macbeth underworld

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er in seinen Opern immer mit einem Fuß in der alten und mit dem anderen in unserer Zeit zu stehen. Das Wann der Handlung seiner Figuren ist durch diesen Spagat nicht festlegt. Die Zeit ist, wie es im »Ham- let« heißt, aus den Angeln gehoben, in »Macbeth Underworld« ganz und gar, hier herrscht die immerwährende Nacht. Die Nacht ist ständig anwesend und dennoch kann niemand mehr schlafen. Macbeth hat den Schlaf gemordet, und es gibt kein Entrinnen aus diesem Alptraum. Er hat aus Angst gemordet und wird weiterhin aus Angst morden. Aber es wäre kein Nachdenken über die Menschheitsgeschichte, wenn es nicht ne- ben Mord und Machtgier auch Zärtlichkeit, Sinnlichkeit, Humor und Liebe gäbe. Auch wenn die Lady kein Gewissen hat, sie liebt ihren Mann und auch Macbeth, der Mör- der, zeigt sich gegenüber seiner Frau voll Zärtlichkeit. Es ist ein Klassiker, Mordtaten aus Liebe zu einem anderen Menschen. Shakespeare kannte sich eben aus. Aber bei diesem Paar hat die Lady die Ho- sen an, sie ist der Mann in der Beziehung. Ein Paar mit einem sexuellen Trauma, das wahrscheinlich kinderlos blieb oder dessen Kinder – wie auch immer – gestorben sind. Am Ende öffnet sich das Tor zur Hölle. Macbeth hofft, dass der Tod das Ende be- deutet, das Ende seiner Bluttaten, das Ende seiner Nacht. Aber die Toten halten sich nicht mehr daran, wie dereinst, auf dem Schlachtfeld gemordet, einfach tot zu sein, sie kehren wieder, sie stehen auf. Macbeth wird klar, dass der Tod nichts ändert. Die Schuld bleibt und er kann nichts anderes als morden. MACBETH UNDERWORLD Oper in acht Kapiteln Libretto von Frédéric Boyer nach »Macbeth« von William Shakespeare Musik von Pascal Dusapin BESETZUNG Lady Macbeth Dshamilja Kaiser Macbeth Peter Schöne Weird Sister 1 Maria Carla Pino Cury Weird Sister 2 Valda Wilson Weird Sister 3 Carmen Seibel/Melissa Zgouridi* Child Bettina Maria Bauer/Marie Smolka* Ghost Hiroshi Matsui Porter Algirdas Drevinskas *Mehrfachbesetzungen in alphabetischer Reihenfolge Das Saarländische Staatsorchester Damen des Opernchores des Saarländischen Staatstheaters Statisterie des Saarländischen Staatstheaters Mit freundlicher Unterstützung durch die Freunde des Saarländischen Staatstheaters e.V. Musikalische Leitung Justus Thorau Inszenierung Lorenzo Fioroni Bühnenbild Paul Zoller Kostüme Katharina Gault Licht Karl Wiedemann Einstudierung Chor Jaume Miranda Dramaturgie Renate Liedtke Bühnenrechte: Dusapin MACBETH UNDERWORLD. Verlagsrechte Editions Salabert Paris, vertreten durch G. Ricordi & Co., Bühnen- und Musikverlag GmbH, Berlin. Technischer Direktor Ralf Heid Künstlerische Leitung Beleuchtung Karl Wiedemann Organisatorische Leitung Beleuchtung Daniel Müller Leiter Tonabteilung Walter Maurer Leitung der Requisite Andrea Gießelmann Bühneninspektoren Christoph Frank, Philipp Sonnemann Technische Produktionsleitung Nicole Martini Technische Einrichtung und Theatermeister Christian Fischer Ton Andreas Fuchs, Birgit Kessler, Josef Gregori Requisite Gabriela Stein, Ina Reichert Leitung der Werkstätten Nadine Breit Leitung Dekorationsabteilung Christoph Foss Malsaalvorstand Alexandra Hein Leitung Schlosserei Fabian Koppey Leitung Schreinerei Armin Jost Kostümdirektor Markus Maas Gewandmeisterinnen Christiane Hepp, Bettina Kummrow, Martina Lauer, Kerrin Kabbe Ankleider*innen Nicole Buchheit, Larissa Maurer, Mira Schmidt, Christine Sesselmann, Kaja Vanden Berg, Volker Fischbach, Silke Weiland Kostümbearbeitung Mira Schmidt Hutmacherei Sabrina Neukirch Schuhmacher Thomas Seibold Chef- maskenbildnerin Birgit Blume Maske Pina Böhler, Susanne Schunck Leiter Statisterie Andreas Klußmann Kostümassistenz Sina Puffay Bühnenbildassistenz Faveola Kett Übertitelinspizienz Andrej Meschwelischwili Übersetzung der Übertitel ins Französi- sche Bettina Hanstein Wir machen darauf aufmerksam, dass in dieser Produktion Stroboskop-Effekte (Lichtblitze) zum Einsatz kommen. Unter Umständen können diese bei entsprechender Veranlagung für Epileptiker gefährdend sein. Was den historischen Macbeth (wahr- scheinlich 1005 geboren) betrifft, so weiß man nicht, ob man ihn ob seines Wer- degangs