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Logik-Skript zur Vorlesung „Argumentation, Kommunikation, Rhetorik“ Studium generale, JGU Mainz PD Dr. Jörn Henrich (Hinweise zu Fehlern nehme ich unter: [email protected] mit Dank entgegen.)

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Logik-Skript zur

Vorlesung

„Argumentation,

Kommunikation, Rhetorik“

Studium generale, JGU Mainz PD Dr. Jörn Henrich

(Hinweise zu Fehlern nehme ich unter:

[email protected]

mit Dank entgegen.)

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung ....................................................................................................... 3 Aussagenlogik ....................................................................................................... 4 Formalisierungen .............................................................................................. 4 Wahrheit, Falschheit und Wahrheitsfunktionen .............................................. 6 Die Wahrheitswerttafel ................................................................................. 15 Klammern und die Kombination von Funktionen ......................................... 16 Logische Folgerung ....................................................................................... 18 Gültige Schlüsse und Ableitungsregeln ......................................................... 21 Der indirekte Beweis ...................................................................................... 28 Logik der Eigenschaften - Prädikatenlogik ....................................................... 30 Moderne Prädikatenlogik ............................................................................... 33 Prädikatenlogische Schlüsse .......................................................................... 35 Mehrere Quantoren und Relationentheorie ................................................... 38 Schlussbemerkung ............................................................................................... 41 Übersicht über die verwendeten logischen Zeichen ........................................... 43 Ableitungsregeln ................................................................................................. 43

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Vorbemerkung

In der ersten Sitzung meiner Vorlesung „Argumentation, Kommunikation, Rhetorik“ für Hö-rer aller Fakultäten stelle ich stets den Semesterplan vor und kündige an, dass wir uns mehrere Sitzungen mit Logik befassen werden. Zwei Punkte sind in der Vergangenheit kritisch dazu geäußert worden: 1) Ich würde mich mehr der Theorie als der Praxis widmen. 2) Man habe mehr Interesse an Rhetorik als an Logik. Zu 1) Zunächst ist verwunderlich, dass Studierende, die noch keine Berührung mit der Logik hatten, sehr selbstbewusst einschätzen, dass diese mit Praxis nichts zu tun hätte. Aber woher kommt überhaupt der Dualismus von Theorie und Praxis? Von Aristoteles. Er hatte Diszipli-nen in solche eingeteilt, die zur Anwendung kommen, und solche, mit denen ausschließlich ein Erkenntnisinteresse verfolgt wird, z. B. die Erkenntnis des Göttlichen oder Theologie, Mathematik und Physik. Dazu sind zwei Dinge zu sagen: i.) Seit Aristoteles gab es immer wieder Kritik am Theorie-Praxis-Dualismus. Für Leibniz beispielsweise ist eine Praxis dann gut, wenn sie mit der Theorie übereinstimmt. Kant sah sich sogar in der Ethik, der Paradedisziplin der Praktischen Philosophie, mit dem Vorwurf kon-frontiert, sie eigne sich nicht für die Praxis. Darauf hat er mit einer ganzen Schrift geantwor-tet, von der hier eine Stelle zitiert sei:

„Indes ist doch noch eher zu dulden, daß ein Unwissender die Theorie bei seiner ver-meintlichen Praxis für unnötig und entbehrlich ausgebe, als daß ein Klügling sie und ihren Wert für die Schule (um etwa nur den Kopf zu üben) einräumt, dabei aber zu-gleich behauptet: daß es in der Praxis ganz anders laute.“ (Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis)

Ist man als Dozent der Auffassung, dass die Logik ein praxisirrelvanter Selbstzweck wäre, könnte man sie in der Tat nicht als Unterrichtsgegenstand legitimieren. Nun zeigt ein Blick in Literatur zur Argumentationstheorie, dass ihre Wertschätzung mit zunehmendem Anspruch wächst: Auch weniger anspruchsvolle Literatur verfügt allenthalben über Verweise auf Logik, Folgerichtigkeit, Schlussfolgerung etc., jedoch wird dort weder dargelegt, worin Folgerichtig-keit und Co. bestehen, noch wie man sie methodisch feststellt. Niveauvollere Literatur bedient sich durchaus der Formalismen und kann hinsichtlich der Logik recht voraussetzungsreich sein. ii.) Dass Aristoteles Disziplinen kannte, die er nicht an ihrer praktischen Verwertbarkeit be-messen hat, zeigt, dass es durchaus andere Beurteilungskriterien der Wissenschaften gibt oder zumindest gab, als sie für uns selbstverständlich sind. Noch bei David van Goorle liest man: „scientia non habet alium finem quam scire.“ (Die Wissenschaft hat kein anderes Ziel als Wissen / Erkennen.) Die heute weit verbreitete und durchaus begründete Praxisemphase der Wissenschaften steht in der Folge von Francis Bacon und des frühen Utilitarismus’; wir haben nahezu eine Tabuisierung einer um ihren Selbstzweck betriebene Wissenschaft. Dem müssen sich primär die Geisteswissenschaften stellen, aber auch Disziplinen wie Kosmologie oder Evolutionstheorie. Doch ohne die Himmelsmechaniker umkreisten heute keine Satelliten die Erde und ohne Charles Darwin und Sigmund Freud hätten wir immer noch eine naturlose Anthropologie. – Es gibt Anlass zur Auffassung, dass unsere Welt ohne den Begriffsdualis-mus von Theorie und Praxis besser wäre. Zu 2) Geschichte der Rhetorik: Möchte man das Niveau der heutigen Rhetorik beurteilen, geht dies nicht ohne einen ein Blick auf die Geschichte. Das 10-bändige Historische Wörterbuch der Rhetorik verfügt über 203 Spalten, bzw. gut hundert Seiten zur Logik. Vergleicht man das

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logische Niveau vergangener Rhetorikbücher mit Standwerken wie dem von Ueding und Steinbrink, so ist man unangenehm berührt: Selbst bei diesem Werk, das nach dem Anspruch der Autoren die Rhetorik historisch abdeckt, gibt es keine Erklärungen davon, was Folgerich-tigkeit, Widerspruch etc. eigentlich genau bedeuten, obwohl auf sie angespielt wird. Diesbe-züglich ist man gegenüber der Geschichte weit zurückgefallen. Doch worum geht es in der Logik? Auf der einfachsten Stufe, mit der wir uns zunächst be-schäftigen, geht es um Strukturen, die die Folgerichtigkeit von Schlüssen vorgeben. Sie ken-nen Argumente wie: Wenn Fußball im Fernsehen läuft, dann gehe ich nicht in die Uni. Es läuft Fußball im Fernsehen. Daraus folgt: Ich gehe nicht in die Uni. In der Logik untersucht man die Strukturen, von denen abhängt, ob solche Schlüsse gültig sind oder nicht, bzw. welche Beziehungen der logischen Folgerichtigkeit entsprechen. Da Ar-gumentieren, Schließen, Beweisen und Widerlegen zum Kernbestand der Wissenschaften zäh-len, ist es verwunderlich, dass die Logik heute zu einer (tendenziell eher unbeliebten) Spezial-disziplin der Philosophie und der Mathematik geworden ist.

Aussagenlogik

Formalisierungen Im Groben geht es in der Aussagenlogik darum, die logischen Beziehungen von Sätzen zuei-nander darzustellen. Sätze sind dabei sprachliche Gebilde, die wahr oder falsch sind - oder besser: sein müssen. Das Prinzip, dass Sätze wahr oder falsch sind, ist eine der Grundlagen der klassischen Logik und hat viele Namen bekommen: Prinzip der Zweiwertigkeit, Satz vom ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) usw, die aber Interpretationsunterschiede zulas-sen. Hinzukommt, dass wir nur sprachliche Gebilde zulassen, die Träger von Wahrheit oder Falschheit sein können. Fragen, Bitten, Ausrufe wie „Aua“, inkorrekte oder sinnlose Gebilde1 sind weder wahr noch falsch, weshalb sie nicht berücksichtigt werden. Das zweite Prinzip heißt Prinzip der Wahrheitsdefinitheit. Im Folgenden gilt: Was wir als Satz anerkennen, muss wahr oder falsch sein können. In der Aussagenlogik repräsentiert man umgangssprachliche Sätze durch den Zeichenvorrat der Logik, man überträgt die Umgangssprache in Formeln, wobei für Logiker Umgangsspra-che die Bezeichnung für nicht-formalisierte Sätze ist, nicht also für besonders legeren Jargon. Ein Satz wie: „Peter schläft.“ wird durch eine Konstante wiedergegeben. Es ist üblich, dafür die Buchstaben p, q, r etc. zu verwenden. Die beiden Sätze „Peter schläft“ und „Sabine schläft“ sind dementsprechend p und q. Zweckmäßig ist, die Buchstaben so zu wählen, dass man durch sie an den Satz auch erinnert wird. Die Übung zur Formalisierung wird verdeutli-chen, worum es geht. Es ist darauf zu achten, dass die Buchstaben nicht mehrfach verwendet werden. „Der Hahn kräht“ und „Hans wacht auf.“ wäre also falsch wiedergegeben durch h und h, sondern man benutzt zwei Buchstaben. Auch muss ein umgangssprachlicher Satz grammatikalisch nicht

1 Die sprachphilosophisch äußerst interessante Frage nach dem Kriterium von sprachlicher Sinnhaftigkeit bleibt zunächst außen vor.

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offensichtlich wiedergeben, was er logisch besagt. „Das Schachspiel ist aufregend und unter-haltsam.“ bedeutet logisch zwei Sätze: „Das Schachspiel ist aufregend.“ und „Das Schach-spiel ist unterhaltsam.“ Was bedeutet „Franz und Otto sind Sänger“? Franz ist Sänger und Otto ist Sänger. Nun gibt es für die Verbindungen von den Sätzen in der Umgangssprache Verknüpfungen, die in Grammatiken als Konjunktionen bezeichnet werden. Da das Wort Konjunktion in der Lo-gik anders verwendet wird, nennen wir diese Verknüpfungen Junktoren. In der Logik benutzt man für die Verneinung eines Satzes (auch Negation genannt) und für die Junktoren Zeichen. Wir führen sechs solcher Zeichen ein. (Sie finden eine Übersicht der logischen Zeichen zum Ausdruck am Ende des Skripts). 1) ¬Das Negationszeichen. Es steht vor einem Satzbuchstaben, wenn er verneint wird. „Peter schläft“ wäre also z. B. p; für „Peter schläft nicht“ schreiben wir ¬p. 2) ∨ ODER, bzw. Disjunktion. „Peter schläft oder Karl schläft.“: p ∨ q. Vielleicht können Sie sich das Zeichen besser merken, wenn Sie es auf das lateinische vel (oder) zurückbeziehen, dessen erster Buchstabe es ist. 3) ∧ UND, bzw. Konjunktion. „Peter schläft und Karl schläft.“: p ∧ q. Aufgrund bestimmter logischer Beziehungen zwischen UND und ODER hat sich eingebürgert, das umgedrehte ∨, also das ∧, für die Konjunktion zu verwenden. 4) → WENN, DANN, bzw. Konditional: Wenn Peter schläft, dann schläft Karl: p → q 5) ↔ GENAU DANN, WENN, bzw. Bikonditional: „Genau dann, wenn Peter schläft, schläft Karl.“: p ↔ q 6) >–< ENTWEDER ODER, Kontradiktion. Entweder Peter schläft oder Karl schläft: p >–< q Aussagenlogische Verhältnisse reduzieren wir auf diese sechs Verknüpfungen, bzw. wir er-kennen nur diese sechs als logisch bedeutend an. Umgangssprachliche Konjunktionen wie weil, obwohl, trotzdem etc. tauchen hier nicht auf und sind logisch nicht relevant. Später wird deutlicher, warum das so ist. Wenn es bei Satzverknüpfungen zu Mehrdeutigkeiten kommt, benutzt man Klammern, um die Mehrdeutigkeiten zu eliminieren. Beispiel: „Er raucht und trinkt nicht.“ Ist damit gemeint, dass er auch nicht raucht? Wir können mit diesem Satz umgangssprachlich zweierlei ausdrü-cken: ¬r ∧¬t oder r ∧ ¬t. Im ersten Fall raucht er nicht, im zweiten schon. Umgangssprachlich würden wir das Wort aber verwenden: „Er raucht, aber trinkt nicht.“, was logisch der Kon-junktion entspricht: „Er raucht und trinkt nicht.“ Übung Formalisieren Sie:

1. Wenn Merkel oder Gabriel gewinnt, dann ändert sich nichts.

2. Entweder wir gehen schwimmen, oder wenn wir nicht schwimmen gehen, dann machen wir Musik.

3. Genau dann, wenn er in der Kneipe sitzt und seine Frau nicht dabei ist, ist er mutig.

4. Er hat keinen Wein getrunken, oder, wenn er Wein getrunken hat, dann fährt er nicht Auto. 5. Es ist nicht der Fall, dass, wenn es schneit, der Verkehr sicherer wird.

6. Der Student ist gegangen, ohne die Rechnung zu bezahlen, oder er ist telefonieren und kommt zurück.

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Lösungen:

1) (M ∨ G) → ¬Ä

2) S >–< (¬S → M)

3.) (K ∧¬F) ↔ M

4) ¬W ν (W → ¬A)

5) ¬(S → V)

6) (S ∧ ¬R) ν (T ∧ Z) ν Die Lösungen mögen verdeutlichen, dass das Negationszeichen vor einem einzelnen Satz ste-hen kann, z. B. ¬p, und auch vor mehreren Sätzen, die bereits durch einen Junktor verbunden sind: ¬(p ∧ q). Beides kann auch gemeinsam vorkommen: ¬(¬p → q) oder ¬(¬p → ¬q).

Wahrheit, Falschheit und Wahrheitsfunktionen Wie zu allem in der Philosophie gibt es auch zu diesem Thema viel kontroverse Literatur. Wir beschränken uns auf oben dargestellte Eigenschaft, dass ein Satz wahr oder falsch sein muss.

