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Christoph Leuthold »Lebenslernen« macht Schule Impulse zu einer ganzheitlichen Pädagogik Erfahrungen aus zwanzig Jahren Bildungswerkstatt Bergwald

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Christoph Leuthold

»Lebenslernen« macht SchuleImpulse zu einer ganzheitlichen Pädagogik

Erfahrungen aus zwanzig Jahren

Bildungswerkstatt Bergwald

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Sch

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Leu

thold

Klimaerwärmung, abgeholzte Tropenwälder, Artensterben … Die Natur

und damit unsere Lebensgrundlagen sind global in Gefahr. Den Haupt-

grund sieht Christoph Leuthold in unserer Entfremdung von der Natur.

Was, wenn nicht eine ganzheitliche Bildung der Kinder und Jugendlichen

zu Achtsamkeit und Verantwortlichkeit gegenüber der Mitwelt, könnte

nachhaltig aus der Umweltkrise herausführen? Der Autor beschreibt an

praktischen Beispielen, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung mit

Jugendlichen gelingen kann.

www.hep-verlag.com/lebenslernen-macht-schule

Dr. Christoph Leuthold (*1943) studierte in den 60er-Jahren Forstinge-nieur an der ETH Zürich und promovierte in Waldökologie. Bis 1975 leitete er die Arbeitsgemeinschaft Umwelt AGU an den Zürcher Hoch-schulen und war später Mitbegründer eines der ersten Ökobüros in der Schweiz. Aus der Überzeugung heraus, dass eine der Hauptursachen des Umweltproblems in unserer kopflastigen Bildung liegt, wechselte er 1981 in den Lehrberuf und unterrichtete bis 1994 Jugendliche an der Rudolf-Steiner-Schule Zürich. 1995 gründete er die Bildungswerkstatt Bergwald, ein praxisnahes Bildungsprojekt für Klassen aller Schul-typen und Berufslernende, das er bis 2010 leitete.

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Inhalt

Zum Geleit 9

Vorwort 10

Einleitung 12

Teil I » Lebenslernen « konkret 17

1 Der Ursprung 191.1 Wie alles begann – eine persönliche Spurensuche 211.2 Die Vision » Bildungswerkstatt Bergwald « ( BWBW ) 251.3 Von der Idee zur Tat 271.4 Die Kraft des Zusammenwirkens 28

2 Die Bildungswerkstatt Bergwald ( BWBW ) 312.1 Das Leitbild 332.2 Institutionelle Positionierung 352.3 Inhaltliche und pädagogische Positionierung 362.4 Die BWBW als konkreter Umsetzung s rahmen 372.5 Zur Kosten- und Finanzierungsstruktur 442.6 Qualitätskontrolle, Qualitätsentwicklung 472.7 Meilensteine der BWBW-Entwicklung 51

3 Die Umsetzungspartner der BWBW 533.1 Die Auftraggeber für die praktischen Arbeiten 553.2 Die Schulen und Lehrlingsbetriebe als Bildungspartner 563.3 Die Rolle und Bedürfnisse der Jugendlichen 61

4 Das didaktische Konzept 634.1 Grundlegendes zum didaktischen Konzept 654.2 Ganzheitliche Menschenbildung – nachhaltige Zivilisationsentwicklung 664.3 Ziele der BWBW-Bildungsarbeit 674.4 Die Waldprojektwoche als didaktisches Gefäß 704.5 Die Kernpunkte des BWBW-Konzepts 714.6 Didaktische Leitlinien 94

5 Die Methodik der BWBW-Projektwochen und ihre praktische Umsetzung 975.1 Grundlegendes zur Methodik 995.2 Methodische Leitmotive 1005.3 Das Werkbuch als methodisches Werkzeug 1305.4 Fünf Phasen eines Arbeitstags : ein methodisch-didaktisches Gerüst 1375.5 Die konkrete Planung und Durchführung einer BWBW-Waldprojektwoche ( WP ) 1425.6 Die verschiedenen Arbeitsgattungen und ihr pädagogisches Potenzial

an praktischen Beispielen 1505.7 Waldprojektwochen mit thematischen Erweiterungen oder Schwerpunkten

und besonderen Zielgruppen 210

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6 Ergebnisse und Wirkungen 2216.1 Wirkungs- und Wertschöpfungsbereiche 2236.2 Die bisher durchgeführten Waldprojek t wochen in Zahlen ( 1995–2015 ) 2246.3 Die pädagogischen Wirkungen 2246.4 Bildung für nachhaltige Entwicklung 2406.5 Allgemeine Urteile und Äußerungen über die Waldprojektwochen 2456.6 Wirkungsbereich Erwachsenenbildung 2486.7 Nichtpädagogische Wirkungen in Form von Wertschöpfung 2486.8 Auszeichnungen, Zertifikate 252

7 Entwicklungsperspektiven und Erweiterungs poten ziale 2537.1 Thematische Erweiterungsmöglichkeiten des Arbeitsfeldes 2567.2 Option »Andere Zeitfenster« 2587.3 Option »Erweiterung der Zielgruppen« 261

8 Impulse zu externen Projekten 2658.1 Der Modellcharakter des BWBW-Konzepts und der Methodik 2678.2 Antworten auf jugendpädagogische Herausforderungen 2678.3 Ausstrahlung über die Schweizer Grenzen hinaus 270

Teil II Bildung am Scheideweg 273

9 Die Umweltfrage – Schicksalsfrage des 21. Jahrhunderts 2759.1 Das Umweltproblem – in Wahrheit ein Innenweltproblem 2789.2 Die Wirkung des naturwissenschaftlichen Weltbildes auf unsere

