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Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. 21. und 22. September 2011 Wissenschaftszentrum Bonn 1/8 MANUSKRIPT Historische Entwicklung von Nachhaltigkeit und Nachhaltiger Ernährung Prof. Dr. Claus Leitzmann, Institut für Ernährungswissenschaften, Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen Zusammenfassung Der Begriff Nachhaltigkeit entstammt der Forstwirtschaft des 17. Jahrhunderts und wurde besonders in den letzten Jahrzehnten in fast allen Lebensbereichen eingeführt. Das Drei- Säulen-Modell der Nachhaltigkeit besteht aus dem gleichzeitigen und gleichberechtigten Umsetzen von ökologischen, sozialen und ökonomischen Zielen. Daraus abgeleitet wurde der in der Umwelt- und Entwicklungspolitik verwendete Begriff Nachhaltige Entwicklung, die eine dauerhafte und gerechte Bewirtschaftung der Erde zum Ziel hat. Der Begriff Nachhaltige Ernährung basiert vorwiegend auf den Gießener Konzeptionen der Vollwert-Ernährung und Ernährungsökologie. Nachhaltige Ernährung bezieht das gesamte Ernährungssystem ein und es werden Untersuchungen und Bewertungen ihrer komplexen Beziehungen vorgenommen, von der Erzeugung, Verarbeitung, Verpackung, Transport und Handel über Einkauf, Zubereitung und Verzehr der Lebensmittel bis zur Abfallentsorgung. Das Ziel ist die Erarbeitung und Umsetzung von wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen über die vernetzten gesundheitlichen, ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Umgangs mit Lebensmitteln. Vorbemerkungen Über Nachhaltigkeit redet inzwischen fast jeder, der Begriff ist inflationär in aller Munde. Neben den verschiedenen Organisationen der Vereinten Nationen ist Nachhaltigkeit ein aktuelles Thema der Wissenschaft und findet seinen Widerhall in Ministerien, Stiftungen, Kirchen und verschiedenen Hilfsorganisationen. Im Kern geht es um eine auf Dauer ange- legte Entwicklung, die den derzeitigen Bedarf an natürlichen Ressourcen deckt, aber den Bestand so weit erhalten muss, dass die Lebensqualität zukünftiger Generationen gewähr- leistet ist. Mit dieser Maßgabe werden Lösungen angestrebt die ein ökologisches Gleich- gewicht, ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit zusammenführen und auf lange Sicht zu einer weltweiten Stabilisierung führen können. Definition des Begriffs Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit ist ein Zustand, der im derzeitigen allgemeinen Verständnis aus drei Kompo- nenten besteht und auch als Drei-Säulen-Modell bezeichnet wird:

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MANUSKRIPT

Historische Entwicklung von Nachhaltigkeit und Nachhaltiger Ernährung Prof. Dr. Claus Leitzmann, Institut für Ernährungswissenschaften, Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen

Zusammenfassung Der Begriff Nachhaltigkeit entstammt der Forstwirtschaft des 17. Jahrhunderts und wurde besonders in den letzten Jahrzehnten in fast allen Lebensbereichen eingeführt. Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit besteht aus dem gleichzeitigen und gleichberechtigten Umsetzen von ökologischen, sozialen und ökonomischen Zielen. Daraus abgeleitet wurde der in der Umwelt- und Entwicklungspolitik verwendete Begriff Nachhaltige Entwicklung, die eine dauerhafte und gerechte Bewirtschaftung der Erde zum Ziel hat.

Der Begriff Nachhaltige Ernährung basiert vorwiegend auf den Gießener Konzeptionen der Vollwert-Ernährung und Ernährungsökologie. Nachhaltige Ernährung bezieht das gesamte Ernährungssystem ein und es werden Untersuchungen und Bewertungen ihrer komplexen Beziehungen vorgenommen, von der Erzeugung, Verarbeitung, Verpackung, Transport und Handel über Einkauf, Zubereitung und Verzehr der Lebensmittel bis zur Abfallentsorgung. Das Ziel ist die Erarbeitung und Umsetzung von wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen über die vernetzten gesundheitlichen, ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Umgangs mit Lebensmitteln.

Vorbemerkungen Über Nachhaltigkeit redet inzwischen fast jeder, der Begriff ist inflationär in aller Munde. Neben den verschiedenen Organisationen der Vereinten Nationen ist Nachhaltigkeit ein aktuelles Thema der Wissenschaft und findet seinen Widerhall in Ministerien, Stiftungen, Kirchen und verschiedenen Hilfsorganisationen. Im Kern geht es um eine auf Dauer ange-legte Entwicklung, die den derzeitigen Bedarf an natürlichen Ressourcen deckt, aber den Bestand so weit erhalten muss, dass die Lebensqualität zukünftiger Generationen gewähr-leistet ist. Mit dieser Maßgabe werden Lösungen angestrebt die ein ökologisches Gleich-gewicht, ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit zusammenführen und auf lange Sicht zu einer weltweiten Stabilisierung führen können.

Definition des Begriffs Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit ist ein Zustand, der im derzeitigen allgemeinen Verständnis aus drei Kompo-nenten besteht und auch als Drei-Säulen-Modell bezeichnet wird:

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- Die ökologische Nachhaltigkeit beinhaltet das Ziel, die Natur und Umwelt für die nach-folgenden Generationen zu bewahren. Dies umfasst den Erhalt der Artenvielfalt, den Klima-schutz, die Pflege von Kultur- und Landschaftsräumen in ihrer ursprünglichen Form sowie generell einen schonenden Umgang mit der natürlichen Umgebung.

- Die soziale Nachhaltigkeit versteht die Entwicklung der Gesellschaft als einen Weg, der Partizipation für alle Mitglieder einer Gemeinschaft ermöglicht. Diese Konzeption umfasst einen Ausgleich sozialer Kräfte, um eine auf Dauer zukunftsfähige, lebenswerte Gesellschaft zu etablieren.

- Die ökonomische Nachhaltigkeit verlangt, dass die Wirtschaftsweise so angelegt ist, dass sie dauerhaft eine tragfähige Grundlage für Erwerb und Wohlstand bietet. Von besonderer Bedeutung ist hier der Schutz wirtschaftlicher Ressourcen vor Ausbeutung.

Nachhaltigkeit kann lokal, regional, national oder global zur Anwendung kommen. Aus öko-logischer Perspektive wird zunehmend ein globaler Ansatz verfolgt, bei der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit stehen oft nationale Anliegen im Vordergrund. Außerdem wird für immer mehr Bereiche eine Nachhaltige Entwicklung gefordert, sei es für den individuellen Lebensstil oder für ganze Wirtschaftsbereiche wie Mobilität und Energieversorgung.

Nach dem Drei-Säulen-Modell ist Nachhaltigkeit das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Zielen. Daraus abgeleitet wurde der in der Umwelt- und Entwicklungspolitik verwendete Begriff Nachhaltige Entwicklung, ein Prozess in dem die drei gleichen Ziele verfolgt werden. Nachhaltige Entwicklung gilt als Leitbild der internationalen Politik und zivilgesellschaftlicher Bewegungen, das eine dauer-hafte und gerechte Bewirtschaftung des Planeten Erde zum Ziel hat. Dabei handelt es sich um einen globalen Zivilisationsprozess, der die Lebenssituation der heutigen Generation verbessert, und gleichzeitig die Lebenschancen künftiger Generationen nicht gefährdet. Der ethische Hintergrund der Nachhaltigen Entwicklung beruht vornehmlich auf Überlegungen zur Gerechtigkeit.

Ursprung des Begriffs Nachhaltigkeit Erstmals wurde die Grundidee der Nachhaltigkeit 1560 in der kursächsischen Forstordnung formuliert, aber der sächsische Oberberghauptmann Carl von Carlowitz (1645–1714) gilt als Schöpfer des Begriffs Nachhaltigkeit. Er schrieb mit der Sylvicultura oeconomica (1713) das erste geschlossene Werk über Forstwirtschaft und definierte erstmalig das Prinzip der Nachhaltigkeit als die Bewirtschaftungsweise eines Waldes, bei welcher immer nur so viel Holz entnommen wird, wie nachwachsen kann, so dass der Wald nie ganz abgeholzt wird, sondern sich immer wieder regenerieren kann.

Von Carlowitz kritisierte das auf kurzfristigen Profit ausgerichtete Denken seiner Zeit. Seine drei Säulen der Nachhaltigkeit beziehen sich im Gegensatz zum heutigen Drei-Säulen-Modell ausschließlich auf wirtschaftliche Aspekte. Danach hat die Ökonomie der Wohlfahrt

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des Gemeinwesens zu dienen, sie ist zu einem schonenden Umgang mit der gütigen Natur verpflichtet und sie ist an die Verantwortung für künftige Generationen gebunden.

Die weitere Entwicklung des Nachhaltigkeitskonzeptes In der Zeit nach von Carlowitz gab es weitere Entwicklungen, die dazu beigetragen haben, dass das Thema Nachhaltigkeit wahrgenommen und bekannt wurde. Bei den wichtigsten dokumentierten Erkenntnissen und Ereignissen in den letzten Jahrhunderten handelte es sich meist um lokale Erfahrungen, die sich teilweise erst sehr viel später global auswirkten. Die zentrale Bedeutung der Nachhaltigkeitsthematik wurde zunächst von Persönlichkeiten und erst in den letzten Jahrzehnten von internationalen Organisationen erkannt. Eine kurze Auswahl der wichtigsten Ereignisse:

- 1755 reagierte Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) mit seinem Motto Zurück zur Natur auf die Verstädterung der Gesellschaft, die sich nach seiner Einschätzung nicht naturgemäß (nachhaltig) entwickeln könnte.

- 1798 beschrieb Thomas Malthus (1766–1834) die potenziellen Folgen des exponentiellen Bevölkerungswachstums bei linear steigender Nahrungsproduktion. Nach seiner These könnte diese Entwicklung keine bedarfsgerechte (nachhaltige) Ernährung der Menschheit sichern.

- 1924 begründete Rudolf Steiner (1861–1925) die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise für die Landwirtschaft. Sie beruht auf Vorstellungen der anthroposophischen Weltanschau-ung und arbeitet nach dem Prinzip des Denkens in (nachhaltigen) Kreisläufen.

- Ab den 1950er Jahren entstand der organisch-biologische Landbau aus der Schweizer Heimatbewegung. Er umfasst heute alle ökologischen Anbauverbände (außer Demeter) und wird auch als ökologische Landwirtschaft bezeichnet. Nachhaltiges Wirtschaften ist das Grundprinzip dieses Landbaus.

- 1962 erscheint von Rachel Carson das Buch Der Stumme Frühling [1], das in den USA eine heftige politische Debatte auslöste, die letztlich zum späteren DDT-Verbot führte. Das Buch wird oft als Ausgangspunkt der weltweiten Umweltbewegung bezeichnet.

- 1968 wird der Club of Rome von Aurelio Peccei (Fiat/Olivetti) und Alexander King (Schott-land/OECD) gegründet. Das Anliegen des Club of Rome ist die gemeinsame Sorge und Verantwortung für die Menschheit und deren Zukunft.

- 1972 erscheint das Buch Die Grenzen des Wachstums [2], eine Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft im Auftrag des Club of Rome. Die Studie beinhaltete eine Systemanalyse mit Computersimulationen verschiedener Szenarien, die unter anderem einen kritischen Mangel an Nachhaltigkeit in der Weltwirtschaft aufzeigt.

- 1978 veröffentlicht Joan Dye Gussow das Arbeitsbuch The Feeding Web: Issues in Nutritional Ecology [3], eine Darstellung der Interaktionen von Ernährung und Umwelt.

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- 1987 wird der Bericht Unsere gemeinsame Zukunft, besser bekannt als Brundtland-Report, veröffentlicht [4]. Darin wurde als ein globales Ziel die Gestaltung einer Nachhaltigen Entwicklung festgelegt.

- 1992 befasst sich die UN Konferenz in Rio de Janeiro (Erdgipfel) mit der Vernetzung wirt-schaftlicher und ökologischer Konzepte. Eine Nachhaltige Entwicklung wurde mit der Agenda 21 zum gesellschaftlichen Leitbild erhoben.

- 2001 werden in den UN Milleniumszielen [5] neben Menschenrechten, Armutsbekämpfung und Abrüstung auch der Umweltschutz und eine Nachhaltige Entwicklung verankert.

Definition des Begriffs Nachhaltige Ernährung Bei den Entwicklungen in der Nachhaltigkeitsthematik, besonders in der ökologischen Land-wirtschaft und des Hungers auf der Welt, entstand eine Diskussion in der Ernährungs-wissenschaft zur Nachhaltigen Ernährungsweise. Bisher gibt es keine offizielle Definition des Begriffes für Nachhaltige Ernährung, aber eine Reihe von Experten und Organisationen ver-wenden diesen Begriff und greifen meist auf die Gießener Konzeptionen der Vollwert-Ernährung [6] und Ernährungsökologie [7] zurück, in der die Nachhaltige Ernährung bereits vor Jahrzehnten beschrieben wurde. Neben den drei Säulen der Nachhaltigkeit und den drei Zielen der Nachhaltigen Entwicklung, ist die Gesundheit als vierte Dimension erstmals gleichrangig integriert. Die Dimensionen und Ansprüche in diesen Konzeptionen beziehen sich auf das gesamte Ernährungssystem [Abb. 1].

Abb.1: Die vier Dimensionen einer nachhaltigen Ernährung1

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Nachhaltige Ernährung bezieht das gesamte Ernährungssystem ein und es werden Untersu-chungen und Bewertungen ihrer komplexen Beziehungen vorgenommen, von der Erzeu-gung, Verarbeitung, Verpackung, Transport und Handel über Einkauf, Zubereitung und Ver-zehr der Lebensmittel bis zur Abfallentsorgung. Die Ziele sind die Erarbeitung und Umset-zung von Erkenntnissen über die vernetzten gesundheitlichen, ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Umgangs mit Lebensmitteln.

Entwicklung der Konzeptionen Nachhaltige Ernährung und Ernährungsökologie In der Ernährungswissenschaft wurden lange Zeit fast ausschließlich gesundheitliche Aspekte berücksichtigt. Ernährung wurde vorwiegend analytisch betrachtet, d. h. hinsichtlich des Nährstoffgehalts der Lebensmittel sowie ihrer hygienischen und toxikologischen Eigen-schaften. Weiter gehende Aspekte blieben dabei meist unberücksichtigt. Die bestehenden Vernetzungen innerhalb des Ernährungssystems erfordern jedoch, negative Rück- und Nebenwirkungen des jeweiligen Handelns auf das Gesamtsystem (oder dessen Teilbereiche) zu erkennen und zu vermeiden sowie positive Effekte zu fördern. Die Einbe-ziehung weiterer Anliegen verdeutlicht, dass die Bewertung ausschließlich gesundheitlicher Aspekte nicht ausreicht, um die Ernährung und das Ernährungssystem so zu gestalten, dass die Bedürfnisse aller Menschen weltweit und die Anforderungen an eine intakte Umwelt langfristig erfüllt werden können [6].

Neben der bereits genannten Entstehung der ökologischen Landwirtschaft fand in den letzten 35 Jahren eine Reihe von Entwicklungen zunächst in Gießen und später in verschie-denen Institutionen statt [8], die eine Nachhaltige Ernährung zum Gegenstand hatten:

- Anfang der 1970er Jahre entsteht der Studentische Arbeitskreis eukos an der Universität in Gießen. Leitbilder sind Pioniere der ökologischen Landwirtschaft (Rudolf Steiner, Hans Müller, Hans Peter Rusch) und der Vollwerternährung wie Max Bircher Benner (1867–1939, vollwertige Kost), Werner Kollath (1892–1970, Vollwert der Nahrung) und Max-Otto Bruker (1909–2001, Vollwertkost), die in der Ernährungswissenschaft sehr umstritten bzw. nicht anerkannt waren.

- 1978 wird die Professur Ernährung in Entwicklungsländern an der Universität in Gießen eingerichtet. Der globale Ansatz dieses Faches beinhaltet als einen Schwerpunkt eine Nach-haltige Ernährung.

- 1981 veröffentlichen von Koerber, Männle und Leitzmann ihr Buch Vollwert-Ernährung – Konzeption einer zeitgemäßen und Nachhaltigen Ernährung [6]. Es enthält eine erste Definition des Begriffs Nachhaltige Ernährung.

- 1986 prägt Leitzmann den Begriff Ernährungsökologie [9]. Dieses neue Wissensgebiet stellt die wissenschaftliche Basis der zeitgemäßen und Nachhaltigen Vollwert-Ernährung dar.

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- 1993 veröffentlichen Spitzmüller, Pflug-Schönfelder und Leitzmann das Buch Ernährungs-ökologie – Essen zwischen Genuss und Verantwortung [7]. Es zeigt die enge Vernetzung von Gesundheit, Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft.

- 1996 publiziert das Wuppertal-Institut die Arbeit Zukunftsfähiges Deutschland [in 10].

- 1997 veröffentlicht das Umweltbundesamt die Schrift Nachhaltiges Deutschland [in 10].

- 1999 publiziert die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg die Abhandlung Nachhaltige Entwicklung im Handlungsfeld Ernährung [in 10].

- 1999 veröffentlicht das Öko-Institut die Schrift Globalisierung in der Speisekammer – Auf der Suche nach einer Nachhaltigen Ernährung [in 10].

- 1999 erscheint der Beitrag von Kurt Hofer von der Universität Bern Ernährung und Nachhaltigkeit [in 10].

- Ab 2001 entwickeln Cannon und Leitzmann das Projekt The New Nutrition Science, das sich mit Nachhaltiger Ernährung befasst [11, 12]. Das Projekt wurde inzwischen von der World Public Health Nutrition Association übernommen.

- 2005 erscheinen zwei weitere Bücher zur Nachhaltigen Ernährung [13, 14]

Neben diesen Entwicklungen wurde im letzten Jahrzehnt eine Reihe von Lehrstühlen für Ernährungsökologie – und damit für eine Nachhaltige Ernährung – an deutschen Universitäten und Fachhochschulen eingerichtet:

- 2001 Lehrstuhl Ökologische Lebensmittelqualität und Ernährungskultur an der Universität Kassel in Witzenhausen. (Prof. Dr. oec. troph. Angelika Ploeger)

- 2003 Lehrstuhl Ernährungsökologie (derzeit nicht besetzt) an der Universität in Gießen. (Prof. Dr. oec. troph. Ingrid Hoffmann)

- 2007 Lehrstuhl Nachhaltige Ernährung und Ernährungsökologie an der Fachhochschule in Münster. (Prof. Dr. oec. troph. Carola Strassner)

- 2008 Arbeitsgruppe Nachhaltige Ernährung an der Technischen Universität München in Weihenstephan. (Dr. oec. troph. Karl von Koerber)

- 2010 Institut für Alternative und Nachhaltige Ernährung in Gießen. (Dr. oec. troph. Markus Keller)

In der Gießener Arbeitsgruppe Ernährungsökologie entstanden weitere Veröffentlichungen zum Thema Nachhaltige Ernährung [15–18].

Nachhaltige Schlussbemerkungen Insgesamt zeigt sich, dass es weder für Nachhaltigkeit und Nachhaltige Entwicklung noch für eine Nachhaltige Ernährung ein Patentrezept gibt. Die vorliegenden Erkenntnisse reichen aber aus um einen entsprechenden Wandel in unserer Wirtschaft, Politik und Lebensweise

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zu begründen und zu fordern. Aus gesundheitlichen, ökonomischen, ökologischen und sozi-alen aber auch aus ethischen Gründen lohnen sich diese Anstrengungen zum Wohle der Mitwelt, der Umwelt und der Nachwelt. Gegipfelt, geredet und verabschiedet wurde bereits genug, weitere Debatten über geeignete Strategien reichen aber nicht mehr aus. Jetzt muss gehandelt werden, denn alle Diskussionen ohne Aktionen bleiben Improvisationen.

Literatur [1] Carson R: Silent spring, 1962. Deutsch: Der stumme Frühling. CH Beck Verlag, München (1963)

[2] Meadows DH, Meadows DL, Randers J, Behrens III WW: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart (1972)

[3] Gussow JD (ed.): The feeding web – issues in nutritional ecology. Bull Publishing, Palo Alto (1978)

[4] Hauff V (Hrsg.): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkom-mission für Umwelt und Entwicklung. Eggenkamp Verlag, Greven (1987)

[5] VN (Vereinte Nationen): Milleniums-Entwicklungsziele. Vereinte Nationen, New York (2009)

[6] Koerber Kv, Männle T, Leitzmann C: Vollwert-Ernährung – Konzeption einer zeitgemäßen und Nachhaltigen Ernährungsweise. Haug Verlag, Stuttgart, 10. Aufl. (2004)

[7] Spitzmüller E-M, Schönfelder-Pflug K, Leitzmann C: Ernährungsökologie – Essen zwischen Genuss und Verantwortung. Haug Verlag, Heidelberg (1993)

[8] Koerber Kv, Hoffmann I, Meier-Ploeger A: Ernährungsökologie. Ein Fachgebiet etabliert sich an deutschen Hochschulen. Zeitschrift für Ernährungsökologie 2 (2) (2001) 124–128

[9] Leitzmann C: Ernährungsökologie, ein neues Wissenschaftsgebiet entsteht. Seminar Ernährung in Entwicklungsländern. Universität Gießen, Mai (1986)

[10] Erdmann L, Sohr S, Behrendt S, Kreibisch R: Nachhaltigkeit und Ernährung. Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin (2003)

[11] Cannon G, Leitzmann C: The New Nutrition Science project. Publ Health Nutr 8 (6A) (2005) 673–694

[12] Leitzmann C: Die Gießener Erklärung zum Projekt „Die Neue Ernährungswissenschaft“ Ernährungs-Umschau 53 (2) (2006) 40–43

[13] Herde, A: Kriterien für eine Nachhaltige Ernährung auf Konsumentenebene. Zentrum Technik und Gesellschaft, Berlin (2005)

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[14] Brunner, K-M, Schönberger G (Hrsg.): Nachhaltigkeit und Ernährung. Produktion – Handel – Konsum. Campus Verlag, Frankfurt (2005)

[15] Riegel M, Hoffmann I: Ein Leitbild für zukunftsfähige verarbeitete Lebensmittel. In: Nölting B, Schäfer M (Hrsg.): Vom Acker auf den Teller. oekom Verlag, München (2007) 58–65

[16] Leitzmann C: Ernährungsökologie in der Praxis. Ernährungs-Umschau 56 (2) (2009) 96–103,

[17] Schneider K, Hoffmann I: Nutrition ecology - a concept for systemic nutrition research and integrative problem solving. Ecol Food Nutr 50 (1) (2011) 1–17,

[18] Hoffmann I, Schneider K, Leitzmann C (Hrsg.): Ernährungsökologie – komplexen Herausforderungen integrativ begegnen. oekom Verlag, München (2011)

Prof. Dr. Claus Leitzmann Institut für Ernährungswissenschaft Universität Gießen [email protected] 1 Quelle: v. Koerber, Männle, Leitzmann: Vollwert-Ernährung – Konzeption einer zeitgemäßen und nachhaltigen Ernährung, Haug-Verlag, Stuttgart, 10. Aufl. (2004), 1. Aufl. (1981)

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Was versteht der Verbraucher unter Nachhaltigkeit in der Ernährung?

PD Dr. med. Thomas Ellrott, Institut für Ernährungspsychologie, Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen

Zusammenfassung Es gibt kein einheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit in der Ernährung durch den Ver-braucher. Beim Lebensmitteleinkauf sind Frische und Preis wichtigere Kriterien als Nachhal-tigkeit. Zwar halten die Verbraucher auch Nachhaltigkeit für wichtig, sind aber kaum bereit, dafür auch einen höheren Preis zu zahlen. Nur für artgerechte Tierhaltung und den Verzicht auf Kinderarbeit sind etwas mehr als 30 % der Bevölkerung bereit auch mehr zu zahlen. Andere Facetten von Nachhaltigkeit werden zwar grundsätzlich gewünscht, einen zusätzli-chen finanziellen Beitrag möchte das Gros der Verbraucher dafür aber nicht entrichten.

Einleitung Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird derzeit nicht nur in der Ernährungswirtschaft inflationär verwendet. Er ist zum Modewort in Politik, Medien und Industrie geworden. Im Alltags-gebrauch wird das Wort inzwischen für praktisch alles, was längerfristig irgendwie „gut“ für Mensch und Natur ist, verwendet.

Der Begriff „Nachhaltigkeit” Das Wort Nachhaltigkeit wurde zuerst im 18. Jahrhundert in der Forstwirtschaft für eine Strategie der Waldbewirtschaftung verwendet, bei der nur so viele Bäume abgeholzt wurden, wie natürlicherweise nachwachsen konnten. So wurden Wälder nie gänzlich abgeholzt [1]. Zweck dieser Nachhaltigkeit der Nutzung war die fortwährende Verfügbarkeit von Baumholz für den Silberbergbau. Der etymologisch ursprüngliche Wortsinn ist nach Konrad Ott dadurch definiert, dass „regenerierbare lebende Ressourcen nur in dem Maße genutzt werden dürfen, wie Bestände natürlich nachwachsen“.

Die Verwendung des Begriffs Nachhaltigkeit ist jedoch in den letzten Jahrzehnten über diesen engeren Wortsinn hinaus erheblich erweitert worden. Neben einer ökologischen und ökonomischen Dimension beinhaltet das derzeitige Wortverständnis auch eine soziale Dimension von Nachhaltigkeit (sog. 3-Säulen-Modell). Manche Autoren inkludieren mit Gesundheit eine vierte Dimension [1]. Eine Übersicht zur professionellen Definition von Nachhaltigkeit in der Ernährung wurde unlängst von Glogowski veröffentlicht [2].

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67 % der Bevölkerung haben den Begriff Nachhaltigkeit schon einmal gehört, aber nur 55 % der Bevölkerung können eine in etwa zutreffende inhaltliche Definition vornehmen [3] (Abb. 1).