Einzelne Sätze Position und Negation Wir beginnen mit einfachen Sätzen. Wir können einen Satz behaupten, wir können aber auch der Auffassung sein, dass er falsch ist; damit würden wir also sein Gegenteil behaupten. Der Satz „Maximilian studiert.“ ist wahr, der Satz „Maximilian studiert nicht.“ also falsch. Ist „Chantal studiert.“ falsch, so ist „Chantal studiert nicht.“ wahr. In einer Tafel lassen sich die sogenannten Wahrheitswerte wahr und falsch übersichtlich an-ordnen. Solche Tafeln sind so aufgebaut, dass in der linken und später in den linken Spalten die möglichen Kombinationen von wahr und falsch aufgelistet werden. Da wir davon ausge-hen, dass ein Satz entweder wahr oder falsch ist, ergeben sich bei einem Satz zwei Zeilen: p p ¬p ¬¬p w w f w f f w F

In der linken Spalte belegen wir p mit wahr oder falsch, die zweite Spalte zeigt, dass p dann wahr oder falsch ist. Die dritte Spalte zeigt, wozu die Verneinung führt: wenn p wahr ist, ist ¬p falsch; wenn p falsch ist, ist ¬p wahr. Die rechte Spalte zeigt, dass zwei Negationen wieder zu der Position führen, bzw. sich aufheben.

Komplexe Sätze Kommen wir zum interessanteren Teil, an dem deutlich wird, was in der Aussagenlogik vor sich geht. Wir übernehmen das, was wir oben über einzelne Sätze gesagt haben. Nun bleiben wir nicht bei einzelnen Sätzen stehen, sondern überlegen, was passiert, wenn wir die zwei Sätze p und q miteinander kombinieren. Wie können wir wahr und falsch zuordnen? Wenn

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der Satz p wahr ist, kann ich ihn mit wahr und falsch von q kombinieren. Das Gleiche gilt für p = falsch. Also bekomme ich bei zwei Sätzen vier Zeilen: p q 1 w w 2 w f 3 f w 4 f f Man kann nun versuchen, die immanente Logik der Umgangssprache durch dieses Schema zu verdeutlichen. Wir fangen mit Und an: UND – Konjunktion Was machen Sie, wenn Sie zwei Sätze mit Und miteinander verbinden? Stellen Sie sich vor, Sie fahren in den Semesterferien mit dem Zug nach Hause. Sie rufen Ihre Mutter an, und sie sagt: „Deine Schwester und Dein Bruder holen Dich ab.“ Was wissen Sie? Sie wissen, dass Ihre Schwester Sie abholt und dass Ihr Bruder Sie abholt. Wann wäre der Satz Ihrer Mutter aber falsch? Der Satz hat drei Möglichkeiten, unter denen er falsch ist: 1. Ihre Schwester kommt nicht. 2. Ihr Bruder kommt nicht. 3. Beide kommen nicht. Sehen wir uns jetzt die Tafel an, die das wiedergibt. Wir stellvertreten „Deine Schwester holt Dich ab“ durch p und „Dein Bruder holt Dich ab“ durch q. In die linken Zeilen kommen wie-der die Belegungen von p und q mit wahr oder falsch, in die rechte Zeile schreiben wir p und q mit dem Symbol ∧: p q p∧q w w w w f f f w f f f f Der zusammengesetzte Satz p∧q ist also nur wahr, wenn die beiden elementaren Sätze wahr sind. Es genügt, dass ein Satz falsch ist, damit der zusammengesetzte Und-Satz, bzw. die Konjunktion falsch ist. (Eine solche Formulierung: „Es genügt, dass ein Satz falsch ist“, be-deutet für einen Logiker, dass mindestens ein Satz falsch ist. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass es zwei, mehrere oder alle sein können.) Stellen wir uns folgenden Fall vor: Sie fahren wieder nach Hause und what’s-appen Ihrer Mutter vorher: „Holen meine Schwester und mein Bruder mich ab?“ Ihre Mutter antwortet „Nein“. Was wissen Sie? Sie wissen, dass nicht beide Sie abholen. Das heißt: 1. Ihre Schwes-ter kommt nicht. Oder 2.: Ihr Bruder kommt nicht. Oder 3.: Beide kommen nicht. Geben wir das in einer Tafel wieder: Sie fragen also p∧q? Ihre Mutter antwortet Nein. Nein entspricht der Negation von p∧q; man setzt p∧q in Klammern und schreibt das Negationszeichen vor die Klammer. Sie sagt also ¬(p∧q) ist wahr. In der ersten Zeile der ∧-Tafel stand w, Ihre Mutter sagt zu dieser Stelle f. Wir hatten uns die drei Möglichkeiten überlegt: Die Schwester kommt nicht, der Bruder kommt nicht, beide kommen nicht. Zeile 2 wäre also der Fall: Schwester kommt und Bruder kommt nicht; in die zweite Zeile muss also ein w. Zeile 3 wäre „Schwester

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kommt nicht, Bruder kommt.“, was auch wahr sein kann; in Zeile 3 muss also auch ein w. Das w in Zeile 4 besagt, dass auch beide nicht kommen können. Was bei den einzelnen Sätzen schon anklang, gilt allgemein: Wenn ich einen zusammenge-setzten Satz verneine, kehren sich wahr und falsch um: Jedem w von (p∧q) entspricht ein f bei ¬(p∧q); jedem f von (p∧q) entspricht ein w bei ¬(p∧q): p q (p∧q) ¬(p∧q) 1 w w w f 2 w f f w 3 f w f w 4 f f f w Neben der Verneinung des zusammengesetzten Satzes gibt es noch die Kombination: zusam-mengesetzter Satz und Verneinung. Sie rufen wieder Ihre Mutter an. Diesmal sagt Ihre Mutter: „Deine Schwester kommt nicht, Dein Bruder kommt.“ Sie wissen also: ¬p∧q. Die dementsprechende Tafel kommt folgendermaßen zustande: Ich schreibe zunächst die Werte von ¬p auf. Der Verlauf unter (¬p∧q) ergibt sich aus der Kombination der Werte von ¬p und q. Aus der ersten Tafel zur Konjunktion weiß ich: w ∧ w = w, w ∧ f = f, f ∧ w = f und f ∧ f = f. Diese Ergebnisse übertragen Sie immer, wenn Sie eine Konjunktion sehen. p q ¬p (¬p∧q) 1 w w f f 2 w f f f 3 f w w w 4 f f w f Sie wissen erstens die Zeile 3 und darüber hinaus, dass die drei anderen Zeilen nicht stimmen: Zeile 1: Ihre Schwester kommt doch und Ihr Bruder kommt = f. Zeile 2: Ihre Schwester kommt doch und Ihr Bruder kommt nicht = f. Zeile 4: Ihre Schwester kommt nicht und Ihr Bruder kommt auch nicht = f. Aufgabe: Erstellen Sie eine solche Tafel für p∧¬q Lösung: Wir können zunächst gesondert die Werte von ¬q notieren; diese führen dann mit den Werten von p und den Vorgaben der Konjunktion zum Ergebnis. Beispiel 1. Zeile: w von p und f von ¬q ergeben f bei p∧¬q. p q ¬q p∧¬q 1 w w f f 2 w f w w 3 f w f F 4 f f w F

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Aufgabe: Erstellen Sie die Tafel für ¬p∧¬q Lösung: Wir schreiben die Werte von ¬p und von nicht ¬q hin; dann wenden wir die Regeln der Konjunktion auf diese Werte an: p q ¬p ¬q ¬p∧¬q 1 w w f f f 2 w f f w f 3 f w w f f 4 f f w w w Wenn wir uns die vier Konjunktionen ansehen: p∧q, ¬p∧q, p∧¬q und ¬p∧¬q, so gilt für alle, dass in den Spalten der Wahrheitstafeln immer nur ein w und drei f vorkommen; nur w und w macht die Konjunktion wahr, sonst ist sie falsch. Wenn wir aber nicht nur einzelne Sätze ver-neinen, sondern die zusammengesetzte Konjunktion, so haben die Verneinungen immer nur ein f und anstelle der drei f drei w. In einer Tafel fasse ich das zusammen: p Q p∧q ¬(p∧q) ¬p∧q ¬(¬p∧q) p∧¬q ¬( p∧¬q) ¬p∧¬q ¬(¬p∧¬q) w w w f f w f w f w w F f w f w w f f w f w f w w f f w f w f F f w f w f w w f Wie man sieht, ergeben sich durch die Kombinationen von ∧ und ¬acht verschiedene Wahr-heitswertverläufe, bei denen das Verhältnis immer 3:1 ist. Schauen wir uns die zwei rechten Spalten an. ¬p∧¬q stand für den Fall, dass Ihre Mutter sagt: „Deine Schwester kommt nicht, Dein Bruder kommt auch nicht.“ Was müsste passieren, da-mit der Satz Ihrer Mutter falsch ist? Wir sind in der Spalte ganz rechts. Die Mutter sagt ¬p∧¬q, was falsch ist, also ¬(¬p∧¬q). Das ist wiederum unter drei Umständen wahr, die den oberen drei Zeilen entsprechen: p q ¬(¬p∧¬q) w w w w f w f w w f f f

p steht weiterhin für „Schwester kommt.“ und q für „Bruder kommt.“ Der Satz „Deine Schwester kommt nicht, und Dein Bruder kommt nicht.“ ist also falsch, wenn 1. die Schwes-ter und der Bruder kommen, 2. die Schwester kommt, der Bruder nicht, oder 3. die Schwester nicht kommt, aber der Bruder. – Das ist die Aussage der Tafel. Für den Verlauf w w w f ist es üblich, das Zeichen ∨ und das Wort Oder zu verwenden. ODER – Disjunktion An dieser Stelle gibt es immer Probleme, weil das umgangssprachliche Oder nicht unbedingt dem der Logik entspricht. Zur Verdeutlichung kommen wir wieder zu den Semesterferien und einem Besuch bei Ihren Eltern zurück. Sie rufen wieder Ihre Mutter an, die sagt: „Deine Schwester oder Dein Bruder holt Dich ab.“ Halten Sie den Satz für wahr, wenn beide kom-

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men? In der Logik macht man dies: Das logische Oder läßt zu, dass beide mit ihm verknüpf-ten Sätze wahr sein können. Es ergibt sich folgende Tafel zu dem Satz „Deine Schwester holt Dich ab oder Dein Bruder holt Dich ab.“ p q p∨q

1 w w w 2 w f w 3 f w w 4 f f f Sie stehen am Bahnhof und sind also unter drei Bedingungen zufrieden: Beide holen Sie ab (Zeile 1), Ihre Schwester holt Sie ab, Ihr Bruder nicht, (2) oder Ihr Bruder holt Sie ohne Schwester ab (3). Wenn Ihre Mutter Unrecht hatte, weil z. B. Ihre Schwester Shoppen ist und Ihr Bruder im Internet surft, dann ist dies die Zeile 4. Aufgabe: Sie wissen: „Ihre Schwester holt Sie ab oder Ihr Bruder holt Sie ab.“ Nun sagt Ihnen jemand, dass Ihre Schwester gerade beim Baby-Yoga ist. Was wissen Sie dann? Lösung: Der Wert unter p∨q ist bei Zeile 1, 2 und 3 w. Beide diesen ist nur in Zeile 3 p falsch: Ihre Schwester holt Sie nicht ab. Wenn dann die Disjunktion noch wahr ist, muß die dritte Zeile richtig und q wahr sein. Sie wissen also: Ihr Bruder holt Sie ab. Aufgabe: Ihre Mutter fragt Sie vor Weihnachten: „Wünschst Du Dir ein Logikbuch oder ein I-Phone?“ Sie antworten mit Ja. Warum hilft das Ihrer Mutter nicht viel weiter? Warum wür-de es Ihr weiterhelfen, wenn Sie antworten: „Nicht noch ein I-Phone.“ Lösung: 1) Es hilft Ihr nicht weiter, weil die Disjunktion drei Möglichkeiten der Erfüllung hat. 2) Wenn Sie eine Möglichkeit ablehnen, muss die andere wahr sein. Wir hatten oben gesagt, dass die Verneinung wahr und falsch umkehrt, was auch für Disjunk-tionen gilt: p q (p∨q) ¬(p∨q) w w w f w f w f f w w f f f f w

Insgesamt ergibt sich für die Disjunktion folgende Wahrheitstafel: p Q p∨q ¬(p ∨ q) ¬p∨q ¬(¬p ∨ q) p∨¬q ¬(p ∨ ¬q) ¬p∨¬q ¬(¬p ∨ ¬q) w w w f w f w f f w w F w f f w w f w f f w w f w f f w w f f F f w w f w f w f Die negierten Disjunktionen haben also nur einmal w, sonst f, was auch schon bei der Kon-junktion vorlag. Welcher Konjunktion entspricht z. B. der Verlauf von ¬(p ∨ q)? Wir können nachgucken (s. o.) oder nachdenken (da es sich hier um ein Lehrskript handelt, ziehe ich letz-teres vor): Das w bei ¬(p∨q) steht bei p=f und q=f, was der Konjunktion ¬p∧¬q entspricht. Das bedeutet, dass der Satz „Deine Schwester holt Dich ab, oder Dein Bruder holt Dich ab.“

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dann falsch ist, wenn der Satz wahr ist: „Deine Schwester holt Dich nicht ab, und Dein Bruder holt Dich nicht ab.“ Es müssen also beide Sätze der Disjunktion falsch sein: P q ¬(p∨q) (¬p ∧ ¬q) W w f f W f f f F w f f F f w w

Fassen wir die Ergebnis in einer Tabelle zusammen: P q p∧q ¬(p∧q) ¬p∧q ¬(¬p∧q) p∧¬q ¬( p∧¬q) ¬p∧¬q ¬(¬p∧¬q) W w w f f w f w f w W f f w f w w f f w F w f w w f f w f w F f f w f w f w w f P q ¬(¬p ∨ ¬q) ¬p∨¬q ¬(p ∨ ¬q) p∨¬q ¬(¬p ∨ q) ¬p∨q ¬(p ∨ q) p∨q Jede Disjunktion lässt sich also als Konjunktion ausdrücken und umgekehrt. Diese Art der Logik liegt auch der sogenannten Schaltalgebra der Elektrotechnik zugrunde. Ob ein Strom fließt oder nicht, wird dort analog zu den Wahrheitswerten mit 0 und 1 bezeich-net. Die Diagramme für die Konjunktion und die Disjunktion sind folgende:

Beide Schalter müssen geschlossen sein, damit Strom fließt.