Naturbeziehung – eine Kernfrage des Umweltproblems 2799.3 Die Naturbetrachtung Goethes – eine ganzheitliche und geistige Erweiterung

der Naturwissenschaft 290

10 Das Menschenbild als pädagogisches Fundament 29910.1 Der Mensch: Irrläufer der Evolution? 30110.2 Natur und Kultur: Widerspruch oder Steigerung? 31210.3 Kernpunkte einer ganzheitlichen Menschenkunde 31710.4 Die menschliche Entwicklung von der Geburt bis zur Urteilsreife 324

11 Vom Menschenbild zur Menschenbildung 34911.1 Nur ganzheitliche Menschenbildung ist nachhaltig und zukunftsfähig 35111.2 »Lebenslernen« – ein zeitgemäßes und zukunftstaugliches pädagogisches

Konzept für das Jugendalter 366

12 Gesellschaft im Umbruch – Bildung am Scheideweg 38712.1 Das Bildungswesen ist selbst Teil des Problems 39312.2 Das Bildungswesen – zugleich wichtigster Hoffnungsträger 413

Dank 429

Anhang 431

Glossar 433

Abkürzungen 434

Literaturverzeichnis 435

Anhänge 1–7 440

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Ich widme dieses Buch zwei Menschen, ohne die die Bildungswerkstatt Bergwald ( BWBW ) nie hätte entstehen und wachsen können : meiner Frau Tina, die mich und die BWBW durch alle Höhen und Tiefen liebe-voll begleitet und tatkräftig unterstützt und dabei auf vieles verzichtet hat,und meinem Freund Franz Lohri, dem Vater der Waldpädagogik in der Schweiz, Gründer der CH-Waldwochen / Silviva, unter deren Dach die BWBW ihr erstes Zuhause fand.

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Zum Geleit

Unsere Vorfahren haben während 200 000 Jahren in der Natur und in Lebens­gemeinschaften unter vertrauten Menschen gelebt. Vor etwa 200 Jahren begannen wir uns von der Natur zu verabschieden und uns unsere eigene Umwelt zu schaffen. Nun haben wir uns von der Natur fast vollständig ent­fremdet und leben in einer anonymen Massengesellschaft.

Die Natur ist uns aber vertraut geblieben. Wir fühlen uns in der Natur, und sei sie auch noch so verschieden von unserer Umwelt, nie fremd. Auf die Kinder übt die Natur eine unglaublich starke Anziehungskraft aus. Wahr­scheinlich weckt sie in ihnen uralte Lernimpulse, regt sie zu Erfahrungen an, die sie für ihre Entwicklung brauchen.

Wir wissen, dass wir die Zerstörung der Natur schleunigst beenden müs­sen. Wir müssen uns aber auch Gedanken darüber machen, welche Auswir­kungen es auf unser Wohlbefinden hat, wenn wir überhaupt nicht mehr in der Natur leben. Können wir, insbesondere die Kinder, auf die Natur verzichten, die während Hunderttausenden von Jahren unser Lebensraum war, ohne körperlich und seelisch Schaden zu nehmen?

Christoph Leuthold hat ein wunderbares Buch geschrieben. Wunderbar deshalb, weil er sich ganz praktisch mit unserer Beziehung zur Natur ausein­andersetzt. Die Grundlage des Buches bildet seine langjährige Tätigkeit in verschiedensten Projekten der Bildungswerkstatt Bergwald. Christoph Leuthold leistet mit seinem Buch einen bedeutenden Beitrag zur Überwin­dung der Naturentfremdung und der Umweltzerstörung, indem er überzeu­gend darlegt, was unter einer ganzheitlichen, lebensnahen und menschen­gemäßen Pädagogik zu verstehen ist und wie sie konkret umgesetzt werden kann.

Remo H. Largo

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Vorwort

Wie können wir alle unsere »inneren« Kräfte und Potenziale für den immer zwingender werdenden Weg zu einem nachhaltigen und achtsamen Lebens­stil mobilisieren? Wie kann die Bildung dazu beitragen? Wo liegen unaus­geschöpfte Möglichkeiten in der Schule brach? In »Lebenslernen« zeigt Christoph Leuthold sein langjähriges und intensives Ringen um eine ganz­heitliche Bildung für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft und entsprechende Angebote für Oberstufenschüler/­innen und Lehrlinge, später auch für Erwachsene. Er hat seine Vision mit Begeisterung, Beharrlichkeit, Ausdauer und hohem Engagement verfolgt und mit seinen Vorträgen, Kursen und Weiterbildungen im In­ und Ausland viele Menschen inspiriert. Nun wurde es höchste Zeit, die enorme Erfahrung in Theorie und Praxis als Pen­sionierter in einem größeren Zusammenhang zu reflektieren und nieder­zuschreiben, um sie so einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Unsere technischen und naturwissenschaftlichen Errungenschaften und die Eigendynamik der Wirtschaft haben uns überrollt – der Zauberlehrling lässt grüßen.

Unsere innere Entwicklung konnte nicht Schritt halten mit der äußeren – unsere emotionalen und ethischen Kompetenzen nicht mit den intellektuellen.

