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22.9.2011 Philipp Bohnacker LEO TOLSTOI: HADSCHI MURAT EINE CHANCE FÜR ERFOLGREICHEN FÄCHERÜBERGREIFENDEN GESCHICHTSUNTERRICHT?

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122.9.2011Philipp BohnackerLEO TOLSTOI: HADSCHI MURAT EINE CHANCE FÜR ERFOLGREICHENFÄCHERÜBERGREIFENDEN GESCHICHTSUNTERRICHT?2Inhalt1. 2. Einleitung ............................................................................................................................ 3 Sachanalyse ........................................................................................................................ 4 2.1. Leo Tolstoi – Hadschi Murat ...........................................

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Page 1: LEO TOLSTOI: HADSCHI MURAT. EINE CHANCE FÜR ERFOLGREICHEN FÄCHERÜBERGREIFENDEN GESCHICHTSUNTERRICHT?

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22.9.2011

Philipp Bohnacker

LEO TOLSTOI: HADSCHI MURAT

EINE CHANCE FÜR ERFOLGREICHEN

FÄCHERÜBERGREIFENDEN GESCHICHTSUNTERRICHT?

Page 2: LEO TOLSTOI: HADSCHI MURAT. EINE CHANCE FÜR ERFOLGREICHEN FÄCHERÜBERGREIFENDEN GESCHICHTSUNTERRICHT?

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Inhalt 1. Einleitung ............................................................................................................................ 3

2. Sachanalyse ........................................................................................................................ 4

2.1. Leo Tolstoi – Hadschi Murat ........................................................................................ 4

2.1.1. Inhalt..................................................................................................................... 4

2.1.2. Auswahlkriterien .................................................................................................. 6

2.2. Geschichtliche Hintergründe ....................................................................................... 7

2.2.1. Ausbreitung des Christentums und des Islams im Kaukasus ............................... 7

2.2.2. Vorgeschichte : Konkurrenz der Großmächte – Zarenreich Russland,

Osmanisches Reich & Perser ................................................................................ 7

2.2.3. Kampf um den Kaukasus ...................................................................................... 9

2.2.4. Nachgeschichte .................................................................................................. 11

2.3. Literatur für den Geschichtsunterricht ...................................................................... 12

3. Didaktische Analyse .......................................................................................................... 13

3.1. Bedeutung des Inhalts ............................................................................................... 13

3.2. Bezug zum Bildungsplan ........................................................................................... 15

3.2.1. Bildungsplanbezug – Deutsch ............................................................................ 15

3.2.2. Bildungsplanbezug – WZG .................................................................................. 16

4. Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 17

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Einleitung 3

1. Einleitung

Meine erste Begegnung mit Leo Tolstoi war zu Beginn meines Studiums auf der Straße vor

meiner Wohnung. Ein Antiquitätenhändler hatte die Angewohnheit alte Bücher, für welche

keine Verwendung mehr gefunden wurde, den Menschen kostenlos in einer Kiste

anzubieten. Da ich vom Namen des Autors schon einmal positiv gehört hatte griff ich zu. Es

handelte sich um das Werk „Die Kosaken“.

Ganz unvoreingenommen ging ich an das Werk heran und war begeistert. Seine klare

Sprache, der Einblick in das Leben der Menschen in dieser fremden Kultur, zugleich

spannend erzählt wie auch authentisch wirkend, war es für mich eine interessantes

Bindeglied zwischen Geschichte und Literatur.

Als ich mich im Rahmen des Seminars „Die Geschichte des Imperialismus“ mit dem Thema

Russland auseinandersetzte, begegnete mir Tolstoi – inzwischen wieder vergessen – ein

zweites Mal beim stöbern im Bahnhofskiosk. Es handelte sich um das hier behandelte Werk

„Hadschi Murat“. Ich kaufte das Buch und las es. Zunehmend drängte sich mir die

Überlegung auf, ob eine Verwendung des Werkes im Unterricht die Chance eines

erfolgreichen fächerübergreifenden Unterrichts beinhaltet. Meine Überlegungen hierzu

möchte ich in dieser Arbeit vorstellen.

Zuerst will ich durch Angabe des Inhalts das Buch vorstellen. Es folgt eine kurze Analyse

desselben, in der die Eignung für die Verwendung im Unterricht untersucht werden soll.

Danach werde ich den geschichtlichen Kontext darstellen, was einerseits das Werk in

selbigen einbetten und andererseits das Werk legitimieren soll, indem der historische

Wahrheitsgehalt dadurch zum Vorschein kommt.

Im letzten Teil der Arbeit werde ich nach Begründungen suchen, die die Herangehensweise

didaktisch legitimieren, indem die Bedeutung des Themas für die Schülerinnen und Schüler,

sowie für die Gesellschaft herausgehoben wird.

Auf eine Konkretisierung der Unterrichtseinheit habe ich aufgrund ihrer Abhängigkeit von

diversen Variablen verzichtet. Letztendlich wäre diese Konkretisierung rein hypothetisch und

hätte mit einer späteren, tatsächlichen Umsetzung wenig zu tun, da die hypothetische

Konkretisierung auf willkürliche Annahmen über Klassenzusammensetzung, Schulprofil,

Stundenverteilung und Interessen/Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler angewiesen

wäre.