Abb. 1: Bekanntheit und Verständnis des Begriffs „Nachhaltigkeit”

Repräsentative Studie Im Rahmen der repräsentativen Nestlé-Studie 2011 wurde untersucht, was deutsche Ver-braucher unter dem Begriff Nachhaltigkeit im Kontext von Ernährung verstehen. Dazu wurden vom Institut für Demoskopie Allensbach 4 203 Personen im Alter von 18–84 Jahren repräsentativ ausgewählt und im August/September 2010 zuhause Face-to-Face befragt. Ein Teil der Daten wurde im Juli 2011 veröffentlicht [4].

Die Verbraucher assoziierten den Begriff „Umweltschutz“ als eine Facette von Nachhaltigkeit zwar grundsätzlich richtig (Abb. 2), es fällt allerdings auf, dass es bei offener Fragetechnik keinen breiten Konsens in den Antworten gibt. „Ökologische Anbaumethoden“ wurden zwar von den Befragten am häufigsten genannt, allerdings verstanden dies nur 31 % der Befrag-ten unter dem Begriff Umweltschutz.

Noch weniger Konsens gab es bei der ebenfalls offen gestellten Frage nach „Sozialer Verantwortung im Zusammenhang mit Lebensmitteln“. Nur 12 % der Bevölkerung nannten „Faire Behandlung von Erzeugern, Mitarbeitern in Deutschland, faire Preise in Deutschland“ als die häufigste gemeinsame Assoziation. 11 % der Befragten fällt Umwelt- und Tierschutz ein, genauso viele nennen eine hohe Qualität der Lebensmittel und die Förderung einer gesunden Ernährung bei Kindern (Abb. 3).

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Abb. 2: Assoziationen mit dem Begriff „Umweltschutz“

Für den Einkauf von Lebensmitteln zählen jedoch in erster Linie Frische und Preis, erst dann folgen verschiedene Aspekte von Nachhaltigkeit (Abb. 4). Kumulativ werden diese immerhin bereits recht häufig als wichtige Kriterien beim Einkauf genannt. Allerdings ist gerade bei dieser Frage eine Beeinflussung durch soziale Erwünschtheit wahrscheinlich.

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Abb. 3: Assoziationen mit dem Begriff „Soziale Verantwortung“

Abb. 4: Kriterien beim Lebensmitteleinkauf

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Praktisch alle Deutschen halten artgerechte Tierhaltung, den Verzicht auf Kinderarbeit, den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel, faire Preise für Lieferanten und Verzicht auf künstliche Zusatzstoffe für wichtig oder besonders wichtig (jeweils ≥ 90 % der Bevölkerung). Parallel wurde gefragt, ob die Menschen bereit wären, für diese Aspekte von Nachhaltigkeit auch einen deutlich höheren Preis zu zahlen. Die Bereitschaft, für Nachhaltigkeit einen deutlichen Aufpreis zu zahlen, war jedoch wesentlicher geringer und erreichte nur bei artgerechter Tier-haltung (34 %) und Verzicht auf Kinderarbeit (32 %) mehr als 30 % in der Bevölkerung (Abb. 5). Die Zahlungsbereitschaft war umso höher, je höher der sozioökonomische Status der Befragten war. Etwa 16 % der deutschen Bevölkerung sind von besonders hohem Interesse und Engagement am Thema Nachhaltigkeit geprägt. Diese Bevölkerungsgruppe wird in der Literatur relativ konsistent als Lohas (Lifestyle of Health and Sustainability) bzw. das »sozialökologische Milieu« bezeichnet.

Abb. 5: Wichtigkeit und Zahlungsbereitschaft für verschiedene Aspekte von Nachhaltigkeit

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Literatur 1. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Nachhaltigkeit 2. Glogowski S (2011): Nachhaltigkeit und Ernährung - Konzepte und Grundsätze in

Deutschland. Ernährungs-Umschau 9/2011 B33–B36 3. Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 10008 (Juni/Juli 2007) 4. Nestlé-Studie 2011: So is(s)t Deutschland 2011 - Ein Spiegel der Gesellschaft.

Matthaes

PD Dr. med. Thomas Ellrott Institut für Ernährungspsychologie an der Georg-August-Universität Göttingen Universitätsmedizin Humboldtallee 32 37073 Göttingen

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Pflanzliche oder tierische Lebensmittel: Präventionspotenziale und Risiken

Prof. Dr. Heiner Boeing, Abteilung Epidemiologie, Deutsches Institut für Ernährungs-forschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), Nuthetal

Zusammenfassung Der Ernährungskreis beschreibt den Lebensmittelverzehr nach den Empfehlungen (10 Re-geln) der DGE und wurde zunächst entwickelt, um eine optimale Nährstoffzufuhr sicher-zustellen. Der Ernährungskreis umfasst Lebensmittelgruppen, die sowohl pflanzlichen als auch tierischen Ursprungs sind. Mengenmäßig dominieren jedoch die pflanzlichen Lebens-mittel. Bei der Bewertung dieser Lebensmittelgruppen hinsichtlich ihres Präventionspoten-zials bzw. der Risiken für ernährungsmitbedingte Krankheiten fallen jedoch sowohl pflanzli-che als auch tierische Lebensmittel auf. Nach der hier durchgeführten Bewertung besitzen Vollkornprodukte, Gemüse und Blattsalate, Obst und Fisch ein klares risikosenkendes Potenzial. Risikoerhöhende Einflüsse gehen von rotem Fleisch und Fleischwaren aus. Ideal wäre es, das Wissen über das präventive Potenzial der Lebensmittel durch das Wissen über deren Nachhaltigkeit zu ergänzen.

Lebensmittelbasierte Ernährungsempfehlungen Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) hat sich während der letzten Jahre zunehmend der Prävention von ernährungsmitbedingten Krankheiten zugewandt. Die Prävention von Krankheiten durch Ernährung ist ein Forschungsfeld, auf dem große bevöl-kerungsbezogene epidemiologische Studien dominieren. Deren Ergebnisse werden von der DGE in Leitlinien und Stellungnahmen verdichtet und bewertet.

Eine der Erkenntnisse der letzten Jahre ist, dass die Frage der Prävention von Krankheiten durch Ernährung nicht allein auf der Ebene einzelner essenzieller Nährstoffe zu klären ist. Dies ist zum einen dadurch bedingt, dass ein Großteil der bekannten Pathomechanismen entweder auf metabolische Veränderungen zurückzuführen ist oder auf durch bioaktive Lebensmittelinhaltsstoffe beeinflusste Stoffwechselvorgänge. Zum anderen haben Studien gezeigt, dass durch eine Supplementation mit Nährstoffen bei einer bereits gut versorgten Bevölkerung das Präventionspotenzial durch eine Steigerung der Zufuhr von Nährstoffen gering ist. Gerade die langfristigen metabolischen Veränderungen, an denen neben der Ernährung auch ernährungsassoziierte Faktoren wie das Übergewicht und andere Faktoren wie die körperliche Aktivität wesentlich beteiligt sind, stehen im Fokus der Präventionsüber-legungen. Daher geht es bei der Frage der Präventionspotenziale von pflanzlichen und tieri-

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schen Lebensmitteln und deren Wirksamkeit auch um den Gesamtkontext eines gesund-heitsfördernden Lebensstils, da Krankheitsprävention weit über die Ernährung hinausreicht. Dies gilt analog auch für Fragen der Nachhaltigkeit.

Mit dem auf dem Lebensmittelverzehr basierenden Ernährungskreis definiert und kommuni-ziert die DGE eine präventiv wirksame Ernährung. Ursprünglich wurde der Ernährungskreis geschaffen, um aufzuzeigen, dass und wie eine Umsetzung der D-A-CH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr in eine vollwertige Ernährung möglich ist. Der Ernährungskreis umfasst 7 Lebensmittelgruppen. Mit Empfehlungen auf Lebensmittelebene kann die gesamte Komple-xität der Zusammensetzung eines Lebensmittels bzw. einer Lebensmittelgruppe präventiv genutzt werden. Bei der lebensmittelbasierten Prävention müssen nicht alle Wirkungsweisen verstanden werden, sondern es muss sichergestellt sein, das eine Veränderung im Lebens-mittelverzehr auch tatsächlich zu einer Veränderung im Krankheitsrisiko führt. Die wissen-schaftliche Beweislage eines solchen Zusammenhangs wird mit einem Härtegrad der Evidenz versehen.

Zu den im DGE-Ernährungskreis dargestellten tierischen Lebensmittelgruppen zählen „Milch und Milchprodukte“ sowie „Fleisch, Wurst, Eier und Fisch“. Zu den Lebensmittelgruppen pflanzlichen Ursprungs zählen „Getreide, Getreideprodukte, Kartoffeln“, „Gemüse und Salate“ und „Obst“. Die Lebensmittelgruppe „Fette, Öle“ enthält sowohl Lebensmittel tierischen als auch pflanzlichen Ursprungs. In jeder dieser Gruppen sind Lebensmittel bzw. -untergruppen mit unterschiedlichen präventiven Potenzialen vorhanden. Bei der Betrach-tung des präventiven Potenzials ist eine weitere Aufteilung über die Lebensmittelgruppen des Ernährungskreises hinaus sinnvoll, da in der jetzigen Einteilung Lebensmittel mit klar unterschiedlichen Potenzialen zusammengefasst sind.

Nachfolgend werden die Lebensmittel bzw. Lebensmittelgruppe einer ersten und noch unsystematischen Bewertung ihres präventiven Potenzials bzw. Risikos unterzogen. Für die Bewertung des präventiven Potenzials hinsichtlich häufig vorkommender chronischer Krank-heiten wurden Dokumente der DGE, wie Leitlinien und Stellungnahmen, sowie Meta-Analysen herangezogen.

Präventionspotenzial der Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs

Getreide, Getreideprodukte und Kartoffeln

In der evidenzbasierten Leitlinie Kohlenhydrate wurde festgestellt, dass ein erhöhter Verzehr von Vollkornprodukten bzw. Ballaststoffen aus Getreideprodukten mit einem verringerten Risiko für eine Vielzahl von chronischen Krankheiten verbunden ist, wie z. B. Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2, koronare Herzkrankheiten und einige Krebskrankheiten.

Gemüse und Obst

In der Stellungnahme der DGE zu Gemüse und Obst aus dem Jahr 2007 wurde für eine Vielzahl von Krankheiten eine Risikoabsenkung durch erhöhten Gemüse- und Obstverzehr

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gezeigt. Hervorzuheben ist, dass der Verzehr von Gemüse und Obst mit überzeugender Evidenz das Risiko für Hypertonie und kardiovaskuläre Krankheiten senkt.

Fette pflanzlichen Ursprungs

Die pflanzlichen Fette, in der Regel Öle, haben häufig eine ernährungsphysiologisch güns-tigere Fettsäurenzusammensetzung als tierische Fette, das wiederum mit einem risiko-senkenden Potenzial hinsichtlich kardiovaskulärer Krankheiten in Verbindung gebracht wird.

Präventionspotenzial der Lebensmittel tierischen Ursprungs

Milch und Milchprodukte

Die Datenlage zu Beziehungen zwischen dem Verzehr von Milch bzw. Milchprodukten und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie Diabetes mellitus Typ 2 ist inkonsistent und weist auf einen fehlenden Zusammenhang hin. Im Gegensatz dazu haben neue Resultate aus Kohortenstudien den Befund gestützt, dass der Verzehr dieser Lebensmittel das Risiko für Darmkrebs senkt, aber auch das Risiko für Prostatakrebs erhöht.

Rotes Fleisch und Fleischwaren

Ein vermehrter Verzehr von rotem Fleisch bzw. Fleischwaren erhöht das Risiko für eine Viel-zahl von Krankheiten wie Dickdarmkrebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Diabetes mellitus Typ 2.

Geflügelfleisch

Im Gegensatz zu rotem Fleisch ist der Verzehr von Geflügelfleisch nicht mit einem erhöhten Risiko für die oben genannten chronischen Krankheiten verbunden.

Fisch

Mit dem Verzehr von Fisch sind eine Absenkung des Risikos für Herzinfarkt und Schlaganfall sowie weniger negative kardiovaskuläre Veränderungen wie Herzrythmusstörungen asso-ziiert. Kürzlich wurde in der EPIC-Norfolk-Kohorte auch auf ein verringertes Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 hingewiesen. Auf das Krebsrisiko hat der Fischverzehr vermutlich keinen Einfluss.

Eier

Der Verzehr von Eiern wurde im Zusammenhang mit der Cholesterolzufuhr als Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten diskutiert. Epidemiologische Studien konnten zeigen, dass in einer gesunden Bevölkerung der nicht tägliche Verzehr von Eiern mit keiner Risikoerhöhung verbunden ist. Der tägliche Verzehr von Eiern ist jedoch mit einem erhöhten Risiko für koro-naren Herzkrankheiten und Diabetes assoziiert.

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Tierische Fette

Tierische Fette als Lebensmittel haben im Vergleich zu den pflanzlichen Fetten ein ungüns-tiges Fettsäurenmuster bezogen auf das kardiovaskuläre Risiko. Dennoch sind die Daten aus den Studien inkonsistent und weisen auf kein besonderes Risiko hin.

Weiterhin wurden in den letzten Jahren 2 große Forschungsprojekte durchgeführt die unter-sucht haben, welche Lebensmittelgruppen – darunter auch die des Ernährungskreises – mit der Körpergewichtsentwicklung in Verbindung gebracht werden können. Der Verzehr von Fleisch und Fleischwaren ist mit einer vergleichsweise erhöhten Gewichtszunahme asso-ziiert und der Verzehr von ballaststoffreichen Getreideprodukten, Gemüse und Blattsalaten sowie Obst mit einer vergleichsweise niedrigeren Gewichtszunahme.

Von den verschiedenen Lebensmittelgruppen des Ernährungskreises der DGE heben sich einige Lebensmittel bzw. Lebensmittelgruppen hervor, die ein besonders hohes präventives Potenzial besitzen wie z. B. Vollkornprodukte, Gemüse und Obst. Weitere Lebensmittel bzw. Lebensmittelgruppen mit einem präventiven Potenzial sind Fisch und eingeschränkt Milch und Milchprodukte. Zu den Lebensmitteln mit einem risikoerhöhenden Potenzial zählen rotes Fleisch und Fleischwaren und eingeschränkt Eier.

Eine Untersuchung an der EPIC-Potsdam-Kohorte zur Frage, ob das Einhalten der Empfeh-lungen des DGE-Ernährungskreises mit einem reduzierten Erkrankungsrisiko einhergeht, zeigte, dass dies der Fall ist. Bei der Untersuchung der einzelnen Komponenten fiel auf, dass die Einhaltung eines moderaten Verzehrs von Fleisch und Wurst, Eiern und tierischem Fett dafür ausschlaggebend war.

Die DGE hat bisher den Beitrag eines Lebensmittels zur Nährstoffversorgung und zur Krank-heitsprävention untersucht. Ebenso könnte in Zukunft auch die Nachhaltigkeit der Erzeugung von Lebensmitteln, die Eingang in den Ernährungskreis gefunden haben, einer Bewertung unterzogen werden. Auf diese Weise würde eine umfassende Bewertung des empfohlenen Lebensmittelverzehrs in Deutschland erreicht.

Literatur 1. Alexander DD et al.: Summary and meta-analysis of prospective studies of animal fat

intake and breast cancer. Nutr Res Rev. 23 (2010) 169–79.

2. Bernstein AM et al.: Major dietary protein sources and risk of coronary heart disease in women. Circulation. 122 (2010) 876–83.

3. Daniel CR et al.: Prospective investigation of poultry and fish intake in relation to cancer risk. Cancer Prev Res (Phila). (2011) [Epub ahead of print]

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4. Deutsche Gesellschaft für Ernährung, aid infodienst Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz (Hrsg.): Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE. 24. überarbeitete Auflage, Bonn (2011)

5. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): Kohlenhydratzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten – Evidenzbasierte Leitlinie. Bonn (2011). www.dge.de/leitlinie

6. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg): Obst und Gemüse in der Prävention chronischer Krankheiten. Bonn (2007). www.dge.de/Stellungnahmen/Statements

7. Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Der neue DGE-Ernährungskreis – Lebensmittelmengen. DGEinfo (4/2004) 54–55

8. Djoussé L et al.: Egg consumption and risk of type 2 diabetes in men and women. Diabetes Care. (2009) 32:295–300

9. Du H, van der A DL et al.: Dietary fiber and subsequent changes in body weight and waist circumference in European men and women. Am J Clin Nutr. 91(2010) 329–36

10. Gibson RA et al.: The effect of dairy foods on CHD: a systematic review of prospective cohort studies. Br J Nutr. 102 (2009) 1267–75

11. Halkjær J et al.: Intake of total, animal and plant protein and subsequent changes in weight or waist circumference in European men and women: the Diogenes project. Int J Obes (Lond). 35 (2011) 1104–13

12. He K, Song Y et al.: Accumulated evidence on fish consumption and coronary heart disease mortality: a meta-analysis of cohort studies. Circulation. 109 (2004) 2705–11

13. Mozaffarian D et al.: Changes in diet and lifestyle and long-term weight gain in women and men. N Engl J Med. 364 (2011) 2392–404

14. Patel PS et al.: Association between type of dietary fish and seafood intake and the risk of incident type 2 diabetes: the European prospective investigation of cancer

(EPIC)-Norfolk cohort study. Diabetes Care. 32 (2009) 1857–63

15. Von Ruesten A, Feller S, Boeing H: Beeinflusst die Einhaltung der Empfehlungen des DGE-Ernährungskreises das Risiko für chronische Erkrankungen?. Ernährungs Umschau 58 (2011) 242–249

16. WCRF/AICR Systematic Literature Review Continuous Update Project Report, WCRF 2011

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Prof. Dr. Heiner Boeing Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE) Abteilung Epidemiologie Arthur-Scheunert-Allee 114-116 14558 [email protected]

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Von Äpfeln, Rindfleisch und Wein! Regional? Saisonal? Oder doch global?

Prof. Dr.-Ing. Elmar Schlich, Professur für Prozesstechnik in Lebensmittel- und Dienstleistungsbetrieben, Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen

Zusammenfassung Nach der Theorie zur Ökologie der Betriebsgröße (Ecology of Scale) ist nicht die reine Transportentfernung, sondern die Betriebsgröße der Prozesskette entscheidend für die Kli-marelevanz der Bereitstellung von Lebensmitteln für deutsche Verbraucher/-innen. Im Klar-text: Lebensmittel aus der Region sind nur dann umweltfreundlich, wenn die dahinter ste-hende Größe der Produktions- und Transportbetriebe ausreichend bemessen ist.

Die vorliegenden Befunde widersprechen eindeutig der in der deutschen Öffentlichkeit oft-mals vorherrschenden Auffassung, regionale Lebensmittel seien immer „ökologischer“ als kontinentale oder globale Lebensmittel. Alle bisher untersuchten vollständigen Prozessketten der Lebensmittelbereitstellung – von der Primärproduktion bis zum Point of Sale (PoS) – zei-gen, dass Energieaufwand und Kohlendioxidemission jeweils bezogen auf 1 kg Lebensmittel mit zunehmender Betriebsgröße definitiv abnehmen, und zwar unabhängig von der Markt-entfernung.

Für kleinere Betriebe in der Region ergibt sich aus den vorliegenden Daten zum einen die Empfehlung, Kooperativen und Genossenschaften zur Vermeidung von Individualverkehr in der Region zu bilden, verbunden mit einer intelligenten Distributionslogistik in die Zentren. Zum anderen besteht kein Anlass, globale Lieferketten wegen der angeblichen Umwelt-schädlichkeit an den Pranger zu stellen. Dies wäre von der Sache her falsch und dürfte eher als Protektionismus zu bewerten sein.

Deutschland ist als eines der am dichtesten besiedelten Industrieländer der Erde zur ganz-jährigen Versorgung seiner Bevölkerung zwingend auf Lebensmittelimporte angewiesen, wobei diese in aller Regel per ausgefeilter Containerlogistik (Schiff, Bahn, LKW) und nicht – wie oft behauptet – per Flugzeug erfolgen. Denn der mittlere Selbstversorgungsgrad bei lebenswichtigem Obst und Gemüse liegt in Deutschland nur bei knapp 20 %! Eine Aus-nahme bildet hier lediglich das Lebensmittel Nr. 1: das Trinkwasser. Dessen leitungsgebun-dene Versorgung aus regionaler Gewinnung ist für jeden deutschen Haushalt absolut selbst-verständlich und wird daher kaum noch als Wert wahrgenommen, obwohl dies im weltweiten Vergleich ein unschätzbares Gut darstellt.

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Allerdings wären die Endverbraucher gut beraten, die eigenen Wege zum und vom Einkauf mit zu bedenken, zusätzlich z. B. auf die Erdbeeren zu Weihnachten und frischen Fisch aus Südostasien zu verzichten sowie insgesamt weniger Fleisch und Sojaprodukte zu konsumie-ren.

Einleitung Aktuell sind die Stichworte „Regionalität“ und „Saisonalität“ bei der Auswahl von Lebensmit-teln unübersehbar – der Trend im Lebensmitteleinzelhandel (LEH), in Gastronomie und Ge-meinschaftsverpflegung. Regionale Lebensmittel seien per se umweltfreundlicher als glo-bale, so jedenfalls die öffentliche Meinung. Dabei versteht jeder unter „Region“ etwas Ande-res, je nach Blickwinkel und Interessenslage. Zusätzlich fällt auf, dass Regionalität nur für bestimmte Lebensmittel gefordert und empfohlen wird. Andere Produkte aus nachwachsen-den Rohstoffen wie Tabak, Kosmetika, Leder, Waschmittel, Treibstoffe (Rapsmethylester, E10), T-Shirts aus Baumwolle, aber auch unverzichtbare Lebensmittel wie Kaffee, Tee, Oli-venöl, Reis oder Sojaprodukte spielen im Zusammenhang mit Regionalität keine Rolle.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob regionale Prozessketten tatsächlich immer umweltfreundlicher als globale Ware sind – eine Forschungsfrage – die nur durch empirische Untersuchungen beantwortet werden kann. Im Rahmen von umfangreichen und langwierigen Erhebungen vor Ort hat die Arbeitsgruppe der Professur für Prozesstechnik an der Justus-Liebig-Universität Gießen seit 1997 Endenergieumsätze für vollständige Prozessketten – von der Primärproduktion bis zum Point of Sale – erhoben, jeweils für unterschiedliche Betriebs-größen, einschließlich aller energetischen Aufwendungen für Transporte und Distribution. Im Vergleich befinden sich lokale Lebensmittel (Marktentfernung bis 50 km), regionale Lebens-mittel (Marktentfernung bis 500 km), europäisch-kontinentale Lebensmittel (bis 2 500 km) und globale Lebensmittel (Marktentfernung mehr als 2 500 km).

Wissenschaftliche Theorie Die spezifischen Aufwendungen und die damit verbundenen ökologischen Wirkungen zur Bereitstellung eines Lebensmittels am Markt (Point of Sale - PoS) hängen gemäß der vorlie-genden Theorie zur "Ecology of Scale" degressiv von der Betriebsgröße ab. Die reine Ent-fernung zwischen Primärproduktion und Point of Sale spielt hingegen nur eine sehr unter-geordnete Rolle. Der für diesen Sachverhalt vom Autor eingeführte Begriff "Ecology of Scale" [Schlich 2005, Schlich 2008a] ist in Analogie zum Begriff "Economy of Scale" (auch: Econo-mies of Scale) entstanden. Auch andere Begriffe aus der Mikroökonomie wie Dichtevorteil (Economies of Density), Subadditivität oder Verbundeffekt beschreiben zutreffend Skalenef-fekte der Ökonomie, die zu Gunsten größerer Stückzahlen regelmäßig auftreten. Insofern ist die inhaltliche und begriffliche Koinzidenz von Ökonomie und Ökologie nicht zufällig gewählt.

Die Marktentfernung zwischen dem Ort der Primärproduktion und dem PoS, die in den Kon-zepten von „Regionalität“, „Local Food“ oder „Food Miles“ im Zentrum des Interesses steht und historisch wohl auf den von Thünen´schen Ringen beruht [Thünen 1826], hat hingegen

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für die Umweltwirkung einer Prozesskette im dicht besiedelten Industrie- und Dienstleis-tungsland Deutschland keine unmittelbare Bedeutung. Erst wenn die zur Überbrückung der Marktentfernung genutzten Transportmittel hinsichtlich der Ladungsmenge und des spezifi-schen Treibstoffverbrauchs berücksichtigt werden, ist die reine Transportentfernung einer von mehreren in die Umweltwirkung eingehenden Faktoren.

Bisherige Untersuchungen und ausgewählte Ergebnisse Folgende Studien liegen inzwischen vor: Tafeläpfel [Schlich 2008b], Fruchtsäfte [Schlich, Fleissner 2005] und Wein aus Erzeugerabfüllung [Schlich et al. 2006, Schlich 2009] als Bei-spiele für pflanzliche Lebensmittel sowie Lammfleisch [Schlich, Fleissner 2005] und Rind-fleisch [Schlich et al. 2009] als Beispiele für vom Tier stammende Lebensmittel.

Danach verursacht extensiv erzeugtes Rindfleisch aus den Pampas Argentiniens einschließ-lich aller Transporte bis zum PoS in Deutschland erheblich weniger Treibhausgase als die intensive Rinderzucht in deutschen Regionen, sofern diese keine Mindestbetriebsgröße mit mehr als ca. 400 Mastplätzen aufweist. Addieren wir noch die Produktion und den Transport von Kraftfutter etwa aus großflächigem Sojaanbau in Brasilien hinzu, geht die Ökobilanz des „regionalen“ Rindfleischs ganz in den Keller. Vor diesem Hintergrund führt die laufende Werbung einer großen deutschen Fast-Food-Kette zur dortigen ausschließlichen Verwen-dung „regionalen“ deutschen Rindfleischs die Verbraucher definitiv in die Irre. Für die Umwelt wäre es viel sinnvoller, die Rindfleischerzeugung hierzulande vollständig auf extensive Tierhaltung umzustellen, wobei dann der Selbstversorgungsgrad von Rindfleisch erheblich abnehmen würde. Käme die Mehrheit der Bevölkerung der DGE-Empfehlung nach, weniger Fleisch zu verzehren, würde dies sicherlich kompensiert werden können!