Die große Chance in der Bildung besteht deshalb darin, Kognitives mit Emotionalem zu verbinden, in Systemen und Prozessen denken und fühlen zu lernen, Achtsamkeit und Verbundenheit mit der Mitwelt in unser Denken und Handeln einzubeziehen.1

Emotionales mit Kognitivem zu verbinden, bedeutet, den ganzen Men­schen anzusprechen mit all seinen Sinnen und der Erfahrung von Selbstwirk­samkeit, Freude und Widerstandskraft. Genau das ermöglicht die Bildungs­werkstatt Bergwald punktuell mit Waldprojektwochen und ­einsätzen. Es lässt erfahren, dass sinnstiftendes Tun und die Kraft des eigenen Körpers spüren zufrieden macht, in der Zusammenarbeit Beziehungen gestärkt wer­den, die Notwendigkeit der gegenseitigen Hilfe zur echten Kooperation führt. Es erlaubt zu erleben, dass eine tiefere Beziehung zu den Pflanzen, ohne die wir nicht leben könnten, entstehen kann. Es bedeutet aber auch, Widerwär­tiges auszuhalten wie die Launen des Wetters oder die Herausforderungen des Berggeländes, mit zwischenmenschlichen Konflikten zurechtzukommen und sich eigenen Ängsten zu stellen. Es heißt, immer wieder innezuhalten, nachzudenken über Zusammenhänge und die Perspektive zu wechseln, um zu sinnvollen Entscheidungen und Handlungen zu gelangen.

Solche Erfahrungen sind Mosaiksteine zu einer Bildung, die mitten im Leben ansetzt und zu einer nachhaltigen Gesellschaft beiträgt. Gäbe es sie mehr und in vielfältigen Formen in der heutigen Zeit, bekäme die Bildung wohl ein lebendigeres Gesicht und würde mehr zum »Lebenslernen«. Die

1 Vgl. Barbara Gugerli­Dolder und Ursula Frischknecht­Tobler (Hrsg.) (2011), Umwelt­bildung Plus, Pestalozzianum Verlag, Zürich.

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Bildungswerkstatt Bergwald beschreitet diesen Weg und versucht seit über zwanzig Jahren, diese Dimensionen umzusetzen und Oberstufenklassen und in der Berufsausbildung solch elementare Erfahrungen zu ermöglichen. Die Erlebnisse werden mit Bildungsinhalten verknüpft, das Miteinander wird erprobt, der Durchhaltewillen gestärkt, die Zusammenhänge zwischen Mensch und Natur und sich selbst werden als Teil davon erfahren.

Dieses Buch gibt zweifach Einblick ins »Lebenslernen« – mit der aus­führlichen Darstellung des Vorzeigebeispiels Bildungswerkstatt Bergwald in einem ersten Teil: der Grundgedanken, seiner Entwicklung, des pädagogi­schen Konzepts wie auch von Organisation und Struktur. Die detaillierten Ausführungen basieren auf einem reichen Erfahrungsschatz und können so Initiantinnen und Initianten von ähnlichen Projekten wie auch interessierten Lehrpersonen eine wertvolle Hilfe sein. Durch die vielen Zitate von jugend­lichen Teilnehmenden und Lehrpersonen und auch durch konkrete Situa­tions­ und Arbeitsbeschreibungen wird die Darstellung der Waldprojektwo­chen lebendig, spannend und greifbar. Interessierte Lehrpersonen können sich damit auch gut für eine Waldprojektwoche vorbereiten, wenn sie sich Zeit nehmen, das umfangreiche Werk zu studieren. Der zweite Teil nimmt das Beispiel als Anlass, grundsätzliche Fragen zur heutigen Bildung auf­zuwerfen und kritisch zu beleuchten. Christoph Leuthold holt weit aus, greift philosophisch­wissenschaftlich unser Menschenbild, das Verhältnis von Mensch und Natur, die Problematik der Einseitigkeit der Naturwissenschaf­ten und unser Umweltverhalten in einer sehr persönlichen Art auf. Er übt provokativ und zugleich konstruktiv Kritik am heutigen Schul­ und Bildungs­system – eine spannende Lektüre für (Umwelt­)Pädagoginnen und Pädago­gen. Leuthold inspiriert zu neuen Sichtweisen und will Leser/­innen zu eige­nen Initiativen und Projekten ermutigen.

Dieses Buch ist Zeuge des Lebenswerkes von Christoph Leuthold als einem praktizierenden, erforschenden und entwickelnden Natur­Pädagogen mit vielen Visionen und Hoffnung auf eine nachhaltige Zukunft.

Die Bildungswerkstatt Bergwald entwickelt sich auf dem Fundament ihres Gründers und Autors dieses Buches weiter, sucht neue Verknüpfungen und versucht, auch vermehrt Erwachsene mit speziellen Angeboten äußerlich und innerlich zu bewegen. Überzeugen Sie sich selbst von der Vielfalt und Qua­lität dieses Angebotes durch einen Besuch bei einer Waldprojektwoche oder als Teilnehmer/­in in einem der Erwachsenenangebote (www.bergwald.ch).

Barbara Gugerli-Dolder, Stiftungsrätin der Bildungswerkstatt Bergwald

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Einleitung

Sorge und Betroffenheit über unseren achtlosen, destruktiven Umgang mit unserer Mitwelt und die immer weiter fortschreitende Naturentfremdung der Jugend – das war es, was mich vor zwanzig Jahren zur Gründung der Bil­dungswerkstatt Bergwald veranlasst hat. Dieselbe Sorge hat mich nun dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben.

