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LICHTENSTEINPOSTERS
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POSTERSJÜRGEN DÖRING
CLAUS VON DER OSTEN
LICHTENSTEIN
PRESTELMUNICH • LONDON • NEW YORK
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CONTENTSINHALT
FOREWORD VORWORT
ROY LICHTENSTEIN: POSTERS AND OTHER WORK PLAKATE UND ANDERE WERKE
PLATES TAFELN
CATALOGUE KATALOG
CATALOGUE KATALOGBIOGRAPHY BIOGRAFIE
BIBLIOGRAPHY LITERATUR
0609
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ZUR AUSSTELLUNG
Künstlerplakate werden von bildenden Künstlern und nicht
von Designern entworfen. Sie zeugen von einem individu-
ellen Stil und stellen den künstlerischen Ausdruck über die
schnelle Lesbarkeit. Künstler wählen oft bewusst attraktive
und besonders typische Beispiele ihrer Kunst für die Plaka-
te aus. Denn dieses Medium ermöglicht es ihnen, über den
Kreis ihrer Sammler und Bewunderer hinaus ein breites
Publikum zu erreichen.
In der Hamburger Plakatsammlung haben sich Künstlerpla-
kate in den letzten zehn Jahren zu einem Schwerpunkt ent-
wickelt. Damit wird eine Tradition fortgesetzt, die Justus
Brinckmann, der Gründungsdirektor des Museums, 1894
mit dem Erwerb erster Plakate von Toulouse-Lautrec be-
gann. Sie gehören heute zu den Kostbarkeiten der Samm-
lung. Wie sich das einmal mit den Plakaten von Roy Lichten-
stein verhalten wird, wird sich zeigen.
Denn während der Maler Lichtenstein längst in den Olymp
der großen Künstler des 20. Jahrhunderts aufgestiegen ist,
sind seine Plakate bisher nie zusammengestellt worden.
Lediglich die Hamburger Galerie Kammer zeigte 1982 ei-
nen ersten Überblick seiner Plakate. Mehr als dreißig hat
Lichtenstein in ebensoviel Jahren eigens als Plakat entwor-
fen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Plakate mit Repro-
duktionen nach seinen Gemälden und Grafi ken. Eine ganze
Reihe jener Plakate entstand in unmittelbarer zeitlicher
Nähe zur Vorlage, und bei vielen dürfte die Wahl des Motivs
auf den Künstler zurückgehen. Sie sind hier gemeinsam mit
den Originalentwürfen im ersten Teil des Kataloges erfasst.
Der zweite Teil enthält weitere Plakate mit Reproduktionen
aus der Sammlung Claus von der Osten. Auch aus diesem
Teil des Kataloges sind nicht wenige Blätter aufgrund ihrer
Druckqualität und der Popularität des Bildmotivs längst zu
begehrten Sammlerstücken geworden.
Dies ist die sechste Ausstellung von Künstlerplakaten, die
das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg in Zusam-
menarbeit mit dem engagierten Sammler Claus von der
ABOUT THE EXH IB IT ION
Artists’ posters are created by artists and not by designers.
They demonstrate an individual style and regard artistic
expression as more important than quick legibility. Because
this medium permits them to reach a wider public beyond
the circle of their collectors and admirers, artists often select
attractive and typical examples of their art for their posters.
During the past ten years, artists’ posters have become a
real point of interest within the Hamburg poster collection.
This continues a tradition which Justus Brinckmann, the
founding director of the museum, initiated in 1894 when he
purchased the fi rst posters by Toulouse-Lautrec. Today they
are among the treasures of the collection. It remains to be
seen what will happen to the posters by Roy Lichtenstein in
the future.
As a painter, Lichtenstein has long since been awarded a
place on the Olympus of the great artists of the twentieth
century. His posters, by contrast, have never been gathered
together in one place. The Galerie Kammer in Hamburg
exhibited the fi rst survey of his posters in 1982. Over the
course of thirty years, Lichtenstein designed more than
thirty posters and all of them are works of art in their own
right. There are also numerous posters with reproductions
based on his paintings and prints. Many posters had been
created close to the original; in many of these prints, the
choice of motifs was probably made by the artist himself.