Tafeläpfel stehen in Deutschland nur zu 30–35 % aus regionalem Anbau zur Verfügung, ins-besondere saisonal, also im Herbst und Frühwinter der nördlichen Hemisphäre. Für Anbau, Ernte, Transport, Lagerung und Distribution schlagen je nach Jahreszeit und Betriebsgröße etwa 40–200 g CO2 pro kg Tafeläpfel zu Buche. Tafeläpfel aus der frischen Ernte der südli-chen Hemisphäre ergänzen im Frühsommer auf der nördlichen Hemisphäre das Angebot im LEH, ob konventionell oder als „Bio-Ware“. Der globale Schiffstransport von Tafeläpfeln verursacht ähnlich viel oder wenig Klimagase wie die Lagerung der letztjährigen regionalen Ernte in Kühlhäusern, die aufwändig mit modifizierter Lageratmosphäre ausgestattet sein müssen, um ansehnliche und somit verkaufsfähige Tafeläpfel bereitzustellen.

Auch bei Wein aus Erzeugerabfüllung zeigen die erhobenen Daten im Vergleich regionaler mit globaler Ware eine deutlich degressive Abhängigkeit der Energieaufwendungen von der Betriebsgröße, unabhängig von der Transportentfernung. Bei Wein liegt der Selbstversor-gungsgrad rein quantitativ bei ca. 35 %, ohne jedoch qualitative Aspekte zu berücksichtigen. In deutschen Regionen kann Wein hinsichtlich der Energieaufwendungen für die Prozess-kette nur dann ökologisch wettbewerbsfähig erzeugt werden, wenn die Betriebsgröße eine Produktion von mehr als ca. 100 000 Flaschen pro Jahr zulässt. Diese durchaus maßvolle

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Größenordnung wird von vielen regionalen Weinbaubetrieben erreicht und übertroffen, erst recht von Kooperationen und Genossenschaften.

Schlussfolgerungen Alle bisher untersuchten Fälle bestätigen deutlich die These einer Ecology of Scale. Genü-gend große Betriebe können – energetisch gesehen – sehr viel günstiger Lebensmittel am Markt bereitstellen als kleine Betriebe, unabhängig davon, ob diese Betriebe in deutschen Regionen, innerhalb der EU oder global agieren. Diese Aussage gilt einschließlich aller Auf-wendungen für kontinentale oder globale Transporte, die in aller Regel per Containerschiff, Bahn und LKW durchgeführt werden. Die häufig vermuteten Vorteile der kurzen Transport-wege innerhalb einer Region können bei zu geringen Betriebsgrößen durch Mängel in der Logistik und durch zu kleine Transportmittel mit geringer Auslastung sehr schnell zunichte gemacht werden.

Aber: Auch in deutschen Regionen können Lebensmittel energetisch wettbewerbsfähig am Markt bereitgestellt werden, sofern die Betriebsgröße hierfür ausreicht. Bei allen untersuch-ten Lebensmitteln finden sich zugehörige Mindestbetriebsgrößen, die auch in den deutschen Regionen durchaus erreicht werden. Zu kleinen Betriebseinheiten ist zu empfehlen, mit Hilfe der Gründung von Kooperativen und Genossenschaften die Produktions- und Distributions-logistik zu verbessern.

Die erhobenen Daten zum spezifischen Endenergieumsatz lokaler, regionaler, europäisch-kontinentaler und globaler Prozessketten dienen im Weiteren als Basis für die Berechnung zusätzlicher ökologischer Kenngrößen wie z. B. spezifischer Primärenergieumsatz und spe-zifische Kohlendioxidemission (carbon footprint). Die bisher vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass auch der spezifische Primärenergieumsatz sowie die spezifische Kohlendioxidemission mit der Betriebsgröße deutlich abnehmen.

Es besteht daher insgesamt kein Anlass, globale oder kontinentale Prozessketten für Le-bensmittel wegen der angeblich so hohen Energieaufwendungen anzuprangern. Sogar das Gegenteil kann richtig sein: lokale oder regionale Prozessketten können nach vorliegenden Erhebungen fallweise höhere Energieumsätze pro kg Lebensmittel verursachen als konti-nentale oder globale Prozessketten, und zwar immer dann, wenn die Produktionsbetriebe in der Region zu klein sind. Denn Containertransporte per See- und Binnenschiff, Bahn und LKW benötigen pro kg Lebensmittel vergleichsweise sehr wenig Endenergie.

Flugtransporte, die energetisch sehr aufwändig sind, spielen im Lebensmittelbereich als Massenmarkt eine eher untergeordnete Rolle. Ausnahmen sind Frischfisch und Meeres-früchte aus Südostasien, die inzwischen in größerem Maßstab über Frankfurt Rhein Main Airport „angelandet“ werden.

Ein Aspekt fehlt noch: die Rolle des Endverbrauchers. Nehmen wir die "letzten Kilometer" des Lebensmittels vom Handel bis zum Endverbraucher hinzu, die übrigens zu mehr als

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80 % mit dem Privat-PKW bewältigt werden, macht dies laut älteren Studien des Umwelt-bundesamts im Mittel ca. 30–40 % der Klimarelevanz einer vollständigen Prozesskette aus [Enquête Kommission 1994]. Denn wer nur 5 km mit dem Auto fährt, um im LEH oder sogar beim Erzeuger 10 kg Äpfel einzukaufen, verursacht einschließlich der Rückfahrt zusätzlich ca. 1 600 g CO2, also 160 g CO2 pro kg Äpfel! Damit vervielfacht sich die Klimarelevanz der Tafeläpfel von vorher 40 g auf jetzt 200 g (best case) bzw. von vorher 200 g auf jetzt 360 g CO2 (worst case) pro kg Tafeläpfel!

Zusätzlich sollten die beträchtlichen Verluste von Lebensmitteln innerhalb der Prozesskette –auch im Privathaushalt – Berücksichtigung finden. Die FAO spricht von 280–300 kg Le-bensmittelverlusten in der Prozesskette pro Kopf und Jahr, bezogen auf Europa und die USA. Bei einer Pro-Kopf-Produktion von etwa 900 kg Lebensmitteln pro Jahr gehe in Europa und USA also etwa ein Drittel ungenutzt verloren. Der Anteil der Endverbraucher an den Le-bensmittelverlusten betrage laut FAO etwa 30–40 % [Gustavsson et al. 2011:5].

Aktuelle und nicht abgeschlossene Forschungsarbeiten befassen sich mit Milch als Fallstu-die [Thomae et al. 2011a; Thomae et al. 2011b]. Weitere Erhebungen beschäftigen sich mit dem Beitrag des Endverbrauchers zur Klimarelevanz einer vollständigen Prozesskette unter Berücksichtigung von Einkaufswegen, Lagerung und Zubereitung [Thomae et al. 2011c].

Bei der Debatte über Regionalität ist gleichzeitig zu berücksichtigen, dass Deutschland als dicht besiedeltes Industrieland auf internationale Lebensmitteleinfuhr zur ausreichenden Versorgung der Bevölkerung angewiesen ist. Der Mittelwert der Selbstversorgungsgrade aller Obst- und Gemüsearten liegt nur bei knapp 20 %. Lebensmittel, die zwingend einge-führt werden müssen, sind z. B. Südfrüchte, Soja, Reis, Kaffee, Tee, Fische und Meeres-früchte. Bei Lebensmitteln, die hierzulande erzeugt werden können, treten zudem große sai-sonale Schwankungen auf. Beispiele hierfür sind Kartoffeln, Getreide, Sommer- und Winter-gemüse. Eine ganzjährige hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ist ohne deren Einfuhr nicht möglich. Vor diesem Hintergrund entpuppt sich der aktuelle Main-stream-Begriff „Regionalität“ eher als werbliches Konstrukt, dessen protektionistische Wir-kung manchen Marktteilnehmern sicherlich nicht ganz unwillkommen sein dürfte.

Danksagung Wir bedanken uns bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Deutschen Aka-demischen Austauschdienst (DAAD) und der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) für die langjährige Förderung unserer Forschungsarbeiten.

Literatur

1. Enquête-Kommission: Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre. Band IV: Land-wirtschaft. Deutscher Bundestag (1994)

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2. Gustavsson J, Cederberg C, Sonesson U, Otterdijk Rv, Meybeck A: Global food losses and food waste - extent, causes and prevention. Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), Rome (2011)

3. Schlich E (Hrsg.): Äpfel aus deutschen Landen. Endenergieumsätze bei Produktion und Distribution. Mit Beiträgen von Elmar Schlich, Linda Bergenthum, Susanne Abe und Juliane Dolberg. ISBN 978-386-672-754-15 Göttingen:Cuvillier (2008)

4. Schlich E, Biegler I, Hardtert B, Krause F, Luz M, Schröder S, Schroeber J, Winnebeck S: La consommation d`énergie finale de différents produits alimentaires: un essai de comparaison. Le Courrier de l´environnement de l`INRA 53 (2006) 111ff.

5. Schlich E, Fleissner U: The Ecology of Scale. Assessment of Regional Energy Turnover and Comparison with Global Food. Int J LCA 10 Vol. 3 (2005) 219–223

6. Schlich E, Hardtert B, Krause F: Rindfleisch aus Sicht der Ecology of Scale. Fleischwirt-schaft 89 (9) (2009) 114–118

7. Schlich E: Energy Economics and the Ecology of Scale in the Food Business. In: Caldwell PG and Taylor EV (Editors): New Research on Energy Economics. Nova Science Publishers, Hauppauge New York (2008) ISBN 978-1-60456-354-2.

8. Schlich E: Zur Energieeffizienz regionaler und globaler Prozessketten: das Beispiel Wein aus Erzeugerabfüllung. J. Verbr. Lebensm. 4 (2009) 68–74

9. Thomae D, Möhrmann I, Sima A, Schlich E: Relevance of consumers shopping trip to the carbon footprint of food supply. Life Cycle Assessment XI: Green Future Markets, Chicago, 04.–06. October 2011 (erscheint demnächst).

10. Thomae D, Schlich E: Berechnung von Carbon Footprint in der Molkerei-Wirtschaft- Teil 1. Molkerei Industrie 2 (2011) 30–31.

11. Thomae D, Schlich E: Berechnung von Carbon Footprint in der Molkerei-Wirtschaft - Teil 2. Molkerei Industrie 3 (2011) 30–31

12. Thünen Hv: Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie, oder Untersuchungen über den Einfluß, den die Getreidepreise, der Reichtum des Bodens und die Abgaben auf den Ackerbau ausüben. Hamburg (1826)

Prof. Dr.-Ing. Elmar Schlich Professur für Prozesstechnik in Lebensmittel- und Dienstleistungsbetrieben Justus-Liebig-Universität Gießen Stephanstr. 24 35390 Gießen [email protected] http://www.uni-giessen.de/fbr09/pt

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MANUSKRIPT

Durch nachhaltige Ernährung das Klima retten?

Dr. Erika Claupein, Institut für Ernährungsverhalten des Max Rubner-Instituts, Karlsruhe

Zusammenfassung Lebensmittel stellen ein wertvolles Gut dar – nicht nur, weil sie für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen in vielfältiger Weise zuträglich sein können, sondern auch, weil viel Arbeit und Energie aufgewendet werden muss, um sie zu erzeugen. Der hohe Ressour-cenverbrauch für die menschliche Ernährung belastet jedoch Umwelt und Klima in ähnlich hohem Maße wie das Bedürfnisfeld Wohnen. Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Lebensmittelgruppen deutlich in ihrem Einfluss auf das Klima: Tierische Lebensmittel haben ein sehr viel höheres Treibhauspotential als pflanzliche Lebensmittel. Aber auch innerhalb der pflanzlichen Lebensmittel gibt es Unterschiede im Hinblick auf die Klimawirkung. Diese Unterschiede setzen sich in den verschiedenen Ernährungsweisen fort. Mit einer nachhalti-gen Ernährungsweise, die weitgehend den DGE-Empfehlungen für eine gesunde Ernährung entspricht, lassen sich die Treibhausgasemissionen deutlich senken. Demzufolge kann eine nachhaltige Ernährung einen großen und wichtigen Beitrag zur Rettung des Klimas leisten.

Was hat die Ernährung mit dem Klima zu tun? Die Menschheit ist vom Ökosystem Erde und seinen Funktionen vollkommen abhängig. Diese Abhängigkeit wird infolge allfälliger Umweltkatastrophen und -bedrohungen immer deutlicher wahrnehmbar und erfordert konsequentes Handeln im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Der globale Klimawandel stellt eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dar. Wenn unsere Lebensgrundlage erhalten bleiben soll, müssen die Emissi-onen von Treibhausgasen weltweit gesenkt werden.

Für den Klimawandel sind vor allem die Treibhausgase Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O) verantwortlich. Diese stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit allen Lebensaktivitäten und sind daher nicht vermeidbar. Aber seit Beginn der Industrialisierung steigen sie durch die zunehmende Nutzung fossiler Energieträger in einem für die Umwelt nicht mehr kompensierbaren Maße an. Dabei weist Lachgas eine 300-fach und Methan eine 20fach höhere Klimawirksamkeit auf als Kohlendioxid. Die klimarelevanten Emissionen für Ernährung werden im Idealfall entlang der gesamten Produktkette zum Beispiel durch Stoff-stromanalysen oder Ökobilanzen erfasst, nach ihrer jeweiligen Klimawirkung gewichtet und aufsummiert in CO2-Äquvivalenten als Maß für die Klimawirksamkeit dargestellt [1].

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Nach dem Bedürfnisfeld Wohnen hat die Ernährung die größten Umweltauswirkungen und zählt daher zu den zentralen Handlungsfeldern. Die unterschiedlichen Produktionsbedingun-gen der Lebensmittel schlagen sich in ihrer Klimabilanz nieder. Für Europa (EU-25 Staaten) wird der Anteil der Treibhausgase für die Ernährung auf 40 % aller Treibhausgas-Emissionen errechnet [2], für Deutschland auf etwa 20 % [3, 4].

Klimarelevanz der Ernährung entlang der Produktkette Klimarelevante Emissionen entstehen entlang der gesamten Produktkette, die vom Acker bis zum Teller reicht. Bezogen auf alle Lebensmittel erweisen sich das erste Glied, die landwirt-schaftliche Erzeugung, und das letzte Glied, der häusliche Konsum, als die beiden Haupt-verursacher von Treibhausgasen. Bei stark verarbeiteten oder eingeflogenen Lebensmitteln kann der größte Output an Emissionen auch in anderen Gliedern der Produktkette erfolgen, sei es Lebensmittelverarbeitung, Handel und/oder Distribution.

Die Höhe der Emissionen durch die landwirtschaftliche Erzeugung wird maßgeblich durch die Anbauverfahren beeinflusst. Bei energieintensiven Anbauverfahren wie Treibhauskultur wird ein Mehrfaches an Primärenergie verbraucht und damit an Emissionen erzeugt. Auch die ökologische und konventionelle Erzeugungsweise wirken sich in unterschiedlichem Maße auf die Umwelt aus. Die ökologische Landwirtschaft ist durch den Verzicht auf den Einsatz mineralischer Düngemittel und Pestizide in der Regel klimafreundlicher als die konventionelle Landwirtschaft, hat aber häufiger einen höheren Flächenverbrauch und eine weniger effi-ziente Ressourcennutzung. Weil sowohl die Art des Lebensmittels als auch die jeweilige An-bau-, Aufzucht- und Erzeugungsweise einen großen Einfluss auf die emittierten Treibhaus-gase haben, ist eine pauschale Aussage zum Unterschied zwischen ökologischer und kon-ventioneller Erzeugung kaum möglich.

Für die Klimawirksamkeit des häuslichen Konsums ist bedeutsam, was gegessen wird, aber auch wie die Lebensmittel besorgt, gelagert und zubereitet werden, welche Mengen jeweils zubereitet werden und wo die Mahlzeiten eingenommen werden. Ein hoher Konsum tieri-scher Produkte verschlechtert die Klimabilanz deutlich, aber auch häufige Einkaufsfahrten mit dem Auto, lange Lagerzeiten von Kühl- und Tiefkühlprodukten sowie große Mengen an Lebensmittelabfällen wirken sich negativ aus.

Klimarelevanz von verschiedenen Lebensmitteln Die Klimabilanz weist große Unterschiede zwischen tierischen und pflanzlichen Lebensmit-telgruppen auf. Etwa 18 % der globalen Treibhausgase entstehen durch die Viehhaltung [5], wobei der größte Teil auf die Rinderhaltung zurückzuführen ist. Mit weitem Abstand folgen pflanzliche Lebensmittel. Aber auch in dieser Lebensmittelgruppe gibt es Unterschiede in der Klimawirksamkeit, die größtenteils aus dem unterschiedlichen Energieaufwand bei der Er-zeugung und/oder der Verarbeitung resultieren (vgl. Tabelle 1).

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Tab. 1: Klimarelevanz für Lebensmittel aus konventioneller und ökologischer Land-wirtschaft beim Einkauf im Handel (modifiziert nach [6])

CO2-Äquivalente in g/kg Produkt nach Erzeugungsweise

Lebensmittel konventionell ökologisch

Butter 23 794 22. 089

Rind 13 311 11. 374

Käse 8. 512 7. 951

Pommes-frites, Tiefkühlprodukt

5. 728 5. 568

Geflügel 3. 508 3. 039

Schwein 3. 252 3. 039

Eier 1. 931 1. 542

Joghurt 1. 231 1. 159

Milch 940 883

Teigwaren 919 770

Brot-misch 768 653

Kartoffeln, unverarbeitet 199 138

Gemüse, unverarbeitet 153 130

Klimarelevanz verschiedener Ernährungsweisen Die Auswahl von Lebensmitteln, die Zusammenstellung von Mahlzeiten und letztlich die all-täglich praktizierte Ernährungsweise wirken sich auf die Höhe der emittierten Treibhausgase aus. Je nach Ressourcenverbrauch bei der Erzeugung, Verarbeitung, Distribution und Zube-reitung reicht die Spanne der benötigten Energie entlang der Produktkette von zwei bis zu 220 MJ/kg Lebensmittel [7]. Ein Vergleich verschiedener Ernährungsweisen im Hinblick auf die Emission klimawirksamer Gase macht deutlich, dass der Anteil tierischer Lebensmittel eine Schlüsselstellung einnimmt (vgl. Abb. 1). Für diesen Vergleich wurden eine in Deutsch-land übliche Ernährung, eine ovo-lacto-vegetarische sowie eine nicht-vegetarische Variante der Vollwert-Ernährung und eine Rohkosternährung untersucht. Die übliche Ernährung (Mischkost) beinhaltet viel Brot/Backwaren, Erfrischungsgetränke, Kaffee und Tee, aber rela-tiv wenig Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Die Vollwert-Ernährung besteht hauptsächlich aus Gemüse, Obst, Vollkornprodukten, Kartoffeln, Hülsenfrüchten, Milch/-produkten, Nüssen und Samen sowie wenig oder gar kein Fleisch. Bei der Rohkost-Ernährung dominieren unerhitzte Lebensmittel, bevorzugt werden Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Es zeigt sich, dass die ovo-lacto-vegetarische Variante der Vollwert-Ernährung mit einer 52 % geringeren Emission an Treibhausgasen verbunden ist als eine in Deutschland übliche Ernährung. Mit

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der nicht-vegetarischen Variante der Vollwert-Ernährung können 37 % der klimawirksamen Emissionen eingespart werden [8].

0 500 1000 1500

Rohkost-Ernährung

Ovo-lakto-vegetarische Vollwert-Ernährung

Nicht- vegetarische Vollwert-Ernährung

Übliche Ernährung

Landwirtschaftliche Erzeugung (konventionell)Landwirtschaftliche Erzeugung (ökologisch)Industrielle Lebensmittelverarbeitung

CO2-Äquivalente (kg)

Abb.1: Emissionen klimawirksamer Gase durch verschiedene Ernährungsweisen für konventionelle oder ökologische landwirtschaftliche Erzeugung und industrielle Verarbeitung (kg CO2-Äquivalente/Person/Jahr) [8]

Nachhaltige Ernährung ist keine reine Privatangelegenheit Eine nachhaltige Ernährung kann einen wertvollen und wesentlichen Anteil dazu beitragen, dass Treibhausgas-Emissionen eingespart und damit das Klima weniger belastet wird. Inso-fern ist die Zivilgesellschaft, insbesondere in den westlichen Industrieländern, dazu aufgeru-fen, ihre Ernährungsweise umzustellen. Über veränderte Einstellungen und Verhaltenswei-sen der Verbraucher hinaus braucht es fördernde Strukturen und Angebote sowie kompe-tente Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Es sollte gelingen, die bessere Wahl im Hinblick auf Umwelt und Gesundheit zur leichteren Wahl zu machen.

Literatur [1] IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change): Summary for policymakers. In: Solomon S, Qin D, Manning M, Chen Z, Marquis M, Averyt KB, Tignor M, Miller HL (Hrsg): Climate change: the physical science basis. Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge Univer-sity Press, Cambridge, (2007) 2–18,

[2] Tukker A, Huppes G, Guinée J, Heijungs R, Koning Ad, Oers Lv, Suh S, Geerken T, Holderbeke Mv, Jansen B, Nielsen P: Environmental impact of products (EIPRO). Analysis of

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the life cycle impacts related to the final consumption of the EU-25. Main report. Luxemburg, 2006, ftp://ftp.jrc.es/pub/EURdoc/eur22284en.pdf (eingesehen am 03.04.2007)

[3] BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.), Misereor (Hrsg): Zukunfts-fähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung. Birkhäuser Ver-lag, Basel, 2. Auflage (1998)

[4] Wiegmann K, Eberle U, Fritsche UR, Hünecke K: Umweltauswirkungen von Ernährung. Stoffstromanalysen und Szenarien. Diskussionspapier Nr. 7. Darmstadt (2005)

[5] Steinfeld H, Gerber P, Wassenaar T, Castel V, Rosales M, de Haan C: Livestock's long shadow. Environmental issues and options. FAO, Rom (2006)

[6] Fritsche UR, Eberle U: Treibhausgasemissionen durch Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln. Arbeitspapier. Öko-Institut e.V. (2007)

[7] Carlsson-Kanyama A, Pipping Ekström M, Shanahan H: Food and life cycle energy in-puts: consequences of diet and ways to increase efficiency. Ecol Econ 44 (2–3), (2003) 293–307

[8] Hoffmann I: Ernährungsempfehlungen und Ernährungsweisen: Auswirkungen auf Ge-sundheit, Umwelt und Gesellschaft. Habilitationsschrift im Fachbereich Agrarwissenschaft, Umweltmanagement und Ökotrophologie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Gießen (2002)

Erika Claupein Institut für Ernährungsverhalten Max Rubner-Institut Haid-und-Neu-Straße 9, 76131 Karlsruhe [email protected]

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Welternährung: globale Nahrungssicherung für eine wachsende Weltbevölke-rung1

Dr. oec. troph. Karl von Koerber, Arbeitsgruppe Nachhaltige Ernährung am Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Landbaues, Technische Universität München, Freising-Weihenstephan

Nach dem UN-Sozialpakt von 1966 steht jedem Menschen das Recht auf Nahrung zu. Trotz global ausreichender Lebensmittelproduktion befindet sich jedoch ein erheblicher Teil der Menschheit in einer gravierenden und sich verschärfenden Hungerkrise. Die Zahl der welt-weit unterernährten Menschen schwankte in den letzten Jahren zwischen 900 Mio. und 1 Mrd. - fast alle in den sog. Entwicklungsländern (FAO 2009b, S. 11). Es ist zu befürchten, dass das von der UNO 1990 erklärte Milleniumsziel, die Zahl der Hungernden bis 2015 auf 400 Millionen zu halbieren (UN 2009), verfehlt wird. Denn trotz zahlreicher Anstrengungen nahm die Zahl der Hungernden bisher nicht wesentlich ab, sondern sogar noch zu.

Im Gegensatz hierzu sind weltweit über 1 Mrd. Menschen übergewichtig, hauptsächlich in Industrieländern (WHO 2010). Diese Über- und Fehlernährung führt zu einer Reihe von in-zwischen weit verbreiteten ernährungsmitbedingter Krankheiten. Die Welternährung hat also zwei Gesichter. (v. Koerber et al. 2008).

Situation und Prognose der Welternährung Derzeit leben fast 7 Mrd. Menschen auf der Erde (DSW 2010). Prognosen zufolge wird die Weltbevölkerung bis 2030 auf etwa 8,3 Mrd. und bis 2050 auf etwa 9,1 Mrd. Menschen an-steigen (UN 2010). Das höchste Bevölkerungswachstum ist vor allem in industriell wenig entwickelten Ländern zu erwarten. Vor diesem Hintergrund wird die Lebensmittelnachfrage insgesamt deutlich steigen (FAO 2007).

