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Zwischen den 1000 Meter hohen Gletschern der Eiszeiten gab es einen eislosen Streifen, auf denen die Menschen zusammengedrängt wurden. 370.000 Jahre alt ist die weltweit erste Zeichnung eines Menschen, hier im Saale Unstrut Gebiet gefunden, eingeritzt in den Knochen eines Waldelefanten. Der 120 km lange HimmelswegeLauf, genannt „Lauf der Heroen“, führt durch das Saale Unstrut Gebiet, vorbei an steinzeitlichen Kalendern, Gräbern und Rätseln. Eines der größten Rätsel der Menschheit ist die Himmelscheibe von Nebra. Etwa 1600 v. Chr. wurde diese pizzagroße Scheibe in der Erde versteckt. Treffpunkt der Ultraläufer ist Freitag 17 Uhr vor der Arche Nebra in Wangen. Einweisung durch den zweifachen Marathon-Olympiasieger Waldemar Cierpinski. Die Cut-Off-Zeiten machen mir Bauchschmerzen, ich muss schneller sein, als letzte Woche in Biel. Ein Radfahrer betreut zunächst 2 bis 3 Läufer. Wir sind 18, ein Läufer hat gekniffen. Mein Rucksack wiegt etwa 5 kg. Alles Sachen, die ich nicht mag. Zu schwer für die frühe Morgenstunde, irgendein Radfahrer soll ihn mir nach km 10 bringen. Wir In Wangen gibt es das Schloßhotel Himmelsscheibe. Ich könnte über den Namen lachen. Aber 120 km laufen, mit Eigenverpflegung, eine Woche nach dem 100er in Biel, das ist voll bekloppt. Habe auch keinen Haferschleim vorgekocht , sondern nur Kamilletropfen dabei. Ab km 55 bekomme ich dann immerhin meine eigene Fahrradbetreuung. Einige übernachten im Zelt auf dem Sportplatz, ich in der Jugendherberge. Waldemar Cierpinski kümmert sich selbst um unseren Shuttleservice. Sein Sohn André lässt keinen Ultraläufer unbeaufsichtigt, hat längere Haare als ich, sieht aber glücklicherweise nicht aus wie Atze Schröder. Ich glaube, ich muss zum Friseur. Martin Cierpinski kümmert sich um die Versorgung und Falk um den Marathonwettbewerb, den er nebenbei auch noch gewinnen wird. Start früh morgens vor der Arche Nebra. Später wird hier das Ziel der Halb-und Marathonläufer und eine ausgewachsene Partyzone sein. Oh, wäre ich doch schneller gewesen! 16. Juni 2012 – Lauf der Heroen! Jakob hat schon 2 Stunden auf mich gewartet. Der arme Kerl bekommt die vorletzte Gurke zur Betreuung und einen Hinkelstein samt meiner Wochenendkasse: „Wir machen uns nen schönen Tag, Jakob, du Sau du!“ Was er glücklicherweise wörtlich nimmt. Er ist Student der Geowissenschaften, wurde erst gestern Abend rekrutiert. „Wo gehts denn lang?“ Wir beide haben uns nie verlaufen, die Markierungen waren perfekt. Ich wünschte, ich hätte eine Ausrede dafür, dass ich als Letzter und 16ter aller Himmelsläufer im Ziel ankomme. Uns entgegen kommt Täwe Schur, die 82 jährige Fahrradlegende der DDR. Führt die an, die nicht laufen können und sich im Rahmen des Himmelswegelaufes aufs Rad schwingen. Riesen Jubel, ich bin ein Hero. Km 65. Am Kiosk Ehekrach, weil ich nicht dem Bild eines Langstreckenläufers entspreche. Sachen, die ich nicht mag. Zu schwer für die frühe Morgenstunde, irgendein Radfahrer soll ihn mir nach km 10 bringen. Wir laufen entgegen der Marathon- und Halbmarathonstrecke. Andreas setzt sich sogleich von unserer Laufgruppe ab, wird heute Abend der Gewinner sein. Er ist Archäologe und hätte mir heute viel erzählen können. Km 10. Mein Rucksack ist nicht da, Ultraläufer brauchen Nerven. Es gibt für uns zunächst alle 10 km eine Wasserstelle, später nach 30 Kilometern. Die meisten Läufer kommen hier aus der Gegend. Von denen verabschiede ich mich jetzt, bin nun auf der vorletzten Position. Ich verstehe, warum mir André Cierpinski angeraten hat, den Marathon zu laufen. Es ist wirklich eine traumhafte Strecke und das erste Mal bereue ich es, nicht die Unterdistanz gewählt zu haben. Ich habe einfach keine Zeit für Fotos, die Cut-Off-Zeiten sind zu brutal. Welcher Idiot kommt schon auf die Idee, nach den 100 km von Biel nochmals 120 km zu laufen? Am Halbmarathonstart liegt auf einsamem Posten mein Hinkelsteinrucksack. Waldemar hat ihn persönlich hierher gebracht, er baut gerade den Startbogen auf. Auf den folgenden Kilometern stelle ich meine Getränkeflaschen auf die Laufstrecke, irgendeiner der zahlreichen Fahrradbegleiter wird die schon mitnehmen. Es gibt aber keine „zahlreichen“ mehr. Als ich viele Kilometer später mit meinem Hinkelstein die Treppe einer dörflichen Verpflegungsstelle runterspringe, kommt mir Harald, mein Retter auf dem Fahrrad, Sammler meiner Getränkeflaschen, Versorger zweier einsamer Läuferinnen und eines Hinkelsteinträgers entgegen. Nun trägt er meinen Hinkelstein, samt Gels und Geld. Ich bin ja Ultra und Vollidiot, verabrede mich mit ihm in 5 km. Kann ja nicht gut gehen. Meinen ganzen Besitz hat Harald. Ich habe Unterzuckerung und das ist grausam. „Wo bleibt Harald?“ Alle Einheimischen mähen an diesem Samstag ihren Rasen, aber alle ohne Bier. Ich bin am Verzweifeln, kann nur noch gehen. Dann Harald! Ich hätte diesen verschwitzten, aufgelösten Hero, Retter der Witwen und Waisen küssen können. Er füllt mich ab, übergibt mich bei km 55 meiner persönlichen Fahrradbetreuung Jakob. Danke!