These works are presented here in the fi rst catalogue sec-
tion together with the original designs. The second cata-
logue section contains posters with reproductions from the
Claus von der Osten Collection. Many of the prints present-
ed in this volume have long since become coveted popular
collector’s items due to the quality of their printing and the
popularity of the depicted subject matter.
This is the sixth exhibition of artists’ posters which the Mu-
seum für Kunst und Gewerbe Hamburg has staged in co-
operation with the enthusiastic collector Claus von der Osten.
As with the previous exhibitions, he has offered once again to
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KÜNSTLERPLAKATE – DIE SAMMLUNG CLAUS VON DER OSTEN IM MUSEUM FÜR KUNST UND GEWERBE HAMBURG
ARTISTS’ POSTERS – THE COLLECTION CLAUS VON DER OSTEN IN THE MUSEUM FÜR KUNST UND GEWERBE HAMBURG
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Osten veranstaltet. Wie in den vorhergehenden Ausstellun-
gen schenkt er dem Museum auch diesmal die ausgestell-
ten Plakate – wir möchten ihm herzlich dafür danken!
Über dieses großzügige Geschenk hinaus bedurfte es wei-
terer Unterstützung, um die Ausstellung realisieren zu kön-
nen. In erster Linie ist der Lichtenstein Foundation in New
York für die kompetente und hilfsbereite Unterstützung zu
danken. Cassandra Lozano, Clare Bell, Natasha Sigmund
und Andrea Theil standen stets für Auskünfte und Hinweise
zur Verfügung. Dasselbe gilt für den Nachlass des Künstlers,
The Estate of Roy Lichtenstein (Shelley Lee), der als Leihge-
ber maßgeblich zum Gelingen der Ausstellung beitrug.
Weitere Sammler und Kenner von Künstlerplakaten halfen
auf verschiedenste Weise, so vor allem Jochen Lempert aus
Hamburg sowie Hildegard Schaaf von der Galerie für Pla-
katkunst, Köln.
Die Ausstellung wurde auf großzügige Weise von Exxon
Mobile unterstützt.
Ihnen allen sind Museum und Verlag zu großem Dank
verpfl ichtet.
Sabine Schulze
Direktorin Museum für Kunst
und Gewerbe Hamburg
Jürgen Döring
Grafi sche Sammlung
donate his exhibited posters to the museum – for which we
would like to offer our sincere thanks!
Apart from this generous gift, additional support was needed
in order to make this exhibition possible. First and foremost,
we would like to thank the Roy Lichtenstein Foundation in
New York for its competent and willing assistance. Cassandra
Lozano, Clare Bell, Natasha Sigmund and Andrea Theil were
always ready to provide information and to answer our ques-
tions. The same applies to The Estate of Roy Lichtenstein
(Shelley Lee), which has made an important contribution to
the success of the exhibition. Further collectors and experts
on the subject of artists’ posters helped in a variety of ways,
especially Jochen Lempert in Hamburg and Hildegard Schaaf
from the Galerie für Plakatkunst, Cologne.
The exhibition was generously supported by Exxon
Mobile.
The museum and the publisher are very grateful to all of
the people and institutions mentioned above.
Sabine Schulze
Director, Museum für Kunst
und Gewerbe Hamburg
Jürgen Döring
Grafi sche Sammlung
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L ICHTENSTE IN UND D IE ANFÄNGE DER POP ART
Pop Art entstand als eine Gegenbewegung zum Action Pain-
ting und allgemein zur Gegenstandslosigkeit in der Malerei
nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie kam etwa gleichzeitig auf
in Europa – vor allem in London – und in den USA, das heißt
im Wesentlichen in New York. Künstler begannen Gegen-
stände der Alltagswelt in ihre Kunstwerke zu integrieren.