Der eine, der andere oder beide Schalter müssen geschlossen sein, damit Strom fließt.

Kommen wir zu einem weiteren Sachverhalt, der meistens Schwierigkeiten bereitet:

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WENN – DANN – Konditional(-satz) Wenn-Dann-Sätze, die Konditionalsätze oder kürzer: die Konditionale, entsprechen in der Logik folgendem Verlauf der Wahrheitswerte:

p q p → q ¬(p → q) 1 w w W f 2 w f F w 3 f w W f 4 f f W f

Die beiden ersten zwei Zeilen unter → sind relativ klar: Das Standardbeispiel ist das Verhält-nis von Wetter und Feuchtigkeitszustand von Straßen: „Wenn es regnet, dann wird die Straße nass.“ Zeile 1 bedeutet nun: Es regnet, die Straße wird nass. Zeile 4 ist genauso klar: Es regnet nicht und die Straße wird nicht nass. Was ist aber mit Zeile 2 und 3? Zeile 2 besagt: Wenn der Fall vorliegt, dass der Vordersatz p wahr und der Hintersatz q falsch sind, dann ist der Kondi-tionalsatz p → q falsch: „Es regnet, und die Straße wird nicht nass.“ Liegt das aber vor, dann ist der Konditionalsatz: „Wenn es regnet, dann wird die Straße nass.“ falsch. Die Zeile 3 besagt, dass unter der Annahme des Konditionalsatzes p → q p falsch und q wahr sein kann. Die Plausibilisierung von Zeile 3 erfolgt dann durch Konstruktionen à la „Man kann auch einen Eimer Wasser auf die Straße schütten und die Straße wird nass.“ Es gibt also Wege, der Straße zu ihrer Nässe zu verhelfen, ohne dass es regnet. – Ein anderes Beispiel macht die Tafel des Konditional vielleicht klarer: „Wenn Hans vier Flaschen Bier trinkt, dann ist er beschickert.“ Nehmen wir an, er trinkt vier Flaschen, dann wissen wir: Er ist beschi-ckert. Es kann unter der Wahrheit von „Wenn Hans vier Flaschen Bier trinkt, dann ist er be-schickert“ nicht sein, dass er vier trinkt und nicht beschickert ist. Das würde bedeuten, dass der Konditionalsatz falsch wäre. Er schließt aber nicht aus, dass Hans keine vier Flaschen trinkt und beschickert ist – er kann auch eine Flasche Wein trinken. – Ich darf zunächst empfehlen, sich an den logischen Sprachgebrauch des Wenn-Dann, bzw. Konditionals zu gewöhnen. Ob das logische Wenn-Dann dem umgangssprachlichen ent-spricht, muss wohl eher verneint werden. Wie Konditionalsätze aber funktionieren, ist Gegen-stand zahlreicher linguistischer und sprachphilosophischer Abhandlungen. (Siehe dazu z. B. Frank Jackson, Conditionals)

Äquivalenz von Wenn-Dann, Oder und verneintem Und Werfen wir einen Blick auf drei Wahrheitswertverläufe. Wir haben oben →, ∧ und ∨ mit ¬ kombiniert. Dreimal bekamen wir den Wahrheitsverlauf wfww: P q p→q ¬p∨q ¬(p∧¬q) W w w w w W f f f f F w w w w F f w w w Alle Konditionale lassen sich zu Konjunktionen oder Disjunktionen, alle Konjunktionen sich zu Disjunktionen oder Konditionalen und alle Disjunktionen sich zu Konditionalen oder Kon-

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junktionen umformen, bzw. bei derselben Proportion von w und f lassen sich die Sätze mithil-fe des Negationszeichens umformulieren. Für Logiker sind sie dann äquivalent.

Aussagenlogische Äquivalenz bedeutet, denselben Wahrheitswertverlauf zu haben. Die Einsicht in logische Äquivalenzen ist ein wichtiges praktisches Resultat der Logik, da sie viele Zusammenhänge trotz der Äquivalenz neu darstellt. Ich fasse die Äquivalenzen von ∧, → und ∨ in einer Tabelle zusammen: P q p∧q ¬(p∧q) ¬p∧q ¬(¬p∧q) p∧¬q ¬( p∧¬q) ¬p∧¬q ¬(¬p∧¬q) W w w f f w f w f w W f f w f w w f f w F w f w w f f w f w F f f w f w f w w f P q ¬(¬p ∨ ¬q) ¬p∨¬q ¬(p ∨ ¬q) p∨¬q ¬(¬p ∨ q) ¬p∨q ¬(p ∨ q) p∨q P q ¬(p → ¬q) p → ¬q ¬(¬p → ¬q) ¬p → ¬q ¬(p → q) p → q ¬(¬p → q) ¬p → q

Aufgabe: Versuchen Sie, die Äquivalenz der ersten Spalte in der Umgangssprache nachzu-vollziehen. Lösung: Hier gibt es so viele Lösungen, wie die Phantasie hervorbringt. Nehmen wir ein Bei-spiel aus dem Studentenleben: p sei „Das Wetter ist schlecht.“ und q „Ich bleibe zuhause.“ Spalte 1 ergibt: p ∧ q: „Das Wetter ist schlecht, ich bleibe zuhause.“ ¬ (¬p ∨ ¬q): „Es ist nicht das Fall, dass das Wetter nicht schlecht ist oder ich nicht zuhause bleibe.“ ¬ (p → ¬q): „Es ist nicht der Fall, dass, wenn das Wetter schlecht ist, dass ich dann nicht zu-hause bleibe.“ Aufgabe: Welche Äquivalenzen sind für Sie umgangssprachlich nachvollziehbar? Keine Lösung. GENAU DANN WENN – Bikonditional Der Konditionalsatz hat das Verhältnis von Vordersatz und Hintersatz durch den Wahrheits-wertverlauf wfww beschrieben. Dadurch kann man von der Wahrheit des Vordersatzes auf die Wahrheit des Hintersatzes schließen. Was ist aber umgekehrt? Geht dies auch? Nein, das geht nicht, da in den Zeilen, in denen q wahr ist, p wahr (Zeile 1) oder falsch (Zeile 4) sein kann. Es gibt aber eine konditionale Relation, die in beide Richtungen geht, das Bikonditional. Stel-len wir uns Folgendes vor: Ihr Vater trinkt Wein und Bier, Ihre Mutter nur Prosecco. Am Hei-ligabend, lange nach dem Geschenke Auspacken, stellen Sie bei Ihren Eltern eine gesteigerte Fröhlichkeit fest. In Bezug auf Ihren Vater gelten zwei Konditionalsätze: 1. Wenn Ihr Vater drei Gläser Wein trinkt, dann ist er gesteigert fröhlich. 2. Wenn Ihr Vater drei Flaschen Bier trinkt, dann ist er gesteigert fröhlich. Offenbar können Sie von der Fröhlichkeit nicht auf das Getränk schließen, das Ihrem Vater die eudaimonische Hilfestellung gegeben hat.

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Anders bei Ihrer Mutter, die nur Prosecco trinkt: Von ihrer Fröhlichkeit können Sie auf den Prosecco-Konsum schließen. In Bezug auf Ihre Mutter gelten folgende zwei Sätze: 1. Wenn die Mutter gesteigert fröhlich ist, dann hat sie zwei Gläser Prosecco getrunken. 2. Wenn Ihre Mutter zwei Gläser Prosecco getrunken hat, dann ist sie gesteigert fröhlich. Beide Sätze kann man durch einen Satz zusammenfassen: Genau dann wenn die Mutter ge-steigert fröhlich ist (=p), hat sie zwei Gläser Prosecco getrunken (=q). Das Bikonditional muss also genau an der Stelle einen anderen Wahrheitswert als das Kondi-tional haben, an der falsch und wahr zusammen wahr ergeben, also in Zeile 3. p q p → q p ↔ q w w w w w f f f f w w f f f w w

Die Wahrheit von p garantiert die Wahrheit von q und umgekehrt; bei der Falschheit gilt dies analog (untere Zeile). Ich kann also hier vom Hintersatz auf den Vordersatz schließen. Selbstverständlich gibt es wieder die Kombinationsmöglichkeiten mit ¬: p q p↔q ¬(p ↔q) ¬p↔q ¬(¬p↔q) p↔¬q ¬(p ↔¬q) ¬p↔¬q ¬(¬p ↔ ¬q) w w w f f w f w W f w f f w w f w f F w f w f w w f w f F w f f w f f w f w W f Man sieht, dass das Bikonditional in Kombination mit ¬ nur zwei verschiedene Verläufe ergibt. ENTWEDER ODER – Kontradiktion Beim Entweder Oder verhält es sich genau umgekehrt wie beim Bikonditional und vielleicht so, wie es Ihrem umgangssprachlichen Oder entspricht. Wenn Ihre Mutter zu Ihnen sagt: „Entweder Dein Bruder holt Dich ab oder Deine Schwester holt Dich ab“, dann bedeutet das 1.: Es kommen nicht beide. 2.: Es kommen nicht beide nicht. Sondern 3.: Nur einer von bei-den kommt. Das Entweder-Oder hat folgenden Wahrheitswert: p q p >–< q w w f w f w f w w f f f

Gestatten Sie mir einen Hinweis für diejenigen von Ihnen, die vielleicht weiterführende Lite-ratur zur Logik heranziehen: In älterer Logik-Literatur findet man für das ENTWEDER-ODER häufiger ein eigenes Zeichen, heute ist es eher aus der Mode gekommen. Man folgt in

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der Logik in der Regel dem Ökonomieprinzip, wie man dies aber ausgestaltet, ist Ge-schmackssache. Das Entweder-Oder lässt sich als verneintes Bikonditional darstellen:

p q p ↔ q ¬(p↔q) p >–< q w w w f f w f f w w f w f w w f f w f f

Ich halte die Einführung eines eigenen Zeichens für sinnvoll, zumal Entweder-Oder, auch Kontradiktion genannt, eine der wichtigsten Relationen sowohl in der Logik als auch in der Wissenschaftsgeschichte ist. Die Kontradiktion beschreibt beispielsweise das logische Ver-hältnis der Falsifikation à la Karl Popper: Wenn ein wissenschaftliches Gesetz widerlegt wird oder ein Widerspruch auftaucht, dann aufgrund der Kontradiktion.

Die Wahrheitswerttafel Damit sind wir bei einer wichtigen Frage angelangt: Es gibt 16 Wahrheitswertverläufe, da wir die zwei Wahrheitswerte Wahr und Falsch und 4 Zeilen haben, also 24. Wie viele oder welche logische Zeichen soll oder muss ich denn eigentlich einführen? Sollen und Müssen sind bei dieser Frage unterschiedlich, da man mit nur einer einzigen Funktion sämtliche Wahrheits-wertverläufe konstruieren kann. Welche aber wiederum sinnvoll sind, ist - wie gesagt - eine Geschmacksfrage - und auch eine der Tradition. Wir hatten mit den eingeführten Junktoren und der Negation bereits viel abgedeckt:

p q P ¬p q ¬q p∧q ¬(p∧q) p∨q ¬(p∨q) w w w f w F w f w f w f w f f W f w w f f w f w w F f w w f f f f w f W f w f w

p q p→q ¬(p→q) p↔q ¬(p↔q) T ⊥ Ü1 Ü2 w w w f w f w f w f w f f w f w w f w f f w w f f w w f f w f f w f w f w f w f

Hinzugekommen sind die letzten vier Verläufe. T steht für die Tautologie, die bei Politikern scheinbar sehr beliebt ist: Egal, was eine Regierung behauptet, es ist immer wahr. Die Opposi-tionsparteien bevorzugen hingegen die sogenannte Antilogie ⊥: Egal, was eine Regierung behauptet, es ist immer falsch. Was ist aber mit den letzten beiden, Ü1 und Ü2? Für den Ver-lauf wwfw hatten wir bereits drei Formeln gefunden: ¬(¬p∧q), p∨¬q und ¬p → ¬q. Sollen wir für Ü1 und Ü2 neue Junktoren einführen, obwohl wir es auch durch die gerade gegebenen Formeln ersetzen können?

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Aufgabe: Finden Sie äquivalente Formeln und entscheiden Sie, ob sie einen neuen Junktor einführen würden. Lösung: Der Wahrheitswertverlauf von Ü1 hat ein f und drei w. Das kommt sonst bei p∨q, p→q und ¬(p ∧ q) vor: p q p → q p ∨ q ¬(p ∧ q) Ü1

w w w W f w w f f W w w f w w W w f f f w F w w Ü1 unterscheidet sich von p→q also genau dort, wo w und f zu w führt und f und w zu f. Man bekommt den Wahrheitswertverlauf von Ü1 dadurch, dass man q und p vertauscht, also q→p. Es lohnt sich also nicht, ein neues Zeichen einzuführen, wenn ich die Sätze nur in eine andere Reihenfolge bringen oder zusätzliche Negationszeichen einführen muss. – Und Ü2? Ü2 ist die Verneinung von Ü1, also auch kein Anlass für ein neues Zeichen: ¬(q → p). Das ändert nichts daran, dass es prinzipiell aber möglich ist, z. B. p ← q. Mit der obigen Wahrheitswert-Tafel, die Ludwig Wittgenstein 1918 im Tractatus logico-philosophicus eingeführt hat, schließen wir das erste Kapitel zur Aussagenlogik ab. Was nun kommt, sind Anwendungen, Erweiterungen und Vertiefungen dieses Materials.