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  • Zwischen den 1000 Meter hohen Gletschern der Eiszeiten gab es einen

    eislosen Streifen, auf denen die Menschen zusammengedrängt wurden.

    370.000 Jahre alt ist die weltweit erste Zeichnung eines Menschen, hier im

    Saale Unstrut Gebiet gefunden, eingeritzt in den Knochen eines

    Waldelefanten.

    Der 120 km lange HimmelswegeLauf, genannt „Lauf der Heroen“, führt durch

    das Saale Unstrut Gebiet, vorbei an steinzeitlichen Kalendern, Gräbern und

    Rätseln. Eines der größten Rätsel der Menschheit ist die Himmelscheibe von

    Nebra. Etwa 1600 v. Chr. wurde diese pizzagroße Scheibe in der Erde versteckt.

    Treffpunkt der Ultraläufer ist Freitag 17 Uhr vor der Arche Nebra in

    Wangen. Einweisung durch den zweifachen Marathon-Olympiasieger

    Waldemar Cierpinski. Die Cut-Off-Zeiten machen mir Bauchschmerzen,

    ich muss schneller sein, als letzte Woche in Biel.

    Ein Radfahrer betreut zunächst 2 bis 3 Läufer. Wir sind 18, ein Läufer hat gekniffen. Mein Rucksack wiegt etwa 5 kg. Alles

    Sachen, die ich nicht mag. Zu schwer für die frühe Morgenstunde, irgendein Radfahrer soll ihn mir nach km 10 bringen. Wir

    In Wangen gibt es das Schloßhotel Himmelsscheibe. Ich könnte über den Namen lachen. Aber 120 km laufen, mit

    Eigenverpflegung, eine Woche nach dem 100er in Biel, das ist voll bekloppt. Habe auch keinen Haferschleim vorgekocht ,

    sondern nur Kamilletropfen dabei. Ab km 55 bekomme ich dann immerhin meine eigene Fahrradbetreuung.

    Einige übernachten im Zelt auf dem Sportplatz, ich in der Jugendherberge.

    Waldemar Cierpinski kümmert sich selbst um unseren Shuttleservice. Sein Sohn André lässt keinen Ultraläufer unbeaufsichtigt,

    hat längere Haare als ich, sieht aber glücklicherweise nicht aus wie Atze Schröder. Ich glaube, ich muss zum Friseur. Martin

    Cierpinski kümmert sich um die Versorgung und Falk um den Marathonwettbewerb, den er nebenbei auch noch gewinnen

    wird.

    Start früh morgens vor der Arche Nebra. Später wird hier das Ziel der Halb-und Marathonläufer und eine ausgewachsene

    Partyzone sein. Oh, wäre ich doch schneller gewesen!

