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Veröffentlichung aus dem Forschungsprojekt Dienstleistungspotenziale in der Personalisierten Medizin
Elisabeth Eppinger*, Tamara Almeyda*, Andreas Braun*, Martin Kamprath*, Katja Wieck**, Ewelina Piatek* *Universität Potsdam, ** Technische Universität Berlin
ISSN: 2193-9543
Marktanalyse der Personalisierten Medizin: Übersicht über Schlüsselakteure, Treiber, Potenziale und Barrieren für Unternehmen Bericht-Nr.: 2011-2
Diese Veröffentlichung ist Bestandteil der Working-Paper-Serie des Lehrstuhls für Innovationsmanagement und Entrepreneurship an der Universität Potsdam.
Diese Veröffentlichung basiert auf dem vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Programm „Innovationen mit Dienstleistungen“ geförderten Forschungsprojekt „Dienstleistungspotenziale in der Personalisierten Medizin“ (Teilvorhaben Universität Potsdam: FKZ 01FL10064; Teilvorhaben Technische Universität Berlin: FKZ 01FL10065). Weitere Informationen zum Forschungsprojekt finden Sie unter der Internetadresse: http://www.strategic-innovation.eu.
Marktanalyse der Personalisierten Medizin:
Übersicht über Schlüsselakteure, Treiber, Potenziale und Barrieren
für Unternehmen
Autoren: Elisabeth Eppinger*, Tamara Almeyda*, Andreas Braun*,
Martin Kamprath*, Katja Wieck**, Ewelina Piatek*
*Universität Potsdam, ** Technische Universität Berlin
Abstrakt: Die Personalisierte Medizin hat das Potenzial, die Gesundheitsversorgung
durch Therapien, die genauer auf die Anforderungen der Patienten zugeschnitten sind,
maßgeblich zu verbessern. Doch sie führt auch zu Veränderungen in der Wirtschafts‐ und
Marktkonstellation. Der erhöhte Kooperations‐, und Koordinationsbedarf von forschen‐
den Pharma‐ und Diagnostikunternehmen, veränderte Prozesse der Diagnose‐ und The‐
rapiepraxis sowie neue Herausforderungen an die Zulassungsbehörden und das Koste‐
nerstattungssystem sind nur einige der Aspekte, die bei einer flächendeckenden Einfüh‐
rung der Produkte und Dienstleistungen aus dem Bereich der Personalisierten Medizin zu
berücksichtigen sind. Im Rahmen des BMBF‐geförderten Verbundforschungsprojekts
„Dienstleistungspotenziale in der Personalisierten Medizin“ unter der Leitung des Lehr‐
stuhls für Innovationsmanagement und Entrepreneurship an der Universität Potsdam in
Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Service‐ und Software Engineering der Universi‐
tät Potsdam und dem Lehrstuhl für Wirtschafts‐, Unternehmens‐ und Technikrecht der
Technischen Universität Berlin, werden auf Basis von Experteninterviews und Marktstu‐
dien die wichtigsten Akteure mit ihren jeweiligen Einflussfaktoren untersucht. Ausge‐
hend von den Chancen und Treibern sowie den Risiken und Barrieren der Einflussfakto‐
ren werden Handlungsempfehlungen abgeleitet, um die Einführung von Produkten und
Dienstleistungen der Personalisierten Medizin zu fördern.
Gliederung
II
Inhaltsverzeichnis
INHALTSVERZEICHNIS ......................................................................................................................................... II
DARSTELLUNGSVERZEICHNIS ............................................................................................................................. IV
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ................................................................................................................................. V
1. EINLEITUNG .................................................................................................................................................... 1
2. PERSONALISIERTE MEDIZIN – EINFÜHRUNG .................................................................................................... 3
2.1 PERSONALISIERTE MEDIZIN – DEFINITION .................................................................................................... 3
2.2 DIENSTLEISTUNGEN UND PRODUKT‐SERVICE‐SYSTEME IN DER PERSONALISIERTEN MEDIZIN ................................. 8
3. METHODISCHES VORGEHEN .......................................................................................................................... 12
3.1 DESK RESEARCH .................................................................................................................................... 12
3.2 EXPERTENINTERVIEWS UND EXPERTENWORKSHOPS ..................................................................................... 14
3.4 EINFLUSSFAKTORENANALYSE .................................................................................................................... 18
4. SCHLÜSSELAKTEURE – TREIBER UND BARRIEREN ........................................................................................... 19
4.1 ÜBERBLICK ÜBER DAS WERTSCHÖPFUNGSSYSTEM UND DIE RELEVANTEN AKTEURE ............................................ 19
4.2 AKTEURE WISSENSCHAFT ........................................................................................................................ 23
4.2.1 Wissenschaft – Einleitung .......................................................................................................... 23
4.2.2 Wissenschaft ‐ Einflussfaktoren ................................................................................................. 25
4.3 AKTEURE WIRTSCHAFT – UNTERNEHMEN .................................................................................................. 33
4.3.1 Wirtschaft ‐ Einleitung ............................................................................................................... 33
4.3.2 Wirtschaft – Einflussfaktoren Pharmaunternehmen ................................................................ 34
4.3.3 Wirtschaft – Einflussfaktoren Diagnostikunternehmen ............................................................ 46
4.4 AKTEURE MARKT – KUNDEN .................................................................................................................... 67
4.4.1 Markt – Einleitung ..................................................................................................................... 67
4.4.2 Markt – Einflussfaktoren ........................................................................................................... 69
4.5 AKTEURE POLITIK UND REGULATORISCHEN RAHMENBEDINGUNGEN................................................................ 85
4.5.1 Politik und regulatorischen Rahmenbedingungen – Einleitung ................................................ 85
4.5.2 Politik und regulatorische Rahmenbedingungen – Einflussfaktoren ........................................ 89
4.6 AKTEURE GESELLSCHAFT UND MEDIEN .................................................................................................... 108
4.6.1 Gesellschaft und Medien ‐ Einleitung ...................................................................................... 108
4.6.2 Gesellschaft und Medien ‐ Einflussfaktoren ............................................................................ 109
4.7 ZWISCHENFAZIT: EINFLUSSFAKTOREN, TREIBER UND BARRIEREN .................................................................. 121
Gliederung
III
5. HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN ..................................................................................................................... 122
5.1 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN ‐ WISSENSCHAFT ......................................................................................... 122
5.2 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN WIRTSCHAFT ‐ PHARMAUNTERNEHMEN ......................................................... 123
5.3 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN WIRTSCHAFT ‐ DIAGNOSTIKUNTERNEHMEN ..................................................... 125
5.4 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN MARKT ...................................................................................................... 127
5.5 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN POLITIK UND REGULATORISCHE RAHMENBEDINGUNGEN .................................... 129
5.6 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN GESELLSCHAFT ............................................................................................ 133
6. FAZIT .......................................................................................................................................................... 135
7. LITERATURVERZEICHNIS .............................................................................................................................. 136
IV
Darstellungsverzeichnis
Darstellung 1 Technologien und deren Einsatzgebiete in der Personalisierten Medizin S. 9
Darstellung 2 Dienstleistungspotenziale in der Personalisierten Medizin S. 10
Darstellung 3 Workshop Treiber und Barrieren Gesellschaft S. 17
Darstellung 4 Auswertung Workshop Treiber und Barrieren Gesellschaft S. 17
Darstellung 5 Akteurgruppen im Innovationssystem S. 20
Darstellung 6 Akteure im Wertschöpfungssystem der Personalisierten Medizin S. 21
Darstellung 7 Akteure der Wissenschaft S. 23
Darstellung 8 Akteure der Wirtschaft S. 33
Darstellung 9 Aktuere des Markts S. 67
Darstellung 10 Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträgern S. 69
Darstellung 11 Ärztedichte in Deutschland, USA, UK, Japan und Indien S. 72
Darstellung 12 Akteure der Politik und regulatorischen Rahmenbedingungen S. 86
Darstellung 13 Akteure der Gesellschaft S. 108
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Übersicht Studien zur Personalisierten Medizin S. 12
Tabelle 2 Übersicht Interviews S. 15
Tabelle 3 Einflussfaktoren Wissenschaft S. 25
Tabelle 4 Einflussfaktoren Wirtschaft ‐ Pharmaunternehmen S. 36
Tabelle 5 Einflussfaktoren Wirtschaft ‐ Diagnostikunternehmen S. 47
Tabelle 6 Einflussfaktoren Markt S. 70
Tabelle 7 Einflussfaktoren Politik und regulatorische Rahmenbedingungen S. 89
Tabelle 8 Einflussfaktoren Gesellschaft und Medien S. 110
Tabelle 9 Handlungsempfehlungen für die Wissenschaft S. 122
Tabelle 10 Handlungsempfehlungen für die Wirtschaft ‐ Pharmaunternehmen S. 123
Tabelle 11 Handlungsempfehlungen für die Wirtschaft Diagnostikunternehmen S. 125
Tabelle 12 Handlungsempfehlungen für den Markt S. 127
Tabelle 13 Handlungsempfehlungen Politik und regulatorischen Rahmenbedingungen S. 129
Tabelle 14 Handlungsempfehlungen Gesellschaft S. 133
V
Abkürzungsverzeichnis
BCG Boston Consulting Group
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung
BMG Bundesministerium für Gesundheit
BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
bzw. beziehungsweise
DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft
d.h. das heißt
DPM Dienstleistungspotenziale in der Personalisierten Medizin
EMA European Medicines Agency
et al. et alii
EU Europäische Union
f. fortfolgend
F.A.Z Frankfurter Allgemeine Zeitung
FDA U.S. Food and Drug Administration
ff. fortfolgende
FuE Forschung und Entwicklung
GBA Gemeinsamer Bundesausschuss
ICH Internationale Harmonisierungskonferenz
IQWIG Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
PCAST President’s Council of Advisors on Science and Technology
PM Personalisierte Medizin
PMC Personalized Medicine Coalition
PPP Public‐Private‐Partnerships
PSS Produkt‐Service‐System
PWC PriceWaterhouseCooper
S. Seite
u.a. unter anderem/ und andere
UK Großbritannien
USA Vereinigte Staaten von Amerika
VFA Verband forschender Arzneimittelhersteller
vgl. vergleiche
z.B. zum Beispiel
1
1. Einleitung
Die Vision, auf den Patienten zugeschnittene Medikamente mit höherem Wirkungsgrad und ge‐
ringeren Nebenwirkungen anzubieten – die Personalisierte Medizin – gilt seit einigen Jahren als
größte Chance für das Gesundheitssystem. Mittlerweile ist sie für einzelne Therapien schon Wirk‐
lichkeit geworden. So werden im Vorfeld bestimmter Krebstherapien Tests eingesetzt, um die
individuell optimale Medikamentenkombination für den Patienten zusammenstellen zu können.
In Zukunftsstudien und der wissenschaftlichen Literatur werden die ersten Ergebnisse der Perso‐
nalisierten Medizin als Indikator für eine anstehende tiefgreifende Veränderung in der Gesund‐
heitsversorgung interpretiert. Konkret stellt sie in Aussicht, „(…) Qualitäts‐ und Kostenziele in der
gesundheitlichen Versorgung durch eine auf das Individuum maßgeschneiderte Gesundheitsver‐
sorgung zu erreichen“ (Hüsing et al. 2008, 8). Dabei wird angenommen, dass sie die relative Be‐
deutung der verschiedenen Stadien in der Wertschöpfungskette verändern wird. Relativ mehr
Wert wird in Forschung und Entwicklung (FuE) entstehen, wobei die Anwendung von Biomarkern
dazu beiträgt, dass die Entwicklungspipeline der Arzneimittelhersteller effektiver wird, als es in
der Vergangenheit möglich war. Die Kommerzialisierung der Produkte wird über kleinere, zielge‐
richtete Kundengruppen erfolgen (vgl. Ernst & Young 2008). Aufgrund des Potenzials der Persona‐
lisierten Medizin beschäftigt sich auch die Deutsche Bundesregierung seit längerem mit den
Chancen und Risiken dieser Entwicklung. Das Büro für Technikfolgen‐Abschätzung beim Deut‐
schen Bundestag führte eine Untersuchung durch, um zu klären welche Risiken durch diese Inno‐
vation antizipiert werden können, um Handlungsempfehlungen für die Politik abzuleiten (Deut‐
scher Bundestag 2009). Auch Vereinigungen wie der Verband der forschenden Pharma‐
Unternehmen unterstreichen das Potenzial der Personalisierten Medizin (vgl. VFA 2009).
Die Entwicklung der notwendigen Wissens‐ und Technologiebasis befindet sich jedoch noch in
einem frühen Stadium, so dass bislang nur wenige Anwendungen, Produkte und Dienstleistungen
kommerzialisiert sind (vgl. Hüsing et al. 2008). Auch die bestehende Erstattungspraxis, Zulas‐
sungsverfahren, sowie medizinisches Personal sind noch auf traditionelle Arzneimittel ausgerich‐
tet. Die breite Einführung von Personalisierter Medizin erfordert einen Wandel im Gesundheits‐
system, insbesondere der Pharmaindustrie und der Life Sciences Branche. Die wichtigsten Hin‐
dernisse bei der Realisierung der Personalisierten Medizin sind derzeit:
Produktive Geschäftsmodelle: Alternativen zum Blockbustermodell sind noch in der Ent‐
stehungsphase, Unternehmen müssen umdenken und ihre Geschäftsmodelle neu ausrich‐
ten.
Proof Of Value: Es gibt bisher erst wenige Erfolgsbeispiele im Markt.
Erstattungspraxis: Erstattungssätze der Krankenkassen behindern die Vermarktung von
Diagnostika, tragbare Vergütungsmodelle sind noch ungeklärt.
Medizinisches Personal: Ein erheblicher Aus‐ und Weiterbildungsbedarf ist notwendig. Zu‐
dem sind Verantwortlichkeiten zu klären und Anpassungen der gängigen Praktiken bei der
Diagnosestellung und der Zuordnung von Therapieformen erforderlich.
2
Regulatorische Zulassung: Die Zulassungsverfahren sind auf Arzneimittel für große Patien‐
tengruppen ausgerichtet und nicht auf die Zulassungen von Arzneimitteln, die an einen
Test zur Identifizierung von spezifischen Patientengruppen gekoppelt sind, Ressourcen‐
mangel bei Zulassungsbehörden verzögern die Änderungen (vgl. Nygaard et al. 2008).
Hieran knüpft die vorliegende Studie an, indem sie das Wertschöpfungssystem der Personalisier‐
ten Medizin mit den relevanten Akteuren untersucht. Für die einzelnen Akteure werden jeweils
ihre Rolle im Wertschöpfungssystem sowie spezifische Einflussfaktoren, Treiber und Barrieren in
Bezug auf die Umsetzung der Personalisierten Medizin analysiert. Die vorliegende Untersuchung
ist ein Teilergebnis des Verbundforschungsprojekts „Dienstleistungspotenziale in der Personali‐
sierten Medizin“. Sie bietet einen Überblick über wichtige Wachstumstreiber und hemmende
Faktoren inklusive der rechtlichen Rahmenbedingungen, die für die Umsetzung der Personalisier‐
ten Medizin ausschlaggebend sind. Die Untersuchung der Einflussfaktoren dient zum einen als
Basis für die Formulierung von Handlungsempfehlungen für Wirtschaft und Politik. Zum anderen
ist sie die Grundlage für die Konzipierung und Umsetzung produktiver Dienstleistungen und von
Produkt‐Service‐Systemen.
3
2. Personalisierte Medizin – Einführung
Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist es, einen Überblick über die unterschiedlichen Verwen‐
dungen des Begriffs Personalisierte Medizin zu skizzieren, sowie die Verwendung des Begriffs im
Forschungsprojekt „Dienstleistungspotenziale in der Personalisierten Medizin“ zu klären.
2.1 Personalisierte Medizin – Definition
Für den Begriff Personalisierte Medizin (PM) existieren unterschiedliche Auslegungen. Begriffe
wie Biomarker, Pharmakogenomik und Pharmakogenetik wurden von der Internationalen Har‐
monisierungskonferenz (ICH) bereits definiert (z.B. EMA 2006), eine allgemein gültige und akzep‐
tierte Definition steht für PM jedoch noch aus. Im Folgenden wird daher nach einer Einführung in
den Begriff und einem Überblick über die verschiedenen Begriffsauslegungen die Definition für
das Projekt „Dienstleistungspotenziale in der Personalisierten Medizin“ vorgestellt.
Der Begriff wurde 1999 weitläufig bekannt, als Langreth und Waldholz in ihrem Artikel im Wall
Street Journal die Ära der PM ausriefen (Langreth und Waldholz 1999). Wissenschaftler an Uni‐
versitäten, Forschungsinstituten und in der Industrie hatten die Vision, basierend auf der Ent‐
schlüsselung des Genoms und die Identifizierung genbasierter Krankheiten Medikamente zu ent‐
wickeln, die auf das spezifische Genom jedes einzelnen Patienten zugeschnitten sind – eben ‚per‐
sonalisiert‘ werden. Nach der ersten Begeisterungswelle wurde festgestellt, dass ‚stratifizierte‘
bzw. ‚stratifizierende‘ der passendere Begriff ist ‐ da es um Therapien für kleinere, genauer defi‐
nierte Patientengruppen und nicht um Therapieansätze für Individuen geht. Zudem sind in vielen
Fällen nicht genetische Dispositionen dafür ausschlaggebend, ob Patienten auf bestimmte Thera‐
pien und spezifische Dosierungen ansprechen. PM umfasst demnach nicht nur Therapieentschei‐
dungen auf Basis von Informationen die das Genom eines Patienten betreffen, sondern eine Viel‐
zahl anderer Faktoren wie beispielsweise den Stoffwechsel oder das Immunsystem.
Die Begriffe PM und Individualisierte Medizin werden im deutschen Sprachraum oft synonym
verwendet (vgl. Karger et al. 2009). Zur Unterscheidung der zwei Begriffe wird die Metapher aus
der Bekleidungsindustrie zur Veranschaulichung herangezogen: in der PM geht es um Stratifizie‐
rung – Einteilung von Patientengruppen anhand gemeinsamer Merkmale – im Sinne von Konfek‐
tionsgrößen. Die Individualisierte Medizin hingegen würde individuelle Maßanzüge leisten.
Untersucht man die englischsprachigen und deutschen Medien sowie Fachpublikationen und
Programme von Regierungsorganisationen, findet man Unterschiede in der Verwendung des Be‐
griffs. Im englischen Sprachraum wird fast ausschließlich der Begriff PM verwendet – auch in Zu‐
sammenhang mit individuell angepassten Therapien. Im deutschen Sprachraum wird von der Zu‐
kunft der Medizin als Individualisierte Medizin gesprochen.
In der Technikfolgenabschätzung der Individualisierten Medizin für den Bundestag (TAB Bericht)
wird darauf verwiesen darauf, dass bisher keine anerkannte Definition der individualisierten Me‐
dizin existiert (Deutscher Bundestag 2009, 6). Die Verwendung des Begriffs wird in dem Bericht
wie folgt erläutert: „(…)eine mögliche künftige Gesundheitsversorgung (…), die aus den synergis‐
4
tischen Zusammenwirken der drei Treiber Medizinischer und gesellschaftlicher Bedarf, Wissen‐
schaftlich‐technische Entwicklungen in den Lebenswissenschaften und Patientenorientierung ent‐
stehen könnte.“ Im Unterschied zur herkömmlichen Medizin können, aufgrund eines tieferen
Verständnisses der Krankheiten und genauerer Diagnosemöglichkeiten, Faktoren von bisher un‐
zureichend behandelbaren, komplexen Krankheiten besser ermittelt und therapiert werden. Die
so möglichen komplexeren Diagnosen, die auch Umwelteinflüsse, genetische Disposition, körper‐
liche und psychische Verfassung, Lebensführung und sozioökonomische Faktoren mit einbezie‐
hen, unterstützen eine individuelle Entscheidung bezüglich der richtigen Arzneimittel und Dosie‐
rung. Zudem können durch die Früherkennung chronische Krankheiten durch Prävention vermie‐
den werden. Mit dem besseren Verständnis kann die Patientenautonomie und Konsumentensou‐
veränität gestärkt werden (Deutscher Bundestag 2009, 6 ff.). Auf diesen Definitionsvorschlag be‐
rufen sich viele Ärzteverbände und Patientengruppen, beispielsweise das Netzwerk
Evidenzbasierte Medizin.
In den Publikationen des BMBF wird ebenso der Begriff individualisierte Medizin verwendet. Bei‐
spielsweise in der Roadmap Gesundheitsforschung des BMBF (2007) wird die individualisierte
Medizin als neuer Ansatz für Forschung und Versorgung aufgeführt. Sie „ermöglicht die Entwick‐
lung einer risikoadaptierten, individualisierten Diagnostik und Therapie“, indem sie ein tieferes
Verständnis befähigt, wie Risikofaktoren die Entstehung und den Verlauf von Krankheiten wie
beispielsweise Infektionskrankheiten beeinflussen (BMBF 2007, 75). Zudem werden molekulare
Diagnostik mit Bildgebung und Biomarkern als Querschnittsthema aufgeführt, welches bei vielen
Krankheiten Anwendung finden kann, um Krankheiten früher zu diagnostizieren und Krankheits‐
verläufe zu verfolgen (BMBF 2007, 115).
In der Hightech‐Strategie 2020 wird nicht der Begriff PM sondern individualisierte Medizin ver‐
wendet, worunter auch Telemedizin fällt. Eines der Zukunftsprojekte unter dem Bedarfsfeld Ge‐
sundheit/Ernährung ist „Krankheiten besser therapieren mit individualisierter Medizin“ (BMBF
2010, 14). Das BMBF beschreibt die Chancen und Herausforderungen der individualisierten Medi‐
zin wie folgt:
„Die Individualisierung der Medizin ist eine große Herausforderung für die Gesundheitsforschung, das
Gesundheitssystem, die Gesundheitsversorgung und die Gesundheitswirtschaft. Sie kann nicht nur wirksa‐
mere Therapien mit weniger belastenden Nebenwirkungen für Patientinnen und Patienten ermöglichen,
sondern auch Potenziale für eine bessere Gesundheitsversorgung erschließen und zu neuen Geschäftsmo‐
dellen für Unternehmen führen. Datenschutz und Patientenschutz stellen dabei besondere Anforderungen“
(BMBF 2010, 1)
Als Bedarf zur Förderung der individualisierten Medizin verweist das BMBF in den Aktionslinien
auf die Notwendigkeit zur „Entwicklung einer umfassenden Forschungsstrategie zur individuali‐
sierten Medizin mit dem Fokus auf den Patientennutzen und von neuen Konzepten der Versor‐
gungs‐ und Gesundheitssystemforschung“ (BMBF 2010, 14). Dabei wird auf die folgenden Schlüs‐
seltechnologien im Bereich Gesundheitsforschung verwiesen: Biotechnologie, Systembiologie,
optische Technologien, molekulare Bildgebung und Neuroinformatik.
5
Die OECD verwendet den Begriff PM für genombasierte Medizin, die für akkuratere Diagnosen
und evidenzbasierte Therapien, sowie zur Arzneimittelentwicklung und Konzeption von Wirk‐
stoffabgabe dient (OECD 2010, 149 ff.). Insbesondere Biomarker für Diagnosen und zur Krebsthe‐
rapie werden als wichtige Innovationen im Bereich der PM aufgeführt. Zu den Schlüsseltechnolo‐
gien zählt die OECD (2009) die Pharmakogenetik, quantitative und digitale Echtzeit‐
Bildgebungsverfahren, Diagnostika basierend auf hochleistungsrechnenden und automatischen
Diagnosesystemen, sowie integrierte Wissensplattformen zur Risikoprognose und zum Risikoma‐
nagement. Bei der Liste der Anwendungsbeispiele im Bericht der OECD (2009, 18) wird auf das
Dokument des President’s Council of Advisors on Science and Technology (PCAST 2008)
„Priorities for Personalized Medicine“ Bezug genommen. PM wird dort weit gefasst als umfas‐
sendes Gesundheitssystem und nicht nur als gezielte Therapien verstanden. PM wird von her‐
kömmlichen, reaktiven Systemen insofern differenziert, als dass sie proaktives Einschreiten er‐
möglicht, um Krankheiten vorzubeugen und den Verlauf von Krankheiten besser zu steuern. Je‐
doch wird hier auch betont, dass es bei der PM um Einteilungen in kleinere Patientengruppen
geht:
“Personalized medicine refers to the tailoring of medical treatment to the specific characteristics of each pa‐
tient. In an operational sense, however, personalized medicine does not literally mean the creation of drugs
or medical devices that are unique to a patient. Rather, it involves the ability to classify individuals into sub‐
populations that are uniquely or disproportionately susceptible to a particular disease or responsive to a
specific treatment. Preventive or therapeutic interventions can then be concentrated on those who will
benefit, sparing expense and side effects for those who will not.” (PCAST 2008, 7)
Um diese Einteilung zu ermöglichen, werden genetische Informationen von Individuen in Kombi‐
nation mit weiteren klinischen Informationen verwendet, um Patienten in Untergruppen einzu‐
teilen, die spezifische Krankheitsbilder aufweisen und auf bestimmte Therapien anders reagieren
als Patienten die nicht zu dieser Untergruppe zugehörig sind (PCAST 2008, 7 ff.).
Die Personalized Medicine Coalition, eine Organisation in den USA mit Mitgliedern aus der Wis‐
senschaft, Wirtschaft, Patientengruppen, Behörden und Krankenkassen, die im Jahr 2004 zum
Voranbringen der PM durch Aufklärung der Politik und Gesellschaft gegründet wurde, beruft sich
ebenso auf die Definition des President´s Council of Advisors on Science and Technology:
“As defined by the President’s Council on Advisors on [of] Science and Technology, “Personalized Medicine”
refers to the tailoring of medical treatment to the individual characteristics of each patient…to classify indi‐
viduals into subpopulations that differ in their susceptibility to a particular disease or their response to a
specific treatment. Preventative or therapeutic interventions can then be concentrated on those who will
benefit, sparing expense and side effects for those who will not.” (PMC 2011)
Demnach wird PM auch mit Stratifizierung in bestimmte Patientengruppen gleich gesetzt, nicht
mit maßgeschneiderten Therapien für Individuen wie es in der individualisierten Medizin prokla‐
miert wird.
Die Unternehmensberatung‐ und Marktforschungsinstitute PriceWaterhouseCooper (PWC 2009b,
2010b) und Frost & Sullivan (2010) verwenden ebenso den Begriff PM für ein neues Medizinkon‐
zept, welches im Allgemeinen das Zuschneiden von Gesundheitsangeboten und Therapien auf
6
einzelne Patienten ermöglicht. Dabei kommen insbesondere genetische und andere Informatio‐
nen zum Tragen, um die Therapieentscheidungen und Präventionen zu optimieren:
“PricewaterhouseCoopers defines personalized medicine broadly, as products and services that leverage the
science of genomics and proteomics (directly or indirectly) and capitalize on the trends toward wellness and
consumerism to enable tailored approaches to prevention and care. This definition encompasses everything
from high‐tech diagnostics to low‐tech foods to technologies that enable storage, analysis and linking of pa‐
tient and scientific data.” (PWC 2009b, 3)
Im Bericht der Boston Consulting Group (BCG) (von Holleben et al. 2011) „Medizinische Biotech‐
nologie in Deutschland 2011“, die im Auftrag des VFA entstand, wird der Begriff PM im Sinne de‐
finierter Konfektionsgrößen von der Individualmedizin im Sinne eines Maßanzugs abgegrenzt.
Dabei umfasst die PM „definierte Tandems aus Arzneimittelentwicklung und Test: Einsatz eines
passenden Arzneimittels nach einem diagnostischen Test auf genetischer, molekularer oder zellu‐
lärer Ebene“, und ordnet „die Patienten auf Basis diagnostischer Testung einzelnen Behandlungs‐
gruppen zu“ (von Holleben et al. 2011, 20).
Das Nuffield Council on Bioethics (2010) konzentriert sich in seinem Bericht auf personalisierte
Gesundheitsversorgung – die insbesondere durch neue Informations‐ und Telekommunikations‐
technologien Diagnosen, Überwachung von Krankheitsverläufen und Therapien ermöglicht. Auch
hier wird darauf verwiesen, dass eine einheitliche Definition noch nicht vorhanden ist. Von Seiten
der Pharmaindustrie wird der Begriff i.d.R. für Innovationen im Bereich Diagnostik und Arzneimit‐
tel verwendet, die auf spezifische Patientengruppen ausgerichtet sind, u.a. unter Berücksichti‐
gung der genetischen Dispositionen und Unterschiede. Sie umfassen neue Methoden zur Arznei‐
mittelentwicklung, Diagnose und Vorsorge, die auf den Patienten besser zugeschnitten sind.
Zudem muss berücksichtigt werden, dass PM nicht nur auf einer Technologie beruht, sondern der
Begriff bietet eine Klammer für eine Vielzahl neuer Produkte und Verfahren. Sie wird nicht als
neue Technologie wie beispielsweise Nanotechnologie oder Gentechnologie verstanden, sondern
als ein neues technologisches Paradigma im Sinne der Definition von Dosi:
„A ‘technological paradigm‘ defines contextually the needs that are meant to be fulfilled, the scientific prin‐
ciples utilised for the task, the material technology to be used. A technological paradigm is both a set of ex‐
emplars – basic artefacts which are to be developed and improved (…) and a set of heuristics – ‘Where do
we go from here?’ ‘Where should we search?’ ‘On what sort of knowledge should we draw?’ etc.” (Dosi
1988, 224)
7
Auf Basis der dargestellten Definitionsansätze wird im Forschungsprojekt DPM die folgende Defi‐
nition verwendet:
Personalisierte Medizin (auch als stratifizierte und stratifizierende Medizin bezeichnet)
ist im Vergleich zur herkömmlichen Medizin dadurch gekennzeichnet, dass sie Individuen
auf der Basis von Informationen bezüglich ihrer genetischen, molekularen oder zellulären
Merkmale näher charakterisiert, die für einen Krankheitsverlauf und die Wirkung von The‐
rapien ausschlaggebend sind.
Dieses ermöglicht eine gezieltere Arzneimittelforschung und –entwicklung, sowie präzise‐
re Diagnosen zur Therapieentscheidung und Therapiebegleitung.
Entsprechend wird PM nicht synonym zu individualisierter Medizin verwendet, sondern als ein
Teilbereich der individualisierten Medizin verstanden. PM umfasst Produkte und Dienstleistun‐
gen, die in Form von biomarkerbasierter Diagnose und Therapieauswahl eine Behandlung ermög‐
lichen, die auf kleinere Patientengruppen zugeschnitten ist. Individualisierte Medizin hingegen
umfasst neben Dispositionen, welche durch Biomarker detektiert werden können, auch Umwelt‐
einflüsse, körperliche und psychische Verfassung, Lebensführung und sozioökonomische Fakto‐
ren und beschreibt eine ganzheitliche Auffassung von Medizin und medizinischer Versorgung.
In dem Projekt DPM werden insbesondere Geschäftsmodelle von Dienstleistungen und Produkt‐
Service‐Systeme im Bereich der Arzneimittel‐Diagnostika Kombinationen und reinen Diagnostika
untersucht, die auf genetischen, molekularen und zellulären Informationen basierend, anhand
von Diagnostiktests ermittelt werden und dadurch neue Diagnose‐ und Therapiekonzepte verfol‐
gen. Im Unterschied zu der Begriffsverwendung in der BCG Studie (von Holleben et al. 2011) fal‐
len demnach nicht nur reine Tandems (Arzneimittel mit begleitenden Diagnostiktests) darunter,
sondern auch Diagnostiktests die zur Arzneimittelentwicklung oder zum Monitoring von Krank‐
heits‐ und Therapieverläufen eingesetzt werden. Dabei werden Biomarker‐ und Diagnostika‐
basierte Konzepte für die folgenden Stufen der Gesundheitsversorgung untersucht:
Die Einbeziehung des Einflusses genetischer, metabolischer und zellulärer Faktoren auf die
Wirkung von Arzneimitteln für die Arzneimittelforschung und –entwicklung anhand von
Biomarkern zur Stratifizierung von Patienten.
Diagnosen und Therapieentscheidungen beim Auftreten klinischer Symptome, wofür auf
der Basis von Krankheitsursachen und –mechanismen Krankheits‐ und Patiententypen
identifiziert und klassifiziert werden, wie z.B. unterschiedliche Krebstypen (Blum 2005,
1568 ff.; Varmus 2006; Dalton und Friend 2006, 1165 ff.; Weissleder 2006), oder Patienten
die Resistenzen aufweisen (Picard et al. 2006; Liu et al. 2006; Rodriguez‐Novoa et al.
2006). Auf Basis der Einteilungen können Prognosen über Krankheits‐ und Therapieverlauf
erstellt werden und die Interventionen spezifisch ausgewählt und angepasst werden (vgl.
Krager et al. 2009). Dabei kommt dem Einfluss genetischer und metabolischer Faktoren
8
auf die Wirkung von Arzneimitteln besondere Bedeutung zu, diese bei der Entwicklung,
Auswahl und Dosierung von Arzneimitteln zu berücksichtigen, mit dem Ziel, auf der Ebene
des Individuums unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu vermeiden und zu verringern
(Kollek et al. 2004; TAB 2005; The Royal Society 2005).
Während der Therapien kann der Verlauf der Krankheit und die Wirkung der Therapie
durch Diagnostika verfolgt werden (Theraphie‐Monitoring), um die Dauer und Intensität
der Intervention entsprechend dem konkreten individuellen Verlauf der Krankheit anzu‐
passen (Bacharach und Thomasson 2005). Auch die Nachsorge kann durch Diagnostika un‐
terstützt werden, um das Wiederauftreten von Krankheiten zu überwachen, wie es bei‐
spielsweise bei vielen Krebserkrankungen wichtig ist (Nachsorge‐Monitoring).
Was auch häufig der PM Medizin zugeordnet wird, sind Tests um potenzielle Krankheitsdispositi‐
onen zu ermitteln. Auf Basis von Vorhersagen, dass mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit
eine Krankheit eintreten könnte, könnten präventive Interventionen eingeleitet werden. Die Er‐
mittlung von Wahrscheinlichkeiten gibt jedoch keine Aussage darüber, ob und unter welchen
Umständen diese Krankheiten wirklich eintreten werden. Besonders Gentests, die ein individuel‐
les Genprofil erstellen und darüber Auskünfte bezüglich Krankheitsrisiken versprechen, fallen
darunter. Solche Dienstleistungen und Produkte zur Ermittlung individueller Krankheitsrisiken
werden in dem Projekt jedoch nicht berücksichtigt. Auch Systeme, die der individualisierten Me‐
dizin und Gesundheitsversorgung zuzurechnen sind, wie beispielsweise Spezialanfertigungen von
Prothesen, Gewebe und Knorpel, Telemedizin und individuelle Psycho‐ und Bewegungstherapien,
werden in diesem Projekt nicht untersucht.
2.2 Dienstleistungen und Produkt‐Service‐Systeme in der Personalisierten Medizin
Während die wirtschaftliche Bedeutung von Produktinnovationen schon lange anerkannt ist und
diese gezielt gefördert werden, stehen seit den letzten drei Dekaden zunehmend Dienstleistun‐
gen und Produkt‐Service‐Systeme (vgl. Goedkoop et al. 1999, McAloone und Andreassen 2004,
Mont 2001) – auch unter Produkt‐Dienstleistungssysteme, hybride Leistungsbündel, hybride Pro‐
dukte bekannt (vgl. Meier et al. 2005, Bullinger und Scheer 2006) – als der Wachstumsmotor der
europäischen und auch der deutschen Wirtschaft im Fokus (vgl. Bienzeisler et al. 2006, Drucker
1992; Garbe und Homburg 1996; Statistisches Bundesamt 2004, 2005). Neben der wachsenden
Bedeutung von reinen Dienstleistungen zeigen Forschungsstudien aus den Bereichen Innovati‐
ons‐ und Technologiemanagement, dass auch an Produkte gekoppelte Dienstleistungen Wettbe‐
werbsvorteile für ehemals rein produzierende Gewerbe ermöglichen (Neely 2008). Unter Be‐
trachtung der potenzialorentierten, prozessorientieren und ergebnisorientieren Definitionen von
Dienstleistungen (vgl. Corsten & Gössinger 2007, 21) sieht Bruhn Dienstleistungen als:
„selbstständige, marktfähige Leistungen, die mit der Bereitstellung oder mit dem Einsatz von Leistungsfähigkeiten verbunden sind (Potenzialorientierung). Interne und externe Faktoren werden im Rahmen des Leistungserstellungsprozesses kombiniert (Prozessorientierung), die Faktorenkombination des Dienstleistungsanbieters wird mit dem Ziel eingesetzt, an den externen Faktoren – Menschen oder deren Objekte – nutzenstiftende Wirkungen zu erzielen (Ergebnisorientierung)“ (M. Bruhn 1997, S.14).
9
Hybriden Leistungsbündeln kommt insofern eine hohe Bedeutung zu, da die Nutzung von Produk‐
ten durch fachmännische Beratungs‐, Anwendungs‐, Wartungs‐ und Entsorgungsservices hinsicht‐
lich Qualität, Produktivität und Umweltfreundlichkeit optimiert werden kann. Insbesondere bei
Produktinnovationen können Dienstleistungen bei deren Markteinführung ausschlaggebend sein,
die Konsumenten mit der Nutzung vertraut machen. Daher ist es wichtig, auch bei der Gestaltung
von Geschäftsmodellen in der PM die wachsende Bedeutung von Dienstleistungen und Produkt‐
Service‐Systemen in der Entwicklungsphase zu berücksichtigen.
Aktuelle Studien der PM verweisen auf den Forschungsbedarf, um lukrative Geschäftsmodelle zu
entwickeln (z.B. Jain 2011a, Sleigh und Barton 2011). Zudem müssen Dienstleistungen und hybri‐
de Leistungsbündel in wertschöpfungsketten übergreifenden Netzwerken entwickelt, erbracht
und kommerzialisiert werden. Wie der Überblick der Darstellung 1 zeigt, sind die Technologien
und Einsatzgebiete in der PM sehr vielfältig. Der Fokus in dem Projekt DPM liegt, wie im vorheri‐
gen Kapitel beschrieben, auf Tandems und reinen Diagnostika zur Arzneimittelentwicklung‐ und
Forschung, Frühdiagnostik, Therapie‐ und Dosierungsauswahl, sowie zum Monitoring und zur
Nachsorge.
Darstellung 1: Technologien und deren Einsatzgebiete in der Personalisierten Medizin
Quelle: Karger et al. 2009, 7
Ob Dienstleistungen und Produkt‐Service‐Systeme nachhaltig gewinnbringend sind, ist maßgeb‐
lich von dem Geschäftsmodell abhängig. Dieses wird als zentrales Mediationsinstrument zwi‐
schen technologischer Entwicklung und ökonomischer Wertschöpfung verstanden (vgl. Chesb‐
rough und Rosenbloom 2002). Diesbezüglich soll es sicherstellen, dass eine Innovation für den
Kunden und das Unternehmen nachhaltig Wert stiftet. Ein Geschäftsmodell kann jedoch nur dann
wettbewerbsfähig sein, wenn es produktiv ist und gegen Nachahmung ausreichend geschützt
wird. Produktivität und Schutz vor Imitation lassen sich demnach als inhärente Subsysteme des
vielschichtigen Gesamtgebildes für dieses Geschäftsmodell verstehen. Welche die passendsten
10
Schutzstrategien für Geschäftsmodelle in der PM sind, ist von der Beschaffenheit der Dienstleis‐
tungen und Produkt‐Service‐Systeme abhängig. Dieses gilt es zu erforschen, so dass bei der Wahl
des richtigen Geschäftsmodells, die inhärente Profitabilität nachhaltig gewährleistet ist.
Erste erfolgreiche Produkte durch Kopplung von diagnostischen Tests mit einem Medikament
haben den Trend in Richtung einer PM stark beschleunigt. Mittlerweile sind in Deutschland 20
Arzneimittel mit Companion Diagnostics zugelassen, davon 16 mit vorgeschriebenem diagnosti‐
schen Vortest und 4 mit empfohlenem Test (von Holleben et al. 2011, 23). Auch die Anzahl der
klinischen Studien, bei denen Biomarker eingesetzt werden, ist auf durchschnittlich 20 % gestie‐
gen, wobei der größte Teil auf Studien im Bereich der Onkologie fällt (von Holleben et al. 2011, 26
f.). Einen Überblick über weitere Dienstleistungspotenziale bietet die folgende Darstellung:
Darstellung 2: Dienstleistungspotenziale in der Personalisierten Medizin
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Reger et al. (2008, 31)
Die Dienstleistungsbeispiele in der Abbildung weisen darauf hin, dass besonders von Diagnosti‐
kunternehmen unterschiedliche Kundengruppen angesprochen werden müssen. Zum einen kön‐
nen biomarkerbasierte Tests den forschenden Arzneimittelunternehmen zur FuE von Arzneimit‐
teln zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus ist der Markt der PM speziell, da er keine
klassischen Kundensegmente aufweist, sondern bei den Gesundheitsanbietern die Anwender
(Ärzte, Labore), Kaufentscheider (Einkauf im Klinikum bzw. Laborzentrum) und Kostenträger
(Krankenkassen, Patienten) oftmals getrennt voneinander agieren (Mueller und Kamprath 2011,
6). So zeigen die oben genannten Hindernisse, dass dienstleistungsorientierte, wertschöpfungs‐
stufen übergreifende Netzwerke notwendig sein werden, um die Potenziale der PM auszuschöp‐
fen. Diese Netzwerke beinhalten neben den Unternehmen auch andere Akteure des Gesund‐
heitssystems, wie beispielsweise Zulassungsbehörden, Krankenkassen, Krankenhäuser, Ärzte und
Pflegepersonal.
11
Trotz der ersten Erfolge besteht eine ungelöste Kernfrage der PM darin, wie produktive Ge‐
schäftsmodelle für die Co‐Entwicklung von Arzneimittel, Diagnostiktests und ergänzender Dienst‐
leistungen gestaltet werden können (Hüsing et al. 2008, Nygaard et al. 2008). Die parallele Ent‐
wicklung eines Medikamentes zusammen mit dem dazugehörigen Diagnostik‐Test ist ein neues
Konzept, das Risiken und die Bereitschaft zur Umstellung gängiger Praxis mit sich bringt. Kaum ein
forschendes Pharmaunternehmen verfügt gleichzeitig über eine eigene Diagnostiksparte. Auch
die klinischen Studien müssen anders konzipiert und durchgeführt werden. Zudem ist teilweise
noch ungeklärt, wo und von wem die Tests und Analysen durchgeführt werden und welche Ver‐
gütungsmodelle für das Gesundheitssystem angemessen sind. Entsprechend erfordert die Ent‐
wicklung neuer Produkte und Dienstleistungen im Bereich der PM neue Kompetenzen und kann
in der nahen Zukunft nur in Netzwerken und Kooperationen erfolgen. Dabei kommen Technolo‐
gieunternehmen, die Biomarker identifizieren und Diagnostikunternehmen, die die Tests bis zum
Markt entwickeln, eine hohe Bedeutung zu. Um das Risiko der Co‐Entwicklung von Diagnostik‐
tests passend zu Arzneimitteln zu reduzieren, können sich Diagnostikunternehmen so aufstellen,
dass sie nicht nur reine Produkte vertreiben sondern auch reine Dienstleistungen und Kombinati‐
onen aus Produkten und Dienstleistungen.
In den Innovations‐ und Managementdisziplinen besteht noch starker Forschungsbedarf, um ge‐
eignete Konzepte, Modelle und Innovationsmanagementpraktiken für akteurs‐ und wertschöp‐
fungsketten‐übergreifende Entwicklungen und Erbringung von Dienstleistungen und hybriden
Leistungsbündeln zur Verfügung zu stellen. Hier setzt die Chance produktiver Geschäftsmodelle
von Dienstleistungen und Produkt‐Service‐Systemen im Bereich der PM an, die diesen Netzwerk‐
anforderungen dadurch gerecht werden, dass möglichst viele Stakeholder bei ihrer Entwicklung
integriert werden.
12
3. Methodisches Vorgehen
Generell lässt sich die Datenerhebung in zwei Gruppierungen ‐ Field Research (Feldforschung)
und Desk Research systematisieren. In der Feldforschung werden die notwendigen Daten neu
erhoben. Basiert die Untersuchung jedoch auf bereits vorhandenen Daten wird dies als Desk Re‐
search oder Evidenzsynthese bezeichnet (vgl. Schöffski 2008, 106; Töpfer 2009, 203). Vorteile des
Desk Research‐Ansatzes sind vor allem die geringeren Kosten und die kürzere Erhebungsdauer.
Nachteilig ist die fehlende Aktualität und mögliche Fehlerhaftigkeit der Daten.
Die vorliegende Untersuchung erfolgt durch Desk Research, insbesondere durch eine Analyse
bereits vorhandener Studien und Field Research in Form von Experteninterviews mit unterschied‐
lichen Akteuren des Wertschöpfungssystems und einem Workshop mit Teilnehmern aus der
Wirtschaft. Um die Treiber und Barrieren für die einzelnen Akteure im Wertschöpfungssystem,
insbesondere für Unternehmen zu erfassen, führten wir eine Analyse von Einflussfaktoren durch.
Die Methoden und Datensätze werden im Folgenden aufgeführt.
3.1 Desk Research
Die Analyse des Marktes und der Potenziale der PM, insbesondere für Dienstleistungen und Pro‐
dukt‐Service‐Systeme, erfolgt durch eine umfassende Primär‐ und Sekundärdatenerhebung und ‐
analyse zur Untersuchung der Wertschöpfungskette und der Wertschöpfungspartner, um Poten‐
ziale, Geschäftsmodelle, mögliche Strategien zum Schutz der Innovationen von Dienstleistungen
und Produkt‐Service‐Systemen, sowie deren Produktivität zu identifizieren. Die Desk Research
Methode kommt in diesem Vorhaben in den folgenden drei Formen zum Einsatz: Company‐,
Print‐ und Internet Desk Research (vgl. Nickel 2004, 24). Die folgende Tabelle bietet einen Über‐
blick über die wichtigsten Studien, die sich in den letzten Jahren mit der Entwicklung der PM be‐
fasst haben und für die Auswertung herangezogen wurden:
Tabelle 1: Übersicht Studien zur Personalisierten Medizin
Nr Verfasser Institut ‐ Organisation Titel Jahr
1 BMBF BMBF Roadmap für das Gesundheitsforschungsprogramm der Bundesregierung.
2007
2 President’s Council of Advi‐sors on Science and Technology
President’s Council of Advisors on Science and Technology
Priorities for Personalized Medicine. President’s Council of Advisors on Science and Technology.
2008
3 Biophoenix Biophoenix The convergence of biomarkers and diagnostics ‐ therapy area analyses, key products and future trends.
2008
4 Deloitte Center for Health Solu‐tions
Deloitte Center for Health Solutions
The ROI for targeted therapies: A strategic perspec‐tive.
2009
5 Falkingbridge, S. Business Insights Expanding applications of Personalized Medicine: Use of biomarkers in prognostic, predictive and pharmacogenetic tests in a targeted approach.
2009
13
Nr Verfasser Institut ‐ Organisation Titel Jahr
6 F.A.Z.‐Institut F.A.Z.‐Institut Personalised Healthcare 2009
7 Marchant, J. Business Insights Key trends in drug‐diagnostic co‐development: identifying collaborative opportunities and navigat‐ing regulatory challenges.
2009
8 Pricewaterhou‐seCoopers
PricewaterhouseCoo‐pers
Diagnostics 2009: Moving towards personalised medicine.
2009a
9 Pricewaterhou‐seCoopers
PricewaterhouseCoo‐pers Health Research Institute
The new science of personalized medicine: Trans‐lating the promise into practice.
2009b
10 PMC The Personalized Med‐icine Coalition (PMC)
The case for personalized medicine. 2009
11 Frost & Sullivan Frost & Sullivan Advances in Personalized Medicine. 2010
12 GBI Research GBI Research Personalized Medicine market ‐ Advances in human genomics and proteomics to challenge traditional therapeutics.
2010
13 Germany Trade & Invest
Germany Trade & Invest
The medical biotechnology industry in Germany 2010‐2011.
2010
14 Healthleaders Media Break‐throughs
Healthleaders Media Breakthroughs
The Impact of Personalized Medicine Today. 2010
15 McDougall, G. Drug Discovery, Deli‐very & Therapeutics
Competing in an Era of Personalised Medicine 2010
16 Pricewaterhou‐seCoopers’ Health Research Institute
PricewaterhouseCoo‐pers’ Health Research Institute
Healthcare unwired: New business models deliver‐ing care anywhere.
2010a
17 Pricewaterhou‐seCoopers
PricewaterhouseCoo‐pers’
HealthCast: The customization of diagnosis, care and cure.
2010b
18 Taylor, P. Business Insights Drug discovery collaborations between academia and pharmaceutical industry: Cultural factors, intel‐lectual property considerations, case studies, and future trends.
2010
19 Glaeske, G. Friedrich‐Ebert‐Stiftung
Patientenorientierung in der medizinischen Versor‐gung: Vorschläge zur notwendigen Weiterentwick‐lung und Umgestaltung unseres Gesundheitswe‐sens
2011
20 Jain, K. K. Jain PharmaBiotech Publications
Personalized Medicine: Part I: Scientific & commer‐cial aspects
2011a
21 Jain, K. K. Jain PharmaBiotech Publications
Personalized Medicine: Part II: Companies 2011b
22 Sleigh, S., & Bar‐ton, C. L.
Business Insights Advances in drug‐diagnostic co‐development 2011
23 von Holleben, M., Pani, M., & Heinemann, A.
Boston Consulting Group
Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2011: Biopharmazeutika: Wirtschaftsdaten und Nutzen der Personalisierten Medizin.
2011
Die Studien sind zum einen Marktanalysen mit dem Ziel, den aktuellen Markt und die Marktpo‐
tenziale der PM wieder zu geben. Die Berichte der Regierungsorganisationen und öffentlichen
Institutionen sind an Unternehmen und Wissenschaft sowie an die Gesellschaft gerichtet, um den
aktuellen Forschungsbedarf zu kommunizieren. Um die verschiedenen Parameter aus Einzelstu‐
14
dien und unterschiedlichen Bereichen zusammen zu führen, wird auf das Verfahren der Kontin‐
genzanalyse, einer Methode die zu der qualitativen Inhaltsanalyse zählt, zurück gegriffen. Das Ziel
von Kontingenzanalysen ist die Untersuchung der Verbindungen sprachlicher Elemente zu be‐
stimmten Begriffen (vgl. Mayring, 2008, S.15). Die Marktstudien dienen somit zum einen, Ein‐
flussfaktoren mit den jeweiligen Treibern und Barrieren herauszuarbeiten, zum anderen werden
sie als Grundlage für die Interviews verwendet, um die Fragen entsprechend zu fokussieren.
3.2 Experteninterviews und Expertenworkshops
Das Interview an sich ist hier ein Sammelbegriff für eine Reihe verschiedener Verfahren. Unter‐
scheidungskriterien sind hierbei der Grad der Standardisierung, die Anzahl der interviewten Per‐
sonen und die Anzahl der Forschenden, die das Interview führen (Hussy et al. 2010, 215 ff.). Die
Methode des Interviews wird genutzt, wenn es um die Exploration unbekannter Gebiete und die
Weiterführung von Forschungsfeldern unter speziellen Aspekten geht (Dafinoiu und Lungu 2003,
76). „Das Interview ist ein Gespräch, in dem die Rollen per Konvention meist asymmetrisch ver‐
teilt sind, wobei die Forschenden die Fragen stellen und die an der Untersuchung Teilnehmenden
antworten. Das Interview dient der Informationsermittlung“ (Hussy et al. 2010, 215). Vorteile von
Interviews sind die Erhebung eines breiten Spektrums an Informationen innerhalb kurzer Zeit.
Bedingung für unverfälschte Ergebnisse ist die Offenheit des Interviewten gegenüber dem Ge‐
sprächsthema und eine wahrheitsgemäße Beantwortung der Fragen (Marshall und Rossman
1999, 110). Das Führen von Interviews mit Experten (sog. Key Informants) erhöht hier die Quali‐
tät der Aussagen (Crabtree und Miller 1999, 71 ff.). Während beim Interview in der Regel ein
Untersuchungsteilnehmer befragt wird, ermöglicht ein Workshop mehrere Befragte gleichzeitig
in die Untersuchung mit einzubeziehen. Dabei steht nicht die individuelle Meinung im Mittel‐
punkt, sondern die kollektive Meinung der ganzen Gruppe (Hussy et al. 2010, 221 ff.).