Die bereits erhebliche Verstädterung wird weiter zunehmen, mit einem bedeutenden Einfluss auf den Lebensstil und die Lebensmittelnachfrage: In Städten werden mehr Auszugsmehle, mehr Fett und tierische Produkte sowie mehr Zucker und verarbeitete Lebensmittel nachge-fragt (Mendez und Popkin 2004, S. 56). In Industrieländern leben heute bereits etwa 74 % der Bevölkerung in Städten, in Entwicklungsländern sind es 44 %. Bis 2025 wird die städti-sche Bevölkerung voraussichtlich auf 79 % bzw. 53 % ansteigen (UN 2007). 1 auf Basis eines Buchbeitrags von Karl von Koerber und Claus Leitzmann: Eine globale Perspektive: Welternährung. In: Hoffmann I, Schneider K, Leitzmann C: Ernährungsökologie – Komplexen Heraus-forderungen integrativ begegnen. Oekom, München (2011)

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Das verfügbare Einkommen ist für die Lebensmittelauswahl ein bestimmender Faktor. In den nächsten 30 Jahren soll es in Entwicklungsländern um durchschnittlich 2 % pro Jahr steigen, in sehr armen Regionen um 4 % (Schmidhuber und Shetty 2005, S. 6). Dies führt zu einer erhöhten Nachfrage an Lebensmitteln, vor allem nach tierischen Produkten (Keyzer et al. 2005, S. 189).

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist aufgrund einer Intensivierung der Landwirt-schaft die weltweite Lebensmittelerzeugung und damit die verfügbare Nahrungsmenge stark angestiegen. Im Jahr 2000 stand der Weltbevölkerung pro Person etwa 16 % mehr Nah-rungsenergie zur Verfügung (ca. 2 800 kcal/Tag) als 1970 (ca. 2 400 kcal/Tag). Die prognos-tizierten Trends bis 2050 zeigen, dass die verfügbare Nahrungsenergie vermutlich weiter zunehmen wird. In allen Weltregionen wird ein hoher Grad der Nahrungsverfügbarkeit erwar-tet. Bis 2050 werden nach Prognosen 90 % der Bevölkerung der sog. Entwicklungsländer in Regionen mit einer durchschnittlichen Verfügbarkeit an Nahrungsenergie von über 2 700 kcal leben. Im Jahr 2000 lag dieser Wert bei 51 %, 1970 waren es nur 4 % (FAO 2006b, S. 19). Der tatsächliche Zugang zu Nahrung ist jedoch innerhalb der Länder sehr unterschied-lich und teilweise unzureichend.

Getreide ist die weltweit wichtigste Lebensmittelgruppe, wenngleich der direkte Verzehr pro Person zukünftig vermutlich leicht abnehmen wird. Der Konsum tierischer Lebensmittel wird voraussichtlich weiter steigen, vor allem in Entwicklungsländern. Bei Milch und Milchproduk-ten ist ebenfalls von einer weltweiten Zunahme des Verzehrs auszugehen. Beim Zuckerver-brauch wird für Transformationsländer und Entwicklungsländer eine Steigerung prognosti-ziert, während er in Industrieländern nahezu konstant bleiben soll. Für den Konsum an pflanzlichen Ölen ist in Entwicklungsländern ein Anstieg zu erwarten (FAO 2006b).

Ursachen für die Welthungersituation und Ansatzpunkte Häufig wird die wachsende Weltbevölkerung als wesentlicher Grund für die Hungerkrise ge-nannt. Darüber hinaus gibt es aber vielfältige, sich gegenseitig beeinflussende Ursachen. Das Weltbevölkerungswachstum ist somit nicht als alleinige bzw. vorrangige Ursache des Hungers anzusehen, da die weltweite Lebensmittelerzeugung auch für eine steigende Zahl von Menschen ausreichen würde, sofern der Anteil tierischer Lebensmittel nicht zu hoch ist und andere Faktoren erfüllt sind (s. u.).

Für die Nahrungsknappheit bzw. die verbreitete Unterernährung in bestimmten Regionen der Welt, trotz global ausreichender Lebensmittelerzeugung, spielen die Weltwirtschaftsbedin-gungen eine entscheidende Rolle.

Der internationale Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen ist durch verschiedene In-terventionen verzerrt. Zum einen ist der Zugang der Entwicklungsländer zu den Märkten der Industrieländer eingeschränkt. Importzölle für Rohstoffe und verarbeitete Produkte sowie Quoten schützen die hiesigen Produzenten vor konkurrierenden Importeuren. Zum anderen übernehmen die Regierungen der Industrieländer durch Exportsubventionen Teilkosten von

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Exporteuren und ermöglichen so, Produkte zu vergleichsweise niedrigen Preisen auf dem Weltmarkt anzubieten. Außerdem erhalten Landwirte in Industrieländern eine direkte finanzi-elle Unterstützung. Im Gegensatz dazu erheben einkommensschwache Länder Steuern auf landwirtschaftliche Erzeugnisse, da diese eine wichtige staatliche Einkommensquelle darstel-len (Krawinkel et al. 2008b, S. 384).

In Entwicklungsländern bestehen häufig extreme Ungleichheiten (Leitzmann 2001). Ein gro-ßes Problem ist die sehr unterschiedliche Landverteilung, wobei ein Großteil der Bevölke-rung in ländlichen Regionen gar kein Land besitzt (sog. Landlose). Häufig fehlt der politische Wille, in die ländliche Entwicklung zu investieren und Kleinbauern den Zugang zu Kapital, Technologie, Ressourcen und Absatzmärkten zu ermöglichen (v. Koerber et al. 2008, Krawinkel et al. 2008b). Produktionssteigerungen kommen oft nur den Reichen bzw. den Männern zugute (FAO 2010).

Viele Menschen hungern, weil sie über ein unzureichendes Einkommen verfügen. Sie sind oft zu arm, um sich die Lebensmittel, die eigentlich verfügbar sind, zu kaufen (FAO 2006b). Insofern ist der Welthunger in erster Linie kein Produktionsproblem, sondern ein Verteilungs- und Armutsproblem.

Die landwirtschaftliche Fläche ist eine der grundlegenden Ressourcen zur Lebensmitteler-zeugung, wobei sie nur sehr begrenzt ausgeweitet werden kann. Verschiedene Ernährungs-weisen benötigen dabei unterschiedlich viel Ackerfläche. Besonders die Erzeugung tierischer Lebensmittel beansprucht sehr viel landwirtschaftliche Fläche. Dies liegt an den sog. Trans-formationsverlusten oder Veredelungsverlusten, die im tierischen Organismus bei der Um-wandlung von pflanzlichen Futtermitteln in tierische Nahrungsmittel entstehen. Dabei können je nach Tierart, Fütterung usw. etwa 70 bis 90 % der in Futtermitteln enthaltenen Kalorien bzw. des vorhandenen Proteins verloren gehen (Bradford 1999). Dies bedeutet eine große Verschwendung kostbarer Ressourcen.

Problematisch ist ferner, dass ein gewisser Teil der in den reichen Ländern zur Intensiv-Tierhaltung eingesetzten Futtermittel aus Entwicklungsländern importiert wird.

Weltweit ist eine dramatische Veränderung der Ernährungsgewohnheiten zu beobachten (“nutrition transition“). Diese passen sich in vielen Entwicklungsländern bei den Bevölke-rungsschichten mit steigendem Einkommen immer mehr einer „westlichen Wohlstandsernäh-rung“ an, besonders in Städten. Dadurch werden mehr tierische Lebensmittel (v. a. Fleisch und Milchprodukte) sowie Zucker, Pflanzenöle und verarbeitete Lebensmittel verzehrt. Die-ser Ernährungswandel führt nicht nur zu vielfältigen gesundheitlichen Problemen, sondern auch zu einem erheblichen Anstieg des Flächenbedarfs (v. Koerber et al. 2008).

Die Viehhaltung beansprucht etwa 80 % der gesamten weltweiten landwirtschaftlichen Nutz-fläche. Darin ist das Weideland mit fast 70 % der globalen Nutzfläche enthalten, aber auch ein Drittel des Ackerlandes zur Futtermittelerzeugung (letzteres entspricht ca. 10 % der weltweiten Nutzfläche, FAO 2006a, S. 272, FAOSTAT 2008). Dagegen haben die tierischen

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Lebensmittel nur einen geringen Anteil an der weltweiten Nahrungsenergieversorgung (17 % im Jahre 2003, FAOSTAT 2008). Die Haltung von Wiederkäuern (Rinder, Schafe, Ziegen) bietet jedoch die Möglichkeit, das reichlich vorhandene Weideland zu nutzen und hochwerti-ge Lebensmittel zu erzeugen. Dies ist ein wesentlicher Beitrag zur Welternährungssicherung. Schweine und Geflügel sind dagegen Nahrungskonkurrenten für den Menschen, da deren Futtermittel auf Ackerflächen angebaut werden müssen. Dies gilt auch für Rinder, die Kraft-futter erhalten, wie es besonders in der Intensivtierhaltung der Fall ist.

Aber nicht nur die Flächenkonkurrenz zwischen Futter- und Lebensmitteln ist angesichts der Welthungersituation problematisch. Zunehmend dienen weltweit landwirtschaftliche Flächen dem Anbau von Nicht-Lebensmitteln. So nimmt der Anbau von Agro-Energiepflanzen (für sog. „Bio-Sprit“) weltweit erheblich zu (v. Koerber et al. 2008, Krawinkel et al. 2008a). Insge-samt beanspruchen die Menschen in reichen Industrieländern deutlich mehr landwirtschaftli-che Flächen, als ihnen nach Aspekten der Verteilungsgerechtigkeit zustehen.

Die weltweiten Lebensmittelpreise sind in den letzten Jahren - neben weiteren Ursachen - durch Flächenkonkurrenzen zwischen Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zwischen Le-bensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen teilweise dramatisch gestiegen. In zahlreichen betroffenen Regionen können sich daher viele Menschen nicht einmal ausreichend Grund-nahrungsmittel kaufen. Dies betrifft zunehmend auch Bevölkerungsschichten, die ein Ein-kommen haben und bisher keinen Hunger leiden mussten (Krawinkel et al. 2008b, WFP 2008).

Die Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung ist durch den Klimawandel und dessen Folgen in vielen Regionen der Welt gefährdet. Eine Zunahme der extremen Klimaereignisse, wie Stürme, Hitzewellen, Überflutungen oder Dürren, haben negative Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktivität. Die Erhöhung der globalen Temperatur beeinflusst Menge und Verteilung der Niederschläge (IPCC 2007). Bei verminderten Niederschlägen resultieren daraus häufigere Dürreperioden, so dass Teile der bisher genutzten fruchtbaren Agrarflä-chen für die Erzeugung von Lebensmitteln unbrauchbar werden.

Der Klimawandel kann sich je nach Pflanzenart auf die landwirtschaftliche Produktivität so-wohl positiv als auch negativ auswirken. Ein gemäßigter lokaler Temperaturanstieg von 1–3 °C kann in mittleren bis höheren Breitengraden (v. a. Industrieländer, z. B. in Nordamerika und Europa) den Ernteertrag geringfügig positiv beeinflussen. In niedrigen Breitengraden (v. a. Entwicklungsländer, z. B. in Asien und Afrika) trägt dagegen bereits eine Temperatur-erhöhung um weniger als 2 °C zu verminderten Ernteerträgen bei, besonders in trockenen und tropischen Gebieten (Lotze-Campen und Schellnhuber 2009; IPCC 2007).

Auch der durch höhere Temperaturen steigende Meeresspiegel kann verheerende Folgen haben. Viele Millionen Menschen werden voraussichtlich jährlich von Überschwemmungen betroffen sein. Die Landwirtschaft wird auf vielen Inselstaaten durch die Versalzung der Bö-den und des Grundwassers unmöglich (IPCC 2007).

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Die Folgen des Klimawandels führen damit langfristig zu einer Gefährdung der Ernährungs-grundlage der gesamten Weltbevölkerung. Besonders die ökonomisch benachteiligten Men-schen, die jetzt schon unter einer schlechten Nahrungsversorgung leiden, werden noch stär-ker betroffen sein (Harmeling 2009).

Das für Menschen zur Verfügung stehende Süßwasser ist aufgrund geographischer und kli-matischer Gegebenheiten sehr unterschiedlich verteilt. Bereits heute sind viele Länder von chronischem Wasserstress bzw. Wassermangel betroffen. Die Anzahl der darunter leiden-den Menschen wird unter anderem infolge des Klimawandels weiter zunehmen. Da ein Großteil des Wassers zur Bewässerung in der Landwirtschaft verbraucht wird, ist bei Was-sermangel die landwirtschaftliche Produktivität und damit ihr Beitrag zur Welternährung er-heblich eingeschränkt. Um den Zusammenhang zwischen den globalen Süßwasserressour-cen und dem realen Wasserverbrauch für die Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse aufzuzeigen, wurden die Konzepte Virtuelles Wasser (Allan 1993) bzw. Wasser-Fußabdruck (Hoekstra und Hung 2002) entwickelt. Das virtuelle Wasser ist die versteckte, für den Erzeugungs- und Verarbeitungsprozess benötigte Wassermenge eines bestimmten Produktes. Generell sind tierische Lebensmittel wesentlich wasserintensi-ver als pflanzliche Lebensmittel (Hoekstra und Chapagain 2007).

Mit dem globalen Lebensmittelhandel ist gleichzeitig der Import bzw. Export von virtuellem Wasser verbunden. Der Import von wasserintensiven Erzeugnissen ermöglicht, die im eige-nen Land vorhandenen Wasserressourcen zu schonen und sie für andere Verwendungen zu nutzen. Der auf diese Weise verursachte globale Wasserhandel ist dagegen besonders für Entwicklungsländer mit Wasserknappheit nachteilig, da sie einen höheren virtuellen Wasser-export als Wasserimport haben, z. B. Afrika (Chapagain und Hoekstra 2008). Diese zusätz-lich verursachte Wasserverknappung führt zu einer geringeren Lebensmittelerzeugung für die einheimische Bevölkerung, so dass Nahrungsmangel und Unterernährung verstärkt wer-den.

Weltweit kommt es durch nicht nachhaltige Nutzung landwirtschaftlicher Flächen teilweise zur Abnahme der Bodenqualität und damit zu einer geringeren Produktivität. Diese Boden-degradation kann beispielsweise als Erosion, Verdichtung, Verwüstung oder Versalzung auf-treten. Entwicklungsländer sind hiervon insgesamt wesentlich stärker betroffen als entwickel-te Länder, da letztere meist über tiefgründigere Böden verfügen (Beese 2004, S. 19f).

Bei Lagerung, Transport und Verarbeitung werden landwirtschaftliche Erzeugnisse durch Schädlinge, Verderb oder Verunreinigung vernichtet. Diese Nachernteverluste betragen in Entwicklungsländern schätzungsweise zwischen 15 und 50 % der Erntemenge (FAO 2009a).

Eine wichtige Ursache für Unterernährung sind soziale Faktoren wie fehlende Bildung. So sind die stärksten Einflussfaktoren auf die Ernährungssicherheit von Kindern in Entwick-lungsländern die Bildung und der Status von Frauen (Smith und Haddad 2000, S. 65).

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Fazit Die dargestellten Ursachen für die Welthungersituation sind sehr komplex und vielfältig mit-einander vernetzt – sie lassen sich wie folgt kategorisieren:

ökonomische Ursachen (wie ungerechte Weltwirtschaftsbedingungen, steigende Lebens-mittelpreise, Flächenkonkurrenzen),

ökologische Bedingungen (wie Auswirkungen des Klimawandels wegen verminderter landwirtschaftlicher Produktivität, übermäßige Wasserbeanspruchung, Bodendegra-dation),

soziale Faktoren (wie mangelnde Bildung, Benachteiligung von Frauen). Zur Lösung ist ein Vorgehen erforderlich, bei dem deren Zusammenspiel berücksichtigt wird. Folgende Handlungsbereiche bieten dazu Ansatzpunkte, wobei es um die Umkehrung der Ursachen von Hunger geht:

Verbesserung der Weltwirtschaftsbedingungen bzw. „Fairisierung“ des Welthandels, zur Beseitigung der Armut in Entwicklungsländern,

angepasste landwirtschaftliche Erzeugungsmethoden in Entwicklungsländern und Vor-rang für die Lebensmittelerzeugung für die einheimische Bevölkerung,

langfristige Maßnahmen gegen den Klimawandel und dessen Auswirkungen, vor allem veränderter Lebensstil in den reichen Industrieländern,

verantwortungsvoller Umgang mit den Wasserressourcen, Förderung der Bildung und Verbesserung des Status von Frauen, Umsetzung einer nachhaltigen Ernährung in Industrieländern bzw. Abkehr von „westli-

cher Wohlstandsernährung“, insbesondere Verminderung des Verzehrs tierischer Le-bensmittel sowie die Verwendung von Erzeugnissen aus Fairem Handel (v. Koerber u. a. 2004).

Literatur 1. Allan JA: Fortunately there are substitutes for water otherwise our hydro-political futures

would be impossible. In: ODA (Overseas Development Administration): Priorities for water resources allocation and management, ODA, London (1993) 13–26

2. Beese FO: Ernährungssicherung als Produktions- bzw. Verteilungsproblem. Externe Ex-pertise für das WBGU-Hauptgutachten „Welt im Wandel: Armutsbekämpfung durch Um-weltpolitik“. WGBU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltver-änderungen), Berlin (2004)

3. Bradford E, Baldwin RL, Blackburn H, Cassman KG, Crosson PR, Delgado CL, Fadel JG, Fitzhugh HA, Gill M, Oltjen JW, Rosegrant MW, Vavra M, Wilson RO: Animal Agriculture and Global Food Supply. Task Force Report No. 135. Council for Agricultural Science and Technology, Ames, Iowa, USA (1999)

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4. Chapagain AK, Hoekstra AY: The global component of freshwater demand and supply: an assessment of virtual water flows between nations as a result of trade in agricultural and industrial products. Water International 33 (1) (2008) 19–32

5. DSW (Deutsche Stiftung Weltbevölkerung): DSW-Weltbevölkerungsuhr, Stand 13.12. 2010, , DSW, Hannover (2010) http://www.weltbevoelkerung.de/info-service/weltbevoelkerungsuhr.php?navanchor=1010039

6. FAO (Food and Agriculture Organization): Livestock’s long shadow. Environmental issues and options. FAO, Rome (2006a)

7. FAO (Food and Agriculture Organization): World Agriculture: towards 2030/2050. Global Perspective Studies Unit. 78 S., FAO, Rome (2006b)

8. FAO (Food and Agriculture Organization): The state of food and agriculture. 240 S., FAO, Rome (2007)

9. FAO (Food and Agriculture Organization): Post-harvest losses aggravate hunger, , FAO, Rome (2009a) http://www.fao.org/news/story/0/item/36844/icode/en/

10. FAO (Food and Agriculture Organization): World Food Program: The State of Food Insecurity in the World. Economic Crisis – impacts and lessons learned, FAO, Rome (2009b) ftp://ftp.fao.org/docrep/fao/012/i0876e/i0876e.pdf

11. FAO (Food and Agriculture Organization): FAO Focus - Women and food security. Wo-men and the green revolution. (2010) http://www.fao.org/FOCUS/E/Women/green-e.htm

12. FAOSTAT – FAO Statistics Division: Data Archives., FAO, Rome (2008) http://faostat.fao.org

13. Harmeling S: Vermeiden und bewältigen – Klimawandel, Ernährungssicherheit und das Recht auf Nahrung. In: AgrarBündnis e. V. (Hrsg.): Landwirtschaft 2009 – Der Kritische Agrarbericht. ABL Bauernblatt Verlags-GmbH, Kassel (2009) 87–91

14. Hoekstra AY, Chapagain AK: Water footprints of nations: Water use by people as a func-tion of their consumption pattern. Water Resource Management 21, (2007) 35–48

15. Hoekstra, AY, Hung PQ: Virtual Water Trade: A quantification of virtual water flows between nations in relation to international crop trade. Value of Water Research Report Series No. 11, UNESCO-IHE, Delft, The Netherlands (2002)

16. IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change): Climate Change 2007, Synthesis Report (2010) Internet: http://www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar4/syr/ar4_syr.pdf,

17. Keyzer MA, Merbis MD, Pavel IFPW, van Wesenbeeck CFA: Diet shifts towards meat and the effects on cereal use: Can we feed animals in 2030? Ecological Economics 55 (2) (2005) 187–202,

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18. Koerber Kv, Kretschmer J, Prinz S: Globale Ernährungsgewohnheiten und -trends. Ex-terne Expertise für das WBGU-Hauptgutachten „Welt im Wandel - Zukunftsfähige Bio-energie und nachhaltige Landnutzung“. WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesre-gierung Globale Umweltveränderungen), Berlin (2008)

19. Koerber Kv, Männle T, Leitzmann C: Vollwert-Ernährung – Konzeption einer zeitgemä-ßen und nachhaltigen Ernährung. Haug, Stuttgart, 2004

20. Krawinkel MB, Keding GB, Chavez-Zander U, Jordan I, Habte TY: Eine umfassende Herausforderung – Welternährung im 21. Jahrhundert (Teil 1+2). Biol. Unserer Zeit 38(5), 312–318 und 38(6), 382–389 (2008a+b)

21. Leitzmann C: Die globale Ernährungssituation – Welternährung zu Beginn des 21. Jahr-hunderts. Biol. Unserer Zeit 31(6) (2001) 408–416

22. Lotze-Campen H, Schellnhuber HJ: Climate impacts and adaptation options in agriculture: what we know and what we don’t know. Journal für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit – Journal for Consumer Protection and Food Saftey 4(2), (2009) 145–150

23. Mendez MA und Popkin B: Globalization, urbanization and nutritional change in the developing world. In: FAO (Hrsg.): Globalization of food systems in developing countries: impact on food security and nutrition. Food and nutrition paper. 55-80, FAO, Rome (2004)

24. Schmidhuber J und Shetty P: The nutrition transition to 2030. Why developing countries are likely to bear the major burden. Plenary paper presented at the 97th Seminar of the European Association of Agricultural Economists. Reading: European Association of Agricultural Economists (2005) 26 S.

25. Smith LC und Haddad L: Explaining child malnutrition in developing countries – a cross-country analysis. IFPRI (International Food Policy Research Institute), Washington DC (2000)

26. UN (United Nations Organization), Population Division of the Department of Economic and Social Affairs: World Urbanization Prospects: The 2007 Revision. , UN, New York(2007) http://www.un.org/esa/population/publications/wup2007/2007WUP_Highlights_web.pdf

27. UN (United Nations Organization): The Millenium Development Goals Report. , UN, New York (2009) http://mdgs.un.org/unsd/mdg/Resources/Static/Products/Progress2009/MDG_Report_2009_En.pdf

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28. UN (United Nations Organization), Population Division of the Department of Economic and Social Affairs: World Population Prospects: The 2008 Revision. Internet: http://esa.un.org/unpp, UN, New York(2010)

29. WFP (World Food Programme): WFP says high food prices a silent tsunami, affecting every continent. Internet: http://www.wfp.org/node/195, WFP(2008)

30. WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) (Hrsg): Welt im Wandel: Zukunftsfähige Bioenergie und nachhaltige Landnutzung. Berlin, 2009 http://www.wbgu.de/wbgu_jg2008_vorab.pdf (6.5.2010)

31. WHO (World Health Organization): Obesity and Overweight, Facts. , WHO, Geneva (2010) http://www.who.int/dietphysicalactivity/publications/facts/obesity/en

Dr. oec. troph. Karl von Koerber Alte Akademie 14 85350 Freising [email protected] www.wzw.tum.de/ne

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MANUSKRIPT

Nachhaltigkeit als Herausforderung für die Ernährungsindustrie

Der „Unilever Sustainable Living Plan“ Merlin Koene, Communication Director, Unilever DACH, Hamburg

Zusammenfassung Zwei Milliarden Mal pro Tag nutzen Menschen rund um den Globus ein Unilever Produkt. Somit bewirken unsere Produkte einen kleinen, aber wichtigen Unterschied in der täglichen Lebensqualität der Menschen. Gleichzeitig aber hat Unilever dadurch auch die Verant-wortung, eine Zukunft zu schaffen, in der Menschen ihre Lebensqualität verbessern können, ohne größere Umweltbelastungen zu verursachen. Mit Einführung des „Unilever Sustainable Living Plans“ will Unilever den sozialen Nutzen der Produkte steigern.

Im Bereich Ernährung umfasst das die Optimierung des Produktportfolios hinsichtlich Geschmack und Nährwertqualität. Aber auch den nachhaltigen Anbau der Rohwaren, der beispielhaft anhand der Marke „Knorr“ aufgezeigt wird.

Der „Unilever Sustainable Living Plan“ Die Vision von Unilever besteht darin, eine Zukunft zu schaffen, in der Menschen ihre Lebensqualität verbessern können, ohne größere Umweltbelastungen zu verursachen.

Der „Unilever Sustainable Living Plan“ [1], unser Nachhaltigkeitsplan, wird bis 2020 zu drei entscheidenden Ergebnissen führen:

1. Wir werden mehr als einer Milliarde Menschen dabei helfen, selbstbestimmt ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu steigern.

2. Wir werden unser Wachstum von unseren Umweltauswirkungen abkoppeln und dabei eine Reduzierung der Umweltbelastungen in absoluten Zahlen über den ganzen Lebenszyklus der Produkte erzielen. Unser Ziel ist es, den „ökologischen Fußab-druck“ bei der Herstellung und Verwendung der Produkte zu halbieren.

3. Wir werden die Lebensgrundlagen hunderttausender Menschen, die Teil unserer Lieferkette sind, verbessern.

Zur Erfüllung dieser Ziele betrachtet Unilever den gesamten Lebenszyklus der Produkte. Es werden soziale, wirtschaftliche und ökologische Faktoren mit einbezogen. Zudem bezieht sich der „Unilever Sustainable Living Plan“ auf alle Marken in allen Ländern, in denen Unilever tätig ist.

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Prioritäten im Bereich Ernährung Um unser Ziel für Gesundheit und Wohlbefinden zu erreichen, haben wir uns die folgenden Prioritäten gesetzt:

1. Verbesserung von Geschmack und Nährwertqualität unserer Produkte

2. Verdopplung des Anteils unseres Portfolios, der auf Grundlage weltweit anerkannter Ernährungsrichtlinien höchste Ernährungsstandards erfüllt, bis zum Jahr 2020.