zu einem Mythos beklagen soll oder nicht. Was immer er in seinem Leben tat – auch er ist wie die meisten Könige vor ihm nur über blutige Wege an die Herrschaft gekommen – so galt Macbeth doch als ein Mann, der Ruhe ins Land brin- gen wollte, der sich für das Wohl seiner Untertanen einsetzte und der um die Si- cherung der Grenzen Schottlands bemüht war. Dank Raphael Holinsheds Chronik von England, Schottland und Irland, und Shakespeares Drama, der diese Chronik u.a. als Vorlage nutzte, wurde Macbeth jedoch zum Sinnbild des blutrünstigen Tyrannen. Die Mystifizierung, die Macbeth und seine Lady ausgehend von Shakespe- ares »Tragedy of Macbeth« (wahrschein- lich 1606 uraufgeführt) in Literatur und Musik durchmachten, lassen sie uns auch heute noch als ein Beispiel für unstillbares Verlangen nach Macht und Gewalt er- scheinen. Vielleicht auch deshalb, weil der Mensch dieses Gewaltpotential nach wie vor in sich trägt und es bis in die heutige Zeit nicht abzustreifen vermochte. Kein Lebewesen sonst auf dieser Erde ist zu einer derartigen Zerstörungswut in der Lage wie der Mensch. Kein Lebewesen zerstört selbst das, was es nährt, so ge- dankenlos – und damit sich selbst – wie der Mensch. Kein Lebewesen ist gegen- über seiner eigenen Art so grausam wie der Mensch. Gewalt erzeugt ein Gefühl von Macht und Unverwundbarkeit. Macbeth will Macht, Allmacht, und das Versprechen der Hexen, scheinbar un- verwundbar zu sein, gibt ihm das Gefühl, den Tod überlisten zu können. Macbeth schützt sich vor dem Tod, indem er tötet. Pascal Dusapin und sein Librettist Frédéric Boyer haben das Paar Macbeth und seine Lady dazu verflucht, ihre Geschichte, die Geschichte von Mord und Machtgier, seit sie auf Shakespeares Bühne kam, in der Unterwelt wieder und wieder zu erleben bzw. zu spielen. Es ist eine Art Murmel- tiertag, Unsterblichkeit als Marter, ein immerwährender Alptraum vor der Pforte der Hölle, vor der sich inzwischen in unse- rem Bühnenbild der ganze Seelenmüll der Menschheitsgeschichte angesammelt hat. Der Fluch der Schlaflosigkeit als Strafe. In der Geschichte der Menschheit, seit Kain aus Neid seinen Bruder Abel erschlug, sind die Morde aus Neid und Machtgier scheinbar nicht auszurotten. Nichts hat sich geändert in der Welt. Und so ist der Pförtner vor dem Höllentor auch der Hüter unserer Hölle und unseres Gewissens. Ist die Menschheitsgeschichte wirklich ein einziges Verbrechen, wie Jean Baudrillard es formulierte, und hatte Shakespeare über Alternativen nachgedacht? Nein. Helmut Schäfer erklärt im Gespräch mit Frank M. Raddatz (Philosophisches Theater, Lettre Winter 2020), warum Shakespeare gerade darum noch von Interesse ist: »Weil ihm jede Illusion fremd ist und er mit kaum zu übertreffender Nüchternheit in großen Metaphern ein Bild vom Menschen nachzeichnet, das vollkommen frei ist von Utopien, von Gedanken, wie es besser sein könnte. Sein nüchterner Blick auf die pure Realität des Menschen lässt ihn dessen un- terschiedlichste Formen und Wandlungen entfalten, bis zu seinem Verfall ...« Die Werke Shakespeares entlassen uns so mit einem ganzen Sack voll Fragen. Und auch wenn wir diese nicht zur Gänze beantworten können, die Tatsache, dass diese Fragen beunruhigen, ist viel wert. Und ohne die ganz wichtige Frage, die nach dem Zustand des Menschen in seiner Zeit, ist Theater nun einmal nicht denkbar. Wir wissen, dass der Mensch kein von Natur aus böses Wesen ist, sondern vor allem ein in seinem Denken freies. Nutzen wir das Denken zum Nachdenken und zum Erkenntnisgewinn. Dusapin sagt, dass wir in einer Oper über das singen, was uns alle beunruhigt. Da spiegelt sich seine Sorge um unsere Zeit wider. Lassen wir uns beunruhigen. Die Geschichte in »Macbeth« ist undurchsichtig wie ein Alptraum, in dem alle versinken … Man watet durch einen Alptraum, der bis an die Kehle steigt … Die ganze Welt ist in Blut getaucht. Jan Kott Dusapin wählt für seine Opern immer Texte aus der Antike oder Mythologie. So scheint MACBETH – EINE GESCHICHTE VON MACHTGIER, MORD UND LIEBE oben und Titelbild: Peter Schöne SST_Programmheft_2021_Macbeth Underworld_RZ.indd 10 SST_Programmheft_2021_Macbeth Underworld_RZ.indd 10 09.04.21 12:22 09.04.21 12:22