Klammern und die Kombination von Funktionen Die Klammern haben wir bereits kennengelernt. Sie werden benutzt, wenn die logischen Ge-bilde komplexer werden und es Mehrdeutigkeiten gibt. Mehrdeutigkeiten können bereits bei den uns bekannten Beispielen vorkommen, z. B.: „Er raucht (=p) und trinkt (=q) nicht.“ (Sie-he oben.) Hier liegt der Nutzen von Formalisierungen auf der Hand: Logisch ist leicht zu er-kennen, was umgangssprachlich mehrdeutig ist: ¬r∧¬t ist offensichtlich von r∧¬t unterschie-den. Sobald drei Sätze vorkommen, liegen immer Mehrdeutigkeiten vor, die aber durch Klammern eliminiert werden können.2 Ob die Mehrdeutigkeiten Folgen haben oder nicht, hängt von den Junktoren ab. Bei "Sandra telefoniert gerne und Petra telefoniert gerne und Milo telefoniert gerne." spielt es nicht wirklich eine Rolle, ob ich s ∧ (p ∧ m) oder (s ∧ p) ∧ m klammere, da die Konjunktion assoziativ ist. Wie die drei Sätze p, q und r im folgenden Beispiel zu verstehen sind, ist jedoch mehrdeutig und logisch folgenreich: p ∨ q → r; p= Peter geht ins Kino, q= Quin guckt Fernsehen, r= Re-nate bleibt zuhause. Die Mehrdeutigkeit beruht auf zwei Varianten: (p ∨ q) → r: Wenn Peter ins Kino geht oder Quin fernsieht, dann bleibt Renate zuhause. p ∨ (q → r): Peter geht ins Kino, oder, wenn Quin fernsieht, dann bleibt Renate zuhause. Auch hier ist der logische Unterschied offenbar. Möchte man umgangssprachliche Aussagen logisch darstellen, führt dies in der Regel zu einer höheren Präzision und Klarheit. Sehen wir uns also zunächst eine Kombination von zwei Sätzen an: (p ∨ ¬q) → p.

2 Leider ist gerade in diesem Punkt die Notation nicht einheitlich. Sie reicht von einer Hierarchisierung analog zum „Punktrechnung geht vor Strichrechnung“ der Mathematik über ein System mit Punkten bis zur sogenannten Polnischen Notation von Jan Lukasiewicz.

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1 2 3 4 5 6 7 8 P q (p ∨ ¬ q) → P W w w w f w w w W f w w w f w w F w f f f w w f F f f w w f f f Schritte: 1 5 4 2 6 3 Wie geht man dabei vor? Die Reihenfolge ist in der unteren Zeile. Zunächst nennen uns Spal-te 1 und 2 die Wahrheitswerte von p und q, die man dann unter p und q schreiben kann, also in Zeile 3, 6 und 8; p kommt zweimal vor. Wir müssen nun vom Einfachen zum Komplexeren gehen. Die Negation in Spalte 5 bezieht sich auf q und gehört also zu einem einen einzelnen Satz. Jetzt muss ich die Disjunktion von Spalte 4 auflösen, indem ich die Werte von p (Spalte 3) mit denen der Negation aus Spalte 5 mit den Regeln der Disjunktion bewerte: wahr oder falsch = wahr, wahr oder wahr = wahr, falsch oder falsch = falsch, falsch oder wahr = wahr, weshalb in Spalte 4 der Verlauf w, w, f, w steht. Nun sind wir fast fertig und brauchen nur noch Spalte 7 aufzulösen. Die vorderen Werte von → p sind die der Disjunktion, weshalb ich die Werte von Spalte 4 mit den von Spalte 8 gemäß der Konditionalregeln auflöse: wenn wahr, dann wahr = wahr, wenn wahr, dann wahr = wahr, wenn falsch, dann falsch = wahr, wenn wahr, dann falsch = falsch. – Fertig. Damit kennen wir die logische Struktur des Ausgangssatzes: (p ∨ ¬q) → p. Sie können sich vorstellen, dass das Ausfüllen solcher Tafeln mit zunehmender Komplexität sehr mühsam wird und auch Logiker bei anderen Tätigkeiten höhere Stufen der Glückseligkeit erklimmen. Man bekommt darin Routine und wird auf Dauer vielleicht nicht unter jedem elementaren Satz den Wahrheitswert schreiben. Damit logische Abhängigkeiten zur Intuition werden und man logischer „tickt“, ist jedoch Übung erforderlich. Bevor wir zu Übungen kommen, sehen wir uns noch ein Beispiel mit drei Sätzen an: ((p → q) ∧ (q → r)) → (p → r) Zunächst eine umgangssprachliche Deutung des Satzes: „Wenn es schneit, dann ist die Straße glatt (p → q). Wenn die Straße glatt ist, dann gibt es mehr Unfälle (q → r). Wenn beides gilt, dann gilt: Wenn es schneit, dann gibt es mehr Unfälle.“ Wir haben drei Konditionalsätze, die dann selbst nochmal unter 11 in einem Wenn-Dann-Verhältnis stehen. Da wir drei Sätze p, q und r haben, ergeben sich 2³=8 Zeilen bei der Kombination der Wahr-heitswerte, also Spalten 1 bis 3. Nun haben wir wieder die Tafel auszufüllen und fangen mit den Wahrheitswerten der elementaren Sätze an, gehen dann zu den ersten Konditionalen unter 5, 9 und 13, lösen die Konjunktion unter 7 auf, um schließlich unter 11 das Konditional zu bewerten, das komplexesten Zusammenhang darstellt:

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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 p q r ((p → q) ∧ (q → r)) → (p → r) w w w w w w w w w w w w w w w w f w w w f w f f w w f f w f w w f f f f w w w w w w w f f w f f f f w f w w f f f w w f w w w w w w w f w w f w f f w w f w f f w f w f f f w f w f w f w w w f w w f f f f w f w f w f w f w f

Schritte: 1 7 2 10 3 8 4 11 5 9 6 Wie bei den einfachen Funktionen lassen sich einige Kombinationen auch gut durch Schal-tungen visualisieren. Eine Kombination von Und und Oder könnte folgende Struktur haben:

Der linke und mindestens einer der rechten Schalter müssen geschlossen sein, damit Strom fließt:

links und (rechts oben oder rechts unten)

Logische Folgerung Wir haben jetzt die Spalten von 4 bis 14 à acht Zeilen ausgefüllt, also 88 Felder. Was lernt man aus den Tafeln? Man lernt daraus, ob ein logischer Schluss gültig ist oder nicht. Dafür müssen wir zwei Zusammenhänge kennen: Nehmen wir den letzten Fall: ((p → q) ∧ (q → r)) → (p → r) Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dies darzustellen. Diejenige, die vermutlich am ehesten dem intuitiven Schließen entspricht, ist folgende: Wir haben zwei Sätze, aus denen ein dritter folgt: p → q q → r p → r Die oberen und vorausgesetzten Sätze heißen Prämissen, der Satz, der aus den Prämissen fol-gen soll, heißt Konklusion. Der horizontale Strich trennt die Prämissen von der Konklusion. Die beiden Zusammenhänge die wir kennen müssen, sind: 1. Wenn ich zwei Prämissen übereinander schreibe, dann ist dies gleich der Konjunktion die-ser Sätze:

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p → q q → r

ist gleich: (p → q) ∧ (q → r).

2. Wenn ich eine Menge von Prämissen P1 bis Pn habe, aus denen die Konklusion K folgt, dann gilt (P1 ∧ P2 ∧ … ∧ Pn) → K. Bringt man einen Schluss in die Form eines Konditional-satzes, dann kann man am Konditional ablesen, ob der Schluss gültig ist oder nicht. Er ist dann gültig, wenn unter der Wahrheit der Prämissen die Konklusion nicht falsch sein kann. Erinnern Sie sich an die Wahrheitstafel des Konditionals mit dem Verlauf wfww. Ein Schluss ist gültig, dann unter dem Konditional zwischen Prämissenmenge und Konklusion das f nicht vorkommt, sondern ausschließlich w. Betrachten wir nochmal die letzten beiden Beispiele: 1 2 3 4 5 6 7 8 p q (p ∨ ¬ q) → p w w w w f w w w w f w w w f w w f w f f f w w f f f f w w f f f

Wir könnten dafür auch den Schluss so hinschreiben: p ∨ ¬q P Stellen Sie sich vor, jemand argumentiert: „Der Verkauf von Fernsehern steigt oder die Ge-winne der Firma gehen nicht zurück. Daraus folgt, dass der Verkauf von Fernsehern steigt.“ Hat dieser richtig argumentiert? Sehen wir uns die Tabelle an: Die Spalte 7 entspricht dem Zusammenhang von Prämisse und Konklusion. Die untere Zeile hat jedoch ein f. Das besagt, dass mit p=f und q=f eine Belegung vorliegt, die die Prämissen wahr, die Konklusion aber falsch macht: p∨¬q ist wahr, wie in Spalte 4 in der untersten Zeile abzulesen ist. In Bezug auf das Beispiel heißt das: Der Verkauf von Fernsehern steigt, ist falsch. Dass die Gewinne der Firma nicht zurückgehen, ist wahr; die Konklusion wiederum ist falsch. Damit ist der Schluss ungültig.

Logische Folgerung liegt dann vor, wenn unter der Wahrheit der Prämissen

die Konklusion wahr sein muss. Mit anderen Worten: In Spalte 7 hätte nur w vorkommen dürfen. Der Schluss ist also ungültig. Wie steht es um ((p → q) ∧ (q → r)) → (p → r)? In anderer Notation sieht der Schluss so aus: p → q q → r

oder so: (p → q) ∧ (q → r)

p → r p → r Das umgangssprachliche Beispiel war:

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Wenn es schneit, dann ist die Straße glatt (p → q). (Und) Wenn die Straße glatt ist, dann gibt es mehr Unfälle (q → r). (Daraus folgt:) Wenn es schneit, dann gibt es mehr Unfälle. Ist dieser Schluss gültig? Sehen wir uns Spalte 11 der Wahrheitstafel an:

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 p q r ((p → q) ∧ (q → r)) → (p → r) w w w w w w w w W w w w w w w w f w w w f w F f w w f f w f w w f f f f W w w w w w w f f w f f f f W f w w f f f w w f w w w w W w w f w w f w f f w w f w F f w f w f f f w f w f w f W w w f w w f f f f w f w f W f w f w f

Unter 11 steht nur w, was bedeutet, dass es keine Belegung von p, q und r gibt, unter denen die Konjunktion der Prämissen wahr und die Konklusion falsch ist. Die w in Spalte 11 zeigen uns, dass der Schluss gültig ist. Wir befinden uns im 21. Jahrhundert in der glücklichen Lage, dass bereits ca. 2400 Jahre der Logikentwicklung hinter uns liegen: Die Gültigkeit von Schlüssen ist ausreichend untersucht worden, und wir brauchen das Rad nicht neu erfinden. Zur Vertiefung des Bisherigen sehen wir uns Schlüsse und Fehlschlüsse an, die wohl allent-halben vorkommen. Einige dieser Schlüsse und Fehlschlüsse sind zunächst als Aufgabe for-muliert. Aufgabe: Überprüfen Sie folgende Schlüsse auf Ihre Gültigkeit.

1 p → q ¬q

2 p → q ¬q

3 p → q

p ¬p ¬q → ¬p Lösung 1 – ungültig wegen unterer Zeile:

p q ((p → q) ∧ ¬q) → p w w w f f w w w f f f w w w f w w f f w f f f w w w f f

Das Kriterium der Ungültigkeit eines Schlusses ist, ob er die Wahrheit der Prämissen und die Falschheit der Konklusion zulässt. Genau das liegt in der unteren Zeile vor, weshalb der Schluss ungültig ist.

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Lösung 2 – gültig: p q ((p → q) ∧ ¬q) → ¬p w w w f f w f w f f f w w f f w w f f w w f f w w w w w

Lösung 3 – gültig: p q ((p → q) ∧ ¬q) → (¬q → ¬p) w w w f f w f w f w f f f w w w f f f w w f f w f w w f f w w w f w w w

Gültige Schlüsse und Ableitungsregeln Man kann eine Logik auch anders aufbauen, als es bisher mit den Wahrheitstafeln dargelegt wurde. Man kann die gültigen Schlüsse in Ableitungsregeln umformulieren, diese dann auf Sätze anwenden und schließlich die entsprechenden Ableitungen vornehmen. Wie bei der Methode der Wahrheitswerttafeln werden die Regeln insbesondere in ihrer Kombination fruchtbar. Wir haben z. B. nachgewiesen, dass aus p → q und p folgt: q. Wir können verschiedene As-pekte dieses Schlusses verschieden ausdrücken: als Konditional: ((p → q) ∧ p) → q oder als Schluss aus einer Konjunktion: (p → q) ∧ p q oder als Schluss aus zwei Sätzen: p → q p q Das letzte Beispiel ist vermutlich das, das am ehesten unserer Intuition entspricht: Man hat einen Konditionalsatz, stellt fest, dass der Vordersatz wahr ist, und schließt daraus auf den