Für diese Studie wurden leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Das Leitfadeninterview
zeichnet sich dadurch aus, dass der Interviewer dem Gespräch einen Leitfaden zugrunde legt, an
welchen im Interview forschungsrelevante Fragestellungen abgearbeitet werden (Schnell et al.
1999, 355). Dieser Leitfaden wird meist in Form von Checklisten mit vorformulierten Fragen vor‐
bereitet. Ziel ist es, möglichst viele relevante Themenbereiche im Interview strukturiert aufzugrei‐
fen. Somit wird vermieden, dass wichtige Fragenkomplexe vergessen werden (Mayer 2008, 19).
Durch diese Strukturierung ist eine Vergleichbarkeit der durchgeführten Interviews untereinan‐
der möglich und gleichzeitig erhebt ein Leitfadeninterview den Anspruch, dem Interviewten
durch offene Fragestellungen Antwortspielräume zu lassen. Insbesondere bedeutet dies, dass der
Befragte seinem Wissen und seinen Interessen nach antworten kann (Gläser und Laudel 2009,
115). Antworten des Befragten müssen durch den Interviewer laufend bewertet werden, um
durch passende Nachfragen das Gespräch wieder auf den Forschungsfokus zu lenken oder noch
detailliertere Informationen des Befragten zu erhalten. Das Leitfadengespräch setzt somit beson‐
dere Fähigkeiten des Interviewers voraus (Schnell et al. 1999, 355). Dieser muss einen offenen
und spontanen Kommunikationsfluss ermöglichen, gleichzeitig die Fokussierung auf forschungs‐
15
relevante Inhalte fördern, interessante und neue Inhalte vertiefen und Abschweifungen des In‐
terviewten verhindern (Kleemann et al. 2009, 37f.). Diese Überlegungen lassen sich durch die von
Hopf (1978, 99 ff.) gesetzten vier Anforderungen an Leitfadeninterviews zusammenfassen:
1. Reichweite: Der Interviewer muss dem Befragten genug Spielraum lassen, um nicht in antizipierter Weise
sondern selbstgesteuert Probleme, Lösungen, Einflussfaktoren usw. aufzuzeigen, d.h. der Interviewer fragt
den Befragten nicht ab, sondern bietet Erzählanregungen.
2. Spezifität: Der Leitfaden des Gesprächs muss an den spezifischen Hintergrund des Interviewten angepasst
werden, um Äußerungen verstehen und interpretieren zu können. Da jeder Interviewpartner einzigartig ist,
sind standardisierte Gespräche bei komplexen Fragestellungen nicht zielführend.
3. Tiefe: Der Interviewer unterstützt den Befragten in der Darstellung von Tatsachen, Annahmen, Werten
und Gefühlen.
4. Personaler Kontext: Der persönliche und soziale Hintergrund des Befragten muss geklärt sein, um dessen
Antworten und Reaktionen hinterher analysieren und interpretieren zu können.
Die folgende Tabelle bietet eine Übersicht über die geführten Interviews, auf denen diese Studie
basiert:
Tabelle 2: Übersicht Interviews
Nr. Organisation Funktion Land
V1 Unternehmensverband/ ‐netzwerk ReferentIn D
V2 Unternehmensverband/ ‐netzwerk ReferentIn D
V3 Unternehmensverband/ ‐netzwerk DirektorIn u GeschäftsführerIn D
V4 Unternehmensverband/ ‐netzwerk ProjektmanagerIn D
V5 Unternehmensverband/ ‐netzwerk ReferentIn D
V6 Unternehmensverband/ ‐netzwerk ReferentIn D
UF1 Universität / Forschungsinstitut ProfessorIn u Institutsleitung USA
UF2 Universität / Forschungsinstitut ProfessorIn u Institutsleitung USA
MU1 Marktforschung/ Unternemens‐beratung DirektorIn u GeschäftsführerIn USA
A1 Forschendes Pharmaunternehmen LeiterIn für Geschäftseinheit D
A2 Forschendes Pharmaunternehmen Marketing u Geschäftsentwicklung D
A3 Forschendes Pharmaunternehmen Marketing u Geschäftsentwicklung D
A4 Forschendes Pharmaunternehmen LeiterIn FuE D
A5 Forschendes Pharmaunternehmen DirektorIn u GeschäftsführerIn D
A6 Forschendes Pharmaunternehmen Marketing u Geschäftsentwicklung D
A7 Forschendes Pharmaunternehmen Marketing u Geschäftsentwicklung D
A8 Forschendes Pharmaunternehmen LeiterIn für Geschäftseinheit D
A9 Forschendes Pharmaunternehmen DirektorIn u GeschäftsführerIn D
D1 Diagnostikunternehmen DirektorIn u GeschäftsführerIn D
D2 Diagnostikunternehmen DirektorIn u GeschäftsführerIn D
D3 Diagnostikunternehmen LeiterIn FuE D
D4 Diagnostikunternehmen Marketing u Geschäftsentwicklung D
D5 Diagnostikunternehmen DirektorIn u GeschäftsführerIn D
D6 Diagnostikunternehmen DirektorIn u GeschäftsführerIn D
D7 Diagnostikunternehmen ProduktmanagerIn D
D8 Diagnostikunternehmen Marketing u Geschäftsentwicklung D
D9 Diagnostikunternehmen DirektorIn u GeschäftsführerIn D
D10 Diagnostikunternehmen DirektorIn u GeschäftsführerIn USA
D11 Diagnostikunternehmen DirektorIn u GeschäftsführerIn USA
D12 Diagnostikunternehmen LeiterIn für Geschäftseinheit USA
D13 Diagnostikunternehmen DirektorIn u GeschäftsführerIn USA
16
Die Interviews wurden mit Vertretern aus forschenden Pharmaunternehmen, Diagnostikunter‐
nehmen, Unternehmensverbänden und ‐netwerken, Universitäten und Forschungsinstituten,
sowie Marktforschungsinstituten und Unternehmensberatungen geführt. Alle der Befragten sind
im Bereich der PM aktiv und von ihrer Funktion her im höheren Management angesiedelt. Somit
haben sie einen globalen Blick für die Treiber und Barrieren der PM. Die Quellenverweise zu den
einzelnen Interviews erfolgt in Form der Abkürzungen (z.B. D1), um einen möglichst hohen Grad
der Anonymisierung der Interviewpartner zu gewährleisten. Ebenso wurden spezielle Technolo‐
gien und Produkte, sowie Unternehmensnamen mit X ersetzt, da in dem noch überschaubaren
Feld der Produkte und Anwendungen sonst Rückschlüsse auf bestimmte Unternehmen möglich
wären. Der Großteil der Interviews wurde in Deutschland im zweiten und dritten Quartal 2011
geführt, ein kleinerer Teil in den USA im vierten Quartal 2011. Wobei auch die Unternehmen in
Deutschland i.d.R. global operieren.
Die Auswertung der Interviews erfolgt im ersten Schritt durch eine qualitative Inhaltsanalyse:
Zusammenfassung (Reduzierung auf wesentliche Inhalte, dabei Vermittlung eines Bildes vom
Ganzen), Explikation (Sachverhalte werden mit Hilfe der Marktstudien erklärt oder relativiert)
und Strukturierung (vgl. Mayring, 2008, S.116). Für diesen Bericht wurden dadurch die Einfluss‐
faktoren für verschiedene Akteure analysiert, die in Kapitel 4 für die einzelnen Bereiche ausführ‐
lich dargestellt sind.
Neben den Interviews wurden auch zwei Workshops zu den Einflussfaktoren der Gesellschaft und
zu denen der regulatorischen Rahmenbedingungen durchgeführt. Workshops haben hier die
Funktionen, aus verschiedenen Perspektiven eine Thematik zu beleuchten und in der Diskussion
Meinungen zu reflektieren bzw. herauszuarbeiten (vgl. Susman und Evered 1978, 587). Work‐
shops werden somit auf der einen Seite dazu genutzt, Wissenschaftlern konkrete Einblicke in die
Welt der Praktiker zu geben. Auf der anderen Seite nehmen Praktiker direkten Einfluss auf den
Ergebnis‐Output, indem in den Workshops beide Gruppen konkrete Konsequenzen ziehen kön‐
nen, nachdem Ergebnisse präsentiert und diskutiert wurden (Middel et al. 2006, 82 ff.).
Im Rahmen dieser Studie wurde ein Workshop im Mai 2011 mit zehn Teilnehmern aus der Wis‐
senschaft und acht Teilnehmern der Wirtschaft veranstaltet, um kritische Einflussbereiche aus
der Domäne der regulatorischen Rahmenbedingungen und der Gesellschaft zu identifizieren. Da‐
zu wurden im ersten Schritt durch die Metaanalyse verschiedene Bereiche identifiziert und auf
einem Plakat aufgelistet. Im zweiten Schritt wurden die Teilnehmer in zwei Gruppen geteilt mit
einer ausgewogenen Anzahl von Vertretern der Wissenschaft und der Wirtschaft. Diese bearbei‐
teten jeweils ein Themenfeld – regulatorische Rahmenbedingungen oder Gesellschaft. Zuerst
wurde geprüft, ob alle Aspekte mit aufgenommen wurden oder noch weitere hinzuzufügen wer‐
den sollten. Dann wurden mit roten und grünen Punkten die jeweils kritischen und unkritischen
Bereiche markiert. Im folgenden Arbeitsschritt wurden Erklärungen zu den Bereichen hinzugefügt
und die Auswahl untereinander diskutiert. Anschließend wechselten die Gruppen und, konfron‐
tiert mit der Auswahl der vorherigen Gruppe, konnten durch Abfolge derselben Schritte bestimm‐
te Bereiche wieder stärker hervorheben oder revidieren auf der Basis von weiteren Argumenten
(siehe Darstellungen 3 und 4). Anschließend wurde die Diskussion schriftlich und visuell fixiert
17
(siehe Darstellung 4). Die Themenkomplexe wurden für die Auswertung der Einflussfaktoren im
folgenden Kapitel berücksichtigt.
Darstellung 3: Workshop Treiber und Barrieren Gesellschaft
Quelle: Eigene Darstellung
Darstellung 4: Auswertung Workshop Treiber und Barrieren Gesellschaft
Quelle: Eigene Darstellung
18
3.4 Einflussfaktorenanalyse
Die Einflussfaktorenanalyse betrachtet Akteure und ihre Umwelt, wie diese im Einzelnen auf sie
wirken. So können Einflussfaktoren identifiziert werden, die als Treiber und Chancen oder als Bar‐
rieren und Risiken dem Erreichen bestimmter Ziele befördern oder im Wege stehen könnten.
Einflussfaktoren können über verschiedene Methoden gesammelt werden. Die geläufigsten sind
SWOT‐Analysen, Stakeholderanalysen, Umwelt‐ und Umfeldanalysen aus dem Innovations‐ und
Projektmanagement, sowie Einflussfaktorenanalysen aus der Szenario‐ und Zukunftsforschung.
Diese Art der Untersuchungen helfen Entscheidern und Analysten zur Fokussierung der eigenen
Aktivitäten und zur Identifikation des Handlungsbedarfs. Sie werden in dem Forschungsprojekt
DPM verwendet, um die Einflussfaktoren in Bezug auf die Umsetzung der PM in Deutschland für
die beteiligten Akteure zu diskutieren, sowie Chancen und Risiken zu identifizieren.
Die Einflussfaktorenanalyse wurde auf Basis der Studien, der Interviews und der Diskursanalyse in
einem dreistufigen Verfahren durchgeführt. Im ersten Schritt wurden auf Basis der Interviews,
Expertenworkshops, Studien und der Diskursanalyse bestimmte Einflussfaktoren für jede Ak‐
teursgruppe erfasst. Im zweiten Schritt wurden diese jeweils mit einem Team aus fünf weiteren
Mitarbeitern aus der Wissenschaft diskutiert und überarbeitet, um im dritten Schritt gemeinsam
die wichtigsten Einflussfaktoren, die auch andere Akteure betreffen, zu identifizieren. Von den
Chancen und Treibern sowie den Barrieren und Risiken wurden Handlungsempfehlungen abgelei‐
tet.
19
4. Schlüsselakteure – Treiber und Barrieren
Im Folgenden werden das Wertschöpfungssystem der PM mit den Schlüsselakteuren dargestellt
und für die einzelnen Schlüsselakteure die Einflussfaktoren mit den jeweiligen Treiber und Barrie‐
ren hervorgehoben. Als Datenbasis wurden eine Inhaltsanalyse von den in Kapitel 3.1 aufgeführ‐
ten Studien durchgeführt und die in Kapitel 3.2 aufgelisteten Interviews ausgewertet. Zudem
diente der Workshop (Kapitel 3.2) zur Identifizierung von Einflussfaktoren für die Teilbereiche
Gesellschaft und regulatorische Rahmenbedingungen, die von Unternehmen als unkritisch oder
als problematisch eingestuft werden.
Ausgehend von dem Analyseansatz des Innovationssystems werden für die PM die wirtschaftli‐
chen, politischen und sozio‐kulturellen Bedingungen anhand der Akteure des Wertschöpfungssys‐
tems betrachtet. Dieses bietet insbesondere bei Veränderungen im System den Vorteil gegen‐
über der Betrachtung von Wertschöpfungsketten, dass auch die peripheren Akteure als wichtige
Einflussfaktoren in die Betrachtung mit einbezogen werden. Als Innovationssystem wird das Zu‐
sammenwirken von und die Beziehungen zwischen Akteuren und Institutionen bezeichnet, durch
deren Interaktion neues und anwendbares Wissen erzeugt und verbreitet wird (Lundvall 1992,
12; Nelson 1993, 4 f.). Auch die Innovationsfähigkeit von Unternehmen wird zum Teil durch das
Innovationssystem und nicht nur durch seine Eigenschaften und Ressourcen bestimmt (Porter
1990, 73). Kern dieser Betrachtungsweise ist die Steuerungsmöglichkeit und Befähigung durch die
einzelnen Akteure und Institutionen, neues Wissen und Technologien zu erzeugen, anzupassen
und anwendbar zu machen (Freeman 1987,1).
Innovationssysteme werden als nationale (z.B. Lundvall 1992; Nelson 1993), regionale (z.B. Cooke
et al. 2004) und internationale (z.B. Asheim und Herstad 2005, 169 ff.; Carlsson 2006, 56 ff.) Sys‐
teme untersucht. Auch einzelne Industrien und Technologiefelder sind Untersuchungseinheiten,
die mit dem theoretischen Ansatz als sektorale Innovationssysteme beleuchtet werden (Breschi
und Malberba 1997). Innovationen werden dabei als Ergebnisse der Neukombination und Wei‐
terentwicklung von bestehendem Wissen verstanden. Jedoch nicht als linearer Prozess mit klaren
Entwicklungspfaden, sondern vielmehr durch das komplexe Zusammenwirken eines Systems aus
verschiedenen Akteuren, Institutionen, Technologien, Artefakten und deren Beziehungen.
Im ersten Unterkapitel wird das Gesamtsystem der Akteure in der PM dargestellt. Der zweite,
ausführlichere Teil spezifiziert die einzelnen Akteure der PM, ihre Beziehungen zueinander und
untersucht für die wichtigsten Akteure die spezifischen Einflussfaktoren sowie deren treibende
und hemmende Wirkung in Bezug auf die Umsetzung der PM.
4.1 Überblick über das Wertschöpfungssystem und die relevanten Akteure
Akteure in Wertschöpfungssystem lassen sich in einer ersten, groben Unterteilung den Teilberei‐
chen Wissenschaft, Wirtschaft, Markt, Politik und regulatorische Institutionen, sowie Gesellschaft
zuordnen (siehe Darstellung 5). Da der Fokus unserer Betrachtung auf den Unternehmen liegt,
stehen sie im Zentrum, mit der Wissenschaft als wichtiger Quelle neuen Wissens und dem Markt
20
als Abnehmer, eingebettet in die Gesellschaft und deren Akzeptanz und Erwartungen sowie der
Politik und regulatorischen Rahmenbedingungen, die steuernd auf die Unternehmen einwirken.
Darstellung 5: Akteurgruppen im Innovationssystem
Quelle: Eigene Darstellung
Die Wissenschaft dient zur Grundlagenforschung und angewandten Forschung um risikoreiche
Wissensfelder voran zu bringen, in die Unternehmen (noch) nicht investieren. Gleichzeitig sind sie
Quelle neuer Technologien und von Erkenntnissen, die zur Verbesserung von Organisationsstruk‐
turen und Institutionen beitragen. Zudem sind sie für die Ausbildung späterer Mitarbeiter in Un‐
ternehmen zuständig und beeinflussen auch das Bildungsniveau der Kunden im Markt und der
Gesellschaft. Die Teilbereiche Wirtschaft und Markt sind die eigentlichen Anbieter und Abnehmer
von (neuen) Produkten und Dienstleistungen. Sie haben die größte Entscheidungsmacht, in wel‐
cher Ausgestaltung und zu welchen Preisen sich Innovationen durchsetzen. Gleichzeitig üben sie
Einfluss auf die Wissenschaft aus, denn Unternehmen sind auch Abnehmer von Forschungser‐
gebnissen und Auftragsgeber für Forschungsprojekte. Von Marktbedürfnissen lassen sich direkte
Fragestellungen an die Wissenschaft ableiten. Als koordinierende Instanz ordnen Politik und regu‐
latorische Institutionen das Zusammenspiel der Wissenschaft, Wirtschaftsakteure und Marktteil‐
nehmer. Die Gesellschaft, zu der wir in unserer Betrachtung auch die Akteure der Medien zählen,
nimmt indirekt Einfluss durch ihre Werte und Normen auf alle anderen Akteure. So geben sie
nicht nur Tendenzen vor, was erforscht werden kann und sollte, sondern auch welche Regeln und
Ressourcen die Politik der Wissenschaft und Wirtschaft auferlegen und zugestehen sollte. Auch
nimmt der Bereich Gesellschaft Einfluss darauf, welche Produkte und Dienstleistungen nachge‐
fragt werden, indem sie einerseits Kunden stellen und andererseits bestimmte Werte haben, die
von den Unternehmen antizipiert und entsprechend in Angebote umgesetzt werden.
Wenn man nun dieses klassische Marktgefüge für den Gesundheitsmarkt betrachtet, in den die
Produkte und Dienstleistungen der PM fallen, lassen sich einige Besonderheiten in Bezug auf die
21
Akteure und ihre Beziehungen feststellen (vgl. Darstellung 6). Zum einen ist der Arzneimittelbe‐
reich durch verhältnismäßig hohe Investitionen in FuE gekennzeichnet. Unternehmen können aus
der Wissenschaft in der Regel keine Ergebnisse ohne deutliche eigene Entwicklungsarbeit in
marktfähige Produkte umwandeln, da die Zulassungsbedingungen kostenintensive Studien vo‐
raussetzen, welche von der Wissenschaft nicht getragen wird. Daher bevorzugen Unternehmen
auch exklusive Nutzungsrechte an Erfindungen, um über die zeitlich begrenzte Monopolstellung
die Refinanzierung der FuE‐Ausgaben zu gewährleisten. Zum anderen haben Politik und regulato‐
rischen Institutionen einen sehr großen Einfluss auf die Ausgestaltung, Preise, Marketing und
Nachfrage der Produkte und Dienstleistungen.
Darstellung 6: Akteure im Innovationssystem der Personalisierten Medizin
Quelle: Eigene Darstellung
Da in vielen Ländern das Gesundheitssystem zumindest in Teilen als ein beitragsfinanziertes Soli‐
darsystem organisiert ist, entscheiden zentrale Stellen über den Einkauf oder darüber, was nicht
privat finanziert werden muss und nicht die eigentlichen Anwender, die Ärzte und Patienten.
Durch die Einkaufsmacht, die oft durch politische Akteure gesteuert wird, wird der Gesundheits‐
markt auch oft als eine Form der Planwirtschaft bezeichnet. Es gilt häufig ein einheitlicher, ge‐
setzlich geregelter Leistungskatalog und die Gesundheitsleistungen unterliegen ebenso der staat‐
lichen Kontrolle, werden jedoch privat erbracht. Die Preisgestaltung erfolgt daher zwischen Wirt‐
22
schaft und Politik. Ärzte, die Erbringer von Gesundheitsleistungen sowie die Patienten sind ent‐
sprechend keine Kunden im allgemeinen Sinne mit Wahlfreiheit und Einfluss auf die Preisgestal‐
tung sowie Absatzmengen.
Patienten haben den geringsten Einfluss auf die Nachfrage, während Ärzte, wenn sie von der
Wirksamkeit einer Therapie überzeugt sind, diese auch anwenden und die entsprechenden Pro‐
dukte und Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Die Krankenkassen, die die Beiträge der Patien‐
ten verwalten und für die Kostenerstattung zuständig sind, können durch gesonderte Absprachen
mit Unternehmen Mengenrabatte erzielen und somit den Ärzten vorschreiben, welche Produkte
sie für die von ihnen versicherten Patienten einsetzen dürfen. Die Gesellschaft spielt ebenso
durch die Nachfrage nach Therapien für schwer und nicht heilbare Krankheiten sowie durch die
Akzeptanz bestimmter Methoden eine Rolle, wie beispielsweise die Debatten über prenatale Im‐
plantationsdiagnostik oder die Einstellung gegenüber Impfungen in Deutschland zeigen. Ebenso
bei der Entscheidung, wie viel Solidarität und welche Beitragshöhen angemessen sind, um nicht
nur die eigene Versorgung sondern auch die der Mitbürger zu gewährleisten, ist die Gesellschaft
ein bedeutender Akteur.
Bei dem deutschen Gesundheitssystem handelt es sich um ein beitragsfinanziertes System, auch
als Bismarck‐Modell bezeichnet, mit Solidaritätsprinzip. Das Bismarck‐Modell umfasst ein Sozial‐
versicherungssystem, das sich durch einkommensabhängige Pflichtbeiträge von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern finanziert. Die finanziellen Risiken einer schweren Erkrankung werden durch ei‐
nen großen Versichertenpool gemeinschaftlich abgesichert. Nach dem Solidarprinzip erbringt
jeder Versicherte einen seiner individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit berücksichtigten Bei‐
trag. Ein periodengerechtes Umlageverfahren wird angewendet, d.h. laufende Ausgaben werden
aus laufenden Einnahmen bestritten. Das Solidaritätsprinzip bedeutet, dass Gesundheit als kol‐
lektives Gut angesehen wird, welches jedem Menschen in einer Gesellschaft zustehen soll. Die‐
sem Prinzip nach wird das Gesundheitssystem querfinanziert. Dabei finanzieren junge Mitbürger
die Alten, Gesunde die Kranken und Reiche die Armen (vgl. Lameire et al. 1999). In einem bei‐
tragsfinanzierten Gesundheitssystem – wie in Deutschland (vgl. Grabka 2004, S.77) – herrscht das
Problem der Verteilungsgerechtigkeit sowie der Verteilungseffizienz. Entsprechend muss fortlau‐
fend neu verhandelt werden, welche Beiträge für die Bürger tragbar und wie diese zu verteilen
sind.
In den folgenden Unterkapiteln werden die Akteure des jeweiligen Felds im Wertschöpfungssys‐
tem der PM mit deren Beziehungen und Wirkmechanismen beschrieben. Im zweiten Schritt wer‐
den für die wichtigsten Akteure auf Basis der Marktstudien und Interviews die Einflussfaktoren
mit den spezifischen Chancen und Treibern sowie den Risiken und Barrieren in Bezug auf die Um‐
setzung der PM herausgearbeitet.
23
4.2 Akteure Wissenschaft
Die Wissenschaft stellt eine wichtige Grundlage für die Entwicklung der PM dar. Auf der Basis von
Forschungsergebnissen und der Entwicklung neuer Technologien in der Wissenschaft können
Unternehmen konkrete Produkt‐ und PSS‐Innovationen entwickeln. Gleichzeitig wird ein hoher
Bedarf an neuen Produkten und Dienstleistungen seitens der Gesellschaft und des Markts, insbe‐
sondere der Ärzte und Patienten erzeugt, wenn neue Erkenntnisse bezüglich Krankheitsverläufe
und Gesundheit bekannt werden, welche die Wirksamkeit gängiger Therapien in Frage stellen.
4.2.1 Wissenschaft – Einleitung
Darstellung 7: Akteure der Wissenschaft
Quelle: Eigene Darstellung
Die wichtigsten Akteure der Wissenschaft lassen sich grob in Organisationen der Forschungsför‐
derung und Forschungsinstitute unterteilen. Zu letzteren gehören sowohl die universitären und
außeruniversitären Forschungsinstitute1, als auch Universitätskliniken, die in Deutschland für die
Gesundheitsforschung gleicher Maßen von Bedeutung sind. Ein wichtiger Bestandteil der For‐
schung ist die Infrastruktur zum Wissensaustausch. Dazu zählen Datenbanken, insbesonders Bio‐
banken, sowie Fachzeitschriften, Kongresse und Tagungen, Austauschprogramme und gemein‐
same Forschungsprojekte. Diese Infrastruktur wird teilweise selbst organisiert und teilweise von
öffentlichen Trägern aufgebaut und angeboten.
Die größten Forschungsförderer sind die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), welche auch
Grundlagenforschung fördert und das Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF), das
1 Im Folgenden sind unter dem Begriff Forschungsinstitute zur Verbesserung der Lesbarkeit universitäre und öffentlich finanzierte, außeruniversitäre Forschungsinstitute zusammen gefasst.
24
eher angewandte Forschungsprogramme finanziert. Im Gesundheitssektor wird zudem ein gerin‐
ger Teil der Forschungsprojekte vom Bundesministerium für Gesundheit (BGM) und vom Bun‐
desministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) finanziert. Die Europäische Union (EU)
fördert größere, internationale Verbundforschungsprojekte und den Auf‐ und Ausbau von Infra‐
strukturen zum Wissensaustausch. Kleinere Projekte werden zudem von den einzelnen Bundes‐
ländern ausgeschrieben. Neben den öffentlichen Trägern werden von Stiftungen, durch private
Spenden und Unternehmen einzelne Forschungsprojekte gefördert. Unternehmen fördern auf
unterschiedliche Weise. Sie vergeben direkte Auftragsforschung, beteiligen sich an Graduierten‐
kollegs, stiften Professuren und Infrastruktur, forschen gemeinsam mit Forschungsinstituten in
Verbundprojekten und engagieren sich in Public‐Private‐Partnerships (PPP). Über derartige Maß‐
nahmen können auch Unternehmen Forschungsthemen beeinflussen. Gleichzeitig fließt ihr For‐
schungsbedarf in die Gestaltung der Förderprogramme öffentlicher Träger mit ein, wenn sie sich
in Schwerpunkttechnologien positionieren, die als strategische Zukunftsfelder von der DFG oder
dem BMBF definiert wurden.
Die Programme der öffentlichen Forschungsförderungsförderer können grundsätzlich in zwei Ar‐
ten unterschieden werden: zum einen gezielte Programme für bestimmte Forschungsfelder, in
denen weiterer Forschungsbedarf festgestellt wurde, der von gesellschaftlicher Bedeutung ist,
die in der Regel über offene Ausschreibungen laufen und zum anderen strukturelle Maßnahmen
zum Ausbau von Infrastruktur und personellen Ressourcen, deren Themen von Forschern frei
gewählt werden. Im ersteren werden die Bedarfsfelder vorgegeben und Forschungsinstitute ha‐
ben einen geringeren Einfluss auf Themen und Fragestellungen. Die forschungsfördernden Orga‐
nisationen entscheiden, je nach Institution unter Einflussnahme der Politik, welche Schwerpunkt‐
programme gefördert werden und geben damit den Forschenden eine Richtungen vor. Die Zu‐
kunftsfelder werden darüber ermittelt, in welchen Bereichen Problemlösungsbedarf für die Ge‐
genwart und die Zukunft seitens der Gesellschaft und der Wirtschaft besteht, um eine stabile
Gesellschaft und ein solides Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Die Forschungsprogramme
sind jedoch nicht so fest abgesteckt, dass jegliche Freiheit eigene Ideen einzubringen, genommen
wird. Da sich bewerbende Forschungsinstitute auch ihre in vorangegangenen Forschungsprojek‐
ten erworbene Expertise nachweisen müssen, um zu zeigen, dass das Forschungsvorhaben gelin‐
gen kann, bleibt trotz der kurzfristigen Förderzeiten eine gewisse Kontinuität erhalten. Bei the‐
menoffenen Ausschreibungen zu strukturellen Stellen können auch exotischere Felder einge‐
reicht werden, die nicht in den definierten Bedarfsfeldern liegen. Hier haben die Forschungsinsti‐
tute einen größeren Einfluss auf das Forschungsthema und die –methoden. Als generelle Aus‐
wahlkriterien der Wissenschaftler und der Förderorganisationen gelten Neuartigkeit, Relevanz
und Durchführbarkeit der Forschungsvorhaben. Diese ergeben sich aus dem Reputationssystem
der Wissenschaft. Je neuer die Forschungsergebnisse, umso besser können sie in hochrangigen
Fachzeitschriften publiziert werden. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Relevanz ist eng
verbunden mit der Öffentlichkeit, die Forscher mit ihren Ergebnissen erreichen. Gesundheits‐
themen sind daher ein für Wissenschaftler interessantes Forschungsfeld, auch wenn sie nicht
direkt in den Gesundheitswissenschaften, sondern in Bereichen wie der Informatik oder Elektro‐
nik tätig sind.
25
Unter die Strukturmaßnahmen fallen auch Förderungen im Rahmen der Hightech‐Strategie der
Bundesregierung im Innovationsfeld "Gesundheitsforschung und Medizintechnik", sowie die Ex‐
zellenzinitiative für Spitzenforschung an Hochschulen. In diesen Programmen werden die leis‐
tungsfähigsten Forschungscluster mit den besten Strategien für Zukunftsmärkte ausgewählt und
besonders gefördert. Das BMBF wählt beispielsweise unter dem Motto „Deutschlands‐
Spitzencluster ‐ Mehr Innovation. Mehr Wachstum. Mehr Beschäftigung" seit 2007 in drei Wett‐
bewerbsrunden jeweils die fünf leistungsfähigsten Forschungscluster mit den besten Strategien
für Zukunftsmärkte aus. Mit den Exzellenzclustern sollen an deutschen Universitätsstandorten
international sichtbare und konkurrenzfähige Forschungs‐ und Ausbildungseinrichtungen etab‐
liert und dabei wissenschaftliche Vernetzung und Kooperation ermöglicht werden.
4.2.2 Wissenschaft ‐ Einflussfaktoren
An dieser Stelle werden die Haupteinflussfaktoren für Forschungsinstitute und die Forschungs‐
förderung ausgeführt, von denen Unternehmen profitieren bzw. die für sie Hindernisse darstellen
könnten. Die Grundlage für die Faktoren bilden sämtliche Interviews mit Befragten der Unter‐
nehmen, Verbände, Unternehmensberatungen und Forschungsinstitute aus Deutschland und den
USA, sowie die Berichte, die in den Unterkapiteln 3.1 und 3.2 aufgeführt sind.
Tabelle 3: Einflussfaktoren Wissenschaft
Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
Wissenschaft – Universitäre und außeruniversitäre Forschungsinstitute
1 Wissenschaftlicher Fort‐schritt
‐ Neues, tieferes Verständnis von Ursache‐Wirkung
‐ Erkenntnisse machen PM Produkte notwendig
‐ sehr gute Datenlage auf bestimm‐ten Gebieten
‐ Netzkarten
‐ Entwickler, Anwender und Zulas‐sung können nicht Schritt halten
‐ Validität der Forschungsergebnisse (fehlende Nomenklatur und kleine Studien)
‐ Fehlender Anreiz Hypothesen tief‐gehend zu belegen
2 Neuartigkeit des For‐schungsfelds
‐ Akquise von Forschungsförderung
‐ Reputation durch Zukunftsthema
‐ Fehlende einheitliche Sprache und Forschungsstandards
3 Technologischer Fort‐schritt
a) DNA Sequenzierung
b) Informatik
a)
‐ Günstigere, exaktere Methoden
‐ Mehr Labors für Analyse ausgestat‐tet
b)
‐ Datenaustausch und Speicherkapa‐zität
‐ Datenaufbereitungs‐ und Suchsys‐teme
a)
‐ Fehlerrate, fehlende Vergleichbar‐keit alter und neuer Daten
‐ Hohe Analysekosten
b)
‐ Informationsverarbeitungskapazität
‐ Datenkomprimierung‐ u. Übertra‐gung (Internet)
‐ Integration von Daten
26
Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
4 Wissenschaftsstandort (Ressourcen und Bil‐dungsstand)
‐ Hohes Bildungsniveau
‐ Ausstattung
‐ Forschungsprojekte
‐ Beschäftigungsverhältnis im Mit‐telbau
‐ Bedarf an interdisziplinärem Wis‐sen
5 Wissenstransfer
a) Allgemein
b) Netzwerke
c) Biobanken
a)
‐ Publikationen, Onlinezugang zu wichtigsten Fachzeitschriften
b)
‐ Wissens‐ und Forschungsnetzwerke
‐ Infrastruktur, interdisziplinäre Teams
c)
‐ Sonderprogramme
a)
‐ Fehlende Standards, Ergebnisse darzustellen, Zugang zu Ergebnissen
b)
‐ Kurzfristige Förderung von Netz‐werken
c)
‐ Integrierung der Insellösungen
6 Technologietransfer ‐ Anstieg der Kooperationen
‐ Anstieg der Patente und Transfer‐aktivitäten
‐ Fehlende Verwertbarkeit der Er‐gebnisse
‐ Unterschiedliche Wissenskulturen
Wissenschaft – Forschungsförderung
7 Förderschwerpunkte und Fördersysteme
‐ Gesundheit als Schwerpunktthema
‐ Kombination aus grundstämmiger Finanzierung und Ausschreibungen
‐ Abhängigkeit von politischer Agen‐da
‐ Einsparungen
‐ Kaum Programme zur Vernetzung über EU‐Grenzen hinaus
1. Wissenschaftlicher Fortschritt
Der wissenschaftliche Fortschritt ist einer der größten Treiber der PM. Die wissenschaftlichen
Publikationen in diesem Forschungsfeld sind in den letzten zehn Jahren deutlich angestiegen
(MU1). Besondere Fortschritte konnten auf dem Gebiet der Onkologie erzielt werden (A3). Je‐
doch gibt es in Bezug auf den wissenschaftlichen Fortschritt auch einige Risiken und Barrieren.
Als wichtige Chancen gelten das differenziertere Verständnis von Krankheitsursachen und Krank‐
heitsverläufen, welches durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse tiefgehend verändert wird
(MU1). Die einfachen Kausalbeziehungen von Ursache und Wirkung werden von komplexen, dy‐
namischen Wirksystemen abgelöst (UF1). Einige der Interviewten gehen sogar soweit zu sagen,
dass das Verständnis aufgrund der PM revolutioniert wird. Besonders im Bereich Krebs ist ein
sprachlicher Paradigmenwechsel auffallend: Die organbasierte Krankheitsbezeichnung, die den
Lokus des Krebs benennt, wird von einer Bezeichnung abgelöst, die die biologischen Mechanis‐
men spezifiziert. Beispielsweise sind von der früher einheitlich bezeichneten Krankheit Leukämie
heute 38 unterschiedliche Typen bekannt. Auch im Bereich der Biomarker unterstützt die breite
Datenlage die Entwicklung neuer Diagnostika (A3). Für Ärzte bedeutet diese Entwicklung, dass
nicht mehr eine einzelne Ursache bzw. ein Symptom bekämpft wird, bei der die Therapie am er‐
folgversprechendsten erscheint, sondern ein ganzes Netzwerk bzw. Wirksystem behandelt wird.
27
Gleichzeitig erzeugt der Fortschritt der medizinischen Forschung die Notwendigkeit, gängige The‐
rapien auf bestimmten Gebieten durch bessere zu ersetzen. Die Erkenntnis, dass gezieltere Be‐
handlungen möglich sind, schafft die Dringlichkeit auch zügig entsprechende Therapien zu entwi‐
ckeln und einzusetzen (A8). Als Chance, die Komplexität zu meistern, wurden Netzkarten ge‐
nannt, um die Wirkungssysteme zu beschreiben und zu analysieren (UF2). Denn, wie einer der
Befragten erklärte: „Man braucht ein Netzwerk, um ein Netzwerk zu stoppen“ (UF2).
Jedoch gibt es in Bezug auf den wissenschaftlichen Fortschritt auch einige Risiken und Barrieren.
Zu den Risiken des wissenschaftlichen Fortschritts gehört vor allem, dass regulatorische Behör‐
den, Entwickler von entsprechenden Therapien und Anwender bei der Implementierung nicht
Schritt halten können. Zudem besteht oft Unsicherheit bezüglich der Validität der Forschungser‐
gebnisse, aufgrund kleiner Studien und einer noch zu entwickelnden einheitlichen Nomenklatur
für neue molekularbiologischen Substanzen, Krankheitsausprägungen und Prozesse. Das Wissen‐
schaftssystem ist so ausgerichtet, dass neue Hypothesen besonders gewürdigt werden, während
die Fleißarbeit größere Studien zur Validierung von Ergebnissen durchzuführen oder gar die Er‐
gebnisse vorangegangener Studien zu prüfen, in der wissenschaftlichen Gemeinschaft wenig Be‐
achtung finden (UF2). Da große Validierungsstudien zudem kostenintensiv und langwierig sind,
konzentrieren sich Wissenschaftler lieber auf neue Themen. Somit sind Anreize gesetzt, Erkennt‐
nisse nur soweit zu belegen, dass sie publikationsfähig sind, jedoch nicht soweit zu bringen, dass
sie direkt von Unternehmen aufgegriffen werden können (UF2).
2. Neuartigkeit des Forschungsfelds
Der hohe Grad der Neuartigkeit der Forschungsfelder, die im Bereich der PM bearbeitet werden
und die Neuheit des Begriffs PM, ist in erster Linie ein Treiber, um die Forschung und damit auch
die Entwicklung und Einführung neuer Produkte in diesem Bereich zu beschleunigen. Die Chancen
und Treiber ergeben sich zum Teil aus dem vorigen Punkt, wissenschaftlicher Fortschritt. Da sich
Forscher, wie schon im Punkt 1. wissenschaftlicher Fortschritt erläutert, eher auf neue Themen
konzentrieren, um ihr Renommee zu fördern und gleichzeitig die gesellschaftliche und wirtschaft‐
liche Relevanz des Themas hoch eingestuft wird, ist PM ein interessantes Forschungsfeld. Neben
Wissenschaftlern zieht es auch Fördergelder an, da in der PM als Thema im Förderschwerpunkt
Gesundheit ein hohes Potenzial gesehen wird, die Therapien von schweren Krankheiten zu ver‐
bessern, sowie Fehltherapien zu vermeiden und damit Patienten, Ärzte und Krankenkassen zu
entlasten.
Jedoch ergeben sich durch die Neuartigkeit auch einige Schwierigkeiten. Ein Hindernis, welches
die Neuartigkeit des Forschungsfelds in sich birgt, ist die fehlende einheitliche Sprache und zu
entwickelnde Standards. Bezeichnungen sind von Forschungsinstitut zu Forschungsinstitut unter‐
schiedlich. Das Zitat von Mike Ashburner „Biologen würden eher ihre Zahnbürste teilen, als ihre
Namen für Gene“ hat zwar für Gene keine Gültigkeit mehr, jedoch für neue Prozesse und Sub‐
stanzen, insbesondere für neue Zusammenhänge bei Krankheiten (UF2). Auf die fehlenden Stan‐
dards, Versuche durchzuführen, Beweise anzuführen und Ergebnisse darzustellen wird unter
28
Punkt 5. Wissenstransfer ausführlicher eingegangen. Diese Phänome werden in der Innovations‐
forschung als temporäre betrachtet, welche für neue Forschungsgebiete bezeichnend sind (z.B.
Teece, 1986, S.287), sich jedoch im Laufe der Zeit erübrigen, wenn eine einheitliche Nomenklatur
und Standards etabliert werden.
3. Technologischer Fortschritt
Der technologische Fortschritt spielt vor allem in zwei Feldern eine große Rolle, die für die Um‐
setzung der PM relevant sind: DNA‐Sequenzierung und Informatik. Eine kostengünstigere, schnel‐
lere DNA‐Sequenzierung mit geringerer Fehlerrate gilt besonders für genbasierte Biomarker als
wichtiger Treiber. Die Informatik als eine der wichtigsten Querschnittstechnologien zur sicheren
Datenverarbeitung ist für alle Bereiche von der Arzneimittel‐ und Diagnostikentwicklung bis hin
zur Anwendung von hoher Bedeutung.
Als große Chance wird bewertet, dass die Methoden der DNA‐Sequenzierung in den letzten Jah‐
ren wesentlich genauer und günstiger geworden sind: „Die Kosten der Sequenzierung fallen
schneller als die Kosten der Rechnerleistung und die Zahl der Labors, die DNA‐Sequenzierung se‐
rienmäßig durchführen können, ist immens gestiegen“ (MU1). Als Risiko dieser günstigen Entwick‐
lung gilt noch immer die Fehlerrate der verschiedenen Sequenzierungstechnologien. Besonders
die Daten der ersten und zweiten Generation können nur bedingt verglichen werden, da sie un‐
terschiedliche Fehlerarten aufweisen (D12). Auch in der Interpretation der DNA zeigen sich deut‐
liche Fortschritte. Immer mehr Bereiche der früher als Junk‐DNA bezeichneten Sequenzen lassen
sich inzwischen als wichtige Gene mit bestimmten Funktionen identifizieren. Zudem wurde ange‐
führt, dass trotz der Kostensenkung der Sequenzierung keine bedeutenden Einsparungen zu er‐
warten sind: „Günstigere Sequenzierungsmethoden bedeuten nicht, dass die Sequenzierung insge‐
samt günstiger wird. Vor allem nicht, wenn es in Tests umgesetzt wird, werden die Gesamtkosten
für Tests dadurch nicht weniger, da die Kosten für die Analyse sehr hoch sind. Die Daten müssen
schließlich ausgewertet und interpretiert werden“ (D13). Dieses Problem verweist schon darauf,
dass ein hoher Forschungs‐ und Entwicklungsbedarf im Bereich der Analysewerkzeuge besteht,
um die Vorteile besserer Sequenzierungstechniken für den Diagnostikbereich ausschöpfen zu
können. Ebenso können fehlende Analysewerkzeuge für andere biomarkerbasierte Tests zum
Engpass werden.
Im Bereich der Informatik sind besonders die enormen Fortschritte bei Speicherkapazitäten und
Geschwindigkeiten des Datenaustauschs von Vorteil. Auch Weiterentwicklungen der Datenaufbe‐
reitungs‐ und Suchsysteme, um mit komplexeren Datensätzen zu arbeiten, sind ein wichtiger
Treiber für die PM. Trotzdem wird als Hindernis angeführt, dass besonders die Informationsve‐
rarbeitungskapazitäten noch zu begrenzt sind:
„Besonders Datenkomprimierung und Datenübertragung sind ein Problem. Je nachdem was mit
den Daten geschehen soll, sind unterschiedliche Komprimierungstechniken sinnvoll. So kommt es
jedoch zu unterschiedlichen Datensätzen die wieder nicht vergleichbar sind. Welche die besten
29
Komprimierungsmethoden für große biologische Datensätze sind, gilt es noch herauszufinden“
(UF2).
Da Standardserver noch nicht für die Übertragung großer Datenmengen ausgelegt ist, gilt es neue
Möglichkeiten der Datenübertragung zu entwickeln oder Datenkomprimierungsmethoden ent‐
sprechend zu verbessern und Kompatibilität herzustellen. Auch der Datenschutz bei der Übertra‐
gung und Speicherung von persönlichen Gesundheitsdaten wurde immer wieder als kritischer
Punkt aufgeführt, der bei der Entwicklung von entsprechenden Informationsverarbeitungssyste‐
men unbedingt mit berücksichtigt werden muss.
4. Wissenschaftsstandort
In der Wissens‐ und Technologietransferforschung wird immer wieder auf die Bedeutung der
räumlichen Nähe verwiesen. Zudem sind Universitäten und Forschungsinstitute die Ausbildungs‐
stätte für Ärzte und Unternehmensmitarbeiter der Pharma‐ und Diagnostikunternehmen sowie
der Ort neuer Start‐ups in wissensintensiven Branchen wie der Biotechnologie. Die Qualität eines
Wissenschaftsstandorts zeichnet sich besonders durch die Ressourcenausstattung und das Ni‐
veau der dort tätigen Wissenschaftler aus.
Ein Vorteil des Wissenschaftsstandorts Deutschland ist das verhältnismäßig hohe Bildungsniveau
und die gute Grundausstattung bezüglich personeller und finanzieller Ressourcen. Im Bereich der
PM gelten die USA als wichtigster Standort (Jain 2011a, 377; D2). Besonders Massachusetts mit
den Universitätsstandorten Cambridge und Boston sowie Kalifornien zeichnen sich durch wichtige
Bildungseinrichtungen, Forschungsinstitute und die Ansiedlung daraus entstandener Start‐ups
aus (A8). Deutschlands Wissenslandschaft gilt hinter den USA und UK ebenfalls als wichtige Quel‐
le neuer Erkenntnisse. Auch wenn, wie eines der befragten Diagnostikunternehmen erklärte, das
meiste Wissen aus den USA stammt: „Das Wissen, auf dessen Grundlage wir die Dinge entwi‐
ckeln, ist kein deutsches Wissen. (…) Und die Tools, die wir benutzen, es sei denn wir machen sie
selber, sind größtenteils nicht in Deutschland entstanden. Über 90 Prozent nicht.“ (D2). Dem ent‐
gegen wird angeführt, dass gerade, weil auch in Deutschland viele Unternehmen ein hohes Inte‐
resse an der Thematik haben, Deutschland in den Forschungsfeldern der PM im Verhältnis zu
anderen sehr fortgeschritten ist (Jain 2011a, 377). Viele Forschungsprojekte werden von den ver‐
schiedenen Förderinstitutionen gefördert, da Gesundheitswissenschaften ein zentrales Förder‐
feld der deutschen Forschungspolitik darstellen (vgl. BMBF 2010).
Als problematisch wird in Deutschland die Beschäftigungsstruktur im wissenschaftlichen Mittel‐
bau der Universitäten betrachtet. Im akademischen Mittelbau sind inzwischen 75 % der Stellen
befristete Beschäftigungsverhältnisse mit geringer Planbarkeit der Karriereentwicklung. Auch
bestehen zwischen der Position des wissenschaftlichen Mitarbeiters und der Professur kaum
noch Stellen im akademischen Oberbau wie beispielsweise die der akademischen Räte, die in
anderen europäischen Ländern bzw. Nordamerika in Form von Assistenzprofessuren, Forschern
und Lehrenden vorhanden sind. Demzufolge wandern viele ausgezeichnete Forscher ins Ausland
oder in die Industrie ab und gehen der Wissenschaft verloren.
30
Weiterhin stellt der Bedarf an einer neuen Form von interdisziplinären Wissen eine große Heraus‐
forderung für die PM dar (Jain 2011a, 367). Besonders Informatiker und Biotechnologen mit hu‐
manmedizinischen Kenntnissen sind immer gefragter.
5. Wissenstransfer
Wissenstransfer zwischen Forschungsinstituten sowie zwischen Forschungsinstituten, Unterneh‐
men und Ärzten ist nicht nur wichtig, um Forschungsergebnisse zu verbreiten und in die Praxis
umzusetzen, sondern auch um Erkenntnisse über die Anwendbarkeit und weiteren Forschungs‐
bedarf in die Forschungsinstitute zu vermitteln. Der Wissenstransfer läuft derzeit überwiegend
über Publikationen, formale und informelle Netzwerke sowie über Datenbanken, wobei in der
PM die Biodatenbanken einen besonderen Stellenwert haben.
Als Chancen und Treiber im Bereich Publikationen sind vor allem die inzwischen weit verbreiteten
Onlinepublikationen und die umfassenden Literaturdatenbanken zu nennen. Artikel aus allen
wichtigen Fachzeitschriften sind auch online erhältlich und dadurch leichter zugänglich. Zudem
gibt es Datenbanken, in denen auch Studienergebnisse medizinischer Forschung zur Verfügung
gestellt werden. Besonders in den USA wurde von den Befragten im Bereich Pharmakogenetik die
öffentlich getragene Infrastruktur gelobt, die Informationen zu bestimmten Wirksubstanzen und
biologischen Mechanismen bereit stellt (D2). Als Risiko wurde auch hier die fehlenden Standards,
uneinheitliche Bezeichnungen und fehlende einheitliche Form der Ergebnispräsentation genannt
(MU1, D12). Außerdem seien nicht alle Wissenschaftler bereit, ihre Rohdaten anderen zur Verfü‐
gung zu stellen, obwohl von vielen hochrangigen Fachzeitschriften verlangt wird, dieses auf An‐
frage zu tun (UF2).
Als Treiber der PM gilt weiterhin, dass Wissens‐, Forschungs‐ und Innovationsnetzwerke, die oft
auch international und fachübergreifend aufgebaut werden, von Forschungsförderern explizit
unterstützt werden. Beispiele sind das Nationale Genomforschungsnetzwerk, die Exzellenzcluster
Entzündungsforschung, NeuroCure, Center for Integrated Protein Science München, die For‐
schungscluster GANI_MED in Greifswald, m4 Münchener Biotech Cluster, Medical Valley – Euro‐
päische Metropolregion Nürnberg und der Biotech‐Cluster Rhein‐Neckar, um nur einige der aktu‐
ell wichtigsten Initiativen in Deutschland zu nennen. Auch europaweit werden größere For‐
schungsnetzwerke gefördert wie beispielsweise die Innovative Medicine Initiative. Als schwierig
wird von den Interviewten das Phänomen eingestuft, dass Schnittstellen und Netzwerke oft un‐
genutzt bleiben, insbesondere wenn die Finanzierung der Projekte ausläuft. Da ein hoher Fokus
auf kurzfristiger Projektarbeit liegt, gibt es große Hürden für langfristige Kooperationen.
Biobanken sind in erster Linie Dienstleister für Wissenschaftler und Kliniken, die auf den effekti‐
ven Nutzen von Biomaterialproben abzielen. Als Chance für die PM wird die Förderung des Auf‐
baus von großen, integrierten Biobanken gesehen, die in einigen Länder wie Deutschland, Kanada
und England gefördert werden (Jain 2011a, 368 f.). In Deutschland werden in der BMBF‐
geförderten Nationalen Biobanken Initiative die bestehenden Biomaterialbanken zu fünf zentra‐
len Banken gebündelt. In diesem Zusammenhang werden auch die notwendigen Schritte eingelei‐
31
tet, die fehlenden Standards und damit die Probleme der Integrier‐ und Vergleichbarkeit auszu‐
räumen, die immer wieder als Problem thematisiert wurden.
6. Technologietransfer
Neben dem Wissenstransfer gilt der Technologietransfer als bedeutende Maßnahme, um Fort‐
schritte in der Wissenschaft auch Anwendern in der Praxis verfügbar zu machen. Besonders PPPs
gelten als effektiver Weg, da ein direktes Interesse an Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten
bei den privaten Unternehmen besteht, wenn sie die Forschungsfragen und den Verlauf aktiv
mitgestalten können.
Im Wissens‐ und Technologietransfer ist als Treiber besonders der Anstieg der Zusammenarbeit
zwischen Wissenschaft und Wirtschaft von Bedeutung: „Besonders im vorwettbewerblichen Be‐
reich, in der explorativen Forschung sind die Kooperationen von Unternehmen und Universitäten
enorm gestiegen“ (D5). Auch der generelle Anstieg der Patente von Hochschulen und Forschungs‐
instituten sowie die vermehrten Transferaktivitäten der Technologietransferstellen sind positiv zu
bewerten. Als schwierig ist auch hier die oft fehlende direkte Verwertbarkeit der Ergebnisse zu
nennen, auf die schon unter dem Punkt wissenschaftlicher Fortschritt eingegangen wurde. Eben‐
so stellen die Unterschiede in den Wissenskulturen von Forschungsinstituten und Unternehmen
eine Barriere dar, die jedoch nicht als unüberwindbar gelten.