Ich bin überzeugt, dass die globale Bedrohung des Lebens und unser Umgang mit ihr die Schicksalsfrage des 21. Jahrhunderts ist, die wie keine andere über die Zukunftschancen unserer Nachkommen, vielleicht der gan­zen Menschheit entscheiden wird. Immer mehr Menschen scheinen sich der Tatsache bewusst zu sein, dass unser kurzsichtiges Denken und Handeln sich letztlich auch gegen uns selbst wendet. Und immer mehr verstehen, dass wir nur diese eine wunderbare Erde als unsere Heimat haben – und so wohl nur eine wirkliche Wahl, als Menschheit zu überleben : die Alarmsignale, die das Leben auf ganz unterschiedlichen Ebenen aussendet, in ihrer Tragweite und Dringlichkeit endlich zu erkennen, sie ernst zu nehmen und daraus sehr schnell zu lernen : lernen vom Leben, lernen durch das Leben, lernen für das Leben. Das ist der Grund, weshalb ich dieses Buch unter das Motto » Lebens-lernen « gestellt habe.

Just in den Tagen, in denen ich diese Zeilen schreibe, findet in Paris die 21. UNO­Klimakonferenz statt, in die unzählige Menschen, Organisationen und Politiker große Erwartungen setzen – Hoffnung, dass die Weltgemein­schaft endlich erwachen und eine Wende zu einem nachhaltigeren Umgang mit den Ressourcen des Lebens beschließen möge.

Zumindest im Sinne einer Absichtserklärung haben, nach zwanzig gescheiterten Versuchen, 198 Staaten jetzt tatsächlich ihren Willen bekundet, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Das ist gut und dringend notwendig.

Doch selbst wenn all die Versprechungen eingehalten werden, wird sich an den eigentlichen Ursachen der Umweltzerstörung kaum etwas ändern. Denn die treibende Kraft zum Abkommen von Paris war vor allem die Angst vor den lebensbedrohenden und wirtschaftlich negativen Folgen des Klima­wandels für uns selbst. Einsicht in den notwendigen Wandel der Werte, etwa eine Abkehr von der Wachstumsideologie und vom einseitigen materialis­tischen Fortschrittsglauben, war höchstens in Randgeräuschen wahrzuneh­men, geschweige denn, dass der anzustrebende Wandel in unserer Beziehung zur Mitwelt und die moralische Verantwortlichkeit für sie wirklich erkannt wäre. Doch ohne grundlegenden Werte­ und Beziehungswandel werden wir niemals zu den wahren Ursachen der Umweltzerstörung und zu einer nach­haltigen Zivilisation kommen : Die Probleme lassen sich nicht mit demselben Denken lösen, das sie erzeugt hat.

Wir befinden uns heute in einer Situation, die auf den ersten Blick para­dox erscheinen mag : Noch nie verfügte eine Zivilisation über so viel Bildung und Einzelwissen über die Natur – und trotzdem war die Menschheit noch

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nie weniger fähig, mit der Natur und dem Leben als Ganzem achtungsvoll und nachhaltig umzugehen. Niemals zuvor waren die Menschen der Natur so weit entfremdet und haben sie so entwürdigt und misshandelt wie in unse­rer Zeit. Besonders von jenem Teil der Menschheit, der sich als kulturell hochstehend, gebildet und aufgeklärt betrachtet, geht heute eine globale Bedrohung des Lebens aus, wie sie die Welt noch nie gekannt hat.

Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn wir erkennen, dass zwischen der Art von Wissenschaft und Bildung, die diese Entwicklung ermöglicht und bewirkt hat, und dem Zustand unserer Welt ein unmittelba­rer innerer Zusammenhang besteht. Offensichtlich haben wir heute eine Beziehung zum Leben, die diesem nicht gerecht wird, die es längerfristig zerstört, statt es zu fördern. Daher kommen wir nicht umhin, die heute alles dominierende Naturwissenschaft und ihre Wirkungen grundlegend zu hin­terfragen, denn ausgerechnet sie hat uns paradoxerweise in diese entfremdete und lebensfeindliche Naturbeziehung hineingeführt.

Die globale Bedrohung des Lebens ist der sehr hohe Preis, den wir für den grandiosen wissenschaftlich­technischen Fortschritt zahlen, dem wir auf der andern Seite ja unseren Wohlstand, die gestiegene Lebenserwartung und vieles mehr verdanken. Sie ist gewissermaßen die dunkle Seite des Januskopfs, und diese dunkle Seite des Fortschritts ist keine zufällige Nebenwirkung, sondern geradezu die logische Konsequenz des einseitigen Erkenntnisansat­zes der materialistischen Naturwissenschaft und ihrer praktischen Anwen­dung. Immer mehr wird sie zur Hauptwirkung.

Januskopf (auf römischer Münze). Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907. Zeno.org

Den inneren Zusammenhang dieser beiden Seiten des Januskopfs – unseres heutigen Zugangs zum Leben – aufzuzeigen, ist eines der Anliegen dieses Buches ( ihm gilt vor allem Teil II ). Denn aus der Falle der drohenden Selbst­zerstörung können wir nur herausfinden, wenn es uns gelingt, die Entfrem­dung von der Natur und vom Leben als Ganzem zu überwinden. Was wir brauchen, ist eine Kultur vertiefter Beziehung zur Mitwelt, die auch eine Erweiterung des erkennenden, wissenschaftlichen Zugangs zu ihr einschließt.