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Hintersatz, z. B.: Wenn es schneit, dann fahre ich langsamer. Nun schneit es, also fahre ich langsamer. Welche Schlüsse man in Ableitungsregeln überträgt, ist erneut eine Geschmacksfrage; prinzi-piell könnte man jeden gültigen Schluss zur Ableitungsregel umformulieren, was aber nicht viel Sinn macht. Mir erscheinen folgende wichtig, deren Namen zum Teil verbreitet sind; die weitgehend verbreiteten Namen entstammen meistens der lateinischen Logik: 1. der dargelegte Modus ponens p → q p q Diese Ableitung entspricht also dem Standardschluss: Wenn es regnet, dann wird die Straße nass. Es regnet. Also wird die Straße nass. Die drei Punkte ∴ stehen bei Übungen für „ist ab-zuleiten“, sonst für „ist ableitbar“. Zweckmäßig ist, die Zeilen zu nummerieren und rechts daneben zu schreiben, aus welchen Zeilen mit welcher Ableitungsregel man die neue Zeile bekommen hat. Sehen wir uns ein Beispiel an: Aus ¬U → F und ¬U soll F abgeleitet werden. Wir schreiben die Prämissen hin und hinter die letzte ∴ F. Die Zeile 3 ergibt sich aus Zeilen 1 und 2 und der Anwendung der Regel Modus ponens auf 1 und 2: 1 ¬U → F 2 ¬U ∴ F 3 F 1, 2 MP Beim Modus ponens kann der Vordersatz des Konditionals bereits selbst komplex sein und aus mehreren Sätzen bestehen. Aus F ∨ S und (F ∨ S) → K soll K abgeleitet werden: 1 F v S 2 (F v S) → K ∴ K 3 K 1, 2 MP 2. der Modus tollens p → q ¬q ¬p Der Modus tollens ist ebenfalls im Prinzip besprochen worden: „Wenn Peter geerbt hat, dann hat er sich eine neue Uhr gekauft. Peter hat sich keine neue Uhr gekauft. Also hat er nicht ge-erbt.“ 3. Kontraposition (äquivalent) p → q ¬q → ¬p Die Kontraposition fasst die beiden Sätze des Beispiels nur als Konditional zusammen: „Wenn Peter geerbt hat, dann hat er sich eine neue Uhr gekauft. Also: Wenn Peter sich keine neue Uhr gekauft hat, dann hat er nicht geerbt.“ Die Kontraposition ist äquivalent. Von der Konklusion der ¬q → ¬p kann ich auch auf p → q schließen. 4. die Simplifikation p ∧ q p

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Diese Regel besagt nur, dass man bei einer Konjunktion auf die einzelnen Sätze der Konjunk-tion schließen kann. Wegen seiner Trivialität dürfte der Schluss nicht oft vorkommen: Aus „Maximilian studiert BWL, und Karl Theodor studiert Jura.“ kann man ableiten: „Maximilian studiert BWL.“ 5. die Konjunktion (äquivalent) p q p ∧ q Umgekehrt zur Simplifikation kann man Sätze der Prämissenmenge auch als Konjunktion zusammenfassen; Prämissen und Konklusion sind ebenfalls äquivalent. 6. Kommutation (äquivalent) p ∧ q und bei

oder: p ∨ q

q ∧ p q ∨ p Diese Regeln kennen Sie vielleicht noch aus der Schulmathematik: „Maximilian studiert BWL, und Karl Theodor studiert Jura.“ ist äquivalent zu „Karl Theodor studiert Jura, und Maximilian studiert BWL.“ Analoges gilt für das Oder, bzw. die Disjunktion. Äquivalent! 7. Disjunktiver Syllogismus p ∨ q ¬p q Auch diese Regel hatten wir besprochen: Ihre Mutter sagt: „Dein Bruder holt Dich ab, oder Deine Schwester holt Dich ab.“ Sie sehen aber auf Ihrem Smartphone: Ihr Bruder surft bei Facebook. Dann können Sie folgern: Ihre Schwester holt Sie ab. Ein weiteres Beispiel: Onkel Peter kommt zum Essen. Sie wissen, dass er Bier oder Wein trinkt. Heute möchte er kein Bier, also trinkt er heute Wein.

8. Addition p p ∨ q Diese Regel dürfte in umgangssprachlichen Argumentationen nicht vorkommen, denn Sie folgern von einer Aussage auf eine Aussage, die weniger informativ und in diesem Sinn schwächer ist: Wenn Sie wissen: „Die Sonne scheint.“, dann wissen Sie auch: „Die Sonne scheint, oder es regnet.“ Dies ist keine Äquivalenz: Wenn Sie wissen: „Die Sonne scheint, oder es regnet.“, dann wissen Sie nicht: „Die Sonne scheint.“ 9. Hypothetischer Syllogismus p → q q → r p → r Hier wird im Grunde zweimal eine Folgerung gemacht: p → q. Nimmt nun p an, dann folgt daraus q. Aus q → r folgt dann wiederum r, weshalb auch p → r gilt.3 Wenn es schneit, dann 3 Diese Ableitung basiert auf der Regel von Beweisen, bei denen eine Zusatzannahme gemacht wird. Führe ich eine Annah-me ein, so kann ich sie folgendermaßen als Vordersatz des Konditionals wieder auslösen: 1 Prämisse: p → q

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werden die Straßen glatt. Wenn die Straßen glatt werden, dann passieren mehr Unfälle. Also: Wenn es schneit, dann passieren mehr Unfälle. 10. Doppelte Negation (äquivalent) ¬¬p p Sie sagen: „Es regnet nicht“, worauf jemand antwortet: „Stimmt doch gar nicht.“ Der Satz wird also doppelt negiert, wobei der andere meint: „Es regnet.“ In der Schulmathematik galt: Minus mal Minus gibt Plus; das gilt in der Logik auch. 11. die Implikation (äquivalent) p → q ¬p ∨ q Diese Ableitungsregel ist uns im Prinzip bekannt: „Wenn es schneit, dann passieren mehr Unfälle.“ Dies ist äquivalent zu: „Es schneit nicht, oder es passieren mehr Unfälle.“ 12. Distribution (äquivalent) p ∧ (q ∨ r) (p ∧ q) ∨ (p ∧ r) Sie ziehen um und brauchen Leute zum Tragen. Peter hat zugesagt, Qarl und Rainer sprechen sich ab, einer von beiden kommt. Es gilt die Prämisse: Peter kommt und (Qarl oder Rainer kommt). Dann wissen Sie auch: Peter und Qarl kommen, oder Peter und Rainer kommen. Oder: Ich nehme einen Döner und (einen Ayran oder eine Cola). Also: Du nimmst einen Döner und einen Ayran, oder Du nimmst einen Döner und eine Cola. 13. die Äquivalenz (äquivalent) p ↔ q oder als Disjunktion

von Konjunktionen: p ↔ q

(p → q) ∧ (q → p) (p ∧ q) ∨ (¬p ∧ ¬q) Hier sehen wir uns doch nochmal eine Wahrheitstafel an: 2 Prämisse: q → r 3 Annahme: *p 4 Ableitung aus Z. 1 und 3 *q 5 Ableitung aus Z. 2 und 4 *r 6 Beseitigung der Annahme p → r Umgangssprachlich kann man sich das wie folgt verdeutlichen. Wir haben die Prämissen: Wenn es schneit, dann sind die Straßen glatt. Wenn die Straßen glatt sind, dann fahre ich vorsichtiger. Angenommen, es schneit. Dann ist die Straße glatt. Wenn die Straße glatt ist, dann fahre ich vorsichtiger. Die Straße ist glatt. Also: Wenn es schneit, dann fahre ich vorsichtiger.

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p q p ↔ q 1 w w w 2 w f f 3 f w f 4 f f w

In Zeile 2 steht f, weil w → f zusammen f ergibt. Für Zeile 3 gilt das gleiche, nur das q=w und p=f, so dass q → p falsch ist. Die rechte Äquivalenz zeigt, wann p ↔ q wahr ist, bzw. was zu den w in Zeile 1 und 4 führt: Zeile 1 ist p ∧ q und Zeile 4 ¬p ∧ ¬q. Ein Beispiel für die Disjunktion von Konjunktionen: Franz hat genau dann eine Fahne, wenn er in der Kneipe war. Also war er in der Kneipe und hat eine Fahne, oder er war nicht in der Kneipe und hat auch keine Fahne. 14. die Kontradiktion (äquivalent) p >–< q oder

umgekehrt: p >–< q

(p → ¬q) ∧ (¬p → q) (q → ¬p) ∧ (¬q → p) Das Gegenteil gilt bei der Kontradiktion; sie ist ja die negierte Äquivalenz: (p >–< q) ↔ ¬(p ↔ q) Arthur bekommt zu Weihnachten entweder ein Auto oder einen Fußball. Also: Wenn er kein Auto bekommt, dann bekommt er einen Fußball 15. De Morgan I (äquivalent) ¬(p ∧ q) oder

umgekehrt: (¬p ∨ ¬q)

(¬p ∨ ¬q) ¬(p ∧ q) Stellen Sie sich vor, Sie lernen in einer Bar eine Dame kennen. Zu späterer Stunde wird es ernst und sie sagt zu Ihnen: „Du hast Geld und eine Altersvorsorge.“ – „Nein.“ „Also hast Du kein Geld oder keine Altersvorsorge.“ 16. De Morgan II (äquivalent) ¬(p ∨ q) und bei oder: (¬p ∧ ¬q) (¬p ∧ ¬q) ¬(p ∨ q) Nochmal die Dame von eben: „Du hast Geld oder eine Altersvorsorge.“ „Nein.“ „Also hast Du weder Geld noch eine Altersvorsorge.“ Diese beiden Gesetze sind nach dem Mathematiker Augustus de Morgan (1806-1871) be-nannt, wobei die wissenschaftshistorische Regel gilt: Der Namensgeber eines Theorems ist nicht der Erfinder. Die De Morganschen Gesetze drücken logische Strukturen aus, die auch in der Umgangsspra-che recht häufig vorkommen: Die Gerüchteküche brodelt, Sie unterhalten sich mit einem Freund und sagen zu ihm: „Du bist mit Petra und mit Gundula liiert.“ (p ∧ g). Er verneint, so dass Sie wissen: nicht Petra oder nicht Gundula. (De Morgan I)

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Wenn Sie ihm gesagt hätten: „Du bist mit Petra oder mit Gundula liiert.“ Und die Antwort wäre Nein gewesen, so hätten Sie gewusst: Er ist nicht mit Petra und nicht mit Gundula zu-sammen. (De Morgan II) Übung: Weisen Sie die Gültigkeit von Ableitungsregeln mithilfe von Wahrheitswerttafeln nach. Keine Lösung. Wie bei den Wahrheitstafeln werden auch die Ableitungsregeln bei den komplexeren Schlüs-sen interessant, bei denen man die Regeln kombiniert. Wir hatten bei den Wahrheitstafeln die komplexen Schlüsse dadurch aufgelöst, indem wir sie auf die Junktoren zurückgeführt haben, die zwei Sätze miteinander verbinden. Beim Ableitungskalkül muss man nicht unbedingt auf die elementaren Sätze zurückgehen, ein Prinzip ist aber die Auflösung in die Einheiten, die wir bereits wissen können. Wir sehen uns einige Beispiele an und gehen Übungen durch: Beispiel 1: aus (p ∨ q) ∧ r, (p ∨ q) → s soll s abgeleitet werden: 1 (p ∨ q) ∧ r 2 (p ∨ q) → s ∴s Das Konditional (p ∨ q) → s erfordert den Vordersatz (p ∨ q), damit ich s ableiten kann. (p ∨ q) ist in Zeile 1 in der Konjunktion (p ∨ q) ∧ r enthalten. Ich muss p ∨ q aus Zeile 1 heraus-ziehen, damit ich den Vordersatz von (p ∨ q) → s habe. Ich schreibe die Zeile 3: 3 p ∨ q 1, Simplifikation 4 s 2, 3 Modus ponens Die 1 bedeutet, dass ich p ∨ q aus der Zeile 1 bekommen habe; Simplifikation ist die Regel, die ich angewendet habe (Regel 4). Zeile 4 ergibt sich aus den Zeilen 2 und 3, die Ableitungs-regel ist Modus ponens. Um s herzuleiten, genügte es, bis zu p ∨ q aufzulösen, bis zu der Komplexität also, die ich für (p ∨ q) → s brauchte; das waren nicht die elementaren Sätze p

und q. Beispiel 2: Aus ¬(p ∧ ¬q), ¬q soll ¬p abgeleitet werden. 1 ¬(p ∧ ¬q) P1 2 ¬q P2 ∴ ¬p 3 ¬p v q 1, de Morgan 4 ¬p 2, 3 (R 7, Disjunktiver Syllogismus) Es gibt in der Regel verschiedene Möglichkeiten, einen Satz abzuleiten. Dasselbe Ergebnis bekomme ich auch so: 1 ¬(p ∧ ¬q) P1 2 ¬q P2 ∴ ¬p 3 ¬p v q 1, dM 4 p → q 3, 11 Imp. 5 ¬q → ¬p 4 Kontrap. 6 ¬p 2, 5 MP

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Da auch in der Logik in der Kürze die Würze liegt, ist es ein ästhetisches und manchmal auch sportliches Ziel, die kürzestmögliche Ableitung zu finden. Die theoretische Kürze hängt aber auch davon ab, welche Ableitungsregeln man einführt. Übung: Leiten Sie aus q → ¬p, p, ¬q → r die Konklusion r ab. Lösung 1 q → ¬p P1 2 p P2 3 ¬q → r P3 ∴ r 4 p → ¬q 1 Kontraposition 5 ¬q 2, 4 Modus ponens 6 r 3, 6 Modus ponens Übung: Geben Sie bei folgender Ableitung die einzelnen Schritte an: 1 (p ∨ q) → r 2 s → t 3 q ∧ ¬t 4 p ∨ s 5 ¬(v → ¬w) ∴ r ∧ w 6 q 7 q ∨ p 8 p ∨ q 9 r 10 v ∧ w 11 w 12 r ∧ w Lösung 1 (p ∨ q) → r 2 s → t 3 q ∧ ¬t 4 p ∨ s 5 ¬(v → ¬w) ∴ r ∧ w 6 q 3, Simpl. 7 q ∨ p 6, Add. 8 p ∨ q 7, Komm 9 r 1, 8 MP 10 v ∧ w 5, Impl. 11 w 10, Simpl. 12 r ∧ w 9, 11 Konj.