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Sachanalyse 4

2. Sachanalyse

2.1. Leo Tolstoi – Hadschi Murat

2.1.1. Inhalt

Das Werk „Hadschi Murat“ von Leo Tolstoi erschien 1912, also 2 Jahre nach dessen Tod. Es

Erzählt die Geschichte des Awaren Hadschi Murrat, der seinen Widerstand gegen die

russische Besatzung aufgibt und auf deren Seite wechselt um mit der Hilfe der Russen seine

Familie zu befreien. Wie viele andere Werke von Tolstoi beruht auch „Hadschi Murat“ auf

wahren Begebenheiten.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1951, also zu der Zeit, als das russische Zarenreich bestrebt

war, den Nordkaukasus einzunehmen. Der Aware Hadschi Murat, Nahib1 des Imam Schamil

ist auf der Flucht, denn nach einem Streit mit Schamil befahl dieser, sich Hadschi Murat, ob

tot oder lebendig, zu bemächtigen.

Im Tschetschenendorf Machket findet Hadschi Murat mit seinen Muriden Unterschlupf und

nimmt von dort mittels Boten Kontakt zu zur russischen Besatzung, namentlich zu

Woronzow, auf. Sein Ziel ist es auf die Seite der Besatzer überzulaufen und mit deren Hilfe

seine Familie, welche von Schamil gefangen gehalten werden, zu befreien. Jedoch muss

Hadschi Murat schon wenige Stunden nach seiner Ankunft Machket verlassen, da er bei

seiner Ankunft von einer Frau, die auf einem Dach wache gestanden hatte, entdeckt wurde.

In einer wilden Verfolgungsjagt entkommt Hadschi Murat den Bergbewohnern nur knapp.

Am nächsten Morgen trifft sich Hadschi Murat mit Woronzow auf einer Waldlichtung und

folgt diesem anschließend zu dessen Haus. Der General Möller-Sakomelskij erfährt von

Hadschi Murats Ankunft und befiehlt Woronzow Hadschi Murat zu ihm zu bringen.

Woronzow und Möller-Skomelskij führen eine hitzige Unterhaltung, die nur durch

Anwesenheit der Frauen beider Männer noch gebremst werden kann. Am Ende steht die

Entscheidung Hadschi Murat unter Obhut des Fürsten zu stellen.

Woronzows Vater, Fürst Michail-Semjonowitsch Woronzow, bekommt in Tiflis Meldung vom

Übertreten Hadschi Murats zu den Russen. Beim Diner gibt der Fürst die Neuigkeiten an die

geladenen Gäste weiter.

Am folgenden Tag trifft Hadschi Murat beim Fürsten ein und trägt diesem seinen Plan zur

Unterwerfung Schamils vor. Dieser ist dergestalt, dass er den Fürsten bittet ihm genügend

1 Nahib meint hier Distriktschef.

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Sachanalyse 5

Männer mitgebe um den Imam zu überfallen, ihm aber, solange seine Familie sich in den

Händen Schamils befinde, die Hände gebunden seien.

In den folgenden Tagen seines Aufenthalts in Tiflis gewinnt Hadschi Murat vertrauen zum

Adjutanten des Fürsten, Loris-Melikow und ist bereit ihm seine Geschichte zu erzählen. In

einem Brief schreibt Fürst Woronzow dem Kriegsminister Tschenyschew, dass er Hadschi

Murat zwar nicht in vollem Maße vertraue, es jedoch nicht für Klug hält diesen einzusperren,

da dies diejenigen entmutigen würde, die mehr oder weniger gegen Schamil Partei zu

nehmen bereit sind. Hadschi Murat wird davon unterrichtet, dass er ohne Erlaubnis des

General Koslowski nichts unternehmen und sich nirgends hinbegeben darf.

Tschenyschew übergibt sodann den Brief dem Zaren. Die Antwort an Woronzow beinhaltet

die Anweisung im Kaukasus weiterhin die Wälder zu roden, die Bevölkerung auszuhungern

und durch kurze Überfälle zu zermürben. Ferner ist der Zar mit der von Woronzow

vorgeschlagenen, Hadschi Murat betreffenden, Vorgehensweise einverstanden.

Als Reaktion auf die Antwort des Grafen findet sodann ein Kriegszug statt bei der unter

anderem Machket und das Haus Sados, bei dem Hadschi Murat Unterschlupf gefunden hatte

zerstört werden und der Sohn Sados getötet wird.

Am Tag nach dem Überfall trifft Hadschi Murat in der Grenzfestung der daran beteiligten

Kompanie ein. Der Offizier der Haschi Murat begleitet hat überbringt dem Major den Befehl

Hadschi Murat zwar zu erlaube, über Sendboten Kontakt zu den Bergvölkern aufzunehmen,

ihn jedoch nicht ohne die Begleitung von Kosaken aus der Festung herauszulassen.

Ein weiterer erfolgloser Aufenthalt in Tiflis folgt. Danach wird Hadschi Murat in der Stadt

Nucha einquartiert. Nachdem Hadschi Murat vergebens auf eine Antwort, bezüglich der

Unterstützung zur Befreiung seiner Familie waten musste, begeht dieser bei einem Ausritt

einen Ausbruchsversuch um in Eigenregie seine Familie zu retten. Er tötet dabei zusammen

mit seinen Muriden die ihn begleitenden Kosaken. Bei der Flucht in die Berge wird ihm

jedoch ein überflutetes Reisfeld zum Verhängnis. Die geflohenen suchen unterschlupf im

Dickicht, werden jedoch bald von den Verfolgern entdeckt. Hadschi Murat leistet zwar

zusammen mit seinen Muriden bis zur letzen Kugel wiederstand, kommt aber in dieser

Schlacht um. Er stirbt am 5. Mai 1852.

