leseprobe thomas kunst: kunst. gedichte 1984 - 2014

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Seit 30 Jahren schreibt Thomas Kunst Gedichte. Dieser Auswahlband versammelt Thomas Kunsts schönste Gedichte aus den Jahren 1984 bis 2014 – ­zum einen, weil ein Großteil der Bände seit Jahren nicht mehr lieferbar ist, zum anderen weil es an der Zeit ist, das Werk dieses Ausnahmedichters tatsächlich als Werk zu betrachten. Lyrik - 2015 erschienen in der edition AZUR

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Thomas Kunst

KUNSTGedichte

1984 – 2014

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© für diese Zusammenstellungedition AZUR · Dresden 2015www.edition-azur.de

Gestaltung: Kraft plus Wiechmann · BerlinSatz: n-zwo · DresdenFotos Vor- und Nachsatz: Sonja Hoffstätter

ISBN 978-3-942375-21-4

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»Man scheitert immer beim Sprechen über das, was man liebt.«

Roland Barthes

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Safschani

I

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WENN IN DER ERSTEN PHASE DES VERLIEBENS EINER STIRBT,

Steht Gott nicht mehr allein da.Du könntest endlich wieder unvorsichtigerMit deinem Briefkasten und deinem TelefonUmgehen, ich denke, ich muß damit aufhören,Nur noch über Briefkästen und Telefone zu schreiben,Sonst glaube ich am Ende selber noch daran, daß lediglichDie Sehnsucht an allem schuld sein soll, schuld daran,Für die tägliche Begabung des AufstehensUnerläßlich zu sein, schuld daran, alle meineBemühungen in deinen Gedanken schonFür ein kleines Vermögen zu halten, aber alle Hölzer,Zettelchen und Trockenblumen werden doch erstDann zu einem kleinen Vermögen, wenn deinAufbewahrungsgewissen nicht mehr von der SummeMeiner Bemühungen abhängig ist, ich denke, ichMuß damit aufhören, mich um dich zu bemühen, damit duDich endlich an mich erinnern kannst, aber du wirst michVergessen, wenn ich mich nicht mehr weiterUm dich bemühe, ich sehe gerade deine Schultern undHände vor mir, und ob sie für dieTheoretische Beteiligung an einem WiedersehenAuch wie geschaffen wären.Ich bin mir schon lange darüber im klaren, wieGefährlich Sehnsucht sein kann, sie ist dieÜbertriebenste, aber auch die unaufdringlichsteStrategie der Enthaltsamkeit.Wenn ich so, in meinem Leben, die FrauenDurchgehe, die mir Cassetten überspielt haben,Bleiben wirklich nur wenige übrig, von denen ich es,Im nachhinein, noch einmal fordern würde, aber du,Du gehörst ganz ohne Zweifel zu denen,Von denen ich das fordern muß, hoffentlich hastDu das noch nicht vergessen, selbst wennSie dann zu deinem Peiniger wird, die Musik, zu meinemPeiniger, denn irgendeine seelische KonfrontationMit Schmerz und Beliebigkeit hört nie auf, in der

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Musik, in jeder Musik, in dem VermächtnisVon Regalen und Handschuhfächern, Musik,In der Genauigkeit zurückgelassener Lebensalter,Musik, in der Mutlosigkeit zu schöner Frauenschädel,In einem Schimmer abgetrotzten Glücks, AugenUnd vergangene Musik, dagegenIst wohl alles machtlos, wennIn der ersten Phase des Verliebens einer stirbt,Steht Gott nicht mehr allein da, Charakterrauschen,Kleiner Wind, dabei haben wirDoch heute noch getauscht, duHast mir Whiskey und cubanische Cigarren für meinAltes Radio gegeben, wenn dasNicht heißt, daß ichFür immer hierbleibenWill, weiß ich auch nicht.

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MEHR ODER WENIGER, WENIGER.

Als ich dich zum erstenMal sah, mußte ich gleich anDich denken, so könnte es beginnen, mußAber nicht, er schlägt das Zimmer anIhr kaputt, die Tür läuft an ihrRunter, die helle Maserung eines MöbelsSickert in ihr Kleid über, die FarbeDer Beine ist auch nur ein Tier, dasKlavier verfängt sich inIhrem Haar, der Deckel nicht ganzUnten, denn das Noten-Brett steckt dünn inDen Tasten, schiefes Blut springt ausDem Öffnungsholz, warum geradeSchiefes Blut, wenn ich sage schiefes, dannMein ich auch schiefes, schiefes Blut istAuch nur ein Tier, als ichDich zum erstenMal sah, mußte ich gleich anDich denken.