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Der indirekte Beweis Sie kennen aus der Alltagskommunikation Situationen, in denen Ihr Gesprächspartner nicht die Widersprüche sieht, die Sie aus seinen Annahmen herleiten können. Wenn Sie dies hinge-gen können, dann können Sie ggf. die Annahme identifizieren, die für den Widerspruch ver-antwortlich ist. Sehen wir uns ein Beispiel an. Ihre Mutter sagt: „Wenn der Opa ein Glas Bier trinkt, dann ist er beschickert.“ Nun weiß sie nicht, dass auch schon die Enkel am Bier Gefal-len gefunden haben; sie findet im Keller zwei leere Flaschen und nimmt zu Unrecht an: Opa hätte ein Glas Bier getrunken. Sie stellen gemeinsam fest: Opa ist nicht beschickert. Sie kön-nen jetzt den Widerspruch herleiten: Aus: „Wenn der Opa ein Glas Bier trinkt, dann ist er beschickert.“ und „Opa hat ein Glas Bier getrunken.“ folgt: Opa ist beschickert. Sie haben aber gesehen: Er ist nicht beschicket. Beides zusammen ergibt den Widerspruch: Opa ist be-schickert, und Opa ist nicht beschickert. Da der Satz: „Opa hat ein Glas Bier getrunken.“ als Annahme markiert wurde und damit nicht als Prämisse zählt, ist er für den Widerspruch ver-antwortlich. Wir kennzeichnen die Annahmen und die in Abhängigkeit von ihnen abgeleiteten Sätze durch ein Sternchen links. Der Fall wäre also so: 1 Prämisse p → q 2 Prämisse ¬q 3 Annahme * p 4 Folgerung aus 1 & 3 * q 5 Folgerung aus 2 & 4 * ¬q ∧ q 6 Beseitigung der Annahme p ¬p Ein Widerspruch muss nicht aus der Annahme und ihrer Negation bestehen (was aber sein kann), sondern sich ableiten lassen; es gilt also allgemein: P1… Pn Prämissenmenge * B Annahme * … Ableitungsschritte * C ∧ ¬C Widerspruch ¬B Negierte Annahme B kann C sein, muss es aber nicht. Zusammenfassung: Wenn ich aus einer Annahme einen Widerspruch ableiten kann, kann ich die Annahme verneinen. Das basiert darauf, dass inkonsistente Satzmengen falsch sind. Kon-sistenz und Inkonsistenz sind nicht durch das Beinhalten eines Widerspruchs bestimmt, son-dern durch dessen Ableitbarkeit: Formal ist ein Widerspruch ein Satz und seine Negation, z. B. p ∧ ¬p. Wenn ich aber diese Satzmenge habe: {p → q, p, ¬q}, dann taucht dort kein Wi-derspruch auf, man kann aber q ∧ ¬q aus der Satzmenge ableiten. Dass ich gerade die An-nahme verneinen kann, liegt daran, dass die Prämissen beibehalten werden. Vergleichen wir aber folgende zwei Ableitungen:

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1 Prämisse p → q p 2 Prämisse ¬q ¬q 3 Annahme * p * p → q 4 Folgerung aus 1 & 3 * q * q 5 Folgerung aus 2 & 4 * ¬q ∧ q * ¬q ∧ q 6 Beseitigung der Annahme ¬p ¬p → q Die linke haben wir gerade kennengelernt. Die rechte Ableitung läuft vergleichbar mit der linken, hat aber den Unterschied, dass in ihr p als Prämisse vorkommt und p → q die Annah-me ist. Ein Problem in der Anwendung der Logik ist, dass ich durch das Aufkommen eines Widerspruchs nicht weiß, welcher Satz denn dafür verantwortlich ist. In der Wissenschaftsge-schichte folgen auf die Entdeckung eines Widerspruchs die Schulbildungen: Die Anhänger der linken Ableitung glauben an p → q und ¬q und halten p für falsch, die der rechten an p und ¬q und halten p → q für falsch. Es ist äußerst schwierig, Falschheitskriterien für Theorien anzugeben. In der Physik gibt es Messfehler, Abweichungen oder zusätzliche Faktoren. Neh-men Sie beispielsweise das Fallgesetz: v (t) = g·t. Sie bekommen bei einer Messung nicht den exakten Wert von 9,81 m/s/s für die Beschleunigung, aber Ihr Professor wird sagen: „Miss nochmal, Du musst den Reibungswiderstand einbeziehen. Wir befinden uns auf einem Berg und bedenke die Distanz zum Schweremittelpunkt der Erde, die Polabplattung“ et cetera. In der Wissenschaftsgeschichte ‒ Sie befinden sich gerade in ihr ‒ werden oftmals zunächst kraft der Logik die Probleme klarer dargelegt, worauf dann weitere Theoriebildungen einsetzen.

Für Interessierte ein Beispiel aus der Mathematikgeschichte: Bei Euklid in den "Ele-menten" steht das Axiom I, 8: „Der Teil ist kleiner als das Ganze.“ Für ca. 1800 Jahre besaß der Satz Gültigkeit, bis Galilei sich gefragt hat, welche Menge denn mehr Ele-mente hat, die der Natürlichen Zahlen oder die der Quadratzahlen? Im Endlichen ist das keine Schwierigkeit: die Natürlichen Zahlen von 1 bis 10 sind 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, also zehn Zahlen. In dieser Menge befinden sich die Quadratzahlen 4 und 9, al-so gibt es Zahlen, die in N1-10 vorhanden sind, in den Quadratzahlen1-10 aber nicht. Wie ist es aber, wenn ich unendliche Mengen als Ganze, das sogenannte aktual Un-endliche ansehe? Galilei argumentiert sinngemäß: Ich kann zu jeder Zahl die Quad-ratzahl bilden, so dass ich eine 1:1-Zuordnung von Zahl und Quadratzahl habe; also sind es gleichviele. Der Widerspruch von gleichviele und nicht gleichviele wurde von Galilei so gelöst, dass er das Axiom von Euklid aufgegeben und das aktual Unendliche zugelassen hat, wogegen Leibniz am Axiom festhielt und aktual unendliche Mengen ausgeschlossen hat. Es ist eine Geschmacksfrage, wie ich das Problem beende (nicht löse). Aufgrund der wissenschaftshistorischen Brillanz der weiteren Geschichte sei sie hier noch erwähnt: Dedekind hat die beiden Eigenschaften der Zuordnung und der echten Teilmenge miteinander kombiniert und die heute weitgehend etablierte Defini-tion der Unendlichkeit formuliert: Eine Menge ist dann unendlich, wenn die überge-ordnete Menge mit der echten Teilmenge gleichmächtig ist, d. h. dieselbe Anzahl hat.

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Logik der Eigenschaften - Prädikatenlogik Wir haben bisher die logischen Zusammenhänge von Aussagen kennengelernt. Viele Aussa-gen lassen sich aber noch genauer analysieren. Z. B. wurde „Maximilian ist Student.“ als ele-mentarer Satz aufgefasst, man kann ihn aber noch in seine Bestandteile gliedern, d. h. in die Eigenschaft Student und in das Individuum Maximilian. Gleiches gilt für Sätze wie „Alles ist gut.“ „Alle Studenten sind fleißig.“ oder „Kein Student ist handysüchtig.“ oder „Es gibt Stu-denten, die Bier trinken.“

Das logische Quadrat Seit dem 2. Jahrhundert wurde von Logikern, ursprünglich wohl vom Platoniker Apuleius von Madaura, eine graphische Darstellungsweise der Quantitäten und Bejahung und Verneinung verwendet, die bis heute lehrreich ist, das logische Quadrat:

AffIrmo nEgO

Universell A:

Alle A sind B. |

E: Alle A sind

nicht B.

↓ >–< ↓

Existentiell I:

Einige A sind B. ∨

O: Einige A sind

nicht B. Dieses Quadrat ist das Ergebnis großer Scharfsinnigkeit. Es ist folgendermaßen aufgebaut. Zunächst schreibt man in die Felder, in die die Sätze kommen, von links nach rechts die ersten vier Vokale des Alphabets: A, E, I und O. Diese sind links die Vokale des Wortes AffIrmo, lateinisch „Ich bejahe“. Analoges macht man auf der rechten Seite: nEgO bedeutet „Ich ver-neine“. In die obere Zeile der Aussagen kommen die All-Aussagen, in die untere Aussagen, die die Existenz von mindestens einem bedeuten: „Es gibt mindestens einen“. Nun kann man fragen, wie die Verhältnisse dieser Urteile zueinander sind. Schließen sie sich aus? Bedingen sie einander? Man kann zur Beantwortung die Wahrheitswerttafeln der Aussa-genlogik verwenden. Die Verhältnisse sind also wie folgt: Links oben - links unten: Implikation →: Wenn alle A B sind, dann gibt es auch ein A, das B

ist. Das heißt, der Wahrheitswertverlauf von links oben und links unten ist wfww. Rechts oben - rechts unten: Implikation →: Wenn alle A ¬B sind, dann gibt es auch ein A, das

¬B ist. Dies ist also genauso wie bei links oben - links unten, wfww. Links oben - rechts oben: „Alle A sind B“ und „Alle A sind ¬B“ können nicht zusammen

wahr sein, es kann aber einer von beiden wahr oder beide falsch sein. Der Wahrheits-wertverlauf ist f w w w, dem als Zeichen der sogenannte Sheffer-Strich | zugewiesen wird.

Links unten - rechts unten: „Einige A sind B“ oder „Einige A sind nicht B“. Beide können wahr, einer von beiden wahr, aber nicht beide falsch sein, was der Disjunktion mit wwwf entspricht.

Links oben - rechts unten und rechts oben - links unten: Dieses Verhältnis ist eines der wich-tigsten in der Wissenschaftsgeschichte und illustriert die Falsifikation, bzw. den Wi-

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derspruch in der Prädikatenlogik: Der Satz „Alle A sind B“ ist dann falsch, wenn seine Kontradiktion wahr ist: „Es gibt ein A, das ¬B ist.“ Aufgrund der Kommutativität von >–< ist „Es gibt ein A, das ¬B ist“ dann falsch, wenn „Alle A sind B“ wahr ist. Analo-ges gilt für links unten - rechts oben. Möchte ich also die Verneinung einer Aussage kennen, brauche ich nur das diagonale Urteil anzusehen. Der Wahrheitswertverlauf zwischen den diagonalen Aussagen ist fwwf.

Mit der Möglichkeit, die Negationen anhand der Diagonale abzulesen, ist Folgendes vorgege-ben: Um einen Satz zu negieren, schreibe ich das ¬vor den Satz. Wenn man folgende Kontra-diktion hat:

„Alle A sind B“ >–< „Es gibt ein A mit ¬B“

dann ist offenbar „Es gibt ein A mit ¬B“ äquivalent zu ¬„Alle A sind B“. Man kann also jede Aussage durch die Negation der diagonalen Aussage ausdrücken. Aristoteles hat als erster untersucht, welche Quantifikationen und Negationen zu gültigen Schlüssen führen. Er benutzt pro Aussage zwei Begriffe und pro Schluss drei: Unterbegriff A, Mittelbegriff B und Oberbegriff C. Es gibt somit vier Figuren4: 1 B * C

A * B A * C

2 C * B A * B A * C

3 B * C B * A A * C

4 C * B B * A A * C

Betrachten wir die erste Figur: B * C A * B A * C Nun haben wir vier die Urteilsarten a, e, i und o, so dass wir 43 Kombinationen bekommen. Die Frage, welche dieser Kombinationen einen gültigen Schluss ergibt, war die Initialfrage der Geschichte der Logik. Der erste Schluss dieser Geschichte: „Wenn sich nun drei Begriffe so zu einander verhalten, dass der unterste Begriff in dem ganzen mittleren Begriff und der mittlere in dem ganzen oberen Begriff enthalten oder nicht enthalten ist, so muss sich für die beiden äußeren Begriffe ein Schluss ergeben. Mittel-Begriff nenne ich den, welcher sowohl selbst in einem anderen, als in welchem wieder ein anderer enthalten ist und welcher auch bei dem Ansatze der mittlere wird. Äußere Begrif-fe nenne ich aber sowohl den, welcher in einem anderen enthalten ist, wie den, in welchem ein anderer enthalten ist. Denn wenn A von allen B und B von allen C ausgesagt wird, so muss auch A von allen C ausgesagt werden.“ (Aristoteles: Erste Analytik, Buch I, Kapitel iv) Für uns lautet der Schluss so: Alle B sind C. Alle A sind B. Also: Alle A sind C. Vielleicht ist für uns sogar eine andere Anordnung noch üblicher:

4 Aristoteles selbst hat nur drei Figuren entwickelt, ich nenne wegen der Vollständigkeit alle vier.

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Alle A sind B. Alle B sind C. Also: Alle A sind C. Für die Gültigkeit spielt das freilich keine Rolle. Aristoteles untersucht die weiteren Verhältnisse. Ist z. B. Kein B ist C. Alle A sind nicht B. Also: Alle A sind nicht C. ein gültiger Schluss? Der mittelalterliche Logiker Johannes Hispanus († 1277) hat in den Summulae logicales Kunstwörter für die gültigen Schlüsse entwickelt, die auf den Vokalen der Schlussarten basieren. Die üblichen Wörter für die erste Form sind Barbara, Celarent, Darii, Ferio. Barbara (s.o.) a Alle B sind C. a Alle A sind B. a Also: Alle A sind C. Celarent e Alle B sind nicht C. a Alle A sind B. e Also: Alle A sind nicht C. Darii a Alle B sind C. i Einige A sind B. i Also: Einige A sind C. Ferio e Alle B sind nicht C. i Einige A sind B. o Also: Einige A sind nicht C. Zu diesen Wörtern ist zweierlei zu bemerken. 1. Offenbar erfordert das Verhältnis von Mittelbegriff zu Oberbegriff ein universelles Urteil. 2. Wenn in der Konklusion ein universelles Urteil steht, dann gilt auch das Urteil mit einer partikularen Konklusion: Barbara → Barbari, Celarent → Celaront. Barbara → Barbari: a Alle B sind C. a Alle A sind B. a Also: Alle A sind C.

→ a Alle B sind C. a Alle A sind B. i Also: Einige A sind C.

Celarent → Celaront: e Alle B sind nicht C. → e Alle B sind nicht C.