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Page 1: MACBETH UNDERWORLD

er in seinen Opern immer mit einem Fuß in der alten und mit dem anderen in unserer Zeit zu stehen. Das Wann der Handlung seiner Figuren ist durch diesen Spagat nicht festlegt. Die Zeit ist, wie es im »Ham-let« heißt, aus den Angeln gehoben, in »Macbeth Underworld« ganz und gar, hier herrscht die immerwährende Nacht. Die Nacht ist ständig anwesend und dennoch kann niemand mehr schlafen. Macbeth hat den Schlaf gemordet, und es gibt kein Entrinnen aus diesem Alptraum. Er hat aus Angst gemordet und wird weiterhin aus Angst morden.Aber es wäre kein Nachdenken über die Menschheitsgeschichte, wenn es nicht ne-ben Mord und Machtgier auch Zärtlichkeit, Sinnlichkeit, Humor und Liebe gäbe. Auch wenn die Lady kein Gewissen hat, sie liebt ihren Mann und auch Macbeth, der Mör-der, zeigt sich gegenüber seiner Frau voll Zärtlichkeit. Es ist ein Klassiker, Mordtaten aus Liebe zu einem anderen Menschen. Shakespeare kannte sich eben aus. Aber bei diesem Paar hat die Lady die Ho-sen an, sie ist der Mann in der Beziehung. Ein Paar mit einem sexuellen Trauma, das

wahrscheinlich kinderlos blieb oder dessen Kinder – wie auch immer – gestorben sind.Am Ende öffnet sich das Tor zur Hölle. Macbeth hofft, dass der Tod das Ende be-deutet, das Ende seiner Bluttaten, das Ende seiner Nacht. Aber die Toten halten sich nicht mehr daran, wie dereinst, auf dem Schlachtfeld gemordet, einfach tot zu sein, sie kehren wieder, sie stehen auf. Macbeth wird klar, dass der Tod nichts ändert. Die Schuld bleibt und er kann nichts anderes als morden.

MACBETH UNDERWORLDOper in acht Kapiteln

Libretto von Frédéric Boyer nach »Macbeth« von William ShakespeareMusik von Pascal Dusapin

BESETZUNG

Lady Macbeth Dshamilja Kaiser Macbeth Peter Schöne Weird Sister 1 Maria Carla Pino Cury Weird Sister 2 Valda Wilson Weird Sister 3 Carmen Seibel/Melissa Zgouridi*Child Bettina Maria Bauer/Marie Smolka*Ghost Hiroshi Matsui Porter Algirdas Drevinskas *Mehrfachbesetzungen in alphabetischer Reihenfolge

Das Saarländische StaatsorchesterDamen des Opernchores des Saarländischen StaatstheatersStatisterie des Saarländischen Staatstheaters

Mit freundlicher Unterstützung durch die Freunde des Saarländischen Staatstheaters e.V.