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Sachanalyse 6

2.1.2. Auswahlkriterien

Stilistische Komplexität und erzählzechnische Gestaltung:

Die Gestaltung auf sprachlicher Ebene ist insofern von Bedeutung, dass sie Anreize für

Lernfortschritte auf stilistischer Ebene bereithalten, gleichsam jedoch auch der Grund für

eine Überforderung der Schüler und Schülerinnen sein können.2

Wir erfahren die Geschichte durch einen auktorialen Erzähler, der sowohl außen- als auch

innensicht besitzt. Über weite Strecken des Werkes verzichtet dieser Erzähler jedoch auf die

Wiedergabe der Innensicht der Figuren. Der Leser nimmt hier also eher die Rolle eines

Beobachters ein und bekommt nur das erzählt was äußerlich hörbar und sehbar ist. Im

selteneren Fall der Innensicht bekommt der Leser Informationen über die Gefühls- und

Gedankenwelt der Figuren. Dies ist beispielsweise bei der Charakterisierung des Zaren

Nikolaus I. der Fall ist.

Die Sprache Tolstois ist sehr ‚anschaulich‘ und vom heutigen Sprachgebrauch nicht allzu

weit entfernt. Widerstandspotenziale finden sich aber darin, dass die Titel von Berg-

bewohnern und Russen eventuell gesondert erläutert werden müssen und grobe

geographische Kenntnisse der Region zur Einordnung des Geschehens schon voran gehen

müssten.

Der Satzbau ist einigermaßen Komplex, bietet aber keine unüberwindbaren Hürden. Er ist

zwar häufig hypotaktisch organisiert, zeichnet sich dafür aber in recht klarer Wortwahl aus.

Schüler und Schülerinnen der 9. und 10. Klasse der Haupt- und Werkrealschule sollten dem

Werk gewachsen sein. Eine Einschätzung der Lesekompetenz der Klasse sollte jedoch voran

gehen.

Jugendspezifische Themen:

Ob das Werk in der Klasse gelesen werden sollte hängt auch stark von den Interessen der

Jugendlichen ab. Es besteht die Möglichkeit, dass vor dem Hintergrund von Anschlägen in

Russland, das Interesse zur Auseinandersetzung mit dem Thema angeregt und durch die

fächerübergreifende Behandlung auch erhalten werden kann. An sich ist das Thema jedoch

keines, das das typische Interessensgebiet von 15 – 17 Jährigen abdeckt.

2 Pfäfflin, Sabine,2007: Auswahlkriterien für Gegenwartsliteratur im Deutschunterricht.

Baltmannsweiler: Schneider, S. 24

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Sachanalyse 7

2.2. Geschichtliche Hintergründe

Leo Tolstoi hält sich mit seinem Werk sehr genau auf die zugrunde liegenden geschichtlichen

Hintergründe. Ermöglicht wird dies vor allem dadurch, dass Tolstoi einige Zeit bei den

Truppen im Kaukasus verbracht hat. Die Kenntnis dieser geschichtlichen Hintergründe kann

das Verständnis von Tolstois Werk also erheblich fördern. Daher will ich diese in folgendem

Teil der Arbeit darlegen.

2.2.1. Ausbreitung des Christentums und des Islams im Kaukasus

Als erste Weltreligion kam mit dem römischen Reich im 2. Jahrhundert n. Chr. das

Christentum in die Kaukasusregion.3 Trotz der Eroberung weiter Teile der Kaukasusregion

durch das Osmanische Reich im 16. Jahrhundert, hielten die Länder Georgien und Armenien

am christlichen Glauben fest. Insgesamt wurde jedoch mit der Eroberung durch das

Osmanische Reich der Islam zur vorherrschenden Religion im Kaukasus.4 Obwohl hier nur

oberflächlich abgehandelt, erklärt dies schon im Ansatz, warum sich die nordkaukasischen

Völker, geführt von ihren religiösen Führern, den Imamen, im Heiligen Krieg gegen die

russische Besatzungsmacht befanden. Diesen Aspekt will ich jedoch erst später präzisieren

und zunächst auf die Mächtekonstellation zur Zeit, in der das Werk handelt, eingehen.

2.2.2. Vorgeschichte : Konkurrenz der Großmächte – Zarenreich Russland,

Osmanisches Reich & Perser

Im Gebiet des Kaukasus bildete sich mit der Expansion des Zarenreichs und des Osmanischen

Reiches zunehmend eine Konkurrenzstellung der beiden Großmächte heraus.

Das osmanischen Reich kam mit der Besetzung der Krim-Stadt Kaffa, dem wichtigsten

Handelshafen am Schwarzen Meer, und der Eingliederung des Westkaukasus zum

osmanischen Staatsgebiet, seinem Ziel, das Schwarze Meer zu seinem Hausmeer zu machen,

erheblich näher.5 Im Osten trat das osmanische Reich in Konkurrenz zu den Persern, da es

mit der Eroberung Georgiens und des Aserbaidschan hier ebenfalls Gebietsgewinne

verzeichnen konnten.