Robert Rauschenberg und Jasper Johns – um sich auf die
Neue Welt zu beschränken – wählten Stühle, Türen und Bet-
ten, Flaggen, Zahlen und Zielscheiben als Motive. Doch
während der eine die Gegenstände mit einer gestischen,
höchst emotionalen Malerei überzog und der andere seine
Motive schlicht zu exquisiter Malerei an sich machte, waren
es 1960/61 zwei andere Künstler, die scheinbar sachlich und
unprätentiös banale Illustrationen aus Zeitungsanzeigen und
Comics zu großer Malerei erhoben. Große Malerei im di-
rekten Wortsinn: Einfachste Motive wurden in einem monu-
mentalen Format wiedergegeben.
Die Rede ist von Andy Warhol und Roy Lichtenstein. Ihre
Arbeiten aus den Anfängen der sechziger Jahre lassen frü-
here Werke anderer Künstler allenfalls wie Vorläufer der Pop
Art erscheinen.[1]
Die Bewegung erhielt 1963 ihren Namen. Der Begriff
tauchte so oder ähnlich schon früher auf;[2] so betonte Law-
rence Alloway, ein britischer Kunstkritiker und in den sech-
ziger Jahren Kustode am Guggenheim Museum in New York,
bereits 1958 den Einfl uss der „popular mass culture“ auf die
Kunst. Aber noch Ende 1962 lief eine Ausstellung der neuen
Pop Art bei Sydney Janis in New York unter dem Titel New
Realists. Im November des folgenden Jahres fanden die be-
rühmten Interviews von Gene R. Swenson für die Zeitschrift
L ICHTENSTE IN AND THE BEG INNINGS OF POP ART
Pop Art arose as a counter-movement to action painting and to
the non-representational approach to painting in general fol-
lowing World War II. It appeared more or less simultaneously
in Europe – especially in London – and in the United States,
primarily in New York. Artists at this time began to integrate
objects from everyday life into their work. Robert Rauschen-
berg and Jasper Johns – to name two proponents from the
New World – selected chairs, doors and beds, fl ags, fi gures
and targets as subjects. The former painted over the objects
with physical, highly emotional strokes, and the latter simply
transformed his subjects into exquisite paintings in their own
right. However, it was in fact two other artists in 1960–1 who
unemotionally and unpretentiously elevated the status of
every day illustrations from newspaper advertisements and
comic strips to that of great art. Great art literally: these sim-
plest of subjects were reproduced in a monumental size.
We are referring to Andy Warhol and Roy Lichtenstein.
Their paintings from the early 1960s make earlier works
from other artists look like precursors to Pop Art at best.[1]
The movement received its name in 1963. The expres-
sion, in one form or another, actually appeared earlier:[2]
Lawrence Alloway, a British art critic who was custodian at the
Guggenheim Museum in New York during the 1960s, empha-
sized the infl uence of ‘popular mass culture’ on art as early
as 1958. However, it was in late 1962 that an exhibition of the
new Pop Art was presented in the Sydney Janis’s gallery in
New York with the simple title New Realists. In November of
the following year Gene R. Swenson published his famous
interviews for the magazine ARTnews, in which Lichtenstein,
Warhol and others were asked: “What is Pop Art?”.[3] “Pop” is
LICHTENSTEINROY
POSTERS AND OTHER WORKPLAKATE UND ANDERE WERKE
JÜRGEN DÖRING
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derived from popular, meaning of the people, everyday and
also generally liked, but not necessarily famous. Of course
the verb ‘to pop’ also comes easily to mind: to burst, to move
quickly or to fi re a gun – and we are all familiar with pop-ups
and popcorn. It was indeed a bright, gaudy art which sud-
denly appeared in Leo Castelli’s New York gallery in 1962.
Roy Lichtenstein had completed his graduate studies as
a student of art and had about ten years of professional
painting to his credit. He was moderately successful as an
artist and was teaching art at Rutgers University south of
New York in the summer of 1961 when he painted Look
Mickey and other scenes based on comic strips. He dis-
pensed entirely with individualistic or expressionistic paint-
ing, and even abandoned the visible brushwork. Instead, he
surrounded his subjects with fi rm outlines and fi lled the
spaces in between with uniform primary colours or system-
atically positioned half-tone dots.