7. Förderschwerpunkte und Fördersysteme
Das Thema Gesundheit ist aufgrund des demographischen Wandels und der steigenden Ausga‐
ben im Gesundheitssektor ein wichtiges Zukunftsfeld, welches durch viele Forschungsprogramme
gestützt wird. Da das Thema aufgrund des hohen Nutzenpotenzials auch für viele Wissenschaftler
interessant ist, die nicht direkt in der Medizin und Pharmakologie, sondern in anderen naturwis‐
senschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Fächern wie Mathematik, Informatik, Betriebswirt‐
schaft, Rechtswissenschaften und Politik forschen, können zur Zeit viele interdisziplinäre Projekte
erarbeitet werden, die eine breite Einführung der PM begünstigen können. Als Chance für die PM
gilt auch die Kombination aus grundstämmiger Finanzierung und Ausschreibungen. Dadurch wird
die Infrastruktur gestärkt und gleichzeitig ein Wettbewerb zwischen Forscherteams erzeugt. Zu‐
dem könnte die Forschungsförderung genau dort ansetzen, wo Unternehmen kein FuE betreiben
wie es zum Beispiel bei seltenen Tumoren der Fall ist:
„(…) wenn zahlenmäßig so wenige Tumoren sind, dass sich keiner dafür interessiert, das wissen‐
schaftlich zu bearbeiten, das wäre dann Pech. Aber das gilt nicht nur für Tumore, das gilt auch für
schwere Krankheiten. Wenn die relativ selten sind, dann wird sich kaum ein Unternehmen finden,
da lange Forschung zu betreiben, weil das einfach ökonomisch nicht sinnvoll ist.“ (V6).
Die öffentlich finanzierte Forschung und PPPs könnten hier nach den Vorbildern im Bereich der
vernachlässigten Krankheiten einspringen.
32
Als mögliches Risiko ist hier lediglich die Finanzkrise anzuführen, welche auch Deutschland zum
Sparen zwingt und somit Budgetkürzungen bei Forschungsgeldern und dem Ausbau der wissen‐
schaftlichen Infrastruktur zur Folge haben könnte. Zudem fördern nur wenige Programme gezielt
eine Vernetzung mit Instituten über Europa hinaus. Besonders die USA und Japan sind in dem
Feld interessante Forschungspartner, für die noch gezielt Programme aufgesetzt werden könn‐
ten.
33
4.3 Akteure Wirtschaft – Unternehmen
Die wirtschaftlichen Akteure – allen voran die Pharma‐ und Diagnostikunternehmen – spielen die
Schlüsselrolle in der Umsetzung der PM im Sinne von Companion Diagnostics und stehen deshalb
im Zentrum des Innovationssystems PM. Aufgrund ihrer exponierten Position bestehen vielfältige
Anknüpfungspunkte zu den anderen Akteuren. Die horizontale Verknüpfung Wissenschaft – Wirt‐
schaft – Markt entspricht dabei einem Innovationsprozess: Die Sphäre der Wissenschaft liefert –
oftmals in enger Zusammenarbeit und durch finanzielle Unterstützung von Unternehmen – die
wissenschaftlichen und technologischen Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Therapiemodel‐
le, die in der Sphäre Markt – aufgrund des notwendigen medizinischen Bedarfs und der tatsächli‐
chen Erstattungspraxis – als Produkt‐ oder Produkt‐Service‐System‐Innovationen angeboten wer‐
den. Eine Rahmen setzende Funktion übernehmen einerseits die Gesellschaft, indem sie die Un‐
ternehmen in ein Werte‐ und Normensystem einbetten, andererseits Politik und Regulierungsbe‐
hörden durch gesetzliche und regulatorische Vorgaben.
4.3.1 Wirtschaft ‐ Einleitung
Darstellung 8: Akteure der Wirtschaft
Quelle: Eigene Darstellung
Die Entwicklung und Vermarktung von Arzneimitteln, die der PM gerechnet werden, erfordert
eine stärker verzahnte Zusammenarbeit verschiedener (Unternehmens‐)Akteure. Das Subsystem
Wirtschaft setzt sich aus den drei Akteursclustern forschende Unternehmen, Unternehmen mit
unterstützender Funktion und Unternehmensverbänden zusammen (siehe Darstellung 8). Die in
34
der PM‐forschenden Unternehmen werden dabei von Unternehmen unterstützt, die diese mit
technischem Equipment und dafür notwendigem Know‐how ausstatten. Dies sind beispielsweise
verschiedene Dienstleistungsunternehmen, die sich auf Tätigkeit bei der Zulassung von Arznei‐
mitteln spezialisieren, Unternehmen, die Geräte, Maschinen oder Software vertreiben, um z.B.
das Funktionieren von Laboren und der nötigen Forschungsinfrastruktur zu gewährleisten. Eine
weitere Rolle spielen die Unternehmensverbände, die als Sprechorgan und Kondensationspunkt
gebündelter Interessen der Unternehmen gelten. Sie setzen durch ihre Koordinationsfunktion in
verschiedenen Gremien Themen‐ und Arbeitsschwerpunkte und sind Ansprechpartner für den
allgemeinen Informationsbedarf von außen.
Im Folgenden soll insbesondere auf die forschenden Unternehmen eingegangen werden. Diese
Gruppe setzt sich aus den Subkategorien Pharma‐ bzw. Diagnostikunternehmen zusammen.
Pharmaunternehmen erforschen, entwickeln, produzieren und verkaufen biotechnologi‐
sche oder pharmazeutische Arzneien, um Krankheiten oder Krankheitssymptome vorzu‐
beugen oder zu bekämpfen.
Diagnostikunternehmen sind Unternehmen, die Diagnostiktests entwickeln, herstellen,
distribuieren und verkaufen. Diese Tests werden genutzt, um frühzeitig Krankheitser‐
scheinungen, Diagnosen oder das Ansprechen auf Behandlungen zu erkennen.
Die meisten der bisherigen Studien zur PM nehmen überwiegend auf die wissenschaftlichen Er‐
kenntnisse und deren sozio‐politischen Einfluss auf das Gesundheitssystem Bezug. Dieser Ab‐
schnitt der Studie befasst sich mit den Einflussfaktoren der PM aus Sicht der Pharmaunterneh‐
men und der Diagnostikunternehmen in Deutschland. Auf Basis von neun Interviews mit Vertre‐
tern von Pharmaunternehmen und der neun Interviews mit Vertretern von Diagnostikunterneh‐
men in Deutschland werden Einflussfaktoren sowie deren Chancen und Risiken zur Verbreitung
der PM jeweils für Pharmaunternehmen und Diagnostikunternehmen detailliert dargestellt. Die
in Kapitel 3.1, Tabelle 2 aufgelisteten Marktstudien zum Thema PM wurden hinzugezogen, um
Aussagen der Interviewten zu reflektieren und gegenüberzustellen.
4.3.2 Wirtschaft – Einflussfaktoren Pharmaunternehmen
Grundlegende Einigkeit herrscht sowohl bei den Interviewpartnern als auch in den bisherigen
Marktanalysen, dass die PM sowohl für die Unternehmen als auch die Branche insgesamt an Be‐
deutung gewinnen wird. PM wird dabei aber nicht als Alternative, sondern als komplementär zu
den Blockbuster‐Modellen gesehen, welches hilft die bisherigen Therapieformen zu erweitern
bzw. zu ergänzen. Diese Entwicklung wird damit erklärt, dass PM in manchen Therapiegebieten
relevanter ist als in anderen. Insbesondere in der Onkologie ist der Stellenwert der PM sehr hoch:
„Wir würden uns nicht als Unternehmen nur darauf fokussieren. Auch, weil wir so viele Therapie‐
gebiete haben. PM ist in einigen Therapiegebieten relevanter als in anderen. Für uns wird die Be‐
deutung in den nächsten Jahren zunehmen und wir wollen auch einen Schwerpunkt setzen. (…)
35
Aber wenn Sie jetzt fragen würden, verlässt sich A5 perspektivisch komplett auf die personalisierte
Therapie als Geschäftsmodell, dann ist die Antwort nein.“ (A5)
Teilweise werden auch quantitative Einschätzungen über den Bedeutungszuwachs getroffen: „In
zehn Jahren – zehn Jahre ist ja eine relativ kurze Zeit für die Entwicklung – da werden wir vielleicht
50 Prozent unserer Arzneimittel als personalisierte entwickeln und wir werden am Markt vielleicht
20 Prozent unserer Produkte als personalisierte anbieten.“ (A4). Ebenso wird von einem anderen
bestätigt: „Der Anteil wird deutlich über 50 Prozent sein. In zehn Jahren wird auf jeden Fall über
die Hälfte PM sein. (A6)
Wie tiefgreifend PM in den Unternehmen verankert ist, kann anhand ihrer Einordung als prozes‐
sualer bzw. strategischer Erfolgsfaktor erklärt werden. In der prozessualen Sichtweise wird PM als
Teilprozess der Produktentwicklung aufgefasst und in der strategischen Sichtweise als generelle
Ausrichtung des Unternehmens und seiner Organisation verstanden.
Es überwiegt die prozessuale Perspektive:
„Für uns ist PM (…) letztendlich ein Mittel zum Zweck. In jedem Projekt, was wir heute in der Ent‐
wicklung haben, wird ein pharmakogenetischer Ansatz verfolgt. Wir prüfen, sind die Patienten, die
wir in klinischen Studien untersuchen wollen, geeignet für die Medikation. Das heißt, letztendlich
ist das, was wir unter PM verstehen, ein Mittel zum Zweck. Nämlich diese Studien effizienter
durchzuführen und auch Zulassung und Kostenerstattung für die Medikamente wahrscheinlicher
werden zu lassen.“ (A8)
„Im Rahmen der Erforschung neuer Medikamente insbesondere in Richtung Zulassung versuchen
wir natürlich Faktoren zu identifizieren, die vorhersagbar machen, welches Medikament wirkt
oder welche Patientengruppe Nebenwirkungen hat, was dann zukünftig in eine PM führen kann
oder wird.“ (A9)
„[A5] ist zwar nicht das Erste, aber eins der wenigen Unternehmen, was sich klar positioniert hat,
dass PM für uns ein Forschungsschwerpunkt ist. Das heißt, wir prüfen, auch schon während der
Entwicklung, (…) ob der Ansatz der PM möglich ist. Häufig fällt das auch im Nachhinein erst auf,
dass man das personalisieren kann.“ (A5)
Eines der interviewten Unternehmen hat seine Strategie explizit auf PM ausgerichtet, was sich
nicht nur in der prozessualen, sondern auch der strategischen und organisationalen Perspektive
zeigt:
„Die PM ist die Zukunft der zukünftigen Pharmaproduktentwicklung. Ohne PM wird es nicht mehr
Medikamente geben, die tatsächlich mit entsprechenden Wirksamkeiten und Sicherheitsprofilen
ausgestattet sind. Es wird keinen Weg drum herum geben (…) „In der Produktentwicklung spielt
PM bei 100 Prozent unserer Projekte eine Rolle. (…) Das ist der Grund, warum wir letztendlich
noch aus zwei Divisionen bestehen, aus Diagnostik und aus Pharma (…) diese enge Nachbarschaft
(…) ermöglicht natürlich auch eine ganz andere Zusammenarbeit in der frühen Phase von Projek‐
ten. Was mit einer externen Firma deutlich schwieriger wäre. (…) man verspricht sich aus der Zu‐
sammenarbeit zwischen Diagnostik und Pharma eben durchaus die Entwicklung neuer Produkte,
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die uns langfristig den Erfolg sichern werden. Aber das ist die große Herausforderung und die Zu‐
kunft wird es zeigen, welche Strategie jeweils die geeignete ist.“ (A3)
Im Folgenden werden zunächst die externen, anschließend die internen Einflussfaktoren aus Sicht der Pharmaunternehmen dargestellt: Tabelle 4: Einflussfaktoren Wirtschaft ‐ Pharmaunternehmen
Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
Externe Einflussfaktoren
1 Wissenschaftlicher/ technologischer Fort‐schritt
‐ Besseres Verständnis der Ursache‐Wirkmechanismen
‐ PM auch in anderen Indikationen
‐ Antizipation wissenschaftlicher/technologischer Entwicklung
‐ Trägheit der regulatorischen Rahmenbedingungen
‐ Integration neuer Metho‐den/Verfahren in klinische Ent‐wicklung
2 Entwicklung des Gesundheitssystems
‐ Deckung des medizinischen Bedarfs
‐ Gezieltere, passgenauere Therapien werden möglich
‐ Kosten‐Nutzen‐Diskussion
‐ Gesellschaftliche Wahrnehmung der Unternehmen
3 Wissens‐/Technologietransfer
‐ Zusammenarbeit mit Forschungsein‐richtungen/Universitäten
‐ Zusammenarbeit mit Diagnostikun‐ternehmen
‐ Unterschiedliche Anreize bei Wissenschaft und Wirtschaft
‐ Wissenstand der Pathologen
4 Kostenerstattung ‐ Höherer Nutzen rechtfertigt höheren Preis
‐ Passivität der Kostenerstatter
‐ Ungeklärte Kostenerstattung als Innovationshemmnis für Diagnos‐tikunternehmen
5 Regulatorische Rahmen‐bedingungen
‐ Beschleunigte Zulassungen ‐ Uneinheitlichkeit der Zulassungs‐verfahren
6 Gesellschaftliche Akzep‐tanz
‐ PM als Hype‐Thema ‐Mediales Echo zur PM
7 Förderpolitik ‐ Unterfinanzierung der For‐schungsinstitute und Universitäten
Interne Einflussaktoren
8 Festlegung auf PM ‐ Generierung eines patentrechtlich schützenswerten Nutzens
‐ Fehlen einer geeigneten Versor‐gungsinfrastruktur
‐ zwiespältiges Verhältnis zu PM
9 Grenzen der Stratifizie‐rung
‐ Gezieltere, passgenauere Therapien werden möglich
‐ Entwicklungs‐/Produktionskosten ‐ Fragmentierung der Produktpa‐lette
10 Inter‐organisationale Zusammenarbeit
‐ Frühzeitige Integration/Kooperation mit Diagnostikunternehmen
‐ Ungewollter Wissensabfluss
‐ Ungewissheit über Lebensdauer eines Diagnostikunternehmens
‐ Entstehung von Abhängigkeiten
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1. Wissenschaftlicher/technologischer Fortschritt
Einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die Umsetzung der PM ist der insbesondere durch Uni‐
versitäten und Forschungseinrichtungen vorangetriebene wissenschaftliche und – der daraus
resultierende – technologische Fortschritt. Dazu zählen die Entschlüsselung des Genoms ebenso
dazu wie neue Technologien zur Informationsverarbeitung und ‐auswertung (Ernst & Young,
2009, S. 5; GBI Research, 2010, S. 10).
„Die Grenze der personalisierten Therapie ist genau wie die Grenze des Wissens um die Erkran‐
kung (…). Bei einigen Sachen ist es ganz klar und manchmal ist nicht klar, wie das genau wirkt.“
(A5)
„Die Erkenntnisse über die Molekularbiologie von Erkrankungen. Je mehr dort bekannt ist, desto
eher besteht eine Chance, PM zu machen.“ (A4)
Die Interviewpartner bewerten es als Aufgabe der Pharmaunternehmen, diese neuen For‐
schungsergebnisse aufzunehmen und in ihrer internen Forschung und Entwicklung zu berücksich‐
tigen.
„Ein Treiber ist der Stand der medizinischen Forschung, der es einfach notwendig macht, sich da
zu engagieren.“ (A8)
„Der Treiber ist der weitere Fortschritt, die Erkenntnis, dass es da Unterschiede gibt, und dann
gezielt da drauf zu gehen. Wenn sie das nicht aufnehmen würden als pharmazeutische Industrie,
hätten sie einen Fehler gemacht, weil das alte Geschäftsmodell sich dann wahrscheinlich nicht
mehr trägt. (A5)
Die Chancen, die sich aus den neuen wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten ergeben,
sind insbesondere ein besseres Verständnis von Ursache‐Wirkmechanismen auf biomolekularer
Ebene, die die Zielgenauigkeit bei der Suche nach neuen Therapieformen erhöht.
„Wenn Sie die Entwicklung in der Onkologie sehen, dann hat man früher eher unspezifisch behan‐
delt mit Chemotherapie und Strahlenbehandlung. Man hat dann bestimmte Oberflächen antigen
identifiziert bei bestimmten Krebszellen. Man hat biotechnologisch auch einen Wirkstoff entwi‐
ckeln können, die spezifisch an diese Oberfläche Antigene binden können, die Antikörper. Das war
quasi eine ganze Generation von neuen Produkten. (…) und heute weiß man eben noch mehr,
auch über die intrazellulären Zusammenhänge. Also das eine war über die Zelloberfläche und die
Antikörper und jetzt ist man weiter und versteht auch einiges über die intrazellulären (…). Es ist
quasi so diese Entwicklung in der Onkologie aus dem Verständnis der molekularen Vorgänge. Der
nächste Schritt in der Onkologie wird wohl sein, dann verschiedene Wirkstoffe auch miteinander
zu kombinieren oder eben durch die PM noch mehr Strata zu bilden, um dann die geeignete Kom‐
bination zu identifizieren.“ (A2)
Derzeit beschränkt sich die PM überwiegend auf das Indikationsgebiet Onkologie. Dies wird da‐
rauf zurück geführt, dass in der Krebsforschung die wissenschaftlichen Zusammenhänge auf einer
molekularen Ebene besser verstanden werden als in anderen Bereichen. Gleichzeitig sind Krebs‐
therapien sehr kostenintensiv und für neue Arzneimittel können höhere Preise erzielt werden als
38
für die zur Behandlung anderer Volkskrankheiten wie beispielsweise Diabetes, für die schon län‐
ger wirksame Mittel auf dem Markt sind. Letztlich werden weitere Erkenntnisse aus der Grundla‐
genforschung aber zu einem Aufholprozess bei neurologischen, metabolischen und virologischen
Erkrankungen führen:
„Wir sind heute in der Lage durchaus schon den Alzheimer‐Patienten zu charakterisieren. Wir
können auch schon eine gewisse Vorhersagbarkeit entwickeln, aber wir haben noch keine thera‐
peutische Option. Das ist dann eben das, wo wir daran arbeiten. Wie können wir das Verständnis
der molekularen Prozesse zur Krankheitsentwicklung nutzen, um dann eben auch an bestimmter
Stelle zu intervenieren. Und da ist man eben in der Neurologie bei Weitem noch nicht da, wo man
sein möchte.“ (A2)
Eine Schwierigkeit stellt im Zusammenhang mit dem technologischen und wissenschaftlichen
Fortschritt die frühzeitige Antizipation deren Relevanz dar.
„Der wissenschaftliche Fortschritt kommt in der Regel aus der Akademie. Irgendein Grundlagen‐
forscher aus irgendeinem Labor an irgendeiner Universität dieser Welt entdeckt einen neuen Me‐
chanismus (…) für das Entstehen einer Erkrankung. Sobald das entdeckt ist, kann man sich natür‐
lich dann als Pharmaindustrie überlegen, ob das schon so gut gesichert, sprich bewiesen, ist.“ (A9)
„Man braucht so etwas Ähnliches wie Trend scouting. Wir müssen wissen, was zum Beispiel an
Biomarkern und an biologischer Forschung zu dieser Erkrankung draußen unterwegs ist. Ob es da
neue Erkenntnisse gibt, zu Biomarkern, die dann der Anstoß für ein neues Medikament werden
könnten. Das sind diese Untersuchungen, die zum Teil bei kleinen Biotech‐Unternehmen, zum Teil
in der akademischen Forschung laufen, die auch publiziert werden. Da muss man sehr früh dabei
sein und den richtigen Trend letztendlich riechen.“ (A4)
Zudem wird als Risiko die Trägheit der regulatorischen Rahmenbedingungen beschrieben, die sich
darin zeigt, dass die Regulierungsbehörden mit dem wissenschaftlichen und technologischen
Fortschritt nicht Schritt halten können: „Hemmnisse sind regulatorisch. Man wird neue Methoden
der klinischen Studien mit den Zulassungsbehörden diskutieren müssen.“ (A9)
Hinzu kommt, dass als Resultat des wissenschaftlichen und vor allem technologischen Fortschritts
neue Methoden und Verfahren in der klinischen Forschung (etwa die Simulation von Szenarien
durch Computermodelle) in den unternehmensinternen Innovationsprozess integriert werden
müssen (A5).
2. Entwicklung des Gesundheitssystems
Ein weiterer Einflussfaktor ist die allgemeine Entwicklung des Gesundheitssystems. Das Thema
Gesundheit wird als zunehmend wichtiges Gut verstanden.
Die PM führt dazu, den medizinischen Bedarf besser decken zu können. Der Anspruch der Unter‐
nehmen ist, immer bessere Produkte mit höherer Wirkung bzw. geringeren Nebenwirkungen zu
entwickeln, auch wenn das eine Verkleinerung der Patientenpopulation bedeutet: „Der Medical
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Need, das ist das Einzige, was für die Produktentwicklung entscheidend sein kann. Entweder wir
haben etwas, was den Medical Need adressiert oder wir haben nichts. Wenn es den Medical Need
adressiert und wir wirklich etwas haben für die Behandlung vieler Patienten, dann haben wir ein
Produkt.“ (A3)
PM ermöglicht dabei die Entwicklung gezielterer, passgenauerer Therapien. Insbesondere die
Entdeckung neuer Biomarker ermöglicht Pharmaunternehmen eine stärkere Zielorientierung und
höhere Erfolgschancen in der Entwicklung und Zulassung der Medikamente (von Holleben et al.
2011, 5): „Wir brauchen die PM, um diese hohen Anforderungen an Sicherheit und Wirksamkeit
erfüllen zu können, weil einfach die Physiologie der Erkrankung so heterogen ist und letztendlich
ein Wirkstoff in den seltensten Fällen alle diese Unterschiede ausreichend in der Wirksamkeit und
in der Sicherheit berücksichtigen kann.“ (A3)
Als Barriere für die PM kann sich aber eine mögliche Debatte über die Kosten‐Nutzen‐Relation
der PM entwickeln, wenn z.B. die geplante Therapie keine heilende, sondern allenfalls eine le‐
bensverlängernde Wirkung hat: „Das ist dann auch (…) eine ethische Diskussion. Also wenn sie
sagen, dass ein Patient mit der personalisierten Therapie drei, sechs oder zwölf Monate länger
lebt, stellt sich natürlich die Frage, was bedeutet das. Für den Patienten ist es von hoher Bedeu‐
tung, aber wird das von der Gesellschaft akzeptiert?“ (A5)
In diesem Kontext wird auch die gesellschaftliche Wahrnehmung der Pharmaunternehmen im
Gesundheitssystem diskutiert:
„Das ist die Frage, die Diskussion dazu in der Gesellschaft, was sind wir bereit, für eine bessere
Therapie von Erkrankungen auszugeben. Und unter welchen Voraussetzungen macht es auch wei‐
terhin noch Sinn, neue Wirkstoffe zu entwickeln. Wenn das gut funktioniert, ist das super, aber
damit hat man in der Pharmaindustrie eine unglaubliche Volatilität. Es ist keine Stabilität, da wird
fusioniert, verändert und umgewälzt und was müssen wir gesellschaftspolitisch für einen Konsens
erreichen, damit da wieder eine gewisse Verlässlichkeit entsteht, um an den großen Fragen der
Gesundheitsversorgung zu arbeiten. Welche Firma ist denn noch bereit, dieses hohe Risiko einzu‐
gehen. Das ist sehr spannend die Diskussion nimmt im Augenblick sehr deutlich zu, weil überall die
Hürden höher werden. Darum haben wir im Pharmabereich in meinen Augen im Augenblick auch
wirklich eine Krise.“ (A3)
3. Wissens‐ und Technologietransfer
Der Wissens‐ und Technologietransfer zwischen verschiedenen Akteuren des Innovationssystems
– insbesondere aber auf der Achse Wissenschaft – Wirtschaft – Markt – wird ebenfalls als zentra‐
ler Einflussfaktor bewertet. Als Treiber wird dabei insbesondere die Zusammenarbeit mit For‐
schungseinrichtungen und Universitäten betrachtet, die als Treiber des wissenschaftlichen Fort‐
schritts gelten.
„Der wissenschaftliche Fortschritt kommt in der Regel aus der Akademie. Irgendein Grundlagen‐
forscher aus irgendeinem Labor an irgendeiner Universität dieser Welt entdeckt einen neuen Me‐
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chanismus (…) für das Entstehen einer Erkrankung. Sobald das entdeckt ist, kann man sich natür‐
lich dann als Pharmaindustrie überlegen, ob das schon so gut gesichert ist, sprich bewiesen, und
ob man dann in der Lage ist, dafür ein Target zu entwickeln. Wenn sie wissen, was sie angreifen
können, kann ich dann dafür eine Substanz entwickeln, die einen entscheidenden Eingriff macht
und diesen Mechanismus blockiert oder eben anderweitig etwas zu machen. Dann können sie ge‐
zielt entwickeln.“ (A9)
Kooperationen mit Forschungseinrichtungen werden aber nicht uneingeschränkt als Vorteil be‐
trachtet, da die Anreize wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Akteure sehr unterschiedlich sein
können:
„Da gibt es häufig auch genügend Kritik dafür, dass man das überhaupt macht, weil es unheimlich
oft der Fall ist, dass da zwar wissenschaftliche Erkenntnisse bei rauskommen, aber relativ wenig,
was dann auch für unsere Firma auch verwertbar ist. Aber wir sind trotzdem daran interessiert,
auch an dem wissenschaftlichen Fortschritt zu arbeiten. Von daher engagiert sich unsere Firma da
auch.“ (A8)
„Wir sind leider keine akademische Forschung. Wir machen zwar Forschung, um dem Patienten
einen Nutzen zu bringen, aber wir sind am Schluss des Tages auch börsennotierte Unternehmen.
Unsere Besitzer, sprich die Aktionäre, erwarten von uns auch eine profitable Operation.“ (A9)
Als Herausforderung wird die zielgruppenspezifische Information von Pathologen und behan‐
delnden Ärzten empfunden. Insbesondere müssen Pathologen und behandelnde Ärzte die mole‐
kularen Kenntnisse besitzen, um die Befunde richtig stellen und interpretieren zu können.
„(…) das kann nicht jeder Feld‐, Wald‐ und Wiesenpathologe so durchführen. Angenommen, er
macht es und er kommt zu einem falsch‐positiven Ergebnis, der Patient würde XY bekommen und
hätte keinen Erfolg damit, das wäre schlecht für uns, weil wir wollen natürlich, dass die Daten, die
sich in den Studien jetzt zeigen, sich auch später bei den alltäglichen Patienten wiederfinden.“
(A2)
Einer der Interviewpartner beschreibt in diesem Zusammenhang die Schwierigkeit bei der Einfüh‐
rung eines neuen Produkts der PM: „Zum Teil waren in den Anfängen 30 Prozent der Patienten
falsch diagnostiziert. Wie bringt man denen bei, das richtig zu diagnostizieren. Das heißt, wir
mussten die Pathologen an die Hand nehmen, (…) wie kriegt man hier einen Qualitätsstandard
etabliert?“ (A3)
4. Kostenerstattung
Die Kostenerstattung wird als zentraler Einflussfaktor für die Umsetzung der PM angesehen.
Schon heute sind die Therapiekosten in manchen Indikationsgebieten wie zum Beispiel der Onko‐
logie, sehr hoch. Mit der PM können Pharmaunternehmen eine Art Wirksamkeitsgarantie geben.
Die Sichtweise der Interviewpartner kann dabei auf die Formel gebracht werden: Höherer Nutzen
rechtfertigt höhere Preise.
41
„Ich finde es schwer vorstellbar, dass die Pharmaindustrie in der Zukunft bei einem zusätzlichen
Kostendruck, den alle entwickelten Gesundheitssysteme haben werden, drum herumkommen
wird, sehr spezifische Therapeutika anzubieten und eigentlich auch Garantien für die Krankenkas‐
sen abzugeben, dass die eingesetzten Therapeutika ihre Wirkung zeigen.“ (A6)
„Woran bemisst sich der Preis eines Arzneimittels? Er bemisst sich nicht danach, was er in der Her‐
stellung kostet. Er bemisst sich auch nicht danach, was er in der Entwicklung gekostet hat. Er wird
letztendlich daran bemessen, was für einen Benefit bringt für den Patienten. Und wenn ich es di‐
rekt zuschneiden kann, personalisieren kann die Behandlung, dann ist der Nutzen für den einzel‐
nen Patienten ein höherer und nicht das Risiko, das er irgendeine Nebenwirkung hat. Das heißt,
aus dieser Perspektive wäre der Nutzen ein höherer und würde dann auch einen höheren Preis
rechtfertigen.“ (A8)
„Viele meinen, personalisierte Therapie wird noch teurer. Man muss erst den Patienten identifizie‐
ren, die Patienten leben dann möglicherweise länger das macht alles noch komplizierter und noch
teurer. Das sind häufig die Argumente von Krankenkassen. In der Onkologie greift das Argument
nicht, denn dort werden die Therapien von den Patienten benötigt. Wenn sie die nicht genau iden‐
tifizieren, dann wird das Geld letztendlich verschwendet, weil die Therapie wirkungslos ist.“ (A5)
Die Kostenträger werden von den Pharmaunternehmen vorwiegend als Barriere gesehen, da sie –
ähnlich wie die regulatorischen Instanzen – zu zögerlich auf neue Entwicklungen reagieren. Be‐
klagt wird, dass das langfristige Einsparungspotenzial durch gezielte Therapien nicht erkannt
wird:
„Man hat zusätzlich zum Krankheitsbild und zum eigentlichen Medikament noch Wissen sich auf‐
zubauen, erstmal, wie tickt dieses System und wie kann ich irgendwie durch mein Zutun erreichen,
dass die Kassen irgendwann einmal sagen, stimmt, wir hängen in der Entwicklung ein bisschen
hinterher, und dass es verstanden wird, dass das auch Kosten einsparen, kann.“ (A2)
„Ganz klar aufseiten der Kostenträger, die sich zu passiv bis heute aufstellen. Zu wenig kreativ
auch darüber nachdenken und selber zu wenig da rein investieren, wie sie die PM für sich nutzen
können.“ (A6)
Im Zusammenhang mit den Kosten wird von den Interviewpartnern auch die zum Teil ungeklärte
Frage der Erstattung für die Diagnostiktests angesprochen. So lang diese Frage ungeklärt bliebt,
haben Diagnostikunternehmen wenig Anreiz zu weiterer Forschung und Entwicklung. Letztlich
stellt die Kostenübernahme ein Innovationshemmnis für Diagnostikunternehmen dar.
„Man muss sich darüber Gedanken machen, wer bezahlt eigentlich diese Tests in der Zukunft (…)
Viele Diagnostika sind einfach zu wenig finanziell unterstützt und damit fällt auch das Incentive
weg, ausreichend zu investieren und gute Diagnostika zu entwickeln.“ (A6)
42
5. Regulatorische Rahmenbedingungen
Ebenfalls zu klären sind aus Pharma‐Sicht die regulatorischen Rahmenbedingungen, insbesondere
durch den Einsatz neuer Verfahren in den klinischen Phasen: „Hemmnisse sind regulatorisch. Man
wird neue Methoden (…) mit den Zulassungsbehörden diskutieren müssen.“ (A9)
Hinzu kommt, dass sich die Zulassungsrichtlinien in der Europäischen Union und den USA unter‐
scheiden (GBI Research 2010, S. 89; PWC 2009, 10).
Als Hindernis wird dabei auch der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) bewertet, der die Leis‐
tungen der medizinischen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung festlegt.
„Was jetzt noch dazu kommt, ist eben, dass wir in Deutschland durch das Arzneimittelmarkt‐
neuordnungsgesetz weitere Hürden haben. Es reicht also nicht die Zulassung durch die EMA zu
bekommen, sondern wir müssen eben diesen Standard of Care auch noch einmal dem gemeinsa‐
men Bundesausschuss gegenüber in Form eines Dossiers vorlegen und das ist dann noch einmal
wieder eine andere Hürde, weil die Kriterien anders sind, abweichend von denen, die die EMA
hat.“ (A3)
6. Gesellschaftliche Akzeptanz
Ein weiterer Einflussfaktor ist die gesellschaftliche Akzeptanz der PM. Als Chance wird dabei ge‐
sehen, dass PM im Augenblick eine hohe Aktualität hat: „Ein Treiber ist, dass die Stimmung der‐
zeit Richtung personalisierte Therapie geht.“ (A2)
Als Hemmnis wird dagegen das oftmals negative mediale Echo in der öffentlichen Diskussion zur
PM bewertet: „(…) dann gibt es sehr böse Stimmen in der Presse, das ist alles eine Erfindung der
Pharmaindustrie, die Krankheitszerstückler, die sich Nischen suchen, um einen Zulassungsstatus
anzustreben, dass sie nicht in Preisverhandlungen einsteigen müssen und nicht ihren Nutzen be‐
gründen müssen. Das ist ein bisschen zu wenig gedacht. Wenn ich Patient wäre, und hätte die
Mutationen, das ist echt ein Glücksfall.“ (A2)
7. Staatliche Förderpolitik
Ebenfalls als Einflussfaktor wird die staatliche Förderpolitik zur Finanzierung von Universität und
Forschungseinrichtungen dargestellt, da diese Institutionen den wissenschaftlichen und techno‐
logischen Fortschritt in der PM vorantreiben. Kritisiert wird dabei die mangelnde Unterstützung
von staatlicher Seite:
„Ein Hindernis ist wenn die akademische Forschung von den öffentlichen Geldern her immer stär‐
ker ausgedünnt wird und damit Daten über die Molekularbiologie, Genetik usw. von Erkrankun‐
gen nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stellen. Wir müssen auf solche Daten aufbauen.“
(A4)
43
8. Strategische Festlegung auf PM
Auch wenn die PM kein Substitut zu herkömmlichen Geschäftsmodellen darstellt, so wird sie zu‐
mindest als Ergänzung verstanden, indem sie bislang unbedeckte Bedarfe befriedigt (PWC 2010,
5; GBI Research 2010, 89; Jain 2011a, 417).
„Diese ganze PM ist genauso wir der Rest der Pharmaentwicklung ein Hochrisikobereich. Wir stel‐
len uns bewusst breit auf, wir haben auch Generika im Angebot, damit wir nicht, wenn uns bei
Pharma irgendetwas erwischt, dann völlig in Probleme geraten.“ (A4)
Aus Sicht der Pharmaunternehmen wird es dabei vor dem Hintergrund weiterer Patentausläufe
von Blockbuster‐Produkten in den kommenden Jahren immer wichtiger einen patentrechtlich
schützenswerten Nutzen bei der Zulassung neuer Medikamente zu generieren.
„(…) irgendwann ist nämlich das letzte Patent des besten jetzt zugelassenen Medikaments ausge‐
laufen. Wenn sie dann keinen Fortschritt mehr belegen können, der patentrechtlich zu schützen
ist, dann können sie nicht mehr weiter kommerzialisieren. (…) Aber der Treiber wird sein für die
Industrie, dass wir praktisch Ersatz schaffen für unsere aus dem Patent gelaufenen Medikamente.
Die müssen alle besser werden. Die Frage ist, wie viel besser kann es sein.“ (A9).
Eine vollständige strategische Festlegung auf PM wird dabei als Risiko betrachtet: „Es gibt kein
Unternehmen, was nur personalisierte Therapie macht. Da ist ein hohes Risiko drin, sie sind nicht
diversifiziert, und wenn das schief geht, sind sie weg.“ (A5)
Als Schwierigkeit wird in diesem Zusammenhang der Aufbau einer geeigneten therapeutischen
Infrastruktur genannt. Im Sinne einer Companion Diagnostics bedeutet dies zum einen die Ver‐
fügbarkeit von Arzneimittel und Diagnostik, zum anderen, dass Patienten und Ärzte darüber in‐
formiert sind und Ärzte ihre Diagnoseprozesse umstellen: „Wenn sie dann eine Zulassung haben,
die für ganz Europa gilt, dann muss es sichergestellt sein, dass es diesen Test auch entsprechend
überall gibt in Europa. Wenn ich den nicht habe, kann ich den für eine Anwendung, wo ich eine
schnelle Entscheidung treffen muss, überhaupt nicht verwenden“ (A8).
„Sie müssen sicherstellen, dass sie einen validen Test haben, dass die Patienten darüber informiert
sind (…). Das ist sehr komplex, wenn sie mehrere Faktoren bestimmen beim Patienten, die Thera‐
pieentscheidung, die gesamte Logistik, die Infrastruktur und das muss alles stehen.“ (A5)
„Ein Dermatologe hat bisher nicht vorher sein Labor gefragt, wie das Profil dieses Patienten aus‐
sieht. Es muss eine ganz andere Form von Interaktion stattfinden“. (A3)
Ein weiteres Hindernis, das zugleich aber Treiber sein kann, ist die Absicht, weiterhin Blockbuster‐
Arzneimittel zu finden. Hier zeigt sich, dass das Verhältnis zur PM seitens der Pharmaunterneh‐
men als zwiespältig betitelt werden kann. Eher indirekt wird von den Interviewten zu bedenken
gegeben, dass eine Personalsierung zwar die Chancen erhöht, einen Wirkstoff marktfähig zu ma‐
chen, der vorher möglicherweise nicht zugelassen worden wäre, zugleich besteht aber dennoch
das vorrangige Interesse Wirkstoffe zu entwickeln, die eine möglichst breite Patientengruppe
adressieren, zumal der Aufwand (klinische Studien, FuE‐Kosten) nahezu identisch oder sogar um‐
fangreicher ist.
44
9. Grenzen der Stratifizierung
Als weiterer Einflussfaktor wird die Frage nach den Grenzen der Stratifizierung gesehen. Dabei
geht es weniger darum, was wissenschaftlich und technologisch möglich, als vielmehr, was öko‐
nomisch sinnvoll ist. Stratifizierung wird von den Interviewpartnern entweder als Synonym für
Personalisierung (A3, A4, A5) oder als Verfahren in der PM zur Identifikation der Patientengrup‐
pen aufgefasst (A6, A7). Im Sinne einer immer besseren, weil immer genaueren Definition von
Patienten‐Subpopulationen verbessert PM die Vorhersage über Nutzen, Wirkung und Nebenwir‐
kungen einer Therapie. Folglich sind gezieltere, passgenauere Therapien möglich (A9).
Für die Unternehmen steigt durch eine zunehmende Stratifizierung die Komplexität des Entwick‐
lungsprozesses. Inwieweit dadurch die internen Kosten steigen, ist unklar: „Sie gehen weg von
relativ simplen klinischen Studien mit großen Patientenpopulationen zum weitaus komplexeren
Design von klinischen Studien mit viel komplexerer Vordiagnose, bevor ein Patient in eine klinische
Studie eingeschlossen wird. Das bedeutet, dass sie viele Patienten screenen für den Einschluss in
eine klinische Studie, die dann nicht eingeschlossen werden. Das heißt, der Voraufwand in der
Studie wird größer, die Kosten pro Patient in der Studie selbst dann wieder kleiner. Wobei, wenn
sie es dann umlegen auf die Screeningkosten auf den einzelnen Patienten wahrscheinlich das Glei‐
che rauskommt.“ (A6)
„Bei den Produktionskosten, wenn sie sich auf das Präparat beschränken, da gibt es keine Unter‐
schiede. Die Entwicklungskosten sind potenziell höher, weil sie häufig eben dazu auch einen ent‐
sprechenden begleitenden Test entwickeln müssen. Vertriebskosten, die den Aufbau einer Infra‐
struktur unterstützen, können auch höher sein. Was sich dann auch in den einzelnen höheren The‐
rapiekosten für den Patienten widerspiegelt. Auf der anderen Seite behandeln sie aber auch un‐
gleich viel weniger Patienten. Dadurch, dass sie eben einen großen Teil an der ursprünglichen Pa‐
tientenpopulation herausdefinieren. Wo sie sagen, die werden auf eine Therapie nicht anspre‐
chen, also brauchen wir das gar nicht versuchen.“ (A6)
Fraglich bleibt, bis zu welchem Grad der Stratifizierung ökonomisch sinnvoll ist. Heutige Ansätze
der Personalisierung werden dabei als „sehr grobes Raster“ (A9) beschrieben. „Sie haben bei einer
Erkrankung 50 Prozent [mit einem bestimmten] (…) Gen. Das ist Personalisierung mit Faktor 2.
Was ist, wenn sie sagen, nur einer von 100 hat das Gen?“ (A9)
Die Folge ist unter anderem eine Fragmentierung der Produktpalette. Mit zunehmender Ausdiffe‐
renzierung der Patientenpopulation steigt die Zahl der Medikamente im Portfolio der Unterneh‐
men: „Früher haben sie mit zehn oder 20 Medikamenten ein Portfolio gehabt. Wenn das persona‐
lisiert wird, könnte ich mir vorstellen, dass es plötzlich für eine Erkrankung nicht fünf Medikamen‐
te gibt, sondern vielleicht 50 oder 100. (…) Das wirft logistische Probleme auf. Das fängt mit Bana‐
litäten in der Herstellung, in der Lagerung und in der Lieferung an. (…) Das heißt, wenn sie das in
einem Krankenhaus oder in einem spezialisierten Zentrum machen, dann haben sie das in ihrer
Schublade die 50 verschiedenen Varianten von diesen personalisierten Medikamenten für diese
Krebserkrankung. (…) Je tiefer wir einsteigen, umso breiter wird das. Und man wird irgendwann
wahrscheinlich definieren müssen, das ist wahrscheinlich auch eine betriebswirtschaftliche Rech‐
45
nung, bis wann lohnt sich diese Fragmentierung und am wann wird es unproduktiv. Ab wann wird
es einfach nicht mehr rentabel schlicht und ergreifend nicht mehr bezahlbar, auch wenn man es
technisch könnte.“ (A9)
10. Intra‐organisationale Zusammenarbeit
Die inter‐organisationale Zusammenarbeit wird als weiterer Einflussfaktor dargestellt: „Ich kann
spekulieren, was vielleicht [sein wird]. Ich könnte mir vorstellen, dass so hoch spezialisierte Ansät‐
ze von der klassischen Pharmaindustrie (…) nicht mehr zu leisten ist.“ (A9)
Zum einen bedarf es der Integration der Diagnostikunternehmen in einer frühen Phase der Ent‐
wicklung (Marchant 2009, 10 ff.). So erklärt einer der Befragten: „Wir brauchen die Zusammenar‐
beit mit kleinen spezialisierten Firmen, wir brauchen die Nischenplayer und man muss eben sehen,
wo passt es in einer Form, dass tatsächlich etwas Neues entwickelt werden kann.“ (A3). Ein ande‐
rer Interviewter bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Wir haben Gruppen, die (…) gehen
durch die Lande und gucken, was es gibt an Entwicklungen, wo Firmen bestimmte Diagnostik‐Kits
anbieten oder in der Entwicklung haben. Es gibt auch viele kleinere Firmen, die sich an (…) uns
wenden, sodass dann ein Kontakt zustande kommt.“ (A7)
Aber auch die Zusammenarbeit mit Wettbewerbern im Sinne eines Open Innovation‐Ansatzes
wird an Bedeutung gewinnen, wobei der unkontrollierte Wissensabfluss als Risiko betrachtet
wird: „Es gibt ein bisschen die Tendenz zusammenzugehen, weil einfach die Entwicklungskosten
enorm steigen und man mehr sozusagen teilt, um etwas zu entwickeln, und die Bücher sozusagen
öffnet. Das ist eine Tendenz, die pharmazeutische Unternehmen machen. [A5] ist auch an Projek‐
ten beteiligt, die teilweise auch von der Europäischen Gemeinschaft unterstützt wird. Wo einfach
Sachen zusammengebracht werden, wo man in bestimmten Therapiegebieten auch gemeinsame
Datenbanken macht. (…) Das kann viel effizienter sein. Da ist aber immer noch eine gewisse Zu‐
rückhaltung, denn gerade, wenn sie eine interessante Innovation in dem Bereich personalisierte
Therapie haben und sie geben das Intellectual Property raus, wer wird das einfach so machen? Ich
glaube, wir unterscheiden uns da in der Sichtweise nicht von anderen Unternehmen. Perspekti‐
visch denke ich, wird es eine Entwicklung geben, wo mehr ausgetauscht wird. Der Treiber ist die
Effizienznotwendigkeit in der Forschung.“ (A5)
„Alzheimer, Multiple Sklerose, Rheuma und Arthritis, Schizophrenie, Depressionen. Da erwarte ich
mir noch Einiges, obwohl das ist so komplex (...), da muss Pharma einfach noch lernen bei der Zu‐
sammenarbeit mit Institutionen und kommerziellen Einrichtungen, das kann eine Firma allein gar
nicht leisten, das kann keiner leisten, das muss in der Zusammenarbeit funktionieren. Da muss
zusammengearbeitet werden mit Konsortien. Da muss zusammengearbeitet werden mit Klinikern,
da muss transnationale Forschung stattfinden. Also die Krankheitsbereiche, wo wir tatsächlich
eindeutig einen Medical Need haben, es ist nicht ohne Grund so, dass wir da noch nicht viel haben
und das, was für Alzheimer heute auf dem Markt ist, das macht immer noch gutes Geld, weil ein‐
fach die Verzweiflung groß ist, aber in Richtung Wirksamkeit ist da nicht viel.“ (A3)
46
Ein weiteres Hindernis aus Sicht der Pharmaunternehmen bezüglich der inter‐organisationalen
und vor allem frühzeitigen Zusammenarbeit, stellt die Sorge dar, dass vor allem bei Kooperatio‐
nen mit kleineren Diagnostikunternehmen die Gefahr besteht, dass diese den Entwicklungs‐ und
Zulassungszeitraum des Arzneimittels nicht überleben. Da die Diagnostikunternehmen überwie‐
gend eine klein bis mittlere Unternehmensgröße aufweisen, ist deren Kapitalausstattung recht
dünn. So bleibt das Risiko, frühestmöglich einen Diagnostikhersteller einzubinden, ob dieser je‐
doch zur Einführung des Arzneimittels die entsprechenden Tests liefern kann, ist nicht gesichert.
Tritt dieses ein, muss das Pharmaunternehmen das Diagnostikunternehmen im schlimmsten Fall
dementsprechend übernehmen oder finanziell unterstützen.
Allerdings kann es auch zu Schwierigkeiten bei der Anpassung an neue Organisationsformen
kommen, die für die PM nötig sind. So herrschte in der Vergangenheit bei Pharmaunternehmen
überwiegend die Praxis vor, dass Kooperationen, exklusive Lizenzierungen oder Zukäufe von klei‐
nen Unternehmen getätigt wurden, wenn fertige Produkte bereits entstanden waren. Bei der
Entwicklung von Tests im Sinne eines Companion existieren die Tests noch nicht, sondern müssen
erst entwickelt werden. Das Risiko verlagert sich somit wieder in den Entwicklungsprozess ein,
das vorher externalisiert werden konnte. So entstehen ungewollte Abhängigkeiten zu kleinen
Firmen, so dass die Option im Raum steht, diese finanziell zu unterstützen oder diese gleich auf‐
zukaufen.
4.3.3 Wirtschaft – Einflussfaktoren Diagnostikunternehmen
Die Companion Diagnostics stellt für Diagnostikunternehmen ein Anwendungsfeld mit großem
Wachstumspotenzial dar. Während in Studien von einem 75‐prozentigem Anteil der in Deutsch‐
land zugelassenen Medikamente der PM sprechen, für die ein Diagnostiktest obligatorisch ist
(PWC 2009, 50), ist dies in absoluten Zahlen recht übersichtlich. Der VFA führt 22 Wirkstoffe auf,
von denen 17 einen Vortest erfordern. Bezüglich der zukünftigen Entwicklung wird in den Studien
der PM innerhalb der bisherigen Medizin ein größer werdendes Potenzial eingeräumt. Dieser
Trend könnte über mittel‐ bis langfristige Sicht zu maßgeblichen Veränderungen der Branche füh‐
ren. Diagnostikunternehmen bekommen dadurch einen sehr viel höheren Stellenwert als bisher.
Steigt der Anteil PM im Gesundheitssystem, wird auch der Bedarf nach Dienstleistungen und Pro‐
dukte der Diagnostikunternehmen steigen.
Bei der eingehenden Frage, wie die Entwicklungschancen der PM einzuschätzen sind, stimmen
alle Befragten überein, dass die PM zu einem wesentlichen Bestandteil des Gesundheitssystems
werden wird: „Wir können das nicht aufhalten. Meine Hypothese ist, dass es untrennbar mitei‐
nander verbunden sein wird (PM und normale Medizin). So, wie man bestimmte Medikamente
nicht ohne Rezept vergeben werden, wird man bestimmte Medikamente nicht nehmen, ohne dass
das mit dem Binom abgeglichen ist. Das wird miteinander verknüpft werden.“ (D2)
Die Möglichkeiten einer Stratifizierung verschiedener Patientengruppen werden durch verschärf‐
te Zulassungsregeln vor allem bei neuen Medikamentenzulassungen dazu führen, dass die Wirk‐
samkeit für einzelne Gruppen nachgewiesen wird. Damit hätten auch Medikamente eine Mög‐
47
lichkeit in den Markt eingeführt zu werden, die bisher in klinischen Studien nicht bei einer ausrei‐
chenden Patientenanzahl wirkten. Das Blockbuster‐Modell wird daher für neue Medikamente
unwahrscheinlicher werden, da Medikamente generell differenzierter eingesetzt werden können
(D3). Das führt zu einer Zersplitterung vormals homogener Märkte, was zu einem Anstieg der
Komplexität in der Versorgung für die bedienenden Unternehmen führt. Interviewte und Exper‐
ten erwarten dadurch eine zunehmende Dynamisierung des Marktes für und durch die PM und
eine Steigerung der Nachfrage nach entsprechenden Diagnostiktests (PWC 2009, 10).
Ähnlich wie bei den Pharmaunternehmen wird von einer zukünftigen Koexistenz bereits existie‐
render und neuer Geschäftsmodelle ausgegangen. Eine gänzliche Ablösung durch den Ansatz der
PM ist unrealistisch, weil unterschiedlichste Hindernisse existieren, die einer Wirtschaftlichkeit im
Weg stehen. Auf diese wird im späteren Verlauf detaillierter eingegangen.
Im Folgenden werden nun die Ergebnisse aus den Primärdaten vorgestellt, die die wahrgenom‐
menen Einflussfaktoren aus Sicht der Diagnostikunternehmen beschreiben. Dabei kann grob in
externe und interne Einflussfaktoren unterschieden werden. Externe Einflussfaktoren beschrei‐
ben Einflüsse, die von außen auf die Diagnostikunternehmen wirken und wahrgenommen wer‐
den. Interne Einflussfaktoren basieren überwiegend auf Faktoren, die direkt und unmittelbar von
den Unternehmen beeinflusst werden können und hauptsächlich das Verhalten der Unterneh‐
men widerspiegeln.
Für die Entwicklung des Marktes der PM sind aus Sicht der Diagnostikunternehmen unterschiedli‐
che Einflussfaktoren von herausfordernder Bedeutung.