3 Vgl. De Libero, Loretana, 2008: Der Kaukasus in der Antike. In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur

Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S.21 4 Vgl. Quiring, Manfred, 2009: Pulverfass Kaukasus. Konflikte am Rande des russischen Imperiums. Berlin: Ch.

Links Verlag. S. 13 5 Vgl. Aydin, Mustafa, 2008:Türkischer Einfluss und das Reich der Osmanen. In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008:

Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S. 24

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Sachanalyse 8

Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur

Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/

Wien/Zürich: Schöningh. S. 26

Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur

Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/

Wien/Zürich: Schöningh. S. 39

(Datum der Annexion von Jerewan berichtigt)

Diese Gebietsgewinne waren unter anderem

auch eine Antwort auf die Expansionspolitik der

Russen unter Zar Iwan IV., der mit der Eroberung

von Kasan (1552) und Astrachan (1556) eben-

falls in Richtung Kaukasus vorrückte.6 Das Ge-

biet des Aserbeidschan konnten die Perser 1639

jedoch zurück erobern. Mit der Eroberung von

Asow brachen die Russen die Alleinherrschaft der

Osmanen am Schwarzen Meer. Hier zeichnet sich

das Bestreben ab, eisfreie Häfen für den Zugang

zu den Weltmeeren zu be-sitzen.7 1722 rückten

die Russen weiter in die Region vor. Die mittler-

weile unter Druck geratenen Osmanen versuch-

ten in mehreren Kriegen gegen das Zarenreich

einem weiteren Vorrücken desselben Einhalt zu

gebieten. Diese Versuche blieben jedoch

erfolglos, sodass das Zarenreich unter Katharina

II. weitere Gebiete unter seine Kontrolle bringen

konnte. Zwar konnten sich die Tschetschenen

heldenhaft gegen das russische Vordringen

wehren, jedoch konnte unter Alexander I.

Georgien annektiert werden.8 Mit Nikolaus I.,

dem Nachfolger Alexanders I., verschärfte sich

der Kaukasus Konflikt und die Haltung gegenüber

dem Osmanischen Reich erneut. Bis 1829 konnte

das Zarenreich seine Einflusssphäre im Kaukasus

stärken und im Osten bis an die Donaumündung

ausdehnen. Die Gebietsgewinne wurden im Frieden von Adrianopel 1829 festgeschrieben.

6 Vgl. Aydin, Mustafa, 2008:Türkischer Einfluss und das Reich der Osmanen. In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008:

Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S. 27 f 7 Vgl. Lerch, Wolfgang Günther, 2000: Der Kaukasus. Nationalitäten, Religionen und Großmächte im

Widerstreit. Hamburg/Wien: Europa Verlag. S.46 8 Vgl. Aydin, Mustafa, 2008:Türkischer Einfluss und das Reich der Osmanen. In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008:

Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S.30

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Sachanalyse 9

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/

commons/7/75/Imam_Schamil.png

2.2.3. Kampf um den Kaukasus

Nach dem Friedensvertrag von Adrianopel forcierte die Russische Kaukasuspolitik die

vollständige Eroberung der Kaukasusregion um die Grenzen zum osmanischen Reich und

Persien zu stärken. Die Erfüllung dieses Ziels erwies sich jedoch als außerordentlich schwer.

Das Zarenreich geriet in einen überaus blutigen und zähen Krieg, der sich über mehrere

Jahrzehnte bis 1878 hinzog. „Die Unterwerfung des Kaukasus war ein Prozess, der vom Krieg

provoziert und mit der Idee der zivilisatorischen Mission gerechtfertigt wurde“9

Zunächst hatte das Zarenreich versucht im Kaukasus eine indirekte Herrschaft zu errichten,

also vorhandene Institutionen und Eliten zur Verwaltung der Gebiete heranzuziehen. Dies

funktionierte vor allem im südlichen Kaukasus (Transkaukasien). In den 1830er Jahren kam

jedoch der Gedanke in der russischen Führung auf diese Gebiete in die russische

Rechtsordnung und Verwaltung einzugliedern.10 Zudem stießen im nördlichen Kaukasus die

Interessen der Bergbewohner mit denen der russischen Siedler

zusammen, da die Bergbewohner zur Versorgung ihres Viehs

die nun besetzten Steppenregionen nördlich des Gebirges

benötigten. So kam es „dass in den 40er Jahren des 19.

Jahrhunderts überall im Kaukasus Aufstände

ausbrachen, die sich in Dagestan, bei den

Tschetschenen und Tscherkessen in eine blutige

Rebellion gegen die Russischen Eroberer

verwandelte.“11 Unterstützt durch das

gemeinsame Feindbild, den Russen gelang es dem

Imam Schamil die Bergvölker des Nordkaukasus,

insbesondere die der Tschetschnja und Dagestan,

gegen die Russen zu verbünden. Zum

gemeinsamen Feindbild kam jedoch noch die

gemeinsame Ideologie des Islams, Schamil war

also als Imam sowohl geistlicher als auch

weltlicher Führer. Um seinen „heiligen Krieg“ zu

9 Baberowski, Jörg, 2008: Der hundertjährige Krieg 1774-1878: Russische Expansion und zarische Herrschaft.

In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S. 37 10

Vgl. Ebd. S. 40 11

Ebd. S. 40

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Sachanalyse 10

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3f/Sturm

_aul_Gimry_1891.jpg

führen baute Schamil bis zu seiner Gefangennahme 1856 ein funktionierendes Staatswesen

auf, deren Oberhaupt er selbst war. Er war beraten durch den Geheimen Rat (Diwan) und

vertreten durch seine Stellvertreter, die Nahiben (zu denen auch Hadschi Murat vor seinem