2003 hat Unilever das „Nutrition Enhancement Programm“ aufgesetzt, um die Qualität unserer Lebensmittel zu verbessern. All unsere 30 000 Produkte sind auf den Anteil der folgenden vier Nährstoffe überprüft worden:

- Salz

- Zucker

- Gesättigte Fette

- Transfettsäuren

Jedes Produkt wurde mit Blick auf diese Bestandteile anhand strenger ernährungswissen-schaftlicher Richtwerte überprüft [2].

Zusätzlich bietet Unilever auf allen Produkten in Europa und Nordamerika umfangreiche Nährwertinformationen (bis 2015 weltweite Ausweitung).

Praxisbeispiel: Knorr „Anbau für die Zukunft“ Unilever verkauft täglich 10 Millionen Knorr-Packungen an ca. 200 Millionen Verbraucher. 85 % der von Knorr verwendeten Rohstoffe kommen aus der Landwirtschaft. Seit 1998 hat Unilever mehr als 25 Millionen Euro in die Erforschung und Entwicklung nachhaltiger Land-wirtschaft investiert und das Programm „Anbau für die Zukunft“ [3] eingeführt. Hierbei handelt es sich um ein einzigartiges, international anerkanntes Programm mit dem Ziel, den weltweit für Knorr tätigen Lieferanten konkrete Lösungen für die vielen Herausforderungen der Land-wirtschaft zu geben.

Bis 2012 sollen alle Gemüse- und Kräuterlieferanten an dem Programm teilnehmen. Bis 2015 werden wir alle unsere 13 wichtigsten Anbaupflanzen aus nachhaltigem Anbau beziehen, bis 2020 sollen alle landwirtschaftlichen Rohstoffe aus nachhaltigem Anbau kommen.

Gleichzeitig haben wir zum Ziel, unseren Verbrauchern schmackhafte Rezepte mit besten Zutaten aus nachhaltigem Anbau zu liefern. Wir haben uns zu folgenden Programmen verpflichtet:

1. Natürliche Zutaten: Alle unsere Gemüse und Kräuter wachsen unter freiem Himmel und werden in der Saison geerntet, wenn sie wirklich reif sind. Sonnenenergie und

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unser Trocknungsverfahren wirken sich positiv auf Qualität und Geschmack der Gemüse und Kräuter aus.

2. Bester Geschmack: Unsere 280 Küchenchefs haben mehr als 40 000 Stunden in den Geschmack unserer Rezepte investiert, 4 000 Zutaten überprüft und Produkttests mit 6 000 Verbrauchern durchgeführt.

3. Verbesserung des Produktprofils: Ein zunehmender Teil unserer Produkte ist ohne geschmacksverstärkender Zusatzstoffe, ohne Konservierungsstoffe (laut Gesetz) und ohne Farbstoffe.

Zukünftige Herausforderungen Viele unserer Produkte leisten schon jetzt einen wichtigen Beitrag zur Aufnahme von Mikro-nährstoffen bei Hunderten Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Unsere Heraus-forderung besteht darin, dies für mehr Menschen an mehr Orten auf eine (für diese Menschen) wirtschaftlich machbare Weise zu leisten.

Zudem müssen wir dazu beitragen, das Bewusstsein der Verbraucher für das Thema Nachhaltigkeit zu erhöhen. Interne Studien belegen, dass Nachhaltigkeit für den Großteil der Konsumenten noch ein zu intransparenter und komplexer Bereich ist.

Literatur [1] http://www.unilever.de/Images/101109_USLP_booklet_deutsch_FINAL_tcm212-241830.pdf

[2] Nijman et al: A method to improve the nutritional quality of foods and beverages based on dietary recommendations. European Journal of Clinical Nutrition 61 (2007)461–471

[3] http://www.guter-geschmack-ist-unsere-natur.de

Katja Wagner Unilever Deutschland GmbH Strandkai 1 20457 Hamburg [email protected]

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MANUSKRIPT

Product Carbon Footprint: ein geeigneter Nachhaltigkeitsindikator für Lebensmittel? Dr. Maria Müller-Lindenlauf, ifeu- Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH, Heidelberg

Zusammenfassung In den letzten Jahren wurde der CO2-Fußabdruck für Produkte (englisch: product carbon foodprint, kurz PCF) zunehmend populär. Auch im Lebensmittelbereich finden sich bereits Siegel, die den CO2-Fußabdruck auf dem Produkt ausloben. Dabei werden alle Treibhaus-gasemissionen, die entlang des Lebensweges eines Produktes anfallen, berechnet und aus-gewiesen. Ziel des CO2-Fußabdruckes ist es, Treibhausgasemissionen transparent zu machen und damit verantwortliche Konsumentscheidungen und Produktionsweisen zu för-dern. Inwieweit der PCF tatsächlich zur Erreichung dieses Ziels beiträgt, wird kontrovers diskutiert. In diesem Beitrag wird zum einen der Stand der Entwicklung von Standards und Siegeln vorgestellt und werden zum anderen Stärken und Schwächen des Instrumentes „PCF für Lebensmittel“ diskutiert. Dabei ergeben sich folgende Schlussfolgerungen: Ange-sichts der Spezifika des Lebensmittelmarktes (u. a. viele Akteure auf der Erzeugerseite, zeitlich und räumlich stark schwankende Aufwendungen und Erträge in der Landwirtschaft, unsichere Emissionen aus biologischen Prozessen, viele Einzelprodukte) erscheint es unwahrscheinlich, dass ein wettbewerbsrechtlich einwandfreies und hinsichtlich der Kosten vertretbares System der Kennzeichnung von Lebensmitteln mit einem PCF entwickelt werden kann. Zur Ableitung von Optimierungspotenzialen entlang der Produktionskette ist der PCF jedoch gut geeignet. Zu bedenken ist weiterhin, dass der PCF nur eine einzige Umweltwirkung (nämlich die Treibhausgase) betrachtet. Gerade die Nahrungsmittelerzeu-gung hat jedoch auch in anderen Bereichen zum Teil erhebliche negative Auswirkungen (z. B. Ammoniakemissionen, Auswirkungen auf die Biodiversität, Nährstoffausträge in Gewässer etc.). Treibhausgaseinsparungen zum Schaden anderer Umweltwirkungen können mit dem PCF nicht identifiziert werden. Zur Förderung der Nachhaltigkeit sollte der PCF – sofern überhaupt realisierbar – unbedingt in eine umfassende Nachhaltigkeitsanalyse eingebunden werden.

Einleitung In den letzten Jahren erlangte der CO2-Fußabdruck (englisch: product carbon foodprint, kurz PCF) zunehmende Bekanntheit. Der CO2-Fußabdruck für Produkte hat das Ziel, die mit einem Produkt verbundenen CO2-Emissionen transparent zu machen, um damit zum einen verantwortliche Konsumentenentscheidungen zu ermöglichen und zum anderen einen Anreiz

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zu schaffen, die CO2-Emissionen entlang der Produktionskette zu reduzieren (CO2-Fußab-druck als Produktmerkmal im Wettbewerb). Angesichts der Tatsache, dass etwa 40 % der Pro-Kopf-Treibhausgasemissionen eines Bundesbürgers durch den privaten Konsum entste-hen [Hertle et al. 2007] sind Treibhausgaseinsparungen in diesem Bereich zur Erreichung der globalen Klimaschutzziele von hoher Bedeutung. Welchen Beitrag der CO2-Fußabdruck für Lebensmittel hierzu leisten kann, ist jedoch noch fraglich.

Was misst der Product carbon footprint? Der product carbon footprint ist ein Maß für die CO2-Emissionen, die entlang der gesamten Produktionskette eines Produktes entstehen. Für Lebensmittel umfasst der CO2-Fußabdruck also die gesamte Wertschöpfungskette vom landwirtschaftlichen Betrieb mit allen seinen Einkäufen (Futter, Düngemittel etc.) über die Verarbeitung und Distribution bis zum End-kunden. Auch die Entsorgung aller Abfälle entlang des Lebensweges sowie alle Transport-wege werden mit berücksichtigt. Erfasst werden jeweils alle treibhauswirksamen Emissionen. Das sind im Wesentlichen Methan, Lachgas und Kohlendioxid. Diese werden dann nach ihrer jeweiligen Klimawirksamkeit in sogenannte CO2-Äquivalente (im Folgenden kurz: CO2-eq) umgerechnet. Der PCF ist eine Teilmenge des sogenannten „Ökologischen Fußab-drucks“ bzw. der sogenannten „Ökobilanz“. Die beiden letztgenannten Instrumente erfassen neben der Treibhausgasbilanz auch weitere (möglichst alle) Umweltwirkungsbereiche.

PCF Standards und Siegel Derzeit gibt es noch keinen international anerkannten Standard zur Berechnung eines PCFs. Eine ISO Norm (ISO 14067), die sich an den ISO-Normen für Ökobilanzen (ISO 14040 und ISO 14044) orientiert, ist in Arbeit. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Standards und Siegel, die von privatwirtschaftlichen Initiativen entwickelt wurden und werden. Beispiele finden sich in Tabelle 1. Die Auswahl beinhaltet die aktuell für Deutschland relevantesten Initiativen.

Kritische Diskussion des PCF für Lebensmittel Die Ermittlung der Treibhausgasemissionen, die mit einem bestimmten Produkt verbunden sind, erfordert eine umfangreiche Datengrundlage und genaue Kenntnisse der Methodik. PCF-Werte für sehr ähnliche oder sogar identische Produkte können je nach Bewertungs-methode und Datengrundlage stark schwanken. Dies betrifft insbesondere Lebensmittel, und zwar aus den nachfolgend genannten Gründen.

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Tabelle 1: Übersicht über PCF Initiativen (Auswahl)

Normen

ISO CFP initiative

(Carbon footprint

for products,

ISO 14067)

Ziel: internationale Standardisierung der Berechnungsmethoden; Status: Entwicklungs-

phase; beteilige Institutionen: ISO und nationale Standardisierungsorganisationen;

Gegenstand: nur Treibhausgasbilanz, aber orientiert an ISO Ökobilanznormen 14040 und

14044; Label: kein Label; Relevanz für Lebensmittel: relevant für alle Produkte; Weitere

Informationen: www.iso.org

Potenzielle Standards

GHG Protocol

PCF Initiative

Ziel: Entwicklung internationaler Richtlinien für PCFs; Status: Standard für Produkte für

September 2011 geplant; beteiligte Institutionen: World Resources Institute (WRI) +

Finanzierung u. a. von diversen Unternehmensstiftungen (u. a. Walmart Foundation, BP

Foundation etc.); Gegenstand: nur Treibhausgasbilanz; orientiert an ISO Ökobilanznormen

14040 und 14044; Label: kein eigenes Label; Relevanz für Lebensmittel: Einzelne

Lebensmittel in Testphase (z. B. Milch und Fleischprodukte). Weitere Informationen:

http://www.ghgprotocol.org/standards/product-standard

PAS 2050 Ziel: öffentlich zugängliche Richtlinien, Status: veröffentlicht 2008, derzeit update in Arbeit;

Trägerinstitutionen: The Carbon Trust (Unternehmen), DEFRA (UK Regierung); Gegen-

stand: CO2-Bilanzen für Produkte und Dienstleitungen; grundsätzlich relevant für alle

Produkte; Label: kein Label; Relevanz für Lebensmittel: relevant für alle Produkte.

Weitere Informationen: BSI 2008

The Carbon Trust

PCF Label

Ziel: Produktkennzeichnung; Status: Pilotphase abgeschlossen, einige Produkte mit Siegel

auf dem Markt; Trägerinstitution: The Carbon Trust (Unternehmen, siehe oben für PAS

2050!); Gegenstand: CO2-Bilanzen für Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen.

Eigene Berechnungsmethode, in Anlehnung an PAS 2050; Label: vorhanden; Relevanz

für Lebensmittel: grundsätzlich relevant für alle Konsumgüter. Einzelne Lebensmittel

gekennzeichnet. Weitere Informationen: www.carbon-label.com.

Initiativen von Einzelhandel und Produzenten

PCF Pilotprojekt

Deutschland

Ziel: Erfahrungen sammeln; Status: Berechnung von PCFs für ausgewählte deutsche

Unternehmen; einmaliges Projekt (Pilotstudien); abgeschlossen; Institutionen: For-

schungspartner: Ökoinstitut, Thema1, WWF Deutschland, PIK. Unternehmen: Tengelman,

Frosta, REWE, Tchibo etc.; Gegenstand: CO2-Bilanzen für Produkte; Label: kein eigenes

Label, aber z. T. Kommunikation der Ergebnisse auf Verpackungen; Relevanz für

Lebensmittel: einzelne Lebensmittel bilanziert (z. B. Tagliatelle Wildlachs von Frosta,

Naturkind Bio Eier von Tengelmann). Weitere Informationen: www.pcf-projekt.de

Umgang mit Kuppelprodukten: In der landwirtschaftlichen Produktion und in der Lebens-mittelverarbeitung fallen häufig sogenannte Kuppelprodukte an. Von Kuppelprodukten spricht man, wenn ein Prozess mehrere Produkte erzeugt. Zum Beispiel: In der Käseherstellung fällt als Nebenprodukt Molke an, die in der Lebensmittelindustrie oder auch als Futtermittel

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verwendet werden kann. Je nachdem, wie die Emissionen auf die jeweiligen Kuppelprodukte angerechnet werden, kann es zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen kommen (siehe Beispielrechnung für Käse und Molke in Tabelle 2). Wenden PCFs unterschiedliche Metho-den an, so kann der Eindruck entstehen ein Produkt A sei klimafreundlicher als ein Produkt B, obwohl bei gleichen methodischen Annahmen sogar das gegenteilige Ergebnis möglich wäre. Eine Methodenharmonisierung ist für einen fairen Wettbewerb daher unabdingbar.

Tabelle 2: Modellrechnung: Zuordnung der Treibhausgasemissionen aus der Milch-erzeugung (hier: 1000 g CO2-Äquivalente je Liter) auf die beiden Kuppelprodukte der Käseherstellung “Käse” und “Molke”).

Käse Molke g CO2-Äquivalente

Allokation nach… Frischmasse (Käse 10 %, Molke 90 %) 100 900 Trockenmasse (Käse 45 %, Molke 55 %) 450 550 Marktwert (Käse: 95 %, Molke: 5 %) 950 50 Substitution: Molke als Futter für Schweine (Ersatz von Soja) 990 (-10)* *Dadurch, dass Molke als Futtermittel zur Verfügung steht, muss etwas weniger Soja angebaut werden. Die dadurch eingesparten CO2-Emissionen (hier: 10 g) werden dem Käse gutgeschrieben.

Viele Akteure, schwankende Produktionsbedingungen: Die CO2-Emissionen landwirt-schaftlicher Produkte hängen stark von den jeweiligen Produktionsbedingungen ab, z. B. vom Ertrag, von der Maschinenausstattung etc. Diese Faktoren schwanken stark zwischen einzelnen Betrieben, aber auch zwischen einzelnen Jahren. Der PCF müsste streng genommen betriebs- und jahresspezifisch errechnet werden. Dies ist wegen der hohen Kosten (insbesondere im Vergleich zum Produktwert!) bei Lebensmitteln jedoch kaum möglich, bzw. nur in Großbetrieben. Außerdem spielen für die Treibhausgasemissionen von Lebensmitteln biologische Prozesse eine große Rolle, z. B. CO2-Freisetzungen durch Land-nutzungsänderungen oder Lachgasemissionen aus gedüngten Böden. Es liegen zwar um-fangreiche Forschungsergebnisse zur Quantifizierung dieser Emissionen vor, die Erfas-sungsgenauigkeit ist jedoch deutlich geringer als hinsichtlich der Emissionen, die durch Verbrennungsprozesse entstehen. Abbildung 1 zeigt beispielhaft, wie stark der CO2-Fußab-druck von Rindfleisch schwanken kann. Für einige der relevanten Eingangsdaten – z. B. Futtermittelerzeugung – sind Daten nur schwer verfügbar.

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0 10 20 30 40 50 60

Best case

Best estimate

Worst caseMilchkuhhaltung

Mastbetrieb Futtermittel

Mastbetrieb Sonstiges

Mastbetrieb Methanemissionen

Schlachthof, Verpackung,Transporte und Kühlung

IFEU 2011

Abbildung 1: CO2-Fußabdruck für Rindfleisch aus Deutschland: Worst case, best estimate und best case Berechnung.

Beschränkung auf eine einzige Umweltwirkung Der PCF misst nur eine einzige Umweltwirkung. Andere Umweltwirkungen oder gar Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit werden nicht abgebildet. Insbesondere die Landwirtschaft als Basis der Nahrungsmittelerzeugung ist jedoch auch für andere Umweltwirkungen von großer Relevanz (z. B. Emissionen von Ammoniak als Luftschadstoff, Nährstoffeinträge in empfind-liche Ökosysteme, Auswirkungen auf die Biodiversität etc.). Der PCF ist daher kein Maß für die Nachhaltigkeit eines Produktes.

Stärke des PCF: Informationen über Einsparpotenziale entlang des Lebensweges Die Stärke des PCF wie auch der Ökobilanz liegt darin, dass die Emissionen entlang des gesamten Lebensweges differenziert dargestellt werden können. Auf diese Weise kann auf-gezeigt werden, welche Prozesse die größte Relevanz für den Klimaschutz haben und wo die größten Einsparpotenziale bestehen. Die Akteure entlang des Produktlebensweges können dann Handlungsoptionen entwickeln, um die CO2-Bilanz insgesamt zu verbessern.

Schlussfolgerungen und Fazit Angesichts der spezifischen Merkmale der Lebensmittelerzeugung ist die Erstellung eines wettbewerbsrechtlich einwandfreien und wissenschaftlich validen PCF kaum möglich bzw. extrem aufwendig. Weiterhin ist zu bedenken, dass der PCF – anders als z. B. die Ökobilanz – nur eine einzige Umweltwirkung betrachtet. Treibhausgaseinsparungen zum Schaden anderer Umweltwirkungen oder sozialer Standards können damit nicht identifiziert werden. Die Berechnung eines PCF für Lebensmittel ist jedoch geeignet, um Optimierungspotenziale entlang der Produktionskette abzuleiten.

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Literatur 1. British Standards Institution 2008: PAS 2050: 2008 – Specification for the assessment of

the life cycle greenhouse gas emissions of goods and services. BSI (2008)

2. Hertle H, Schächtele K: CO2-Bilanz des Bundesbürgers. Recherche für ein internet-basiertes Tool zur Erstellung persönlicher CO2 Bilanzen. Studie im Auftrag des Umwelt-bundesamtes (2007) Förderkennzeichen 206 42 110.

3. Plattform Klimaverträglicher Konsum Deutschland: Perspektiven eines klimaverträglichen Konsums jenseits von Konsumverzicht (2011) Online verfügbar unter www.pcf-projekt.de.

4. Reinhardt G, Gärtner S, Münch J, Häfele S: Ökologische Optimierung regional erzeugter Lebensmittel: Energie und Klimagasbilanzen. Ifeu - Institute for Energy and Environ-mental Research, Heidelberg (2009) Download: http://www.ifeu.de/landwirtschaft/pdf/Langfassung_Lebensmittel_IFEU_2009.pdf

Dr. Maria Müller-Lindenlauf ifeu – Institut für Energie und Umweltforschung Heidelberg GmbH Wilckensstraße 3 69120 Heidelberg +49 6221 4767 -76 [email protected]

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Nachhaltiger Fischkonsum

Ist die Empfehlung der DGE zum Fischverzehr unter Nachhaltigkeitsaspekten vertretbar? Dr. Stefan Bergleiter, Naturland - Verband für Ökologischen Landbau e.V., Gräfelfing

Zusammenfassung

Fisch ist ein besonders gesundes, attraktives und „modernes“ Lebensmittel, das mit hoch-wertigem Eiweiß, ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen einen wichtigen Beitrag zur menschlichen Ernährung liefert. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die ernäh-rungsphysiologisch empfohlene Fischmenge überhaupt von den wildlebenden Beständen in Meeren, Seen, Flüssen bzw. aus der Aquakultur (Zucht von wasserlebenden Tieren in Teichen, Netzgehegen, Muschelleinen etc.) langfristig bereitgestellt werden kann, oder ob Fischverzehr auf diesem Niveau die natürlichen Ressourcen über Gebühr belastet.

1. Die Empfehlung der DGE und der derzeitige Fischverbrauch

Empfohlen wird derzeit ein Fischverzehr von 80–150 g fettarmer Seefisch (z. B. Kabeljau, Rotbarsch, Seezunge, Schellfisch) und 70 g fettreicher Seefisch (z. B. Makrele, Hering, Thunfisch, Wildlachs, Sardinen). Diese Werte betreffen das Gewicht der Filets, wohingegen die meisten Statistiken zu Fischerei und Fischverbrauch sich auf Lebend-/Fanggewicht der Fische beziehen (auch im Folgenden wird unter „Fischverbrauch“ stets das Fanggewicht verstanden). Die Filetausbeute ist bei fettarmen Fischarten generell etwas niedriger (ca. 40 %) als bei fett-reichen Fischen (ca. 50 %), so dass sich umgerechnet ein Verbrauch von 15,00 kg fettarmer und 7,30 kg fettreicher Fisch pro Kopf und Jahr ergibt. Zur Versorgung der Bevölkerung gemäß der DGE-Empfehlung müssten also insgesamt Fische im Gewicht von 22,30 kg pro Kopf und Jahr bereitgestellt werden. Der Fischverbrauch in Deutschland betrug laut Fischinformationszentrum e. V. demgegen-über in 2009 15,7 kg pro Kopf (2004: 13,8 kg), so dass die DGE-Empfehlung eine Erhöhung um 42 % nahelegen würde. Der Weltdurchschnitt lag lt. FAO 2009 bei 17,2 kg (2004 bei 16,2 kg) und in 2007 stellte Fisch 15,7 % der weltweiten Versorgung mit tierischem Protein. Dabei ist der Fischverbrauch der Länder sehr unterschiedlich, mit Spitzenwerten von über 60 kg (z. B. Japan, Grönland), hohen Werten von 30–60 kg (z. B. Spanien, Portugal, Frank-reich, Norwegen, Thailand), Werten im oberen Bereich der DGE-Empfehlung (z. B. England, China, USA, Australien), sowie Werten knapp darunter (z. B. Deutschland, Russland, Polen, Mexiko, Peru). Bei Ländern, die weniger als 10 kg Fisch pro Kopf und Jahr verbrauchen, liegt

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das z. T. als „Luxusproblem“ am höheren Fleischanteil in der Ernährung (z. B. Österreich, Brasilien, Argentinien), z. T. aber auch an der Armut (z. B. Indien, Bangladesch, Pakistan, Bolivien). Bei den zuletzt genannten Ländern kann sogar der geringe Fischverzehr noch mehr als 20 % des Gesamtproteins in der Nahrung stellen, so in Mozambique und Kongo.

2. „Fishpeak“ – kritische Zustände in der Fischerei Global betrachtet stagnieren die Erträge der Fischerei seit ca. 1985 bei ungefähr 90 Millionen Tonnen, unterbrochen nur durch leichte Schwankungen, z. B. die El-Niño Ereignisse. Hinter dem scheinbar "ruhigen" Zustand der Stagnation verbirgt sich jedoch keinerlei Stabilität, sondern ein globaler Negativtrend. Ein prominenter Kritiker der Fischereipraxis und -politik, Prof. Daniel Pauly an der University of British Columbia, vergleicht das aktuell stattfindende Management der weltweiten Fisch-bestände gerne mit einem gigantischen "Schneeballsystem": Anstatt aus dem eingesetzten Kapital bzw. den aquatischen Ressourcen einen optimierten, nachhaltigen Ertrag zu erwirt-schaften, wird das Kapital selbst aufgezehrt bzw. die Ressourcen ohne Rücksichten ausge-beutet. Wenn das Kapital dann zu Ende geht, müssen neue Investoren gefunden, bzw. die Fischerei auf neue Regionen und Fischbestände ausgeweitet werden. Der Zusammenbruch des Systems ist in beiden Fällen unausweichlich und lässt viele Geschädigte und wenige Nutznießer zurück. Im Falle der Fischerei bedeutet das, dass sich immer mehr der von der FAO untersuchten 600 einzelnen Fischpopulationen von der Kategorie "wenig oder gemäßigt genutzt" (aktuell nur noch ca. 15 %) über "voll genutzt" (ca. 30 %) hin zu "überfischt1" (ca. 55 %) entwickeln. Wenn eine Fischerei keinen rentablen Ertrag mehr abwirft, wandert die Flotte wortwörtlich weiter, und zwar über sogenannte "Drittlandsabkommen" in Hoheitsgewässer von zumeist ärmeren Ländern. Diese Abkommen werden zum Einen meist sehr kostengünstig erworben (wobei die Einkünfte häufig nicht der Allgemeinheit, sondern einer Elite zugute kommen), und zum Anderen gewöhnlich nicht hinreichend kontrolliert, was die Einhaltung von Quoten etc. betrifft. Eine besondere Form des "Weiterwanderns" stellt der Zugriff auf "neue" Fischarten dar, die in der Tiefsee leben. Die Fischerei in der Tiefsee kann nur mit stark erhöhtem Energieauf-wand betrieben werden, und die betreffenden Fischarten sind meist in ihrer Biologie so wenig erforscht, dass keine Aussagen zur geeigneten Bewirtschaftung getroffen werden können. Tiefseearten erreichen ihre Fortpflanzungsreife gewöhnlich sehr spät (z. B. der Rot-barsch Sebastes marinus mit ca. 25 Jahren), was sie empfindlich auf Fischereidruck reagie-ren lässt.

1 Ein Fischbestand gilt dann als "überfischt", wenn seine Biomasse zu gering, und der Fischereidruck zu hoch geworden sind, um den möglichen nachhaltigen Maximalertrag (MSY - Maximum Sustainable Yield) zu erreichen. Überfischung kann insofern zwar auch "stabil" betrieben werden, stellt aber in jedem Fall einen Missbrauch der natürlichen Ressourcen dar.