Tabelle 5: Einflussfaktoren Wirtschaft ‐ Diagnostikunternehmen
Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
Externe Einflussfaktoren
1 Wissenschaftli‐cher/technologischer Fortschritt
‐ Ausbau und Anwendung bisheriger Erkenntnisse
‐ Entwicklung neuer Verfahren
‐ Produktivitäts‐ u. Effizienzsteigerungen
‐ Wissensvorsprünge realisieren
‐ Zu lange Entwicklungszeiten
‐ Ungewissheit über hohe Investitionen in Grundlagenforschung
‐ Fehlende Anwendung
2 Entwicklungen des Gesundheitssystems
‐ Möglichkeiten der Kostenoptimierung im Gesundheitssystem
‐ bessere Patientenversorgung
‐ Nutzen‐ und Wirkungsnachweis neuer Medikamente
‐ Fehlende Nachweise, ob Kosteneinspa‐rungen tatsächlich stattfinden können
‐ Fehlender politischer Wille PM als Hebel für bessere Krankenversorgung und mögliche Kostenreduktion einzuset‐zen/zu überprüfen
‐ kein Interesse der Krankenkassen, dass günstige Medikamente personalisiert werden, wenn der Preis des Diagnosti‐kums hoch ist
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Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
3 Wissens‐ und Techno‐logietransfer
‐ Verbreitung des Wissens und der Prak‐tiken bei Ärzten und Krankenkassen durch belegbare Nachweise der Wirk‐samkeit
‐ Kommunikation mit den Patienten
‐ Nutzung und Ausbau IKT
‐ Fehlendes Wissen/Diffusion bei Ärzten durch Komplexität und fehlende Anreize
‐ Fehlendes Wissen/Diffusion bei Mini‐sterien und Krankenkassen durch Kom‐plexität und Zunahme an Innovationen
4 Kostenerstattung ‐ Angemessene Vergütung
‐ direkter Verkauf an die Patienten
‐ Wettbewerb zwischen den Kranken‐kassen
‐ Unklare/fehlende Kostenerstattung für Ärzte
‐ Zeitverzögerung sorgt für Unsicherheit
5 Regulatorische Rah‐menbedingungen
‐ Signalwirkung von Zulassungen auch im Ausland
‐ staatliche Unterstützung von Testpro‐jekten und Studien
‐ beschleunigte Zulassungsverfahren
‐ fehlender politischer Einfluss auf Kran‐kenkassen bezüglich Vergütung
‐ fehlender politischer Wille eine öffent‐liche Diskussion darum zu führen
6 Gesellschaftliche Ak‐zeptanz
‐ neue Informationswege für die Patien‐ten
‐ Nachfragedruck wird erzeugt
‐ eine veränderte Wahrnehmung des menschlichen Körpers beschleunigt die Akzeptanz
‐ Komplexität des Themas sorgt für Halbwissen und Vorurteile
‐ negative mediale Berichterstattung
‐ Fehlendes Engagement der Pharmain‐dustrie
Interne Einflussfaktoren
7 Strategische Festlegung auf PM
‐ früh das Potenzial erkannt
‐ teilweise sichern unterschiedliche Ge‐schäftsfelder die Existenz der Diagnosti‐kunternehmen ab
‐ Zurückhaltung auf Seiten der Pharma‐industrie
‐ abhängig von Durchsetzungskraft der Pharmaunternehmen
8 Grenzen der Stratifizie‐rung
‐ PM als ein weiteres Geschäftsfeld (Er‐gänzung zum Blockbuster‐Model)
‐ Fokussierung auf eine Nische
‐ Eine Nische/Wirksamkeit mittels Mar‐ker identifizieren können
‐ Fragmentierung der Märkte
‐ Fehlende Mengeneffekte
‐ Probleme, eine ausreichend große Patientenstudie durchzuführen
9 Inter‐organisationale Zusammenarbeit
‐ Kooperation bei der synchronen Medi‐kamentenentwicklung
‐ Kooperation mit Ärzten und Kranken‐häusern zur Diffusion neuer Verfahren
‐ Identifizierung von möglichen Akquisi‐tionsunternehmen
‐ Stratifizierung von bereits zugelasse‐nen Wirkstoffen ist aus ökonomischen Gründen nicht immer gewollt
‐ Zögern bei Kooperationsanbahnung
‐ geringe Wertschätzung der Partner in „Zweckehen“
10 Produkt‐ und Markt‐strategie
a) Kombinierter Vertrieb:
‐ Enge Anbindung an ein großen Phar‐makooperationspartner
b) Multitest‐Strategie:
‐ Aufsetzen auf vorhandene Infrastruk‐tur
‐ größere Skalierbarkeit
c) Lizenzierung:
‐ Konzentration auf ein Spezialgebiet
a) Kombinierter Vertrieb:
‐ eingeschränktes Marktfeld bei Fokus‐sierung auf ein Medikament
b) Multitest‐Strategie:
‐ fehlende Durchsetzungskraft ohne Pharmaunternehmen
‐ Lock In Effekte schrecken Partner ab
c) Lizenzierung:
‐ Schwierigkeiten bei der Abrechnung
49
Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
11 Verhalten bei Markt‐wachstum
‐ Marktwachstum durch neue Anwen‐dungsbereiche
‐ Aufkauf von Diagnostikunternehmen
‐Markteintritt großer Labore
‐ Aufkauf von Diagnostikunternehmen
1. Wissenschaftlicher/technologischer Fortschritt
Dies sind zum einen die wissenschaftlichen und technologischen Weiterentwicklungen als Grund‐
lage für Produkt‐ oder Verfahrensentwicklung, Kostenreduktion und Produktivitätssteigerungen.
„Gewisse Untersuchungen [sind mit neuen Technologien] überhaupt erst möglich [geworden].
Also ich denke da zum Beispiel an bildgebende Verfahren. Man kann ja heutzutage Sachen dar‐
stellen und sehen, die man vorher überhaupt nicht sehen konnte, die überhaupt nicht zugänglich
waren. Ebenso ist es auch mit der Molekulargenetik, dass man sich eben aus Tumoren DNA isolie‐
ren kann und untersuchen kann […]. Das sind Sachen, die vor 20 Jahren eigentlich irgendwie gar
nicht möglich gewesen wären.“ (D6)
Ein Treiber ist die fortschreitende Entwicklung dieser Basis. Diese ermöglicht neue Verfahren zur
Erkennung und Therapie unterschiedlicher Krankheiten (D6): „Sagen wir so, es gibt immer mehr
Möglichkeiten und immer mehr Zusammenhänge werden entdeckt. Das heißt, es gibt also auch
wirklich mehr Angebote, die man umsetzen kann durch die Forschung, die auf diesem Gebiet ja
auch recht stark ist.“ (D6)
„Wenn Sie sich das heute anschauen, gibt es im Bereich Companion Diagnostics zwei Hände voll
von Genomik basierten Tests, es gibt im Bereich Transkriptomik ein bisschen etwas an Entwick‐
lung (…). Und aus meiner Sicht wird das für alle Omik‐Technologien in Zukunft auch in Kombinati‐
on ein größeres Potenzial geben. Das hängt auch mit der zeitlichen Verschiebung der Technolo‐
gieentwicklung von Genomik über Transkriptomik und Proteomik als neuere Technologie zusam‐
men. Die sind unterschiedlich weit in der Entwicklung, was die Technologie selbst angeht, die Ent‐
wicklung eines neuen Tests dauert zehn Jahre, sodass eben neuere Technologien, wie die
Epigenomik beispielsweise, in den nächsten Jahren einfach zunehmen wird.“ (D5)
Weltweit wird dazu geforscht und das dazu notwendige Wissen verbreitet. Dieses Wissen
schnellstmöglich in schutzfähige Methoden umzusetzen oder zu lizenzieren und weiterzuentwi‐
ckeln, ist ein wesentlicher Treiber für Diagnostikunternehmen (D5; D2).
Als Risiken bezüglich des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts sehen die Diagnos‐
tikunternehmen, dass die Entwicklungszeiten sehr lang sind und die bisherigen Fortschritte keine
breite Anwendung finden. Einzelne Technologien oder Verfahren finden keine Anwendung und
Kommerzialisierung, weil eher auf Vorhandenes und Bekanntes gesetzt wird.
„Ein Hindernis sind die langen Entwicklungszeiten. (…) Ich muss noch in der Präklinik mit der Ent‐
wicklung meines Diagnostikums beginnen und das in die SOPs und in die Denke der forschenden
und entwickelnden Pharmafirmen reinzubringen, das dauert einfach. Damit tun sich alle sehr
schwer. Das ist das eine und zum anderen ist auch in den letzten zehn, fünfzehn Jahren – gerade
was neue Technologien angeht, Genomik, Transkriptomik, Proteomik – viel Geld verbrannt wor‐
50
den. Viel investiert worden und wenig Sichtbares rausgekommen. Da sind Milliarden verpulvert
worden, so dass das Potenzial zwar erkannt, im Prinzip aber wenig greifbare Ergebnisse da sind;
und die Firmen zum Teil „Lip Service“ betreiben und sagen, das ist wichtig für uns, aber das letzt‐
endlich auf die Arbeitsebene noch nicht durchgeschlagen hat.“ (D5)
„Wir erleben es selber, dass auch Ärzte, die an den Publikationen bei uns beteiligt sind, hinterher
bei ihren Patienten genau dieses Wissen aus den neuen Publikationen gar nicht anwenden.“ (D9)
2. Entwicklung des Gesundheitssystems
Eine weitere Herausforderung besteht in der zukünftigen Entwicklung des Gesundheitssystems
bezogen auf eine sich demographisch verändernde Gesellschaft und den damit verbundenen Kos‐
ten.
„[Es ist zu erwarten, dass] in der Zukunft die Player auf dem Markt, aber auch die Krankenkassen
mehr Interesse daran haben, Geld einzusparen. Man muss also kosteneffizient arbeiten. Man
muss nicht lange nachdenken, es reicht eine Übersicht und man sieht, wohin das ganze Geld geht.
Es sind knapp 170 Milliarden Euro aus dem GKV‐Topf, die im Moment jedes Jahr ausgegeben wer‐
den und es wird noch sehr viel mehr Geld benötigen, um in Zukunft die alternde Gesellschaft dann
entsprechend zu behandeln. Und es ist klar, dass auch die politische Entwicklung mehr in die Rich‐
tung Prävention und frühzeitige Diagnose und Therapie abzielen muss, um dann Kosten einzuspa‐
ren.“ (D4)
Als Treiber werden der medizinische Bedarf und die Notwendigkeit einer Senkung der Kosten im
Gesundheitswesen einerseits und die Möglichkeit einer besseren Patientenversorgung anderer‐
seits gesehen (D4). Die PM wird dabei als Möglichkeit gesehen, durch Tests schneller herauszu‐
finden, ob ein Patient auf ein Medikament anspricht, was Folgebehandlungskosten durch Ne‐
benwirkungen reduziert und dadurch die Lebensqualität des Patienten heben kann. Dies wäre
beispielsweise der Fall, wenn ihm einschränkende Verfahren (z.B. eine Chemotherapie) erspart
bleiben, die bei ihm nicht die erwünschte Wirkung erzielen (D5; D3). Diese potentiellen Einsparef‐
fekte werden zugleich als Wettbewerbsvorteil für Krankenkassen interpretiert, sich durch die
Kostenübernahme dieser Tests von Konkurrenten abzugrenzen (D6).
„Also ich glaube durch die Forschung und Entwicklung in den nächsten Jahren wird es ganz neue
Möglichkeiten geben, den Patienten noch besser zu versorgen.“ (D4)
„Die Treiber sind sehr hochpreisige Medikamente, wo irgendwann die Erstattungsautoritäten sa‐
gen, dass das nicht mehr an alle Patienten verschrieben werden darf, die derzeit infrage kommen,
weil die Responder Rate zu niedrig ist. (…) Überhaupt Neuentwicklungen und dann auch Krankhei‐
ten, bei denen der Patient nicht sehr lange Zeit hat, um ein Medikament auszuprobieren. Sprich,
wenn die Lebenserwartung nur noch neun Monate ist, dann ist es auch ethisch geboten, dort das
Medikament einzusetzen, (…).“ (D3)
„(…) Das wird ermöglicht durch den Einsatz neuer individuell auf die Bedürfnisse der Patienten
ausgerichtete Therapieverfahren. Man will damit die Qualität der Behandlung steigern. Man will
51
auf jeden Fall unerwünschte Effekte vermeiden. Man möchte zum Beispiel, dass die Complaints
der Patienten erhöht wird, dass die Anzahl der Komplikationen im Therapieverlauf entsprechend
verringert wird und all diese Dinge. Und somit dann letztlich auch die Effizienz erhöht wird. Man
will auch vermeidbare Kosten für Kostenträger und auch Kosten für das Gesamtgesundheitssys‐
tem natürlich reduzieren helfen.“ (D4)
Als Treiber sehen die Diagnostikvertreter den Nachweis der Wirksamkeit von Medikamenten,
welcher seit Anfang 2011 in Deutschland zur Pflicht geworden ist. Wirkstoffe, die in großen Stu‐
dien nicht über alle Patientengruppen hinweg einen Nutzen aufweisen können, wäre durch eine
Stratifizierung die Möglichkeit gegeben, bei einzelnen Patientengruppen eine Wirkung nachzu‐
weisen. Das Argument des Nutzennachweises als Treiber wird zugleich auch mit dem Treiber der
Kostenminimierung in Verbindung gebracht. Der Nachweis einer Wirkung kann den Einsatz un‐
wirksamer Medikamente verringern und die Kosten für den Medikamenteneinsatz bzw. die Kos‐
ten für Folgebehandlung aufgrund von Nebenwirkungen reduzieren (D6).
„Es gibt wenige Produkte, die eine höhere Response Rate [zwischen 30‐80%] haben und das ist
einfach ineffizient. Das heißt, der Kostenträger ist nicht mehr bereit, das zu tragen. Gerade auch,
was neue Medikamente angehen, die häufig nur Schrittinnovationen sind, vermeintliche kleinere
Vorteile bringen. Die Kostenträger werden zunehmend Wert darauf legen, dass unter gesund‐
heitsökonomischen Aspekten eine neue Therapie auch etwas bringt.“ (D5)
Ein Hindernis in Bezug auf die Veränderungen im Gesundheitssystem ist die aktuelle, schwer ein‐
schätzbare Abschätzung, ob die PM tatsächlich Einsparpotenziale mit sich bringt (Deloitte Center
for Health Solutions, 2009, p. 18). Die meisten Interviewten sahen hier allerdings definitive Ein‐
sparpotentiale. Ohne weitere Forschung und Pilotprojekte wird jedoch nicht deutlich werden, ob
diese Möglichkeiten bestehen. Die Interviewten sehen hier den direkten Einfluss der Politik auf
die Akteure im Gesundheitswesen als dringend erforderlich. Zum einen durch das Setzen der rich‐
tigen Rahmenbedingungen und zum anderen durch die direkte Unterstützung von Forschung.
„Und es ist ganz klar, dass auch die politische Entwicklung mehr in die Richtung Prävention und
frühzeitige Diagnose und Therapie abzielen muss, um dann entsprechend Kosten einzusparen.“
(D4)
„Es gibt auch vom Bundesforschungsministerium ein großes Projekt, was gefördert wird zu dem
Thema, wo jemand auch eine andere pharmakologische Behandlungsoption ausprobieren will.
Also es gibt so erste Anzeichen. (…) Ja, aber die Politik wirkt nicht darauf hin [auf die Kostenein‐
sparung im Gesundheitswesen]. Eine gewisse Aufgabe des Bundesgesundheitsministers wäre es
auch, der spricht ja auch mit den Krankenkassen, mal dahin gehend die Beiträge stabil zu halten,
indem nur das, was nötig ist, gemacht wird. Wenn ich sehe, dass ein Patient nach drei, vier oder
fünf Medikamenten immer noch keinen vernünftig eingestellten Blutdruck hat, dass die spätes‐
tens nach dem dritten Medikament mal auf die Idee kommen, dass das eine andere Ursache hat.
(…) Das ist Aufgabe der Politik darauf hinzuweisen, wenn die Krankenkassenbeiträge für den Bür‐
ger auch bezahlbar bleiben sollen.“ (D9)
52
Die Interviewpartner wiesen zudem auf das Hindernis der Kosten‐Nutzen‐Relation von Medika‐
menten der PM aus Sicht der Pharmaunternehmen und der Krankenkassen hin. Demnach lohnt
sich ein vorhergehender Test nicht, wenn dieser teurer ist als das zu verabreichende Medika‐
ment, auch wenn dies für den Patienten gesundheitliche Vorteile hätte. Diagnostikunternehmen
hätten durchaus ein wirtschaftliches Interesse an dem Verkauf der dafür notwendigen Diagnos‐
tiktests, sie müssten jedoch dafür eigene Patientenstudien durchführen, die von den kleinen und
mittleren Diagnostikunternehmen nicht allein getragen werden können (D3).
„(…) aber wenn ich als Diagnostiklabor mit dem Vorschlag komme, dann muss ich an ganz großen
Populationen kostenlos nachweisen, dass hier unter Umständen die Medikation ganz anders ist.
Mir reicht es ja normalerweise, wenn ich nachweisen kann, dass es hier einen Mechanismus gibt.
Ich kann ja als Diagnostiklabor nicht irgendwelche klinischen Studien initiieren. Dazu bin ich finan‐
ziell gar nicht in der Lage. Das ist vielleicht auch ein Erkenntnisprozess seitens der Kassen, dass
eben unter Umständen eine personalisierte Diagnostik anfangs teurer erscheint, aber im Nachhin‐
ein eine individualisierte Therapie deutlich Kosten erspart.“ (D9)
„Es gibt ganz viele Punkte, wo PM eigentlich ganz toll wäre. Zum Beispiel im Bereich ZMS‐
Krankheiten, also Depressionen und die ganzen neurologischen Erkrankungen, wo sie Medikamen‐
te geben, von denen sie wissen, dass sie grundsätzlich wirken, aber sie sehen das erst nach ein
paar Monaten, ob die letzten Endes wirken, ob die Therapie anspricht. Nur sind die ganzen Sub‐
stanzen so preiswert, dass da niemand anfasst, dafür einen Companion Diagnostic Ansatz zu fah‐
ren.“ (D3)
3. Wissens‐ und Technologietransfer
Wie auch die Pharmaunternehmen sehen die Diagnostikunternehmen den Wissens‐ und Techno‐
logietransfer unter Ärzten, Krankenkassen und involvierten Unternehmen als Hauptherausforde‐
rung, die wesentlich mit den anderen hier aufgeführten Einflussfaktoren verknüpft ist.
Der wohl wichtigste Treiber für die Vertreter der Diagnostikunternehmen ist die Verbreitung und
die Anwendung neuer Forschungsergebnisse unter den Ärzten und Krankenkassen. Da diese Ak‐
teursgruppe als extrem erfolgskritisch angesehen wird, gibt es diverse Überlegungen, wie diese
stärker in einen Diffusionsprozess über die Mechanismen, Verfahren und deren Wirkungsweisen
eingebunden werden können. Hervorgehoben wurde die Rolle belegbarer Studien, die den Erfolg
neuer Arzneimittel belegen. Klinische Studien der Pharmaunternehmen müssen Meinungsbildner
überzeugen, die dann das Wissen in die jeweiligen Fachgesellschaften hineinbringen. Die Medical
Community muss mit dem entsprechenden belegbaren Studienmaterial ausgestattet werden, um
damit ihre Mitglieder zu überzeugen (D4). Ärzteschaften und Krankenkassen werden dabei als
getrennte aber stark voneinander abhängige Akteure gesehen. Aus den Interviews wird deutlich,
dass es sich um ein "Henne‐Ei‐Problem" handelt, wenn es darum geht, welcher der beiden Akteu‐
re primär überzeugt werden muss. Oftmals wird die Hypothese aufgestellt, dass wenn Ärzte den
Einsatz dieser Diagnostiktests bei den Krankenkassen abrechnen können, die Ärzte dann den
53
notwendigen Anreiz haben, sich stärker mit den neuen Erkenntnissen auseinanderzusetzen. (Die‐
ser Punkt wird erneut im Einflussfaktor „Kostenerstattung“ aufgegriffen.)
„Denn wenn die Krankenkassen das bezahlen, werden die Ärzte vielleicht auch mehr sich aktuellen
Fragestellungen zuwenden können, wenn sie denn auch wissen, sie bekommen das bezahlt. Was
der Arzt nicht bezahlt kriegt, das kann er auch nicht abrechnen und das guckt er auch nicht an.“
(D9)
Auffällig ist dabei, dass vor allem kleinere Diagnostikunternehmen vorrangig die Pharmabranche
in der Pflicht sehen, dieses Wissen an die Ärzte oder an die Krankenkassen zu vermitteln. Der
eigene Einfluss wird oftmals als zu begrenzt empfunden.
„Wir waren jetzt einmal bei XY und da gab es auch einmal Überlegungen wirklich mit Krankenkas‐
sen ins Gespräch zu gehen, aber dann eben als Big Pharmaunternehmen. Vielleicht hilft uns das ja.
Es gibt auch vom Bundesforschungsministerium ein großes Projekt, was gefördert wird zu dem
Thema, wo jemand auch eine andere pharmakologische Behandlungsoption ausprobieren will.“
(D9)
Größere Diagnostikunternehmen gehen gezielter Kooperationen mit Ärzten ein um einerseits
deren Wissen zu nutzen, aber hauptsächlich um diese über die neuen Verfahren und Testergeb‐
nisse zu informieren (beispielsweise über Weiterbildung).
„Ja es gibt sehr viel Kommunikation mit den Ärztegesellschaften, die natürlich auch Vorreiter sind,
was neue Entwicklungen sind. Das heißt, die wissen ungefähr, was sie sich wünschen und was sie
aber derzeit nicht zur Verfügung haben. Wir stehen im ständigen Austausch mit sehr vielen Leu‐
ten, die medizinische Fachkräfte sind, die Ärzte sind.“ (D4)
„Wir sprechen zu 95 Prozent die Ärzte an und fünf Prozent sind dann eben auch Onkologen, Chi‐
rurgen oder wenn es über klinische Studien geht. (…) Das ist auch so eine Besonderheit, (…), wenn
man das so sieht, die Diagnostik in den Kliniken, die sind doch häufig viel weiter vom Patienten
weg, als es die behandelnden Ärzte oder die Operateure sind. Die trauen sich zum Teil auch nicht.
Wir haben da auch schon Gespräche geführt und gesagt, ihr müsst mehr an die Patienten heran‐
treten und aus der Nische rauskommen und offensiver sagen, wozu ihr den Test macht und wozu
das gut ist. Nur das ist ja meistens so Patient und behandelnder Arzt, das wird dann angefordert
und da gibt es eben diese direkte Verbindung nicht. Von daher sind wirklich nach wie vor die Pa‐
thologen unsere Kunden.“ (D8)
Auch wird hierbei das Verhältnis zwischen Pharma‐ und Diagnostikunternehmen thematisiert,
welches als schwierig, aber dringend notwendig empfunden wird. Auf dieses Verhältnis soll im
späteren Verlauf unter dem Einflussfaktor „inter‐organisationale Zusammenarbeit“ eingegangen
werden.
Weiterhin wird auch die direkte Kommunikation mit den Patienten angesprochen, so dass dieser nötige Informationen findet und vor allem versteht, um sich bei den direkten Ärzten informieren zu können.
54
„Das heißt, dass wir die Wissensinhalte allen Menschen einigermaßen verständlich liefern können.
Da lernen wir täglich dazu, auch wie man das grafisch tun kann. Also Wissensvermittlung über
alle möglichen medialen Inhalte.“ (D2)
Unter Wissenstransfer werden auch der Wissenszugang und die –verteilung der Forschungser‐gebnisse seitens der Wissenschaft hin zu den Unternehmen thematisiert. Als kritisch wird hier die einfache Verfügbarkeit relevanter Daten und den Ausbau von IKT‐Strukturen gesehen.
„Ein weiterer wichtiger Punkt sind die informationstechnologischen Kompetenzen in engerem Sin‐
ne mit unserem Fach verbunden und die bioinformatische Kompetenz aus vorhandenen Daten‐
quellen möglichst ohne viel manuellen Aufwand die richtigen neuen News zu extrahieren, die
wichtig sind, für die Interpretation von genetischen Varianten, aber auch das Delivery, das Aufset‐
zen von IT‐Strukturen (…)“. (D2)
Als Hindernis wird von den Diagnostikunternehmen das Fehlen des notwendigen Wissens bei den
behandelnden Ärzten gesehen. Hier sehen die Befragten das Problem bei der Interaktion zwi‐
schen Diagnostikunternehmen und Ärzten, aber auch zwischen Pharmaunternehmen und den
Ärzten. Der Erkenntnisaustausch neuer Ergebnisse als auch die Aus‐ und Weiterbildung der Ärzte
wird als große Herausforderung empfunden.
„Bloß dazu muss sozusagen der Arzt in den Kliniken ein Stückchen mehr diesem Thema zuwenden.
(…) . Denn hier ist sicherlich zu wenig dazu bekannt in der Hausarztpraxis. (…) sagen wir mal da,
wo der Hausarzt den Eingang zum Patienten hat, weil er die erste Station ist, da wird ja viel zu
wenig auf aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse geschaut. (…). Das ist ein gewisser Schematismus
auch in dieser Interaktion Ärzte und Pharmaindustrie. Das wird bei Althergebrachten zum Teil ge‐
geben und eben die Öffnung zu wirklich neuen Erkenntnissen, die hauptsächlich aus der Forschung
kommen, muss man eigentlich noch als unzureichend einschätzen.“ (D9)
„Ich sehe schon auch noch ein Problem darin, dass der Arzt das [den Companion Diagnostic Test]
ja auch einsetzen muss. Der muss sich ständig weiterbilden, um das auch zu verstehen, was da
passiert. (…). Der Arzt muss dann auch sehr viel mehr auf molekularer Ebene Bescheid wissen und
das Verständnis dafür haben, als irgendwie in seiner klassischen Ausbildung.“ (D3)
Zudem wird der Wissensaustausch zwischen den Unternehmen und den Krankenkassen als kri‐
tisch angesehen, weil diese Diagnostiktests teurer sind als beispielsweise bisherige Bluttests, da
sie komplizierter und weniger standardisierbar sind (D9).
„Das ist vielleicht auch ein Erkenntnisprozess seitens der Kassen, dass eben unter Umständen eine
personalisierte Diagnostik anfangs teurer erscheint, aber im Nachhinein eine individualisierte The‐
rapie deutlich Kosten erspart. (…). Denn wenn die Krankenkassen das bezahlen, werden die Ärzte
vielleicht auch mehr sich aktuellen Fragestellungen zuwenden können, wenn sie denn auch wis‐
sen, sie bekommen das bezahlt.“ (D9)
Zugleich verlängert sich das Prüfprozedere bei Neuzulassungen, weil die Anzahl an Prüfeingängen
steigt.
55
„Ja, wo man eben auch merkt, dass natürlich das Gesundheitssystem mit der Entwicklung nicht
ganz Schritt hält. Das tun sie seit Jahren nicht und das ist im Grunde auch wieder so ein Hindernis.
Ich habe ja einmal mit jemandem von der Kassenärztlichen Vereinigung gesprochen. Der sagt, er
kriegt jeden Tag so viel neue Anträge für gerade solche Dinge auf den Tisch, die kann er gar nicht
alle abarbeiten (…). Nur der Fortschritt nimmt ja darauf keine Rücksicht, wie schnell ein Ministeri‐
um nachkommt, ob das nun erstattungsfähig ist oder nicht.“ (D8)
4. Kostenerstattung
Als eine weitere Herausforderung wird in den Studien die nicht einheitliche Kostenerstattungs‐
praxis für Diagnostik‐Tests in Verbindung mit einem Medikament gesehen (PWC 2009, 10;
Marchant 2009, 10 ff.; Business Insight 2011, 12 ff). Die Unklarheiten, wer letztlich die Kosten für
bestimmte Tests trägt, führen zu Planungsschwierigkeiten bei der Entwicklung und Zulassung auf
Seiten der Diagnostik‐ als auch Pharmaunternehmen (D7). Diese Unklarheiten werden wiederho‐
lend in den Interviews thematisiert.
Treiber ist die angemessene Vergütung für die Tests, die dazu führen sollen auch Anreize für die
behandelnden Ärzte zu schaffen, um neue Diagnostiktests und Theraphieformen stärker zu be‐
rücksichtigen: „Ich sage mal so, also grundsätzlich ist für uns der Treiber, dass wir damit Geld ver‐
dienen wollen am Ende des Tages – plump gesagt. Geld kann man nur von dem Labor bekommen,
wenn ein Test vergütet wird.“ (D7)
Potenzial sehen die Diagnostikunternehmen neben der Vergütung öffentlicher Krankenkassen bei
bereits zugelassenen Arzneimitteln vor allem bei der Erstattung durch private Krankenkassen und
beim Verkauf der Tests direkt an den Patienten, was voraussetzt, dass dieser über die Existenz
und die Möglichkeiten des Tests informiert wird.
„(…) also wenn wir mal weggehen von den wenigen Fällen, wo die Testung von der Krankenkasse
bezahlt wird, weil es bei der Anwendung des Medikamentes zwingend vorgeschrieben ist, da gibt
es ja die ersten Fälle: Die Zulassung des Medikamentes durch die Behörde ist schon so gegeben,
dass es heißt, das darf nur nach Vortestung gegeben werden mit diesem und jenem Ergebnis.
Dann bezahlt die Krankenkasse das auch. Es gibt daneben einen ganz großen Bereich von Sachen,
die heute möglich sind, die gemacht werden können, die aber in unserem Gesundheitswesen eben
nicht finanziert werden als Regelkassenleistung. Das heißt, private Krankenkassen bezahlen das
vielleicht oder der Patient muss es eben selbst bezahlen und da ist noch ein unheimliches Potenzial
drin, da kann man sehr viel Nützliches machen.“ (D6)
Die Unklarheiten bei der Kostenerstattung von Diagnostiktests, die nicht bereits in den offiziellen
Erstattungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen wurden, werden als Hindernis
bei der Verbreitung des Einsatzes von Test auch in anderen Bereichen gesehen, in denen ein Test
sinnvoll wäre, aber nicht zwingend notwendig. In den Interviews wird deutlich, dass die Diagnos‐
tikunternehmen stark verunsichert sind und teilweise eine Unkenntnis darüber herrscht, was die
Vergütung ihrer Tests angeht bzw. wie die zukünftigen vergütet werden können.
56
Bei der Vergütung beschränken sich die Diagnostikunternehmen nicht allein auf die eigenen Leis‐
tungen. Einige sehen die fehlende Kostenerstattung der ärztlichen Leistungen als ausschlagge‐
bendes Hindernis, so dass die Ärzte keinen Anreiz haben, sich mit neuen Verfahren auseinander‐
zusetzen.
„Dass der Arzt sagt, ich habe Schwierigkeiten hier meine ganzen Kosten zu tragen und ich rechne
durch, wie wenig am Ende des Monats übrig bleibt und die haben logischerweise keine Bereit‐
schaft, sich ein teures System anzuschaffen oder eventuell sich Tests oder Testsysteme anzuschaf‐
fen, die sich nicht rückvergütet bekommen. Das ist immer eine Voraussetzung.(…) Und ob er für
diese Leistung Geld bekommt, also ob es ein sogenanntes Reimbursement gibt oder nicht, ent‐
scheidet die ärztliche Selbstverwaltung, das entscheidet die KBV beziehungsweise der Bewer‐
tungsausschuss. (…) Das dauert in der Regel sehr lange und das ist natürlich eine Barriere. Also
wenn sie keine Abrechnung bekommen aus irgendwelchen Gründen oder wenn das jahrelang
dauert, dann können sie dem Arzt erzählen, wie toll das System ist, und er sagt trotzdem da kriege
ich ja nichts da.“ (D4)
„Für uns ganz problematisch ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Diagnostik nicht bezah‐
len. Die privaten Kassen partiell, da wo der Patient nicht nur den Basistarif gewählt hat. Aus die‐
sem Grund haben alle gesetzlich Versicherten keine Chance, individuell behandelt zu werden. (...)
Denn wenn die Krankenkassen das bezahlen, werden die Ärzte vielleicht auch mehr sich aktuellen
Fragestellungen zuwenden können, wenn sie denn auch wissen, sie bekommen das bezahlt.“ (D9)
Allerdings wird auch angesprochen, dass die Kosten bei geprüften und zugelassenen Medikamen‐
ten, bei denen ein Test vorgeschrieben ist, diese von den Krankenkassen übernommen werden.
5. Regulatorische Rahmenbedingungen
Regulatorische Rahmenbedingungen werden ebenfalls als eine Herausforderung angesehen (D7),
die sowohl Hindernis als auch Treiber sein können, um Veränderungen im Markt zu verhindern
oder aber auch anzustoßen. In den Interviews wird jedoch nur im Allgemeinen auf die regulatori‐
schen Rahmenbedingungen verwiesen. Oftmals wird die Zulassung von Medikamenten und Tests
angesprochen sowie die Gesetzgebung im Gesundheitsbereich. Tendenziell werden hier eher
Hindernisse genannt, die durch fehlende Initiative auf Seiten der Gesetzgebung entstehen. Auf
der anderen Seite werden auch Veränderungen in der jüngsten Zeit thematisiert, die sich als
Treiber für die PM entwickeln.
Die regulatorischen Rahmenbedingungen werden als Treiber wahrgenommen, wenn sie klar ge‐
regelt sind. Einige Interviewte verweisen beim Thema regulatorische Rahmenbedingungen auf
andere Länder wie dortige Zulassungen Auswirkungen auf Deutschland haben. Die Interviewten
sehen die Zulassungen von Medikamenten in anderen Ländern als eine Signalwirkung für eigene
Märkte und sehen darin einen starken Treiber auch für den Wirtschaftsstandort des eigenen Lan‐
des.
57
„[I]n den USA ist es dann noch für Bedeutung und auch für Ärzte in Deutschland, ob das FDA ge‐
prüft wird. Das ist dann noch einmal ein zusätzlicher Qualitätsgarant. Das sind ja sehr viel stren‐
gere Zulassungsvoraussetzungen bei der FDA in den USA als hier in Deutschland für die CE‐
Kennzeichen, aber so haben sie die und können das entsprechend nachweisen und dann können
sie damit auf den Markt gehen.“ (D4)
„Da ist sicherlich die USA, die FDA also die regulatorischen Einheiten… als Hindernis, aber auch als
Treiber. Es gibt momentan gerade einen Entwurf, eine Guideline, wie bestimmte Companion Di‐
agnostik Produkte reguliert werden sollen in den USA.“ (D7)
Die Möglichkeiten eines beschleunigten Zulassungsverfahrens werden ebenfalls als Treiber gese‐
hen. Dies ist zum Teil bei sog. Orphan Drugs der Fall, die für seltene Krankheiten entwickelt wur‐
den. Chancen werde gesehen, wenn die Dauer der Zulassung und Aufnahme eines Medikaments
bzw. eines Tests in die Kostenerstattungskataloge der kassenärztlichen Bundesvereinigung redu‐
ziert werden kann. Dies wird eng mit dem Treiber der Kostenerstattung in Verbindung gebracht.
„(…) Wenn sie das [die Aufnahmen in den Kostenkatalog der kassenärztlichen Vereinigung] möch‐
ten, dann mussten sie in der Vergangenheit sehr, sehr lange warten, also mindestens sieben Jah‐
re, bis mal irgendetwas Neues entschieden wurde. Das heißt, wir haben ganz viele Innovationen
aus dem Bereich der Diagnostik auf den Markt gebracht, für die es keine Abrechnung gab und
heute auch immer noch nicht gibt. Aber man hat jetzt, (…) ein beschleunigtes Verfahren einge‐
führt, wo letztendlich die KBV zusammen mit dem Bewertungsausschuss innerhalb eines Jahres
entscheidet, gibt es eine [Zulassung] für eine neue Innovation oder nicht.“ (D4)
Als Hindernis werden die regulatorischen Rahmenbedingungen wahrgenommen, wenn die Rah‐
menbedingungen keine Anreize schaffen, den wissenschaftlichen/technologischen Fortschritt
oder die eigenen strategischen Ziele zu unterstützen. Im Fall der Diagnostikunternehmen wird
beispielsweise gefordert, dass die Politik stärkeren Einfluss auf die Krankenkassen ausüben soll,
das Thema Diagnostiktests (und deren Vergütung) stärker in den Mittelpunkt zu rücken und somit
die Krankenkassen unter Zugzwang in der Anerkennung von Kostenerstattungen zu setzen (D9).
Ebenso wird die zeitliche Dauer der Zulassung aber insbesondere der Aufnahme in den Koste‐
nerstattungskatalog (EBM) kritisiert. Während die Dauer der Zulassung festgelegt ist, existieren
keine Fristen für die Prüfungen von Anträgen zur Aufnahme in den EBM.
6. Gesellschaftliche Akzeptanz
Einen wesentlichen Anteil am zukünftigen Erfolg/Misserfolg der PM sehen die Diagnostikunter‐
nehmen in der gesellschaftlichen Akzeptanz. Der Ansatz der PM wird dabei nicht unbedingt selber
als neuartig aufgefasst, jedoch sehen einige Interviewte die Diskussion durch diesen geprägten
Begriff als Instrument um Aufmerksamkeit für neuartige Medikamente oder neue Möglichkeiten
durch den Einsatz von Diagnostiktests zu generieren (D4).
58
Allgemein wird konstatiert, dass die Verbreitung der Erkenntnisse und Möglichkeiten der PM in
der Bevölkerung eine entscheidende Rolle spielt, weil jene die Ärzte, Politik und Krankenkassen
unter Handlungsdruck setzen können.
Das Wissen von Patienten über Methoden und Medikamente der PM wird als indirekter Treiber
gesehen, der auf die Akteursgruppe der Ärzte und der Politik einwirkt. Relativ oft wird aus
Diagnostikunternehmenssicht die Rolle informierter Patienten angesprochen, die durch die Inter‐
netnutzung und den darüber möglichen Patientenaustausch immer besser informiert sind, wenn
es um neue Behandlungsmöglichkeiten geht. Allerdings wird der Einfluss von dieser Seite unter‐
schiedlich eingeschätzt.
„Treiber sind natürlich auch die Patienten selbst, die ja heutzutage auch über das Internet gut
informiert sind und dann vielleicht auch sagen: ‚Ich habe gehört, es gibt dieses und jenes. Ich
möchte, dass das bei mir gemacht wird.’“ (D6)
„Ein anderer Treiber ist auch der Endkunde. Das ist ja in der Regel dann der Patient, der sich zu‐
mindest in Teilen heute besser informiert über die zur Verfügung stehenden Medien, nicht zuletzt
auch Social Networks, und daher eine bessere Diagnostik, mehr Sicherheit, was Nebenwirkungen
angeht, einfordern wird.“ (D5)
„Patienten können sich ja mittlerweile auch sehr gut informieren. Das ist ja auch der Proporz der
Mediziner, dass sie es mit Patienten zu tun haben, die sich die Informationen aus Wikipedia holen.
Auf der anderen Seite, ich glaube das betrifft einen kleinen Teil der Patienten. (…). Ich weiß nicht,
ob ein Krebspatient da jetzt erstmal wochenlang Literatur wälzt, um dann mit dem Arzt zu disku‐
tieren, ob er besser dies oder das nimmt. (…) Aber wenn sie wirklich eine onkologische Fragestel‐
lung haben, bei lebensbedrohlichen Erkrankungen, inwieweit man da wirklich als aufgeklärter
Patient in der Lage ist, mit solchen Studienergebnissen auch umzugehen, das ist so die Frage.“
(D3)
Eine Interviewte sprach auch die weitreichende Bedeutung mit dem Wissen und Umgang geneti‐
scher Informationen an. Damit wurde eine veränderte Wahrnehmung des eigenen Körpers the‐
matisiert, welche mit wachsender Anwendung PM eintreten und eine Akzeptanz beschleunigen
könnte.
"Es hat etwas mit der Natur unseres Körpers zu tun, und dass das mehr aus diesem Krankheitssek‐
tor rauskommt und mehr auch zu einer Wahrnehmungsfrage über die eigentliche Existenz findet.
Dass man sich Gedanken über seine Natur macht oder seine Person. Ich glaube, dass die geneti‐
sche Information tatsächlich das Potenzial hat, die Sichtweise auf sich selber, auf sein eigenes
Selbst zu fokussieren." (D2)
Als Hindernisse, die einer gesellschaftliche Akzeptanz im Weg stehen, wird vor allem die indirekte
Informationsvermittlung über die Ärzte und Krankenkassen zum Patienten und Endverbraucher
gesehen. Die Fülle an verschiedenen Stakeholdern mit unterschiedlichen Interessen erschwert
die Kommunikation und die Diffusion des Themas (D6). Die Komplexität des Themas bewirkt, dass
sich nur Fachexperten mit dem Thema auseinandersetzen. So bemängelt ein Interviewpartner die
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fehlende objektive Diskussion, da die Information, die an die Gesellschaft herausgegeben wer‐
den, stark konnotiert sind, was wiederum zu einem Fortschrittspessimismus und damit einherge‐
hender negativen Berichterstattung führen kann (D2). Ein Diagnostik‐Vertreter bemängelte vor
allem die fehlende breite Öffentlichkeitsarbeit der Pharmaunternehmen, die genügend Ressour‐
cen und eigentlich das Interesse daran haben müssten, dass sich die gesellschaftliche Akzeptanz
durch Aufklärung vergrößert.
„Praktisch ist die PM in der Welt da draußen keine Realität. Die medizinischen Stakeholder haben
noch nicht die Opportunität signalisiert. Die Pharma‐Stakeholder schleichen um das Thema seit
mehr als zehn Jahren herum. (…) Manche wissen, wenn sie jetzt ein Produkt zulassen, dann muss
eine besondere Art des Tests gemacht werden. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass die das
amüsiert. Das ist dann halt ein Muss, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass der zur Verfügung
steht, sonst ist unser Produkt unverkäuflich. (…) Das hat etwas damit zu tun, das es noch keine
informierte Öffentlichkeit gibt, die sich das einfach einfordern. (…) wir wollen Aufmerksamkeit und
Attraktion auf unser Portal, damit die Leute sich da schlau machen können und die Dinge für sich
einfordern und sagen: ‚Ich will das haben‘. Aber das ist gegen die Stakeholderstrukturen, das darf
man nicht vergessen.“ (D2)
7. Strategische Festlegung auf PM
Die strategische Festlegung auf den Bereich der PM wird bei den Diagnostikunternehmen, die
tendenziell eher eine kleine bis mittlere Unternehmensgröße aufweisen, mit den sich bietenden
Chancen des Marktes begründet. Viele der Unternehmen sind klein und relativ jung. Ein Teil der
Unternehmen bot ursprünglich Diagnostiktests und –mittel für andere Bereiche an. Die molekula‐
re Diagnostik ist für viele der nächste logische Schritt, der teilweise schon vor längerer Zeit be‐
wusst strategisch gesetzt wurde, um in dem noch relativ kleinen Markt am Wachstum teilhaben
zu können.
„(…) wenn man sich die gesamte Diagnostikwelt anschaut, da ist ja die molekulare Diagnostik nur
ein kleiner Bereich, aber ein stark wachsender Bereich. Und wenn man sich dann den Bereich der
Onkologie ansieht, der ist noch einmal stärker wachsend in dem kleinen Bereich, das heißt, das
sind Bereiche, das ist neu, neu für alle. Das heißt, das ist wie ein Goldrausch, wo man relativ
schnell durch die richtigen Mittel und Wege auch seinen Umsatz generieren kann, beziehungswei‐
se auch eine gewisse Masse erreichen kann. Das ist so ein bisschen die Motivation.“ (D7)
Wiederum andere Unternehmen sind direkt in das Feld der molekularen Diagnostik eingetreten.
Hier ist das Betätigungsfeld nicht gewachsen, sondern von vorn herein Existenzgrundlage gewe‐
sen.
„Gut für uns gibt es da keine Neuausrichtung. Wir sind ein junges Unternehmen, erst 2003 ge‐
gründet und da gibt es einen strategischen Plan, den wir haben. Da hat sich nicht viel verändert.
Letztendlich sind wir eingestiegen in dieses Geschäft auf einer Technologieplattform und einem
Know‐how in 2003, was im Wesentlichen das Thema PM, Stratifizierung im Fokus hat.“ (D5)
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Als Hindernis ist die vorsichtige Haltung der Diagnostikunternehmen zu sehen. Viele Unterneh‐
men rechneten schon vor einigen Jahren mit der Durchsetzung der PM. Anklang und Wachstum
fand aber erst in jüngster Zeit statt, so dass viele Diagnostikunternehmen vorsichtig optimistisch
sind. Die meisten Unternehmen haben mit einer schnelleren Akzeptanz der PM gerechnet. Viele
Diagnostikunternehmen sehen, dass erst Bewegung in die Entwicklung kommt, wenn die Pharma‐
industrie dieses Thema aufgreift.
„Also vor zehn Jahren gab es ja wenig in dem Gebiet. Wir haben eigentlich erwartet, damit hier
einen wesentlichen Teil unseres Geschäftserfolges absichern zu können mit dieser Methode, die
schon auch in einem Labor praktiziert wurde, aus dem wir selber stammen. Das hat sich leider so
nicht bewahrheitet. Es ist schwierig, das in den Markt zu bringen, wie bei allen neuen Sachen. Bei
allen neuen Konzepten ist es sehr schwierig und in der Medizin besonders. Lange Zeit haben wir
das gemacht, aber die Nachfrage danach war eher gering. Dann kam eigentlich der entscheidende
Anstoß gar nicht durch uns, sondern eher von außen. Nämlich genau von den Pharmafirmen, für
die wir auch schon gearbeitet haben, die wir schon kannten aus anderen Geschäftsbeziehungen.“
(D6)
„Praktisch ist die PM in der Welt da draußen keine Realität. Die medizinischen Stakeholder haben
noch nicht die Opportunität signalisiert. Die Pharma‐Stakeholder schleichen um das Thema seit
mehr als zehn Jahren herum. Jetzt, wo die Pipelines langsam austrocknen, sehen sie, dass die Op‐
portunität der weltweiten Vermarktung von Orphans besteht und man öffnet sich dem immer
mehr. (…) Manche wissen, wenn sie jetzt ein Produkt zulassen, dann muss eine besondere Art des
Tests gemacht werden. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass die das amüsiert. Das ist dann halt
ein Muss, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass der zur Verfügung steht, sonst ist unser Pro‐
dukt unverkäuflich. Das heißt, es hat immer noch nicht die Dynamik von den vorhandenen Stake‐
holdern, um hier wirklich Übermorgen realisiert zu werden.“ (D2)
„Im Grunde muss die [Pharmaindustrie] das Interesse haben. Dieses Produkt muss dann von der
Pharmaindustrie zusammen mit ihrem eigenen Produkt quasi vertrieben werden, anders kann das
eigentlich gar nicht gehen.“ (D3)
8. Grenzen der Stratifizierung
Ein weiterer Punkt sind die der Stratifizierung der Patientengruppen. Hier existiert das Dilemma,
dass das individuell auf den Patient zugeschnittene Medikament das beste Verkaufsargument ist,
auf der anderen Seite dennoch Wirksamkeitsstudien größerer Populationen vorgeschrieben sind
und Mengeneffekte der Produktion und des Vertriebs verloren gehen.
Als Treiber wird hier die Fragmentierung des Marktes gesehen, die vor allem den Diagnostikun‐
ternehmen ermöglicht einzelne Nischen zu besetzen. Zwar erscheint ein kleiner Markt für Medi‐
kament bzw. einen dafür notwendigen Test nicht attraktiv zu sein, jedoch besteht die Möglich‐
keit, Marktführer in diesem kleinen Markt zu werden, was wiederum Strahlungskraft für Partner
anderer Bereiche haben kann.
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"Aber wenn sie auf der anderen Seite aber den Status haben, dass sie sagen, sie sind der Einzige,
der das anbieten kann, dann ist 100 Prozent eines kleinen Marktes mehr als zwei Prozent eines
sehr großen Marktes. Das muss man dann immer abwägen." (D3)
"In so einem Netzwerk fällt man dann richtig auf und lernt neue Menschen kennen. Bis hin zu sehr,
sehr großen Quellen aus der Ernährungs‐ und Pharmaindustrie oder auch der Fitnessindustrie und
diese Art der Interaktion, die bringt die Bewegung, die wir im Netzwerk brauchen und das trägt
uns ein Stück. Das hat halt so Effekte, dass sich das dann weiter verbreitet." (D2)
Umgekehrt erwähnt ein Interviewter, dass durch die Stratifizierung teilweise erst die Wirkung bei
Patiententests überhaupt nachgewiesen werden können, die möglicherweise so nie wahrge‐
nommen worden wären.
"Das kommt durch die Geschichte [ein Arzneimittel], wo (...) XY das Medikament und YZ den Test
entwickelt hat, weil damals schon klar war, wenn man nicht die Patienten vorselektiert, dann wird
man auch keinen Benefit feststellen können. Das wäre wahrscheinlich statistisch einfach unterge‐
gangen, wenn man nicht einen Test gehabt hätte, um vorher schon zu sagen, die und die profitie‐
ren höchstwahrscheinlich und das war ja auch eine echte Erfolgsstory und YZ hat ja da auch im‐
mer wieder weitergemacht." (D8)
Dem entgegen steht, dass aus Sicht der Diagnostikunternehmen die Fragmentierung der Märkte
vor allem für Pharmaunternehmen eine Herausforderung darstellt. Die Interviewten der Diagnos‐
tikunternehmen sehen hier das Hindernis, dass die Pharmaunternehmen Schwierigkeiten mit
dem Verständniswechsel vom Blockbustermarkt hin zu einem individualisierten Ansatz haben.
Die in der Regel großen Pharmaunternehmen sind dadurch vorsichtiger in der Abwägung, ob sich
das Arrangement in kleinen Märkten lohnt, während die eher mittleren und kleinen Diagnosti‐
kunternehmen darin ihre Chance sehen. Die interviewten Diagnostikvertreter vermuten bei den
Pharmaunternehmen eine Angst, dass Mengeneffekte nicht erzielt werden können oder dass es
abschreckt, eine ausreichend große Testgruppe an Patienten zu finden.
"Ich kann mir vorstellen, dass es nicht mehr die Riesen Blockbuster geben wird. (...) alles was jetzt
entwickelt wird, ist komplexer und ist mit viel mehr Testungen verbunden. Das wirkt eben nicht
mehr auf alle, sonst hätte man es vielleicht auch schon früher gefunden. Das wird einfach zu
fragmentierteren Businessmodellen führen. Fragmentiert in dem Sinne, dass die Märkte fragmen‐
tierter werden und sie können nicht mehr holzschnittartig mit einem Ansatz über alle Indikationen
brezeln. Die Zeit ist dann definitiv in 20 Jahren vorbei. [D]er Punkt ist nur der, lohnen sich die Auf‐
wendungen. Es gibt ganz viele Punkte, wo PM eigentlich ganz toll wäre. (...) Nur sind die ganzen
Substanzen so preiswert, dass das niemand anfasst, dafür einen Companion Diagnostic Ansatz zu
fahren. Sie müssten noch einmal komplett Arzneimittelstudien machen. Das wird Pharma nicht
angreifen und die Diagnostikindustrie kann das versuchen, aber sie brauchen große klinische Stu‐
dien. (...) Der Aufwand ist da sehr hoch. Es kann sein, dass sich das irgendwie ändert." (D3)
„Wenn man das verinnerlicht hat, dass es über eine Eingangsdiagnostik, die vielleicht nicht ganz
so billig ist, wobei ich hier von Diagnostiksachen von unter 100 Euro spreche, da an der Stelle si‐
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cherlich die Automatenfähigkeit erst im zweiten oder dritten Schritt kommt. Denn sie haben im
Augenblick auch gar nicht genug Probanden, dass sie das automatisieren könnten.“ (D9)
9. Inter‐organisationale Zusammenarbeit
Als weitere Herausforderungen werden die strategischen Reaktionen der Diagnostikunternehmen
auf Marktveränderungen, das Verhalten der Pharmaunternehmen und die Zusammenarbeit zwi‐
schen beiden gesehen. Für Diagnostikunternehmen stellt sich dabei die Frage, wann und wie eine
Kooperation eingegangen bzw. ausgestaltet werden soll. Üblicherweise findet die Kooperation
mit Pharmaunternehmen erst nach der klinischen Phase II statt. Die Diagnostikunternehmen
stimmen hier mit den Aussagen existierender Studien überein, dass eine frühere Partnerschaft in
der Zusammenarbeit erstrebenswert wäre, diese aber zugleich höhere finanzielle Risiken für die
Diagnostikunternehmen aufgrund möglicher Fehlschläge birgt (Marchant, 2009, p. 12).
„Das ist zu spät, wenn erst in den klinischen Phasen die Diagnostik einsetzt, weil wenn bestimmte
Mechanismen nicht bekannt sind, (…) dann entwickle ich in die falsche Richtung. (...) Dazu muss
man im Vorfeld andere Mechanismen kennen, die daran beteiligt sein können.“ (D9)
Ein Interviewter betont spezifisch, dass es für die Pharmaunternehmen fatal sein kann, wenn sich
kurz vor oder bei der Zulassung herausstellt, dass ein Diagnostiktest notwendig ist und dieser
entwickelt werden muss. Der Patentschutz für den entwickelten Wirkstoff würde bereits in der
Zeit laufen, wenn der dazu notwendige Diagnostiktest noch in der Entwicklung wäre (ca. 2 Jahre).
Eine sequenzielle Entwicklung hätte also eklatante Auswirkungen, den Break‐Even frühzeitig zu
erreichen bevor das Patent abläuft (D7).
Ein weiterer Treiber wird dem Verhältnis zwischen Diagnostik‐ und Pharmaunternehmen zuge‐
sprochen. Wie bereits angesprochen wird das gemeinsame Zusammenspiel bei Diffusion der
neuen Behandlungsmöglichkeiten gesehen. Aber vor allem Forschungskooperationen zwischen
beiden Akteuren werden als entscheidend empfunden. Die Bereitschaft bereits in den frühen
Phasen der Entwicklung zu kooperieren seitens der Diagnostikunternehmen ist hoch, da mit der
Kooperation zusammen mit großen Pharmaunternehmen auch eine gewisse Sicherheit, nicht nur
finanziell, sondern auch in Bezug auf die Marktdurchsetzung verbunden wird. Oftmals stehen
strategische Überlegungen seitens der Pharmaunternehmen, sich nicht vorzeitig auf Partner fest‐
zulegen, da am Anfang einer 5‐ bis 10‐jährigen Entwicklungsdauer der Erfolg unkalkulierbar ist
und Fehlschläge in Kauf genommen werden müssen. Die synchrone Entwicklung eines Compani‐
on Diagnostic bietet aber auch Vorteile und kann die Markteinführung verkürzen, wenn Pharma‐
präparat und Diagnostikum zeitgleich auf dem Markt kommen (D5).
