren, wenn man Judds Theorie gegen seine Werke stellt und als „falsch“ oder zumindest

„unvollständig“ abwertet.

Eine Neubewertung der künstlerischen Theoriebildung Judds kann nicht nur ihre Verbindung zu den

Kunstwerken bezüglich der gemeinsamen Kritik des Bildhaften aufdecken. Sie kann außerdem dazu

dienen, die grundsätzliche Ablehnung des Bildes und seiner Wahrnehmung durch den

amerikanischen Minimalismus zu erklären. Anstatt als heimlicher Illusionist, wie in Krauss’

Interpretation, erscheint Judd der Künstler und Judd der Theoretiker so als standhafter

modernistischer Kritiker der bildhaften Repräsentation.

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Samstag, 20.11.2010

12.15 Uhr

Dominic Rahtz

Daniel Buren’s Theoretical Practice

The French artist Daniel Buren, in texts published in the late 1960s and 1970s, refused the usual

distinction made between practice and theory, claiming that theory was only produced in the practice

of his work and that the texts he wrote were not theoretical. Buren’s works at this time generally

consisted of striped awning material, painted at the edges, that varied in extent and placing according

to the institutional situation he worked within and against. His work was characterized by what he

referred to (following Roland Barthes) as its ″zero-degree″ of form – its impersonality and negation

of conventional artistic form. Buren’s texts, on the other hand, were concerned with the positioning

of his work within a series of ″critical limits″ that constituted an ideology of art that he wished to

unmask.

How did Buren define the theory produced in the practice of his work? The paper I propose

considers this question in relation to the phrase ″theoretical practice″, invoked at the end of Buren’s

1970 essay ″Beware″ and derived from the contemporaneous philosophical re-reading of Marx by

the French philosopher Louis Althusser. In the text to which Buren referred, Althusser drew a crucial

distinction between a recognition of a given reality and a knowledge of reality. Theoretical practice

worked on the ideological ″raw material″ (ideas, representations, already existing forms of

knowledge) that determined the recognition of a reality to produce a knowledge that was defined, in

Althusser’s terms, according to its correspondence to a reality beyond ideology. In the proposed

paper, I show how Buren transferred this distinction to the relationship between the texts he wrote,

which were concerned with recognizing the ideological character of the institution of art (including

the history of art and aesthetic discourse), and the art work itself, which, as theory or knowledge, was

oriented towards a reality beyond the ideology of art.

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Dominic Rahtz

Daniel Burens Theoretische Praxis

Der französische Künstler Daniel Buren wies in Texten, die er in den späten 1960er und den 1970er

Jahren verfasste, die gängige Unterscheidung von Praxis und Theorie zurück. Er behauptete, dass die

Theorie nur in der Praxis produziert würde und dass seine Texte nicht theoretisch seien. Burens

damalige Arbeit bestand hauptsächlich aus gestreiftem Markisenstoff mit bemalten Rändern, dessen

Ausdehnung und Platzierung von der jeweiligen institutionellen Situation abhängig war, in der und

gegen die Buren arbeitete. Charakteristisch für seine Werke war ihre „zero-degree“-Form, wie Buren

sie (Roland Barthes folgend) nannte – ihre Unpersönlichkeit sowie die Negation einer

konventionellen künstlerischen Form. In seinen Texten versuchte Buren hingegen, seine Arbeit in

einer Serie „kritischer Grenzwerte“ zu verorten, die ihm zufolge eine Ideologie der Kunst darstellen,

welche er aufdecken wollte.