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Je mehr die Bestände der attraktiven, mit geringem Aufwand zu nutzenden Fischarten zurückgehen, desto mehr Energie muss pro gefangener Tonne Fisch aufgewandt werden. Dies schlägt sich z. B. im Einsatz von Grundschleppnetzen nieder, die nicht nur pro kg Fangmenge mindestens 1 kg Diesel verbrauchen, sondern auch typischerweise sehr viel mehr Organismen in Form von unerwünschtem "Beifang" töten, als die Menge der Zielfisch-art ausmacht. Durch "rabiate" Fangtechniken werden außerdem die marinen Ökosysteme, z. B. durch das Zerstören von Riffen, nachhaltig geschädigt.

3. Hoffnungszeichen für die Fischerei

Der wahrscheinlich wichtigste Faktor für eine zukünftige Erholung der Fischbestände ist die Verteuerung des Treibstoffs ("peakoil"). Gerade die erwähnten problematischen Fischereitechniken und die weitere Ausbeutung angeschlagener Bestände werden da-durch schon heute zunehmend unrentabel. In ähnlicher Weise wird eine weitere Subven-tionierung von übergroßen Fischereiflotten volkswirtschaftlich immer kritischer gesehen.

Einen weiteren positiven Ausblick liefert die Tatsache, dass es weltweit sogenannte handwerkliche ("small scale") Fischereien gibt, die mit meist selektiven, umweltschonen-den Fangtechniken und einem Bruchteil des benötigten Finanzvolumens fast ebenso zur Fischversorgung beitragen wie die industriellen Fischereien. Es ist zu erwarten, dass die handwerklichen Fischereien in Zukunft eine Renaissance erleben werden, weil sie in jeder Hinsicht das nachhaltigere Modell darstellen.

Als Orientierung für Marktteilnehmer und Verbraucher gibt es Zertifizierungssysteme, welche über ihre Logos bestimmten Fischereien und ihren Produkten Nachhaltigkeit bescheinigen. Wesentliche Zertifizierer auf diesem Sektor sind das Marine Stewardship Council (ökologische Kriterien) sowie Naturland "Wildfisch" und KRAV (beide zusätzlich mit Sozialstandards sowie Richtlinien für die Verarbeitung, Konservierungsstoffe etc.). Es ist zumindest für den Handel wichtig, die Seriosität der einzelnen Labels zu prüfen, z. B. über die Fischeinkaufsführer von Greenpeace und WWF.

4. Aquakultur – der Ausweg? Laut Statistiken der FAO gelingt es im Wesentlichen durch Produktionssteigerungen in der Aquakultur, eine stetig wachsende Weltbevölkerung trotz Stagnation bei der Fischerei weiter-hin konstant mit Fisch zu versorgen. Und tatsächlich entlastet die gezielte Zucht und Mast von Fischen, Garnelen, Weichtieren und Algen die wildlebenden Bestände besonders nach-gefragter und in der Natur dezimierter Spezies (z. B. Atlantischer Lachs, Steinbutt, Stör). Weiterhin liefert die Aquakultur wichtige Arbeitsplätze und Exportprodukte für viele Entwick-lungsländer (z. B. Bangladesch, Indien, Ecuador). Dennoch ist es wohl zu optimistisch, die Aquakultur aufgrund der Statistiken als "den" Ausweg aus der weltweiten Gefährdung der marinen Ressourcen zu betrachten:

Einerseits beruhen die positiven Bilanzen der Aquakultur im Wesentlichen auf den offiziell aus China gemeldeten Volumina, und diese Zahlen werden offenbar auch von der FAO

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selbst als nicht verlässlich angesehen (daher separate Darstellungen "World with.." und "...without China"). Ohne die aus China gemeldeten Aquakultur- und Fischereimengen herrscht weltweit insgesamt Stagnation beim Fischaufkommen. Andererseits ist die Aquakultur in weiten Bereichen von Fischmehl als Futtermittel abhängig, das vor allem aus peruanischen und chilenischen Fischereien auf die pelagische Anchoveta (Engraulis ringens) stammt, insgesamt pro Jahr ca. 30 Millionen Tonnen. Da für die Mast von 1 Tonne Lachs etwa 4 Tonnen Frischfisch als Futtermittel benötigt werden, handelt es sich zumindest bei dieser Form der Aquakultur nicht um eine Netto-Produktion von Lebens-mitteln, sondern um einen Verlust. Dieser Umstand wird zunehmend auch von den zuständi-gen Stellen erkannt; so propagieren z. B. peruanische Initiativen besonders bei der ärmeren Bevölkerung den Verzehr der als Lebensmittel hochwertigen Anchoveta, um Mangel-ernährung vorzubeugen. Zu diesen eher "statistischen" Problemen kommt die direkte Umweltbelastung hinzu, welche die intensive Aquakultur für die aquatischen Ökosysteme darstellt, z. B. durch Chemikalien-einsatz und massiven Nährstoffeintrag.

5. Hoffnungszeichen für die Aquakultur Seit Mitte der 90er Jahre wurden von europäischen Anbauverbänden (z. B. Biosuisse, Debio, Ernte, KRAV, Naturland, SOIL Association) Richtlinien für die Ökologische Aquakultur ent-wickelt und in Erzeugerprojekten umgesetzt. 2010 wurde flankierend eine EU-Verordnung für diesen Bereich verabschiedet. Diese Richtlinien beschrieben nachhaltige Systeme der Fischzucht, zum Beispiel in Hinblick auf Tierartgerechtigkeit (niedrige Besatzdichten), Umwelt- und Naturschutz (Monitoring der Gewässerqualität, Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern), Chemikalieneinsatz (kurze Positivliste mit unproblematischen Substanzen), Futtermittel (pflanzliche Futtermittel aus ökologischer Landwirtschaft, Fischmehl aus Resten der Speisefischverarbeitung) und – bei einigen Verbänden – obligatorische Sozialstandards (Arbeitsverhältnisse, Umgang mit anderen Ressourcennutzern). Heute erzeugen Anerkannt Ökologische Aquakulturbetriebe bereits über 80 000 Tonnen Forellen, Saiblinge, Karpfen, Doraden, Wolfsbarsche, Adlerfische, Black Tiger Garnelen, Western White Garnelen und Muscheln in Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Spanien, Norwegen, Dänemark, Italien, Griechenland, Kroatien, England, Irland, Indien, Bangladesch, Thailand, Vietnam, Indonesien, China, Ecuador, Brasilien, Peru, Costa Rica und Madagaskar – mit stark steigender Tendenz (Bergleiter et al., 2009).

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6. Vorschläge zur Empfehlung der DGE zum Fischverzehr 6.1 Allgemein

Es ist sicher kein Schritt in die nachhaltige Richtung, wenn Fisch und Meeresfrüchte einfach durch andere tierische Lebensmittel ersetzt werden.

Der empfohlene Verzehr von 22,3 kg Fisch und Meeresfrüchten/Jahr liegt zumindest in der Größenordnung, die längerfristig pro Kopf der Weltbevölkerung verfügbar gemacht werden kann – wenn die Politik den eingangs skizzierten Problemfeldern Rechnung trägt und nachhaltige Wege der Fischwirtschaft unterstützt (bzw. die anderen abstellt).

Fisch und Meeresfrüchte sind – nach Erdöl – die weltweit am meisten gehandelten Produkte, mit einer starken Beteiligung der südlichen Länder. Für nachhaltige Handels-beziehungen spielen nicht nur ökologische, sondern auch soziale Aspekte eine wesent-liche Rolle. Sie sollten daher beim verantwortungsvollen „Sourcing“ des Handels bzw. beim verantwortungsvollen Einkauf berücksichtigt werden.

Bei Produkten aus der Aquakultur sollte aus Gründen der Nachhaltigkeit und Produkt-sicherheit auf Anerkannt Ökologische Herkunft geachtet werden.

Bei Produkten aus der Fischerei ist auf Anerkannt Nachhaltige Herkunft zu achten (Seriosität der Labels z. B. gemäß Greenpeace/WWF Fischeinkaufsführer prüfen).

6.2. Zu 15 kg „Fettarmer Seefisch […] Kabeljau, Rotbarsch, Seezunge, Scholle oder Schellfisch…“:

Generell sind die fettarmen („weißfleischigen“) Seefische die Sorgenkinder der Fischerei und oft von Überfischung betroffen, auch z. T. die hier aufgeführten Arten. Unproblema-tischere marine Arten (z. B. Dorade, Wolfsbarsch) sollten genannt werden.

Die Artenliste sollte um fettarmen Süßwasserfisch und evtl. andere Meeresfrüchte erwei-tert werden (z. B. Karpfen, Pangasius, Tilapia, Viktoriabarsch, Shrimps, Muscheln), die z. T. aus der Aquakultur stammen.

Zu prüfen wäre, ob die derzeit empfohlene Menge von fettarmem Seefisch ernährungs-physiologisch notwendig ist oder ggf. durch fettreichen Seefisch ersetzt werden könnte.

6.3. Zu 7,3 kg „Fettreicher Seefisch […] Makrele, Hering, Thunfisch, Wildlachs oder Sardinen…“:

Viele fettreiche Seefische, insbesondere die kleineren pelagischen Arten (Sardinen, Heringe, Makrelen) stehen weit unten in der Nahrungskette und sind eher weniger von Überfischung betroffen. Hier wäre eine gewisse Steigerung des Verzehrs möglich.

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Thunfisch und Wildlachs sind als Produktgruppen allerdings – zumindest in einigen Arten (Roter/Blauflossen-Thun, Atlantischer Wildlachs) – extrem von Überfischung betroffen. Daher müsste die Empfehlung differenziert nach Arten erfolgen.

Literatur 1. Bergleiter S, Berner N, Censkowsky U, Guliá-Camprodon G: Organic Aquaculture 2009 –

Production and Markets. Munich, Germany (2009) ISBN 978-3-00-026707-9.

2. FAO: The State of World Fisheries and Aquaculture 2010. Rome, Italy (2010) ISBN 978-92-5-106675-1.

3. Homepage des Fisch-Informationszentrum e.V.: Versorgung und Verbrauch; http://www.fischinfo.de/index.php?1=1&page=versorgung&link=f1 (eingesehen am 23.08.2011)

Stefan Bergleiter Naturland - Verband für naturgemäßen Landbau e.V. Kleinhaderner Weg 1 82166 Gräfelfing [email protected] www.naturland.de

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Nachhaltig kochen will gelernt sein

Der Erwerb von Kochfertigkeiten im Alltag und die Orientierung am Leitbild Nachhaltigkeit Dipl.-Soz. Eva Koch, Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer, Zentrum Technik und Gesellschaft, Technische Universität Berlin, Berlin

Zusammenfassung Die Grundlagen für den Erwerb von Kochfertigkeiten werden überwiegend von den Müttern gelegt. Häufig sind die Kochfertigkeiten nach Verlassen des Elternhauses eher rudimentär, so dass ihr Erwerb als selbstorganisierter Lernprozess erfahren wird. Zwar kann das Wissen von Müttern, Partner(inne)n und Freunden, wie auch der Einsatz von Kochbüchern unter-stützende Wirkung haben, doch wird der Kompetenzerwerb als eigenständige Fähigkeit zur Problemlösung erlebt. Personen können sich im Handlungsfeld der Speisenzubereitung als handlungs- bzw. gestaltungsmächtig erleben. Eine bewusste Orientierung an Nachhaltigkeit nimmt in Ernährungszusammenhängen die Rolle einer handlungsleitenden Alltagsmoral ein. Gleichzeitig stellt der individuelle Erwerb von Kochfertigkeiten in Verbindung mit einer Orien-tierung an Nachhaltigkeit ein Handlungsfeld dar, indem sich persönliche Gestaltungs-potentiale genussvoll verwirklichen lassen.

Ernährungspraxis und -kompetenzen im gesellschaftlichen Wandel Der gesellschaftliche Wandel, der geprägt ist durch Individualisierung und Pluralisierung, spiegelt sich auch in den Anforderungen an die alltägliche Ernährungspraxis wider. So ist auch in diesem Bereich die Informationslage z. B. hinsichtlich der Anforderungen an gesunde oder umweltbewusste Ernährung unübersichtlich und zum Teil widersprüchlich. Weiterhin ist auch dieser Teil der alltäglichen Lebensführung durch Pluralisierung gekenn-zeichnet: Was, zu welchen Zeitpunkten, mit wem und wo gegessen wird, unterliegt genauso wenig strengen Regelungen wie die Zuständigkeiten für die verschiedenen Tätigkeiten des Einkaufs und der Zubereitung (vgl. Stieß, Hayn 2005; Brunner et al. 2007; Schönberger, Methfessel 2011). Ähnlich wie andere Konsumbereiche hat auch die alltägliche Ernährungs-praxis eine stark symbolische Funktion des Signalisierens von Zugehörigkeit bzw. der Dis-tinktion (vgl. Barlösius 1999). Mit dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung steigen die Anforderungen an die Ernährungspraxis der Konsumierenden noch zusätzlich. Eberle und Hayn (2007) formulieren, dass nachhaltige Ernährung umweltverträglich, gesundheits-fördernd, ethisch verantwortlich, alltagsadäquat gestaltet sein und soziokulturelle Vielfalt ermöglichen soll.

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Kompetenzen für nachhaltige Ernährung beinhalten mehr als die Fähigkeit, sich bedarfs-gerecht mit Nährstoffen zu versorgen. Laut Eberle et al. (2007: 123-124) geht es allgemeiner um Alltagskompetenzen bzw. Kompetenzen für die Haushalts- und Lebensführung. Koch-kompetenzen, also praktische Fertigkeiten der Mahlzeitenzubereitung, sind wichtige ernäh-rungsrelevante Grundlagen im Rahmen nachhaltiger Ernährung. Darüber hinaus bedarf es Konsumkompetenzen, die den Umgang mit dem Angebot an Nahrungsmitteln, Getränken und Außer-Haus-Mahlzeiten erleichtern und eine Beurteilung der Angebote im Hinblick auf Qualität und Risiken sowie Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit erlauben. Verbunden damit sind Finanzkompetenzen: Fähigkeiten, Ernährungsausgaben realistisch einzuschätzen und im Rahmen des Gesamtkonsums bewusste Abwägungen von Präferenzen und Prioritä-ten zu treffen. Ferner sind Gesundheitskompetenzen relevant, d. h. die Fähigkeit, das eigene Gesundheitshandeln im Rahmen gegebener Möglichkeiten verantwortlich zu gestalten. Nicht zuletzt bedarf es Medienkompetenz, also Fähigkeiten, die für den eigenen Alltag relevanten Informationen beschaffen, einordnen und bewerten zu können. Für die Umsetzung nachhal-tiger Ernährung im Alltag sind übergreifende Beurteilungs- und Entscheidungskompetenzen von großer Bedeutung: Über die Fähigkeit Informationen zu verstehen hinaus, zielen sie auf eine aktive Auswahl von Informationen und der Reflektion des eigenen Handelns. Zentrales Ziel ist die Erhöhung der Handlungsfähigkeit und der Gestaltungspotentiale. Dies schließt grundlegende soziale Kompetenzen bspw. für den Umgang mit Abstimmungskonflikten in Haushalt und Familie ein.

Empirische Ergebnisse In den folgenden Abschnitten sollen die Fragen behandelt werden, wie der Erwerb von Kochfertigkeiten im Alltag vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels vonstatten-geht und welche Rolle das Leitbild Nachhaltigkeit für die Ernährungspraxis spielt.

Lernquellen für Kochfertigkeiten In der zweiten Nationalen Verzehrsstudie (NVS II) wurden die Mutter und das Selbstlernen von 17 Möglichkeiten als häufigste Antwort auf die Frage nach dem Erwerb von Kochfertig-keiten ausgewählt (Mehrfachnennungen möglich, Max-Rubner-Institut 2008: 111). 74,2 % Frauen und 46,6 % Männer geben an, dass sie das Kochen von der Mutter gelernt haben.

Die Bedeutung dieser beiden Lernquellen wird im Folgenden anhand von Ergebnissen einer in Berlin durchgeführten qualitativen Befragung vertieft.1 Für das vorliegende Datenmaterial erweist sich die Unterscheidung in eine Phase des ersten und zweiten Ernährungslebens von Kaufmann (2006: 164ff.) als adäquat. Demnach ist die Phase des ersten Ernährungs-lebens gekennzeichnet von einer Beiläufigkeit, in der Kinder sich vieles abschauen, der Erwerb von Kochfertigkeiten jedoch kein explizites Ziel ist. So z. B. Beate über ihren 3-jähri- 1 In der Studie „Alltägliches Kochen“ (bisher unveröffentlicht) fand im Jahr 2010 eine quantitative Befragung von 381 Personen in Südniedersachsen und Berlin und eine vertiefende qualitative Befragung von 11 Personen (davon 6 Männer und 5 Frauen im Alter von 20 bis 67 Jahren) in den Jahren 2010 und 2011 statt.

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gen Sohn: „ Arjen kocht auch für sich gerne […], er nimmt immer so seine Flasche und sagt ‚Öl‘ […]. Und im Kinderladen steht er […] oft hinter dieser kleinen Kinderküche…“ Während der Phase des ersten Ernährungslebens kommt es allerdings kaum dazu, dass komplexe Kochprozeduren erlernt werden. Marcello berichtet: „Bei meiner Mutter habe ich natürlich zugeguckt, aber ich hab halt die Gerichte, ähm, nicht irgendwie im Kopf behalten, also…- ich kann das nicht nachkochen.“

Erst in der Phase des zweiten Ernährungslebens, die häufig mit dem Auszug von zuhause einsetzt, wird es notwendig, das beiläufig Abgeschaute anzuwenden. In dieser Phase wird experimentiert und ausprobiert, bei Unsicherheit wird Rat gesucht. Hier zeichnet sich eine weitere Dimension im Lernen von der Mutter ab, indem z. B. per Telefon ein reflektierter Austausch über Zubereitungstechniken stattfindet. Zum Teil wird aus vagen Erinnerungen eine eigene Praxis entwickelt. Der eigene Ernährungsstil bildet sich häufig auch in einer bewussten Abgrenzung zum Elternhaus heraus.

Der Aussage, sich das Kochen selber beigebracht zu haben, stimmen im Rahmen der NVS II 56,8 % der Frauen und 48 % der Männer zu (Max-Rubner-Institut 2008: 111). Das Konzept des Selbstlernens geht davon aus, dass beim Lernenden eine eigene Motivation vorliegt, sich mit einem Phänomen, Ereignis oder Problem auseinanderzusetzen und sich selbst etwas aneignen zu wollen. Das selbstorganisierte Lernen baut auf zuvor gemachten Erfah-rungen auf. So berichtet z. B. Konrad: „Das gucke ich mir einfach ab, wenn ich irgendwo bin […], wenn ich auch Freunde besuche und da gibt es was zu essen“. Die Anlässe für Selbst-lernprozesse können vielfältig sein. Von den Befragten werden sie in der Regel als Ent-deckungen thematisiert. So auch von Sonia, die sich durch für sie ungewohnte Produkte im Bio-Laden zu neuen Kochideen inspirieren ließ:„…und dann diese Fundgrube Bio-Laden… Da gibt es natürlich Sachen, die gibt es im normalen Discounter einfach nicht. Wie zum Bei-spiel Hirse […], die Hirse ist einfach derzeit so… mein Lieblingsgrundnahrungsmittel fast schon.“ Die Entdeckungen werden durch Ausprobieren, Nachahmung und Variationen zum Bestandteil des eigenen Kochstils. Die sich durch Erfahrung und Übung entwickelnde Kom-petenz wird von den Befragten als individuell hervorgebrachtes Problemlösungsvermögen betrachtet. Sie waren es schließlich selbst, die es ohne direkte Anweisungen vollbracht haben, eine bis dato ungewohnte Speise zuzubereiten. Sich das Kochen selber beizu-bringen, bedeutet, kleine Innovationen hervorzubringen.

Die Rolle von Nachhaltigkeit in der Ernährungspraxis Wie oben dargestellt, findet im Konzept der nachhaltigen Ernährung ein ganzes Bündel von ökologischen, ökonomischen, sozialen und gesundheitlichen Aspekten Berücksichtigung. Von den Befragten selbst wurde ein geringer Konsum tierischer Produkte, die Berück-sichtigung der Produktionsbedingungen sowie eine Orientierung an Saisonalität und Regionalität als nachhaltig erachtet. Nachhaltiges Kochen äußert sich in erster Linie in der Wahl der zu verarbeitenden Produkte, wobei „Bio“ häufig symbolisch für einen nachhaltigen Ernährungsstil steht.

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Das Dilemma für diejenigen, die sich dazu entschließen, ihre Ernährung bewusst nachhal-tiger zu gestalten, besteht darin, verlässliche Empfehlungen zu finden, die hierbei Unterstüt-zung bieten. Vor dem skizzierten gesellschaftstheoretischen Hintergrund ist das Risiko groß, dass die Gültigkeit von Empfehlungen nur von kurzer Dauer ist, bzw. die Expertenmeinungen auseinander gehen2. Gilt z. B. bei vielen der Befragten „Bio“ als Garant für einen nachhal-tigen Ernährungsstil, so kommen vereinzelt auch Zweifel auf: „Ja, also diese Geschichte mit diesem Bio-Food, was in China für Deutschland hergestellt wird. Das finde ich total irritie-rend. […] Diese Tatsache, ja, dass es Bio ist, […] also biologisch hergestellt, also ohne Chemie. Es reduziert sich halt nur darauf und (es geht) nicht um diesen Kreislauf.“ (Sonia). In den Interviews wurde deutlich, dass Nachhaltigkeit als komplexes generationenüber-greifendes Konzept mit tiefgreifenden weltweiten Konsequenzen verstanden wird. Die Befragten formulieren, dass der derzeitige Umgang mit Ressourcen, seien es Tiere oder Bodenschätze, unverantwortlich ist. Trotz der Komplexität gelingt es ihnen, das Leitbild Nachhaltigkeit für das individuelle Handeln zu operationalisieren. So wurden eine Reihe von ‚nachhaltigen‘ Handlungsweisen benannt, denen vor allem Tier- und Klimaschutzmotive zugrunde liegen. Dazu zählt beispielsweise die Nutzung von Restwärme bei Elektroherden, der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel (z. B. Thunfisch) oder die Entscheidung für Bio-Produkte. Dominantere Motive für Kochpräferenzen sind allerdings der Geschmack/Genuss, Zubereitungsdauer und -aufwand sowie Gesundheit.

Es stellt sich weiterhin die Frage, wie eine Orientierung an Nachhaltigkeit Eingang in die Alltagspraxis der Befragten findet. Vorstellungen von richtig und falsch, gut und schlecht werden über verschiedene Kanäle weitergegeben, wie z. B. die Familie, peer groups, Ver-bände, Vereine, Schulen etc. So vielfältig wie diese intermediären Institutionen, so vielfältig ist auch die handlungsleitende „Moral im Alltag“. In kommunikativen Interaktionen wird Moral im Alltag intersubjektiv konstruiert (vgl. Luckmann 2007: 264). Konrad nennt ein ganzes Bündel von Faktoren3, die seiner Meinung nach dazu beigetragen haben, dass sich in seiner Familie eine nachhaltige Ernährungsweise etablieren konnte: „Das hat alles ein bisschen was damit zu tun...“ In komplexen sozialen Prozessen, die sich - wie im Beispiel von Konrad - nicht auf eindeutige kausale Zusammenhänge zurückführen lassen, bildet sich eine „bestimmte Sicht des guten Lebens“ (ebd.: 256) heraus, die etwa im Leitbild der Nachhaltig-keit gebündelt werden kann.

Eine Orientierung an Nachhaltigkeit wird dann problematisch, wenn es nicht gelingt, den normativen Selbstansprüchen gerecht zu werden. So können z. B. geringe finanzielle Mittel,

2 Als ein Beispiel für unterschiedliche Expertenmeinungen kann die Kontroverse zwischen DGE und VGD/VEBU gesehen werden, in der diskutiert wird, ob eine vegane Ernährungsweise auch für Schwangere, Stillende, Säuglinge und Kleinkinder geeignet ist (vgl. http://vebu.de/aktuelles/news/613 und http://www.vegetarier-und-veganer.de/?p=243 Zugriff 05.08.2011). 3 der eigene Garten, Auslandsaufenthalte, die Katastrophe von Tschernobyl, Austausch mit Freunden und Bekannten, Informationen aus den Medien, Familienzuwachs, Freude am Selbermachen

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Geschmackspräferenzen für tierische Produkte bzw. Zeitmangel und Bequemlichkeit zu einer Vernachlässigung nachhaltigkeitsrelevanter Handlungsweisen führen.

Die Orientierung an Nachhaltigkeit wird damit zum Balanceakt für die Kohärenz der persönli-chen Identität. Der Verweis auf die eigene Machtlosigkeit kann als eine Strategie interpretiert werden, einer Überforderung der Alltagsmoral entgegenzuwirken: „Solange die große Politik keine Weichen stellt, kann ich nur für mich sehen, wie ich am günstigsten vorankomme.“ (Hans). Inwiefern eine Orientierung an Nachhaltigkeit in die normativen Selbstansprüche einer Person Eingang findet, hängt stark damit zusammen, wie anschlussfähig nachhaltiges Handeln an das Selbstbild einer Person ist, ob sich die Person als machtlos oder gestaltungsmächtig erlebt und als wie relevant sie ihr eigenes Tun einschätzt.