„Für unser Unternehmen steht im Vordergrund, die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie zu
intensivieren. Erste, ganz vorsichtige Ansätze haben wir und wir werden selber unsere
Diagnostikpalette auch nicht gravierend verändern, dass wir also Allround‐Diagnostik machen und
uns sozusagen auf den Parcours begeben.“ (D9)
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"[W]ir haben eben immer wieder Kooperationen, natürlich von der Zentrale gesteuert, mit großen
Pharmafirmen. Das unterliegt natürlich immer der Geheimhaltungspflicht. Aber da gibt es mit XY,
mit YZ, mit ZZ Kooperationen. Genau, was wir vorhin schon besprochen haben. Man hat ein Medi‐
kament, von dem man sich verspricht, dass es eben bei bestimmten Krebserkrankungen wirksam
ist, und sucht sich dann einen Partner wie [uns], um einen Test zu entwickeln, um herauszufinden,
bei welcher Patientengruppe wirkt das Medikament. Das sind ja zum Teil auch Entwicklungspro‐
zesse, die parallel laufen zwischen diagnostischen Test und Therapie und Medikament, die sich ja
durchaus fünf bis zehn oder noch mehr Jahre hinziehen können." (D8)
„Und was wir jetzt tun, wir gehen in Richtung Pharma und sagen, wir haben Expertise in der Ent‐
wicklung, Vermarktung und Zulassung von derartigen Tests global gesehen. Wir haben auch die
Plattform und die Technologien dafür. Das heißt, wir gehen also quasi in die Tiefe. Wir gehen
wirklich frühzeitig an die Entwickler und auch an die Leute, die in der Grundlagenforschung arbei‐
ten, und helfen denen mit unseren Technologien und Plattformen, das schon frühzeitig auf diese
Plattform zu bringen.“ (D7)
Auch Kooperationen zwischen Diagnostikunternehmen und akademischen Forschungseinrichtun‐
gen vor allem in der Discovery‐Phase nehmen zu.
„Ich denke, wie im Bereich Pharma, wo zunehmend auch akademische Kollaborationen an Stel‐
lenwert gewinnen, weil man eben einfach sieht, dass man alleine innerhalb einer Firma die Dinge
eben nur zum Teil vorantreiben kann und wirkliche Innovationen dort häufig gar nicht entstehen.
(…) Ich denke, das wird deutlich zunehmen. Aber im Bereich Discovery, in der frühen Forschung,
weniger in der späten Entwicklung.“ (D5)
Die Zusammenarbeit mit Ärzten und Krankenhäusern wird unterschiedlich effektiv eingegangen,
um auch auf neue Entwicklungen hinzuweisen. Hier geht es vor allem darum, Glaubwürdigkeit
und Aufmerksamkeit bei den Behandelnden zu schaffen. Umgekehrt wird der Austausch mit
Medizinernetzwerken auch dazu genutzt, auf neue Fragestellungen von medizinischer Seite ge‐
eignete Tests zu entwickeln. Insgesamt hat der persönliche Kontakt zu verschiedenen Netzwer‐
ken für die Unternehmen eine herausragende Bedeutung.
"(…) Wir leben nicht davon, dass wir die entsprechenden Marketingbudgets haben wie andere
große Player auf dem Markt, sondern wir leben sehr stark von den Beziehungen, die wir haben
auch zu den Meinungsbildnern, zu den Ärzteorganisationen und wir leben auch sehr stark über
den medizinischen und den ökonomischen Nutzen für die Klinik und für die niedergelassenen Ärz‐
te. Sie brauchen die richtigen Argumente und wir brauchen die richtigen Leute und das ist eine
Grundvoraussetzung dafür, um tatsächlich auch im Vertrieb erfolgreich zu sein. (D4)
"Weil wir mit den Kernkompetenzträgern in bestimmten medizinischen Indikationen zusammen‐
arbeiten und die diese Ansätze mit uns sofort diskutieren. Und wir schauen dann, ob sich da ir‐
gendetwas im Bereich Biomarker umsetzen lässt. Das heißt, es kommt durch das medizinische
Netzwerk, was wir haben, werden solche Ideen von vornherein an uns herangetragen." (D3)
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„Dadurch, dass wir ein Unternehmen gekauft haben, aber das war auch einer der Hauptgründe,
das zu kaufen, einfach die Kontakte und die Beziehungen zur Pharma. Wir hatten das schon Jahre
zuvor versucht. Auch auf die gleiche Art und Weise, aber das ist nicht so einfach da ran zukom‐
men. Da muss man die richtigen Leute kennen und das Unternehmen hat die Kontakte gehabt und
hat sie immer noch und die sind Gold wert.“ (D7)
Auf der anderen Seite wird auch der Unterschied angesprochen, ob ein Test die Wirksamkeit ei‐
nes bereits zugelassenen Medikaments überprüfen soll oder ob es um ein neues Medikament
geht, dass von vorn herein bessere Zulassungschancen hat, wenn es einzelne Gruppen anspricht.
Im ersten Fall existieren teilweise auch Kooperationen, die aber nicht öffentlich gemacht werden
dürfen. Denn wenn eine teilweise Unwirksamkeit eines Medikaments bei einer Population nach‐
gewiesen wird, bedeutet dies auch eine Umsatzeinbußen für den Anbieter dieses Arzneimittels
(D4).
"Ich denke zum einen ist es eine Umsatzmaximierung, die unter Umständen erstmals gestört wird,
weil wir erkennen, bei den Patienten, die mit dem Bluthochdruck behandelt werden, die vier oder
fünf verschiedene Mittel nehmen, dass die alle nicht zu einer optimalen Einstellung des Blutdrucks
führen." (D9)
Die oft betonte Abhängigkeit seitens der Diagnostikunternehmen zur Pharmaindustrie zeigt sich
auch darin, dass mögliche Kooperationen als „Zweckehen“ gesehen werden. Man ist aufeinander
angewiesen, aber damit ist keiner wirklich zufrieden.
„Ich glaube für die Pharma ist das eher wichtiger als für uns. Wir sind ja an der Stelle nur die Hel‐
fer.“ (D7)
„Denn wenn ich ein neues Medikament auf den Markt bringe, für das ich vielleicht eine Compani‐
on Diagnostic brauche, dann muss das Diagnostikum mindestens genauso schnell da sein, wie das
Pharmapräparat. (…) Ich muss noch in der Präklinik mit der Entwicklung meines Diagnostikums
beginnen und das in die SOPs und in die Denke der forschenden und entwickelnden Pharmafirmen
reinzubringen, das dauert einfach.“ (D5)
10. Produkt‐ und Marktstrategie
Ein weiterer Einflussfaktor ist die gewählte Produkt‐ und Marktstrategie der Diagnostikunter‐
nehmen. Die Auswertung der Interviews zeigte auf, dass sich die Vorgehensweise der Diagnosti‐
kunternehmen in drei verschiedene Ansätze kategorisiert werden kann. Es gibt es die Möglich‐
keit, dass das Diagnostikum an ein bestimmtes Arzneimittel gebunden wird und im Bündel ver‐
trieben wird. Die der zweite Ansatz sieht ein Diagnostikum vor, dass für mehrere Arzneimittel
nutzbar ist und daher eigenständig gehandelt wird. Der dritte Weg sieht die reine Entwicklung
von Diagnostiktest vor, die dann unter Lizenz an Externe vermarktet werden.
Einige Befragte betrachten ausschließlich die Bündelung des Diagnostikums an ein Arzneimittel
als viel versprechend. Als Chance wird die enge Anbindung an große Pharmaunternehmen gese‐
hen, die gewährleistet, dass mit Zulassung des Arzneimittels automatisch die Vergütung des
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Diagnostiktests gesichert ist. Das Hindernis dieser Option ist der eingeschränkte Handlungsspiel‐
raum und eine fehlende mögliche Skalierung für den Einsatz in andere Gebiete. "Es ist zum Bei‐
spiel so, die Erstattung für dieses Companion Diagnostic Produkt muss am Ende über die Pharma‐
industrie laufen. Im Grunde muss die das Interesse haben. Dieses Produkt muss dann von der
Pharmaindustrie zusammen mit ihrem eigenen Produkt quasi vertrieben werden, anders kann das
eigentlich gar nicht gehen." (D4)
Die zweite Option wird in einer Multitest‐Strategie gesehen, bei der ein Diagnostiktest auf ver‐
schiedene Medikamente anwendbar ist. Eine exklusive Anbindung an ein Pharmaunternehmen
entfällt. Die Chance ist hier, dass auf eine vorhandene Infrastruktur, die einmalig entwickelt wur‐
de, aufgesetzt werden kann und somit eine Skalierbarkeit möglich ist (z.B. bei technischen
Diagnostikgeräten). Diese Strategie wird jedoch als risikoreich eingeschätzt, da das Durchsetzen
einer Plattform bzw. eines Multitests mehr Ressourcen in Anspruch nimmt und zu Lock‐In‐
Effekten sowohl für Hersteller als auch Anbieter führt. "Es ist nicht nur das Diagnostikum als
Chemikalie, als Reagenz, sondern es hat auch damit zu tun, dass derlei Teste halt integriert ver‐
kauft werden. Das heißt, wir reden da von einem System, von einem integrierten System und das
beeinflusst natürlich die Strategie, die davor da war, hinsichtlich der Geräte. Wir haben ein Gerät,
das war nicht vorgesehen für die PM, der war eigentlich für Profiling vorgesehen. Aber dadurch,
dass wir das so machen, versuchen wir, jede einzelne Plattform, die wir haben im Bereich IVBD
darauf quasi unsere Tests zu konsolidieren. (...) Unsere Strategie wird sein, dass wir wie bei der
Kaffeemaschine verschiedene Kaffeesorten anbieten, für die gleiche Kaffeemaschine, man muss
also nicht zwei Kaffeemaschinen haben, sondern nur eine.“ (D7)
Als dritte Option wird die Lizenzierung gesehen. Diagnostikunternehmen konzentrieren sich auf
die Forschung und Entwicklung von Testverfahren und konzentrieren sich sehr stark auf den Aus‐
bau einer Kernkompetenz. Der Vertrieb wird dann beispielsweise über einen Lizenznehmer orga‐
nisiert. Das Risiko besteht hier jedoch in einer mangelnden Kontrolle. Beispielsweise stellt die
Überprüfung und sachgemäße Abrechnung von Verbrauchsmaterialien eine Herausforderung dar.
„Erste, ganz vorsichtige Ansätze haben wir und wir werden selber unsere Diagnostikpalette auch
nicht gravierend verändern, dass wir also Allround‐Diagnostik machen und uns sozusagen auf den
Parcours begeben (…). Wir bereiten uns auch selber darauf vor, dass wir mal in der Lage sind,
Test‐Kits auch woanders hin zu liefern. Das heißt, dass die Diagnostik nicht zwingend bei uns vor
Ort gemacht wird. (...) Mit Franchise, also entweder Auslagerung an einen großen Produzenten
für XY Techniken. Wir sind da im Gespräch mit mehreren, (…) wir wollen später mal selber nicht
produzieren und wir wollen auch keinen Vertrieb organisieren. Weil uns jegliche Erfahrung dafür
fehlt, würden wir mit einem großen Partner zusammengehen und entweder über Patentverkauf
oder über Beteiligung [den Test vermarkten].“ (D9)
11. Verhalten bei Marktwachstum
Ein Einflussfaktor ist die Entwicklung bei Marktwachstum. Hier stehen vor allem Treiber im Vor‐
dergrund, die die Verbreitung der PM verstärken könnten. Auftretende Probleme oder Hindernis‐
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se für die Diagnostikunternehmen entstehen aber auch, wenn dieser Markt wächst und damit
attraktiver für neue Wettbewerber wird.
Eine zunehmende Anzahl an Anwendungsfeldern könnte die Nachfrage nach Diagnostiktests stei‐
gen lassen. Studien und Interviewte sind sich einig, dass die Diagnostiktests der PM größtenteils
in der Onkologie angewendet und sind dort am weitesten fortgeschritten (GBI Research, 2010, p.
1). Das Potenzial Diagnostiktests auch in anderen Bereichen (z.B. psychiatrischen Erkrankungen
oder in der Nahrungsmittelindustrie) anzuwenden, wird sowohl in der Sekundärliteratur als auch
in der Befragung erwähnt (Marchant, 2009, p. 15) (D2; D7).
"Wir hatten jetzt auch wieder eine Anfrage von einem Pharmaunternehmen, die ich dann nach
[Heimatland] weitergegeben habe, wo es eben auch darum ging, es sind ja nicht immer unbedingt
nur neue Methoden, manchmal sind es auch einfach andere Anwendungsbereiche für schon be‐
stehende Methoden, wo man dann sagt, okay, den Test gibt es zwar dafür, aber der Test hat sich
jetzt eben rausgestellt, ist auch für einen anderen Bereich gut." (D8)
Weniger stark angesprochen wird allerdings die Nutzung in Anwendungsbereichen, bei denen
diese Test schon Anwendung finden, aber noch weitere Möglichkeiten bestehen, z.B. bei der
Feststellung, wie der individuelle Körper Medikamenten abbaut. Der Vorstoß oder der Ausbau
neuer Felder kann Grundlage sein, das Thema PM breiter aufzustellen. Die wichtigste Ressource
hierfür wird bei Mitarbeitern gesehen, die solche Möglichkeit oder Zusammenhänge erkennen.
„Ich denke relevante Ressource ist Entrepreneurship. Sie müssen in Märkte vordringen, an die sie
vorher nicht gedacht haben. Sie müssen irgendwo reingehen, sonst werden sie nichts ganz Neues
entwickeln. (…) Man kann sagen, die Trüffelschweine sind eigentlich gute Mitarbeiter, die gut ver‐
netzt sind, die solche Opportunitäten prüfen und denen auch nachgehen.“ (D3)
Während Studien die steigende Attraktivität erfolgreicher Diagnostikunternehmen als Treiber
sehen (Deloitte, 2009, p. 20), wird in den Interviews eine Übernahme durch ein Pharmaunter‐
nehmen oder durch ein anderes Diagnostikunternehmen allerdings auch als Gefahr einer feindli‐
chen Übernahme verstanden, mit der bei wachsendem Markt gerechnet werden muss (D5).
Nachteil bei steigender Attraktivität des Marktes wird der Einstieg neuer Wettbewerber sein. Vor
allem im Diagnostikbereich könnten Großlabore, die sich auf standardisierte Methoden speziali‐
siert haben, den Markt betreten und zu einer Konsolidierungswelle führen (D6). Allerdings sehen
hier die Interviewten eine Hürde durch die hohe Komplexität gegeben.
„Na die großen Labore haben auch Geld. Die Eintrittsbarriere ist, dass man bestimmte Geräte
braucht und dass die Methoden aber noch sehr manuell sind. Also nicht mit einem Riesenroboter,
wie klinische Chemie Zucker und Blut oder so etwas da schnell abgearbeitet werden können und
dass viele Leistungen auch eine bestimmte fachärztliche Kompetenz brauchen. Also gerade im
Mutations‐ und im Tumorbereich braucht man einen Pathologen. Das ist eben so eine Hürde. Es
gibt nicht so viele Pathologen irgendwie. Da ist so eine gewisse Kanalisierung gegeben.“ (D9)
67
4.4 Akteure Markt – Kunden
Der Markt für PM ist durch eine komplexe Kundenstruktur gekennzeichnet, da die Kaufentschei‐
dung, Anwendung und Kostenerstattung in der Regel durch verschiedene Akteure erfolgt (vgl.
Mueller und Kamprath 2011, 7). Zudem sind die Kunden für Arzneimittel nur zum Teil identisch
mit denen für Diagnostika. In diesem Kapitel werden zuerst die Beziehungen der Akteure kurz
beschrieben. Anschließend werden für die wichtigsten Akteursgruppen die Einflussfaktoren in
Bezug auf die Umsetzung der PM – Therapieformen bei denen die Auswahl und die Dosierung des
Medikaments anhand neuer Diagnostika bestimmt werden sowie Therapien deren Verlauf mit
Diagnostika kontrolliert wird – sowie die jeweiligen Chancen und Risiken erklärt.
4.4.1 Markt – Einleitung
Darstellung 9: Akteure des Markts
Quelle: Eigene Darstellung
Die wichtigsten Akteure im Markt der PM sind die Anbieter der Gesundheitsdienstleistungen wie
Ärzte, Kliniken, Labore, die Patienten selbst und die Krankenkassen als Kostenerstatter. Die Kauf‐
entscheidung treffen zumeist Ärzte, Kliniken und Pathologiezentren. Die Anwendung findet am
Patienten durch den Arzt statt, in Kliniken teilweise durch andere Ärzte als diejenigen, die die
Kaufentscheidung treffen. Der Test wird vom behandelnden Arzt in Auftrag gegeben und in Labo‐
ren, in der Pathologie oder bei niedergelassenen Pathologen durchgeführt. Dort wird auch häufig
die Entscheidung getroffen, ob in Apparaturen und Mittel zur Durchführung bestimmter Tests
investiert werden sollte. So werden die Tandems zwar letztendlich für Patienten entwickelt, al‐
lerdings sind die direkten Kunden der Arzneimittel die behandelnden Ärzte und der Diagnostika
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häufig die Pathologen, die wiederum kaum mit den Patienten im direkten Kontakt stehen. Be‐
sonders Unikliniken mit einer hohen Affinität zu Forschung und Privatkliniken mit einer wettbe‐
werbsbedingen Notwendigkeit zur Verbesserung ihrer Therapien und Arbeitsprozesse sind dieje‐
nigen unter den Kaufentscheidern, die am ehesten neue Testverfahren etablieren wie einer der
Befragten erklärte (D6). Wobei der behandelnde Arzt oder zumindest der Patient über die Mög‐
lichkeit der Diagnostika informiert sein muss, um den Test überhaupt anzufragen. Gleichzeitig
beraten Ärzte Patienten über Therapieverfahren und Arzneimittel. In Fachgesellschaften organi‐
siert, treffen Ärzte auch Entscheidungen bezüglich der Erneuerung von Therapierichtlinien, Best‐
Practice Ansätzen und stellen auch Krankenkassen Informationen zur Verfügung. Somit fungieren
die Ärzte, nicht nur als Übermittler von Informationen für Patienten, sondern auch für Kranken‐
kassen und Gesetzgeber.
Die Rolle des Patienten, für den die Leistung erbracht wird, ist nicht passiv, obwohl sie nur wenige
Mitspracherechte bei der Kaufentscheidung und Kostenerstattung haben. Sie können sich infor‐
mieren, sich mit anderen Patienten über Netzwerke, Verbände und andere Plattformen austau‐
schen, Ärzte gezielt um bestimmte Therapien bitten und bei ihren Krankenkassen nachfragen, ob
die Kosten für diese übernommen werden. Durch die Wahlfreiheit bei der Krankenversicherung
können sie diese zusätzlich unter Druck setzen.
Die Vergütungsmöglichkeiten wiederum werden vom GBA und den gesetzlichen und privaten
Krankenkassen geregelt. Die Kostenerstattung dieser Leistungserbringung erfolgt ebenso durch
die Krankenkassen. Die privaten Krankenkassen haben einen größeren Handlungsspielraum und
erstatten z.T. mehr Diagnostiktests als die gesetzlichen. Nur in Einzelfällen decken Patienten in
Deutschland durch private Ausgaben die Kosten für Arzneimittel und Diagnostika, wenn diese
noch nicht im Katalog ihrer Krankenkassen aufgenommen sind (siehe Darstellung 10). Die Kran‐
kenkassen informieren ihre Versicherten in der Regel auch aktiv über Zusatzleistungen, die sie
abrechnen, um die Kundenbindung zu erhöhen. Gleichzeitig üben sie Einfluss auf den GBA und
Politik aus, wenn es um die Erstattungssätze und Erstattungsmöglichkeiten neuer Therapien geht.
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Darstellung 10: Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträgern, in Millionen Euro und Anteile in Prozent, 20062
Quelle: Statistisches Bundesamt: www.destatis.de, Statistisches Jahrbuch 2008 in Bundeszentrale für politische Bil‐
dung, 2011, S. 1
Wie oben gezeigt wird die Nachfrage von verschiedenen Akteuren gesteuert und Unternehmen
sprechen nicht nur eine Kundengruppe an, sondern müssen an unterschiedliche heran treten.
Dieses erfordert für jede Akteursgruppe, ob Arzt, Patient oder Krankenkasse, unterschiedliche
Strategien und Kanäle, um über ihre Innovationen aufzuklären. Ebenso muss der Nutzen der In‐
novationen einer Vielzahl an Kundengruppen mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen und Inte‐
ressen gerecht werden.
4.4.2 Markt – Einflussfaktoren
Im Folgenden werden für die oben genannten Akteure die internen und externen Einflussfakto‐
ren, die zur Umsetzung der Konzepte aus der PM relevant sind, beschrieben.
2 Der Anteil der Ausgaben privater Haushalte bezieht sich überwiegend auf Pflege, nicht auf Arzneimittel sowie auf die Kostenerstattung von Nicht‐Versicherten durch Vereine und Stiftungen
70
Tabelle 6: Einflussfaktoren Markt
Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
Markt – Leistungserbringer (behandelnde Ärzte, Pathologen, Krankenpflege, Labor, Kliniken)
1 Ausbildung ‐ Hohe Ärztedichte
‐ Hoher Ausbildungsstandard
‐ Aktualisierung von Curricula
‐ Fehlende Expertise
‐ Keine Pflicht zur Weiterbildung im Bereich PM
2 Wissenschaftlicher Fort‐schritt
‐ Bedarf an genaueren Diagnosen und abgestimmten Therapien statt Trail‐and‐error‐Verfahren
‐ Interesse an besseren Heilverfah‐ren
‐ Fehlende Standards und Richtlinien
‐ Zu hohe Erwartungen
‐ Angst vor Fehlentscheidungen
3 Therapiepraxis
a) Steigende Komplexität
b) Steigende Informati‐onsmenge
a)
‐ Ständige Verbesserung der Thera‐pierichtlinien
‐ Veränderter Status der Pathologen
b)
‐ Neue Informationsverarbeitungs‐systeme
‐ Elektronische Gesundheitskarte
a)
‐ Standardisierte Praktiken als Ein‐trittsbarriere
‐ Neue Form der Diagnoseerstellung
b)
‐ Interoperabilität der Gesundheits‐informationssysteme
‐ Datenschutzbedenken
4 Kostendruck ‐ Einsparpotenzial durch gezieltere und frühzeitige Therapien
‐ Notwendigkeit, Patienten möglichst effizient zu behandeln
‐ Fokus auf Einsparung anstatt über‐greifendes Kostenmanagement
‐ Anreiz zu „kreativem“ Kostenma‐nagement
5 Organisation in Fachge‐sellschaften
‐ Zentrale Ansprechpartner zur Ver‐mittlung neuer Therapiekonzepte
‐Mögliche Barriere aufgrund ge‐wachsener Struktur
Markt – Patienten
6 Wissens‐ und Bildungs‐stand
‐ Aktivere Rolle bei Gesundheitspla‐nung aufgrund besserer verfügbarer Informationen
‐ Direkte Nachfrage bei Ärzten und Krankenkassen
‐ Soziale Netzwerke
‐ Patientenverbänden
‐ Überforderung
‐ Überhöhte Erwartungen durch Fehlinformationen
‐ Non‐Compliance aufgrund von Fehlinformationen
‐ Unabhängigkeit und Qualität der Informationskanäle oft undeutlich
7 Erwartungen an das Gesundheitssystem
‐ Verlangen nach besseren Therapien
‐ Erhöhte Lebensqualität durch Selbstmanagement
‐ Steigende Investitionen in präven‐tive Maßnahmen
‐ Angst vor Kostenanstieg des Gesundheitssystems
‐ In Deutschland noch wenig Investi‐tionen in gesundheitserhaltende Maßnahmen
8 Patienten‐Compliance ‐ Genauere Diagnosen und damit erhöhte Wahrscheinlichkeit der Compliance
‐ Kein Interesse an Therapie, wenn Symptome sich noch nicht zeigen
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Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
Markt – Kostenerstattung (Krankenkassen)
9 Kostendruck ‐ Einsparpotenziale durch PM da Verhinderung chronischer Krankhei‐ten und erhöhte Patienten‐Compliance
‐ Geringe Wirkungsrate von Arznei‐mitteln
‐ Kostensenkung durch PM nicht möglich aufgrund hoher FuE‐Kosten und kleinerer Stratifizierung
‐ Unklar, was die Gesellschaft bereit ist über den Solidarvertrag an Kosten zu übernehmen
10 Vergütungsmodelle ‐ Hohes Interesse geeignete Vergü‐tungsmodelle von Diagnostika zu entwickeln
‐ Unterstützung der Einführung von neuen Produkten durch Klarheit bei Vergütung
‐ Fehlende Richtlinien und Konzepte,um Kosten trotz steigender Diagnos‐tikaufwendungen gering zu halten
‐ Fehlende Vorteile von Diagnostika mit Fehlerrate
‐ Fokus auf kurzfristiger Kostenpla‐nung
11 Wettbewerbsvorteil ‐ Kundengewinnung und –bindung durch Anbieten der Erstattung neuer Therapien
‐ Zögerung, bevor Diagnosen be‐währt sind, diese zusätzlich zu er‐statten
1. Ausbildung
Im Verhältnis zu anderen Ländern haben Ärzte in Deutschland einen hohen Ausbildungsstand und
eine verhältnismäßig hohe Entlohnung. Wie die Studienzahlen der Medizinstudiengänge zeigen,
ist der Arztberuf immer noch attraktiv. Auch wenn immer wieder auf Ärztemangel in bestimmten
Fachgebieten und Regionen hingewiesen wird, so ist die Ärztedichte pro Kopf und auch die Zahl
der Fachärzte in Deutschland im internationalen Vergleich hoch. Zugleich kann ein stetiges
Wachstum an Ärzten verzeichnet werden (siehe Darstellung 11). Auch bei den Krankenhausbet‐
ten lag Deutschland im Jahr 2009 mit 3,6 Betten pro 1000 Einwohner leicht über dem OECD‐
Durchschnitt. Gleichzeitig wirken sich hohe Ausbildungsstandards und dass die Pharmakogenetik
und –genomik sowie andere molekularbiologische Felder in Bezug auf Krankheitszusammenhän‐
ge zunehmend Eingang in die Curricula finden, positiv auf die Einführung der PM aus. Auch in den
USA bieten die führenden Medizinschulen bereits eine medizinische Bildung in dieser Richtung
an, um auch in Zukunft über ausreichend qualifizierte Fachkräfte zu verfügen (Ernst & Young
2009, S.3).
72
Darstellung 11: Ärztedichte (Ärzte pro 1000 Einwohner) in Deutschland, USA, UK, Japan und Indien
Quelle: Eigene Darstellung nach OECD‐ und WHO‐Daten von 2009
Zu den Barrieren zählt das fehlende Wissen der Ärzte. Die Integration von genetisch bedingten
Therapieresponsivitäten in die Ausbildung ist erst seit einigen Jahren üblich. So erklärte einer der
Befragten, dass in den USA nur etwa 16 % der praktizierenden Ärzte und nur etwa 42 % der aktu‐
ellen Medizinstudenten nach bzw. während des Studiums genombiologische Kenntnisse in ihrer
Ausbildung vermittelt bekommen (MU1). Besonders älteren Ärzten fehlen häufig die Kenntnisse,
wie einer der Befragten am Beispiel der Pathologen verdeutlicht: „Es gibt aber auch einen Teilbe‐
reich, die haben damit wenig Kontakt gehabt, die können das auch nicht machen und die machen
das auch nicht. Das sind in der Regel ältere Pathologen.“ (V6)
Da zwar in Deutschland eine Pflicht zur Weiterbildung, nicht aber unbedingt in diesem Bereich
besteht, nimmt auch nur ein Teil der Ärzte diese in Anspruch: „Es gibt viele Ärzte innerhalb der
Republik, die kaum zu Weiterbildungen gehen. Die werden zwar mittlerweile dazu verpflichtet,
weil sie bestimmte Punkte an Weiterbildung sammeln müssen. Aber einige machen das ernsthaft
und andere nicht.“ (A8)
Zudem wird beanstandet, dass während der Ausbildung von Medizinern keine Thematisierung
stattfindet, was Krankheit eigentlich ist und wie krank werden verhindert werden kann (UF1). So
sind Früherkennung und präventive Maßnahmen noch immer nicht fester Bestandteil der Lehr‐
pläne. Zwar fokussieren sich bestimmte Ausbildungsberufe in der Pflege auf gesundheitserhal‐
tende Maßnahmen, die Grenzen zwischen krank und gesund sind jedoch fließend und werden
durch die Wissenschaft immer neu definiert. Eine konkretere Debatte könnte hier zu der Dring‐
lichkeit, Früherkennungsmethoden aus dem Bereich der PM einzusetzen, beitragen.
Dadurch erklärt sich auch das Problem der fehlenden Expertise im Bereich der PM, welches be‐
sonders bei älteren Ärzten häufig beanstandet wird und im schlimmsten Fall dazu führt, dass Pa‐
73
tienten bestimmte Therapien vorenthalten werden (z.B. MU1). Ein Interviewter fasst die Proble‐
matik des fehlenden Wissens bei Ärzten wie folgt zusammen: „(…) um ein Beispiel zu nennen, es
ist empörend, dass vielen Menschen, denen das zusteht und die teilweise selber sich die Informa‐
tionen aus den neuen Medien beschaffen, dass denen von ihren behandelnden Ärzten das verwei‐
gert wird, diese Untersuchungen zu machen, weil die Wissensqualität der ärztlichen Kollegen nicht
unbedingt die ist, wie es im internationalen Ausland der Fall ist.“ (D2)
2. Wissenschaftlicher Fortschritt
Als große Chance, die Einführung der PM bei den Anwendern im Markt voran zu bringen, werden
die neuen Erkenntnisse aus der Wissenschaft eingestuft. Die Medizin entwickelt sich immer wei‐
ter zu einem Verständnis, dass bei einer Krankheit nicht nur eine Ursache bekämpft werden soll‐
te, sondern möglichst ein Wirkungsnetzwerk durchbrochen werden muss. Je weiter fortgeschrit‐
ten der Verlauf der Krankheit ist, umso komplexer sind die molekularen Wirkzusammenhänge
und umso schwieriger wird es, dieses Netzwerk der Wirkmechanismen zu durchbrechen (UF2).
Daher ist es notwendig, dass Diagnostika möglichst frühe Krankheitsstadien identifizieren und
mehrere Faktoren gleichzeitig erfassen können. Bei Arzneimitteln sind Kombinationen erforder‐
lich, die ein Netzwerk von Ursachen und nicht eine einzelne Ursache bekämpfen. Entsprechend
fordern Ärzte von der Industrie neue Lösungsansätze. Genau hier scheint die PM als ein beson‐
ders geeignetes Konzept zu höheren Therapieerfolgen zu führen.
Die PM hat das Potenzial, durch bessere Therapien befriedigendere Ergebnisse für Ärzte zu er‐
bringen (Jain 2011a, 379). Ärzte haben ein generelles Interesse an der Steigerung der Lebensqua‐
lität, Erhöhung der Lebenserwartung und kontinuierlichen Verbesserung der Therapien für Pati‐
enten. Sie wollen keine Trial‐and‐Error‐Prozesse und One‐Size‐Fits‐All Präparate mehr, sondern
klarere Diagnosen und spezifische Therapeutika (MU1). Dieses begründet sich zum einen durch
die Tätigkeitsinhalte an sich und zum anderen durch den drohenden Imageverlust, wenn sie nicht
neue wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Behandlungen mit einfließen lassen, die sich als er‐
folgsversprechender bewährt haben. Zudem ist der Arztberuf dadurch gekennzeichnet, dass The‐
rapierichtlinien kontinuierlich verbessert werden und Ärzte in der Pflicht stehen, sich entspre‐
chend darüber zu informieren. Einer der Befragten erklärt dieses Interesse unter dem Begriff des
medizinischen Bedarfs wie folgt:
„Also Treiber ist immer Medical Need – der Bedarf – und da sehe ich ein riesiges Potenzial durch
den Einsatz von Diagnostika, die Arzneimittel viel zielgerichteter anwenden und verordnen zu
können. Da sehe ich ein riesiges therapeutisches Potenzial. Ich glaube, dass Ärzte und Patienten
da natürlich immer einen großen Druck ausüben werden, in die Richtung, dass neue Entwicklun‐
gen kommen sollten und da eben auch insbesondere bei den schweren Indikationen natürlich,
denen man nicht wirklich beikommt. Das ist eben in der Onkologie der Fall. Es ist wichtig, dass
man in der Onkologie bei neuen Präparaten oftmals die Verlängerung der Lebensdauer von Wo‐
chen oder wenigen Monaten spricht. Da werden der Bedarf und die Nachfrage nach neuen Ansät‐
zen nicht zurückgehen.“ (V5)
74
Gleichzeitig gilt als Treiber, dass gängige Präparate teilweise eine geringe Wirkung aufweisen, zu
hohe Nebenwirkungen haben und bei manchen Patienten sogar gar nicht wirken:
„Wenn Sie quer gucken über verschiedene Therapieklassen hinweg ist die durchschnittliche Res‐
ponse auf ein Medikament, wenn Sie das klassisch einsetzen, bei 50 Prozent. Zwischen 30 und 70
bis 80 Prozent. Es gibt wenige Produkte, die eine höhere Response Rate haben und das ist einfach
ineffizient. Das heißt, der Kostenträger ist nicht mehr bereit, das zu tragen. Gerade auch, was
neue Medikamente angeht, die häufig nur Schrittinnovationen sind, vermeintliche kleinere Vortei‐
le bringen. Die Kostenträger werden zunehmend Wert darauf legen, dass unter gesundheitsöko‐
nomischen Aspekten eine neue Therapie auch etwas bringt.“ D5
„(…) wie es jetzt oftmals ist, dass 60 Prozent oder 50 Prozent der Patienten zwar behandelt wer‐
den, aber die Therapie nicht anschlägt. Die also falsch behandelt werden oder Nebenwirkungen
auftreten oder auch einfach nichts passiert. Oder, was noch schlimmer ist, Nebenwirkungen auf‐
treten, ohne dass etwas passiert.“ (V4)
Zu den Chancen zählen außerdem, dass Krankheiten, die bisher nicht behandelbar sind, heilbar
oder zumindest besser therapierbar werden (A7). Zudem kann ein besseres Monitoring des The‐
rapieverlaufs mit PM ermöglicht werden: (…) wenn man in der Behandlung ist, gibt es Biomarker
oder Marker generell, an denen ich sehen kann, die Behandlung schlägt an oder die schlägt nicht
an.“ (V4)
Für die Umsetzung der PM bedeutet das, dass zum einen Ärzte ihren Ruf erhalten wollen und
daher auch gewillt sind, neue Therapiezusammenhänge zu lernen und neue Produkte anzuwen‐
den und zum anderen ein Bedarf an kurzen, effektiven Therapien besteht, welches als Argument
für die Verwendung bestimmter Tandems und reiner Diagnostika spricht. Eines der befragten
Diagnostikunternehmen (D2) erklärte, dass besonders Ärzte die Fälle erlebten, in denen Patien‐
ten starben deren Krankheiten mit bestimmten Tests präziser hätten diagnostiziert werden und
die somit besser hätten behandelt werden können, eine hohe Bereitschaft zeigen, sich über neue
Diagnostikmöglichkeiten zu informieren und diese auch anzuwenden. Als Folge der neuen Er‐
kenntnisse und Möglichkeiten werden Therapierichtlinien ständig aktualisiert und verbessert
(Jain 2011a, 379). Gleichzeitig verweist der Anstieg an Off‐Label‐Use (MU1) darauf, dass Ärzte
wirklich gewillt sind, bessere Therapiemöglichkeiten zu finden und neben den gängigen Therapie‐
richtlinien erfolgsversprechende Therapien zu praktizieren.
Zu den Hindernissen und Barrieren des wissenschaftlichen Fortschritts zählen vor allem fehlende
Standards und Richtlinien, ab wann z.B. Effekte von spezifischen Diagnostika bei kleinen Patien‐
tenkohorten als bewiesen gelten (siehe auch Einflussfaktoren Wissenschaft – 2. Neuartigkeit des
Forschungsfelds). Zudem können zu hohe Erwartungen problematisch werden. Nach der ersten
Euphorie in den Bereichen der DNA‐Sequenzierung und der Biotechnologie wich diese einer Wel‐
le der Enttäuschungen. Dadurch wird es nicht nur schwieriger für Unternehmen, Investoren zu
finden, sondern auch für Ärzte, sich für neue Therapien zu begeistern (MU1).
Die Angst vor Reputationsverlust kann ebenso als Eintrittsbarriere wirken bei der Adaption neuer
Therapien. Ärzte wenden eher Altbekanntes an, bevor das Neue in der Praxis nicht deutlich be‐
75
wiesen ist. So sind auch Rule‐Out‐Tests nicht populär, da ein Restrisiko falscher Ergebnisse bleibt
und als Vorsichtmaßnahme weiterhin allen Patienten das Arzneimittel verschrieben wird (D10).
Diese Barriere wird auch im Einflussfaktor Markt – 3. Therapiepraxis weiter ausgeführt. Das Fazit
eines Befragten war, dass es ganz auf den Arzt ankommt, ob er als Treiber oder Barriere wirkt
(V4). Wobei von den meisten hervorgehoben wurde, dass der wissenschaftliche Fortschritt spezi‐
ell für die Ärzte eher als Chance zur Umsetzung der PM wirkt. Als Grundvoraussetzung gilt dabei,
dass die nötigen Mittel und Kenntnisse vorhanden sind, um die neuen Therapien auch umzuset‐
zen: „Ärzte und Krankenhäuser müssen den Test durchführen können.“ (V1). Neben den Mitteln
und Kenntnissen spielt jedoch auch die Therapiepraxis eine Rolle.
3. Therapiepraxis
Die Therapiepraxis ist im Zusammenhang mit der PM durch steigende Komplexität, Veränderung
der Therapiepraxis und einem stetigen Anstieg der Informationsmenge gekennzeichnet. Dieses
birgt einige Chancen, bringt jedoch auch Barrieren und Risiken mit sich.
Neue Arzneimittel und Diagnostika finden relativ schnelle Verbreitung, wenn sie in die Therapie‐
leitlinien aufgenommen werden. Der Nutzen muss eindeutig nachgewiesen sein, möglichst durch
Publikationen in einschlägigen Fachzeitschriften. Allerdings, wie schon im vorherigen Einflussfak‐
tor wissenschaftlicher Fortschritt beschrieben, bestehen noch keine allgemeingültigen Standards,
wie die Wirksamkeit und Effizienz von Diagnostika nachgewiesen werden kann, besonders wenn
es sich um kleinere Patientenkohorten handelt. Dadurch wird den Unternehmen zwar die Freiheit
gegeben, individuell, je nach Produkt Nachweismodelle zu entwickeln, jedoch fehlen den Exper‐
ten für Therapieleitlinien klare Richtlinien, ab wann ein Effekt wirklich als erwiesen gilt und auf‐
genommen werden sollte. Von Vorteil erweist sich daher die Studienkonzeption und ‐
durchführung im Dialog oder in enger Zusammenarbeit mit Ärzten. Beispielsweise werden Patho‐
logen über die Deutsche Gesellschaft für Pathologie in Ringversuchen eingebunden: „(…) wir ar‐
beiten jetzt mit der deutschen Gesellschaft für Pathologie zusammen, um diesen Ringversuch zu
etablieren.“ (A2). Zudem sind die Richtlinien von Land zu Land unterschiedlich und in vielen Län‐
dern spielen bei der Diskussion, ob neue Verfahren aufgenommen werden sollen, auch die The‐
rapiekosten eine Rolle. Durch die unterschiedlichen Therapierichtlinien in einzelnen Ländern kann
es im günstigen Fall zu Spill Over Effekten kommen.
Standardisierte Praktiken könnten jedoch auch eine Eintrittsbarriere darstellen (UF2). Zum einen
besteht einen Eintrittsbarriere, in die Therapierichtlinien aufgenommen zu werden. Unterneh‐
men müssen ihre Arzneimittel und Diagnostika in den Fachkreisen bekannt machen. Laut einem
Befragten ist es immer noch eine weit verbreitete Praktik, dass Ärzte versuchen, eine Ursache zu
identifizieren deren Behandlung am erfolgversprechendsten ist, anstatt das Wirknetzwerk als
Ganzes zu bekämpfen (UF1). Auch sind Ärzte nicht immer auf dem neusten Kenntnisstand: „Ich
gehe davon aus, dass sich Ärzte an die Zulassung beim Einsatz eines Arzneimittels halten. Nur
sieht man halt, das ist nicht immer der Fall.“ (V1)
76
Zudem werden die Therapieentscheidung und die Beobachtung des Therapieverlaufs durch Diag‐
nostika im Prozess und in den Befugnissen verändert. Die neuen Diagnoseprozesse sind, wenn die
Pathologen mit einbezogen werden müssen, deutlich länger und komplexer:
„Ein X‐ologe hat bisher nicht vorher sein Labor gefragt, wie das Profil dieses Patienten aussieht. Es
muss eine ganz andere Form von Interaktion stattfinden, um eine entsprechende Behandlungs‐
phase aufzuzeigen. (…) die relevanten Biomarker müssen eben getestet werden und von daher
denke ich schon, dass da noch ein größerer Bedarf an Testung notwendig sein wird, um letztend‐
lich das Profil zu identifizieren, dass für eine bestimmte Behandlung infrage kommen wird.“ (A3)
Die Verantwortung wird verschoben, von den behandelnden Ärzten hin zu einer höheren Bedeu‐
tung der Pathologen (MU1). Die PM erfordert zudem eine engere Zusammenarbeit mit Patholo‐
gen und klinischen Laboren, eine neue Art der kooperativen Diagnoseerstellung wie sie vorher
nur in wenigen Bereichen wie beispielsweise für Hautkrebs üblich war. Da der Pathologe keinen
direkten Kontakt zum Patienten hat und der behandelnde Arzt weiterhin die entscheidende Kon‐
taktperson zu dem Patienten ist, erfordert es einen erhöhten Vertrauensvorschuss von dessen
Seite, um einen Teil der Diagnose an den Pathologen abzugeben. Dieser Umstellungsprozess kann
sich hinziehen und somit ebenfalls hinderlich sein.
Gleichzeitig stellen die steigenden Informationsmengen aufgrund der eingeschränkten Informa‐
tionsverarbeitungskapazität ein Problem dar:
„(…) die Ärzte können gar nicht mehr alles wissen, die sind unter einem Wissenstsunami fast be‐
graben. Das ist keine generelle Kritik an irgendjemand, das ist auch nachvollziehbar, aber da‐
durch, dass wir in den Vereinigen Staaten ein ganz anderes Schadenersatzsystem haben, ist es
hier im Wesentlichen egal, ob ein Arzt tatsächlich aktiv verhindert, dass eine Frau eine Brust‐
krebsdiagnose bekommt. In den USA kostet das viele Millionen Dollar, wenn das auch nur um ein
paar Monate verzögert wird. Hier ist es egal. Und genauso betrifft das Anwendungen der
Pharmakogenetik, weil das noch einmal eine andere Komplexität hat, ist naturgemäß noch viel
weniger durchgedrungen, weil es komplizierter ist, einen komplizierten Wissenshintergrund hat.“
(D2)
Die steigende Informationsmenge soll durch die Einbeziehung und Verwendung neuer Informa‐
tionsverarbeitungssysteme für Therapieentscheidungen gemeistert werden (UF2). Mit der Ein‐
führung der elektronischen Krankenkarte in Deutschland wird zudem eine Infrastruktur geschaf‐
fen, die auch als Chance für den Austausch von Profilen genutzt werden könnte. In den USA ist es
die Einführung der elektronischen Krankenakten, die eine ähnliche Infrastruktur und Vorteile ver‐
spricht (Jain 2011a, 372).
Diese Infrastrukturen könnten dazu beitragen, dass Daten aus unterschiedlichsten Quellen zu‐
sammengeführt werden können, deren Interoperabilität noch nicht gegeben ist. Zudem bean‐
standet einer der befragten Qualitätsprobleme bei Komprimierung und Übertragung von Daten,
Datenschutzaspekte und das Problem, das gängige Server nicht für die Übertragung großer Da‐
tenmengen ausgelegt ist (UF2).
77
4. Kostendruck
Der Kostendruck des Gesundheitssystems wird auch auf die Ärzte umgelegt, was eine Chance für
die PM, gleichzeitig aber eine Barriere darstellt. Insgesamt ist durch den demographischen Wan‐
del nicht mit einer Verringerung der Kosten zu rechnen. Aktuelle Reformen von Gesundheitssys‐
temen gehen in der Regel nicht mit Kostensenkungen, sondern mit weiterem Anstieg der Ge‐
samtausgaben einher, wie beispielsweise die in den USA im Jahr 2011 initiierte Reform (MU1).
Zusätzlich sind die Gesundheitssysteme vieler Industriestaaten dadurch gekennzeichnet, dass ca.
20 % der Bevölkerung 80 % der Kosten generieren. Je älter ein Mensch, umso mehr Krankheiten
treten auf und je fortgeschrittener eine Krankheit ist, umso teurer und schwieriger wird die Be‐
handlung (UF1). Entsprechend wird versucht, die allgemeine Gesundheit möglichst lang zu erhal‐
ten und Krankheiten in möglichst frühen Stadien aufzudecken und zu behandeln. Nur wenige
Länder wie beispielsweise England führen bisher eine klare Kostendebatte, um festzulegen wie
teuer ein paar zusätzliche Wochen und Monate an lebenserhaltenden Therapien sein dürfen
(MU1).
Zu den Chancen und Treibern des Kostendrucks zählt der erhöhte Bedarf an schnellen, effektiven
Behandlungen, welcher durch den Einspardruck erzeugt wird: „Man muss nicht lange nachden‐
ken, es reicht eine Übersicht und man sieht, wohin das ganze Geld geht. Es sind knapp 170 Milli‐
arden Euro aus dem GKV‐Topf, die im Moment jedes Jahr ausgegeben werden und es wird noch
sehr viel mehr Geld benötigen, um in Zukunft die alternde Gesellschaft dann entsprechend zu be‐
handeln. Und es ist ganz klar, dass auch die politische Entwicklung mehr in die Richtung Präventi‐
on und frühzeitige Diagnose und Therapie abzielen muss, um dann entsprechend Kosten einzuspa‐
ren.“ (D4)
In den Kliniken müssen die Liegezeiten besonders auf den teuren Intensivstationen verkürzt wer‐
den (D4) und allgemein streben Ärzte die Vermeidung von Fehltherapien an (UF1). Zudem wird
ein großes Einsparpotenzial durch frühe Diagnosen und Behandlung gesehen, bevor Krankheiten
chronisch werden, da anstatt die richtige Therapie nach dem Trial‐and‐Error‐Verfahren auszu‐
wählen, welche unter Umständen teure Fehltherapien beinhalten können, Diagnostika einen ge‐
zielteren Einsatz von Arzneimitteln ermöglichen (UF1; Jain 2011a, 379).
Gleichzeitig kann der Einsparungsdruck allerdings auch dazu führen, dass Ärzte „kreativer“ wer‐
den bei der Abrechnung ihrer Tätigkeiten und Diagnostikunternehmen unter Umständen nicht
vergütet werden. Dieses kann insbesondere zu einem Problem werden, wenn die Leistungsvergü‐
tung für Diagnostika unklar ist (UF2). Der Fokus auf Einsparungen kann einer übergreifenden Kos‐
tenverbesserung im Weg stehen. Da nur auf kurzfristige Einsparpotenziale geschaut wird, anstatt
auf langfristige Maßnahmen wie auf die Einführung bestimmter Diagnostika, welche mit Investi‐
tionen verbunden sind, um kostenintensive Therapien nur noch bei Patienten durchzuführen, bei
denen sie auch wirken:
„(…) der Arzt sagt, ich habe Schwierigkeiten hier meine ganzen Kosten zu tragen und ich rechne
durch, wie wenig am Ende des Monats übrig bleibt und die haben logischerweise keine Bereit‐
78
schaft, sich ein teures System anzuschaffen oder eventuell sich Tests oder Testsysteme anzuschaf‐
fen, die sich nicht rückvergütet bekommen.“ (D4)
Die Sorgfaltspflicht bei gleichzeitigem Einsparungs‐ und Zeitdruck kann dazu führen, dass Ärzte,
um sich abzusichern, eher auf Altbekanntes zurückgreifen (siehe dazu auch Einflussfaktor 3. The‐
rapiepraxis). Diagnosen, die durch zusätzliche Tests mehr Zeit in Anspruch nehmen, werden un‐
gern zum Portfolio hinzugefügt. Die Zeit für Weiterbildungen und zusätzliche Informationsauf‐
nahme ist stark begrenzt. Erhöhte Kosten kommen auch durch Investitionen in Interpretations‐
tools zustande (D10). All dieses kann den Einsatz neuer Arzneimittel‐Diagnostika Kombinationen
verzögern, auch wenn diese nachweislich bessere Wirkung zeigen als bestehende Lösungen.
5. Organisation in Fachgesellschaften
Die Organisation von Ärzten in Fachgesellschaften dient u.a. zum wissenschaftlichen Austausch
über neue Therapiemöglichkeiten. Sie bietet den großen Vorteil, dass sie als zentrale Ansprech‐
partner dienen, um neue Therapiekonzepte zu erklären und bekannt zu machen (D4). Gleichzeitig
fördern sie den Austausch zwischen Ärzten über neue Therapieverfahren. Oft beginnen Ärzte mit
dem Einsatz bestimmter Diagnostika: „(…) Ärzte, die aus irgendwelchen Gründen schon einmal
damit in Berührung gekommen sind oder Neurologen, die jetzt diese spezielle Kenntnis in der Dys‐
tonie haben, sind manchmal an neurologischen Fachzentren oder jüngere Kollegen, denen die
Neurogenetik nicht fremd ist und die das aus einem bestimmten persönlichen Interesse verfolgt
haben.“ (D2).
Die positiven Erfahrungen teilen sie dann in den Fachgremien, auf Kongressen und Tagungen an‐
deren Fachkollegen mit. Daher ist es notwendig: „(…) immer weitere Studien und dann auch
Interventionsstudien entsprechend durchführen zu lassen, wo man dann anschließend auch wirk‐
lich nachweisen kann, dass das funktioniert. Das ist die Grundvoraussetzung, sonst können wir
natürlich die medizinischen Fachgesellschaften überhaupt nicht überzeugen. Dann letztendlich
auch die ersten Meinungsbildner oder die Medical Community, so nennen wir das, gerne auch zu
überzeugen mit dem entsprechenden Datenmaterial sozusagen das auch einzusetzen und letzt‐
endlich sind das dann auch Leute, die so mit uns gemeinsam dann auch diesen Weg ebnen und
darüber natürlich auch schreiben oder auf entsprechenden Veranstaltungen sprechen, dass es
diese neuen Möglichkeiten gibt.“ (D4)
Diese zusätzlichen Anwendungsstudien werden auch zunehmend mit Pathologen durchgeführt,
um so direkt neue Methoden zu verbreiten: „(Die Unternehmen) legen dann große internationale
Studien auf, um die Dinge zu testen und dann haben sie ein Studienergebnis und dann geht es
darum, das sozusagen aus der Werkstatt in die Praxis zu überführen und das ist vielleicht etwas
neu, dass große Firmen sich plötzlich an die Pathologen wenden, um von denen sozusagen, weil
sie natürlich wissen, dass das nicht geht, aber dass wir dann eventuell noch eine zu ergänzende
Studie oder sogar Konzepte entwickeln, um das in die praktische Anwendung zu überführen.“ (V6)
79
Als mögliche Barriere gelten die gewachsenen Strukturen der Fachgesellschaften. In vielen sind
bestimmte Personen leitgebend für neue Themen und für jüngere Kollegen die u.U. eine aktuelle‐
re Ausbildung genossen haben, verzögert sich die Möglichkeit, ihr Wissen einzubringen. Dieses
mögliche Hindernis ist jedoch im Vergleich zu dem Vorteil des Einflussfaktors als gering einzustu‐
fen.