Wie definierte Buren jene Theorie, die in seiner künstlerischen Praxis produziert wurde? Ich

untersuche diese Frage bezüglich des Begriffs „theoretical practice“, den Buren in seinem Essay

„Beware“ von 1970 verwendete und den er von einer aktuellen philosophischen Re-Interpretation

Marx’ durch den französischen Philosophen Louis Althusser abgeleitet hatte. In dem Text, auf den

sich Buren bezieht, nimmt Althusser eine entscheidende Trennung vor zwischen der Wahrnehmung

einer gegebenen Realität und des Wissens von Realität. Theoretische Praxis arbeitete mit dem

ideologischen „Rohmaterial“ (Ideen, Repräsentationen, bereits existierende Wissensformen), welche

das Erkennen einer Realität bestimmt, durch die ein Wissen produziert wird, das nach Althusser

definiert ist bezüglich seiner Übereinstimmung mit einer Realität, die über Ideologie hinaus geht. In

diesem Vortrag zeige ich wie Buren diese Unterscheidung überträgt in die Beziehung der Texte, die

er schrieb (die mit der Anerkennung des ideologischen Charakters der Kunstinstitutionen –

Kunstgeschichte und Ästhetik eingeschlossen – beschäftigt waren), mit den Kunstwerken selbst, die

ebenso wie Theorie oder Wissen auf eine Realität ausgerichtet sind, die über die Ideologie von Kunst

hinaus geht.

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Samstag, 20.11.2010

14.30 Uhr

Sabine Kampmann

Das Interview als Tarnkappe: Andy Warhol und Christian Boltanski

Das Künstlerinterview trägt das Versprechen in sich, über Intentionen und Motivationen eines

Künstlers oder einer Künstlerin aufzuklären und den spezifischen Kontext des Werks zu erhellen.

Der besondere Reiz dieser Textgattung besteht in der Exklusivität des Gesprächs mit dem Urheber

und in der ‚Authentizität’ der gewonnenen Informationen. Mit Christian Boltanski und Andy Warhol

nimmt der Vortrag zwei Künstler in den Blick, die sich in ihren Interviews weigern, zum

Kommentator des eigenen Werks und Beobachter des eigenen Lebens zu werden. In der Analyse

ihrer Interview-Dialoge lassen sich zwei unterschiedliche Modelle der Vernebelung der Beziehung

zwischen Leben und Werk ausmachen. Durch die Mittel der exzessiven Wiederholung, der

affirmativen Bestätigung sowie durch den Rollentausch von Interviewer und Interviewtem scheint

sich die Künstlerbiographie (als interpretatorische Instanz) aufzulösen – das Interview wird so zur

Tarnkappe. Anschließend an Michel Foucaults Überlegungen zur Autorschaft soll die Textgattung

des Interviews in Hinblick auf ihre Funktionen befragt werden. Können derartige Interviews

überhaupt noch als ‚Interpretationshilfe’ eingesetzt werden und somit eine dienende Funktion

übernehmen oder sind sie als eigenständige künstlerische Ausdrucksformen zu werten? Verhalten

sich Warhols und Boltanskis spezifische Interviewpraktiken dabei komplementär zu ihrem

bildnerischen Werk und ergänzen die dort formulierten Thesen der Subjekt- und Identitätsbefragung?

Oder ist die aus Sprache gewirkte Tarnkappe als ein künstlerisches Aufbegehren gegen die

interpretatorischen Praktiken des ‚Biographisierens’ und ‚Authentisierens’ zu werten?

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Sabine Kampmann

The Interview as Magic Cap: Andy Warhol and Christian Boltanski

The artist’s interview proposes to throw light on the artist’s intentions and motivations as well as the

specific context of the artwork. The special appeal of this type of text is the exclusiveness of the

conversation with the author and the attributed authenticity of the information gained. The talk will

focus on Christian Boltanski and Andy Warhol, who by their interviews refuse to become

commentators of their artworks and observers of their lives. The analysis of the interview dialogues

will bring out two different models of obscuring the relations between life and work. By excessive

repetition and affirmation and by switching the roles of interviewer and interviewee the artist’s

biography as an authority of interpretation is dispersing – the interview is becoming a ‘magic cap’.