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a Alle A sind B. e Also: Alle A sind nicht C.

a Alle A sind B. o Also: Einige A sind nicht C.

Die Wörter für die weiteren Figuren sind: Figur 2: Camestres, Baroco, Cesare, Festino, Figur 3: Darapti, Felapton, Disamis, Datisi, Bocardo, Ferison; Figur 4: Bamalip, Calemes, Dimatis, Fesapo, Fresison. Diese Art der Logik war aufgrund der Reputation von Aristoteles sehr lange dominant. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Logik jedoch erheblich erweitert und verbessert.

Moderne Prädikatenlogik Die heutige Prädikatenlogik hat für die präzisere Darstellung von Sätzen Zeichen eingeführt, mit denen der bereits vertraute Zeichenvorrat der Aussagenlogik erweitert wird: Für ALLE hat sich das umgedrehte A: ∀ durchgesetzt, für ES GIBT MINDESTENS EIN das gespiegelte E: ∃; man spricht von All- und Existenzquantoren. Individuen werden durch Konstanten wie a, b, c etc. wiedergegeben. Es ist zweckmäßig, die Buchstaben von den Namen der Individuen herzuleiten, also Anton = a. Sind es unbestimmte Individuen, schreiben wir die Individuenvariablen x, y oder z. Alles ist materiell wäre also ∀x Mx, es gibt Materielles ∃x Mx. Sehen wir uns einige Formalisierungen an:

− „Frank schläft.“ Schlafen ist das Prädikat, Frank das Individuum, die Formalisierung ist Sf.

− „Frank schläft nicht.“ Das Negationszeichen wird vor Sf geschrieben: ¬Sf. − „Alles schläft.“ Die Allaussage wird analog formalisiert: ∀x Sx. − „Alles schläft nicht“: ∀x ¬Sx. − „Es gibt jemanden, der schläft.“ In diesem Satz kommt kein Individuum vor, weshalb

wir die Variable x benutzen: ∃x Sx. − „Es gibt jemanden, der nicht schläft“: ∃x ¬Sx. − „Nicht alles schläft.“: ¬∀x Sx. − „Nichts schläft.“: ¬∃x Sx − „Nicht alles schläft nicht.“: ¬∀x ¬Sx − „Es gibt nichts, das nicht schläft.“: ¬∃x ¬Sx

Sie haben erkannt, dass vier Formalisierungen die des logischen Quadrats sind. Die graphische Anordnung wird zur Klarheit beitragen: ∀x Gx Alles ist gut.

Exklusion ∀x ¬Gx Alles ist nicht gut.

Implikation Kontradiktion Implikation ∃x Mx Es gibt Gutes.

Disjunktion ∃x ¬Gx Es gibt etwas, das nicht gut ist.

Wie in der Aussagenlogik, so gibt es auch bei den Quantoren Äquivalenzen. Sie sind die Ne-gationen der diagonal angeordneten Sätze:

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„Alles ist gut.“ ∀x Gx

↔ ↔

„Es gibt nichts, das nicht gut ist.“ ¬∃x ¬Gx

„Es gibt etwas Gutes.“

∃x Gx ↔ ↔

„Nicht alles ist nicht gut.“ ¬∀x ¬Gx

„Alles ist nicht gut.“

∀x ¬Gx ↔ ↔

„Es gibt nichts, das gut ist.“ ¬∃x Gx

„Einige Dinge sind nicht gut.“

∃x ¬Gx ↔ ↔

„Nicht alle Dinge sind gut.“ ¬∀x Gx

Man muss also den Quantor tauschen und ein Negationszeichen vor den neuen Quantor und eins hinter ihn schreiben, um die Äquivalenzen herzustellen:

∀x … ↔ ¬∃x ¬… ∀x ¬… ↔ ¬∃x …

∃x … ↔ ¬∀x ¬… ∃x ¬… ↔ ¬∀x …

Machen wir einige Übungen: Formalisieren Sie folgende Sätze. 1. Alles ist nicht teuer. 2. Es gibt etwas, das nicht teuer ist. 3. Nicht alles ist nicht teuer. 4. Nicht alles ist teuer. 5. Es gibt etwas, das teuer ist. 6. Es gibt nichts, das teuer ist. Welche der sechs Sätze sind äquivalent? Lösung 1. ∀x ¬Tx 2. ∃x ¬Tx 3. ¬∀x ¬Tx 4. ¬∀x Tx. 5. ∃x Tx 6. ¬∃x Tx Äquivalenzen: 1 und 6, 2 und 4, 3 und 5. Das war die einfachste Anwendung des logischen Quadrats; sie bezog sich nur auf ein Prädi-kat. Man kann diese Sätze bereits mit den logischen Funktoren verbinden, die uns aus der Aussagenlogik bekannt sind. Es ist wichtig darauf zu achten, dass die Individuenvariablen eindeutig sind. Die Konjunktion von „Alles ist teuer“ und „Nichts ist gut“ wäre also nicht ∀x Tx ∧ ¬∃x Gx, sondern man verwendet für die zweite Variable einen anderen Buchstaben, zweckmäßigerweise y (und bei dreien z): ∀x Tx ∧ ¬∃y Gy. (In manchen Logikbüchern sieht man auch die Zählung der Variablen x1, x2, … xn, was ab einer höheren Anzahl von Individuenvariablen sinnvoll und irgendwann sogar unumgänglich ist.)

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Historisch war der Weg etwas anders: Aristoteles hat prädikatenlogische Aussagen mit zwei Prädikaten systematisiert. Wie sind die Formalisierungen dieser Sätze? Die logische Struktur des Satzes „Alle Menschen sind sterblich“ ist das Konditional: ∀x (Mx → Sx), lies ausführ-lich: Für alle x gilt, wenn x ein Mensch ist, dann ist x sterblich. Ein Standardfehler ist die Formalisierung: ∀x (Mx ∧ Sx); dies hieße: „Alles ist Mensch und sterblich.“ Existenzaussa-gen „Es gibt Menschen, die sterblich sind“ hingegen werden als Konjunktion formalisiert: ∃x (Mx ∧ Sx). Wie im logischen Quadrat bekommt man vier Kombinationen von Quantoren und Positionen/Negationen: ∀x (Mx → Sx) Alle Menschen sind sterblich. ∃x (Mx ∧ Sx) Es gibt einen sterblichen Menschen. ∀x (Mx → ¬Sx) Alle Menschen sind nicht sterblich. ∃x (Mx ∧ ¬Sx) Es gibt einen Menschen, der nicht sterblich ist. Man kann diese Formalisierungen im Quadrat anordnen: ∀x (Mx → Sx) Alle Menschen sind sterb-lich.

Exklusion ∀x (Mx → ¬Sx) Alle Menschen sind nicht sterblich.

Implikation (vorausgesetzt ∃x Mx)

Kontradiktion Implikation (vorausgesetzt ∃x Mx)

∃x (Mx ∧ Sx) Es gibt einen Menschen, der sterblich ist.

Disjunktion ∃x (Mx ∧ ¬Sx) Es gibt einen Menschen, der nicht sterblich ist.

Wie ist das Verhältnis von Allaussage zu Existenzaussage? In der Syllogistik von Aristoteles war vorausgesetzt, dass die Eigenschaften nicht leer sind; dann folgt aus der Allaussage die Existenzaussage: Wenn alle Menschen Lebewesen sind, dass gibt es Menschen, die Lebewe-sen sind. Korrekterweise würde man in unserer Notation wie folgt formalisieren: ∀x (Mx → Lx) ∧ ∃x (Mx), woraus ∃x (Mx ∧ Lx) ableitbar ist. – Wenn alle Menschen Lebe-wesen sind, und es (mindestens einen) Menschen gibt, dann gibt es (mindestens einen) Men-schen, der ein Lebewesen ist.

Prädikatenlogische Schlüsse Bei der Darstellung der Prädikatenlogischen Schlüsse orientieren wir uns an der Anwendung, nicht an formaler Ausführlichkeit. In der Aussagenlogik hatten die 16 Ableitungsregeln den Vorteil, dass sie wohl die Art des logischen Schließens wiedergeben, die tatsächlich auch in Argumentationen vorkommen. Im Fall der Prädikatenlogik sind Auflistungen von Schlüssen kaum aufzufinden. Die syllogistischen Schlüsse von Aristoteles haben wir kennengelernt. Der wohl am häufigsten genannte Schluss seiner Logik hat folgende Struktur: Alle M sind L. Alle L sind S.

∀x (Mx → Lx) ∀x (Lx → Sx)

Alle Menschen sind Lebewesen. Alle Lebewesen sind sterblich.

Alle A sind S. ∀x (Ax → Sx) Alle Menschen sind sterblich.

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Prädikatenlogische Ableitungen basieren zusätzlich zu den aussagenlogischen Regeln noch auf vier zusätzlichen Ableitungsregeln, von denen wir uns aber nur zwei ansehen: 1. ∀x-Beseitung:

(f vorhanden) ∀x Gx Gf

Ich kann vom Satz: „Alles ist gut“ darauf schließen, dass die einzelnen Dinge gut sind. 2. ∃x-Einführung: Gf

∃x Gx Wenn man ein Individuum mit einer Eigenschaft kennt, kann man auf die Existenz eines Indi-viduums mit der Eigenschaft schließen. Aus „Fortuna Düsseldorf ist gut“ folgt „Es gibt etwas, das gut ist.“ Der bekannteste derartige Schluss der abendländischen Geistesgeschichte dürfte wohl René Descartes Cogito-Argument aus den Meditationen sein. Descartes zweifelt an al-lem, nur dies kann als Form des Denkens nicht in seiner Existenz verneint werden: „Ich den-ke, also bin ich“ kann man als prädikatenlogischen Schluss der Form auffassen (C = cogitat, d = Descartes): Cd ∃x Cx Sehen wir uns einige Beispiele an: Aus den Prämissen 1. „Alle Studenten feiern gerne“ und 2. „Gesa studiert.“ leiten wir ab: „Gesa feiert gerne“ und „Es gibt jemanden, der (die) gerne feiert“ (das Prädikat ist „Gerne Feiern“ = F): 1 Prämisse ∀x (Sx → Fx) 2 Prämisse Sg 3 Z 1, ∀-Beseitigung Sg → Fg 4 Z 2 & 3, Modus Ponens Fg 5 Z 4, ∃-Einführung ∃x Fx Übung: Formalisieren Sie und leiten Sie ab: Andrea ist zuhause. Also kann jemand die Tür aufmachen. Lösung: Es gibt Schlüsse, bei denen Prämissen aufgrund ihrer Selbstverständlichkeit nicht ausgesprochen sind, die aber für den Schluss erforderlich sind. Vorausgesetzt ist hier: Jeder, der zuhause ist, kann die Tür öffnen: ∀x (Zx → Tx). (Solche Sätze heißen Enthymeme, grie-chisch: im Geist, ἐν θυμῷ.) 1 Prämisse Za 2 Prämisse ∀x (Zx → Tx) 3 Z 2, ∀-Beseitigung Za → Ta 4 Z 1 & 3, Modus Ponens Ta 5 Z 4, ∃-Einführung ∃x Tx

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Übung: Für alle Mainzer Studierende gilt, dass sie das Studium generale belegen müssen. An-na muss das Studium generale nicht belegen. Also studiert Anna nicht oder sie ist nicht in Mainz. Lösung: 1 Prämisse ∀x ((Sx ∧ Mx) → Gx) 2 Prämisse, ∴ ¬Sa ν ¬Ma ¬Ga 3 Z 1, ∀-Beseitigung (Sa ∧ Ma) → Ga 4 Z 2, 3, Kontraposition ¬(Sa ∧ Ma) 5 Z 4, De Morgan ¬Sa ν ¬Ma Ein beträchtlicher Teil in Logik-Büchern nimmt die Anwendung und Kombination der jetzt bekannten Ableitungsregeln ein.5 Die genauen Ableitungen zu finden, ist oft mühsam und vermeintlich einfache Schlüsse erweisen sich als recht komplex, wenn man sie korrekt als Anwendungen der einzelnen Schlussregeln darstellt. Die Eleganz von Ableitungen liegt auch in der Kürze, was für Fortgeschrittene das Ziel darstellt: kürzestmögliche Ableitungen. Eine andere und weniger detaillierte Form des logischen Schließens besteht in der Anwen-dung der Regeln innerhalb von Sätzen. In strengen Logikdarstellungen findet man dieses Ver-fahren nicht, weil deren Autoren nur Regelanwendungen zulassen, wenn die Sätze exakt mit den Ableitungsregeln übereinstimmen. Wir gehen hier aber einen etwas legereren Weg: For-mal werden nicht immer alle Sätze so aufgelöst, bis sie mit den Ableitungsregeln überein-stimmen; das Verfahren bleibt aber natürlich korrekt. Sehen wir uns den Satz an: „Alle Stu-dierenden hören Justin Bieber oder Lady Gaga“: ∀x (Sx → (Bx ∨ Gx)) Wann ist dieser Satz falsch? Er ist dann falsch, wenn seine Negation wahr ist: ¬∀x (Sx → (Bx ∨ Gx)) Sind wir aber mit dieser Antwort zufrieden? „Alle Studierenden hören Justin Bieber oder Lady Gaga“ ist dann falsch, wenn gilt: „Es ist nicht der Fall, dass alle Studierenden Justin Bieber oder La-dy Gaga hören.“ Wir können wie folgt überlegen: Mit der Quantorenkonversion wird „Alle Studierenden hören…“ zu „Es gibt einen, der nicht hört“. Er hört also nicht (Bieber oder Ga-ga). Mit de Morgan können wir umformulieren: nicht Bieber und nicht Gaga, bzw. umgangs-sprachlich: Er hört weder JB noch Gaga: 1 Prämisse ¬∀x (Sx → (Bx ∨ Gx)) 2 Quantorenkonversion ∃x ¬(Sx → (Bx ∨ Gx)) 3 Z, 2, Regel 11, Implikation ∃x ¬(¬Sx ∨ (Bx ∨ Gx)) 4 Z. 3, de Morgan ∃x (Sx ∧ ¬(Bx ∨ Gx)) 5 Z. 4. de Morgan ∃x (Sx ∧ (¬Bx ∧ ¬Gx)) Nochmal die Frage: Wann ist „Alle Studierenden hören Justin Bieber oder Lady Gaga“ falsch? Alle fünf Sätze der Tabelle geben darauf eine Antwort. Wann ich aber mit Umfor-mungen oder Ableitungen aufhöre, ist mal wieder eine Geschmacksfrage, die am ehesten über die Übereinstimmung der Formalismen mit der Intuition, bzw. mit dem normalen Sprachge-brauch entschieden wird. 5 Für diese Art der Logik möchte ich auf das Standardwerk von Williard Van Orman Quine verweisen.