Neben den oben genannten Einflussfaktoren, die für die Ärzte aufgeführt wurden, können auch
bei Patienten Chancen und Barrieren zur Umsetzung der PM verortet werden. Zwar ist ihr Einfluss
nicht direkt wie der der Ärzte, da sie weder Kaufentscheidungen treffen noch Therapien selber
zahlen, trotzdem können sie die Ärzte, Krankenkassen und Politik beeinflussen.
6. Wissens‐ und Bildungsstand
Der Einflussfaktor Wissens‐ und Bildungsstand ist eine eindeutige Chance für die PM. Patienten,
die laut einem Befragten früher eine eher passive Rolle bei der Behandlung von Krankheiten ein‐
nahmen, sind heute aktive Beteiligte am Erhalt ihrer Gesundheit (MU1). Sie sind besser als früher
informiert über Diagnose‐ und Therapiemöglichkeiten, können entsprechend ihre Symptome
besser erklären und fragen ihre Ärzte nach bestimmten Therapien: "Der Wissenszuwachs nimmt
ja zu. Man hat das Internet, jeder Patient kann auch nachschauen, was es gibt" (V4). Laut einem
Befragten wird es zum Selbstläufer, wenn Wirkung überzeugend ist und dadurch in der Presse
und im Internet durch andere über das entsprechende Produkt berichtet wird (A3). Durch den
Austausch mit anderen Patienten über Therapieformen und Krankheitsverläufe in sozialen Netz‐
werken und Plattformen (MU1) und Informationen über organisierte Patientenverbände können
sie zu einer Informationsquelle für Ärzte werden: „Ein anderer Treiber ist auch der Endkunde. Das
ist ja in der Regel dann der Patient, der sich zumindest in Teilen heute besser informiert über die
zur Verfügung stehenden Medien, nicht zuletzt auch Social Networks, und daher eine bessere Di‐
agnostik, mehr Sicherheit, was Nebenwirkungen angeht, einfordern wird.“ (D5)
Patienten fragen zudem aktiv nach: Laut einer Umfrage wünschen dreiviertel der Patienten bes‐
sere Informationen über ihre Krankheit (Jain 2011a, 376). Patienten fragen auch direkt bei Kran‐
kenkassen nach, um bestimmte Diagnostika bezahlt zu bekommen (D2). Entsprechend werden
Tandems und Diagnostika, die das Potenzial einer präziseren Diagnose und gezielteren Therapie
beinhalten, eher nachgefragt und zum Einsatz kommen.
Zu den möglichen Barrieren zählt die Überforderung mit Informationen, insbesondere wenn es
um die Interpretation von Risikowahrscheinlichkeiten und der Wahrscheinlichkeit von falsch‐
positiven Testergebnissen geht. Auch eine überzogene Erwartungshaltung kann zu Enttäuschung
und Abwehrhaltung führen. Durch Fehlinformationen kann Non‐Compliance befördert werden.
All diese Barrieren basieren auf mangelndem Wissensstand der Patienten und oft fehlender Un‐
abhängigkeit und unbestimmter Qualität der Informationsmaterialen und –plattformen.
80
7. Erwartungen an das Gesundheitssystem
Der höhere Wissens‐ und Bildungsstand sowie die aktivere Rolle und Eigenverantwortung im in‐
dividuellen Gesundheitserhalt führt auch zu höheren Erwartungen an das Gesundheitssystem.
Dieses birgt vor allem Chancen und Treiber in sich.
Der PM wird das Potenzial zugesprochen, durch bessere und gezieltere Therapien zu höheren
Lebenserwartungen und Einsparungspotenzialen zu führen (Jain 2011a, 379). Patienten fordern
bessere Therapien mit weniger Nebenwirkungen, besonders bei schweren Krankheiten: „Ich
glaube, dass Ärzte und Patienten da natürlich immer einen großen Druck ausüben werden, in die
Richtung, dass neue Entwicklungen kommen sollten und da eben auch insbesondere bei den
schweren Indikationen natürlich, denen man nicht wirklich beikommt. Es ist wichtig, dass man in
der Onkologie bei neuen Präparaten oftmals (über) die Verlängerung der Lebensdauer von Wo‐
chen oder wenigen Monaten spricht. Da werden der Bedarf und die Nachfrage nach neuen Ansät‐
zen nicht zurückgehen.“ (V5)
Zudem können neue Diagnostika auch bei chronischen Krankheiten Therapien ermöglichen, bei
denen Patienten sich nicht ständig in Kliniken und in Arztpraxen untersuchen lassen müssen: „(…)
die Studie zeigt auch, dass die Patienten im (…)‐selbstmanagement viel zufriedener mit ihrem The‐
rapieverlauf sind, da ihnen das auch mehr Sicherheit und Selbstständigkeit und eine viel höhere
Lebensqualität bietet. Sie können mit dem Gerät zum Beispiel auch einmal in den Urlaub fahren.
Das sind so banale Dinge, die macht man sich nicht klar, wenn man so eine chronische Erkrankung
hat. Das gibt wahnsinnig viel Lebensqualität.“ (D4)
Als mögliche Barriere ist vor allem die Angst vor dem Kostenanstieg des Gesundheitssystems bei
Patienten zu nennen. Viele sind nicht bereit, auch nur für sich persönlich hohe Kosten zu tragen:
„(…) eine sehr große Hürde ist immer, wie wird es erstattet. Also solange – PM ist ja sehr schön –
aber wenn dann die Patienten selbst zahlen müssen, dann sagen doch viele, Nein. Erstens, das
Geld habe ich gar nicht. Es geht einfach nicht, selbst wenn ich wollte. Andere sagen: Nein ich will
auch nicht und wenn das nicht in die Erstattung reingeht, wenn nicht die Krankenkassen sagen:
wir nehmen es mit auf in den Katalog.“ (V4).
Außerdem sind in Deutschland Investitionen in gesundheitserhaltende Maßnahmen noch wenig
verbreitet (D2). Entsprechend wird es schwierig, selbst wenn bestimmte Krankheiten schon vor
dem Auftreten von Symptomen festgestellt werden können, die Untersuchungen zur Diagnose
durchzuführen, da Patienten in der Regel erst zum Arzt gehen, wenn sie Beeinträchtigungen spü‐
ren.
8. Patienten‐Compliance
Bessere Therapien werden häufig in Zusammenhang mit erhöhter Patienten‐Compliance ge‐
bracht. Wenn Krankheiten und Therapiemöglichkeiten konkreter bestimmt werden können, so
halten sich Patienten auch eher an die vorgeschriebenen Maßnahmen wie Medikamentenein‐
nahme, Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung etc.:
81
„(…)wenn die die Möglichkeit haben, zu Hause mit einem kleinen Testsystem ihren X‐Wert regel‐
mäßig zu testen und zu schauen, wie es ihnen tatsächlich geht und wie der Stand der Dinge ist,
kann man unter anderem mit einem solchen Tool verhindern, dass Patienten regelmäßig wieder in
die Klinik eingewiesen werden. Man kann auch die Compliance erhöhen, dass sie also die Medi‐
kamente, die sie einnehmen müssen, einnehmen und ein dritter wichtiger Faktor, dass auch die
Compliance insgesamt, (…) Gewichtsreduktion ist beispielsweise ein Thema, Blutdruck, also all
diese Dinge, das sind ja Gesamtkonzepte und in dem Rahmen könnte eben auch ein X‐Test
optimalerweise den Patienten zu Hause helfen und den Menschen, der dann am Telefon ist oder
der Telemedizin die Information automatisch jeden Tag übermittelt bekommen, ein Gesamtbild
geben, wie geht es dem Patienten. Man kann den optimalen Zeitpunkt festsetzen, wann der Pati‐
ent tatsächlich noch einmal in die Klinik eingewiesen werden muss.“ (D4)
Auf der anderen Seite wird, wie bei dem Einflussfaktor 7. Erwartung an das Gesundheitssystem
schon aufgeführt, bei fehlenden Symptomen auch die Compliance schwierig (D14). Wenn Patien‐
ten sich nicht durch Symptome beeinträchtigt fühlen, werden sie weniger daran erinnert, auch
etwas für die Herstellung ihrer Gesundheit zu tun.
Betrachtet man die drei Einflussfaktoren der Patienten, so kann insgesamt festgestellt werden,
dass die Treiber und Chancen überwiegen. Für die Krankenkassen, die im Wesentlichen für die
Erstattung der Kosten zuständig sind, gelten jedoch auch deutliche Barrieren, wie im Folgenden
ausgeführt wird.
9. Kostendruck
Der steigende Kostendruck durch den demographischen Wandel und der Zunahme von chroni‐
schen Krankheiten, der oben für die Erbringer von Gesundheitsleistungen thematisiert wurde,
stellt auch einen wesentlichen Einflussfaktor für die Krankenkassen dar. Besonders die geringe
Wirkungsrate von vielen Arzneimitteln, die trotzdem verschrieben werden, stellt einen hohen
Kostenfaktor dar, der eingespart werden könnte: „Der eine Treiber (…) ist die Ineffizienz im
Gesundheitswesen. Wenn Sie quer gucken über verschiedene Therapieklassen hinweg ist die
durchschnittliche Response auf ein Medikament, wenn Sie das klassisch einsetzen, bei 50 Prozent.
Zwischen 30 und 70 bis 80 Prozent. Es gibt wenige Produkte, die eine höhere Response Rate haben
und das ist einfach ineffizient. Das heißt, der Kostenträger ist nicht mehr bereit, das zu tragen.“
(D5)
Entsprechend werden Kostenträger, wenn durch Diagnostika die Patientengruppen ermittelt
werden können, bei denen Arzneimittel wirksam sind, die Kosten für andere Patienten nicht
mehr übernehmen: „Die Therapiekosten sind sehr hoch. Wenn es dann die Möglichkeiten gibt, die
Patientengruppen zu bestimmen, die auch einen Nutzen davon haben, sind auch die Kostenträger
dazu geneigt, entsprechende Therapiekosten zu tragen, als wenn das so wie bislang gemacht
wurde.“ (A8)
82
Ein hohes Einsparungspotenzial wird der PM auch durch die Verhinderung chronischer Krankhei‐
ten durch frühere Diagnosen und Behandlungen zugesagt (UF1; Jain 2011a, 379). Gleichzeitig
ergeben sich Einsparungsmöglichkeiten durch erhöhte Patienten‐Compliance aufgrund von bes‐
seren Therapien (Jain 2011a, 379).
Demgegenüber führen andere der Befragten an, dass die PM zwar das Potenzial hat die Gesund‐
heitsversorgung zu verbessern, nicht aber gleichzeitig die Kosten zu senken, denn die FuE‐Kosten
für Arzneimittel und Diagnostika müssen auf irgendeine Weise getragen werden. Zudem werden
diese Kosten nicht weniger, wenn gleichzeitig Diagnostika entwickelt werden: „Die Forschungs‐
und Entwicklungskosten müssen in irgendeiner Art und Weise getragen werden, die werden ja
nicht niedriger. Im besten Fall bleiben sie gleich oder sie steigen sogar noch an. Diagnostik muss
betrieben werden, es muss praktisch ein zweites Produkt, ein Diagnostikum entwickelt werden.
Und nachher muss es umgelegt werden oder wir wollen entsprechend natürlich unser Ergebnis
generieren und das dann bei weniger Patienten. Also daraus dann zu schlussfolgern, die Behand‐
lung wird billiger, das ist nicht. Die wird effektiver, weil ich die ganzen Nebenwirkungen vermeide.
Wenn ich sage volkswirtschaftlich vermeide ich Nebenwirkungen, das ist auch mit Kosten verbun‐
den, kann es insgesamt effizienter werden.“ (A8)
Auch stehen Krankenkassen unter dem Druck von Seiten der Politik und der Gesellschaft, die Ge‐
samtausgaben möglichst gering zu halten: „Die Krankenkassen tendieren dazu, möglichst billig,
möglichst für alle. Wobei sie natürlich nach Gesetz verpflichtet sind, den Kassenpatienten die adä‐
quate Therapie zukommen zu lassen. Die sind da auch zwischen Baum und Borke. Natürlich sollen
die Leistungen weiterhin finanzierbar sein, aber die Patienten wollen natürlich auch das Beste
bekommen.“ (V3)
Zudem wird zwar eine Kosten‐Nutzen Bewertung bei Neuzulassungen durchgeführt und Arznei‐
mittel müssen gegenüber bestehenden Präparaten einen Mehrwert bringen, doch eine Debatte,
wie viel lebensverlängernde Maßnahmen für Menschen bzw. Altersgruppen kosten dürfen, wird
in Deutschland nicht geführt. Die folgenden zwei beispielhaften Aussagen demonstrieren die
Problematik:
„Da gibt es Länder, die sehen das (die PM) auch schon deutlich mit einem Risiko behaftet in finan‐
zieller Hinsicht, aufgrund der Kosten, denn das kostet viel Geld. In England machen sie zum Bei‐
spiel bei einem 50‐jährigen bestimmte Behandlungen nicht mehr, weil sich das nicht mehr lohnt.“
(D7)
„Das ist die Frage, die Diskussion dazu in der Gesellschaft, was sind wir bereit, für eine bessere
Therapie von Erkrankungen auszugeben. Und unter welchen Voraussetzungen macht es auch wei‐
terhin noch Sinn, neue Wirkstoffe zu entwickeln.“ (A3)
Auch wird die gesamte Kostenbetrachtung noch nicht in ihrer gesamten Komplexität durchdacht:
„Da haben wir noch nicht wirklich einen konkreten Weg gefunden, diese Folgekosten, die dann
auch sektorenübergreifend sein können, also Krankenhauskosten, Krankheitstage von Arbeitneh‐
mern in Deutschland, wenn man diese Einsparungen noch mit reinnehmen könnte in die Betrach‐
83
tung, dann wäre es tatsächlich eine echte Kosten‐Nutzen‐Bewertung. In die Richtung kommt man,
aber die wird eben nicht ganz gegangen.“ (V5)
10. Vergütungsmodelle
Der Kostendruck ist eng mit dem Einflussfaktor Vergütungsmodelle verknüpft. Es müssen passen‐
de Modelle entwickelt werden, die zu den Therapiepraktiken der Ärzte und Pathologen, aber
auch zu den Diagnostikunternehmen und Pharmaunternehmen passen. Besonders bei der Viel‐
zahl der Diagnostika stellt dieses eine große Herausforderung dar.
Als Chance zur Lösung betonte einer der Befragten, dass Krankenkassen ein hohes Interesse da‐
ran haben, herauszufinden wie Diagnostika im Gegensatz zu Arzneimitteln und anderen Thera‐
pieprozessen reguliert und vergütet werden können (D11). Gleichzeitig wird den Krankenkassen
eine Mittlerfunktion zur Implementierung von neuen Therapierichtlinien zugesprochen: Kranken‐
kassen können als aktiver Treiber wirken, indem sie mit Vergütungsmodellen die Einführung von
nachweisbar effizienteren Therapien unterstützen (UF3).
Demgegenüber stehen als Barriere, dass Krankenkassen oft das Fehlen von eindeutigen Vorteilen
von Diagnostika beklagen, besonders wenn die Fehlerwahrscheinlichkeiten der Tests hoch sind
(UF3). Zudem wurden laut einem Befragten Krankenkassen von der Ärzteschaft in der Vergan‐
genheit massiv angegangen, als sie versuchten, Einflussnahme bezüglich der Therapien auszu‐
üben (UF1). Wie auch schon bei den Ärzten sind die Nachweise und fehlende Standards, ab wann
ein Effekt deutlich genug bewiesen ist, ein Problem. Solange die Vergütung jedoch nicht geregelt
ist, werden Ärzte die Produkte kaum anwenden: „Bei solchen Sachen (Diagnostik und Therapie)
muss er (der Arzt) vorher versuchen, die Fragen (der Kostenübernahme) zu klären und wenn es
sich nicht klären lässt, dann macht er in der Regel die Untersuchung nicht, es sei denn, es ist so ein
großes Institut, die sagen, das machen wir in der Pilotphase, da untersuchen wir die ersten 50
Fälle und dann gucken wir mal.“ (V6)
Auch fehlen Ideen, um Kosten trotz steigender Diagnostikaufwendungen gering zu halten. Dazu
kommt, dass Krankenkassen eher kurzfristig und ausgabenorientiert sind. Ihnen fehlen langfristi‐
ge Planungen und sektorübergreifende Analysen, um Einsparungspotenziale über längere Zeit‐
räume zu ermitteln:
„Das sind aus meiner Sicht Barrieren, weil die Krankenkassen kaum perspektivisch denken können.
Das ist meine Erfahrung aus dem Arbeitsalltag, dass die stets ausgabenorientiert denken und
auch so denken müssen, das ist völlig klar, aber mit einem relativ kurzfristigen Horizont. Es wird
nach meiner Erfahrung bei Krankenkassen kaum darüber diskutiert, wenn ich diese oder jene
Maßnahme oder Option jetzt bezahle, die neu ist und hochpreisig ist, könnte ich in drei, vier oder
fünf Jahren Einsparungen erzielen für meine Versicherten. Das ist so nicht gegeben. Weil sie rein
ausgabenorientiert sind und die Ausgaben schlagen sich eben direkt nieder auf den Beitragssatz.
Das eben nicht erst in einigen Jahren, sondern direkt und jetzt.“ (V5)
84
„Das Denken bei den Krankenkassen ist sehr sektoral bezogen und bisher gibt es noch nicht wirk‐
lich dieses übergreifende Konzept, dass man sich anguckt, was kostet das Arzneimittel, was spart
es aber gleichzeitig im Krankenhausbereich, was spart es in der Rentenversicherung. Diese öko‐
nomischen Betrachtungen sind noch nicht verbreitet, das wird noch nicht gemacht und das ist
auch ein Riesenproblem. Aber wie gesagt, man kann es so schlecht evaluieren.“ (V2)
11. Wettbewerbsvorteile
Krankenkassen stehen in Deutschland unter Wettbewerbsdruck, da ihnen durch höhere Mitglie‐
derzahlen entsprechend mehr Mittel zum Wirtschaften zur Verfügung stehen. Neue Anwendun‐
gen und Diagnosen in den Leistungskatalog mit aufzunehmen, kann so zu einem Wettbewerbs‐
vorteil werden, um Kunden zu binden: „Es ist denkbar, dass Versicherungen sehr schnell darauf
reagieren, weil das natürlich auch ein wettbewerbsrelevanter Faktor sein kann. Wir hatten in den
letzten Wochen auch Anrufe von einzelnen Versicherungen, deren Kunden angefragt hatten, ob
sie das nicht übernehmen und die klopfen das jetzt darauf ab, inwieweit man da ein Pilotprojekt
starten kann. Das kann man sich ja auch denken, dass es für eine Versicherung günstiger ist, so
eine Analyse zu bezahlen, als die Effekte das Wissen nicht zu haben.“ (D2)
Demgegenüber zögern Krankenkassen, neue Diagnostika zu erstatten. Bevor Diagnosen wirklich
bewährt sind, werden sie nicht mit aufgenommen. Besonders wenn Tests nur empfohlen und
nicht verpflichtend sind, suchen Krankenkassen eine Balance, ab wann sie die zusätzlichen Kosten
tragen müssen.
85
4.5 Akteure Politik und regulatorischen Rahmenbedingungen
In diesem Kapitel werden zuerst die Akteure aus dem Bereich der Politik und regulatorischen
Rahmenbedingungen beschrieben. Anschließend werden für die wichtigsten Akteursgruppen die
Einflussfaktoren in Bezug auf die Umsetzung der PM sowie die jeweiligen Chancen und Risiken
dargestellt.
4.5.1 Politik und regulatorischen Rahmenbedingungen – Einleitung
Auch der Bereich der Politik bildet einen der entscheidenden Bereiche für die Gesamtentwicklung
der PM. Hier werden durch die Gesetzgebung Rahmenbedingungen rund um die Einführung und
Durchführung von personalisierten Leistungen für alle beteiligten Akteure festgelegt. Die nationa‐
len wie europäischen Akteure auf diesem Gebiet legen damit den Grundstein für alle im Zusam‐
menhang mit der PM relevanten Rechtsbereiche, die von der Zulassung der Produkte über die
Erstattung dieser im Gesundheitssystem bis zu Einzelfragen des Rechtes der Ärzteschaft und des
Datenschutzes bzw. Selbstbestimmungsrechts der Patienten reichen. Vollzogen und überwacht
werden diese Rahmenbedingungen von einer Vielzahl anderer Akteure. Grundlegende Bedeutung
für den Bereich der PM haben hier die schon angesprochenen für die Einführung und das
Inverkehrbringen Verantwortlichen, die über die Zulassung von Arzneimittel und Meldepflichten
sowie das Konformitätsbewertungsverfahren von Medizinprodukten entscheiden. Diese Ent‐
scheidungen betreffen die erste von den Unternehmen zu treffende Hürde bei der Verbreitung
ihrer Produkte und soll gleichzeitig die Verbraucher schützen, womit sie erkennbar einen grund‐
legenden Einflussfaktor für ein Gelingen oder Nichtgelingen der Einführung von Leistungen und
Produkten der PM darstellen. Wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Medizin hat für alle
Akteure stets die Finanzierung der PM und hiermit wesentlich die Erstattungsfähigkeit von perso‐
nalisierten Leistungen im System der Krankenversicherung. So war dies einer der Hauptpunkte,
die als Barrieren bei der Einführung der PM sowohl von Diagnostik‐ wie von Pharmaunternehmen
und Verbänden genannt wurden.
Die Übersicht soll die aus Sicht der PM wichtigsten Akteure der rechtlichen und regulatorischen
Bedingungen in Deutschland darstellen. Zur besseren Übersicht wurden sie grob in vier Haupt‐
gruppen – je nach Tätigkeitsfeld ‐ unterteilt. Hierzu gehört zunächst einmal die Gruppe der an der
Gesetzgebung im weiteren Sinn Beteiligten (a.). Außerdem sind die für die Zulassung von Arznei‐
mitteln (b.) und auch für die Prüfung von Medizinprodukten und IvD (c.) auf nationaler und inter‐
nationaler Ebene verantwortlichen Institutionen in jeweils einzelnen Gruppen zusammengefasst.
Eine weitere Gruppe stellt die an der Erstattung von Gesundheitsleistungen im Rahmen der PM
Beteiligten dar. Es ist jedoch hervorzuheben, dass die Übersicht nicht abschließend ist und sich
außerdem eine Vielzahl an Überschneidungen der Aufgabenbereiche der einzelnen Akteure
ergibt.
86
Darstellung 12: Akteure der Politik und regulatorischen Rahmenbedingungen
Quelle: Eigene Darstellung
a. Akteure ‐ Gesetzgebung
Grundlagen für alle regulatorischen Rahmenbedingungen legen insbesondere die an der Gesetz‐
gebung im weiteren Sinne beteiligten Akteure. An dieser Stelle sollen unter den Gesetzesbegriff
auch nationale Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften sowie auf europäischer Ebene
erlassene Verordnungen, Richtlinien und Leitlinien fallen. Auf der für das Gesundheitssystem
vorwiegend relevanten Bundesebene zählen zu den gesetzgebenden Akteuren Bundestag und
Bundesrat, die Bundesregierung und der Bundespräsident.3 Wichtige, das Gesundheitssystem
und speziell die PM betreffende Gesetze sind beispielsweise das Arzneimittel‐, das Medizinpro‐
dukte‐ und das Gendiagnostikgesetz. Entwürfe dieser das Gesundheitssystem betreffenden Ge‐
setze werden erarbeitet und initiiert durch das Bundesministerium für Gesundheit(BMG). Dem
BMG kommt darüber hinaus die Aufgabe zu, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften
zu erstellen und andere Institutionen der Gesundheitssystems (u.a. BfArM, GBA, GKV‐
Spitzenverband, KBV) zu beaufsichtigen.4 Ziel der Arbeit des BMG ist dabei stets die Verbesserung
des Gesundheitssystems, der Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung, Gesund‐
heitsschutz und Krankheitsbekämpfung sowie Information der Bürger im Rahmen einer umfas‐
3Ausführlich dargestellt in „Beschreibung Das Ministerium in der Gesetzgebung“, http://www.bmg.bund.de/ministerium/aufgaben‐und‐organisation/das‐ministerium‐in‐der‐gesetzgebung.html. 4S. Schaubild des BMG „Das Gesundheitssystem“, http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Publikationen/Ministerium/Plakat/101123_RZ_bmg_systemspiel_a2_vorderseite.pdf.
87
senden Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung.5 Auf europäischer Ebene werden Verordnungen
und Richtlinien grundsätzlich auf Vorschlag der Europäischen Kommission durch das europäische
Parlament oder den Rat der Europäischen Union erlassen.6 Zu dem für den Arzneimittel‐ und
Diagnostika und damit für die PM relevanten Bereich gehören exemplarisch die VO (EG) Nr.
726/2004 zur Festlegung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Genehmigung und Überwachung
von Arzneimitteln oder die im Medizinproduktegesetz umgesetzte IvD‐Richtlinie 98/79/EG. Auf
den europäischen bzw. den deutschen Gesetzgebungsprozess Einfluss zu nehmen, ist – unter Be‐
achtung der jeweiligen Interessen der Mitglieder ‐ das Interesse unterschiedlicher Verbände.
Hierzu gehören auf der einen Seite Pharmaverbände wie BPI, VfA, BAH etc. und auf der anderen
Seite die Patientenverbände. Die Geltendmachung der Interessen und Rechte von Patientinnen
und Patienten ist außerdem über den Patientenbeauftragten der Bundesregierung möglich, dem
zusätzlich die Aufgabe der Akkreditierung von Patientenverbänden obliegt.7
b. Akteure ‐ Zulassung von Arzneimitteln
Ein nächstes Tätigkeitsfeld der in der PM an regulatorischen Rahmenbedingungen beteiligten
Akteure ist das der Zulassung von Arzneimitteln und parallel das der Konformitätsbewertung und
teilweise auch Validierung bzw. Qualifikation von Biomarkern. Für die Zulassung von Arzneimittel
auf nationaler Ebene zuständig ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM). Auf europäischer Ebene erteilt die Europäische Kommission die zentrale Zulassung. Dies
geschieht nach Beurteilung und Empfehlung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA).
c. Akteure ‐ Bewertung von Medizinprodukten
Auch die Prüfung der Diagnostika als Medizinprodukte übernimmt das BfArM. So nimmt es Mel‐
dungen über Vorkommnisse bei der Anwendung der Produkte entgegen, bewertet das Risiko und
überprüft die von den Herstellern eingeleiteten Maßnahmen Risikominimierung auf Angemes‐
senheit.8 Die Konformitätsbewertung der in der PM oftmals verwendeten IvD auf Übereinstim‐
mung mit Anforderungen von EU‐Richtlinien und konkretisierenden Normen erfolgt durch den
Hersteller selbst in Zusammenarbeit mit einer so genannten Benannten Stelle.9 Die Klinische Prü‐
fung von Medizinprodukten ist von der zuständigen Bundesoberbehörde (BfArM/PEI) und von
der Ethikkommission zu genehmigen (§ 20 Abs.1 MPG). Die Anzeige des erstmaligen
Inverkehrbringens (§ 25 MPG) hat bei der zuständigen Landesbehörde zu erfolgen. Dies geschieht
per Datenübertragung an das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information
5Das Bundesministerium für Gesundheit‐ Ein Kurzporträt, Artikel auf der Seite des BMG, http://www.bmg.bund.de/ministerium/aufgaben‐und‐organisation/aufgaben.html. 6 Art.14 Abs.1, 16 Abs.1, 17 Abs.2 Vertrag über die Europäische Union. 7 S. Schaubild des BMG „Das Gesundheitssystem“, http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Publikationen/Ministerium/Plakat/101123_RZ_bmg_systemspiel_a2_vorderseite.pdf.
8 BfArM Aufgaben und Ziele, Informationen auf der Homepage des BfArM, abrufbar unter: http://www.bfarm.de/DE/BfArM/Aufgaben‐und‐Ziele/facts‐node.html
9 Eine Übersicht über nationale und europäische Stellen finden sich auf der Homepage der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG), https://www.zlg.de/medizinprodukte/dokumente/stellenlaboratorien/benannte‐stellen.html.
88
(DIMDI). Neben der Bewertung der Konformität der Diagnostika besteht die Möglichkeit der frei‐
willigen Qualifizierung bzw. Validierung des bestimmten Gebrauchs eines Biomarkers durch die
EMA, um dessen Akzeptanz in der klinischen Forschung und Entwicklung zu fördern. Dies ist auch
in einem Gemeinschaftsverfahren mit der US‐amerikanischen Food and Drug Administration
(FDA) möglich.10
d. Akteure ‐ Erstattung von Leistungen der PM
Was die Erstattung der Leistungen der PM betrifft, ist zunächst einmal zwischen der Erstattung im
Rahmen der Leistungserbringung durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und der Erstattung
durch die privaten Krankenkassen (PKV) zu unterscheiden. Im Gegensatz zur Erstattung der Leis‐
tungen durch die privaten Krankenkassen ergibt sich für die gesetzliche Erstattung eine Vielzahl
an beteiligten Akteuren. Einer der zentralen Akteure im Rahmen der Erstattung von Leistungen
der PM ist der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). Der GBA setzt sich zusammen aus Mitglie‐
dern der Kassen(zahn)ärztlichen Bundesvereinigungen (KBV und KZBV), des Spitzenverbandes der
Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und aus Vertretern akkreditierter Patien‐
tenverbände. Eine seiner Hauptaufgaben ist der Beschluss von Richtlinien über die Erstattungsfä‐
higkeit der ärztlichen Behandlung, der Krankenhausbehandlung und der verschiedener Arzneimit‐
tel durch die GKV (§§ 31 Abs.1 S. 1‐3, 34, 92 Abs.1 S.2 Nr.1, 6 SGB V). Neben der Bestimmung des
Leistungskataloges in Richtlinien gehören noch die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel
und die Nutzenbewertung der neuen Arzneimittel (§ 35a SGB V) zu seinen Aufgaben. Beraten und
unterstützt wird der GBA bei einer Vielzahl von Entscheidungen durch das Institut für Qualität
und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Zu den Aufgaben11 des vom GBA gegrün‐
deten unabhängigen Institutes gehören u. a.
‐ die Bewertung vom Kosten und Nutzen von Arzneimitteln,
‐ die Recherche, Darstellung und Bewertung des aktuellen Wissensstandes zu diagnostischen
und therapeutischen Verfahren bei ausgewählten Krankheiten
‐ das Erstellen von Gutachten und Stellungnahmen zu Fragen der Qualität und
Wirtschaftlichkeit der im Rahmen Leistungen der GKV
Beauftragt wird das IQWIG hierzu überwiegend durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, §
139b Abs.1 S.1 SBG V. Es kann aber auch durch das BMG beauftragt werden oder selbständig tä‐
tig werden. Die Vergütung von Vertragsärzten wird in Richtlinien des GBA und Verträgen (Bun‐
desmantelverträge, Gesamtverträge) zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV)
10 EMA, Biomarkers, Information auf der Homepage der EMA, abrufbar unter: http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/special_topics/general/general_content_000349.jsp&murl=menus/special_topics/special_topics.jsp&mid=WC0b01ac05800baedb&jsenabled=true 11§ 139 Abs.3 SGB V; eine genaue Beschreibung der Aufgaben findet sich außerdem in der Informationsbroschüre des IQWIG „Gesichertes Wissen, bessere Versorgung – Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen‐ Aufgaben, Arbeitsweise und Ziele“, https://www.iqwig.de/download/IQWiG_Informationsflyer.pdf.
89
und dem GKV‐Spitzenverband bzw. zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und den
Landesverbänden der Krankenkassen festgelegt.12
4.5.2 Politik und regulatorische Rahmenbedingungen – Einflussfaktoren
Im Folgenden werden für die oben genannten Akteure die Einflussfaktoren mit den jeweiligen
Chancen und Treibern sowie den Risiken und Barrieren, die zur Umsetzung der Konzepte aus der
PM relevant sind, beschrieben.
Tabelle 7: Einflussfaktoren Politik und regulatorischen Rahmenbedingungen
Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
Gesetzgebung (Bundestag/‐rat/‐ministerium der Gesundheit, Europäische Institutionen)
1 Interesse am Schutz der Bevölke‐rung / Verbraucher
‐ Strenge gesetzliche Vorgaben
‐ Vertrauenssichernde Maßnahmen
‐ In Praxis zu schwer umsetz‐bare Richtlinien / Gesetze
2 Förderung von Wissenschaft und Technik
‐ Subventionen der Forschungstä‐tigkeit
‐ Erlass von erleichterten Zulas‐sungsvorschriften
‐ Entwicklung neuer Diagnose‐ und Behandlungsmöglichkeiten
3 Sicherung des Versorgungssys‐tems und Entlastung des Gesundheitssystems
‐ Einsparmöglichkeiten durch mög‐liche Verbesserung der Kosten‐Nutzen‐Relation
‐ Verhinderung der Amortisa‐tion von Forschungs‐ und Entwicklungskosten
‐ Planungsunsicherheit der Unternehmen durch gesetzli‐che Vorgaben zur Senkung der Kosten für Gesundheitsleis‐tungen
4 Berücksichtigung von Wählerin‐teressen/ positive Außendarstel‐lung
‐ Nutzung des öffentlichen Interes‐ses
‐ stärkere Berücksichtigung bei Gesetzgebung
‐ Bei negativem Meinungsbild der Öffentlichkeit starke Regu‐lierung dieses Bereiches
5 Förderung von Patientenrechten ‐ Vertretung des Interesses be‐stimmter Patientengruppen als Einflussmöglichkeit bei Gesetzes‐entscheidungen
12S. Schaubild des BMG „Das Gesundheitssystem“, http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Publikationen/Ministerium/Plakat/101123_RZ_bmg_systemspiel_a2_vorderseite.pdf.
90
Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
Zulassung von Arzneimitteln (BfArM, EMA)
6 Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von Arzneimitteln
a) genaue und ausführliche Prü‐fungen im Zulassungsverfahren
b) Auflagen und stete Prüfung nach der Zulassung
a)
‐ genauerer Nachweis der Sicher‐heit und Wirksamkeit und Verträg‐lichkeit
‐ schnellere Zulassungsverfahren
b)
‐ Milderung etwaiger Skepsis ge‐genüber neuen Wirkstoffen und Indikationen
‐ Strenge und teilweise nur mit hohem Zeit‐ und Kostenauf‐wand zu erfüllende Anforde‐rungen
7 Interesse an der Versorgung der Patienten mit innovativen Arz‐neimittel
a) Einrichtung bestimmter Ar‐beitsgruppen
b) Zusammenarbeit EMA und FDA
a)
‐ Austausch und Verbreitung von Fachwissen
b)
‐ Erleichterung der Verwendung von Grundsätzen und Leistungen
a) u. b)
‐ Zur Zeit noch fehlende prak‐tische Planung und Umsetzung
8 Nachweis von Sicherheit, Wirk‐samkeit und Verträglichkeit in klinischen Studien
‐ Ermöglichung zielgerichteter Stu‐dien
‐ Ausreichen eines kleinere Pro‐bandenkollegs
‐ Kosteneinsparungen und Zeitver‐kürzungen bei klinischen Studien (V1, A8)
‐ Schwierigkeiten bei der Ge‐winnung einer ausreichenden Probandenanzahl
‐ Unsicherheiten bei den Un‐ternehmen über konkrete Zulassungsanforderungen
‐ Nichtabstimmung Zulas‐sungs‐ und Validierungsver‐fahren
Bewertung von Medizinprodukten
9 Aktuelles Konformitätbewertungsverfahren bei In‐vitro‐Diagnostik
‐ Überprüfung der Konformität alleine durch den Hersteller
‐ u.U. erleichtertes Inverkehrbringen
‐ Risiko unzureichender Prü‐fung von Sicherheit, Zuverläs‐sigkeit und Qualität der Tests
‐ Unsicherheit über das erfor‐derliches Konformitätsbewer‐tungsverfahren
10 Änderungspläne der In‐vitro‐Diagnostik‐Richtlinie
‐ Änderung der Produktklassen
‐ Einführung einer unabhängigen Stelle zur Qualitätssicherung
‐ Klärung unklarer Begrifflichkeiten
‐ Regulierung der prädiktiven Tests
‐ Stärkung der Voraussetzung der klinischen Evidenz/Validität
‐ starke Regulierung
‐ erhöhte Anforderungen, Kosten und Arbeitsaufwand für die Unternehmen
91
Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
11 Einführung eines gesonderten Validierungsverfahrens
‐ Erhöhung von Zuverlässigkeit und Validität von Testverfahren
‐ Unklarheit über genaue Vo‐raussetzungen des Validie‐rungsverfahrens ‐ hoher Kosten‐ und Zeitauf‐wand
Erstattung
12 Entlastung des Gesundheitssys‐tems bei angemessener Patien‐tenversorgung
a) Aufstellung eines allgemeinen Leistungskataloges
b) Entscheidungen zur Preisfest‐setzung
a)
‐ Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit von Arznei‐mitteln
b)
‐größere Chance ausreichende Erstattungsfähigkeit zu erlangen
‐ Langwierige Prüfverfahren und hohe Anforderungen zur Aufnahme in den Leistungska‐talog
13 Neue Nutzenbewertung durch den GBA
‐ Höherer Nutzen von Arzneimitteln
‐ verbesserte Nachweisbarkeit
‐ Erzielung eines besseren Preises
‐ Unklarheiten über genauen Verfahrensablauf
‐ Problem des Nachweises des Nutzens durch langfristige Studien
14 Erstattungsmöglichkeit von diag‐nostischen Tests und deren Durchführung
‐ Einführung eines beschleunigten Aufnahmeverfahrens
‐Mögliche Nichterstattung der Tests
‐ Bei Nichtaufnahme in den EBM fehlende Möglichkeit der Abrechenbarkeit
15 Einführung einer Erprobung von Untersuchungs‐ und Behand‐lungsmethoden
‐ Frühe Erstattung der diagnosti‐schen Testleistung bei gleichzeitiger Erprobung des Nutzens der Metho‐de
‐ Unsicherheiten aufgrund der Neuheit der Regelungen
‐ Bürokratischer Mehraufwand
‐ Unterschiedliche nationale Erstattungssysteme in der EU
16 Interesse am Erhalt der Wettbe‐werbsfähigkeit
‐ Als Wahlleistung anbietbar
‐ Gewinn neuer Versicherungsneh‐mer
‐ Anwerbens von etwaigen Risikopatienten
17 Ethikkomission
a) Schutz von Patienten, Proban‐den, Tieren
b) Überprüfung der Einhaltung ethischer Standards bei der Arz‐neimittelentwicklung, ‐herstellung und ‐zulassung
a) u. b)
‐ Reduzierung von Unsicherheit und Ängsten
‐ Zusätzliche durch die Ethik‐kommission gestellte Anforde‐rungen
1. Interesse am Schutz der Bevölkerung/ Verbraucher
Vorwiegendes Interesse und damit einer der grundlegenden Einflussfaktoren bei der Gesetz‐
gebung ist das Interesse des Schutzes der Bevölkerung, etwa vor gefährlichen und unwirksamen
Arzneimitteln sowie vor Grundrechtsverletzungen, beispielsweise in Bezug auf Selbstbestim‐
92
mungs‐ und Datenschutzrechte der Patienten. Dies könnte in allen Bereichen, die im Zusammen‐
hang mit dem Angebot von Leistungen der PM stehen (wie u. a. der Zulassung und Überwachung
von Testverfahren und Arzneimitteln, der Haftung und des Datenschutzes) zu einer strengeren
gesetzlichen Regulierung führen.
Diese Regulierung kann dabei unterschiedliche Wirkungen im Hinblick auf die Entwicklung der PM
haben. So können gesetzlich festgelegte (strenge) Voraussetzungen das Gesamtbild der PM und
das Vertrauen in ihre Leistungen bei allen beteiligten Akteuren wie auch in der Gesellschaft stär‐
ken, Ängste vor etwaigen Risiken nehmen und sich damit fördernd auf ihre Entwicklung auswir‐
ken. Sie könnten aber ebenso zu schwer zu erfüllende Voraussetzungen beim Inverkehrbringen
von Produkten und bei der Anwendung führen und Kosten bei der Entwicklung erhöhen. So könn‐
ten unnötig strenge gesetzliche Regulierungen den Prozess einer Einführung der PM behindern
und verlangsamen.13 Ankommen wird es hier auf einen Ausgleich der widerstreitenden Interes‐
sen von Patienten, Unternehmen und allen anderen beteiligten Akteuren bei der Gesetzgebung.
2. Förderung von Wissenschaft und Technik
Anliegen der gesetzgebenden Institutionen ist außerdem die Förderung von Wissenschaft und
Technik zur Unterstützung des Forschungsstandortes und der wirtschaftlichen Entwicklung
Deutschlands bzw. der EU. Ausprägungen findet das Anliegen durch ganz unterschiedliche Geset‐
zesinitiative und Gesetzesmodifikation zur Erleichterung und Subvention von Forschungsbemü‐
hungen. In Bezug auf die Zulassung von Arzneimitteln ist hier exemplarisch der Erlass von erleich‐
terten Zulassungsvorschriften für innovative Arzneimittel (§ 28 Abs. 3 AMG) zu nennen. Diese
Initiativen zur Forschungsförderung können dabei selbsterklärend in Deutschland wie auch ent‐
sprechend in der EU auf unterschiedliche Art und Weise eine Chance für das innovative Entwick‐
lungsfeld der PM darstellen und zur Entwicklung neuer Diagnose‐ und Behandlungsmethoden
führen. Außerdem obliegt der Gesetzgebung in diesem Zusammenhang die Aufgabe, die Gesetze
an aktuelle Entwicklungen und an den Stand der Technik anzupassen.
In Wahrnehmung dieser Aufgabe überarbeitet die Europäische Kommission beispielsweise der‐
zeit die IvD‐Richtlinie und nimmt hier vermutlich Änderungen im Hinblick auf genetische Testver‐
fahren und Companion Diagnostics auf14, die den Akteuren der PM Rechts‐ und Planungssicher‐
heit bieten und Vertrauen in die PM stärken können. Da diese Änderungen die Medizinproduk‐
te/IvD und die hieran beteiligten Institutionen betreffen, ist hierauf noch im unten folgenden
Unterkapitel zu den Akteuren rund um die Prüfung von Medizinprodukten/IvD einzugehen.
(Punkt 9, 10)
13Dies in Bezug auf die Regulierung von Diagnostika in den USA feststellend: Gottlieb, Will Regulation Thwart the Personalization of Medicine?, AEI Health Policy Outlook No.3, October 2010, S. 1150 (1150,1151), abrufbar unter: http://www.aei.org/article/health/medical‐technology/fda/will‐regulation‐thwart‐the‐personalization‐of‐medicine/. 14Europäische Kommission, Information der Homepage zur Überarbeitung der Medizinprodukte‐Richtlinien, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/health/medical‐devices/documents/revision/index_en.htm.
93
3. Sicherung des Versorgungssystems und Entlastung des Gesundheitssystems
Neben Forschungsförderung und Verbraucherschutz besteht für die Gesetzgebung auch das Inte‐
resse an der Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Leistungen und im
Hinblick auf steigende Gesundheitskosten an der Entlastung des Gesundheitssystems. Veran‐
schaulicht werden kann dies im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung durch eine Viel‐
zahl unterschiedlicher Gesetzesinitiativen und Gesundheitsreformen zur Kostensenkung.15 Als
Chance für die PM kann hier bewertet werden, dass diese im Gleichklang mit den Reformen in
einigen Fällen zu Einsparmöglichkeiten führen kann. So können unter Umständen durch die Ver‐
meidung von Fehltherapien und Nebenwirkungen Kosten eingespart werden, was wiederum ei‐
nen Anreiz für Initiativen zur Förderung der Entwicklung der PM auf Gesetzgebungsseite darstel‐
len könnte. Die mit dem Wunsch nach Kostensenkung verbundenen Reformen stellen für die
produzierenden Unternehmen jedoch stets das Risiko dar, durch eine Verminderung der Erstat‐
tung eine Amortisation von Forschungs‐ und Entwicklungskosten zu verhindern.
4. Berücksichtigung von Wählerinteressen/ positive Außendarstellung
Einfluss auf den gesetzgeberischen Vorgang haben auch das Wählerinteresse und das Interesse
der Beteiligten an einer positiven Außendarstellung. Dies kann sich abhängig vom jeweiligen
Meinungsbild der PM in der Bevölkerung positiv für die Entwicklung in Form von Gesetzesinitiati‐
ven und –erleichterungen zur Förderung auswirken. Gleichzeitig ist aber bei einem kritischen und
von Bedenken geprägten Bild das Risiko des Erlasses strengerer gesetzlicher Vorgaben mit den
oben beschriebenen Konsequenzen gegeben.
5. Förderung von Patientenrechten
Die Möglichkeit einer Einflussnahme hat außerdem der Patientenbeauftragte der Bundesregie‐
rung gemeinsam mit den Patientenverbänden. Ihm obliegt die Aufgabe der Förderung von Pati‐
entenrechten durch Vertretung ihrer Interessen in der Öffentlichkeit und gegenüber den Akteu‐
ren der Politik. Dies könnte die Chance bieten, auch einen etwaigen Nutzen der PM für einzelne
Patientengruppen in der Öffentlichkeit und in der Politik zu verbreiten und gezielten Einfluss zu‐
gunsten der PM auf den Gesetzgebungsprozess zu nehmen.
6. Sicherstellung von Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von Arzneimitteln
Die gesetzlich in § 1 AMG verankerte Sicherstellung von Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von
Arzneimittel ist von den Akteuren rund um die Zulassung von Arzneimitteln bei allen Zulassungs‐
15Nur einige Beispiele hierfür: Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 1993, Beitrags‐Entlastungsgesetz 1997, 1. GKV‐Neuordnungsgesetz 1997,GKV‐Gesundheitsreform 2000, Festbetrags‐Neuordnungsgesetz 2001, GKV‐Modernisierungsgesetz (GMG) 2004, 15. AMG‐Novelle 2010, GKV‐Änderungsgesetz 2010, GKV‐FinanzierungsG 2010, Arzneimittelmarkt und Neuordnungsgesetz (AMNOG) 2011 und das für das Jahr 2012 geplante Versorgungsgesetz.
94
entscheidungen vorrangig zu beachten. Dies soll zu genauen und ausführlichen Prüfungen der
Arzneimittel im Zulassungsverfahren selbst und zu steten Beobachtungen der Einhaltung nach
Entscheidung führen.
Auf die PM kann sich dieser Faktor ‐ ähnlich dem Interesse der Gesetzgebung am Schutz der Ver‐
braucher ‐ im Hinblick auf Chancen und Risiken ganz unterschiedlich auswirken. Beispielsweise
kann in der PM durch den Einsatz von Biomarkern und durch die anschließende Stratifizierung
von Patienten eine erhöhte Sicherheit und Wirksamkeit in einer bestimmten Patientengruppe
erzielt und so zur Verwirklichung der Grundsätze beigetragen werden. Dies könnte zu einer Er‐
leichterung und dadurch unter Umständen zu Vorteilen im Zulassungsprozess wie zu einer Ver‐
kürzung desselben führen.16 Eben dieser vorteilhafte Impuls könnte dann wiederum einzelne Un‐
ternehmen zur Anwendung der Grundsätze der PM veranlassen. Ebenso wird durch ein genaues
Zulassungsverfahren und die Sicherstellung von Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit das
Vertrauen der Verbraucher, Patienten und Anwender in die Arzneimittel gestärkt, was der Ent‐
wicklung der PM in allen Bereichen zugutekommen könnte.
Gleichzeitig bergen Zulassungsverfahren, die mit den auch von Seiten der Behörden gesetzten
hohen Voraussetzungen verbunden sind, jedoch stets das Risiko, dass diese nur mit sehr hohem
Zeit‐ und Kostenaufwand zu erfüllen sind. Dies kann den Entwicklungsprozess von Arzneimitteln
behindern und Unternehmen von vornherein von der Entwicklung neuer Arzneimittel abhalten.
7. Interesse an der Versorgung der Patienten mit innovativen Arzneimittel
Neben dem Schutzinteresse der EMA und des BfArM steht das Interesse an der Versorgung der
Patienten mit innovativen Arzneimitteln. Umgesetzt wird es mit Blick auf die PM beispielsweise
durch die Einrichtung einer speziellen Arbeitsgruppe Pharmakogenomik bei der EMA17 oder durch
den regelmäßigen Austausch der Arbeitsgruppe mit der amerikanischen Federal Drug Agency
(FDA)18.
So hat die Arbeitsgruppe Pharmakogenomik der EMA im Bereich der PM bereits eine Reihe von
Diskussionspapieren und Entwürfen veröffentlicht, die beispielsweise Erfahrungen bei der An‐
wendung der Pharmakogenomik in der Onkologie (EMA 2010) beschreiben oder Empfehlungen in
Bezug auf eine Co‐Entwicklung von Biomarkern und Arzneimitteln (EMA 2011) geben. Außerdem
16 S. hierzu auch die anschließende Beschreibung der Chance durch eine Stratifizierung in Bezug auf die Durchführung von klinischen Studien (Punkt 8).
17 Weiterführende Informationen zur Pharmacogenomics Working Party (PgWP) s. Homepage der EMA, http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/contacts/CHMP/people_listing_000018.jsp&murl=menus/about_us/about_us.jsp&mid=WC0b01ac0580028d91.
18 Beispiel hierfür ist ein gemeinsames Datenübermittlungsverfahren, Food and Drug Administration, Guiding principles: Processing Joint FDA EMEA Voluntary Genomic Data Submissions (VGDSs) within the framework of the Confidentiality Arrangement, May.2006, abrufbar unter: http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Other/2009/12/WC500017982.pdf; s. außerdem weiterhin geplante Zusammenarbeit im Arbeitsplan der Arbeitsgruppe Pharmakogenomik, abrufbar unter: http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Work_programme/2010/01/WC500069713.pdf.
95
wurde in Zusammenarbeit mit der FDA ein ICH‐Dokument zur Festlegung von einheitlichen Be‐
grifflichkeiten im Bereich der PM und der Pharmakogenomik erarbeitet (ICH 2008). Diese Initiati‐
ven dienen dem Austausch und der Verbreitung von Informationen über die PM und können ge‐
zielt zur Aufdeckung, Erarbeitung und Lösung von Problemstellungen in Bezug auf die Zulassung
und das Inverkehrbringen beitragen. Die Zusammenarbeit mit der FDA kann dabei das gemein‐
same Inverkehrbringen der Leistungen in beiden Rechtsgebieten erleichtern und die Verwendung
von Grundsätzen und Leistungen der PM (Diagnostik anhand stratifizierender Biomarker, an Bio‐
marker angepasste Wirkstoffe, etc.) fördern (Razvi und Hurley 2010, 90).
Derzeit befinden sich sowohl die Zusammenarbeit wie auch die Erarbeitung von Diskussionspa‐
pieren nur im Anfangsstadium und die Papiere liegen bisher meist in Form von nicht bestätigten
Entwürfen vor. Ergebnisse der Bemühungen und weitere Umsetzungen sind also weiterhin zu
verfolgen.
8. Nachweis von Sicherheit, Wirksamkeit und Verträglichkeit in klinischen Studien
Eine ambivalente Stellung im Hinblick auf Chancen und Risiken der PM nimmt der Einflussfaktor
des erforderlichen Nachweises von Sicherheit, Wirksamkeit und Verträglichkeit in Bezug auf die
Anzahl von Studienprobanden ein. Auf der einen Seite kann die Unterteilung einer Patienten‐
gruppe, wie sie durch die PM ermöglicht wird, dazu führen, dass die Nachweise zielgerichteter,
sprich angepasst an eine kleinere Anzahl an Patienten, für die die spezielle Therapie in Frage
kommt, erfolgen können. Dies kann einen Beitrag zu Kosteneinsparungen und Zeitverkürzungen
bei klinischen Studien leisten.
So auch die Aussage eines Experten (V.1) zu einem Arzneimittel, das bei etwa 95% der Patienten
nicht wirkte und klinische Studien bei den restlichen 5% ausreichte.
„Wie können sie verantworten, ein teures Arzneimittel in den Markt zu bringen, wo sie einen
Großteil der Patienten umsonst damit behandeln. […] sie wissen nur die 95 Prozent, die sie aus‐
schließen, die hätten ganz sicher nichts davon gehabt. Bei den fünf Prozent könnte es wirken. […]
Das klinische Entwicklungsprogramm hätte so groß sein müssen, um wirklich einen guten Effekt zu
zeigen, dass sich [die Entwicklung des Arzneimittels] nie gerechnet hätte. Da haben die [Arznei‐
mittelhersteller] gesagt, okay, wir machen diesen Stratifizierungsprozess, dann können wir die
Zeiten für die klinischen Prüfungen wesentlich abkürzen und auch die Zahl der Patienten wesent‐
lich reduzieren, was ja unmittelbar miteinander verknüpft ist. Die brauchen etwa zehnmal so viele
Patienten als sie in der Studie haben wollen. Das heißt, eine Studie mit 10.000 Patienten müssen
sie 100.000 Patienten ansprechen, damit letztendlich 10.000 da mitmachen. Das dauert natürlich
alles, das kostet natürlich alles, und wenn sie dann nur 1.000 haben, Faktor 10 das ist gigantisch.