    16. Juni 2012 – Lauf der Heroen!

    Jakob hat schon 2 Stunden auf mich gewartet. Der arme Kerl bekommt die vorletzte Gurke zur Betreuung und einen

    Hinkelstein samt meiner Wochenendkasse: „Wir machen uns nen schönen Tag, Jakob, du Sau du!“ Was er glücklicherweise

    wörtlich nimmt. Er ist Student der Geowissenschaften, wurde erst gestern Abend rekrutiert.

    „Wo gehts denn lang?“ Wir beide haben uns nie verlaufen, die Markierungen waren perfekt. Ich wünschte, ich hätte eine

    Ausrede dafür, dass ich als Letzter und 16ter aller Himmelsläufer im Ziel ankomme.

    Uns entgegen kommt Täwe Schur, die 82 jährige Fahrradlegende der DDR. Führt die an, die nicht laufen können und sich im

    Rahmen des Himmelswegelaufes aufs Rad schwingen. Riesen Jubel, ich bin ein Hero. Km 65. Am Kiosk Ehekrach, weil ich

    nicht dem Bild eines Langstreckenläufers entspreche.

    Sachen, die ich nicht mag. Zu schwer für die frühe Morgenstunde, irgendein Radfahrer soll ihn mir nach km 10 bringen. Wir

    laufen entgegen der Marathon- und Halbmarathonstrecke. Andreas setzt sich sogleich von unserer Laufgruppe ab, wird heute

    Abend der Gewinner sein. Er ist Archäologe und hätte mir heute viel erzählen können.

    Km 10. Mein Rucksack ist nicht da, Ultraläufer brauchen Nerven. Es gibt für uns zunächst alle 10 km eine Wasserstelle,

    später nach 30 Kilometern.

    Die meisten Läufer kommen hier aus der Gegend. Von denen verabschiede ich mich jetzt, bin nun auf der vorletzten Position.

    Ich verstehe, warum mir André Cierpinski angeraten hat, den Marathon zu laufen. Es ist wirklich eine traumhafte Strecke und

    das erste Mal bereue ich es, nicht die Unterdistanz gewählt zu haben. Ich habe einfach keine Zeit für Fotos, die Cut-Off-Zeiten

    sind zu brutal. Welcher Idiot kommt schon auf die Idee, nach den 100 km von Biel nochmals 120 km zu laufen?

    Am Halbmarathonstart liegt auf einsamem Posten mein Hinkelsteinrucksack. Waldemar hat ihn persönlich hierher gebracht, er

    baut gerade den Startbogen auf. Auf den folgenden Kilometern stelle ich meine Getränkeflaschen auf die Laufstrecke,

    irgendeiner der zahlreichen Fahrradbegleiter wird die schon mitnehmen. Es gibt aber keine „zahlreichen“ mehr. Als ich viele

    Kilometer später mit meinem Hinkelstein die Treppe einer dörflichen Verpflegungsstelle runterspringe, kommt mir Harald,

    mein Retter auf dem Fahrrad, Sammler meiner Getränkeflaschen, Versorger zweier einsamer Läuferinnen und eines

    Hinkelsteinträgers entgegen. Nun trägt er meinen Hinkelstein, samt Gels und Geld. Ich bin ja Ultra und Vollidiot, verabrede

    mich mit ihm in 5 km. Kann ja nicht gut gehen.

    Meinen ganzen Besitz hat Harald. Ich habe Unterzuckerung und das ist grausam.

    „Wo bleibt Harald?“ Alle Einheimischen mähen an diesem Samstag ihren Rasen, aber alle ohne Bier. Ich bin am Verzweifeln,

    kann nur noch gehen. Dann Harald! Ich hätte diesen verschwitzten, aufgelösten Hero, Retter der Witwen und Waisen küssen

    können. Er füllt mich ab, übergibt mich bei km 55 meiner persönlichen Fahrradbetreuung Jakob. Danke!

  • Ich beauftrage jemanden vom „Warteverein“, das sind keine Warter, das sind Heimatjungs, die sich mit einer Flasche Wein

    acht Stunden lang hier an die Warte für uns Ultraspinner hinstellen und doch kein Bier haben.