Following Michel Foucault’s considerations on authorship the interview as a specific text type will

be studied regarding its functions. Can interviews like Warhol’s or Boltanski’s generally be viewed

as a subsidiary genre assisting to interpret the artwork or do they have to be judged as an independent

artistic form of expression? Should their specific linguistic practices be seen as complementary to the

visual artworks and do they complement the discussion on subject and identity formulated there? Or

is the magic cap made of language more of an artist’s rebellion against the scientific practices of

interpretation so closely connected to the categories of biography and authenticity?

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Samstag, 20.11.2010 15.15 Uhr Antje Krause-Wahl

Von der »Artist’s Lecture« zur »Lecture Performance« - Formen der künstlerischen

Theoriebildung in Künstlervorträgen

Eine Vielzahl publizierter Künstlertexte geht auf gehaltene Vorträge zurück. Gerade in der

Gegenwartskunst sind »Lectures« eine verbreitete Form künstlerischer Theoriebildung. In diesen

präsentiert der Künstler sein Werk, sein Wissen und sich selbst nicht nur verbal, sondern auch unter

Rückgriff auf Bildmaterialien. Rhetorik und Erscheinungsbild sind Teil der »Lectures«, die den

Inhalt unterstützen, aber auch konterkarieren können.

Mein Beitrag nimmt einen für den gegenwärtigen Kunstdiskurs exemplarischen Korpus von »Artist’s

Lectures« in den Blick: An der Städelschule gibt es seit 2002 systematische Mitschnitte von

Vorträgen im internationalen Kunstdiskurs etablierter Künstlerinnen und Künstler.

Folgende Fragen sind bei der Analyse dieser Vorträge leitend:

Wie sind die Formen der Vorträge zu beschreiben und zu differenzieren?

Welche diskursiven Regeln bestimmen die »Lecture«?

Welche Informationen werden wie über die eigene Arbeit gegeben?

Wie werden die Bildmaterialien eingesetzt?

Welche Rolle spielen theoretische Diskurse; übernehmen Künstler aktuelle oder bilden sie eigene?

Was für ein Verhältnis von Theorie und Praxis wird dabei impliziert?

Wie präsentieren sich die Künstler?

Was für eine Rolle gibt sich der Künstler als Theoretiker, welche Traditionen greift er auf?

Als Ursache für das Ansteigen der »Lectures« als mittlerweile notwendige Form künstlerischer

Theoriebildung und Wissenspräsentation hat die Forschung die künstlerische universitäre

Ausbildung seit den 1960er Jahren ins Feld geführt. Die verstärkte Theoriebildung seit den 1960er

Jahre wird als Emanzipation der Künstler gegenüber den Kritikern/Kunsthistorikern beschrieben und

als Etablierung der eigenen Deutungshoheit. Ziel meiner Analyse allerdings ist es zu klären, ob in

der spezifischen Form der Präsentation, dem Vortrag, diese Deutungshoheit auszumachen ist, oder

ob nicht vielmehr in Abgrenzung zum akademischen und kunstkritischen Diskurs Formen gesucht

werden, die Deutungen umgehen, verweigern oder verkomplizieren. Das kulminiert in den so

genannten »Lecture-Performances«, wie sie beispielsweise Mark Leckey praktiziert: Ein Hybrid, in

dem die akademische Form der Präsentation mit einer künstlerischen Aufführung - »Performance

Art« - kombiniert wird. Eine These wäre, dass die gegenwärtige Anforderung an Künstler ihre

Arbeiten theoretisch verbal zu rahmen, im Gegenzug zu »Theoriebildungen« führt, in denen der

theoretische Vortrag zur eigenständigen Praxis im Oeuvre des Künstlers wird.

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Antje Krause-Wahl

From »Artist’s Lectures« to »Lecture Performances« - Theory in Artists’ Speech

In contemporary art lecturing is a common practice. The artist presents himself, his work and his

knowledge in words as well as with images. His form of the speech and his appearance are part of

the artist’s lecture and they can support but also question its content.