Übertritt zu den Russen gehörte), welche die Macht in den Aulen (Dörfer) ausübten.12 Das

Gesetz war die Scharia, welche er mit Härte durchzusetzen wusste.13

Neben der Vereinigung der Bergvölker unter Schamil war es wohl vor allem auch der

Heimvorteil der Bergvölker, den diese im Guerillakrieg gegen die besser ausgebildete und

ausgestattete Russischen Armee auszuspielen wussten und der diesen Konflikt so drastisch

in die Länge zog. Die Ähnlichkeiten zu der Situation, wie sie sich der Sowjetunion über 100

Jahre später am Hindukusch darstellen sollten, sind frappierend.

Das Zarenreich hingegen verfolgte, wie dies unter anderem auch in Tolstois Werk zu

entnehmen ist, eine äußerst brutale Strategie im Kampf gegen die Bergvölker. Sie versuchten

„die Lebensgrundlage der Bergvölker zu zerstören, indem sie ihr Vieh töteten, Dörfer nieder-

brannten und Brunnen vergifteten.“14 Dies erzeugte natürlich wiederum Hass und Unver-

ständnis bei den Bergvölkern und stiftete diese dazu an noch fester an ihrem Widerstand

festzuhalten. Tolstoi versteht es, dieses Gefühl der Bergbewohner angemessen in Worte zu

fassen:

„Kein Wort des Hasses gegen die Russen

wurde laut. Das Gefühl, das alle Tschetsche-

nen vom jüngsten bis zum ältesten, diesem

Feind gegenüber hegten war stärker als der

Hass. Sie sagten sich, dass diese Russischen

Hunde keine Menschen seien, und ein sol-

cher Abscheu und Ekel, ein solches Erstau-

nen über die sinnlose Grausamkeit dieser

Kreaturen ergriff sie, dass der Wunsch, sie

auszutilgen, wie man Wölfe, Ratten und

giftige Spinnen austilgt, ebenso natürlich

erschien wie der Trieb der Selbsterhaltung.“15

12

Vgl. Quiring, Manfred, 2009: Pulverfass Kaukasus. Konflikte am Rande des russischen Imperiums. Berlin: Ch. Links Verlag. S. 22 13

Vgl. Lerch, Wolfgang Günther, 2000: Der Kaukasus. Nationalitäten, Religionen und Großmächte im Widerstreit. Hamburg/Wien: Europa Verlag. S.138 14

Baberowski, Jörg, 2008: Der hundertjährige Krieg 1774-1878: Russische Expansion und zarische Herrschaft. In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S. 41 15

Tolstoi, Leo, 2011: Hadschi Murat. Köln: Anaconda Verlag GmbH, Köln. S. 110 f

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Sachanalyse 11

Nikolaus I. sollte den russischen Sieg im Nordkaukasus nicht mehr erleben. Mit seinem Tod

im Jahre 1855 bestieg Alexander II. den russischen Thron. Dessen deutlich Liberalere Politik

verfolgte eine Strategie, welche rasch den erhofften Erfolg im Kaukasus brachte. „Sie paarte

entschiedenes Verwaltungshandeln und militärische Offensiven mit Großzügigkeit und

Milde. […] Aul um Aul [lief] zu den Russen über. Der Kaukasus war erschöpft. Der Kaukasus

war ausgeblutet. […] Schamil kapitulierte im Sommer 1859 in Wedeno.“16

2.2.4. Nachgeschichte

Nach Schamils Aufgabe blieben die Aufstände, wenngleich auch in abgeschwächter Form

bestehen. Zudem wanderten viele Muslime in die Türkei aus. Genährt wurden diese

Tendenzen dadurch, dass die Kosaken zunehmend das Land, das den Tschetschenen gehörte

zugesprochen oder einfach nur in Anspruch genommen wurde.17 Unter Loris-Melikov,

welcher von Adjutanten wie in „Hadschi Murat“ genannt zum Gouverneur aufgestiegen war,

deportierte ganze Stämme in das Osmanische Reich.18 Das dies bei den Bergvölkern auf

Widerstand stieß leuchtet ein.

Diese Politik wurde jedoch mit Stalin fortgeführt. Auch er ließ die im Nordkaukasus

heimischen Menschen im großen Stil nach Mittelasien, Sibirien und in den Nahen Osten

deportieren.19 Unter ihnen war auch Dschochar Dudajew, der am 1.November 1991 die

Unabhängigkeit Tschetscheniens proklamieren sollte. Doch zunächst arbeitete sich dieser im

sowjetischen Militärapparat nach oben. Als mit Gorbatschow der Sozialismus reformiert

werden sollte und letztlich die Sowjetunion 1991 unmittelbar vor ihrem Zusammenbruch

stand fanden Ende Oktober in Tschetschenien Wahlen statt, bei denen Dudajew als klarer

Sieger hervorging.20

Weder Gorbatschow noch der folgende russische Präsident, Boris Jelzin, erkannte jedoch

weder die Wahlen noch die Unabhängigkeit an. Es folgten 2 Tschetschenienkriege (94-96 &