Wenn sie nur 10.000 ansprechen statt 100.000 das geht viel schneller. Und die Studie ist vor allem
viel schneller.“ (V1)
Außerdem werden (unnötige) Belastungen und Nebenwirkungen für Patienten, bei denen eine
Therapie nicht wirksam oder verträglich ist, durch die Stratifizierung verhindert.
96
„Wenn ich jetzt eine Medikation hätte, die nicht bei jedem Patienten wirken kann, da sie abhängig
ist von einer bestimmten genetischen Ausstattung, ich aber trotzdem alle prüfen würde, brauche
ich natürlich viel mehr Patienten in einer klinischen Studie, um eine statistische Signifikanz nach‐
weisen zu können. Wenn ich also so stratifizieren kann, dass ich mir gerade die Patienten heraus‐
suche, bei denen ich eine höhere Wahrscheinlichkeit annehme, dass meine Medikation auch wirkt,
dann geht die klinische Studie natürlich wesentlich einfacher, schneller und natürlich auch kosten‐
günstiger. Und sie ist mit weniger Belastung für die Patienten verbunden. Das darf man nicht au‐
ßer Acht lassen. Es werden heute immer so viele große klinische Studien gefordert, ohne dass man
weiß, dass eine Medikation wirkt und dass sie wenig oder keine Nebenwirkung hat, ist sie natür‐
lich immer ein Risiko für die Patienten und auch das wird natürlich durch eine gezielte Anwendung
minimiert.“ (A8)
Auf der anderen Seite bedingt die Stratifizierung der Patientengruppen jedoch auch eine Verrin‐
gerung des für klinische Studien in Frage kommenden Personenkreises. Schwierigkeiten bei der
Gewinnung von Probanden und bei der Erbringung der erforderlichen Wirksamkeits‐ und Verträg‐
lichkeitsnachweise können die Folge sein (O’Donnell 2011, 2).
„Viele Studien werden niemals voll, die müssen sie einstampfen, weil die Patientenzahlen nicht
erreicht werden. Sie brauchen die ja aus statistischen Gründen, deswegen gibt es die Biostatisti‐
ker, eine Mindestzahl an Patienten, die eine Studie durchlaufen muss, damit sie hinten ein verläss‐
liches Ergebnis rauskriegen können. Und wenn die nicht erreicht wird, die Mindestzahl, war die
Studie für die Katz.“(V1)
Ein Hindernis könnte sich bei der Einführung von Leistungen der PM durch Unsicherheiten der
Unternehmen über die genauen Voraussetzungen im Zulassungsverfahren ergeben. Der neuarti‐
ge Einsatz von Biomarkern kann nämlich Auswirkungen etwa auf den Sicherheits‐ und Wirksam‐
keitsnachweis haben. Diese Besonderheiten sind durch die bisherigen gesetzlichen Regelungen
und durch die Prüfungspraxis der Behörden noch nicht abschließend geklärt und ausreichend
beachtet. So ist beispielsweise unsicher, welche Anforderungen an das Design von klinischen Stu‐
dien bei Einbeziehung von Biomarkern und Tests zur Identifizierung von Biomarkern zu stellen
sind, um dem erforderlichen Wirksamkeits‐ und Sicherheitsnachweis zu genügen. Fragen ergeben
sich hier unter anderem bezüglich der Möglichkeit der Anwendung von adaptiven Studiendesigns
oder der Verwendung retrospektiv gewonnener Ergebnisse (Abadie 2011, 24ff.; Europäische
Kommission 2010, 10). Unklarheiten bleiben bisher außerdem in Bezug auf das Labeling der Arz‐
neimittel und Produktinformationen. Hier gibt es keine Vorgaben, wie ein Verweis auf die Erfor‐
derlichkeit der Durchführung von diagnostischen Tests erfolgen soll (Abadie 2011, 17ff.). Konse‐
quenz dieser Unsicherheit ist eine Verlangsamung des Forschungs‐ und Zulassungsprozesses und
so eben auch der Einführung von Leistungen der PM.
Ein weiteres Hindernis könnte die Nichtabstimmung der Voraussetzungen und der Dauer der zum
Inverkehrbringen erforderlichen Zulassungsverfahren von Arzneimitteln und der für Medizinpro‐
dukte erforderlichen Konformitätsbewertung sein (Sleigh und Barton 2011, 33). Der Nachweis
von Sicherheit und Qualität erfolgt in den Verfahren für Arzneimittel und Medizinprodukte bisher
97
durch unterschiedliche Stellen und inhaltlich unabhängig voneinander. Das meist aufwendigere
Verfahren für Arzneimittel dauert außerdem häufig sehr viel länger, sodass diagnostische Tests
teilweise schon lange Zeit vor den Arzneimitteln kommerzialisiert werden und nicht gemeinsam
mit dem Arzneimittel als Companion Diagnostics angeboten werden können. In diesem Fall ent‐
stehen den Diagnostikunternehmen Wartezeiten, Planungsunsicherheiten und Einnahmelücken,
die eine Finanzierung der Forschungstätigkeit erschweren kann. Ein zusätzliches Problem ist in
dieser Zeit der Ablauf des Patentschutzes in Bezug auf diagnostische Produkte ohne gleichzeitige
Verwertungsmöglichkeiten.
Neben der soeben beschriebenen produktbezogene Nichtabstimmung der Verfahren könnte
auch die fehlende Abstimmung von Zulassungsverfahren zwischen einzelnen Ländern mit Risiken
verbunden sein. So bestehen exemplarisch in Europa und in den USA ganz unterschiedliche Zulas‐
sungsverfahren von Arzneimitteln. Zwar gibt es Bemühungen um eine Koordination der Verfah‐
ren zwischen den Behörden und einen regelmäßigen Austausch über ihre Arbeit19, gesetzliche
Vorgaben und Voraussetzungen sowie die Prüfungspraxis, unterscheiden sich aber grundsätzlich
voneinander. Diese betreffen beispielsweise die einzureichenden Dossiers oder die verwendeten
Begrifflichkeiten und können eine einheitliche Ausrichtung bei der Entwicklung des Arzneimittels
(Sleigh und Barton 2011, 32f.), bei Durchführung der klinischen Studien und bei Zusammenstel‐
lung des Zulassungsantrages verhindern. All dies verursacht einen erhöhten Arbeits‐ und Kosten‐
aufwand, der ein gemeinsames Inverkehrbringen der Arzneimittel der PM in beiden Rechtskrei‐
sen verlangsamen kann.
9. Aktuelles Konformitätsbewertungsverfahren bei In‐vitro‐Diagnostik (IvD)
Vor Inverkehrbringen von Medizinprodukten sind die Sicherstellung von Sicherheit und Zuverläs‐
sigkeit und die Übereinstimmung der Produkte mit einschlägigen EU‐Richtlinien in Form eines so
genannten Konformitätsbewertungsverfahrens erforderlich. Art und Ablauf der Verfahren sind
für die in der PM meist verwendeten IvD in der IvD‐Richtlinie20 umgesetzt durch das Medizinpro‐
duktgesetz beschrieben. Nach den Vorgaben der Richtlinie unterliegen die unterschiedlichem
Produkte der IvD auch unterschiedlichen Verfahren, die eine selbständige Konformitätsbewer‐
tung durch den Hersteller selbst oder die Prüfung durch eine so genannte Benannte Stelle und
die Einhaltung zusätzlicher Qualitätsanforderungen umfassen können.21 Mangels Einteilung der
derzeit in der PM überwiegend verwendeten Diagnostika in eine der Risikoklassen von Anhang II
der Richtlinie, unterliegt die Überprüfung der Konformität dem Hersteller.22 Unterlagen werden
einer Benannten Stelle lediglich zur Verfügung gestellt, das Inverkehrbringen der zuständigen
Behörde angezeigt und von ihr überwacht. Eine Prüfung der Konformität durch eine unabhängige
Stelle ist hierbei grundsätzlich nicht vorgesehen.
19 S. Erläuterungen hierzu bei Punkt 7. 20 RL 98/78/EG vom 27. Oktober 1998 über In‐vitro‐Diagnostika, ABl. L. 331 vom 07.12.1998, S.1. 21 Art.9 i.V.m. dem Anhang II RL 98/87/EG. 22 §§ 6, 7 MPG i.V.m. Art. Artikel 9, Anhang II, III RL 98/78/EG.
98
Das aktuelle Verfahren kann für die herstellenden Unternehmen derzeit noch als Chance zum
vereinfachten Inverkehrbringen ihrer Diagnostika betrachtet werden. Eine unabhängige Prüfung,
wie sie in anderen Ländern, z.B. in den USA und Australien gegeben (Hogarth und Melzer 2007,
10) und mit Änderung der IvD‐Richtlinie geplant ist (Stynen 2011), könnte unter Umständen mit
strengeren Prüfungen und erhöhtem Arbeits‐ und Kostenaufwand verbunden sein.
Auf der anderen Seite könnte diese Regelung ein Risiko aufgrund der Befürchtung der unzurei‐
chenden Sicherheit, Qualität und Zuverlässigkeit der Produkte (Hogarth und Melzer 2007, 10;
O’Donnell 2011, 3) und einer damit bedingten Zurückhaltung bei der Anwendung mit sich brin‐
gen. Ohne unabhängige Bewertung könnte das Vertrauen in die Diagnostik‐Produkte fehlen und
eine Anwendung vermieden beziehungsweise nicht anerkannt werden. Die soeben beschriebene
IvD‐Richtlinie enthält in der aktuellen Form außerdem unklare Bestimmungen, die zu Unsicher‐
heiten über ihre Anwendung und damit über das durchzuführende Konformitätsbewertungsver‐
fahren führen können. Dies könnte wiederum eine fehlerhafte Durchführung des Verfahrens und
die Verzögerung des Inverkehrbringens zur Folge haben. Als Beispiel für entsprechende Unklar‐
heiten gilt die Regelung der In‐House‐Tests, die einen Ausschluss der Anwendung der Richtlinie
für Diagnostikprodukte, die in so genannten Gesundheitseinrichtungen hergestellt und verwen‐
det werden, vorsieht (Art. 1 Abs. 5 IvD‐Richtlinie) (Hogarth und Melzer 2007, 14; Stynen 2011).
Dabei ist beispielsweise nicht geklärt, welche Institutionen unter den Bereich der Gesundheits‐
einrichtungen oder welche Handlungen unter den Begriff der Herstellung fallen und ob hiermit
außerdem die Herstellung von Einzelteilen oder die nachträgliche Änderung gemeint ist (Hogarth
und Melzer 2007, 15f.). Schwierig wird die Auslegung der Begriffe der Herstellung und Verwen‐
dung in Bezug auf die Tests im Bereich der PM ebenso bei Vorliegen einer Vertriebskette. So ver‐
anschaulichen Hogarth und Melzer (Hogarth/Melzer 2007, 16) dies mit dem Beispiel, dass ein
Unternehmen ein Testkit zur Verfügung stellt, ein zweites eine Testung durchführt und ein drittes
die Daten anhand von Datenbanken und Algorithmen auswertet. In dieser Konstellation bleibt
offen, welche Unternehmen nun von der Ausnahmeregelung erfasst sind. Diese Unklarheit erfor‐
dert entweder eine Aufklärung durch die Behörden oder einer gesetzlichen Klarstellung. Letztere
könnte mit der geplanten Überarbeitung der IvD‐Richtlinie erfolgen.23
10. Planung der Änderung der In‐vitro‐Diagnostik‐Richtlinie (IvD‐Richtlinie)
Neben den beiden zuvor beschriebenen Faktoren könnte die geplante Änderung der IvD‐
Richtlinie noch in andere Hinsicht Einfluss auf die Entwicklung der PM allgemein und der von di‐
agnostischen Tests im Speziellen haben. Ziel der von der Europäischen Kommission geplanten
Änderung ist die Anpassung an neue technologische Entwicklungen und der Klärung von Begriff‐
lichkeiten.24 Eine öffentliche Beratung zu möglichen Änderungen wurde bereits im Juni 2010 initi‐
23Europäische Kommission, Information der Homepage zur Überarbeitung der Medizinprodukte‐Richtlinien, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/health/medical‐devices/documents/revision/index_en.htm. 24Europäische Kommission, (Fn. 35).
99
iert, Ergebnisse der Beratung im Februar 2011 publiziert.25 Die Veröffentlichung einer veränder‐
ten Richtlinie ist für das 2. Quartal des Jahres 2012 geplant.26
Mögliche Änderungen könnten nach Auswertung der öffentlichen Beratung folgende Punkte be‐
inhalten (Stynen 2011)
‐ die Änderung der Einteilung der Klassifizierungsgruppen des Annexes II, der über die Art des
Konformitätsbewertungsverfahrens entscheidet; diese neue Einteilung würde nach Vorbild
des durch die Global Harmonization Task Force (GHTF) gebildeten Modells eine risiko‐basierte
Einteilung umfassen
‐ die Klärung der Begrifflichkeiten des In‐House‐Testing
‐ die Regulierung der direct‐to‐consumer Gentests
‐ die Stärkung der Voraussetzung der klinischen Evidenz und der klinischen Validität durch die
Vorgabe der Erbringung strengerer Nachweise.
Die Änderung der Produktgruppen in eine risiko‐ und nicht mehr produktbezogene Einteilung
nach dem Modell der GHTF würde im Hinblick auf die in der PM vorwiegend verwendeten IvD
wahrscheinlich zu einer Einteilung der Companion Diagnostics in Risikogruppe C führen (Stynen
2011). Dies hätte die Prüfung der Konformität durch eine Benannte Stelle und nicht mehr wie
zuvor27 durch den Hersteller selbst zur Folge. Parallel zur Erörterung zum aktuell angewendeten
Bewertungsverfahren ist festzustellen, dass die Konformitätsbewertung durch eine unabhängige
Stelle als Chance zur Vertrauenssicherung in Sicherheit und Wirksamkeit von Tests dienen kann.
Dies würde unter Umständen eine verstärkte Anwendung in der Forschung und Praxis zur Folge
haben. Außerdem könnte hierdurch eine Anpassung an Systeme anderer Ländern, die die Eintei‐
lung der GHTF schon verwenden, erfolgen und so Erleichterungen für Unternehmen mit sich
bringen, die ihre Produkte in den unterschiedlichen Ländern herstellen und hier einführen wol‐
len. Auf der anderen Seite ist die neue Einteilung für die Unternehmen aufgrund der aktiven Be‐
teiligung der Benannten Stelle eventuell mit strengeren Prüfungen und einem erhöhten Verwal‐
tungs‐ und Arbeitsaufwand verbunden. Eine Klärung der Begrifflichkeiten in Bezug auf das In‐
House‐Testing könnte die oben in diesem Zusammenhang beschriebenen Hindernisse28 in Bezug
auf die PM beseitigen.
Derzeit umfasst der Anwendungsbereich der IvD‐Richtlinie lediglich Gentests, die aufgrund eines
speziellen medizinischen Zwecks erfolgen. Somit sind prädikativen Tests, die eben diesen nicht
erfüllen, sondern lediglich das Risiko für die Entwicklung irgendeiner Krankheit erfassen, nicht
25Auswertung und Zusammenfassung der Ergebnisse der Beratungen: Europäische Kommission, Revision of Directive 98/79/EC of the European Parliament and of the Council of 27 October 1998 on In Vitro Diagnostic medical devices ‐ Summary of Responses to the Public Consultation, 23.07.2011, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/health/medical‐devices/files/recast_docs_2008/ivd_pc_outcome_en.pdf. 26Europäische Kommission (Fn.35). 27 S. Beschreibung bei Punkt 12. 28 S. Punkt 12.
100
den Bestimmungen der Richtlinie unterworfen. Geplant ist eine Erweiterung des Anwendungsbe‐
reiches auf diese Tests, sowie des durch die neue Risikoklasseneinteilung bedingten Konformi‐
tätsbewertungsverfahrens. Ob weitere Regelungen erfolgen, ist derzeit noch nicht abzuschätzen
(Hogarth/Melzer 2007, 19). Eine Neuregelung in diesem Bereich hat jedoch das Potenzial, Sicher‐
heit und Wirksamkeit von prädiktiven Tests sicherzustellen und so Vertrauen in diese und deren
Ergebnisse zu gewinnen. Dies könnte mit Blick auf die PM zu einer vermehrten Anwendung der
Tests führen. Jedoch wäre auch diese Regulierung mit erhöhten Anforderungen an die Tests und
damit mit erhöhtem Zeit‐ und Kostenaufwand für die Hersteller verbunden.
Die Auswertung der Kommentare zur möglichen Änderung der IvD‐Richtlinie hat zudem den
Wunsch der Unternehmen nach einer Stärkung der Voraussetzung der klinischen Evidenz und der
klinischen Validität gezeigt. Diese Änderung würde die Zuverlässigkeit der Ergebnisse verbessern.
So könnte wie zuvor beschriebenen das Vertrauen in die Diagnostikleistungen der PM gestärkt
und eine Anwendung in der Forschung und in der Entwicklung gefördert werden. Nebeneffekt
wäre unter Umständen ein erhöhte Verwaltungs‐ und Kostenaufwand für die herstellenden Un‐
ternehmen, der die mit sich bringenden Vorteile nicht überwiegen dürfte.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass die geplante Änderung somit eine Reihe an Chancen für
die Entwicklung von Leistungen der PM bieten kann. Teilweise bringt der derzeitige Änderungs‐
prozess jedoch noch Unsicherheiten für die Unternehmen mit sich, da weder die genauen Inhalte
der Richtlinie, noch ein konkretes Datum des In‐Kraft‐Tretens bzw. der Umsetzung der Richtlinie
bekannt sind. Um den IvD‐Herstellern derzeit eine Planungssicherheit im Hinblick auf einzuhal‐
tende Voraussetzungen und zu beteiligende Stellen zu bieten, sollten Inhalt und Datum des In‐
Kraft‐Tretens zeitnah bekannt gegeben werden.
11. Einführung eines gesonderten Validierungsverfahrens
Großen Einfluss auf die Entwicklung von diagnostischen Testverfahren und auch insgesamt auf
die Entwicklung der PM verspricht sich die EMA von einem von ihr eingeführten speziellen Ver‐
fahren zur Qualifikation von neuartigen Methoden bei der Arzneimittelentwicklung (EMA/CHMP
2009). In diesem freiwillig durchführbaren Verfahren kann beispielsweise die Feststellung der
Validität eines Biomarkers im Hinblick auf einen bestimmten Gebrauch in Forschung und Entwick‐
lung von Arzneimitteln erfolgen.29 Hierzu prüft das CHMP unter Mitwirkung eines speziell für die
Bearbeitung des Antrags zusammengestelltes „Qualification Teams“ in einem 190 Tage andau‐
ernden Verfahren die Unterlagen des Antragstellers und veröffentlicht dann eine Entscheidung,
die der öffentlichen Konsultation unterliegt. Das Verfahren und die hierauf abzielende Qualifika‐
tion der Validität von Biomarkern und Testverfahren kann somit zur Erhöhung und Sicherstellung
der Qualität dieser in der PM beitragen. Diagnostikunternehmen könnten so eine gesteigerte
29 EMA, Informationen zum Verfahren auf der Homepage, Qualification of novel methodologies and biomarkers, http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/regulation/document_listing/document_listing_000319.jsp&murl=menus/regulations/regulations.jsp&mid=WC0b01ac0580022bb0.
101
Akzeptanz ihrer Ergebnisse und Produkte erreichen (Sleigh/Barton 2011: 52). Das Verfahren kann
Vertrauen in die Anwendung von Testmethoden stärken und so zur vermehrten Anwendung in
Forschung und Entwicklung – vor allem im Hinblick auf Companion Diagnostics führen. Eine Stär‐
kung des Gesamtbildes der PM sowie eine Verbesserung der Forschungstätigkeit könnten die
Folge sein. Derzeit herrschen aufgrund der Neuheit des Verfahrens jedoch noch Unsicherheiten
über die genauen Voraussetzungen.30 Ebenso könnten zu hohe Anforderungen wie auch eine zu
lange Verfahrensdauer Unternehmen von der Durchführung abhalten. Ein Hindernis könnten
hierbei auch die anfallenden Kosten (75.500 € (EMA/CHMP 2009, 3)) darstellen. Ein Wettbe‐
werbsnachteil, der hierdurch für kleinere und mittelständische Unternehmen entstehen könnte,
wird jedoch durch die Möglichkeit einer Gebührenreduzierung für diese um 90% verhindert
(EMA/CHMP 2009, 3).
12. Entlastung des Gesundheitssystems bei angemessener Patientenversorgung
Gemeinsames Interesse der an der Erstattung von Gesundheitsleistungen durch die Gesetzliche
Krankenversicherung beteiligten Akteure ist eine Sicherstellung der medizinischen Versorgung.
Damit einhergehend steht auf der einen Seite die Entlastung des Gesundheitssystems durch Kos‐
tensenkungen und auf der anderen Seite die gute und angemessene Versorgung der Versicher‐
ten. Beides soll durch die ausschließliche Aufnahme von wirtschaftlichen, zweckmäßigen und
notwendigen Leistungen in den Leistungskatalog angestrebt werden. Außerdem gibt es eine Viel‐
zahl an unterschiedlichen Maßnahmen zu Preisregulierungen wie exemplarisch die Festsetzung
von Festpreisen oder Rabatten/Preismoratorien, etc. Dadurch, dass die PM unter Umständen
schnellere Genesungszeiten, die Verringerung von Nebenwirkungen, höhere Überlebensraten,
eine verkürzte Therapiedauer und den Ausschluss von Fehltherapien erreichen kann, könnte sie
die Chance zur Erhöhung von Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit bieten und zu Kosteneinspa‐
rungen beitragen (Holleben/Pani/Heinemann 2011, 47).
„Letztendlich würden wahrscheinlich auch die Krankenkassen sparen, wenn sie manche Sachen
bezahlen würden als Vortest und dann nicht hinterher unwirksame Therapien oder Therapiever‐
sager oder was dann alles an negativen Folgen, die auch bezahlt werden müssen, als Ratten‐
schwanz hinten dran klebt.“ (D6)
„Die Kostenträger werden zunehmend Wert darauf legen, dass unter gesundheitsökonomischen
Aspekten eine neue Therapie auch etwas bringt.“(D5)
„Wobei natürlich, wenn man ein bisschen längerfristig denkt, kann [die PM] ein sehr gutes Mittel
sein, um auch die Ausgaben konstant zu halten, beziehungsweise für bestimmte Bereiche zu sen‐
ken.“ (V2)
30 S. Kommentare der Unternehmen zum Informationsdokument der EMA über das Verfahren: EMA, Overview of comments received on draft guidance document on qualification of biomarkers, 22.01.2009, EMEA/380215/2008, abrufbar unter: http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Regulatory_and_procedural_guideline/2009/10/WC500004202.pdf ; Europäische Kommission, Summary Report, S.10.
102
Unter diesem Aspekt kann die Personalisierung in der Arzneimitteltherapie auch zur Erhöhung
der Chance auf Erstattung der Leistungen führen.
Auf der anderen Seite ist jedoch auch zu beachten, dass das Gebot der Wirtschaftlichkeit und die
damit verbundenen Bemühungen der Kostenreduzierungen bisher zu einer zögerlichen Erstat‐
tungspraxis sowie langwierigen Verfahren und Prüfungen zur Aufnahme in den Leistungskatalog
bzw. zur fehlenden Aufnahme Diagnostika führten31. Die zur Erstattung zu erfüllenden Anforde‐
rungen werden von den Unternehmen in zunehmendem Maß als Hürden wahrgenommen: „Die
Erstattung spielt eine große Rolle. Die Hürden werden immer höher, um zu zeigen, dass sie on Top
auf etwas noch Wirksamkeit zeigen.“ (D3) Somit besteht das Risiko, dass hohe Anforderungen bei
der Erstattung und zögerliche Erstattungsverfahren die Möglichkeit einer Amortisation von For‐
schungskosten verhindern; die Erforschung und Entwicklung von Leistungen der PM würde er‐
schwert.
13. Frühe Nutzenbewertung durch den GBA
Konkreten Einfluss auf die PM könnte im Hinblick auf den Bereich der Erstattung insbesondere
die Einführung einer frühen Nutzenbewertung durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz
(AMNOG)32 im Jahr 2010 haben. Bei dieser Bewertung werden neu zugelassene Arzneimitteln mit
neuen Wirkstoffen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss oder das Institut für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen auf ihren therapeutischen Nutzen hin untersucht. Es
wird festgestellt, ob sie einen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie
besitzen, wie das Ausmaß des Zusatznutzens ist und welche therapeutische Bedeutung die Arz‐
neimittel haben (§ 35a Abs.1 SGB V). Wird in dem drei Monate andauernden Verfahren kein Zu‐
satznutzen im Vergleich zu einer zweckmäßigen Vergleichstherapie festgestellt, erfolgt die Ei‐
nordnung, wenn möglich in eine Festbetragsgruppe.33 Kann hingegen ein Zusatznutzen festge‐
stellt werden, wird der Erstattungspreis zwischen dem Hersteller und dem GKV‐Spitzenverband
unter Umständen unter Beteiligung einer Schiedsstelle vereinbart.
Dieses Verfahren der Festlegung des Erstattungspreises kann sowohl Chancen wie auch Risiken
für die PM mit sich bringen und wurde daher in den Experteninterviews kontrovers beurteilt. Auf
der einen Seite kann die Personalisierung der Arzneimitteltherapie den Nutzen eines Arzneimit‐
tels für eine bestimmte Patientengruppe erhöhen und die verwendete Diagnostik die Nachweis‐
barkeit des Nutzens verbessern. Es kann also gesagt werden, dass die PM mehr als die herkömm‐
31 Walger „Personalisierte Medizin aus Sicht der Diagnostikindustrie“ in: Holleben/Pani/Heinemann, Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2011 – Biopharmazeutika: Wirtschaftsdaten und Nutzen der Personalisierten Medizin, Juni 2011, S.44. 32 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) vom 22.01.2010, Bundesgesetzblatt, Jahrgang 2010 Teil 1 Nummer 67, S.2262. 33 Ist ein Arzneimittel nicht festbetragsfähig, d.h., kann es nicht einer Festbetragsgruppe zugeordnet werden, wird der Erstattungspreis mit dem GKV‐Spitzenverband ausgehandelt, kann aber nicht höher als der Erstattungspreis der Jahrestherapiekosten einer Vergleichstherapie ausfallen.
103
liche Medizin die Chance zum Erreichen des zur Verhandlung des Erstattungspreises erforderli‐
chen Zusatznutzens bietet: „Jetzt ist natürlich die Situation, dass alle Präparate bewertet werden
und es gibt eine sehr starke Tendenz im Verfahren sich Subgruppen und Wirksamkeit anzugucken.
Das ist legitim, weil das Nutzenbewertung ist. Es stimmt, wenn man die Daten hat, kann man sa‐
gen in der Gruppe wirkt es sehr gut. Da kann also eine Chance drin liegen.“ (A5)
„Es ist eine Chance, wenn man darüber flexibel nachdenkt und versucht zu verstehen, was ist wirk‐
lich der Mehrwert.“ (A6)
So könnte die Möglichkeit auf Verhandlungen erhöht und außerdem ein besserer Preis in den
Verhandlungen erzielt werden. Unter Umständen ist auch die Erhöhung des Preises aufgrund der
geringeren in Betracht kommenden Patientenanzahl möglich. Ob eine Preis‐Mengen‐
Komponente bei den Preisverhandlungen eine Rolle spielen kann, ist jedoch noch nicht geklärt:
„Wir haben jetzt auch über die Preise, die da am Ende herauskommen noch keine Erfahrungen.
Wir sind jetzt ganz neu in diesem Prozess, aber in anderen Ländern ist es durchaus so, dass der
Preis auch an eine bestimmte Mengenkomponente geknüpft ist. Das heißt, wenn ich weniger Pa‐
tienten habe, dann kann ich auch einen etwas höheren Preis verlangen, weil sich das ja im System
weniger bemerkbar macht. Wenn ich aber viele Patienten habe, dann muss ich vielleicht so ein
bisschen Rabatt geben. Also in vielen anderen Erstattungssystemen gibt es durchaus eine Preis‐
Mengen‐Komponente. Wie das jetzt bei uns sein wird und welche Kriterien für die Preisbildung
oder sagen wir für die Rabatte, die ich gewähren muss oder die Nachlässe für den Erstattungs‐
preis (der nennt sich dann Erstattungspreis), wie diese Kriterien aussehen werden, da wird zurzeit
heftig gestritten. Das ist im Moment noch nicht absehbar. Deshalb kann man nur sagen, dass es in
anderen Ländern eine Preis‐Mengen‐Komponente gibt.“ (V3)
Für die Gesamtentwicklung der PM bedeutet dies wiederum, dass sich die Hersteller neuer Wirk‐
stoffe künftig stärker an eine Patientenstratifizierung und Anwendung der Grundsätze der PM
orientieren könnten und diese dadurch vermehrt Anwendung finden könnte. Mit Einführung des
Verfahrens sind jedoch auch Risiken für die Arzneimittelentwicklung allgemein und für die PM im
Speziellen verbunden, die derzeit überwiegend auf die Neuheit des Verfahrens zurückzuführen
sind. So bestehen viele Unklarheiten in Bezug auf die Voraussetzungen und auf den Verfahrens‐
ablauf (beispielsweise über den Begriff und die Festlegung des zutreffenden Komparators34 etc.)
sowie über die Anforderungen an den Nachweis des Zusatznutzens. Die beschriebenen Unsicher‐
heiten könnten in verstärktem Maße zur fehlenden Kalkulierbarkeit des späteren Erstattungsprei‐
ses und zu Planungsunsicherheiten bei den Unternehmen führen. Die Möglichkeit, dass For‐
schungskosten nicht amortisiert werden können, würde zu einer Beeinträchtigung von Forschung
und Entwicklung auch in der PM führen.
34 Angesprochen von Prof. Dr. Rainer Riedel im Vortrag zum Thema „AMNOG und die Welt der Pharma‐Rabatte ‐ Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung in Krankenhaus und Praxis“, 46. Berliner Krankenhaus‐Seminar, 23.11.2011.
104
„Bei vielen Dingen ist es wirklich Neuland und unklar und man müsste sich vorher gemeinsam an
einen Tisch setzen und definieren, wo man hin will. Das aber auch dann in einen Entscheidungs‐
prozess der unternehmerischen Zielen entgegenkommen kann.“ (A6)
Für den Bereich der PM könnte sich hier ähnlich der Zulassung von Arzneimitteln Probleme beim
Nachweis des Zusatznutzens durch klinische Studien stellen, da eine Stratifizierung stets auch
eine Verkleinerung des Patienten‐ und Probandenkollegs bedingt ist. Es könnte fraglich sein, ob
die Studien mit einer kleineren Probandenanzahl für den Nachweis des Zusatznutzens im Rahmen
der frühen Nutzenbewertung ausreichend sind. Dieser Nachweis ist zudem wohl mit höheren
Anforderungen und damit auch höheren Kosten und Mühen verbunden.
„Sie müssen nach dem AMNOG‐Gesetz auch zeigen, dass sie einen Mehrwert generieren gegen‐
über dem vergleichbaren Produkt. Das heißt aber auch, die Studien werden alle viel schwieriger
und viel größer.“ (D3)
„Das AMNOG bietet allerdings auch, so wie es aufgesetzt ist, auch das Potenzial, wenn es nicht
richtig gemacht wird, die gesamte Forschung in Deutschland und die Innovation von Präparaten
komplett lahm zu legen. Weil wir da in unserer deutschen Gründlichkeit ein System etabliert ha‐
ben, was ein hohes Risiko dafür birgt.“ (A5)
Eine Chance zur Umgehung dieser Probleme bietet jedoch die Regelung, dass so genannte
Orphan Drugs, also Arzneimittel für seltene Erkrankungen35 von der Erbringung der strengen
Nachweise des Zusatznutzens befreit sind. Die Einstufung als Arzneimittel für seltene Erkrankun‐
gen kommt aufgrund der Stratifizierung auch für eine Vielzahl von Arzneimittel der PM in Be‐
tracht.36
14. Erstattungsfähigkeit von diagnostischen Tests und deren Durchführung
Neben Fragen der Erstattungsfähigkeit der Arzneimittel stellt sich in der PM insbesondere die
Frage nach der Erstattung von diagnostischen Leistungen. Im ambulanten vertragsärztlichen Be‐
reich erfolgt diese nur nach Empfehlung durch den GBA und nach Aufnahme in den EBM (Einheit‐
licher Bewertungsmaßstab), § 135 SGB V. Bei Nichtaufnahme in den EBM und fehlender Erstat‐
tung durch die gesetzlichen Krankenkassen würde eine Anwendung nur nach Kostenübernahme
durch den Patienten oder unter Umständen bei Companion Diagnostics durch den Arzneimittel‐
hersteller möglich sein. In der Praxis hat sich nach Aussage der Experten in den Interviews bereits
mehrfach das Problem gezeigt, dass die diagnostischen Leistungen nicht aufgenommen und des‐
halb nicht erstattet werden: „Für uns ganz problematisch ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen
die Diagnostik nicht bezahlen. […] Aus diesem Grund haben alle gesetzlich Versicherten keine
Chance, individuell behandelt zu werden.“ (D9) „Das heißt, viele Diagnostika sind einfach zu wenig
35 Arzneimittel nach VO (EG) Nr. 141/200. 36 Beispiel für bereits zugelassene Wirkstoffe, die der PM zugeordnet werden und in einer bestimmten Indikation der Einstufung als Arzneimittel für seltene Leiden unterliegen sind beispielsweise Imatinib oder Nilotinib.
105
finanziell unterstützt und damit fällt auch das Incentive weg, ausreichend zu investieren und gute
Diagnostika zu entwickeln.“ (A6)
Ein weiteres Problem stellt außerdem die Tatsache dar, dass es grundsätzlich keine Fristen zur
Aufnahme durch eine Richtlinie gibt und die Diagnostikunternehmen somit lange Wartezeiten
und Planungsunsicherheiten hinnehmen müssen.37 Problematisch ist zudem die gesetzlich nicht
geklärte Abrechenbarkeit von Testleistungen, die im Krankenhaus ohne stationäre Aufnahme
durchgeführt werden. Unklarheiten über die Möglichkeit der Kostenerstattung könnte die Durch‐
führung der Tests in Krankenhäusern verhindern.
15. Einführung einer Erprobung von Untersuchungs‐ und Behandlungsmethoden
In Bezug auf Diagnostikleistungen könnte die Einführung einer Erprobung von Untersuchungs‐
und Behandlungsmethoden (§ 137 e n. F. SGB V) durch das Versorgungsstrukturgesetz38 Einfluss
auf die Entwicklung der PM haben. Dieses sieht für Untersuchungsmethoden, deren Nutzen noch
nicht hinreichend belegt ist, eine Erprobungszeit zur Gewinnung von notwenigen Erkenntnissen
für die Bewertung des Nutzens vor (Abs. 1 n. F.). Hierfür ist eine Entscheidung des GBA erforder‐
lich. Die Leistungen werden während der Erprobungszeit von den Krankenkassen vergütet. (Abs.
3) Des Weiteren wird dem GBA die Pflicht zur Entscheidung über eine Aufnahme in den EBM
durch Richtlinie nach Ablauf der Erprobungszeit auferlegt. (Abs. 7) Diese neue gesetzliche Rege‐
lung bietet die Möglichkeit auf frühzeitige Erstattung und gleichzeitige Erprobung des Nutzens
der diagnostischen Methode. Hierdurch werden Innovationen auch im Hinblick auf die PM geför‐
dert. Außerdem zwingt sie den GBA nach Ablauf der Zeit zu einer Entscheidung, was die Pla‐
nungssicherheit für die Unternehmen erhöhen könnte.
„[Man hat] ein beschleunigtes Verfahren eingeführt, wo letztendlich die KBV zusammen mit dem
Bewertungsausschuss innerhalb eines Jahres entscheidet, gibt es eine Ziffer für eine neue Innova‐
tion oder nicht. Das heißt, es wird eingereicht ein Paper mit umfassenden Informationen und Stu‐
dienmaterial von entsprechenden Meinungsbildnern, die auch ein Votum abgeben. Sie müssen da
ganz viel Vorarbeit leisten und reichen dann dieses Material ein. Das geht dann an eine speziali‐
sierte Laborgruppe […]. Das sind auch Ärzte und Biologen, die überprüfen dann ganz genau, ob
diese ganzen Angaben stimmen und ob die nachvollziehbar sind und schreiben dann eine Empfeh‐
lung, das Ganze geht dann in die KBV und die haben dann noch ein weiteres halbes Jahr Zeit. Die
entscheiden dann, ob dieses neue Diagnostik‐Tool wert ist, dass man das abrechenbar macht.
Dass der Arzt, wenn er dieses Tool einsetzt, Geld dafür bekommt.“ (D4)
Die Regelung ist wie die meisten neuen Regulierungen jedoch auch wieder mit zusätzlichen Ver‐
fahren verbunden, die aufgrund der Neuheit der Regelung potentiell zu Unsicherheiten und zu‐
37 Aussage eines Experten beim Projekt‐Kick‐Off‐Meeting. 38 S. Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung, abrufbar unter: http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/V/Versorgungsstrukturgesetz/GKV_VStG_110803.pdf
106
sätzlichem Aufwand führen können. Die genauen Auswirkungen werden nach Inkrafttreten am
01.01.2012 abzuwarten sein.
Neben den Hürden, die sich allein aus dem nationalen Erstattungssystem ergeben können, stellt
auch die Unterschiedlichkeit der Erstattungssysteme der einzelnen Länder allein schon in der EU
und natürlich auch darüber hinaus ein Hindernis für herstellende Unternehmen im Bereich von
Arzneimitteln und Diagnostik dar (Miller et al 2011, 138f.). So unterliegt jedes einzelne nationale
und komplexe Verfahren eigenen Regeln und Vorgaben. Jedes Verfahren unterscheidet sich bei‐
spielsweise in den Anforderungen an Nutzennachweise und klinische Studien sowie im Verfah‐
rensgang der Erstattung und der beteiligten Akteure. Ein Einarbeiten und eine Anpassung an alle
verschiedenen komplexen Systeme erfordert einen hohen Verwaltungs‐ und Kostenaufwand und
kann so die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln allgemein und damit auch die der Leis‐
tungen der PM im Speziellem verlangsamen.
16. Interesse am Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit
Als zusätzliches Interesse der Krankenkassen ist der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der einzel‐
nen Krankenkassen zu nennen. Hierbei sind sie insbesondere an einer Imageförderung und an der
Aufnahme neuer Versicherungsnehmer interessiert. Diese könnten durch ein über die Erstattung
der Leistungen nach Leistungskatalog hinausgehendes Angebot von Wahlleistungen angeworben
werden. Das Angebot von personalisierten Gesundheitsleistungen als Wahlleistungen kann sich
fördernd und damit als Treiber für die PM auswirken. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die
einzelnen Krankenkassen zum Erhalt ihrer eigenen Funktionsfähigkeit nicht an der Aufnahme et‐
waiger Risikopatienten interessiert sind. Diese könnten jedoch gerade durch das Angebot meist
kostspieliger Leistungen der PM besonders an einer Mitgliedschaft interessiert sein, was einem
freiwilligen Angebot entgegensteht und sich damit hindernd auf die Gesamtentwicklung auswirkt.
Der Kassenärztlichen Vereinigung obliegt die Wahrnehmung und Vertretung der Interessen der
Vertragsärzte. Oberste Priorität hat damit die Durchsetzung ihrer Interessen wie der einer wirk‐
samen Behandlung der Patienten bei angemessener Vergütung der Leistungen.39 Ein Engagement
der Kassenärztlichen Vereinigungen für die PM ‐ beispielsweise durch Mitwirkung im Gemeinsa‐
men Bundesausschuss GBA und die Ermöglichung der Aufnahme der Leistungen in den Leistungs‐
katalog ‐ kann einen Treiber für die PM darstellen.
17. Ethikkommission
Vorrangige Interessen der Ethikkommission sind der Schutz von Patienten und Probanden in klini‐
schen Studien, von Forschern und auch der von Tieren. Hierzu prüft diese die Einhaltung ethi‐
39 KBV, Die Kassenärztliche Bundesvereinigung – ein Kurzportrait, 2009, http://daris.kbv.de/daris/doccontent.dll?LibraryName=EXTDARIS^DMSSLAVE&SystemType=2&LogonId=b0de402267a1b0a6ffaf619c134e3c81&DocId=003752029&Page=1
107
scher Standards bei der Arzneimittelentwicklung, ‐herstellung und –zulassung, dabei insbesonde‐
re bei der Durchführung klinischer Studien. Gerade das gesetzliche Erfordernis der Zustimmung
der zuständigen Ethikkommission zur Durchführung klinischer Studien40 kann sich aus Sicht der
Unternehmen als zusätzliche Hürde bei Forschung und Entwicklung von Leistungen der PM.
Gleichzeitig bietet die Prüfung durch eine unabhängige Ethikkommission die Möglichkeit, die ge‐
rade durch die PM entstehenden Unsicherheiten und Ängste im Hinblick beispielsweise auf den
Datenschutz oder das Selbstbestimmungsrecht der Patienten zu vermindern.
40 § 40 Abs.1 AMG.
108
4.6 Akteure Gesellschaft und Medien
Das Gesundheitswesen und dessen Entwicklungen stehen stark im Blickpunkt der Öffentlichkeit.
Akteure in der Öffentlichkeit bzw. in der gesellschaftlichen Sphäre sind einerseits die Bürger mit
ihren Interessen als Beitragszahler im Gesundheitssystem, aber auch als Patienten. Zu den gesell‐
schaftlichen Akteuren zählen auch eine Vielzahl von Gruppen und Institutionen mit verschiede‐
nen Interessen und Meinungen. Hierzu gehören zivilgesellschaftliche Gruppen wie Patientenver‐
einigungen und Sozialverbände sowie der Deutsche Ethikrat. Diese Vereinigungen und Organisa‐
tionen treten häufig in beratender Funktion auf. Die Medien haben als weitere Akteursgruppe
einen starken Einfluss auf die Meinungsbildung. Gleichzeitig fungieren sie aber auch als Spiegel
von Meinungen und Interessen der gesellschaftlichen Akteure. Dabei sollte zwischen den eher
traditionellen Printmedien einerseits und dem digitalen Medium Internet andererseits sowie des‐
sen Funktion als Kommunikationsplattform unterschieden werden (Darstellung3).
4.6.1 Gesellschaft und Medien ‐ Einleitung
Auch wenn hier zwischen Akteuren aus Gesellschaft, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Markt
unterschieden wird, sind auch die Akteure der anderen Bereiche nicht von der gesellschaftlichen
Sphäre zu trennen.
Darstellung 13: Akteure der Gesellschaft und Medien
Quelle: Eigene Darstellung
Im Bereich von Gesellschaft und Medien zeigen sich eine Vielzahl von Interessen und Einflüssen,
die von Bedeutung sind, um die Vorstellung einer PM erfolgreich in die medizinische Anwendung
zu überführen. Neben den Faktoren, die direkt auf einzelne Akteure zurückzuführen sind, spielen
auch soziale Faktoren und gesellschaftliche Werte eine wichtige Rolle. Diese sind nicht an einzel‐
109
ne Akteure gebunden, sondern beeinflussen sowohl die Gesellschaft als auch die anderen Subsys‐
teme und Akteure im Innovationssystem.
PM wird in der Öffentlichkeit und den mit den Konsequenzen medizinischer Forschung für die
Gesellschaft befassten Institutionen, nicht nur als Companion Diagnostics dargestellt und wahr‐
genommen wird, sondern darüber hinaus als ein Begriff, der auch die Analyse von genetischen
Prädispositionen für bestimmte Krankheiten, Präventivmaßnahmen, bildgebende Verfahren oder
Telemedizin und digitaler Krankenakten beinhaltet. Obwohl der Fokus auch hier auf der Analyse
der für den Bereich der Companion Diagnostics relevanten Faktoren liegt, werden an einigen Stel‐
len auch Einflüsse einbezogen, die die PM im weiteren Sinne umfassen.
Viele der erwähnten Faktoren unterliegen einem ständigen Wandel, was die Einschätzung zu‐
künftiger Entwicklungen schwierig macht. Nicht zuletzt besteht auch die Möglichkeit, dass sich
Faktoren mit oder aufgrund der Einführung der PM verändern. Hier besteht eine große Heraus‐
forderung, aber auch eine große Chance bei der Kommunikation der Unternehmen mit der Öf‐
fentlichkeit. Der Nuffield Council unterscheidet zwischen grundsätzlichen ethischen Problemen
und solchen, die durch Interventionen der Regierung oder Dritter aktiv beeinflusst werden kön‐
nen. (Nuffield Council on Bioethics 2010, 26). Dies kann auf die folgende Darstellung gesellschaft‐
licher Faktoren übertragen werden. Während einige der Gesellschaftlichen Faktoren zur Kenntnis
genommen werden müssen, ohne dass sie direkt veränderbar sind, können andere durch aktives
Verhalten der Akteure geformt werden. So unterschiedliche Faktoren wie die demographische
und sozioökonomische Entwicklung sowie der Glaube an den (positiven) Fortschritt in der Medi‐
zin oder religiöse Werte können von Unternehmen allenfalls analysiert und in Zukunftsszenarien
einbezogen werden. Andere, wie die Gesundheitskompetenz der Bürger oder Probleme beim
Datenschutz können durch aktive Informationspolitik oder Intervention der Regierung beeinflusst
bzw. verändert werden. Eine Reihe von Faktoren ist darüber hinaus nur zu einem gewissen Grad
durch die verschiedenen Akteure zu beeinflussen bzw. zu verändern.
4.6.2 Gesellschaft und Medien ‐ Einflussfaktoren
Die im Folgenden beschriebenen Einflussfaktoren sind aus Studien zu Technologien, Gesundheits‐
system und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abgeleitet und in projektinternen Workshops
für den Bereich der PM angepasst. Sie wurden zudem auf einem weiteren Workshop von Vertre‐
tern der Wirtschaft und Wissenschaft bewertet. Der Fokus liegt auf den Einflussfaktoren der Ge‐
sellschaft. Eine Analyse der Medien und wie diese Produkte und Dienstleistungen der PM voran
bringen können, wird im Rahmen dieser Untersuchung nicht vertieft, sondern als Einflussfaktor
der Gesellschaft, wie Berichterstattung und öffentliche Debatten sowie öffentliche Meinung zur
PM und zu den verwendeten Technologien diskutiert.
110
Tabelle 8: Einflussfaktoren Gesellschaft
Nr. Einflussfaktor Chancen / Treiber Risiken / Barrieren
1 Erwartungen an das
Gesundheitssystem; medi‐
zinischer Bedarf
‐ hohes Interesse an PM (Prävention,
Lebenszeit, Lebensqualität, Heilung)
‐ Kostenanstieg des Gesundheitssystems
2 Berichterstattung und öf‐
fentliche Debatten;
öffentliche Meinung zur PM
und zu den verwendeten
Technologien
‐ Aufgabe der Medien ist die Informa‐
tion der Öffentlichkeit, Kommunikati‐
on zwischen Akteuren und Meinungs‐
bildung
‐ Öffentlichkeit kann die Einführung
oder Erstattung von Therapien der PM
einfordern
‐ gesellschaftliche Debatten können zu
einseitiger Berichterstattung führen;
Öffentliche Meinung und Debatten un‐
terliegen ständiger Veränderung ‐ sind
möglicherweise kritisch gegenüber tech‐
nologischen, medizinischen, ökonomi‐
schen und gesellschaftlichen Konse‐
quenzen der PM
3 Datenschutz ‐ Auswertung von Gesundheitsdaten
kann Forschung voranbringen
‐ zentrale Datenspeicherung kann
Gesundheitsversorgung verbessern
‐mangelnder Schutz insbesondere gene‐
tischer Daten kann das Vertrauen in die
PM erschüttern
4 Sozialsystem und Solidar‐
gemeinschaft im Gesund‐
heitswesen
‐ Wert des Lebens
‐ Individualismus
‐ solidarisch vs. eigenver‐
antwortlich
‐ Breite Nutzung der PM unabhängig
von sozioökonomischem Status
‐ Unterstützung der PM ungeachtet
ihrer Kosten
‐ Erhöhung von Beiträgen für Kranken‐
kassen; möglicherweise werden teure
Tests und Behandlungen nicht mehr
solidarisch von den Krankenkassen
übernommen
‐ Ablehnung der PM wegen zu hoher
Kosten oder der Gefahr einer Zwei‐
Klassen‐Medizin
5 Bereitschaft zur privaten
Kostenübernahme von
Gesundheitsleistungen
‐ Diagnostische Tests können verkauft
werden, ohne in die Leistungskataloge
der GKV aufgenommen zu sein
‐ schnellere Verbreitung neuer diag‐
nostischer Tests durch direkten Ver‐
trieb an die Patienten
‐ geringe Bereitschaft zu Eigenleistungen
für PM im gesetzlichen Krankenversiche‐
rungssystem
‐ Wahrnehmung einer Zwei‐Klassen‐
Medizin möglich – Ablehnung durch die
Öffentlichkeit und Sozialverbände
6 Gesundheitskompetenz ‐ breite Informationsmöglichkeiten
durch digitale Medien
‐ hohes Interesse und Engagement
einiger Bevölkerungsgruppen an medi‐
zinischen Informationen und Interesse
an der Mitbestimmung bei der Be‐
handlung
‐ Informationsüberfluss im Internet ohne
Möglichkeit der Bewertung der Qualität
‐ Mangel an systematisch für die Allge‐
meinbevölkerung aufbereiteten Infor‐
mationen hoher Qualität
‐ mangelndes Verständnis medizinischer
Diagnosemethoden, neuer Behand‐
lungsmethoden und der Interpretation
von Testergebnissen
6a Bildungsstand ‐ hoher Bildungsstand kann Nachfrage
nach diagnostischen Tests und das
Verständnis der Ergebnisse sowie
Eigenverantwortung erhöhen
‐ niedriger Bildungsstand kann Akzep‐
tanz der PM erschweren
111
6b Medienkompetenz ‐ Mehr Mitbestimmung und Verant‐
wortung der Patienten durch mehr
Wissen zu Gesundheitsthemen
‐ Schwierigkeiten beim Finden, Verste‐
hen und Bewerten von Informationen;
Gefahr der Ablehnung durch unvollstän‐
dige, falsche oder unverständliche In‐
formationen
7 Patientenautonomie;
Wachsende Verantwortung
des Individuums für seine
Gesundheit
‐ Veränderung des Verhältnisses zwi‐
schen Arzt und Patient
‐ allgemeiner Trend zu mehr Eigenver‐
antwortung durch den informierten
Patienten
‐ Möglichkeit des gemeinsamen Ent‐
scheidungsprozesses
‐ mehr Freiheit über die eigene Ge‐
sundheit und Behandlung zu entschei‐
den
‐mögliche Ablehnung von mehr Eigen‐
verantwortung, besonders wegen man‐
gelnder Information oder Überforderung
bei der Beurteilung von Nutzen, Risiken
und Kosten verschiedener Behandlungen
‐ mangelnde Gesundheitskompetenz
abhängig von sozioökonomischem Sta‐
tus, Bildungsstand und Alter erschwert
eine Mitsprache des Patienten
8 Einstellung zu medizini‐
scher Forschung
‐ Hoffnung auf medizinischen Fort‐
schritt kann Akzeptanz der PM fördern
‐ Ablehnung z.B. genetischer Forschung
oder neuer Technologien kann die Ak‐
zeptanz der PM behindern
9 Psychologische Faktoren
beim Umgang mit Tester‐
gebnissen
‐ Wachsendes Sicherheitsstreben bzw.