Musikalische Leitung Justus Thorau Inszenierung Lorenzo Fioroni Bühnenbild Paul Zoller Kostüme Katharina GaultLicht Karl WiedemannEinstudierung Chor Jaume Miranda Dramaturgie Renate Liedtke

Bühnenrechte: Dusapin MACBETH UNDERWORLD. Verlagsrechte Editions Salabert Paris, vertreten durch G. Ricordi & Co., Bühnen- und Musikverlag GmbH, Berlin.

Technischer Direktor Ralf Heid Künstlerische Leitung Beleuchtung Karl Wiedemann Organisatorische Leitung Beleuchtung Daniel Müller Leiter Tonabteilung Walter Maurer Leitung der Requisite Andrea Gießelmann Bühneninspektoren Christoph Frank, Philipp Sonnemann Technische Produktionsleitung Nicole Martini Technische Einrichtung und Theatermeister Christian Fischer Ton Andreas Fuchs, Birgit Kessler, Josef Gregori Requisite Gabriela Stein, Ina Reichert Leitung der Werkstätten Nadine Breit Leitung Dekorationsabteilung Christoph Foss Malsaalvorstand Alexandra Hein Leitung Schlosserei Fabian Koppey Leitung Schreinerei Armin Jost Kostümdirektor Markus Maas Gewandmeisterinnen Christiane Hepp, Bettina Kummrow, Martina Lauer, Kerrin Kabbe Ankleider*innen Nicole Buchheit, Larissa Maurer, Mira Schmidt, Christine Sesselmann, Kaja Vanden Berg, Volker Fischbach, Silke Weiland Kostümbearbeitung Mira Schmidt Hutmacherei Sabrina Neukirch Schuhmacher Thomas Seibold Chef-maskenbildnerin Birgit Blume Maske Pina Böhler, Susanne Schunck Leiter Statisterie Andreas Klußmann Kostümassistenz Sina Puffay Bühnenbildassistenz Faveola Kett Übertitelinspizienz Andrej Meschwelischwili Übersetzung der Übertitel ins Französi-sche Bettina Hanstein

Wir machen darauf aufmerksam, dass in dieser Produktion Stroboskop-Effekte (Lichtblitze) zum Einsatz kommen. Unter Umständen können diese bei entsprechender Veranlagung für Epileptiker gefährdend sein.

Was den historischen Macbeth (wahr-scheinlich 1005 geboren) betrifft, so weiß man nicht, ob man ihn ob seines Wer-degangs zu einem Mythos beklagen soll oder nicht. Was immer er in seinem Leben tat – auch er ist wie die meisten Könige vor ihm nur über blutige Wege an die Herrschaft gekommen – so galt Macbeth doch als ein Mann, der Ruhe ins Land brin-gen wollte, der sich für das Wohl seiner Untertanen einsetzte und der um die Si-cherung der Grenzen Schottlands bemüht war. Dank Raphael Holinsheds Chronik von England, Schottland und Irland, und Shakespeares Drama, der diese Chronik u.a. als Vorlage nutzte, wurde Macbeth jedoch zum Sinnbild des blutrünstigen Tyrannen. Die Mystifizierung, die Macbeth und seine Lady ausgehend von Shakespe-ares »Tragedy of Macbeth« (wahrschein-lich 1606 uraufgeführt) in Literatur und Musik durchmachten, lassen sie uns auch heute noch als ein Beispiel für unstillbares Verlangen nach Macht und Gewalt er-scheinen. Vielleicht auch deshalb, weil der Mensch dieses Gewaltpotential nach wie vor in sich trägt und es bis in die heutige