99 – 09) welche jedoch keineswegs zu einer Lösung führten. Stattdessen ging die Terrorserie

bis zum heutigen Tage fort. Einerseits halten wirken noch immer religiöse Extremisten im

Nordkaukasus. Sie verüben Anschläge in Russland –vorzugsweise Moskau- und rechtfertigen

16

Lerch, Wolfgang Günther, 2000: Der Kaukasus. Nationalitäten, Religionen und Großmächte im Widerstreit. Hamburg/Wien: Europa Verlag. S. 142 17

Vgl. Ebd. S. 144 18

Vgl. Ebd. S. 145 19

Vgl. Quiring, Manfred, 2009: Pulverfass Kaukasus. Konflikte am Rande des russischen Imperiums. Berlin: Ch. Links Verlag. S. 99 20

Vgl. Ebd. S. 131

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Sachanalyse 12

dies damit, dass ihnen die Bildung eines unabhängigen Gottesstaates vorenthalten bleibt.

Die andere Seite jedoch ist viel dramatischer und gefährlicher, da sie den Treibstoff für die

Fanatisierung von vor allem auch jungen Leuten liefert. Denn die Kaukasusregion ist die

ärmste Russlands. Die Arbeitslosenquote ist bei ca. 80% der Arbeitsfähigen21 und die

wirtschaftlichen Aussichten schlecht. In einem Bericht der Sendung Weltspiegel (ARD)

berichtet die russische Journalistin Olga Allenowa: „Keiner nimmt eine Waffe oder sprengt

sich in die Luft wenn er eine Zukunft hat und eine Chance auf ein gutes Leben.“22 Die

russische Regierung erwidert die Gewalt jedoch mit Gegengewalt – mit fragwürdigen

Aussichten auf Erfolg.

2.3. Literatur für den Geschichtsunterricht

Vor dem Hintergrund der Geschichtsschreibung kann Tolstois Werk eine herausragende

Genauigkeit attestiert werden. Dies geht wohl vor allem auf Tolstois Zeit bei den russischen

Truppen im Kaukasus zurück.

Sicherlich würden sich Ungereimtheiten oder „Hinzugedichtetes“ auf der Ebene der Details

bei der peniblen Untersuchung des Werkes finden lassen, da ein solches Werk ja auch

literarisch-ästhetischen Gesichtspunkten gerecht werden muss.23 Eine allzu penible

Untersuchung jedoch würde der Leistung Tolstois nicht gerecht und würde zudem das Werk

zerstören. Eine Trennung in Buchlektüre im Deutschunterricht und geschichtlicher

Abhandlung des Themas im Geschichtsunterricht würde sich einerseits durch die begrenzte

Verfügbarkeit von Unterrichtszeit anbieten,24 würde jedoch auch die Trennung in Literatur

und Geschichtswissenschaft verdeutlichen. Fakt ist jedoch, dass die wichtigen Figuren des

Werkes die gleichnamigen, echten Personen, verglichen mit der wissenschaftlichen Literatur,

angemessen repräsentieren und der Gang der Geschichte weitestgehend unverfälscht

wiedergegeben wird.

So bietet das Werk eine seltene Gelegenheit. Es ermöglicht dem Leser das eintauchen in

vergangene Geschehnisse. Es erleichtert den Perspektivwechsel und befördert das

Verstehen historischer Tatsachen. Wissenschaftliche Literatur leistet was dies betrifft

21

UNDP, 2007: National Human Development Report. Russian Federation 2006/2007. S. 64 http://hdr.undp.org/en/reports/national/europethecis/russia/RUSSIAN_FEDERATION_2007_en.pdf 22

http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=6470412 23

Vgl. Gies, Horst, 2004: Geschichtsunterricht. Ein Handbuch für die Unterrichtsplanung. Köln: Böhlau Verlag GmbH & Cie. S. 233 24

Vgl. Gies, Horst, 2004: Geschichtsunterricht. Ein Handbuch für die Unterrichtsplanung. Köln: Böhlau Verlag GmbH & Cie. S. 233

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Didaktische Analyse 13

weitaus mehr Widerstand, zwar hat sie den Vorteil, dass ihr das Streben nach Objektivität

bei der Rekonstruktion und Diskussion des Vergangenen sowie die Nachvollziehbarkeit durch

Angabe von Quellen zu Grunde liegt. Dem Leser jedoch verlangt sie deutlich mehr kognitive

Leistung für das durchdringen ihres Inhalts ab.

Die Sprachgestaltung von „Hadschi Murat“ legt eine Beschäftigung in der 9. Oder 10. Klasse

der Haupt- oder Werkrealschule nahe. Wobei dies stark von der Lesekompetenz der Klasse

abhängt. Man darf hier jedoch nicht vernachlässigen, dass die gleichzeitige Beschäftigung

mit den historischen Informationen zusätzlich das Verständnis des Werks unterstützen kann.

Aber warum sollte man das hier bediente Thema überhaupt im Geschichtsunterricht

anbieten? Argumente dafür und dagegen werde ich im folgenden Teil der Arbeit explizieren.