In my talk I will focus on an exemplary cluster of artists’ lectures: since 2002 the Städelschule has

made recordings of nearly all talks of internationally estabished artists that have been invited. My

analysis of these lectures will be based on the following questions:

How can the lectures be described and differentiated?

What are the discoursive rules that cause and shape the lectures?

What information is given about the works of art?

How are images used?

What is the part of theory – do artists link themselves to current discourses or are they forming their

own?

What is the relation between theory and practice?

How does the artist present himself?

What role does the artist play and what traditions does he pick up?

It has been argued that the reason for the increase of artists’ lectures is the education of artists at

university. The stengthened connection between art and theory is described as an act of emanzipation

from art criticism in order to establish one’s own interpretation.

In analysing the lectures I will ask if this is still the case, or if interpretations are rather avoided,

denied or complicated.

This is the case in the so called »Lecture-Performances«, a hybrid that combines different strategies

of speech focusing on the act of the lecture. One thesis might be, that the contemporary need to

frame the work of art with theory leads artists to hold lectures as a work of art.

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Samstag, 20.11.2010 16:30 Uhr Felix Thürlemann

Wenn alles von Belang ist.

Wolfgang Tillmans’ künstlerisch-theoretischer Komplex

Wie viele andere zeitgenössische Künstler kümmert sich Wolfgang Tillmans (*1968) um die

Präsentation seiner Arbeiten selbst. Er richtet seine Ausstellungen in eigener Regie ein und gestaltet

auch die Kataloge weitgehend selbst. Es wäre falsch, in diesem Vorgehen bloß den Versuch einer

effizienten „Vermarktung“ eines künstlerischen Werkes zu verstehen, das von den jeweiligen

Formen der Präsentation getrennt existieren würde. Die provisorischen Zusammenstellungen von

grundsätzlich autonomen Werken in spezifischen, auch wechselnden Zusammenstellungen, die ich

hyperimages nenne, haben – insofern sie vom Künstler verantwortet werden – wiederum Werkstatus.

Für den Kunstwissenschaftler sind hyperimages vor allem aufgrund ihrer metadiskursiven Funktion

von Interesse. Jedes vom Künstler geschaffene hyperimage, Ausstellungshängung oder Buchlayout,

kann als selbstinterpretativer Metadiskurs über jedes einzelne der darin involvierten Werke

verstanden werden. Das hyperimage bestimmt die für die Wahrnehmung des jeweils fokalisierten

Werkes relevanten Kategorien und besitzt somit einen interpretativen Status: Es ist – auf hierarchisch

übergeordneter Ebene – selbst Werk, und es ist Deutung der Werke, die es konstituieren. Im Zentrum

des Beitrages wird die Analyse einer von Wolfgang Tillmans konzipierten Bilderwand stehen,

wodurch die These vom metadiskursiven Status der hyperimages im Sinne eines Exempels auf den

Prüfstand gestellt werden soll.

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Felix Thürlemann

When Everything Matters.

The Artistic-Theoretical Complex of Wolfgang Tillmans

Just like many other contemporary artists, Wolfgang Tillmans deals with the presentation of his

works of art himself. He installs his exhibitions and designs his catalogues as well. However, it

would be erroneous to interpret this practice solely as the artist’s attempt at an efficient „self-

marketing“, which could exist apart from the respective presentation. Tillmans’ provisional

arrangements of autonomous artworks in specific, but changeable, constellations may instead be

regarded as works of art themselves; I call these arrangements hyperimages.

These hyperimages are of interest especially because of their meta-discursive function. Every

hyperimage produced by the artist, whether it is an installation or the layout of a publication, may be

understood as a self-interpretive meta-discourse about every single work of art it includes. The

hyperimage determines the reception of the categories relevant for each specific artwork and has in

this regard interpretative status: On a higher level it is itself an artwork, while at the same time

constituting an interpretation of the works of art it contains. A picture-wall by Wolfgang Tillmans

will be at the center of this talk. Based on this example, the notion of a meta-discursive status of the

hyperimages will be examined.