Zeit nicht abzustreifen vermochte. Kein Lebewesen sonst auf dieser Erde ist zu einer derartigen Zerstörungswut in der Lage wie der Mensch. Kein Lebewesen zerstört selbst das, was es nährt, so ge-dankenlos – und damit sich selbst – wie der Mensch. Kein Lebewesen ist gegen-über seiner eigenen Art so grausam wie der Mensch. Gewalt erzeugt ein Gefühl von Macht und Unverwundbarkeit. Macbeth will Macht, Allmacht, und das Versprechen der Hexen, scheinbar un-verwundbar zu sein, gibt ihm das Gefühl, den Tod überlisten zu können. Macbeth schützt sich vor dem Tod, indem er tötet. Pascal Dusapin und sein Librettist Frédéric Boyer haben das Paar Macbeth und seine Lady dazu verflucht, ihre Geschichte, die Geschichte von Mord und Machtgier, seit sie auf Shakespeares Bühne kam, in der Unterwelt wieder und wieder zu erleben bzw. zu spielen. Es ist eine Art Murmel-tiertag, Unsterblichkeit als Marter, ein immerwährender Alptraum vor der Pforte der Hölle, vor der sich inzwischen in unse-rem Bühnenbild der ganze Seelenmüll der

Menschheitsgeschichte angesammelt hat. Der Fluch der Schlaflosigkeit als Strafe.In der Geschichte der Menschheit, seit Kain aus Neid seinen Bruder Abel erschlug, sind die Morde aus Neid und Machtgier scheinbar nicht auszurotten. Nichts hat sich geändert in der Welt. Und so ist der Pförtner vor dem Höllentor auch der Hüter unserer Hölle und unseres Gewissens. Ist die Menschheitsgeschichte wirklich ein einziges Verbrechen, wie Jean Baudrillard es formulierte, und hatte Shakespeare über Alternativen nachgedacht? Nein. Helmut Schäfer erklärt im Gespräch mit Frank M. Raddatz (Philosophisches Theater, Lettre Winter 2020), warum Shakespeare gerade darum noch von Interesse ist: »Weil ihm jede Illusion fremd ist und er mit kaum zu übertreffender Nüchternheit in großen Metaphern ein Bild vom Menschen nachzeichnet, das vollkommen frei ist von Utopien, von Gedanken, wie es besser sein könnte. Sein nüchterner Blick auf die pure Realität des Menschen lässt ihn dessen un-terschiedlichste Formen und Wandlungen entfalten, bis zu seinem Verfall ...« Die Werke Shakespeares entlassen uns so

mit einem ganzen Sack voll Fragen. Und auch wenn wir diese nicht zur Gänze beantworten können, die Tatsache, dass diese Fragen beunruhigen, ist viel wert. Und ohne die ganz wichtige Frage, die nach dem Zustand des Menschen in seiner Zeit, ist Theater nun einmal nicht denkbar. Wir wissen, dass der Mensch kein von Natur aus böses Wesen ist, sondern vor allem ein in seinem Denken freies. Nutzen wir das Denken zum Nachdenken und zum Erkenntnisgewinn. Dusapin sagt, dass wir in einer Oper über das singen, was uns alle beunruhigt. Da spiegelt sich seine Sorge um unsere Zeit wider. Lassen wir uns beunruhigen.

Die Geschichte in »Macbeth« ist undurchsichtig wie ein Alptraum,

in dem alle versinken … Man watet durch einen Alptraum,

der bis an die Kehle steigt … Die ganze Welt ist in Blut getaucht.

Jan Kott

Dusapin wählt für seine Opern immer Texte aus der Antike oder Mythologie. So scheint

MACBETH – EINE GESCHICHTE VON MACHTGIER, MORD UND LIEBE

oben und Titelbild: Peter Schöne

SST_Programmheft_2021_Macbeth Underworld_RZ.indd 10SST_Programmheft_2021_Macbeth Underworld_RZ.indd 10 09.04.21 12:2209.04.21 12:22

Page 2: MACBETH UNDERWORLD

MACBETH UNDERWORLDOper in acht Kapiteln | Libretto von Frédéric Boyer nach »Macbeth« von William Shakespeare | Musik von Pascal DusapinIn englischer Sprache mit deutschen und französischen Übertiteln

Deutsche Erstaufführung: 18. April 2021, Großes Haus Saarländisches Staatstheater

SPIELZEIT 2020/2021

Uraufführung: 20. September 2019 Théâtre Royal de La Monnaie – De MuntKoproduktion mit Les Théâtres de La Ville de Luxembourg

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden | keine Pause

Ton- und Bildaufnahmen sind während der Vorstellungen nicht gestattet.