In his early work Lichtenstein had borrowed ideas from
other works of art or used illustrations from magazines, but
had remained fi rst and foremost an abstract painter. As late
as 1960 he developed a new variation on non-representa-
tional painting characterized by parallel brushstrokes in
rich colours. The paintings based on comic strips and news-
paper advertisements of the following year therefore repre-
sented a complete change of direction. His inspiration came
from a variety of sources. Allan Kaprow, the ‘Father of Hap-
penings and a colleague at Rutgers, introduced him to the
thought processes of the Happening and Fluxus movements.
It was also through Kaprow that Lichtenstein met Claes
Oldenburg, who had been working in 1960 at his Store in
which he made consumer goods out of roughly worked
papier mâché which he exhibited and sold. Everyday items
had forced their way into the art world and were perceived
as vital and meaningful.
When asked what drove him to his new art, Lichtenstein
said quite simply in one of his fi rst interviews: “Desperation.
There were no spaces left between Milton Resnick and Mike
Goldberg.”[4] By mentioning these two lesser known repre-
sentatives of Abstract Expressionism, however, Lichtenstein’s
confession is not without humour. We need not take him liter-
ally, either, when he named contempt as the goal of his paint-
ing in another interview. When asked what Pop Art was, he
had explained: “I don’t know – the use of commercial art as
subject matter, I suppose. It was hard to get a painting that
was despicable enough so that no one would hang it – every-
body was hanging everything. It was almost acceptable to
hang a dripping paint rag, everybody was accustomed to this.
The one thing everyone hated was commercial art; apparently
they didn’t hate it enough either.”[5] By commercial art he
meant advertising, comic strips and animated cartoons.
In the interview he spoke out passionately against the
l’art pour l’art attitude of modern art and protested against
romantic impulses: “We like to think of industrialization as
being despicable. I don’t really know what to make of it.
There’s something terribly brittle about it. I suppose I would
still prefer to sit under a tree with a picnic basket rather than
under a gas pump, but signs and comic strips are interest-
ing as subject matter. There are certain things that are usa-
ble, forceful, and vital about commercial art.”[6]
In the summer of 1961, like Warhol shortly before him,
but apparently unaware of the fact, Lichtenstein began to cut
subjects out of comic strips and small ads in newspapers. By
drawing copies of these images and enlarging sections, he
ARTnews statt, in denen Lichtenstein, Warhol und andere
gefragt wurden: „What is Pop Art?“[3] „Pop“ leitet sich ab
von „popular“, volkstümlich, alltäglich, auch beliebt, aber
nicht populär im Sinne von berühmt. Natürlich steht auch
das Verb „to pop“ im Hintergrund: knallen, puffen – wir ken-
nen Pop-ups oder Popcorn. Eine bunte, knallige Kunst war
es in der Tat, die 1962 auf einmal in der New Yorker Galerie
von Leo Castelli zu sehen war.
Roy Lichtenstein hatte ein Kunststudium und rund zehn
Jahre professioneller Malerei hinter sich, war mäßig erfolg-
reich als Künstler und unterrichtete Malerei an der Rutgers
University südlich von New York, als er im Sommer 1961 Look
Mickey malte und andere Szenen, die er Comicstrips entlehn-
te. Er verzichtete völlig auf gestisch-individuelle Malerei oder
überhaupt eine sichtbare Pinselführung. Im Gegenteil, er um-
zog die Motive mit festen Umrissen und füllte die Flächen in
einheitlichen Grundfarben oder einem Punktraster aus.