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ICH WERDE NIE WIEDER MIT EICHHÖRNCHEN UND SCHIFFEN

Unangemeldet vor deiner Haustür stehen, nie mehr, dieSchiffe fühlen sich endlich wieder wohl, im Hafen, Im Hafenbecken von Chibroskou, der blanke Süden, blaueHäuser und weiße, einzigartige Küsse, anhand von Jalousien, von mehrsilbigen Jalousien, wo Soll er denn abgefallen sein, dein zerdrückter,Tunesischer Käfer, ohne Rücksicht, einfachRunter, von deiner Postkarte, mein Herz, dochNicht etwa erst in Europa, hattest du keine Angst,Bei solch einer Höhe, um mich und um ihn, ich weiß jetzt,Wohin meine Sehnsucht geht, wir lassen uns beideNoch ein halbes Jahr Zeit, und danachMachen wir Ernst, bis dahin kannst du es,Von mir aus, in Turnhallen, UmkleidesesselnUnd Wartehäusern tun, mit wem auch immer, wenn esDas ist, was du brauchst, bleibt Wenigstens das Gefühl, ein halbes Jahr lang, dieWeinflaschen tagsüber leiser aufzumachen alsNachts, es ist doch immer dasGleiche mit dir, wenn du mich anrufst, willstDu mich hören, wenn ich dich anrufe, will ichDich sehen, den Eichhörnchen, ich habe sie nicht mehrGezählt, geht es gut, in den weihnachtlichenWarenhäusern, warst du schon malIn einem Erlebnispark, mein Herz, dannHättest du jetzt eine Vorstellung davon, wie sie sichVorkommen müssen, Elektronik und Watte, verspielteWälder, zum Nichtstun, zum Aufklappen, erstKüssen, dann ficken, oder vielleicht auch nie, hastDu das früher etwa Anders gehandhabt, dann muß ich dichEnttäuschen, ich glaube nämlich noch An Eichhörnchen und Schiffe, im Hafen,Vor jeder Haustür, Eichhörnchen und Schiffe,In jedem Hafen, im Hafenbecken von Chibroskou, übertragenes Hellblau, der schützende Süden, türkis

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Klingt zwar beständiger, aber es war jaAuch nie die Rede davon, das alles,Bis zum Ende, gesundDurchzustehen.

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HILDE IST BESTIMMT GAR NICHT NACH BONN GEFAHREN,

Nach Koblenz, Andernach, nach Kiel,Sie muß hiergeblieben sein, ich spüre mit dem FingerIhre Piercingreste in der Luft, wir heirateten zweiMal im Schlaf, von allen Seiten, zum GlückVergaß sie, ihre Jacke mitzunehmen, ich habe mirVorgenommen, kleiner zu werden, mitKleineren Kartoffeln, kleinerem Obst, Steakmedaillons undWinzigen Getränken, ich habe meine ArmeMit Wäscheleinen enger geschnürt, ich schlafeNur noch mit hochgezogenen Knien, ich lese nur Noch die Buchzeilen genau in der Mitte, ich stelle michTagsüber gekrümmt vor meinen geöffneten Kühlschrank,Probiere, mit den Händen phasenweiseDrin zu wohnen, legeWeinverpackungen und MelonentrümmerAuf die Arme, ArmeMit nichts dahinter, ichHebe ständig Schnecken vom Boden auf, Grashalme,Filterpapier und die Kinder von Ameisen, ich gehe inDie Hocke und bleibe so, ich binde mich an einem BaumFest und versuche jetzt, von ganz allein zu bluten, ichSchlenkere mit den Armen, warte auf Wölfe undHaie, die auch mal für umsonst schwimmen, bin ichSchon kleiner geworden, Hilde, ich winke ja gar nicht, ichWarte, ich esse, ich teile mir mit den WespenDen kleinsten, jemals von einem Ast gefallenen,Aufgesprungenen Apfel, ich bin schonKleiner geworden, du mußtHiergeblieben sein.