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Sonntag, 21.11.2010 9.30 Uhr Isabelle Graw

Theoretisierende Maler/innen und malereikritische Theorie

Dass Malerinnen und Maler nicht nur malen, sondern auch über ihr Métier reflektieren, hat eine

lange Tradition. Schon Alberti spricht in seinem Traktat "Della Pittura" (1435/36) als Maler zu

seinen Kollegen. Noch im 20. und 21. Jahrhundert treffen wir auf den Produzenten als Autor von

Malereitheorie - von Matisse über Bacon zu Oehlen. Je mehr die Malerei buchstäblich zu sprechen

schien, desto dringender wurde es, ihren Anspruch auf den Platz eines Meta-Mediums zu

hinterfragen. Zumal die progressivsten Künstler und Kritiker der 1960er und 1980er Jahre haben die

historische Sonderstellung der Malerei mit vehementer Malereikritik zu beantworten gesucht. Meine

These für diesen Vortrag lautet jedoch, dass beide - Malereitheorie wie Malereikritik - diese

Sonderstellung auf ähnliche Weise zementiert haben. Denn sie neigen dazu, der Malerei ihr

gleichsam inhärente Eigenschaften zu unterstellen, was auf ihre Essentialisierung hinausläuft. Für die

Malereikritik eines Douglas Crimp werde ich entsprechend zeigen, dass sie der Malerei bestimmte

Essenzen wie "Ausdruck" oder "Illusionismus" zuschreiben muss, um ihre Fragwürdigkeit

behaupten zu können. Aber auch für die apologetischen Texten der Malereitheorie lassen sich

bestimmte Tropen herausarbeiten, die die Malerei zu einem höheren Wesen mit Befehlsgewalt

stilisieren. So etwa die Vorstellung, dass die Malerei eine Art Subjekt sei, das bestimmte

Forderungen stellt, denen sich der Maler zu unterwerfen hat. Produktiv wird es meines Erachtens

immer dann, wenn sich Malereitheorie und Malereikritik wechselseitig aufeinander beziehen. Zuletzt

werde ich mich deshalb mit jenen theoretisierenden Maler/innen befassen, die die Lektionen

der Malereikritik unmittelbar aufgegriffen haben - und zwar mit malerischen Mitteln.

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Sonntag, 21.11.2010 10.15 Uhr

Regine Prange

„…wo das Schauspiel des Lebens sich mit seiner Analyse mischt…“ - Godards filmisches

Oeuvre als (ästhetische) Theorie der Gesellschaft

Kein bildender Künstler hat Arnold Gehlens Diktum, dass der Kommentar zum substanziellen

Bestandteil der Kunst geworden ist, derart konsequent erfüllt wie der Filmregisseur Jean-Luc

Godard. Sein filmisches Oeuvre, hervorgegangen aus langjähriger Filmkritik, kultiviert die mediale

Selbstbezüglichkeit weit über die Referenz auf den eigenen Standort hinaus, indem es die Geschichte

des Kinos und die Geschichte herkömmlicher Kunstgattungen wie der Malerei, der Literatur und

Architektur zitierend einbezieht. 1979, mit fünfzig Jahren, projektierte Godard das Drehbuch zu

einer ‚wahren Geschichte des Kinos und des Fernsehens‘, die er auch als Psychoanalyse der eigenen

Arbeit verstanden wissen wollte. Drehbuch und Film kamen (zunächst) nicht zustande. Überliefert

sind lediglich transkribierte Texte von Vorträgen, die Godard an der Universität von Montreal

gehalten hat. Erst später (1988-1998) hat er, unter ganz anderen Rahmenbedingungen, die

umfassende Videoarbeit Histoire(s) du cinéma geschaffen. Mein Referat widmet sich vor allem der