In seinem Frühwerk hatte er mitunter andere Kunstwerke
oder Vorlagen aus Zeitschriften zitiert, war jedoch im We-
sentlichen ein abstrakter Maler geblieben. Noch 1960 entwi-
ckelte er eine neue Variante der gegenstandslosen Malerei,
die von parallelen Pinselschwüngen in satten Farben gekenn-
zeichnet war. Die Gemälde nach Comics und Zeitungsanzei-
gen aus dem folgenden Jahr bedeuteten daher einen völligen
Richtungswechsel. Es gab vielfältige Anregungen. So führte
ihn der „Vater des Happening“ Allan Kaprow, ein Kollege an
der Rutgers University, in die Gedankengänge der Happe-
ning- und Fluxusbewegung ein. Durch Kaprow lernte Lich-
tenstein Claes Oldenburg kennen, der 1960 an seinem
„Store“ arbeitete, einem Ladengeschäft, in dem aus Papp-
maché grob nachgebildete Konsumgüter ausgestellt und zu
kaufen waren. Objekte des Alltags drangen in die Welt der
Kunst ein; sie wurden als vital und Sinn gebend empfunden.
Befragt, was ihn zu seiner neuen Kunst trieb, sagte Lich-
tenstein in einem seiner ersten Interviews schlicht: „Ver-
zweifl ung. Zwischen Milton Resnick und Mike Goldberg gab
es keinen freien Platz mehr.“[4] Mit der Erwähnung gerade
dieser beiden weniger bekannten Vertreter des Abstrakten
Expressionismus zeigt Lichtensteins Bekenntnis allerdings
auch einigen Humor. Und in einem weiteren Interview wird
man ihn, wenn er Verachtung als Ziel seiner Malerei nennt,
auch nicht wörtlich nehmen müssen. Auf die Frage, was Pop
Art sei, hatte er erklärt: „Ich weiß nicht – der Einsatz kom-
merzieller Kunst als Motiv in Gemälden, denke ich. Es war
gar nicht so leicht, ein Gemälde hinzubekommen, das so
verachtenswert war, dass keiner es aufhängen würde. Jeder
hängte alles Mögliche auf. Es war schon fast akzeptiert, ei-
nen tropfenden Farblappen aufzuhängen, jeder hatte sich
daran gewöhnt. Die eine Sache, die alle hassten, war die
kommerzielle Kunst.“[5] Mit kommerzieller Kunst waren
Werbung, Comic-Strips oder auch Zeichentrickfi lme ge-
meint.
In dem Interview sprach er sich vehement gegen den
l’art pour l’art-Gedanken der modernen Kunst aus und ver-
wahrte sich gegen romantische Anwandlungen: „Wir sehen
die Industrialisierung gerne als verachtenswert an. Ich weiß
nicht, was ich davon wirklich halten soll. Aber sie hat etwas
schrecklich Sprödes an sich. Auch ich würde lieber mit ei-
nem Picknickkorb unter einem Baum sitzen als unter einer
Gaspumpe, aber Schilder oder Comics sind einfach inter-
essant als Bildthemen. Es gibt gewisse Dinge in der kom-
merziellen Kunst, die sind zu gebrauchen, die sind kraftvoll
und vital.“[6]
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was able to create large paintings from clippings that were
originally just a few centimetres in size. The cutting, however,
generally compromised the original image and the motifs, as
well, were simplifi ed. In the interview quoted above from
1963, Lichtenstein emphasized the difference between his
art and the pictures he had used: “I think my art is different
from comic strips (…) What I do is form, whereas the comic
strip is not formed in the sense I’m using the word; the com-
ics have shapes but there has been no effort to make them
intensely unifi ed. The purpose is different, one intends to de-
pict and I intend to unify. And mine is actually different from
comic strips in that every mark is really in a different place,
however slight the difference seems to some. The difference
is often not great, but it is crucial. People also consider my
work as anti-art in the same way they consider it pure depic-
tion, ‘not transformed’. I don’t feel it is anti-art.”[7]
Among the artist’s fi rst new works was Sock – a painting
which, to this day, is diffi cult not to regard as ‘Anti-art’. A care-
fully arranged sock three times the normal size has been
painted with great precision on a white canvas. The vertical
stripes, the elasticized top, even the seams on heel and toe are
simplifi ed but correctly reproduced. A systematic grid of half-
tone dots colours the sock light grey, or light blue on the poster.
No background, no reference to content. The dots imitate
cheap newsprint and therefore hint at the painting’s origin.