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Daraus wird deutlich, dass unser Umweltproblem in Wahrheit ein Innen­weltproblem ist, das wir nur lösen können, indem wir auch neue Wege beschreiten, das Leben wahrzunehmen, um von ihm auf neue Weise zu ler­nen : ein » Lebenslernen « auf einer elementaren, existenziellen Stufe. Letztlich läuft alles auf eine Überlebensfrage der Menschheit hinaus : Wenn wir das Leben nicht tiefer verstehen lernen, werden wir es zerstören – und damit uns selbst. Dabei geht es keineswegs darum, Wissenschaft und Technik abzuleh­nen, sondern darum, sie ganzheitlich so zu erweitern, dass sie ihre Grenzen und Verantwortlichkeiten selbst erkennen und einen adäquateren Umgang mit dem Leben entwickeln können.

Wissenschaft, Bildung und Kulturentwicklung stehen in einer intensiven Wechselwirkung, indem das jeweilige Welt­ und Menschenbild der Wissen­schaft laufend in den Bildungsbetrieb einfließt und die gebildeten Menschen prägt, die später ihrerseits den Wissenschaftsbetrieb und die gesellschaftliche Entwicklung bestimmen.

In Bildung und Wissenschaft liegt daher auch der wichtigste Schlüssel zu einem Werte­ und Beziehungswandel. Doch solange Bildung und Wissen­schaft eingespannt sind in den Dienst am bestehenden wirtschaftlich­mate­rialistischen Fortschrittsmodell, ist ein Durchbrechen dieses selbsterhalten­den Zirkels nur schwer vorstellbar.

Trotzdem liegt die größte Zukunftshoffnung in der Erneuerungskraft des Erziehungs­ und Bildungswesens, weil hier laufend junge, noch unbelastete Menschen nachkommen, Kinder und Jugendliche, in denen ein immer neues Suchen und Fragen lebt und aus denen laufend neue Gestaltungsimpulse und Sehnsüchte nach einer sinnhafteren, menschenwürdigeren Zukunft auf­keimen.

Mehr denn je wirft die Situation brennende Fragen zum Selbstverständ­nis, zur Rolle und Aufgabe des Bildungs­ und Erziehungswesens auf, denn ohne eine Öffnung hin zu einem ganzheitlichen Bildungsansatz, dessen Zen­trum der werdende Mensch ist, können sich die kreativen Erneuerungskräfte der Jugend nicht frei entfalten.

Im zweiten Teil dieses Buches lege ich deshalb den Hauptschwerpunkt auf die pädagogischen Grundfragen der Menschenbildung ; denn darin liegt der Schlüssel zur Freilegung der Erneuerungskräfte. Hier tritt der Ruf nach » Lebenslernen « auf zwei weiteren Ebenen auf. Zunächst als Anforderung an die pädagogisch wirkenden Erwachsenen, am Leben selbst, das heißt an den Kindern und Jugendlichen, abzulesen, welches ihre wirklichen Bedürfnisse sind, damit sie sich in den verschiedenen Altersstufen optimal entfalten kön­nen. Daran schließt sich unmittelbar die Frage nach dem Lernumfeld und der Methodik an, die es den jungen Menschen ermöglichen, in ein sensibles, achtsames und verantwortungsbewusstes Verhältnis zur Mitwelt hineinzu­wachsen.

Damit ist eine dritte Ebene angesprochen : » Lebenslernen « als handlungs-orientiertes methodisch-didaktisches Konzept, das besonders für Jugendliche lebendige, erdende Lernformen erschließt, die mit Erfahrungen am prak­tischen Leben verbunden sind. Die Welt braucht dringend mehr engagierte

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Menschen, die ihr wissend und achtsam begegnen, die darüber hinaus aber auch fähig und bereit sind, nach ihren Einsichten und Empfindungen zu handeln. Ohne beherzte Taten vieler solcher Menschen werden die notwen­digen Veränderungen in unserem Umweltverhalten wohl kaum zu schaffen sein.

An diesen pädagogischen Herausforderungen führt letztlich kein Weg vorbei im Streben nach einer nachhaltigen Bildung und Gesellschaft. Doch die Größe und Tragweite der Aufgaben kann den Einzelnen auch lähmen, weil er sich überfordert fühlt.

So habe ich beschlossen, das Buch mit der Beschreibung der Bildungs­werkstatt Bergwald ( BWBW ) als eines konkreten Beispiels möglichen Han­delns zu beginnen. Damit sollen vor allem jene Leserinnen und Leser ermu­tigt werden, die sich lieber gleich auf den Weg begeben und etwas Handfestes tun möchten. Dieser erste Teil soll exemplarisch aufzeigen, wie » Lebenslernen « im Sinne von Bildung für nachhaltige Entwicklung ( BNE ) mit Jugendlichen gelingen kann. Es ist eine Momentaufnahme und Zwischen­bilanz der bis dahin entwickelten Bildungsorganisation BWBW, auch im Übergang des Generationenwechsels in ihrer Führung. Mit der ausführlichen Beschreibung des didaktischen Konzepts, der jugendspezifischen Methodik und der langjährigen Erfahrungen soll all dies einem breiteren interessierten Kreis zugänglich gemacht werden. Dabei denke ich besonders an Leserinnen und Leser, die sich in der Umweltbildung und der Jugendpädagogik enga­gieren und sich vielleicht auch mit neuen, zielverwandten Projektideen beschäftigen. Außerdem soll dieser Teil all jenen Menschen als anschauliches Beispiel von » Lebenslernen « dienen, die sich grundsätzlich mit ganzheitlicher Pädagogik auseinandersetzen.