IMPRESSUMHERAUSGEBER Generalintendant Bodo Busse | Kaufmännischer Direktor Prof. Dr. Matthias AlmstedtSaarländisches Staatstheater GmbH | www.staatstheater.saarland

Redaktion Renate Liedtke | Gestaltung und Satz Wiebke Genzmer, Berlin Text Originalbeitrag | Fotos (Hauptprobe vom 2.2.2021) Martin Kaufhold Druck Kern GmbH, Bexbach | Änderungen vorbehaltenWeitere Informationen rund um das Saarländische Staatstheater finden Sie auf unserer Homepage www.staatstheater.saarland und unserem BLOG

PrologDer Pförtner kündigt Macbeth und seine Lady an, ihre Rückkehr auf die Bühne und, dass sie die Mordtaten, die sie begingen, immer wiederholen müssen. Oder ist dies nur der Spiegel ihrer Träume? »Rätselkram, in Mord und Trug?«

Kapitel 1: »So foul so fair« (»Schön ist ab-scheulich, abscheulich ist schön.«)Ein blutüberströmter Mann und ein Kind. Ist das der Geist von Banquo, dem Freund von Macbeth? Ist das das Kind von Lady Macduff? Oder ist es das Kind, das Lady Macbeth nie hatte? Lady Macbeth liest einen Brief ihres Man-nes, in dem er von einer Prophezeiung der Weird Sisters berichtet, die ihm die Königs-herrschaft voraussagten. Schon erscheinen die drei Unheilsschwes-tern, Hexen und Schicksalsgöttinnen gleichermaßen, und erzeugen erneut bei Macbeth diesen unseligen Traum von Macht und Königtum.

Kapitel 2 »Come thick night!« (»Komm, dunkle Nacht!«)

Macbeth und die Lady durchleben die Erin-nerung an die Ermordung König Duncans. Lady Macbeth wiederholt ihren eigenen Fluch: »Erfülle mich von Kopf bis Fuß mit der schlimmsten Grausamkeit!« Die Weird Sisters schicken Macbeth auf eine schamanische Reise. Macbeth hat die Vision eines blutbehafte-ten Dolches, der ihn zur Tat auffordert. Die Lady drängt den noch Zögerlichen. Sie hätte selbst den Kopf ihres Kindes zerschmettert, hätte sie geschworen, den Mord zu begehen. Eine Glocke läutet.

Kapitel 3 »Sleep no more« (»Schlaft nicht mehr«)Lady Macbeth singt ein Schlaflied. Macbeth bekennt: »Ich habe getan, was ich tun musste.« Er wird nicht mehr schlafen kön-nen, er ist entsetzt von dem, was er tat. Der Geist sieht in ihm seinen Mörder. Ein lautes Klopfen. Klopft es an das Höllen-tor? Der Pförtner lässt uns wissen, dass er den Dieben und Verbrechern die Pforte zur Hölle geöffnet hätte, wäre er der Höllen-pförtner. Doch welche Strafe verlangt das

Jede Oper trägt ihren Schmerz, ihre Angst, ihr Unglück in sich.

Pascal Dusapin

Die Musik von Pascal Dusapin ist unglaublich facettenreich – sie kann sanft sein, zärtlich umgarnen, aber auch schroff und abweisend sein, dann wieder überrascht sie mit höhnischem Gelächter oder es erklingt unvermittelt der friedli-che Gesang eines Wiegenliedes. Pascal Dusapin versteht es, menschliche Gefühle in Klänge zu setzen, die berühren, fesseln und aufwühlen. Pascal Dusapin, am 29. Mai 1955 in Nancy geboren, wuchs in einem kleinen loth-ringischen Dorf auf. Bereits in frühen Kindheitstagen wurde ihm die Liebe zur Musik ins Herz gesenkt. Als er im Alter von 18 Jahren die Orchesterkomposition »Arcana« des Klangvisionärs Edgar Varè-se hörte, stand für ihn fest, dass er sein Leben der Musik widmen möchte.Sein musikalischer Ziehvater wurde Iannis Xenakis. Bei ihm studierte er von 1974 bis 1978 und wie kann es anders sein, wenn man Xenakis verehrt, Dusapin