Lichtenstein frequently pointed out later in his career that he
never painted from real life, but always from pictures. Is he
really trying to tell us that we should take a fresh look at news-
paper advertisements, socks or other trivial consumer items?
With the simplicity of the motif, the refusal to make a rec-
ognizable statement, the adoption of a model – as seen by
Lichtenstein begann im Sommer 1961, wie kurz zuvor
auch Warhol, aber offenbar ohne Kenntnis davon, Motive aus
Comics und kleinen Zeitungsanzeigen auszuschneiden, sie
abzuzeichnen und ausgewählte Ausschnitte zu vergrößern.
Aus einem wenige Zentimeter großen Bildchen konnte ein
Gemälde werden, das einen Meter oder mehr hoch war –
und dies obwohl der Ausschnitt in der Regel verengt und die
Motive vereinfacht wurden. In dem bereits zitierten Interview
von 1963 betonte Lichtenstein den Unterschied zwischen
seiner Kunst und den Vorlagen: „Ich denke, meine Kunst un-
terscheidet sich vom Comic-Strip (…). Was ich tue ist Gestal-
ten, während der Comic-Strip nicht in dem Sinne gestaltet
ist, in dem ich das Wort verwende. Die Comics haben For-
men, aber da gibt es keine Bemühungen, sie zu intensivieren
oder zu vereinheitlichen. Das Ziel unterscheidet sich, die ei-
nen möchten abbilden und ich beabsichtige zusammenzu-
fassen. Und meine Arbeit unterscheidet sich auch tatsächlich
von Comics, denn jedes Detail befi ndet sich, genau genom-
men, an einem anderen Platz, wie gering der Unterschied
auch manchen erscheinen mag. Der Unterschied ist oft nicht
groß, aber er ist entscheidend. Die Leute halten meine Ar-
beit auch für Anti-Kunst, im selben Sinne, in dem sie es als
bloße Abbildung sehen, als ‚nicht transformiert.‘ Ich denke,
es ist keine Anti-Kunst.“[7]
Zu den ersten neuen Werken des Künstlers gehört Sock
– ein Gemälde, bei dem es selbst heute noch schwer fällt,
nicht doch von „Anti-Kunst“ zu sprechen. Eine sauber aus-
gebreitete Socke ist in dreifacher natürlicher Größe peni-
bel in Schwarz auf eine weiße Leinwand gemalt. Das senk-
rechte Streifenmuster, der enge Bund, selbst die Abnäher
an Ferse und Zehen sind vereinfacht aber korrekt wieder-
Roy Lichtenstein, untitled, oil on canvas, 122 x 178 cm, private collection
Roy Lichtenstein, ohne Titel, Öl auf Leinwand, 122 x 178 cm, Privat besitz
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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Jürgen Döring
Lichtenstein Posters
Paperback, Broschur, 152 Seiten, 26x37,5206 farbige AbbildungenISBN: 978-3-7913-4778-3
Prestel
Erscheinungstermin: Februar 2013
Komplettes Werkverzeichnis aller Lichtenstein-Plakate POW! Sweet dreams! und WHAAM! – auf Roy Lichtensteins legendären Posters knallen nichtnur die Farben heftig aufeinander. Da stürzen Bomberflugzeuge brennend ins Nichts undschluchzende Blondinen klammern sich zitternd an den Telefonhörer: der „American way oflife“ als Comic. Mit seinen Bildern im Comicstrip-Stil – übergroße Rasterpunkte, leuchtendePrimärfarben und Sprechblasen – erlangte der amerikanische Künstler Weltruhm und wurdezum Begründer der Pop-Art. Im Laufe seiner Karriere hat er auch rund 70 Plakate entworfen,die in diesem Band vollständig und in herausragender Druckqualität vorgestellt werden. DieMotive reichen von den bekannten Comic-Szenen bis zu unabhängigen Entwürfen, etwa fürein New Yorker Filmfestival oder Amnesty International. Im kompletten Werkverzeichnis allerLichtenstein-Plakate lässt sich in den bekannten Motiven eine noch unbekannte Facette diesesfaszinierenden Künstlers entdecken.