    Ich brauche jetzt dringend meinen Studenten. Klatsche ans Hirn, 10 Kilometer über Kopfsteinpflaster, mein Adlatus pilgert

    mit 50 Euro von Dorffest zu Dorffest und ich habe nicht ein müdes Gel am Mann. Da hört man schon mal Stimmen: „Mehr

    Bier konnte ich nicht retten.“ L. m. a. A., 5 Milliliter warmes Bier bringt mir der Abiturient. Der weiß zwar in welcher Schicht

    die Kohle liegt, aber nicht wie er Bier transportieren soll. „Die hatten Schäferhundefest, Joe. Die wollten mich fressen, die

    haben einen an der Klatsche!“ Ich verzeihe ihm wegen der Flasche Unstruter Spätlese. Süss-sauer-fruchtig bringt er mich

    wieder auf die Beine.

    „ Christoph, gib alles“ steht es auf dem Schild, doch Christoph ist vor 7 Stunden ausgeschieden. Seitdem bin ich ganz

    vorne, also von hinten gesehen. Elend lange laufe ich, dann schicke ich Jakob wieder los, will wissen, wo die nächste

    Markierung ist. Er hat den Streckenplan und ein Stipendium, das müsste helfen.

    „ Jakob, da ist ein Gasthof. Mach, was deine Aufgabe ist!“ Km 100 vergeht, km 105 vergeht, km 110 vergeht. Mir geht‘s

    nicht gut, weiß nicht, ob ich falsch gelaufen bin und wo der Weg ist. Dann eine Stimme aus dem Off: „ Mann, Mann, Mann,

    die haben so einen an der Klatsche hier, und ich einen an der Birne!“ Klasse, mein Auszubildender hat Schnaps gesoffen!

    Vollgedröhnt, aber zwei Plastikflaschen voller Bier. Oh wie schön ist Panama!

    Seit Stunden haben wir zwangsläufig (hahaha, seit wann bin ich zwangsläufig) also haben wir irgendwie Handykontakt zur

    Rennleitung, zum Olympiasieger. Der will wissen, ob ich noch lebe. Ich bleibe dran, ich kämpfe. Ich laufe, will der Hero

    sein!

    Jakob will heute Abend noch Schweinshaxe essen und dem Fruchtbarkeitsritus in Halle City huldigen. „Fahr vor! Du musst

    das Empfangskomitee organisieren!“ Harald, mein Retter von vor 11 Stunden, schickt mir schon seine Töchter entgegen.

    Dann tauche ich ein in den Zieljubel. Waldemar, der Olympiasieger, überreicht mir eigenhändig die Medaille. Die letzte des

    Tages, die Himmelsscheibe. Zielfoto mit Jakob unter Nachtschweiß.

    Im Zieltaumel schaue ich mich um. Hätte ich gewusst, dass die sechs Besten des Utlralaufes Preise von Mountainbike bis

    Dartscheibe aus dem Cierpinski-Sportgeschäft bekommen ... ich wäre auch gegen den Wind gelaufen.

    Was mir sehr wertvoll ist, ich hatte es schon beim Halle-Marathon erwähnt: Die Anwesenheit des Olympiasiegers. Der

    Uuuh, fragt mich nicht welcher Kilometer. Jakob hat vom Wiesenfest gehört. Ich sag: „Mach dich auf die Reifen, du hast jetzt die

    Kohle, hohl Bier, du Sau du!“ Der Kerl kommt nicht mehr bei. Ich Vollidiot, der hat mein Erspartes und ich nur Probleme. Mache

    mir Gedanken, der Kerl kommt aus Verden und versteht „ Du Sau du!“ eventuell falsch.

    Was mir sehr wertvoll ist, ich hatte es schon beim Halle-Marathon erwähnt: Die Anwesenheit des Olympiasiegers. Der

    Waldi war immer da und er hat heute nur auf mich gewartet. Auf mich, die Nr. 16 der Heroen der Himmelswege! „Waldi, du

    musst auch mal ein Bier trinken!“ grölt die Restgemeinde und will mit uns zusammen auf das verschwommene Zielfoto. Er

    antwortet nicht, cool zieht er bis zum letzten Augenblick die Orga durch, gibt mir meinen Duschbeutel in der Hand, teilt mir

    den Fahrer zu. Klasse!

    Die ausgelassene Stimmung der nächtlichen Marathon-Party der Cierpinskis in der Jugendherberge vermischt sich mit dem

    morgendlichen Gezwitscher der Grasmücke vor meinem Fenster.

    Ob Olympiasieger und deren Söhne Bier trinken, kann ich nicht mehr sagen. Und die 120 Kilometer kann ich Euch auch

    nicht empfehlen. Weil Ihr einfach nicht reif dafür seid! Aber die Marathonstrecke, den Lauf durch das Unstruttal, das ist ein

    Traum, den empfehle ich Euch. Und danach Party vom Feinsten.