tauchte auch in die Tiefen der Architektur und Mathematik ein. Überhaupt sind Dusapins Interessen und Leidenschaften vielfältiger Natur. Sie reichen von Mor-phogenese über Philosophie bis hin zur Fotografie. 1986 begann er auf Anregung des Opernintendanten Rolf Liebermann mit der Komposition seiner ersten Oper. Diese Oper »Romeo & Juliette« wurde als eine »musikalisch-literarische Revolution« bezeichnet, bei der jedes Wort nach seinem Klang und Rhythmus ausgewählt und eng mit der sich völlig frei bewegen-den Musik verflochten wird. Dusapins Liebe zur Literatur zeigt sich auch in seinen weiteren Opernwerken, darunter »Medeamaterial« auf den Text von Heiner Müller, »Tob Be Sung« nach Gertrude Stein, »Faustus, The Last Night« nach Christopher Marlowe. Im September 2019 wurde an der Oper in La Monnaie in Brüssel »Macbeth Underworld« urauf-geführt, wie 2015 ebendort seine Oper »Penthesilea«.Dusapin, der zu den international aktivs-ten Komponisten Frankreichs zählt, wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

ungeheure Verbrechen von Macbeth? Der Geist erklärt, mit Macbeth habe die Hölle ihr Meisterstück gemacht.

Kapitel 4 »Nox perpetua«Die Weird Sisters singen ein Requiem. Sie besingen die »immerwährende Nacht«, der Macbeth und seine Frau nicht entkommen können. Der Tag wurde zur Nacht. Die Ordnung der Natur scheint aufgehoben.Das Paar will lieber bei den Toten sein, als die Folter durch die grausigen Träume ih-rer Taten immer und immer zu durchleben.

Kapitel 5 »Look the ghost enters« (»Schau, der Geist kommt«)Beim Fest zur Krönung von Macbeth setzt sich der Geist auf Macbeth’s Thron. Der Geist konfrontiert Macbeth mit der bluti-gen Tat. Macbeth ereifert sich darüber, dass die Toten neuerdings wieder auferstehen. Frü-her starb ein Mann, wenn er Todeswunden hatte. Den Weird Sisters gefällt das Fest, sie lieben diese bizarren Welten.

Kapitel 6 »A deed without a name« (»Ein namenloses Verbrechen«)Die Liebe zu ihrem Mann ist der einzige menschliche Wesenszug von Lady Mac-beth. Mit einem Liebeslied versucht sie, zu trösten. Macbeth verlangt von den Weird Sisters Aufklärung über sein Schicksal. Sie verkünden, dass außer der Macht eines Kindes, das kein Weib geboren hat, ihm nichts schaden kann, und er nie besiegt werden würde, bis Birnams Wald feindlich emporsteigt.

Kapitel 7 »Out damned spot!« (»Fort, verdammter Fleck!«)Der Pförtner zitiert aus dem 1. Korinther-brief, Kapitel 15, und fragt wie der Apostel Paulus: »Tod, wo ist dein Stachel? Tod, wo ist dein Sieg?« Lady Macbeth versucht zwanghaft und vergeblich, einen imaginä-ren Blutfleck von ihren Händen zu entfer-nen. Bei ihr mehren sich die Anzeichen von Wahnsinn. Sie spielt ihren eigenen Tod. Das Tor zur Hölle ist nun geöffnet.

Kapitel 8 »Out brief candle« (»Aus, kleines Licht!«)Der Geist macht klar, dass die Lady tot sei. Macbeth vermeint zu sehen, wie sich der Wald von Birnam gemäß der Vorhersage in Bewegung setzt. Macbeth empfindet das Leben nur als ein Schattenbild, dass sich ein Stündchen auf der Bühne prä-sentiert und dann nicht mehr vernommen wird. Ihn erfasst Angst und Grauen vor sich und seinen Taten. Verzweifelt ruft

er Fluten und Stürme herbei. Das Kind und die Schwestern erscheinen. Das Kind fordert Macbeth auf, gegen es zum Kampf anzutreten. Seine Stimme sei sein Schwert. Das Kind offenbart ihm, dass es vor der Zeit aus dem Mutterleib geschnitten wurde. Macbeth weigert sich, gegen ein Kind zu kämpfen. Macbeth soll als ein Beispiel für einen Tyrannen und ein Ungeheuer auf den Bühnen der Welt in Erinnerung bleiben.

HANDLUNG PASCAL DUSAPIN

Marie Smolka, Peter Schöne, Hiroshi Matsui Dshamilja Kaiser

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