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Mehrere Quantoren und Relationentheorie Bisher kamen nur prädikatenlogische Schlüsse mit einem Quantor vor, ein Satz kann aber auch mehrere Quantoren beinhalten, z. B.: „Alle Studierenden sind fleißig, aber es gibt träge Professoren.“ Dieser Satz ist eine Konjunktion, bei der jeder der Teilsätze eine quantitative Aussage besitzt: ∀x (Sx → Fx) ∧ ∃y (Px ∧ Tx)

Oder: Wenn alle Landstraßen glatt sind, dann gibt es Unfälle: ∀x (Lx → Gx) → ∃y (Uy) Die Verwendung von mehreren Quantoren wird dann aufschlussreich, wenn man sogenannte mehrstellige Relationen verwendet. Sehr lange war in der Geschichte der Logik nicht klar, wie ein Schluss wie: „Peter ist Bruder von Anna, also gibt es jemanden, der Bruder von Anna ist“ funktioniert. Muss „Bruder von Anna“ als zusammengesetzte Eigenschaft gesehen werden? Um die moderne Haltung besser zu verstehen, sei dargestellt, wann im einfacheren bisherigen Fall ein Satz wahr oder falsch ist. Man fasst Eigenschaften als Mengen auf. Mengen kann man nun dadurch charakterisieren, dass man die Eigenschaft angibt, die die Elemente erfüllen müs-sen, z. B. für alle x, für die gilt, x ist eine natürlich Zahl, x studiert, x ist ein Tisch etc; solche Mengen heißen intensional. Das Gegenstück dazu ist die extensionale Menge, bei der man die Elemente aufzählt: {1, 2, 3, 4, …}, {Student1, Student2, Student3, Student4, …} etc. Ein Satz wie „Petra studiert“ ist für Logiker dann wahr, wenn Petra Element der Menge der Studieren-den ist. In Bezug auf die Wahrheit quantifizierter Sätze gilt:

„Ein Satz mit einem Allquantor ist wahr oder falsch je nachdem, ob diese Extension den ganzen Bereich ausschöpft; ein Satz mit einem Existenzquantor ist falsch oder wahr je nachdem, ob diese Extension leer ist oder nicht.“ (Quine, Logik, S. 132)

Wie verhält es sich aber bei „Peter ist Bruder von Anna“? Wegen der zwei offenen Stellen spricht man auch von einer zweistelligen Relation. Vielleicht kennen Sie noch aus der Schule sogenannte geordnete Paare. Man fasst zwei Elemente zu einem Paar zusammen, und dieses Paar wird dann zum Element einer Menge. „Peter ist Bruder von Anna“ ist dann wahr, wenn das geordnete Paar (Peter, Anna) Element der Menge (ist Bruder von) ist. Solche Eigenschaf-ten werden wie die einstelligen Relationen formalisiert, nur dass man statt eines Individuums zwei notiert. Einige weitere Beispiele: – Paar (2, 1), Eigenschaft „ist Nachfolger von“: N21. – Paar (Berlin, Deutschland), Eigenschaft „ist Hauptstadt von“: Hbd. – Paar (Düsseldorf, Köln), Eigenschaft „ist schöner als“: Sdk. – Paar (Barack Obama, Michelle Obama), Eigenschaft „ist Ehemann von“: Ebm Ebenfalls wie bisher gelten die Ableitungsregeln: Aus Hbd, „Berlin ist Hauptstadt von Deutschland“ folgt, dass es ein x gibt, das Hauptstadt von Deutschland ist: ∃xHxd. Analoges gilt für Deutschland: Es gibt ein Land, von dem Berlin die Hauptstadt ist: ∃xHbx. Und es gibt ein x, das von etwas die Hauptstadt ist: ∃x ∃y Hxy. Übung 1 Formalisieren „Jede Mutter hat ein Kind.“ 2 Jedes Kind hat eine Mutter. Lösung 1 ∀x ∃y (Mx → Hxy) (H steht für Kinder Haben.) 2 ∀x ∃y (Kx → Mxy) (M steht für Mutter Haben.)

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Man kann Eigenschaften auch wie zuvor mit Quantoren kombinieren, was zu vier Möglich-keiten führt: ∀x∀y, ∀x∃y, ∃y∀x, ∃x∃y. Betrachten wir genauer, was diese Kombinationen genau besagen. Die Eigenschaft ist „x mag y“:

∀x ∀y Mxy Jeder mag jeden. Man kann zur Verdeutlichung der Unterschiede diese Zusammenhänge auch in Matrizen visualisieren; wie beim Cartesischen Koordinatensystem ist die horizontale Achse die x-Achse, die vertikale die y-Achse:

Alle Felder sind ausgefüllt. ∀x ∃y Mxy: Alle mögen jemanden.

Von den Werten der x-Achse ist jedem ein y-Wert zugeordnet; keine Spalte ist unbelegt. Kei-ner mag d. ∃y ∀x Mxy: Es gibt einen, den alle mögen.

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Erneut ist keine Spalte leer, aber die Werte befinden sich alle in der selben Zeile. Das heißt, dass es einen Unterschied gibt, wie ich die Quantoren anordne: ∀x∃y Mxy ≠ ∃y ∀x Mxy Und schließlich ∃x∃y Mxy:

Welche Kombinationen kommutativ sind, und welche nicht, ist eine für die argumentatorische Praxis relevante Einsicht. Gleiche Quantoren kommutieren, ungleiche nicht: ∀x ∀y Mxy = ∀y ∀x Mxy ∃x ∃y Mxy = ∃y ∃x Mxy ∀x ∃y Mxy ≠ ∃y ∀x Mxy ∃x ∀y Mxy ≠ ∀y ∃x Mxy Hinsichtlich der letzten Zeile gilt jedoch die Implikation: ∃x ∀y Mxy → ∀y ∃x Mxy Bei allen Beispielen lag der Umstand vor, dass zwei Variablen vorkamen. Wie ist aber der Fall bei Selbstbezügen? (Denken Sie an Politiker.) Alle mögen sich selbst: ∀x Mxx

In universitären Veranstaltungen gibt es immer wieder Leute, die sich gerne reden hören und sich selbst mögen: ∃x Mxx:

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In einem Logiksystem, das über zweistellige Relationen verfügt, gelten weiterhin die Gesetze der Aussagenlogik und der Logik der einstelligen Relationen (oder Eigenschaften). Sollten diese Gesetze für Sie bereits zu Intuitionen geworden sein, dann fallen Ihnen folgende Bei-spiele nicht schwer: Für alle Geschwister gilt, dass sie dem anderen helfen. Peter ist Geschwister von Anna. Also hilft er ihr: 1 2 3 4

∀x ∀y (Gxy → Hxy) Gpa Gpa → Hpa Hpa

Prämisse Prämisse 1,2 ∀-Eliminierung 2,3 Modus ponens

Oder: Wenn Peter lieb war, dann hilft Anna ihm. Sie hilft ihm nicht, also war er nicht lieb. 1 2 3

Lp → Hap ¬Hap____ ¬Lp

Prämisse Prämisse 1,2 Modus ponens

Bei diesem Beispiel liegt eine Kombination von einstelliger und zweistelliger Relation vor, auf die der Modus ponens angewendet wird. Selbstverständlich können sämtliche der aussa-genlogischen Ableitungsregeln auf prädikatenlogischen Sätze angewendet werden.

Schlussbemerkung Wir haben die Aussagenlogik und Elemente der Prädikatenlogik kennengelernt. Bei letzterer mögen Sie einen Eindruck davon bekommen haben, worum es geht und wie sich prädikaten-logische Schlüsse begründen lassen. Die Komplexität der Eigenschaften war auf zwei Individuenstellen begrenzt, es dürfte Sie aber nicht verwundern, dass Relationen prinzipiell n-stellig sind. Bei „x ist mittlerer Bruder von y und z“ haben Sie drei Individuen, wie auch bei „x liegt zwischen y und z“, „Köln liegt zwischen Düsseldorf und Bonn“. Im Grunde geht es dann um die Kombination der Ableitungsregeln und der Prinzipien der Prädikatenlogik. Die entsprechenden Ableitungen sind nicht immer einfach, selbst wenn sie scheinbar einfache logische Sachverhalte darlegen. Solche Ableitungen sind Gegenstand vieler ausführlicherer Lehrbücher der Logik [z. B. Quine (anspruchsvolles Standardwerk), Beckermann, Bucher, R. Thomasson, Ebinghaus (schwer) etc.]. Mittlerweile finden Sie auch im Internet viel weiterfüh-rende Literatur, die aber nur selten so gut strukturiert wie ein mehrfach überarbeitet und pra-xiserprobtes Lehrbuch ist. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Erweiterungen der Logik, deren häufigste und bekannteste wohl die probabilistische und die Modallogik sind. Die probabilistische Logik behandelt Wahrscheinlichkeitssätze à la „Ich würfele eine 6.“ Solche Sätze haben dann nicht die Wahr-heitswerte w oder f, sondern in diesem Fall 1/6. Die Modallogik kennt die Erweiterungen um die Funktoren Möglich und Notwendig. In ethischer Anwendung werden die Funktoren dann interpretiert als geboten, verboten, erlaubt oder unterlassbar; es gibt viele interessante Anwen-dungen.

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Ich hatte oben das Buch von Frank Jackson: Conditionals, erwähnt. Extrem interessant ist auch eine Beleuchtung von sogenannten counterfactuals, deutsch: irrealen Konditionalsätzen. Wenn ich beispielsweise den Satz äußere: "Wenn ich im Lotto gewinnen würde, dann würde ich zu jedem Konzert von Lady Gaga gehen." und diesen für falsch halte, dann besagt unser Logiksystem, dass die Falschheit des Satzes die Wahrheit von "Ich würde im Lotto gewinnen" und die Falschheit von "Ich würde zu jedem Konzert von Lady Gaga gehen." vorliegt. ??? Wie bewertet man aber Falschheit und Wahrheit von irrealen Sätzen? Diesem Thema widmet sich Nelson Goodman in einem Beitrag in dem Sammelband von Jackson. Das Fazit ist: Wir wissen es nicht, obwohl counterfactuals sowohl in der Umgangssprache als auch in den Wis-senschaften allenthalben vorkommen. Wenn Sie noch weiter in die Logik einsteigen möchten, müssen Sie wohl Kurse bei den Logi-kern der Mathematik oder denen der Philosophie besuchen. Ich glaube nicht, dass man ohne Lehrer weit kommt oder ohne ihn die Logik fehlerfrei lernen kann; wenn Sie aber bis hierhin durchgehalten haben, verfügen Sie über einen soliden Grundstock. Mathematiker sind in der Regel in Formalismen kompetenter (und anwendungsfreudiger) und metaphysisch neutraler als Philosophen. Als Wahrheitswerte finden Sie in mathematischer Literatur eher 0 und 1 als w und f, was den Vorteil hat, dass sie sich nicht mit Fragen nach Wahrheit und Falschheit ‚rumärgern‘ müssen, mit den Fragen also, die eher zum philosophi-schen Interesse zählen. Ferner sind selbst in dem formalisierten Bereich der Logik die didakti-schen Zugänge doch erstaunlich unterschiedlich. Welcher am besten zu Ihnen passt, lässt sich nicht im Vorhinein beantworten.

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Übersicht über die verwendeten logischen Zeichen

¬ Negation - nicht… ∨ Disjunktion - … oder … ∧ Konjunktion - … und … → Konditional - wenn …, dann… ↔ Bikonditional - genau dann … wenn … >–< Exklusion - entweder ... oder … ∴ … ist ableitbar ∀x Allquantor - für alle x. ∃x Existenzquantor - es gibt (mindestens) ein x.

Ableitungsregeln (äquivalente Regeln sind kursiv)

1. Modus ponens p → q p Q 2. Modus tollens p → q ¬q ¬p 3. Kontraposition p → q ¬q → ¬p 4. Simplifikation p ∧ q p 5. Konjunktion p q

p ∧ q 6. Kommutation p ∧ q und bei

oder: p ∨ q

q ∧ p q ∨ p 7. Disjunktiver Syllogismus p ∨ q ¬p q 8. Addition p p ∨ q 9. Hypothetischer Syllogismus p → q q → r p → r

10. Doppelte Negation ¬¬p p 11. Implikation p → q oder ¬(p → q)

¬p ∨ q (p ∧ ¬q) 12. Distribution p ∧ (q ∨ r)

(p ∧ q) ∨ (p ∧ r) 13. Äquivalenz p ↔ q oder als Disjunktion

von Konjunktionen: p ↔ q

(p → q) ∧ (q → p)

(p ∧ q) ∨ (¬p ∧ ¬q)

14. Kontradiktion p >–< q

bzw.: p >–< q

(p → ¬q) ∧ (¬p → q) (q → ¬p) ∧ (¬q → p)

15. De Morgan I ¬(p ∧ q) oder

umgekehrt: (¬p ∨ ¬q)

(¬p ∨ ¬q) ¬(p ∧ q) 16. De Morgan II ¬(p ∨ q) und bei oder: (¬p ∧ ¬q)

(¬p ∧ ¬q) ¬(p ∨ q) Prädikatenlogik 17. ∀-Elimination (∀x) Px Pa

18. ∃-Einführung Pa (∃x) Px