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WIE, ES HÖRT NIE AUF, DAS HOLZWEINFELD IN CALENZANA, DAS

Hört doch nie auf, es paßte immer genau in meineAugen und wieder zurück, so wie man es von festen,Unverrückbaren Eindrücken gar nicht anders gewohntWar, der Stolz, dein Geld könnte für ein LebenAuf den Inseln nicht reichen, blieb eine stille GrößeIn der von uns getroffenen Vereinbarung, so gut wieNichts voneinander zu wissen, ich hatte dich imAblaufenden Winter in einer Fernsehshow gesehen, duSolltest, nach einer groben Werbeunterbrechung, dieWörter Calenzana, Augen, Stolz, Geld, still, nichtsUnd Fernsehshow aus dem Kopf, im Abstand vonEiner Minute, in der richtigen ReihenfolgeWiederholen, schade, daß in der AufzählungKeine Schlittschuhhäfen, Riesenschnauzer,Pistolensegel und Antilopen dabei waren, durchsichtigeAntilopen, die hätte ich nämlich, an welcher StelleAuch immer, sofort behalten, im Abstand von einerMinute, die Riesenschnauzer und die Augen, aber um michGing es hier gerade nicht, in dieser Werbeunterbrechung,Im Winter, es ging nur um dich und das HolzweinfeldIn Calenzana, erinnerst du dich etwa nicht mehr, duDummerle, dein Geld war nach einem halben Jahr fastAufgebraucht, dein Unterricht am Strand lief schlecht, dieKinder reicher Eltern brauchten unsere Sprache nochNie, und ich, ich hatte es satt, getrocknete WäscheblöckeMit einem Lieferwagen nach Centuri und Piana zu fahren,Immer heimlich drei Kreuze, wenn ich wieder zurück War, ohne in den Baracken und KüstenabschnittenSprechen zu müssen, Wort für Wort, immer im AbstandVon einer Minute, Calenzana, Centuri, Piana, die SehnsuchtAuf Korsika nach Korsika, das sture, seitliche Meer, dasNoch nie zuvor zufror, die Sehnsucht nach einemBewaffneten Überfall im Film, auf der UmschlagseiteEiner einheimischen Illustrierten, würde die Frau ihreRote Pistole noch mehr nach unten, auf meine Kniescheiben,Richten, hätte sie Ähnlichkeit mit einem Segel, aber

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Es ging mir ja nur noch um dich und das Holzweinfeld In Calenzana, erinnerst du dich etwa, etwa nicht Mehr, wir waren doch ausgezogen, um die SchongeräuscheAll der Lichteinschläge tagsüber in unseren Monaten Apathisch hinzunehmen, wie wenn einer nicht mehr weiterWeiß, das Warten hinter Jalousien, die FarbwinkelstufenEiner ganz anderen Welt, der Stolz, dein Geld Könnte für unser Leben auf den Inseln nicht reichen, bliebEine stille Größe in der von uns getroffenen VereinbarungSo gut wie nichts voneinander zu wissen, oder wußtestDu vielleicht, daß ich bei all meinen Fahrten nach Centuri und Piana gar nicht nach Centuri und Piana Unterwegs war, die minimalen Kreidefelsen in der BrandungWie sie wieder Wasser fingen, endlich wieder Wasser, deinUnterricht am Strand lief schlecht, die KinderReicher Eltern riechen nicht nach Schnaps und Fischen,Ihre dünnen Haare lauern über dem Festland, in der Richtigen Reihenfolge, im Abstand von einer Minute, vonEiner Minute zur wirklich anderen, Jahr für Jahr Über dem Festland, die Kreidefelsen und die Brandung, deinUnsichtbarer Unterricht im Land, ohne Wein am StrandSchlief es sich schlecht, die Schongeräusche im Freien, immer im Abstand von einer Minute,Knacken, treten, spülen, fliegen und alles In der richtigen Reihenfolge, könntest du dir nichtVorstellen, nur noch von Kastanien zu leben, in Den Waldgebieten von Castagnicca, kein Wein, keinFleisch mehr, Coppa und Lonzu‚ dieRotbraunen Nächte, im Vorbeiziehen, Bonaparte hatSeine Insel schon am Geruch erkannt, das BuschwerkDer Macchia, kniehoch, Oleaster, SteinlindeUnd Erdbeerbaum, dann eben nicht kniehoch, was weißtDu schon von der fiebrigen Höhe meiner Vegetarischen Vorstellungskräfte, in einer Fernsehshow,Im Winter, im ablaufenden Winter, im AbstandVon einer Minute, in der richtigen Reihenfolge, knacken,Treten, spülen, fliegen, und wenn ich jetzt sage, die

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Durchsichtigen Antilopen auf Korsika waren immerIn der Unterzahl, weiß ich, dieser SatzTrifft irgendwann zu.

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ICH KANN DICH ERST NACHHER ERSCHIESSEN, FLIEDER,

Weil du mit einem Apfel Zeit verbringst.Ich würde mich gern täuschen, wenn du singst.Die Säure kratzt sich rein in deine Lieder,

Erfrischt die Haare: Illinois in Strähnen.Das Gästebett im gleichen Zimmer GläserFür Weitertrinkende und Bücherleser:Das Hirn sahnt ab, die Hände übernehmen

Das Spiel der Möbel und Verlegenheiten.Ob du schon gehen sollst: von mir aus nie.Ich hätte dich erschießen sollen, Flieder.

Ich muß mir einen Bramley zubereiten,Weil ich nicht sprechen kann, verstehst du, dieMusik, die läuft, läuft ständig immer wieder.