Literatur 1. Barlösius E.: Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung

in die Ernährungsforschung. Juventa Verlag, Weinheim und München (1999)

2. Brunner KM, Astleithner F, Geyer S et al. (Hrsg.): Ernährungsalltag im Wandel: Chancen für Nachhaltigkeit. Vienna: Springer-Verlag, Wien (2007)

3. Eberle U, Hayn D: Ernährungswende. Eine Herausforderung für Politik, Unternehme und Gesellschaft. Öko-Institut e.V. und Institut für sozial-ökologische Forschung, Freiburg und Frankfurt am Main (2007)

4. Kaufmann JC: Kochende Leidenschaft. Soziologie vom Kochen und Essen. UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz (2006)

5. Luckmann T, Dreher J: Lebenswelt, Identität und Gesellschaft: Schriften zur Wissens- und Protosoziologie. Erfahrung - Wissen – Imagination. UVK-Verl.-Ges., Konstanz (2007)

6. Max-Rubner-Institut: Ergebnisbericht Teil 1 Nationale Verzehrstudie II. Max Rubner Institut, Karlsruhe (2008)

7. Schönberger G, Methfessel B (Hrsg.): Mahlzeiten: Alte Last oder neue Lust? VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden (2011)

8. Stieß I, Hayn D: Ernährungsstile im Alltag. Ergebnisse einer repräsentativen Unter-suchung: Diskussionspapier Nr 5. Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), Frankfurt am Main (2005)

Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer Dipl.-Soz. Eva Koch Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin [email protected] Sekr. HBS 1, Hardenbergstr. 16-18, 10623 Berlin [email protected]

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Umsetzung nachhaltiger Konzepte in der Außer-Haus-Verpflegung

Ausgewählte Aspekte und praxisbezogene Überlegungen am Beispiel einer Hochschulmensa Prof. Dr. habil. Anja Kroke, Prof. Dr. Stephanie Hagspihl, Fachbereich Oecotrophologie, Hochschule Fulda, Fulda

Zusammenfassung Die Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung stellt eine komplexe und vielschichtige Aufgabe dar. So müssen für die unterschiedlichen Handlungsebenen (z. B. Organisation, Personal, Einkauf, Speisenplanung, Vor- und Zube-reitung, Kommunikation mit Kunden) Handlungspotentiale identifiziert, Ziele definiert, Maß-nahmen festgelegt und dann im Tagesgeschäft umgesetzt werden.

Am Beispiel der Hochschule Fulda, die sich in ihrem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung verschrieben hat, sollen die Bestrebungen zur Umsetzung eines nachhaltigen Mensa-konzepts dargestellt und ausgewählte Aspekte vertieft erörtert werden. Dazu werden die bei der Planung und Umsetzung zu nehmenden Hürden, praktische Lösungsansätze und die Ergebnisse einer Befragung von Studierenden und Mitarbeitenden an der Hochschule Fulda zur Akzeptanz eines nachhaltigen Mensakonzepts vorgestellt.

Abschließend werden Empfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung in der Gemeinschafts-verpflegung gegeben.

Hintergrund Durch die zu erwartenden demografischen und gesellschaftlichen Entwicklungen wird die Gemeinschaftsverpflegung in Deutschland eine größere Bedeutung für die Versorgung aller Altersgruppen bekommen. Die Nestlé-Studien [Nestlé 2009 und 2011] zeigen, dass gutes Essen und Trinken für die Verbraucher immer wichtiger wird. Die wachsende Genuss- und Gesundheitsorientierung geht dabei einher mit einer Sensibilisierung für Umwelt- und Tier-schutz und für Nachhaltigkeit. Eine aktuelle Befragung von Profis in der Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung zeigt darüber hinaus, dass saisonale Produkte und die Trans-parenz von der Erzeugung der Lebensmittel bis hin zur Verarbeitung in der Küche einen besonders hohen Stellenwert haben. Regionale Produkte und die deutsche/regionale Küche gewinnen, während Bio-Produkte an Bedeutung verlieren [Formitschow 2011].

Auch an der Hochschule Fulda besteht ein großes Interesse an ausgewogenen und gesun-den, an Nachhaltigkeit orientierten Verpflegungsangeboten, denn im Studium und Arbeits-alltag stellen die Mensen und Cafeterien der Studentenwerke häufig mindestens eine der

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Tagesmahlzeiten. Ein Mensaneubau soll ab dem Wintersemester 2013 die Hochschul-angehörigen in Fulda ganztägig mit Getränken und Zwischenverpflegung versorgen sowie bis zu 1 800 warme Mittagessen am Tag produzieren und ausgeben.

Da im Leitbild der Hochschule die Verpflichtung zu einer nachhaltigen Entwicklung fest-gehalten wurde, stellen sich in Anbetracht eines Mensaneubaus u. a. folgende Fragen:

Besteht von Seiten der Hochschulangehörigen ein Interesse an einem an nachhaltigen Prinzipien orientierten Mensaangebot, sowie eine Akzeptanz höherer Preise oder anderer Angebotsveränderungen?

Was macht eine „nachhaltige Mensa“ aus? Welche Ebenen sind betroffen, welche Aspekte zu berücksichtigen, welche Maßnahmen umzusetzen?

Interesse an und Akzeptanz von einem an Nachhaltigkeitsaspekten orientierten Verpflegungsangebots Im Rahmen des Forschungsprojekts „Gesundheitsfördernde Hochschule Fulda“ soll neben anderen Aspekten die Partizipation der Hochschulmitglieder an Prozessen und Entscheidun-gen gefördert werden. Um die Wünsche und Bedürfnisse der Mensagäste bezüglich des Mensaneubaus berücksichtigen zu können, wurde daher zunächst eine diesbezügliche Online-Umfrage durchgeführt. Dazu wurden alle Hochschulangehörigen eingeladen, Fragen zur Gestaltung des Verpflegungsangebots, einschließlich der Mehrpreisakzeptanz für ein nachhaltiges Angebot, zu beantworten [Adler 2011].

Insgesamt haben 1 055 Hochschulmitglieder (44 % der Mitarbeiter, 23 % der Studierenden) den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Auf die Frage, wie häufig eine gesundheitsförderliche und nachhaltige Verpflegungslinie mit biologischen, fair gehandelten, regionalen und saisonalen Speisen wahrgenommen würde, gaben 51 % an, dieses häufig tun zu wollen, weitere 34 % gelegentlich. Hinsichtlich eventueller erhöhter Kosten gaben 28 % der Befrag-ten ihre Bereitschaft an, bis zu 50 Cent mehr für eine solches Angebot zu zahlen, 16 % waren bereit bis zu 80 Cent mehr zu bezahlen, 26 % würden bis zu 1 € mehr bezahlen und weitere 13 % erklärten, dass sie sogar mehr als 1 € dafür bezahlen würden. Des Weiteren wurde gefragt, welche Variante bevorzugt würde, wenn das nachhaltige Angebot ohne erhöhte Kosten angeboten würde. Die Variante, innerhalb einer Woche seltener Fleisch, dafür aber teureres (weil z. B. „bio“) Fleisch anzubieten, wurde von den meisten Befragten favorisiert. Die Optionen „insgesamt kleinere Portionen“ und „kleinere Portionen des teureren Lebensmittels (Fleisch/Fisch)“ fanden geringere Zustimmung. Schließlich wurde nach der Relevanz nachhaltiger Essensangebotsoptionen in der neuen Mensa gefragt. Frisch zube-reitete Speisen waren hier der am häufigsten genannte Aspekt mit 76 % der Befragten, die dies als sehr wichtig und 20 %, die das als wichtig ansahen. Als sehr wichtig wurden weiter-hin „Schonende Zubereitung der Speisen“ (49 %), saisonale Lebensmittel (48 %), „geschnit-tenes, verzehrfertiges Frischobst und Gemüse“ (43 %), und regionale Lebensmittel (42 %) eingestuft. Biolebensmittel fanden lediglich 27 % der Befragten als sehr wichtig, fair gehandelte Lebensmittel wurden von 27 % als sehr wichtig angesehen.

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Insgesamt zeigen diese Daten, dass es an der Hochschule Fulda ein großes Interesse an einem nachhaltigen Verpflegungsangebot gibt, für das auch eine überraschend hohe Akzeptanz von Mehrkosten, auch unter den Studierenden, festgestellt werden konnte. Diese Daten stützen auch die Bemühungen der Hochschulleitung, entsprechende Angebote in Verhandlungen mit dem die Mensa betreibenden Studentenwerk zu erreichen. Welche Maß-nahmen für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten im Zusammenhang mit dem Mensaneubau berücksichtigt werden sollten, wird im Folgenden dargestellt.

„Nachhaltige Mensa“ am Beispiel des Mensaneubaus in Fulda Eine nachhaltige Entwicklung setzt immer voraus, die ökonomische Basis so zu gestalten, dass der Fortbestand der Einrichtung langfristig gesichert ist. Die wirtschaftliche Seite der für den Mensaneubau geplanten Maßnahmen muss daher immer im Auge gehalten werden. Aus der großen Zahl an Entwicklungsmöglichkeiten wurden folgende Maßnahmen ausgewählt:

- Ökologie: o Minimierung des Energieeinsatzes im Bau und in der Haustechnik durch

Unterschreitung der Vorgaben der ENEV 2009 um 30 % o Einsatz modernster Ressourcen-sparender Küchen- und Spültechnik o Bevorzugung regionaler Anbieter von Lebensmitteln und Dienstleistungen o Einsatz von saisonalen Lebensmitteln und Bioprodukten o Bevorzugung von Fisch aus nachhaltiger Fischerei oder Aquakultur

- Gesundheit o Optimierung des Speisen- und Getränkeangebots o Einsatz gering verarbeiteter Lebensmittel o Einsatz schonender Garverfahren o Speisenproduktion im Cook & Serve-Verfahren o Gesundheitsförderliche Arbeitsplätze o Gastbereiche mit einer hohen Aufenthaltsqualität

- Soziales o Einbindung regionaler Anbieter von Lebensmitteln und Dienstleistungen o Lebensmitteln aus fairem Handel und artgerechter Tierhaltung o Mitarbeiterschulung und -entwicklung o Sicherung der Arbeitsplätze

Die Mensa soll somit eine zeitgemäße, insbesondere dem studentischen Leben ange-messene, gesunde, ökologisch einwandfreie Speisen- und Getränkeversorgung anbieten. In der als Frischküche ausgelegten Produktionsküche sollen frische, möglichst gering vorver-arbeitete Lebensmittel vorrangig regionaler Herkunft oder Biolebensmittel eingesetzt werden.

Die Speisenproduktion und -ausgabe soll mehrheitlich nach dem Cook & Serve-Verfahren erfolgen. Die chargenweise Produktion der Speisen unter Einsatz nährstoffschonender und

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fettarmer Garverfahren sowie die Vermeidung unnötiger Warmhaltezeiten soll eine über-durchschnittliche Speisenqualität ermöglichen.

Das gesundheitsfördernde Angebot soll dabei fleisch- und fettarm, vitamin- und ballast-stoffreich sein. Durch die Einführung einer nährstoffoptimierten „Mensa-Fit-Linie“ nach den Vorgaben der DGE-Qualitätsstandards für die Betriebsverpflegung und flankierende Maß-nahmen zur Ernährungskommunikation und Ernährungsbildung soll der Absatz gesunder Speisekomponenten in der Mensa gefördert werden.

Probleme und Lösungsansätze Damit das geplante Mensakonzept später auch in die Praxis umgesetzt werden kann, sind zunächst die baulichen und technischen Voraussetzungen zu schaffen. Um das Ziel einer ressourcensparenden Bauweise und Energieversorgung zu realisieren, hat sich die Hoch-schule das Ziel gesetzt die in der Energie-Einspar-Verordnung 2009 festgelegten Richtwerte um 30 % zu unterschreiten. Die Gestaltung des Baukörpers, die Wahl der Baumaterialien und Energieversorgungssysteme mussten bei der Bauplanung entsprechend der Vorgaben geplant werden.

Die Lebensmittel sollen überwiegend aus regionaler Produktion und in einem küchenfertigen Zustand in die Küche geliefert und dort weiterverarbeitet werden. Die Küche benötigt hierfür Vorbereitungsbereiche für Fleisch, Gemüse und Salat, in dem die Lebensmittel zerkleinert, gewürzt, gemischt, gegebenenfalls geformt und portioniert werden können. Es werden Flächen für die Kühllagerung und Vorbereitung mit einer entsprechenden gerätetechnischen Ausstattung benötigt. Das Cook & Serve-System und das geplante Front-Cooking-Angebot haben ebenfalls einen hohen Platzbedarf und benötigen eine umfassende Ausstattung an modernen, multifunktionalen Gar- und Ausgabegeräten.

Die bei der Planung der Mensa zugrunde gelegten Kostenrichtwerte bilden weder die Aufwendungen für die geplante energiesparende Bauweise noch die Umsetzung eines Cook & Serve-Systems mit einer hohen Fertigungstiefe hinsichtlich der benötigten Flächen und Geräteausstattung ab. Eine Umstellung auf eine höhere Fertigungstiefe bringt in der Zukunft eine Verschiebung der Kostenblöcke mit sich. Während die Wareneinsatzkosten durch die Verwendung gering vorverarbeiteter Lebensmittel sinken, ist von einem erhöhten Aufwand bei den Personal- und Betriebskosten auszugehen. Der Einsatz von Biolebensmitteln führt dagegen zu einer Erhöhung der Wareneinsatzkosten, die aber durch eine Anpassung der Speiseplanung und Reduzierung der teuren Komponenten (z. B. Fleisch) häufig kompensiert werden können. Die Beschaffung von regionalen Produkten und Biolebensmitteln stellt den Einkauf häufig vor Probleme. Durch die Vielzahl kleiner (regionaler) Lieferanten ist von einem höheren Arbeitsaufwand im Einkauf und auch bei der Warenannahme auszugehen. Dieser kann ggf. durch eine überdurchschnittliche Lebensmittel- und/oder Servicequalität (z. B. Flexibilität hinsichtlich Menge und Liefertermin) kompensiert werden.

Auch wenn sich viele dieser Einzelmaßnahmen unter ökonomischen Gesichtspunkten rechnen, stellen die hohen Investitionskosten und die Änderungen in der Organisation und

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im Betriebsablauf ein Problem dar. Um die geplanten Maßnahmen umsetzen zu können und die Finanzierung des geplanten Mensakonzepts zu sichern, mussten Fakten und Argumente gesammelt, die Kosten der Maßnahmen ermittelt und die Einsparpotentiale sowie der Zusa-tznutzen gegenübergestellt werden. Um die Akzeptanz der Gäste für das Angebot in der neuen Mensa zu erhöhen, können sich Vertreter der Gästegruppen bereits in der Planungs-phase mit einbringen. Umfragen und Maßnahmen zur Ernährungskommunikation sollen die Gäste für eine nachhaltige Ernährung sensibilisieren.

Empfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung in der GV In allen Bereichen der Gemeinschaftsverpflegung muss der Spagat zwischen Kosten-reduzierung/Effizienzsteigerung und steigenden Ansprüchen der Gäste Rechnung getragen werden. Da gilt es zunächst im eigenen Betrieb eine Bestandsaufnahme zu machen. Es sollten erreichbare Ziele gesteckt und operationalisiert werden, die im Küchenalltag auch umgesetzt werden können. Eine nachhaltige Entwicklung kann im Kleinen beginnen und sollte als ein andauernder Prozess verstanden werden. Geeignet sind für den Einstieg Maß-nahmen, die keine Investitionen erforderlich machen. Die Führungskräfte und das Küchen-personal sollten über die Ziele informiert und z. B. hinsichtlich des rationellen Energie-, Wasser und Reinigungsmitteleinsatzes sensibilisiert und geschult werden. Einfache Verhaltensänderungen wie z. B. das zügige Schließen der Kühlhaustüren, die optimale Aus-lastung der Gargeräte und Spülmaschinen oder der Einsatz von Dosiersystemen und die Minimierung des Wasserverbrauchs bei der Fußbodenreinigung können solche Maßnahmen sein. Oft haben die eigenen Mitarbeiter gute Ideen und können Ansatzpunkte für eine nach-haltige Entwicklung aufzeigen. Die Einbindung der Mitarbeitenden in den Gestaltungs-prozess und die Sensibilisierung für das eigene Handeln ist dabei genauso wichtig, wie die Ermittlung und Berücksichtigung der Gästewünsche.

Häufig rechnen sich Investitionen in die Haus- und Küchentechnik allein aufgrund der Ressourceneinsparungen. Eine Ressourcen schonende Betriebsweise kann aber ebenso wie ein gesundheitsorientiertes Angebot oder eine verbesserte Transparenz der Prozesse zu einer größeren Zufriedenheit der Gäste und damit zu einer Verbesserung der Akzeptanz und Kundenbindung beitragen.

Die Ziele und Maßnahmen richten sich nach den gegebenen Rahmenbedingungen und den gesetzten Prioritäten. Daher gibt es viele unterschiedliche Wege hin zu einer „nach-haltigeren“ Gemeinschaftsverpflegung. Das Angebot eines Bioessens oder der Einsatz von Kartoffeln aus der Region sind wichtige Maßnahmen, sollten aber nur als kleine Einzel-bausteine in der Entwicklung gesehen werden.

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Literatur 1. Adler C: Einstellung und Akzeptanz der Hochschulangehörigen gegenüber einer nach-

haltigen Mensaverpflegung in Fulda. Masterthesis, Fulda (2011)

2. Fomitschow O: Regional ist das neue Bio. In: gv-praxis Heft 7-8 (2011), 16–23

3. Nestlè (Hrsg.): Nestlé Studie 2009 – So is(s)t Deutschland- Ein Spiegel der Gesellschaft (Zusammenfassung) (2009) http://www.nestle.de/Unternehmen/Nestle-Studie/Nestle-Studie-2009/Documents/Ergebnisse_Nestle_Studie_Kurzfassung.pdf (eingesehen am 31.08.2011)

4. Nestlè (Hrsg.): Nestlé Studie 2011 – So is(s)t Deutschland- Ein Spiegel der Gesellschaft (Zusammenfassung) (2011) http://www.nestle.de/Unternehmen/Nestle-Studie/Nestle-Studie-2011/Documents/Nestle%20Studie%202011_Zusammenfassung.pdf (eingesehen am 31.08.2011)

Anja Kroke, Stephanie Hagspihl Fachbereich Oecotrophologie Hochschule Fulda Marquardstr. 35 36039 Fulda [email protected] [email protected]

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Nachhaltigkeit in der Ernährungsforschung: Ausblick

Prof. Dr. Ingrid Hoffmann, Institut für Ernährungsverhalten, Max Rubner-Institut, Karlsruhe

Zusammenfassung

Nachhaltigkeitsforschung ist eine auf die großen gesellschaftlichen Probleme bezogene Forschung. Ziel ist es, innovative Lösungsansätze zu entwickeln, die sich durch Alltagstauglichkeit auszeichnen und eine nachhaltige Entwicklung langfristig fördern. Eine entsprechende Ernährungsforschung ist von besonderer Bedeutung, da Ernährung mit vielen globalen Problemen im Zusammenhang zu sehen ist (z. B. Klimarelevanz der Ernährung) und da Ernährung über die gesundheitliche Wirkung hinaus in der sozialen, ökologischen und ökonomischen Dimension der Nachhaltigkeit eine große Relevanz besitzt. Nachhaltig-keitsprobleme lassen sich nicht allein aus natur- oder gesellschaftswissenschaftlicher Forschung heraus bewältigen, vielmehr ist eine Zusammenarbeit diverser Disziplinen ebenso wie mit der Praxis erforderlich. Für die Ernährungsforschung bedeutet dies eine stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Wissenschaft und eine transdisziplinäre Zusammenarbeit mit außerwissenschaftlichen Akteuren, um eine nachhaltige Entwicklung mit zu gestalten.

Besonderheiten der Nachhaltigkeit und der Nachhaltigkeitsforschung

Ziel einer nachhaltigen Entwicklung ist es die ökonomischen und sozialen Lebens-bedingungen zu verbessern sowie gleichzeitig die natürlichen Lebensgrundlagen langfristig zu sichern. Der Verknüpfung zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen

Aspekten kommt dabei eine große Bedeutung zu. Meinungsbildung und Entscheidungen für eine entsprechende Entwicklung werden über eine Beteiligung von Akteuren aus Wissenschaft und Praxis und somit über partizipative Verfahren angestrebt. Das Leitbild für eine nachhaltige Entwicklung beinhaltet Wertvorstellungen (z. B. Gerechtigkeit innerhalb und zwischen den Generationen) und stellt ein politisches Konzept dar [1, 2]. Gleichzeitig wird der „Wissenschaft im Dienst der nachhaltigen Entwicklung“ in der Agenda 21 eine maßgebliche Rolle zugeschrieben [3].

Nachhaltigkeitsforschung dient der Umsetzung dieses Leitbildes [4]. Forschungsgegenstand sind die sog. lebensweltlichen Probleme an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit (z. B. Klimawandel und Welternährungssituation). Letztendliches Ziel dieser Forschung ist es, langfristig wirksame und alltagstaugliche Lösungsansätze zu entwickeln [5, 6]. Dies erfordert Forschung, die u. a. der Normativität sowie dem Anspruch des Leitbildes an Integration und Partizipation Rechnung trägt.

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Da das Leitbild für eine nachhaltige Entwicklung unterschiedliche Weltbilder, Gesellschafts-konzepte, Interessen und Werte beinhaltet, muss eine entsprechende Nachhaltigkeits-forschung die Normativität aufgreifen. Damit ist der grundsätzliche Anspruch der Forschung auf Objektivität nicht gegeben bzw. die Trennung von Politik und Forschung geht verloren [1, 5].

Gegenstand der Nachhaltigkeitsforschung sind komplexe Probleme, die von zahlreichen Faktoren beeinflusst werden. Diese Faktoren, die verschiedenen Dimensionen und Disziplinen zuzuordnen sind, gilt es in ihrer Wechselwirkung zu berücksichtigen. Ein entsprechendes Problemverständnis und entsprechende Problemlösungsansätze erfordern die Integration von Daten, Theorien, Methoden und Wissen unterschiedlicher Disziplinen und der verschiedenen Wissenschaftskulturen (Sozial- und Gesellschaftswissenschaften mit Natur- und Ingenieurwissenschaften). Dies wird über einen interdisziplinären Forschungs-ansatz ermöglicht [6].

Außerdem sind Perspektiven, Wissen und Erfahrungen von Praxisakteuren aus Wirtschaft, Politik und Alltagsleben einzubeziehen. Diese Partizipation ist wichtig, da die gesell-schaftlichen Gruppierungen, die von dem zu untersuchenden Problem betroffen sind, unterschiedliche Werte und Präferenzen haben und dies Interessens- und Wertkonflikte in sich bergen kann. Außerdem findet sich in der Praxis Wissen, das in dieser Form der Wissenschaft nicht zugänglich ist. Werden für die Nachhaltigkeitsprobleme Lösungen entwickelt, die in die Praxis umgesetzt und von dieser mit getragen werden sollen, ist es unerlässlich, die betroffenen gesellschaftlichen Akteursgruppen einzubeziehen [1, 2, 5, 6]. Hierzu ist ein transdisziplinärer Forschungsansatz erforderlich, bei dem neben den verschiedenen Disziplinen zusätzlich die Praxisakteure maßgeblich in den Forschungs-prozess einbezogen werden [7].

Eine weitere Herausforderung für die Nachhaltigkeitsforschung stellt der Zeitfaktor dar: Zum einen machen die drängenden Probleme einen raschen Erkenntnisgewinn und ein rasches Handeln erforderlich (z. B. Klimawirksamkeit der Ernährung). Zum anderen betrifft die entsprechende Forschung sehr weitreichende Zeiträume [1, 5].

Die diversen Ansprüche an die Nachhaltigkeitsforschung haben zu neuen Entwicklungen wie z. B. dem Forschungstypus der Sozial-ökologischen Forschung geführt: „Sozial-ökologische Forschung ist in wissenschaftlicher Hinsicht darauf gerichtet, die weitgehend unverbundenen Erkenntnisse der naturwissenschaftlichen und der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung sowohl problembezogen miteinander zu verknüpfen als auch theoretisch zu integrieren und in Richtung einer transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung weiter zu entwickeln.“ [8].

Außerdem wird bei einem neuen Typus der Wissensproduktion zwischen Systemwissen, Zielwissen und Transformationswissen unterschieden [9]. Es waren und sind (Weiter-) Entwicklungen erforderlich in Bezug auf Forschungsmethoden und -instrumente (z. B. zur

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disziplinenübergreifenden Wissensintegration), auf Kriterien zur Bewertung ökologischer, ökonomischer, sozialer und ethischer Aspekte. Aber auch die Bewertung dessen, was „gute Forschung“ ist, erfährt eine Anpassung: Während in der disziplinär orientierten Forschung methodische Qualitätskriterien im Vordergrund stehen, gilt es im Rahmen der Nachhaltigkeitsforschung auch deren gesellschaftlichen Nutzen, deren Beitrag zur Problemlösung und die Kommunizierbarkeit der gewonnenen Ergebnisse in die Bewertung der Forschung einfließen zu lassen [5].

Nachhaltigkeitsforschung im Bereich Ernährung

Ziel von Nachhaltigkeitsforschung im Bereich Ernährung ist es Lösungsstrategien für solche Probleme zu entwickeln, die gesellschaftsrelevant und gleichzeitig ernährungsassoziiert sind. Diese Ernährungsforschung mit problemlösungsorientierter, normativer Ausrichtung, dem Anspruch von Integration und Partizipation erfordert es, Forschungskonzepte, -typen, -methoden und -instrumente sowie entsprechende Forschungsstrukturen für den Bereich Ernährung zu entwickeln bzw. anzupassen.

Ein (Forschungs-)Konzept aus dem Bereich Ernährung, das die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsforschung aufgreift, ist die Ernährungsökologie. Bei diesem problemlösungs-orientierten Ansatz werden die Dimensionen Gesundheit, Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft entlang der gesamten Produktkette in ihren Interaktionen berücksichtigt. Ziel der Ernährungsökologie ist es, integrative Lösungsansätze für solche Probleme zu entwickeln, die mit Ernährung im Zusammenhang stehen und die unter ausschließlicher Erwägung unvernetzter Ursache-Wirkungs-Beziehungen nicht oder nur unzulänglich gelöst werden können [10].