3. Didaktische Analyse

3.1. Bedeutung des Inhalts

Laut Klafki soll Bildung „einen verbindlichen Kern des Gemeinsamen haben“.25 Jener

verbindliche Kern umfasst in erster Linie gegenwärtige und zukünftige Aufgaben, Probleme

und Gefahren26 welche er unter dem Wort „Schlüsselprobleme“ zusammenfasst.

Unter den Schlüsselproblemen der Gegenwart finden sich auch die Themen

Fundamentalismus/Extremismus, Terror und Verteilungsungerechtigkeit. Vor allem im

Hinblick auf den alltäglichen Umgang mit Muslimen ist, vor dem Hintergrund einer

Medienbestattung die den islamischen Terror fast allgegenwärtig erscheinen lässt , eine

differenzierte Meinungsbildung von außerordentlicher Wichtigkeit. Schülerinnen und

Schüler müssen wissen, dass jene Strömungen des Islams die den „Heiligen Krieg“ führen

keineswegs die Allgemeinheit der Muslime darstellen.

Grundsätzlich lässt sich das Thema im Hinblick auf die anhaltende Terrorgefahr, die von

Tschetschenien ausgeht und vor allem auch auf die russische Hauptstadt Moskau ausstrahlt

begründen. Besonders im Falle einer zukünftig möglichen Terrorwelle würde sich das Thema

anbieten. Dabei würde die Frage nach der Geschichte des Nordkaukasus im Imperialismus

ihren Teil zur Erklärung der derzeitigen Umstände abliefern. Unverzichtbar wäre jedoch auch

25

Klafki, Wolfgang, 1990: Abschied von der Aufklärung? Grundzüge eines bildungstheoretischen Gegenentwurfs. In: Baumgart, Franzjörg (Hrsg.), 2001

2: Erziehungs- und Bildungstheorien. Erläuterungen,

Texte, Arbeitsaufgaben. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt. S.271 26

Vgl. Ebd. S.271

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Didaktische Analyse 14

die eher politikwissenschaftlich geprägte Perspektive, die aktuelle politische und

wirtschaftliche Lage im Nordkaukasus zu beleuchten.

Im Falle einer Behandlung des Themas im Unterricht würde dieses exemplarisch für das

Themengebiet des Extremismus (hier im Islam), für die Auswirkungen von Verteilungs-

ungerechtigkeit auf die Sicherheitslage27 und für die heute noch wahrnehmbaren Folgen des

Imperialismus stehen.

Die Gegenwartsbedeutung für die Schülerinnen und Schüler fände sich darin wieder, dass

diese am Beispiel des Nordkaukasus nachvollziehen könnten, wie sich aktuelle Konflikt-

situationen aus dem geschichtlichen Kontext heraus entwickeln und durch gegenwärtige

Probleme erhalten oder wieder verstärken können. Dies würde zu einer differenzierteren

Sichtweise auf die Bedingungen und Ausprägungen von Bürgerkriegen und/oder religiösem

Fundamentalismus beitragen.

Die Zukunftsbedeutung fände sich darin wieder, dass aus diesem Verstehen heraus die

Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf eben genannte

Themengebiete gestärkt und auf eine solidere Basis gestellt werden könnten. Wird dies

erreicht, besteht die Chance somit auch zu einem differenzierteren Gesellschaftlichen

Diskurs im Umgang mit diesen Themen beizutragen, Lösungen zu diskutieren und unter

Heranziehung geschichtlicher Entwicklungen zu begründen oder zu verwerfen.

Die Bearbeitung dieses Themenkomplexes wäre am besten durch ein Ineinandergreifen der

Fächer Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde zu bewältigen, wobei letztere in

Baden-Württemberg von sich aus unter dem Fächerverbund WZG zusammengefasst sind.

Zur Abhandlung dieser Themenfelder wären jedoch auch andere Beispiele von Interesse,

welchen vielleicht sogar der Vortritt gelassen werden sollte. So wäre beispielsweise

Afghanistan, angesichts der deutschen Beteiligung an dem schon im 10. Jahr befindlichen

Krieg, in dem gegenwärtig noch kein (zufriedenstellendes) Ende in Sicht ist, eine mehr als

einleuchtende alternative.

Letztendlich würde die hier vorgestellte Herangehensweise an das Thema jedoch mit der

Prüfung der vorhandenen Unterrichtszeit im Hinblick auf andere Themen und der in der 9.

oder 10. Klasse anstehenden Haupt- oder Realschulprüfung sowie der Einschätzung der

Lesekompetenz der Schüler stehen und fallen.

27

Der Friedensforscher Dieter Sengahaas, erwähnt in seinem Modell des zivilisatorischen Hexagons unter anderem Die Bedeutung von Verteilungsgerechtigkeit im Streben nach dauerhafter Stabilität und Frieden. (Senghaas, Dieter, 2004: Zum irdischen Frieden. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 34)

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Didaktische Analyse 15

3.2. Bezug zum Bildungsplan

Inwieweit lässt sich aber die Abhandlung des Themas aus dem Bildungsplan für die Haupt-

und Werkrealschule heraus Begründen? Dieser Frage nachgehend will ich zunächst die

Unterscheidung in die Fachbereiche Deutsch und WZG treffen.