Auch den Lehrkräften und Eltern von Jugendlichen, die an BWBW­Waldprojektwochen teilnehmen, möchte ich die Möglichkeit geben, sich tie­fer mit dem Projekt zu befassen. Und schließlich soll die Darstellung in der pädagogischen Ausbildungs­ und Forschungsarbeit als Beispiel einer » good practice « von Bildung für nachhaltige Entwicklung dienen.

Wenn es sich dabei auch nur um einen kleinen, außerschulischen Bau­stein handelt, der den regulären Schul­ oder Lehrbetrieb auf ganzheitliche Weise ergänzt, so strahlt er doch nachweislich befruchtend auf den Bildungs­alltag zurück. Auch kleine Bausteine können Teil des Fundaments eines größeren Bauwerks werden. Und jeder kraftvolle Impuls kann dazu beitragen, eine größere Bewegung auszulösen.

Ich hoffe, dass dieser praxisnahe Teil des Buches zugleich das Interesse zu wecken vermag, sich auch mit dem zweiten Teil des Buches auseinanderzu­setzen, wo die tieferen Hintergründe der Entfremdungs­ und Nachhaltig­keitsproblematik erörtert werden. Begründet wird dort die Forderung nach einer ganzheitlichen Menschenbildung ; ich möchte dazu anregen, sich auch vertieft mit den menschenkundlichen Grundlagen auseinanderzusetzen : im Sinne nicht eines theoretischen Überbaus, sondern eines geistigen Unterbaus, aus dem heraus ich vor zwanzig Jahren die BWBW gegründet habe.

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Wodurch sonst, wenn nicht durch einen tief greifenden Wandel im Ver­ständnis von Bildung und Erziehung, sollte die nachwachsende Generation die Fähigkeit gewinnen, unsere Mitwelt sensibler wahrzunehmen, achtungs­voller und nachhaltiger mit ihr umzugehen, als dies meine Generation tat ?

Aus dieser Überzeugung heraus habe ich mich entschlossen, mit dem zweiten Teil ein viel weiteres Fenster zu öffnen, über das Einzelprojekt hinaus den Blick auf die eigentlichen Kernfragen unserer Zeit zu lenken.

So möchte ich mit diesem Buch die Einsicht fördern, dass es nichts Nachhal­tigeres geben kann als eine ganzheitliche Bildung der Jugend – ein menschen­gemäßes » Lebenslernen «, das zu geistig eigenständigen, urteilsfähigen Men­schen führt, die sich aus freiem Willen und mit Empathie für die Bedürfnisse der Mitwelt einsetzen und mutig an der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft mitwirken. Und vor allem möchte ich Mut machen, auch im Kleinen an dieser großen pädagogischen Herausforderung zu arbeiten.

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Die Bildungswerkstatt Bergwald Konzept, Methodik und pädagogische Praxis

Teil I

» Lebenslernen « konkret

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Der Ursprung

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1 Der Ursprung

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1.1 Wie alles begann – eine persönliche Spurensuche

1963 stieß ich als Maturand auf ein Buch, dessen Thema mich seither nie mehr losgelassen hat und das so auch zu den Gründungsimpulsen der Bil-dungswerkstatt Bergwald zählt : » Der stumme Frühling « von Rachel Carson.

Die amerikanische Biologin begann mit einem beklemmenden » Zukunfts-märchen «. Sie schilderte eine fiktive Stadt, in der eines Frühlings keine Vogel-stimme mehr erklingt, wo rätselhafte Krankheiten Tiere und Menschen befal-len, aus bebrüteten Eiern keine Küken mehr schlüpfen, als sei die Stadt verflucht und mit einem bösen Zauber belegt. – Ein tiefer Schauder ging damals durch meine junge Seele bei der Vorstellung, dass der Frühling künf-tig einmal stumm sein könnte – und derselbe Schauder steigt noch heute in mir auf, wenn mir an konkreten Erlebnissen der lebensverachtende Umgang unserer Zeit mit dem Leben bewusst wird.

Diese apokalyptische Vision war für Rachel Carson Anlass, ein Buch zu schreiben, das die Menschen aufrütteln sollte – denn was sie bereits damals als Wissenschaftlerin an Naturzerstörung und -bedrohung feststellte, hatte in ihr dunkle Vorahnungen auf das geweckt, was der Preis für den sogenann-ten Fortschritt sein könnte : die schrittweise Auslöschung des Lebens auf der Erde durch uns Menschen.

Als eine der Ersten trug sie unzählige Fakten von ökologischen Tragödien und Umweltvergiftung aus aller Welt zusammen. So dokumentierte sie zum Beispiel, wie die Agro- und Chemieindustrie zusammen mit der Landwirt-schaft Böden, Gewässer und Luft vergiftet und so schließlich auch den Men-schen trifft, der immer am Ende der Nahrungskette steht. Dies alles geschah damals unter dem verheißungsvollen Titel der » Grünen Revolution «, welche die Welt angeblich von Hunger und Elend befreien sollte. Wie wir heute wissen, ist es dazu nicht gekommen, stattdessen wurde die industrielle Land-wirtschaft seither zu einem der größten Umweltzerstörer weltweit.

Mich bestärkte Carsons Buch damals im Entschluss, einen Beruf zu ergreifen, in dem der Mensch konkreten Umgang mit der Natur pflegt und der glaub-würdig aufzeigt, dass es auch anders geht. Meine Wahl fiel auf den Beruf des Forstingenieurs. Doch es bedurfte in meinem Berufsweg noch einiger Schlüs-selerlebnisse bis zur Gründung der Bildungswerkstatt Bergwald.