Der Forschungstypus der Sozial-ökologischen Forschung, ebenso wie Forschungs-

methoden und –instrumente, die u. a. im Rahmen der Nachhaltigkeitsforschung, der transdisziplinären Forschung bzw. der Sozial-ökologischen Forschung entwickelt wurden, können je nach Fragestellung für die Nachhaltigkeitsforschung im Bereich Ernährung direkt genutzt oder angepasst werden (z. B. Konstellationsanalyse).

Eine entsprechende Forschung im Ernährungsbereich macht flexiblere und durchlässigere Strukturen notwendig als disziplinär strukturierte Forschung und Ausbildung es zulassen. Dies betrifft auch die Strukturen für Karrierewege, Ausschreibungen und Publikationen [4, 5].

Nachhaltigkeitsforschung allgemein wird gefördert über das Programm „Forschung für Nachhaltigkeit“ (FONA) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Der Fokus liegt dabei auf nachhaltiger Entwicklung als Innovations- und Wirtschaftsfaktor. Im Eckpunkte-papier des BMBF für das 8. EU-Rahmenforschungsprogramm wird von deutscher Seite gefordert, der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung noch einen dominanteren Stellenwert einzuräumen als es bisher der Fall war [11]. Von den beiden „Forschungsmissionen der Forschung für Umwelt, Nachhaltigkeit und Innovation“ ist jeweils auch der Bereich Ernährung betroffen. In diesem Eckpunktepapier wird außerdem besonderer Wert auf die Umsetzung

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der Herausforderungen der Nachhaltigkeitsforschung gelegt. Dies verdeutlicht die Schwierig-keiten bei der bisherigen Umsetzung entsprechender Forschung.

Ein frühes Beispiel für Nachhaltigkeitsforschung, die auch den Bereich Ernährung ein-schließt, ist die 1996 erschienene Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“. Diese zeichnete erstmals ein umfassendes Bild diverser Problemlagen und zeigte gleichzeitig Handlungsfelder auf [12]. Sie hat einen normativen Ansatz und zum Ziel, eine breite gesellschaftliche Diskussion anzustoßen.

Beispiele für Sozial-ökologische Forschung sind die vom BMBF unter dem entsprechenden Förderschwerpunkt von 2002-2005 durchgeführten Projekte. Die Studie „Ernährungswende – Strategien für sozial-ökologische Transformationen im gesellschaftlichen Handlungsfeld Umwelt-Ernährung-Gesundheit“ hatte zum Ziel nachhaltige Ernährungsstile zu verbreiten [13]; die Studie „Von der Agrarwende zur Konsumwende?“ untersuchte, ob sich Maßnahmen zur Ausweitung des Bio-Marktes auf das Ernährungsverhalten auswirkten und wie dieser Zusammenhang optimiert werden kann [14].

Darüber hinaus gibt es vielfältige Studien zu Teilaspekten der Nachhaltigkeit im Bereich Ernährung.

Ausblick

Der Druck aufgrund brennender Probleme hat genauso zugenommen wie die Komplexität und die Reichweite dieser Probleme. Daher besteht dringender Handlungsbedarf, sowohl von politischer als auch wissenschaftlicher Seite, auch wenn noch nicht alle Zusammenhänge und die Auswirkungen von Interventionen bekannt sind [1]. Dies drückt sich auch aus in dem Stellenwert, der der Nachhaltigkeitsforschung inzwischen beigemessen wird. Aufgrund der Relevanz von Ernährung in den verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit gilt dies auch und besonders für den Bereich Ernährung [15].

Deshalb sollte sich die Ernährungsforschung, neben der spezialisierten Forschung, diesen Herausforderungen stellen, sich stärker global orientieren, sich interdisziplinär und transdisziplinär vernetzen. Die entsprechende Ernährungsforschung kann einen Beitrag hin zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten. Die Möglichkeiten dafür waren noch nie so gut wie bisher, auch weil 2012 u. a. das Wissenschaftsjahr der Nachhaltigkeitsforschung und gleichzeitig während der derzeitigen Weltdekade der Bildung für nachhaltige Entwicklung (2005-2014) Ernährung das Jahresthema sein wird.

Es gilt sowohl die vorhandenen Ressourcen zu nutzen (z. B. in Bezug auf Forschungs-konzepte und –typen) als auch maßgebliche Entwicklungsarbeit zu leisten. Davon sind insbesondere methodische Aspekte betroffen, es sind zudem Anpassungen der Strukturen von Forschung und Ausbildung an eine inter- und transdisziplinäre Forschung notwendig. Dies sind Voraussetzungen dafür, dass auch Ernährungsforschung die besondere Herausforderung einer solchen problemlösungsorientierten Forschung bewältigt, die darin

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bestehen, dass „die Fakten ungewiss, die Werte umstritten, die Gefahren und Risiken hoch sind, aber die Entscheidungen dringend sind.“ [16 nach einer Übersetzung von 1]

Literatur

1. Bechmann G: Das Konzept der „Nachhaltigen Entwicklung“ als problemorientierte Forschung – Zum Verhältnis von Normativität und Kognition in der Umweltforschung. In: Brand K-W (Hrsg.): Nachhaltige Entwicklung und Transdisziplinarität. Besonderheiten, Probleme und Erfordernisse der Nachhaltigkeitsforschung. Analytica, Berlin (2000) 31-46

2. Schäfer M, Ohlhorst D, Schön S et al.: Science for the Future: Challenges and Methods for Transdisciplinary Sustainability Research. African Journal of Science, Technology, Innovation and Development 2(1) (2010) 114-137

3. BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) (Hrsg.): Agenda 21. Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro- Original Dokument in deutscher Übersetzung. http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/agenda21.pdf (eingesehen am 19.09.2011)

4. Grunwald A, Kopfmüller J: Nachhaltigkeit. Campus Verlag, Frankfurt am Main (2006)

5. Brand K-W: Nachhaltigkeitsforschung – Besonderheiten, Probleme und Erfordernisse eines neuen Forschungstypus. In: Brand K-W (Hrsg.): Nachhaltige Entwicklung und Transdisziplinarität. Besonderheiten, Probleme und Erfordernisse der Nachhaltigkeitsforschung. Analytica, Berlin (2000) 9–28

6. Hayn D, Nölting B, Voß JP: Methodenfragen der Nachhaltigkeitsforschung. Normativ, integrativ, partizipativ - aber wie? In: Volkens A, Fischer C, Karmanski A et al. (Hrsg.): Orte nachhaltiger Entwicklung: Trandisziplinäre Perspektiven. VÖW Schriftenreihe, Berlin (2003) 4-9

7. Defila R, Di Giulio A: Inter- und Transdisziplinarität: eine besondere Art der Wissenschaft. In: Hoffmann I, Schneider K, Leitzmann C (Hrsg.): Ernährungsökologie – Komplexen Herausforderungen integrativ begegnen. oekom, München (2011) 121-127

8. BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) (Hrsg.): Rahmenkonzept Sozial-ökologische Forschung. (2000) http://www.isoe.de/ftp/rahmenkonzept.pdf (eingesehen am 15.09.2011)

9. Pohl C, Hirsch Hadorn G: Gestaltungsprinzipien für die transdisziplinäre Forschung. Ein Beitrag des td-net. oekom, München (2006)

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10. Schneider K, Hoffmann I: Das Konzept der Ernährungsökologie: Herausforderungen annehmen. In: Hoffmann I, Schneider K, Leitzmann C (Hrsg.): Ernährungsökologie – Komplexen Herausforderungen integrativ begegnen. oekom, München (2011) 38-45

11. FONA (Forschung für Nachhaltige Entwicklungen), BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) (Hrsg.): „Europas Zukunft gestalten – Agenda für Innovation und Nachhaltigkeit“ – Dritter Entwurf eines Eckpunktpapiers (03.06.2011). Forschung für Nachhaltigkeit und Innovation in Europa ab 2014. (2011) http://www.fona.de/fp8/03062011_EP_de.pdf (eingesehen am 19.09.2011)

12. BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.), Misereor (Hrsg.): Zukunftsfähiges Deutschland – Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung. Birkhäuser, Basel (1996)

13. Eberle U, Hayn D, Rehaag R et al. (Hrsg.): Ernährungswende. Eine Herausforderung für Politik, Unternehmen und Gesellschaft. oekom, München (2006)

14. Brand K-W (Hrsg.): Die neue Dynamik des Bio-Markts. Folgen der Agrarwende im Bereich Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel, Konsum und Ernährungskommunikation. Ergebnisband 1. oekom, München (2006)

15. Hoffmann I, Schneider K, Leitzmann C: Faktor Ernährung: lokale und globale Relevanz. In: Hoffmann I, Schneider K, Leitzmann C (Hrsg.): Ernährungsökologie – Komplexen Herausforderungen integrativ begegnen. oekom, München (2011) 24-27

16. Funtowicz SO, Ravetz JR: Science for the post-normal age. FUTURES (1993) 739-755

Prof. Dr. Ingrid Hoffmann Institutsleiterin Institut für Ernährungsverhalten Max Rubner-Institut Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel Haid-und-Neu-Straße 9 76131 Karlsruhe [email protected]

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Nachhaltigkeit in der Ernährung: die Empfehlungen der DGE

Prof. Dr. Helmut Heseker, Institut für Ernährung, Konsum und Gesundheit, Universität Paderborn, Paderborn

Zusammenfassung Die Empfehlungen der DGE zur vollwertigen Ernährung orientieren sich – unter Einbe-ziehung kultureller, psychologischer, sozialer, ökologischer und kulinarischer Aspekte und stets unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Kenntnisse – primär an ernäh-rungsphysiologischen und präventiven Belangen. Die DGE-Empfehlungen (z. B. 10 Regeln der DGE, grafische, lebensmittelbasierte Darstellungen) sind überwiegend kompatibel mit wichtigen Nachhaltigkeitsaspekten. Spezielle Empfehlungen bedürfen möglicherweise einer Präzisierung oder Nachbesserung, um ökologische und weitere Nachhaltigkeitsaspekte noch stärker als bisher zu berücksichtigen und zu betonen.

Einleitung Die 10 Regeln der DGE [1] stellen seit 1956 ein zentrales Instrument für die Ernährungs-beratung und -aufklärung dar. Trotz zahlreicher Überarbeitungen und Anpassungen an neue wissenschaftliche Erkenntnisse fällt eine große Kontinuität der Kernaussagen auf. Im Weite-ren sollen die 10 Regeln der DGE vor dem Hintergrund des Nachhaltigkeitsgedankens – und hier besonders von ökologischen Aspekten – analysiert werden. Herstellung, Verarbeitung, Transport und Lagerung von Lebensmitteln gehen mit einer mehr oder weniger hohen Belastung der Umwelt (z. B. Treibhausgase, Pflanzenschutzmittel) bzw. der Ökosysteme (z. B. Landdegradation, Entwaldung, Desertifikation, Reduktion der Biodiversität) und dem Verbrauch von Ressourcen (z. B. Energie, Wasser, Düngemittel) einher [2]. So können durch den Einsatz von 1 Kilokalorie (kcal) Primärenergie bei den meisten Getreiden sowie Legumi-nosen 2–3 kcal Nahrungsenergie und bei Gemüse und Obst in etwa 0,5 kcal Nahrungs-energie erzeugt werden [3]. Bei der Produktion tierischer Lebensmittel ist die Energieeffi-zienz wesentlich ungünstiger: Hier liefert der Einsatz von 1 kcal Primärenergie nur 0,01–0,05 kcal Nahrungsenergie. Im Durchschnitt ist der Energie-Input für die Erzeugung tierischer Produkte 2,5- bis 5,0-mal höher als für die Erzeugung pflanzlicher Lebensmittel [4]. Eine pflanzenbetonte Ernährung wird daher nicht nur aus ernährungswissenschaftlichen Gründen, sondern auch aus ökologischer Sicht deutlich günstiger beurteilt [5, 6].

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Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE Durch die konsequente Umsetzung der Empfehlungen der DGE kann bereits ein wesent-licher Beitrag zu einer nachhaltigen Ernährung geleistet werden.

1. Vielseitig essen Diese Regel zielt auf eine vollwertige und abwechslungsreiche Lebensmittelauswahl, beste-hend aus einer Kombination nährstoffreicher und energiearmer Lebensmittel pflanzlichen und tierischen Ursprungs. Die meisten unverarbeiteten Grundlebensmittel haben relativ geringe Energiedichten und gleichzeitig hohe Nährstoffdichten. Der bevorzugte Verzehr der-artiger Produkte wird daher auch als wichtige Maßnahme zur Vermeidung von Präadipositas und Adipositas angesehen [7]. Erst die Verarbeitung und Zubereitung, wie z. B. die Zugabe von Fett und Zucker sowie anderen konzentrierten Energieträgern (z. B. Maltodextrine, Stärke, Milchpulver), führt zu einer deutlichen Erhöhung der Energiedichte von Lebensmitteln und Speisen.

2. Reichlich Getreideprodukte und Kartoffeln Getreideprodukte aus Vollkorn und Kartoffeln sind wichtige Ballaststoffquellen. In systemati-schen Reviews konnte gezeigt werden, dass insbesondere eine hohe Zufuhr von Ballast-stoffen insgesamt und vor allem die von Vollkornprodukten als ballaststoffreiche weniger verarbeitete Lebensmittel u. a. mit wahrscheinlicher bzw. überzeugender Evidenz die Risiken für verschiedene ernährungsmitbedingte Krankheiten senkt [8].

Kartoffeln sind eine Stärkebeilage mit vergleichsweise geringer Energiedichte. Erst durch die Verarbeitung – Frittieren oder Backen in viel Fett – werden daraus energiedichte Lebens-mittel. Pommes frites, Kartoffelchips und andere fettreiche Kartoffelprodukte wurden in Studien als die Lebensmittel identifiziert, deren Verzehr mittelfristig zu einer unerwünschten Gewichtszunahme beiträgt [9]. Daher sollten Kartoffeln im Privathaushalt und in der Gemein-schaftsverpflegung in Zukunft wieder vermehrt als nicht-frittierte Ware, z. B. in Form von Salzkartoffeln, verzehrt werden. Hierauf wird auch in den verschiedenen DGE-Qualitäts-standards zur Gemeinschaftsverpflegung hingewiesen. In der Regel ist ein hoher Verarbei-tungsgrad mit einem höheren Ressourceneinsatz sowie Ressourcen-verbrauchender Lage-rung und oft mit aufwendigerer Verpackung verbunden.

3. Gemüse und Obst – Nimm „5 am Tag“ Unverarbeitetes Gemüse und Obst kann mit relativ geringem Energieaufwand produziert werden. Wenn saisonale und regionale Produkte bevorzugt werden, ist dies unter Nachhal-tigkeitsaspekten zusätzlich positiv zu bewerten.

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4. Täglich Milch und Milchprodukte; ein- bis zweimal in der Woche Fisch; Fleisch, Wurstwaren sowie Eier in Maßen Landwirtschaftliche Aktivitäten verursachen in etwa ein Fünftel der gesamten Treibhausgas-emissionen, wobei der größte Anteil auf die Tierproduktion entfällt [10]. So wird die Tierhal-tung schon heute für 18 % der Treibhausgasemissionen (gemessen in CO2-Äquivalenten) verantwortlich gemacht [5]. Neben CO2 entstehen durch gastrointestinale bakterielle Fermentation und Stalldung u. a. große Mengen Methan. Methan-Emissionen haben einen besonders starken Einfluss auf ungünstige Klimaveränderungen [11], so dass die weltweit stark gestiegene Nachfrage nach Rind-, Schaf- und Ziegenfleisch diesbezüglich ein großes Problem darstellt. Hinzu kommt, dass Fleischproduktion einen Einsatz von proteinhaltigen Futtermitteln bedingt. Die Futtermittelproduktion in tropischen und subtropischen Ländern führt nicht nur zu einer Zurückdrängung des Regenwaldes, sondern hat dort oft weit-reichende soziale Konsequenzen und einen negativen Einfluss auf die Welternährungslage. Da ein hoher Verzehr von rotem Fleisch (u. a. Rind-, Schweine- und Lammfleisch) mit über-zeugender Evidenz das Risiko für Dickdarmkrebs erhöht [12] und auch mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Mortalität assoziiert ist [13], ergeben sich hieraus weitere Argu-mente, besonders den Verzehr von rotem Fleisch zu reduzieren. Insgesamt gilt die Geflügel-haltung (weißes Fleisch) gegenüber der Schweine- und Rindfleischproduktion als die klima-freundlichere Fleischproduktionsweise [10, 14]. Die Empfehlung der DGE, den Fleisch-verzehr auf 300–600 g Fleisch und Wurst pro Woche zu beschränken, ist auch unter Nach-haltigkeitsaspekten von hoher Bedeutung. Ein zusätzlicher Hinweis auf die neuen Befunde bzw. die unterschiedliche gesundheitliche Bedeutung von weißem und rotem Fleisch in dieser DGE-Regel sollte geprüft werden.

Die Regel sieht den wöchentlichen Verzehr von 1–2 Portionen Fisch vor, der nicht aus bedrohten Beständen, sondern aus nachhaltiger ökologischer Fischerei stammen sollte (z. B. WWF-Fischratgeber und MSC-Siegel). Seefisch trägt wesentlich zur Bedarfsdeckung mit Jod, mehrfach ungesättigten Fettsäuren und einigen Vitaminen bei, so dass eine Kompen-sation durch andere Lebensmittel schwierig ist. Heute werden bereits ca. 150 Fischarten in Aquakulturen gehalten. Da es hier ganz unterschiedliche Aquakultursysteme (z. B. offene oder geschlossene Systeme) mit gravierenden Unterschieden in der Belastung der Umwelt gibt (z. B. Einsatz an Futter- und Tierarzneimittel, Wasserverbrauch, -beschaffenheit, Ener-gieverbrauch, Beeinflussung der Biodiversität), ist eine differenziertere Bewertung anhand von ökologischen Kriterien erforderlich [15].

5. Reichlich Flüssigkeit Die DGE empfiehlt rund 1,5 l pro Tag zu trinken, bevorzugt Wasser. Trinkwasser kann als echtes regionales Produkt durchgängig empfohlen werden. Mineralwässer sollten bevorzugt aus Mehrwegflaschen und – zur Reduzierung von Transportenergie – aus regionalen Quel-len getrunken werden.

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6. Schmackhaft und schonend zubereiten Wenn die vielfältigen Lebensmittel (siehe Regel 1) schonend zubereitet und ohne lange Warmhaltezeiten verzehrt werden, dann bleiben Vitamin- und Mineralstoffgehalte sowie die Gehalte an sekundären Pflanzenstoffen bestmöglich erhalten und eine ausreichende Ver-sorgung mit essenziellen Nährstoffen ist gewährleistet. Die gezielte Anwendung schonender Zubereitungsmethoden, die Nutzung von Restwärme bei Elektroherden, Zubereitungsdauer und -aufwand haben ein entsprechendes Energie- und Wassersparpotenzial.

7. Nehmen Sie sich Zeit, genießen Sie Ihr Essen Langsames Essen und Genießen beeinflusst die Regulation von Hunger und Sättigung und reduziert die Nahrungsmenge [16]. „Schnelles Essen“ in Form von „Fast-Food“ verzichtet in der Regel auf Mehrweggeschirr und -flaschen. Hoher Fast-Food-Verzehr ist in der Regel mit größeren Mengen Abfall in Form von Plastikbechern, -besteck und -geschirr sowie umfang-reichem Verpackungsmaterial assoziiert. Außerdem zeichnen sich die meisten, den Markt bisher dominierenden Fast-Food-Gerichte durch eine hohe Energiedichte aus und können die Entstehung von Übergewicht begünstigen [17].

8. Achten Sie auf Ihr Gewicht und bleiben Sie in Bewegung Durch einen gesundheitsfördernden Lebensstil kann das Risiko für Übergewicht und andere ernährungsmitbedingte Krankheiten gesenkt werden. Dies wirkt sich nachhaltig auf unsere Gesundheit aus. Übergewicht ist immer die Folge einer langfristig positiven Energiebilanz [7]. Eine Population mit einer hohen Prävalenz adipöser Menschen hat insgesamt einen höheren Energiebedarf. Berechnungen von Edwards und Roberts [18] zeigen, dass eine erwachsene Population mit einem mittleren BMI von 29,5 kg/m2 und einer Adipositasprävalenz von 40 % gegenüber einer weniger übergewichtigen Population (mittlerer BMI: 24,5 kg/m2 Adipositas-prävalenz: 3,5 %) einen um 19 % höheren Gesamtenergiebedarf haben dürfte. Die hierzu erforderliche zusätzliche Produktion von Lebensmitteln bedingt eine höhere Emission von CO2 und anderen Treibhausgasen, die mit einer unerwünschten Klimaveränderung in Verbindung gebracht werden.

Schlussfolgerung Die Empfehlungen der DGE berücksichtigen in erster Linie ernährungsphysiologische Aspekte. Aspekte der Nachhaltigkeit wie ökologische, ökonomische oder gesellschaftliche Aspekte sind zwar nachgeordnet, fließen aber mit ein. Die im DGE-Ernährungskreis visuali-sierten Relationen der Verzehrmengen einzelner Lebensmittelgruppen in einer vollwertigen Ernährung zeigen, dass rund ¾ der insgesamt verzehrten Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs sein sollten (30 % für die Lebensmittelgruppe Getreide, Getreideprodukte und Kartoffeln, 26 % für die Lebensmittelgruppe Gemüse und Salat, 17 % für die Lebensmittel-gruppe Obst, dazu die Betonung des Verzehrs pflanzlicher Öle und Fette). Diese pflanzen-

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betonte Ernährung ist klimafreundlich. Auch Verbraucherverbände und Ernährungsökologen betonen, dass eine Ernährung auf Basis der DGE-Empfehlungen klimafreundlich ist [19, 20].

In der Kommunikation mit Verbraucherinnen und Verbrauchern können die Empfehlungen der DGE nicht nur mit gesundheitsbezogenen Aussagen begründet werden, sondern es kann auch auf ökologische Aspekte verwiesen werden. Somit könnte die Motivation für eine Ernährungsumstellung – hin zu einer vollwertigeren Ernährung – bei verschiedenen Ziel-gruppen weiter erhöht werden.

Literatur 1. DGE (Hrsg.): Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE. 7. Auflage,

Bonn (2010)

2. Marlow HJ, Hayes WK, Soret S et al.: Diet and the environment: does what you eat matter? Am J Clin Nutr 89 (Suppl) (2009) 1699S–1703S

3. Horrigan L, Lawrence RS, Walker P: How sustainable agriculture can address the environmental and human harms of industrial agriculture. Environ Health Perspect 110 (2002) 445–456

4. Rejinders L, Soret S: Quantification of the environmental impact of different dietary protein choices. Am J Clin Nutr. 78 (Suppl) (2003): 664S–668S

5. FAO: Livestock’s long shadow. Environmental issues and options. FAO, Rome (2006)

6. SDC (Sustainable Development Commission): Setting the table. Advice to Government on priority elements of sustainable diets (2009)

7. DGE (Hrsg.): Ernährungsbericht 2008. Bonn (2008) 99–113.

8. DGE (Hrsg.): Evidenzbasierte Leitlinie: Kohlenhydratzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten. Bonn (2011) http://www.dge.de/leitlinie

9. Mozaffarian D, Hao T, Rimm EB et al.: Changes in diet and lifestyle and long-term weight gain in women and men. N Engl J Med 364 (2011) 2392–2404

10. McMichael AJ, Powles JW, Butler CD, Uauy R: Food, livestock production, energy, climate change, and health. Lancet 370 (2007) 1253–1263

11. Shine KP, Sturges WT: Atmospheric science. CO2 is not the only gas. Science 315 (2007) 1804–1805

12. WCRF/AICR (World Cancer Research Fund/American Institute for Cancer Research). Continuous Update Project Interim Report Summary. Food, Nutrition, Physical Activity, and the Prevention of Colorectal Cancer. AICR (2011)

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13. Sinha R, Cross AJ, Graubard BI et al.: Meat intake and mortality. Arch Intern Med 169 (2009) 562–571

14. Hirschfeld J, Weiß J, Preidl M, Korbun T: Klimawirkungen der Landwirtschaft in Deutsch-land. Schriftenreihe 186/09 des IOEW, Berlin (2009)

15. FAO: Aquaculture development 4. 5. Use of wild fish as feed in aquaculture. Technical guideline for responsible fishery – Supplement 5. FAO, Rome (2011)

16. Andrade, AM, Greene GW, Melanson KJ: Eating slowly led to decreases in energy intake within meals in healthy women. J Am Diet Assoc 108 (2008) 1186–1191

17. Rosenheck R: Fast food consumption and increased caloric intake: a systematic review of a trajectory towards weight gain and obesity risk. Obesity Reviews 9 (2008) 535–547

18. Edwards P, Roberts I: Population adiposity and climate change. Internat J Epidemiol 38 (2009) 1137–1140

19. von Koerber K, Kretschmer J, Schlatzer M: Ernährung und Klimaschutz – Wichtige Ansatzpunkte für verantwortungsbewusstes Handeln. ernährung im fokus (2007) http://www.bfeoe.de/hintergrund/eif_0507_130_137_1U.pdf

20. VZBV: “Klima und Ernährung: Es geht auch um die Wurst. http://www.verbraucherbildung.de/projekt01/d/www.verbraucherbildung.de/im_brenn-punkt/klima_und_ernaehrung_es_geht_auch_um_die_wurst.html

Prof. Dr. Helmut Heseker Institut für Ernährung, Konsum und Gesundheit Universität Paderborn 33095 Paderborn [email protected]