3.2.1. Bildungsplanbezug – Deutsch

In den Leitgedanken zum Kompetenzerwerb wird heraus gestellt, dass es Literatur

ermöglicht, den Schülerinnen und Schülern fremde Welten zu erschließen und Brücken zu

fremden Kulturen zu bauen.28 In der Tat liegt hier bei der Verwendung von Tolstois „Hadschi

Murat“ die größte Chance. Denn es ermöglicht, wie oben schon erwähnt, das Eintauchen des

Lesers in die fremde und ferne Welt. Der Leser nimmt als Beobachter am historischen

Geschehen teil. Er fiebert mit dem Helden, er erfährt die Grausamkeit des Krieges,

empfindet Mitleid mit den Menschen, die mit der Verwüstung ihres Dorfes ihre

Lebensgrundlage verloren haben. Er distanziert sich von den Ansichten des Imams oder des

Zaren. Die Literatur ermöglicht also eine intensive Auseinandersetzung und das Einfühlen

des Lesers in die historischen Geschehnisse.

Im Kompetenzfeld Lesen werden die Kompetenzen gefördert, Personen und Handlungen

eines Textes zu erkennen und zu bewerten.29 Dies wird unter anderem durch die parallele

Beschäftigung mit den historischen Hintergründen im Geschichtsunterricht gefördert. Zudem

wird intensiv die Kompetenz gefördert, Zusammenhänge zwischen Text, Entstehungszeit und

Leben des Autors herstellen zu können,30 da der Text selbst und die Art der Beschäftigung

damit die Zusammenhänge mehr als deutlich heraus hebt. Zudem wird damit ein

bedeutender Autor der Weltliteratur und dessen Werk in die Zeitgeschichte eingeordnet und

in der Bedeutung beschrieben.31

28

Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2004: Bildungsplan Hauptschule und Werkrealschule. Bildungsstandards Deutsch. S. 54 29

Vgl. Ebd. S. 63 30

Vgl. Ebd. 31

Vgl. Ebd.

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Didaktische Analyse 16

3.2.2. Bildungsplanbezug – WZG

In den Leitgedanken zum Kompetenzerwerb des Fächerverbundes WZG steht geschrieben:

„Ein grundlegendes Geschichtsbewusstsein soll aufgebaut werden, das Gesellschaften als historisch

gewachsen betrachtet. Die Kenntnis und das Verständnis vergangener Epochen fördert die Orientierung im

gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Leben.32

Die Auswirkungen der Eroberung des Kaukasus, die sich bis heute auf die konfliktreiche Lage

und den Terror in Russland auswirken kommt der Forderung nach, Gesellschaften als

historisch gewachsen darzustellen und Erklärungen für die aktuelle Situation zu liefern.

Gleichzeitig wird mit dem hier vorgestellten Zugang der Forderung nachgegangen, Literatur

mit in den Unterricht einzubeziehen.33

Im Kompetenzfeld Macht und Herrschaft finden wir folgende Kompetenzen ausgewiesen:

„Die Schülerinnen und Schüler beurteilen einen aktuellen Konfliktherd anhand historischer, wirtschaftlicher,

geographischer und politischer Gegebenheiten; können wesentliche Ursachen und Auswirkungen von

Kriegen aufzeigen und diskutieren friedenssichernde Maßnahmen; wissen um die Bedrohung des Friedens

durch Terrorismus“34

Wir haben hier also die Forderungen nach Kompetenzen die in hohem Maße mit der hier

vorgestellten Herangehensweise erreicht werden können. Dies bedeutet dass die Wahl des

Themas und die Kombination mit Literatur als fächerübergreifender Zugang aus dem

Bildungsplan ausreichende Legitimation erfährt um tatsächlich im Unterricht umgesetzt zu

werden.

32

Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2004: Bildungsplan Hauptschule und Werkrealschule. Bildungsstandards WZG. S. 134 33

Vgl. Ebd. S.135 34

Ebd. 139

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Literaturverzeichnis 17

4. Literaturverzeichnis

Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus.

Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh.

Gies, Horst, 2004: Geschichtsunterricht. Ein Handbuch für die Unterrichtsplanung.

Köln: Böhlau Verlag GmbH & Cie.

Klafki, Wolfgang, 1990: Abschied von der Aufklärung? Grundzüge eines

bildungstheoretischen Gegenentwurfs. In: Baumgart, Franzjörg (Hrsg.), 20012:

Erziehungs- und Bildungstheorien. Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben. Bad

Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt

Lerch, Wolfgang Günther, 2000: Der Kaukasus. Nationalitäten, Religionen und

Großmächte im Widerstreit. Hamburg/Wien: Europa Verlag.

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2004: Bildungsplan

Hauptschule und Werkrealschule. Bildungsstandards Deutsch.

Pfäfflin, Sabine,2007: Auswahlkriterien für Gegenwartsliteratur im Deutschunterricht.

Baltmannsweiler: Schneider.

Quiring, Manfred, 2009: Pulverfass Kaukasus. Konflikte am Rande des russischen

Imperiums. Berlin: Ch. Links Verlag.

Senghaas, Dieter, 2004: Zum irdischen Frieden. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Tolstoi, Leo, 2011: Hadschi Murat. Köln: Anaconda Verlag GmbH, Köln.

UNDP, 2007: National Human Development Report. Russian Federation 2006/2007.

http://hdr.undp.org/en/reports/national/europethecis/russia/

RUSSIAN_FEDERATION_2007_en.pdf (zuletzt eingesehen am 22.09.2011)

Weltspiegel (ARD) http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/

3517136?documentId=6470412 (zuletzt eingesehen am 22.09.2011)