Das gesellschaftliche Erwachen der 1968er-Jahre, ausgelöst von der Jugend meiner Generation, erzeugte in Europa einen breiten Bewusstseins-schub auch in der Umweltfrage, der auch mich erfasste. Kurz nach Ende meines Studiums fand 1970 an der ETH Zürich ein hochkarätig besetztes Umweltsymposium unter dem Titel » Schutz unseres Lebensraumes « statt. Es war europaweit einer der ersten ökologischen Weckrufe – eine Initiative, die von renommierten Wissenschaftlern aus vielen Disziplinen mitgetragen wurde und die Umweltproblematik in der öffentlichen Wahrnehmung erst-mals ernsthaft als existenzielles Zukunftsproblem unserer Gesellschaft

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»Lebenslernen« macht Schule

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thematisierte. Den weltweit wohl stärksten Impuls setzte in jener Zeit aber das Buch » Limits to growth « ( » Die Grenzen des Wachstums «, 1972 ), verfasst u. a. von Dennis Meadows im Auftrag des Club of Rome, einer Gruppe inter-national bekannter und engagierter Wissenschaftler / -innen und Wirtschafts-kapitäne. Mit diesem Buch wurde das Umwelt- und Wachstumsthema auch politisch » salonfähig «. Es bildeten sich nun rund um Sachfragen der Umwelt-thematik neue Allianzen, und der Diskurs verlief fortan quer durch fast alle politischen Parteien.

Diese starken Impulse haben mich bewogen, statt nach dem Studienab-schluss in den Forstdienst einzutreten, mich mit einer Dissertation in ökolo-gische Themen zu vertiefen. Mit Gleichgesinnten gründete und leitete ich in jener Zeit auch die » Arbeitsgemeinschaft Umwelt an den Zürcher Hochschu-len « ( AGU ), eine lose Vereinigung mit bis zu zweihundert engagierten Stu-dierenden und Assistenten ( Mittelbau ) und einigen mutigen Professoren aus fast allen Fakultäten von Uni und ETH. Erstmals inszenierten wir interdis-ziplinäre Umweltveranstaltungen an den Hochschulen, brachten uns aktiv in die Atomkraftdebatte ein und verhinderten gemeinsam mit andern erfolg-reich die Verknüpfung der drei großen Autobahnen im Herzen der Stadt Zürich zum sogenannten Expressstraßen-Ypsilon. Höhepunkt der AGU-Aktivitäten war 1975 eine große Zukunftsausstellung an der ETH Zürich unter dem Motto » umdenken – umschwenken «, die zahlreiche visionäre Ideen und konkrete Beispiele für eine nachhaltige Gesellschaftsentwicklung aus aller Welt zusammentrug, um die mögliche Zukunft in der Gegenwart gewissermaßen sichtbar machen – und um aufzuzeigen : » Es geht auch anders ! «2

Zusammen mit drei Weggenossen und einer Weggenossin gründete ich 1975 nach der AGU die BGU, die Beratungsgemeinschaft für Umweltfragen, eines der ersten kommerziellen Ökobüros in der Schweiz.

Als mir immer klarer wurde, dass der Erziehung und Bildung bei der Lösung des Umweltproblems eine Schlüsselrolle zukommt, verlagerte ich meine Arbeitsfelder von der angewandten Waldökologie zunehmend in die Umweltbildung.

Doch je mehr ich mich mit der damals gängigen » Umwelterziehung « auseinandersetzte, desto mehr Fragen tauchten auf, da viele dieser Bestre-bungen für mich zu sehr von einem negativen Menschenbild ausgingen : Sie sollten die Umwelt vor dem » Schädling Mensch « schützen, indem sie die Menschen – in bester Absicht natürlich – » umerziehen « wollten, vor allem durch Angst machende Zukunftsszenarien, Verhaltensgebote und intellektu-elle Belehrungen. Pädagogisch zielführender schien mir, den Blick auf die natürliche Empathie der Kinder gegenüber der Mitwelt und auf ihr positives Entwicklungspotenzial zu richten und Fragen zu stellen wie : Was brauchen Kinder für Entwicklungsbedingungen, welche Art von Erlebnissen und

2 » Es geht auch anders « ist der Titel eines damals wegweisenden Buches von Ernst Fried-rich Schumacher, der auch als Vordenker im Rahmen von » umdenken – umschwenken « auftrat ( englischer Titel : » Small is beautiful « ).

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1 Der Ursprung

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Erfahrungen, um in ein positives, verantwortungsbewusstes Verhältnis zur Mitwelt hineinzuwachsen und sich zu achtsamen, freien und urteilsfähigen Menschen zu entwickeln, die auch entsprechend handeln ? Was ist in der Erziehung und Bildung schiefgelaufen, dass es zu einer derartigen Entfrem-dung von der Natur kam ?

Auf der Suche nach adäquaten Antworten wurde mir klar, dass ich diese wohl nur in der pädagogischen Praxis finden würde – und zwar in einem Schulrahmen mit ganzheitlichen Erziehungs- und Bildungskonzepten, der möglichst wenig eingespannt ist in die Reproduktion des bestehenden Fort-schrittsdenkens, der dafür stärker vom Wesen der Kinder ausgeht. Zugleich wollte ich aber auch meinen Erfahrungshintergrund als Förster und Ökologe einbringen können und Möglichkeiten haben, eigene Formen der Natur-erfahrung mit den Jugendlichen zu entwickeln und zu erproben. Die Gele-genheit dazu bot sich mir an der Rudolf-Steiner-Schule Zürich, wo ich einen solchen pädagogischen Freiraum vorfand und den Unterricht vor allem in Biologie und Geografie für die Oberstufe ( 9. bis 12. Schuljahr ) übernehmen konnte.