Frühphase des Projekts in Godards Vorträgen, die eigene Filme mit Klassikern der Filmgeschichte in

Vergleich setzen. Nachzugehen ist dabei dem zentralen Argument, dass die dem Medium eigene

Technik der Montage - sei es die Verknüpfung der Einstellungen, sei es die Kombination von Ton

und Bild – den Film prinzipiell theoriefähig macht, d.h. ihn in die Lage versetzt, in einem

wissenschaftlicher Forschung gleichen bzw. überlegenen Sinne Bezüge und Zusammenhänge

herzustellen. Godards dokumentarischer Ansatz sorgt dafür, dass der permanente Verweis auf

ästhetische Traditionen zugleich in soziologische Analyse überführt wird. Im Begriff des Essayfilms

ist dieser Aspekt nur unzureichend benannt worden, denn Godard erklärt ausdrücklich, dass eine

wahre Geschichte des Films nur aus Bildern und Tönen gemacht werden könne, und eben nicht

durch Texte. Wie ist diese Bestimmung des ‚Gesamtkunstwerks Film‘ als Form historischer

Forschung zu bewerten? Sind Kunst- und Wissenschaftssystem, um Luhmanns Terminologie

aufzugreifen, in der Spätmoderne kompatibel geworden?

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Regine Prange

“...Where the Spectacle of Life Finally Mingles with its Analysis...” – Godard’s Cinematic

Oeuvre as an Aesthetics and a Theory of Society

More than any other artist, Jean-Luc Godard exemplifys Arnold Gehlen’s dictum that (self-

referential) commentary has become an integral element of art. Godard’s cinematic oeuvre, which is

based on years of experience as a film critic, shows a form of self-referentiality that extends well

beyond questions of medium specificity by continuously alluding to and quoting from the history of

cinema or the histories of the traditional artistic genres of painting, literature and architecture. In

1979, at the age of fifty, Godard started to write the scenario for ‘A True History of Cinema and

Television’. The planned film was also conceived as a psychoanalysis of his own work/working

process. This project was, however, aborted – at least temporarily. The only existing source material

are transcripts of lectures given by Godard at the University of Montreal. Much later (from 1988 to

1998), and in completely different circumstances, did Godard actually produce the video series

Histoire(s) du cinéma. My paper focuses on the early stages of the project as evidenced in Godard’s

lectures, where he draws comparisons between his own films and classics of film history. In

particular, I will discuss Godard’s core argument that, in principle, film is a medium of theory

because its specific technique of montage – whether it be conceived as a connection of shots or as a

combination of sounds and images – allows for analyzing interrelations and connections in a way

equivalent or superior to academic theories. Godard’s documentary approach facilitates the

transformation of his continuous references to aesthetic traditions into a sociological analysis. This

aspect is inadequately described by the term ‘essay film’. As Godard explicitly states, a true history

of film has to rely on images and sounds only, and precisely not on written texts. – How is this

definition of a gesamtkunstwerk as a form of historical research to be understood? Are the systems,

to use Luhmann’s term of art and academic research –– finally compatible under the conditions of

late modernity?

(translation: Henning Engelke)

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Kontakte Hans Aurenhammer Dieter Schwarz [email protected] [email protected] Lars Blunck Felix Thürlemann [email protected] [email protected] Eva Ehninger Tobias Vogt [email protected] [email protected] Henning Engelke Gregor Wedekind [email protected] [email protected] Julia Gelshorn Iris Wien [email protected] [email protected] Isabelle Graw Michael F. Zimmermann [email protected] [email protected] Christian Janecke [email protected] David Joselit [email protected] Sabine Kampmann [email protected] Antje Krause-Wahl [email protected] Johannes Meinhardt [email protected] Magdalena Nieslony [email protected] Regine Prange [email protected] Dominic Rahtz [email protected] Juliane Rebentisch [email protected] Peter J. Schneemann [email protected]