Es waren einige engagierte Lehrerkollegen und -kolleginnen und meine Schülerinnen und Schüler, die mir halfen, einen Weg in ein fruchtbares Lehrerdasein zu finden.

In den vielen Projektwochen und Praktika ( Forstpraktika, Landwirt-schaftspraktika, Geologie-Kletterlager, Botaniklager, ökologische Weitwan-derungen, Hochgebirgstouren, Alpenüberquerungen usw. ), die ich auf ver-schiedenen Klassenstufen durchführte, lernte ich die Jugendlichen intensiv kennen : ihre Interessen und Defizite bezüglich Naturerfahrung, ihre persön-lichen Fragen, Nöte und Bedürfnisse.

Am anspruchsvollsten waren damals die Neuntklässler : mitten im Gär-prozess der Pubertät, vor allem mit sich selbst beschäftigt und oft voller chaotischer Energie. Mit ihnen zog ich jeweils für zwei Wochen in die Berge. Wir arbeiteten in den Bergwäldern für Förster und Berggemeinden, bauten Wege, räumten die Äste von Holzschlägen und das Chaos von Lawinenschä-den auf, pflegten Jungwälder, fällten selbst Bäume mit Axt und Zugsäge und pflanzten Tausende von Bäumen. Die Jugendlichen aus der Großstadt erbrachten körperliche und fachliche Leistungen, auf die sie zu Recht stolz sein konnten und die ihnen auch die Anerkennung und den Dank der Berg-bewohnerinnen und -bewohner einbrachten.

Dies alles geschah auch vor dem Hintergrund des damaligen Waldster-bens, das weit über die Forstwelt hinaus dramatische Debatten und Zukunfts-ängste auslöste und das mich in jener Zeit auch dazu bewogen hat, zusammen mit drei Forstingenieur-Kollegen eine wissenschaftliche Tagung an der ETH Zürich zu organisieren ( vgl. Leuthold 1987 ). Auch mit den Jugendlichen entstand darüber manch ernstes Gespräch, und wenn ich selbst keine Ant-worten mehr fand, war ich heilfroh, gemeinsam mit ihnen an der Erfahrung teilz uhaben, dass wir nicht tatenlos zusehen mussten, wie die Wälder damals sichtbar an Lebenskraft verloren – für mich ein pädagogisches Schlüsselerleb-nis.

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Zurück in der Schule, waren die Klassen und auch viele einzelne Jugend-liche meist wie verwandelt : Sie arbeiteten konzentrierter, das soziale Gefüge war lebendiger und verbindlicher, manche Schülerinnen und Schüler hatten eine spürbar höhere Lernmotivation oder machten Entwicklungsschritte, über die auch Kolleginnen und Kollegen und die Eltern staunten.

Wenn mir Jahre nach ihrem Schulaustritt ehemalige Schülerinnen oder Schüler begegneten ( was zuweilen bis heute vorkommt ), sprachen sie mich fast immer gleich auf die gemeinsamen Lagerwochen an, die sie offensichtlich zu den Highlights ihrer Schulzeit zählten.

Vor allem die Wirkungen der forstlichen Praktikumswochen sprachen sich mit der Zeit herum. Kolleginnen und Kollegen anderer Schulen, auch von Staatsschulen, die mit denselben pädagogischen Problemen in dieser Altersstufe kämpften, traten an mich heran mit der Bitte, auch mit ihren Jugendlichen solche Wochen durchzuführen oder wenigstens das Know-how dafür weiterzugeben.

An Ersteres war bei einem vollen Pensum nicht zu denken, und das Zweite war unmöglich, weil ich solche Wochen ja nur dank meiner gleichzei-tigen Kompetenz als Forstfachmann und Lehrer auf diese Weise führen und verantworten konnte.

So entstand der Gedanke, die Steiner-Schule zu verlassen und ein außer-schulisches Projekt mit einem derartigen Angebot für alle Schultypen auf die Beine zu stellen.

Aus einer schicksalshaften Begegnung mit Franz Lohri, dem damaligen Mitbegründer der Organisation CH-Waldwochen / Silviva3 und » Erfinder « der Waldpädagogik, ergab sich der geeignete Rahmen, um ein derartiges Projekt zu starten. Denn auch in dieser Organisation fehlten griffige natur-pädagogische Angebote für das Jugendalter. So riefen wir 1995 die Bildungs-werkstatt Bergwald ( BWBW ) ins Leben. Aufgrund des pädagogischen Erfolgs der BWBW wurde ich von verschiedener Seite gebeten, das Konzept der BWBW, die spezifisch auf das Jugendalter zugeschnittene Methodik und deren Hintergrund sowie die mehr als zwanzig Jahre pädagogischer und praktischer Erfahrungen zu dokumentieren – das war’s dann auch, was mich zu diesem Buch veranlasst hat.

3 Die CH-Waldwochen entstanden 1985 aus einer schweizweiten Walderlebnis-Kampa-gne für die Jugend, von den Initianten als positive Antwort auf das pädagogisch läh-mende Jammern rund um das Waldsterben gedacht. Die Organisation, 1999 umgetauft in Silviva, gilt bis heute als führendes Kompetenzzentrum für naturbezogene Umweltbil-dung. Seit Beginn wird sie vom Bund ( heute vom Bafu ) gefördert.

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