Risikoaversion kann zu verstärkter
Nachfrage nach diagnostischen Tests
führen
‐ Psychologische Belastung durch Test‐
ergebnisse besonders genetischer Tests
‐ mögliche Stigmatisierung oder geneti‐
sche Diskriminierung durch die Gesell‐
schaft (oder Arbeitgeber und Versiche‐
rungen)
1. Erwartungen an das Gesundheitssystem und medizinischer Bedarf
In der Gesellschaft besteht ein starkes Interesse am medizinischen Fortschritt. Für eine Reihe von
Krankheiten sowohl seltener als auch weit verbreiteter Erkrankungen wie Depressionen, Krebs
oder Diabetes, fehlen wirksame oder nebenwirkungsarme Medikamente. Zudem besteht auf‐
grund höherer Kosten der Arzneimittel und verstärkter Nutzung der angebotenen Leistungen
bedingt u.a. durch den demographischen Wandel, ein erhöhter Kostendruck auf Gesundheits‐
dienstleister und Versicherer bzw. Krankenkassen. Während für den Bürger als Patienten in erster
Linie die bestmögliche Behandlung im Mittelpunkt steht, ist der Bürger als Beitragszahler eher
kritisch gegenüber Erhöhungen der Versicherungsbeiträge oder Zuzahlungen für Arzneimittel und
anderen medizinischen Leistungen. Dies liegt u. a. daran, dass es im deutschen System der ge‐
setzlichen Krankenversicherung für die Versicherten kaum Einblick in die Kostenstruktur oder die
Erstattungspraxis gibt. So ist sich die Mehrheit der gesetzlich Versicherten nicht über die tatsäch‐
lichen Kosten von Behandlungen, Medikamente oder Diagnoseverfahren im Klaren. Es besteht
geradezu ein öffentlicher Konsens darüber, dass die Gesundheitsversorgung zu teuer und die Bei‐
träge für die Krankenkassen bzw. Krankenversicherungen zu hoch seien. Die Erwartung an das
Gesundheitssystem ist die, dass wie bisher die Kosten für Diagnostik und Therapie zumindest zum
überwiegenden Teil von den Krankenkassen übernommen werden. Für die Zukunft der PM könn‐
112
te sich diese Haltung als problematisch erweisen, sollten bestimmte Leistungen nicht mehr von
den Krankenkassen übernommen werden.
2. Berichterstattung, öffentliche Debatten und Meinung zur PM und zu den verwendeten Techno‐
logien
Die Medien erfüllen in Bezug auf die PM zwei Aufgaben. In erster Linie sind sie Vermittler von
Informationen zwischen gesellschaftlichen Akteuren. Zudem sind sie aber auch als Institution zu
verstehen, die durch das Filtern und Bewerten von Informationen selbst eine Institution ist, die
die öffentliche Meinung beeinflusst.
Als Informationsvermittler können die Medien Informationen über die Möglichkeiten von Medi‐
zin und Diagnostik sowie über Krankheiten und deren Behandlung geben. Die zunehmende Nut‐
zung des Internets für die Informationsbeschaffung zu Gesundheitsthemen hat das Potenzial die
Beziehungen zwischen dem Patienten einerseits und dem Arzt bzw. dem Anbieter von Gesund‐
heitsleistungen andererseits fundamental zu verändern. Durch die breiten Informationsmöglich‐
keiten der digitalen Medien besteht für den informierten Patienten die Möglichkeit, an der Ent‐
scheidungsfindung im Sinne des gemeinsamen Entscheidungsprozesses teilzuhaben. Zudem kann
über eine starke öffentliche Debatte die Einführung einer Behandlung bzw. deren Erstattung im
gesetzlichen Gesundheitssystem eingefordert werden. Gleichzeitig besteht aber auch die Gefahr,
dass eine einseitige, risikoorientierte Berichterstattung zu einer ablehnenden Haltung der Bevöl‐
kerung gegenüber der PM führt. Öffentliche Debatten unterliegen außerdem ständigen Verände‐
rungen und können sich bei medienwirksamen Ereignissen schnell ändern.
Die klassischen Printmedien, also Zeitungen und Magazine bieten vielfältige Informationen zu
medizinischen und Gesundheitsthemen. Allerdings sind diese Informationen in begrenzter Zahl
und in gefilterter Form verfügbar, d.h. in einer Themenauswahl, die der Leser allenfalls geringfü‐
gig beeinflussen kann. Ein überwiegender Teil der Anbieter von Printmedien bieten zumindest
eine Auswahl ihrer Informationsangebote auch im Internet an, womit die Inhalte jederzeit und je
nach Bedarf abgefragt werden können. Darüber hinaus bietet das Internet eine Vielzahl von In‐
formationsquellen zu medizinischen Themen. Diese können in fünf Kategorien eingeordnet wer‐
den (Nuffield Council on Bioethics 2010, 66; Schwartz 2008):
1. Allgemeine Gesundheitsinformationen von Quellen wie Zeitungen oder medizinischen In‐
stitutionen, in Deutschland, z.B. Der Spiegel Gesundheit
http://www.spiegel.de/thema/gesundheit/, http://www.gesundheitsinformation.de/ her‐
ausgegeben vom IQWiG, Institut Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
und weisse Liste http://www.weisse‐liste.de/,
2. Krankheitsspezifische Informationen, oft von größeren Vereinigungen bereitgestellt, z.B.
der Deutsche Krebsgesellschaft oder der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie,
3. Patienten‐Seiten, die oft als Soziales Netzwerk funktionieren, z.B. PatientsLikeMe
http://www.patientslikeme.com/,
113
4. Wissenschaftliche Informationen auf Seiten wie PubMed oder Onlinezugänge zu Fachpub‐
likationen, die jedoch oft kostenpflichtig sind,
5. Web tools, die Patienten helfen, mit ihrer Krankheit besser umzugehen.
Web Tools spielen derzeit in Deutschland eine geringe Rolle, könnten jedoch durch die Entwick‐
lung nutzerfreundlicher Anwendungen beispielsweise auf Smartphones noch an Bedeutung ge‐
winnen. Insgesamt sind die beschriebenen Angebote vorwiegend im Non‐Profit Bereich zu finden,
wobei Pharma‐ und Diagnostikunternehmen zunehmend nicht nur Fachinformationen, sondern
auch kommerziell orientierte Informationen für Laien anbieten.
Inzwischen bezieht ein Drittel der Bevölkerung Gesundheitsinformationen aus dem Internet. Dies
gilt insbesondere für Männer, während Frauen sich zwar allgemein häufiger über Gesundheits‐
themen informieren, aber andere Informationsquellen und Medien nutzen (Deutscher Bundestag
2009, 126; MSLGroup Germany GmbH 2011, 3).
Je nach Thema kann die Menge und Qualität der im Internet verfügbaren Informationen variie‐
ren. Dabei ist es für den Laien nicht immer ersichtlich aus welcher Quelle die Angaben stammen
und wie verlässlich sie sind. In Bezug auf die Prüfung der Glaubwürdigkeit von Internetangeboten
werden dann auch verschiedene Strategien verfolgt: Am häufigsten werden Informationen zwi‐
schen verschiedenen Quellen und Medien verglichen (55 %), auch Bewertungen anderer Nutzer
(46 %), Empfehlungen aus dem sozialen Umfeld (38 %) oder die Überprüfung des Anbieters bzw.
Absenders (35 %) werden genannt. Allerdings gibt es auch die Strategie kommerzielle Angebote
grundsätzlich zu meiden (29 %). Im Vergleich dazu wird die Zuschreibung der Quelle zu Behörden
oder namhaften Institutionen nur von verhältnismäßig Wenigen (26 %) als Kriterium für die
Glaubwürdigkeit genannt (MSLGroup Germany GmbH 2011, 4). Hier fehlt es an klaren Richtlinien
oder etablierten Anbietern, die qualitativ hochwertige Informationen bieten, die von den Patien‐
ten auch als solche wahrgenommen und genutzt werden.
Charakteristisch für die Darstellung der PM in den deutschen Medien ist der Fokus auf geneti‐
scher Diagnostik in den Bereichen Pharmakogenetik und Pharmakogenomik, der Erforschung ge‐
netischer Erkrankungswahrscheinlichkeiten sowie ökonomischen Faktoren der Unternehmen als
auch des Gesundheitswesens. Zudem konzentriert sich die Berichterstattung auf den Bereich der
Krebsmedizin als Anwendungsgebiet der PM (Almeyda und Andersson 2011). Es findet also eine
Verengung des Begriffs PM auf die Genforschung und genetische Diagnostik sowie die Krebsfor‐
schung statt.
Gerade die Printmedien und deren Online‐Angebote berichten über die PM in erster Linie nut‐
zenorientiert über wissenschaftliche oder medizinische Fortschritte – Risiken werden zudem vor‐
wiegend als gesellschaftliche Risiken kommuniziert (Almeyda und Andersson 2011). Dazu gehö‐
ren steigende Kosten im Gesundheitssystem und die Gefahr einer Zwei‐Klassen‐Medizin für die‐
jenigen, die sich die neuen Tests und Behandlungsmethoden nicht leisten können, aber auch die
Möglichkeit von Diskriminierung durch Arbeitgeber oder Versicherungen aufgrund der Ergebnisse
genetischer Tests und der Missbrauch genetischer Informationen. Dabei wird die öffentliche Dis‐
kussion zum Thema PM auf die Betrachtung von Gentests verengt, obwohl diese nur einen Teil
114
der verwendeten Diagnoseverfahren ausmachen. Im medizinischen Bereich werden auch der
teilweise nicht belegte oder nur geringe Nutzen der neuen Therapien genannt sowie mögliche
schwere Nebenwirkungen und die Kritik an der Reduzierung von Krankheitsursachen auf geneti‐
sche Faktoren. In geringerem Maße werden auch der Einsatz von Gentechnik im Bereich der
Präimplantationsdiagnostik oder des Klonens kritisiert (Almeyda und Andersson 2011).
3. Datenschutz
Genetische Informationen sind eine besondere Form der personenbezogenen Daten. Mit derzei‐
tigem Stand der Technik, kann ein Individuum seine genetischen Informationen nicht selbst ana‐
lysieren oder interpretieren. Genetische Informationen können nicht verändert werden und sind
darüber hinaus nicht nur für das Individuum selbst von Relevanz, sondern können die gesamte
Familie betreffen (Sowa 2006, 18f.). Hinzu kommt, dass es derzeit noch nicht vollständig abzu‐
schätzen ist, welche Bedeutung genetische Informationen haben bzw. in Zukunft haben werden.
Die Wissenschaft steht nach wie vor erst am Beginn der Forschung zum Verständnis der Funkti‐
onsweise genetischer Informationen. Diese „uncertainty of science“ (Sowa 2006, 19) in Bezug auf
die mögliche zukünftige Bedeutung genetischer Informationen, ist die größte Herausforderung
beim Umgang mit diesen Daten. Auch die digitalen Medien, die sehr stark für die Beschaffung von
Gesundheitsinformationen genutzt werden, stellen eine Herausforderung für den Datenschutz
dar. Gerade in Deutschland ist der Schutz persönlicher Daten ein sehr sensibles Thema, das in der
Öffentlichkeit eine große Aufmerksamkeit erfährt. Ein mangelnder Schutz genetischer Informati‐
onen kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in die PM stark erschüttern.
4. Sozialsystem und Solidargemeinschaft im Gesundheitswesen
Die Art des Sozialsystems und seiner Grundprinzipien spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für die
Einführung und Akzeptanz der PM. Zwar ist die Kostenentwicklung für diesen Bereich der Medizin
nur schwer abzuschätzen, oft wird jedoch angenommen, dass die Kosten steigen werden. Sowohl
die Öffentlichkeit als auch die Unternehmen sollten sich daher darauf einstellen, dass sich im
Kontext der allgemeinen Diskussion um die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen auch die
Frage stellen wird, ob und in welchem Umfang Tests und Therapien der PM für die Allgemeinheit
finanziert werden können. Sollte die PM teurer werden als bisherige Therapien, könnte sich die
Frage stellen, ob die Kosten weiterhin solidarisch finanziert werden oder ob bestimmte Ein‐
schränkungen durchgesetzt werden.
Was die Beitragszahler angeht, existieren entgegengesetzte Interessen: einerseits der beitrags‐
zahlende Bürger, der an möglichst geringen Ausgaben und Beiträgen für das Gesundheitssystem
interessiert ist, andererseits der Bürger als Patient, der eine optimale Gesundheitsversorgung mit
möglichst vollständiger Kostenübernahme durch die Krankenversicherungen erwartet. Wenn
man berücksichtigt, dass die Versicherten im System der gesetzlichen Krankenversicherungen nur
selten Einblick in die Kosten von Tests und Therapien haben, so steht zu befürchten, dass Kosten‐
115
steigerungen bei den Beiträgen unter Umständen auf genauso starke Widerstände stoßen kön‐
nen wie die Kürzung von Leistungen.
Allerdings spielen nicht nur Kostenüberlegungen eine Rolle, sondern auch andere gesellschaftli‐
che Werte, die die Themen wie die Solidargemeinschaft und die Ausprägung des Sozialsystems
betreffen. So werden sich stärker Fragen stellen wie: Wie hoch wird der Wert eines Lebens jen‐
seits von Kosten‐Nutzen‐Bewertungen beurteilt? Wie stark individualistisch ist die Gesellschaft
ausgerichtet? Wie stark ist das Gesellschaftssystem eigenverantwortlich oder solidarisch geprägt?
Diese Fragen betreffen nicht allein die Gesundheitsversorgung oder die PM. Ein Wandel der ge‐
sellschaftlichen Werte kann sich jedoch auch auf die PM auswirken. In unterschiedlicher Ausprä‐
gung werden diese Aspekte darauf Einfluss haben, wie die Finanzierung der PM im Gesundheits‐
system geregelt wird. Wird das Solidarsystem weiterhin sehr stark gemacht, besteht die Chance,
dass Behandlungsmöglichkeiten der PM breit und unabhängig vom sozioökonomischen Status der
Patienten genutzt werden. In diesem Fall könnte die PM breite Unterstützung in der Bevölkerung
erfahren.
Allerdings besteht auch das Risiko, dass die höheren Preise für neue Therapien mit höheren Bei‐
trägen einhergehen oder bestimmte Tests und Behandlungen von den Krankenkassen nicht mehr
übernommen werden. Dieses Thema hat bereits Eingang in die Medienberichterstattung gefun‐
den. Der Kostenfaktor ist einer der größten Kritikpunkte, die im Zusammenhang mit der PM ge‐
nannt werden. Hinzu kommt die Beschreibung der Gefahr einer Zwei‐Klassen Medizin, die in den
Medien häufig beschrieben wird (Almeyda und Andersson 2011). Verstärkt sich dieser Diskurs in
der Öffentlichkeit, so könnte die Folge die gesellschaftliche Ablehnung der PM wegen zu hoher
Kosten für den Einzelnen sein.
5. Bereitschaft zur privaten Kostenübernahme von Gesundheitsleistungen
Eng verbunden mit der Frage nach der Solidargemeinschaft im Gesundheitssystem, ist die Frage,
inwieweit die Bevölkerung bereit ist, bestimmte Gesundheitsleistungen selbst zu übernehmen.
Gerade in Deutschland müssen Unternehmen diesen Punkt bedenken, da die Out‐Of‐Pocket‐
Ausgaben im Gesundheitswesen im Vergleich zu Großbritannien und den USA traditionell eher
gering sind, obwohl auch hier eine zunehmend Zahl von Gesundheitsleistungen als sogenannte
Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) privat gezahlt werden müssen. Sollten auch Leistungen,
die der PM zuzurechnen sind, vollständig privat gezahlt werden müssen, so kann die mangelnde
Bereitschaft zur privaten Kostenübernahme als Barriere wirken, wenn dies in der Öffentlichkeit,
durch Sozialverbänder oder von Patientenverbänden als Schritt zu einer Zwei‐Klassen‐Medizin
verstanden wird. Andererseits bietet der mögliche Wandel zu einer erhöhten Bereitschaft der
privaten Kostenübernahme die Chance eines direkten Vertriebs an die Patienten.
116
6. Gesundheitskompetenz
Sowohl in Bezug auf die Bereitschaft zu privater Kostenübernahme von Gesundheitsleistungen als
auch in Bezug auf die Nachfrage nach spezifischen Leistungen beim Arzt oder die richtige Inter‐
pretation von Testergebnissen, spielt die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung eine wichtige
Rolle. Der Bericht des Bundestages zur Technikfolgenabschätzung individueller Medizin (TAB Be‐
richt) betont in Bezug auf die Gesundheitskompetenz der Bürger die folgenden Punkte:
‐ Kenntnis der Möglichkeiten und des Nutzens der PM
‐ Identifizierung von Anbietern und Beurteilung von Angebot und Qualität der Dienstleis‐
tung
‐ Fähigkeit Informationen zu medizinischen Nutze, Risiken und Kosten sowie möglichen Al‐
ternativen einzuholen
‐ Einholen und Verstehen von Informationen aus verschiedenen Quellen
‐ Entscheidungsfindung
‐ Erbringen der notwendigen Ressourcen
‐ Fähigkeit Testergebnisse zu verstehen, die möglicherweise nur Wahrscheinlichkeiten und
keine absoluten Ergebnisse darstellen – sowie mögliche Konsequenzen für das eigene Le‐
ben daraus zu ziehen
‐ Fähigkeit die eigenen Präferenzen auch im Gespräch mit dem Arzt zu äußern
‐ Möglichkeit sich mit den Konsequenzen und Krankheit psychisch und sozial auseinander‐
zusetzen entweder individuell, durch Einbindung in soziale Netzwerke oder Inanspruch‐
nahme verschiedener Hilfs‐ und Beratungsangebote (Deutscher Bundestag 2009, 124f.)
Zusammengefasst beinhaltet Gesundheitskompetenz „[…] die Komponenten Wissen, Haltung,
Werte und Verhaltensfähigkeiten und erfordert kognitive, motivationale, kommunikative und
soziale Kompetenzen. Zudem wird sie auch von kulturellen und strukturellen Faktoren beein‐
flusst“ (Deutscher Bundestag 2009, 125).
Damit wird deutlich, dass Gesundheitskompetenz von einer Vielzahl individueller und gesell‐
schaftlicher Faktoren abhängig ist. Die digitalen Medien bieten heute breite Informationsmög‐
lichkeiten, von Information geringer Qualität bis hin zu medizinischen Fachjournals. Von Bevölke‐
rungsgruppen mit starkem Interesse an gesundheitlichen Themen werden diese Informationsan‐
gebote auch vor dem Hintergrund einer stärkeren und informierten Mitbestimmung bei der Be‐
handlung verwendet. Ein hohes Maß an Gesundheitskompetenz ist als Chance für die PM zu ver‐
stehen, da sie eine höhere Nachfrage nach entsprechenden Leistungen zu Folge haben kann. Als
Hürde für die PM ist zu interpretieren, dass es für die Bevölkerung ohne entsprechende Vor‐
kenntnisse nur schwer möglich ist, im Angebot des Internets die Qualität der Informationen zu
beurteilen. Es fehlt noch an einem systematischen, auf die Bedürfnisse und das Verständnis der
breiten Bevölkerung zugeschnittenen Informationsangebot und an entweder bekannten Anbie‐
tern mit hohem Ansehen oder einer Möglichkeit qualitativ hochwertige Angebote zu zertifizieren,
um deren Qualität sichtbar zu machen.
117
Gesundheitskompetenz als übergreifendes Thema beinhaltet Faktoren wie den Bildungsstand,
Medienkompetenz und Patientenautonomie im Sinne des Wandels der Rolle vom Patienten hin
zum informierten Konsumenten.
6.a Bildungsstand
Der Bildungsstand hat einen direkten Einfluss auf die Gesundheitskompetenz. Ohne Kenntnisse in
Gesundheitsfragen sowohl allgemein als auch spezifisch zu den Möglichkeiten der modernen
Medizin, kann der Patient einerseits die Tests der PM nicht nachfragen. Gleichzeitig wird es ohne
einen entsprechenden Bildungsstand schwierig sein, die Testergebnisse und daraus folgende
Konsequenzen zu verstehen. Der Mangel an systematischer Vermittlung von Gesundheitskennt‐
nissen wird daher als Barriere bezeichnet, die insbesondere bei bildungs‐ und einkommens‐
schwachen Bevölkerungsschichten einen negativen Einfluss auf die Nachfrage und Nutzung von
Gesundheitsdienstleistungen und letztlich auch auf die Gesundheit hat (Deutscher Bundestag
2009, 126). Dabei kann aber eine Schulung der Ärzte im Umgang mit bildungsschwachen Patien‐
ten helfen, diese Barriere zu überbrücken. Gerade in Bezug auf diagnostische Tests, die nicht ob‐
ligatorisch und deren Kosten eventuell vom Einzelnen selbst zu tragen sind, ist sonst damit zu
rechnen, dass niedriger Bildungsstand und geringes Einkommen eine schwächere Nutzung der
angebotenen Dienstleistungen zur Folge haben werden, sofern keine spezifische Unterstützung
bereitgestellt wird (Deutscher Bundestag 2009, 127).
6.b Medienkompetenz
Das Internet steht nach den Ärzten inzwischen an zweiter Stelle bei der Suche nach Informatio‐
nen über Gesundheitsprobleme – es ist damit für vielen Menschen bei der Beschaffung von In‐
formationen über Gesundheitsthemen wichtiger geworden als die traditionellen Medien
(Kirschning und von Kardorff 2008). Digitale Medien werden besonders häufig für allgemeine
Gesundheitsinformationen genutzt, während bei konkreten Anlässen eher auf traditionelle In‐
formationsquellen, also auf Arzt und Apotheker sowie das nähere soziale Umfeld zurückgegriffen
wird (MSLGroup Germany GmbH 2011, 3). Auch Anonymität und Aktualität sowie die Möglich‐
keit, leicht auf medizinische Fachinformationen zuzugreifen und auf dieser Basis medizinische
Entscheidungen mitzubestimmen, kommen dabei zum Tragen. Zudem können Informationen im
Internet durch gezielte Suche genauer auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten werden, bzw.
der einzelne Patient kann durch gezielte Verfeinerung der Suche die Informationen finden, die er
für seine spezifischen Bedürfnisse benötigt. Ein größeres Wissen der Bürger zu Gesundheitsthe‐
men birgt die Chance, dass mehr Mitbestimmung und Verantwortung des Patienten bei der Be‐
handlung möglich wird.
Es zeigt sich in neueren Studien zur Mediennutzung, dass weniger technische Kriterien, also das
Vorhandensein eines PCs im Haushalt über die Nutzung und Nutzungsintensität des Internets
bestimmen. So sind im Jahr 2011 73,3% der deutschen Bevölkerung online – die Gefahr einer „di‐
118
gitalen Spaltung der Gesellschaft“ basierend auf dem Zugang zu Computer und Internet scheint
daher nicht mehr zu bestehen (van Eimeren und Frees 2011). Während einerseits die digitale
Spaltung der Gesellschaft abnimmt, treten andere soziale Faktoren in den Vordergrund. Dazu
gehören neben der Fähigkeit Informationen zu suchen, zu finden und in der Qualität einordnen
zu können, auch die Fähigkeit komplexe Inhalte medizinischer Informationen zu verstehen (Neu‐
hauser und Kreps 2003). Es sind also eher sogenannte „weiche Kriterien“ wie Medienkompetenz
und Anwendungsroutinen, anhand derer zwischen Internetnutzern und Nicht‐ oder Gelegen‐
heitsnutzern unterschieden werden kann (van Eimeren und Frees 2011).
Die Nutzung spezifischer Inhalte und Quellen des Internets, steht daher nach wie vor in engem
Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status: ist dieser eher niedrig, so wird die Internet‐
nutzung wahrscheinlich eher von einem Unterhaltungsaspekt bestimmt, ist der sozioökonomi‐
sche Status höher, so wird mit größerer Wahrscheinlichkeit der Informationscharakter des Inter‐
nets stärker im Vordergrund stehen. Der Bildungsstand hat also einen direkten Einfluss darauf,
welche Informationen genutzt werden (Lee 2009). Ein Zuwachs der Internet‐Nutzung zeigt sich
inzwischen auch in der älteren Generation der ab 60‐Jährigen, allerdings in erster Linie bei „klas‐
sischen“ Internetinhalten. Web 2.0 Inhalte wie Social Communities werden noch immer vorwie‐
gend von jungen Usern genutzt. Insgesamt dominieren daher nach wie vor E‐Mail und die Suche
nach Informationen im Netz die Nutzung des Internets (van Eimeren und Frees 2011). Dabei ha‐
ben die Möglichkeiten der Netzwerke und Diskussionsplattformen im Internet das Potenzial einen
starken Beitrag für die PM zu leisten. Informationen zwischen Ärzten und/oder Patienten können
über Internetforen oder Onlineplattformen vermittelt werden, auch wenn diese bisher nur von
wenigen Nutzern aktiv genutzt werden (Khechine et al. 2008; Busemann und Gscheidle 2011).
Die Berichte des TAB und des Nuffield Council stimmen darin überein, dass Gesundheitsinforma‐
tionen im Internet zwar in großer Menge verfügbar sind, dass sie aber für den Laien in ihrer Qua‐
lität nur schwer zu beurteilen und zudem oft nur unzureichend aufbereitet sind. So besteht zwar
einerseits ein großes Interesse an Gesundheitsinformationen, gleichzeitig mangelt es aber am
Verständnis der Informationen. Der Bericht des TAB beschreibt die Situation so, dass „[…] der
Zugang zu umfassenden, neutralen, ausgewogenen Informationen schwierig ist. Interessengelei‐
tete, unvollständige und irreführende Informationen sind häufig“ (Deutscher Bundestag 2009,
152). Der TAB fordert daher dass „medizinische Fachgesellschaften und neutrale Stellen der Pati‐
enteninformation (z.B. die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) neutrale, verständli‐
che und zielgruppengerechte Informationen über konkrete Anwendungen der individualisierten
Medizin bereitstellen und zwar bereits in der Frühphase ihres Angebots auf dem Markt“ (Deut‐
scher Bundestag 2009, 152). Dies überschneidet sich mit den Empfehlungen des Nuffield Council,
der konkreter auf das Internet bezogen die Etablierung von good practice für Internetseiten und
Foren zu Gesundheitsthemen, eine Akkreditierung für Online‐Gesundheitsinformationen oder die
Bereitstellung von Gesundheitsinformationen mit hoher Qualität durch eine staatliche Stelle
empfiehlt (Nuffield Council on Bioethics 2010, 64). Festzuhalten ist zudem, dass gerade auf dem
Gebiet des vom Patienten generierten Inhaltes (patient‐generated‐content) noch viel ungenutz‐
tes Potenzial besteht, um durch Vernetzung von Patientenblogs und Fachinformationen aus den
119
Unternehmen eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen (MSLGroup Germany GmbH 2011, S. 10).
Gerade bei der Vernetzung mit Inhalten auf Unternehmenswebseiten ist allerdings zu beachten,
dass Patienten kommerziellen Inhalten weniger vertrauen als namhaften Institutionen, Organisa‐
tionen und Behörden (MSLGroup Germany GmbH 2011, S. 4). Die größten Hürden, die in der PM
bestehen darin, dass die Bürger Schwierigkeiten beim Finden, Verstehen und Bewerten von In‐
formationen haben. Dies birgt die Gefahr, dass durch unvollständige, falsche oder unverständli‐
che Informationen eine ablehnende Haltung gegenüber der PM entsteht.
7. Patientenautonomie und wachsende Verantwortung des Individuums für seine Gesundheit
Durch die breiten Informationsmöglichkeiten der klassischen, besonders aber der digitalen Medi‐
en, kann auch das Verhältnis zwischen Arzt und Patient verändert werden. Der informierte Pati‐
ent oder zugespitzt der informierte Konsument (informed consumer) von Gesundheitsleistungen
kann mehr Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen und über die eigene Behandlung
mitbestimmen.
Der Bericht des Nuffield Council beschreibt den Trend zu mehr Eigenverantwortung als Entwick‐
lung, die sich in den letzten Jahren aus der Kritik am Sozialstaat entwickelt hat und auch in den
medizinischen Bereich Eingang gefunden hat. Dies hat eine Reihe von Konsequenzen. Im Sinne
eines Shared‐Decision‐Making, also einer geteilten Entscheidungsfindung, kann der Patient mehr
Freiheit bekommen, über die eigene Behandlung mitzubestimmen. Gleichzeitig verlangt ihm die‐
se Freiheit aber auch eine Shared‐Responsibility, also eine geteilte Verantwortung für die Be‐
handlung und ihre Ergebnisse ab. Aus dieser Befähigung (empowerment) der Patienten ergeben
sich eine Reihe weiterer Fragen. So will nicht jeder tatsächlich diese Verantwortung übernehmen
und nicht jeder kann die verschiedenen Optionen im Hinblick auf möglichen Kosten und Nutzen
bewerten. Letztlich setzt dieser Ansatz die Möglichkeit der Informationsbeschaffung und Kom‐
munikation für alle Bevölkerungsgruppen voraus, der eine eigenverantwortliche medizinische
Bildung und einen informierten Patienten erst ermöglichen.
8. Einstellung zu medizinischer Forschung
PM ist in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor eher mit medizinischer Forschung als mit
konkreter Anwendung verbunden. Auch wenn in den Medien in den letzten Jahren verstärkt über
neue Behandlungsmethoden berichtet wurde, bleibt PM ein Thema, über das vorwiegend im wis‐
senschaftlichen Kontext berichtet wird (Almeyda und Andersson 2011). Als Treiber für die PM
kann verstanden werden, dass die Hoffnung auf medizinischen Fortschritt die Akzeptanz neuer
Behandlungsmethoden steigern kann. So wurde bei der Analyse der Medienberichterstattung
festgestellt, dass die Bewertung der PM immer dann überwiegend positiv war, wenn neue Be‐
handlungsmethoden, Medikamente oder allgemein der medizinische Fortschritt im Vordergrund
standen. Hingegen war die Berichterstattung gerade in Bezug auf die Gentechnik und deren ge‐
120
sellschaftliche Konsequenzen eher kritisch (Almeyda und Andersson 2011). Die Ablehnung der
Gentechnik oder anderer neuer Technologien kann sich als Barriere für die PM auswirken.
Dabei ist es schwer, die eher auf Überzeugungen als auf konkretem Wissen beruhenden Ängste
der Bevölkerung zu beruhigen. Es wird eine Strategie benötigt, um die Öffentlichkeit zu informie‐
ren und um Angst und Befürchtungen der Öffentlichkeit gegenüber neuen Technologien zu be‐
sänftigen. Dazu gehören ein System zur Bereitstellung von genetischen Informationen, ein klarer
Standpunkt der Regierung zu Fragen von Sicherheit und Ethik sowie der Ausbau der schulischen
und außerschulischen Bildung bezüglich der Fragen zu Gentechnik (Sowa 2006, 19f.).
9. Psychologische Faktoren beim Umgang mit Testergebnissen
Der Umgang mit den Ergebnissen genetischer Tests bzw. der Nachfrage nach derartigen Tests ist
aufgrund des bisher geringen Angebots bzw. der hohen Kosten nur schwer zu beurteilen. Als
Treiber kann hier ein höheres Sicherheitsstreben bzw. die Risikoaversion gesehen werden, die zu
stärkerer Nachfrage nach diagnostischen Tests führen können. Als Barrieren gilt hier insbesonde‐
re die mögliche psychologische Belastung durch die Kenntnis der Ergebnisse genetischer Tests.
Hinzu kommt die mögliche Stigmatisierung, besonders aber die mögliche genetische Diskriminie‐
rung durch Arbeitgeber oder Versicherungen. Diese Gefahr wird in den Medien, insbesondere in
Großbritannien und den USA häufig erwähnt, hat aber auch Eingang in die deutsche Berichter‐
stattung gefunden (Almeyda und Andersson 2011).
121
4.7 Zwischenfazit: Einflussfaktoren, Treiber und Barrieren
Die unterschiedlichen Einflussfaktoren der Akteure aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft,
Markt, Politik und Gesellschaft zeigen, dass in allen Bereichen Chancen und Treiber bestehen und
einer Umsetzung der PM grundsätzlich keine unüberwindbaren Barrieren im Weg stehen. Der
Bereich Wissenschaft ist durch den positiven Trend steigender Vernetzung und vielfältige For‐
schungsprogramme in den Gesundheitswissenschaften gekennzeichnet. Hier gilt insbesondere
die Erforschung von Analysewerkzeugen zur Interpretation großer und diverser Datenmengen als
wertvolle Chance. Der teilweise beanstandeten fehlenden Verwertbarkeit der Ergebnisse und der
mangelnde Anreize in der Wissenschaft Hypothesen mit breiten, lang angelegten Studien zu be‐
legen, steht die Bedeutung des Themas Gesundheit gegenüber. Der große Bedarf, tiefere Er‐
kenntnisse in der Therapie bei bisher schweren und unheilbaren Krankheiten zu generieren wird
auch in Zukunft Wissenschaftler und Forschungsförderer mobilisieren.
Die Herausforderungen für Unternehmen werden besonders in der unklaren Kostenerstattung für
Diagnostika und dem Bedarf an neuen Wissen und Kooperationen gesehen. Hilfreich sind vor
allem der hohe Bedarf an wirksameren Medikamenten, der von Seiten der Ärzte und Patienten
sowie des gesamten Gesundheitssystems gefordert wird sowie neue wissenschaftliche Erkennt‐
nisse und der allgemeine Innovationsbedarf der Pharma‐ und Diagnostikunternehmen. Besonders
Kooperationen zwischen unterschiedlichen Wissensträgern aus Arzneimittel‐ und
Diagnostikforschung sowie der Anwendungspraxis der Ärzte bieten Möglichkeiten, Produkte und
Dienstleistungen der PM erfolgreich zu entwickeln und zu kommerzialisieren. Die Marktakteure
Ärzte, Patienten und Krankenkassen fordern effizientere Therapien und sind durch neue Informa‐
tionssysteme zunehmend besser über neue Arzneimittel und Diagnostika informiert. Die Angst
vor einem Kostenanstieg des Gesundheitssystems ist in Bezug auf die PM Treiber und Barriere
zugleich. Gezieltere und frühzeitigere Diagnosen und Behandlungen können enorme Kosten ein‐
sparen. Gleichzeitig werden durch den demographischen Wandel, neue Therapieansätze und
Möglichkeiten letale Krankheiten in chronische abzumildern, mehr Kosten entstehen.
Im Bereich Politik und regulatorische Rahmenbedingungen geht es vor allem um die Balance zwi‐
schen Interessen der Bevölkerung und der Praktikabilität von Zulassungsverfahren. Zum einen
sollen Rechte für Patienten gestärkt und ihnen Zugang zu effektiven Therapien ermöglicht wer‐
den. Zum anderen führen neue Zulassungsverfahren sowie Behandlungs‐ und Untersuchungsme‐
thoden zu Unsicherheiten, bürokratischem Mehraufwand und Unklarheiten über die genauen
Verfahrensabläufe. Besonders neues Wissen zu Validierungsverfahren, Angemessenheit der Pati‐
entenversorgung und gleichzeitig ein tragbares Gesundheitssystem zu stützen, ist hier gefordert.
Der Einfluss der Gesellschaft schlägt sich im Spannungsfeld zwischen ihrer Erwartung an das
Gesundheitssystem, Bereitschaft zur Kostenübernahme, Datenschutzforderungen und Autono‐
mie nieder. Werden auf der einen Seite bessere Therapien verlangt, ist die Bereitschaft zur priva‐
ten Kostenübernahme oder Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge eher gering. Wenn die
Datenschutzbedenken aus dem Weg geräumt werden können, wird PM besonders durch stei‐
gende Patientenautonomie begünstigt.
122
5. Handlungsempfehlungen
Ausgehend von den im vorherigen Kapitel diskutierten Einflussfaktoren werden in diesem Kapitel
für die Akteure Handlungsempfehlungen abgeleitet, um die Chancen und Treiber einer Umset‐
zung der PM zu nutzen sowie den Risiken und Barrieren entgegen zu wirken.
5.1 Handlungsempfehlungen ‐ Wissenschaft
Um die Chancen und Treiber zu nutzen und gleichzeitig den Risiken und Barrieren entgegen zu
wirken, lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für Forschungsinstitute und Forschungsför‐
derer ableiten:
Tabelle 9: Handlungsempfehlungen für die Wissenschaft
Zur Förderung des Wissenschaftsstandorts Deutschlands und um weitere Fortschritte im For‐
schungsfeld der PM voran zu bringen, sollten Brücken zwischen den einzelnen Fachdisziplinen
hergestellt werden. Dieses kann zum einen durch interdisziplinäre Ausbildungsprogramme ge‐
schehen wie durch spezielle Studiengänge (z.B. Bioinformatik), Programme für Zusatzqualifikatio‐
nen und Fortbildungen sowie interdisziplinäre Graduiertenkollegs. So werden Nachwuchswissen‐
schaftler mit dem notwendigen fachspezifischen Wissen auf die Erforschung von Quer‐
schnittsthemen vorbereitet. Zum anderen können spezielle Ausschreibungen für interdisziplinäre
Verbundforschungsprojekte gefördert werden. Ein dritter Punkt ist die aktive Förderung interdis‐
ziplinärer Netzwerke, beispielsweise über Konferenzreihen, Fachzeitschriften und Austauschpro‐
gramme. Der Austausch zwischen Disziplinen sollte möglichst überregional gestaltet sein. Damit
würde auch eine einheitlichere Nomenklatur zügiger erreicht werden können.
Gleichzeitig sollten auch Anwender wie Ärzte und Unternehmen in die Netzwerke und Ausbil‐
dungsprogramme mit einbezogen werden. Dieses gilt besonders für Projekte, die die Validität
und Anwendbarkeit von Forschungsergebnissen tiefer untersuchen. So kann wissenschaftlicher
Fortschritt im Bereich der PM genutzt und gleichzeitig dem Problem, dass die Ergebnisse oft kei‐
nen direkten Praxisbezug haben oder nur auf kleinen Studien basieren, entgegen gewirkt werden.
Handlungsempfehlungen Wissenschaft
Interdisziplinäre Ausbildungsprogramme und Forschungsprojekte
Aktive Förderung überregionaler Forschungsnetzwerke
Anwendungsexploration möglichst in PPP fördern
Erforschung und Entwicklung von Möglichkeiten zur Integration unterschiedlicher Datensätze
Erforschung und Entwicklung von Interpretationswerkzeugen
Erforschung der Mechanismen und Wirkstoffe für seltene Krankheiten
Offene Kultur fördern und Zugang zu Daten gewähren
Standards für Daten und Ergebnispräsentation
123
Für konkrete Forschungsprogramme und –projekte sind besonders Möglichkeiten zur Integration
großer, unterschiedlicher Datensätze und Interpretationswerkzeuge, die auch mit multiplen Da‐
ten umgehen können, wichtige Aspekte, um die PM voran zu bringen. Auch hier empfiehlt es sich,
dass die künftigen Nutzer frühzeitig integriert werden, um die Anforderungen zu klären, damit die
Methoden auch anwendbar gestaltet werden.
Zuletzt gilt es noch, die Probleme der jungen Forschungsfeldern und der Wissenschaft im Allge‐
meinen inhärent sind, zu überwinden. Zum einen sollten einheitliche Terminologien und Stan‐
dards entwickelt werden. Gleichzeitig sollte eine offene Kultur zum Datenaustausch gefördert
werden. Beispielsweise könnten Forschungsförderer und Herausgeber von Fachzeitschriften un‐
terstützen, dass die Daten von Ergebnissen, die in geförderten Projekten generiert werden, bzw.
die in Fachzeitschriften publiziert werden, anderen auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.
Insgesamt ist die Wissenschaft in Deutschland für die PM gut aufgestellt und unterstützt den
Fortschritt der PM maßgeblich. Wenn die oben aufgeführten Handlungsempfehlungen von Wis‐
senschaft und Politik umgesetzt werden, könnten die Implementierung neuer Produkte und
Dienstleistungen weiter beschleunigt werden. Auch Unternehmen können hier eine aktivere Rolle
einnehmen, indem sie sich stärker in Verbundforschungsprojekten, PPPs und im Wissenstransfer
engagieren.
5.2 Handlungsempfehlungen Wirtschaft ‐ Pharmaunternehmen
Um die Chancen und Treiber zu nutzen und gleichzeitig den Risiken und Barrieren entgegen zu
wirken, lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für Pharmaunternehmen ableiten:
Tabelle 10: Handlungsempfehlungen für die Wirtschaft ‐ Pharmaunternehmen
Treiber der PM ist der wissenschaftliche und technologische Fortschritt. Deshalb ist es für die
Pharmaunternehmen unerlässlich, die relevanten Entwicklungen aus Universitäten und For‐
schungseinrichtungen, etwa in Form von Trend Scouts, frühzeitig zu antizipieren. In diesem Zu‐
Handlungsempfehlungen Pharmaunternehmen
Trend Scouts zur frühzeitigen Antizipation relevanter wissenschaftlicher/technologischer Fortschritte
Aufbau von Wissen und Erfahrung im Umgang mit neuen Methoden in die klinische Entwicklung
Ko‐Finanzierung der Forschung von Universitäten und Forschungseinrichtungen
Synchronisierung der Entwicklungsaktivitäten von Pharma‐ und Diagnostikunternehmen
Aktive Beteiligung an Debatte über Chancen und Grenzen des Gesundheitssystems
(Ökonomischen) Mehrwert der PM für Kostenträger transparent machen
Zielgruppenspezifischer Informationsfluss: Weiterbildung, Schulungen, Ringversuche mit Pathologen
Aktive Auseinandersetzung mit negativer Berichterstattung zur PM
Kontinuierliche Diskussion mit Regulierungsbehörden zu Standardisierung und Vereinheitlichung
Aufbau von Schwerpunktzentren zur PM
124
sammenhang ist es notwendig, neue Methoden und Verfahren frühzeitig in die klinische Entwick‐
lung einzubinden, um so Wissen und Erfahrung aufbauen zu können und weitere wissenschaftli‐
che und technologische Fortschritte besser einschätzen zu können.
Eine weitere Handlungsempfehlung ist, den Wegfall staatlicher Fördergelder durch die Ko‐
Finanzierung von Universitäten und Forschungseinrichtungen im Bereich der PM zumindest teil‐
weise aufzufangen. Damit kann auch direkter Einfluss auf die Forschungsthemen genommen
werden. In der Zusammenarbeit mit Diagnostikunternehmen sollten die Entwicklungsaktivitäten
besser koordiniert und synchronisiert werden. Zielsetzung muss die möglichst frühe Integration
der Diagnostikunternehmen sein.
Außerdem sollten sich die Pharmaunternehmen aktiv an der Debatte über die Chancen und
Grenzen des augenblicklichen Gesundheitssystems beteiligen. In diesem Zusammenhang sollen
die Vorteile der PM auf gezielte und passgenaue Therapien dargestellt werden. Dazu gehört auch
eine aktive Auseinandersetzung mit einer negativen Berichterstattung.
Im Sinne einer zielgruppenspezifischen Informationspolitik sollten insbesondere Pathologen ge‐
schult und weitergebildet werden. Eine Möglichkeit dafür ist die frühzeitige Einbildung in Ring‐
versuche. Ebenso muss den Kostenträgern der ökonomische Mehrwert, etwa in Form von Bei‐
spielsberechnungen, veranschaulicht werden. Außerdem muss eine kontinuierliche Diskussion
mit den nationalen und internationalen Regulierungsbehörden stattfinden, um auf eine Standar‐
disierung und Vereinheitlichung der regulatorischen Anforderungen für die PM hinzuwirken.
Als ganzheitlicher Ansatz, PM voranzutreiben und weiterzuentwickeln, wird der Aufbau eines
Schwerpunktzentrums vorgeschlagen unter Beteiligung wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und
Akteure aus dem Markt.
125
5.3 Handlungsempfehlungen Wirtschaft ‐ Diagnostikunternehmen
Um die Chancen und Treiber zu nutzen und gleichzeitig den Risiken und Barrieren entgegen zu
wirken, lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für den Bereich Diagnostikunternehmen
ableiten:
Tabelle 11: Handlungsempfehlungen für die Wirtschaft Diagnostikunternehmen
Handlungsempfehlungen Diagnostikunternehmen
Auf‐ und Ausbau von Netzwerken
Mechanismen zum Senden und Empfangen von Marktsignalen/Trends implementieren
Synchronisierung der Entwicklungsaktivitäten von Pharma‐ und Diagnostikunternehmen
Kooperationen mit Forschungs‐ und Hochschuleinrichtungen und Ärzten
Mitarbeiter als Netzwerker motivieren
Vertrieb und Finanzierung
Balance zwischen unabhängigen Vertriebswegen und Vertriebskooperationen
„Mehrfachverwertung“ von Tests und neue Anwendungsbereiche außerhalb des Medizinbereichs
Engagement für alternative Finanzierungsmodelle bezüglich Patientenstudien und Testentwick‐lung (Einrichtung von öffentlichen Fonds oder Crowd‐Sourcing)
Kommunikation
Zielgruppenspezifischer Informationsfluss (Meinungsbildner der Medical und der öffentlichen Meinung, Empowerment der Patienten)
Aufbau von Unternehmensmarken
Aktive Beteiligung an Debatte über Chancen und Grenzen des Gesundheitssystems
Kontinuierliche Diskussion mit Regulierungsbehörden zu Standardisierung und Vereinheitlichung
Nationale Plattform PM (ähnlich wie Nationale Plattform Elektromobilität)
Entwicklung und Kompetenzen
Zuverlässigkeit der Tests erhöhen
Bildung von agilen Kernkompetenzen durch Wissensvorsprung
In die Fach‐ und Netzwerkkompetenz der Mitarbeiter investieren
Die Empfehlungen für Unternehmen der Diagnostik variieren zu denen der Pharmaunternehmen
aufgrund der unterschiedlichen Unternehmensgröße und der damit verbundenen unterschiedli‐
chen Ressourcenausstattung.
Als Handlungsempfehlung, welche für verschiedene Treiber greift, wird der Auf‐ und Ausbau von
Netzwerken gesehen. Diagnostikunternehmen sind weniger sichtbar als Pharmaunternehmen
und müssen daher verstärkt in der Aussendung von Signalen aktiv sein, um erfolgreich an Netz‐
werken partizipieren zu können. Eine Professionalisierung des Beziehungsmanagements kann
hier von großem Vorteil sein, die zu Verfügung stehenden Ressourcen für Kooperationen optimal
zu nutzen. Im Fokus des Beziehungsmanagements sollte die frühzeitige Synchronisierung der
126
Entwicklungsaktivitäten mit Pharmaunternehmen stehen sowie der Aufbau zu Hochschul‐ und
Forschungseinrichtungen und zu Ärzten. Die professionelle Vernetzung dient einerseits dazu für
Probleme und Anforderungen von außen offen zu sein und andererseits das eigene Unternehmen
wiederholt sichtbarer zu machen. Die eigenen Mitarbeiter sollten dazu motiviert werden und die
nötige Zusage (commitment) erhalten, sich aktiv in den Netzwerkaufbau bzw. –ausbau einzubrin‐
gen. Kooperationen müssen gelebt und nicht ertragen werden.
Das zweite Maßnahmebündel umfasst die Gestaltung des Vertriebs und Möglichkeiten der Finan‐
zierung. Aufgrund verschiedener Vor‐ und Nachteile der unterschiedlichen Vertriebsoptionen
sollte auf einseitige Strukturen verzichtet werden, solange der Markt noch nicht entwickelt ist.
Vertriebskooperationen sollten mit eigens aufgebauten Vertriebskanälen kombiniert werden.
Weiterhin sollte nach zusätzlichen Anwendungsbereichen für Diagnostiktests in Bereichen ge‐
scannt werden, in denen eine Kostenübernahme durch Endanwender bereits gegeben ist (z.B.
Nahrungsmittelindustrie). Mit einer Plattformstrategie, die auch in der Fahrzeugindustrie ange‐
wendet wird, könnten Testergebnisse „mehrfach“ verwendet werden. Für kostspielige Testent‐
wicklungen bereits bestehender Wirkstoffe wären neue Finanzierungskonzepte nötig. Dies könn‐
te die Einrichtung von öffentlichen Fonds oder das Crowd‐Sourcing bspw. durch verschiedene
Patientenverbände, Stiftungen oder Krankenkassen sein, wenn Indizien für einen Einsparungsef‐
fekt gegeben sind.
Dritter Maßnahmeverbund dient der Fokussierung und Verbesserung der Kommunikation bezüg‐
lich des Themas PM. Ziel sollte sein, die relevanten Meinungsbildner der Medical Community mit
relevanten Informationen zu versorgen. Informationen für (potentielle) Patienten aber auch für
die Öffentlichkeit im Allgemeinen sollten verständlich aufbereitet werden, um Vorbehalte abzu‐
bauen. Der Aufbau und die Pflege einer sichtbaren Unternehmensmarke dient sowohl der Sicht‐
barkeit gegenüber Pharmaunternehmen als auch Ärzten sowie dem Aufbau von Marktbarrieren
gegenüber potentiellen Wettbewerbern. Aktiv sollte der Diskurs über die Chancen und Risiken
der PM mittels Interessenverbänden mitgestaltet werden, wobei die Auseinandersetzung mit der
negativen Berichterstattung zur PM nicht gemieden werden sollte. Der Mehrwert für das
Gesundheitssystem ist deutlich zu machen. Weiterhin sollten Interessenverbände an der Stan‐
dardisierung und Vereinheitlichung von Regularien mitwirken. Zur koordinierten Kommunikation
und Steuerung sollte eine Nationale Plattform der PM eingerichtet werden, in der alle Akteure in
einem direkten Dialog stehen, da systemische Probleme systemische Lösungen fordern.
Das letzte Maßnahmepaket umfasst die Entwicklung neuer Tests und deren Anwendungsfelder
und den Aufbau eigener Kompetenzen. Hier sollte an neben der Entwicklung neuer Test vor allem
die Erhöhung der Zuverlässigkeit der Testergebnisse mit bedacht werden. Weiterhin stellten sich
in den Interviews die Mitarbeiter als wertvollste Ressource heraus. Die Weiterbildung einerseits
auf fachlicher Ebene, andererseits auf Netzwerkebene sollte hohen Stellenwert genießen. Gut
vernetzte und ausgebildete Mitarbeiter, denen auch ein begrenzter Freiraum für eigens gewählte
Interessen, die mit dem Unternehmen zu tun haben, zugesprochen wird, helfen dabei agile Kern‐
kompetenzen für das Unternehmen auszubilden.
127
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Akteure der Wirtschaft gegenüber anderen Akteuren
des Systems ähnliche Ansprüche stellen, sich in den gegenseitigen Ansprüchen aber unterschei‐
den. Wie die Ausführungen in den Punkten 8. „Festlegung auf PM“, 9. „Grenzen der Stratifizie‐
rung“ und 10. „Inter‐organisationale Zusammenarbeit“ sowohl bei Pharma‐ als auch Diagnosti‐
kunternehmen deutlich machen, entstehen durch unterschiedliche Interessen und Positionen
Blockaden auf Seiten der Unternehmen, die einem gemeinsamen Voranbringung gegenüber an‐
deren gesellschaftlichen Akteuren im Weg stehen. Vor allem die Frage, wer den ersten Schritt
machen soll und damit Verantwortung übernimmt, wird zwischen den Unternehmen des Pharma‐
und des Diagnostikbereichs auf den jeweilig anderen geschoben. Die Mehrheit aller Befragten
sieht in der PM einen Wachstumsmarkt in der Entstehung. Allerdings ist die Trägheit des Systems
mit aufwendigem Ressourcenverbrauch bei gleichzeitiger Unsicherheit verbunden, deren Verän‐
derung für das einzelne Unternehmen nicht realisierbar ist. Hier sind ganzheitliche Lösungen und
ein koordiniertes Vorgehen nötig, die Treiber der Einflussfaktoren in Realität umzuwandeln.
5.4 Handlungsempfehlungen Markt
Um die Chancen und Treiber zu nutzen und gleichzeitig den Risiken und Barrieren entgegen zu
wirken, lassen sich die folgenden Handlungsempfehlungen für die Akteure am Markt ableiten.
Diese können, nicht nur von den Marktakteuren selbst, sondern müssen auch von der Politik als
steuernde Instanz aufgegriffen werden.
Tabelle 12: Handlungsempfehlungen für den Markt
Um den Bildungsstand der Erbringer von Gesundheitsleistungen zu erhöhen, sollten neue wissen‐
schaftliche Erkenntnisse direkt in die Ausbildungspläne integriert werden. Auch entsprechende
Weiterbildungsprogramme sollten aufgebaut werden, um zum einen die neuen Erkenntnisse in
Bezug auf Krankheitsursachen, zum anderen Wissen bezüglich der Interpretation und Überbrin‐
gung von Diagnosen mit Risiken, Wahrscheinlichkeitswerten und falsch‐positiven Ergebnissen zu
vermitteln. Gleichzeitig könnten Qualitätskontrollen eingeführt werden, um nach der Teilnahme
den Erkenntnisgewinn zu überprüfen.
Handlungsempfehlungen Markt
Neue Erkenntnisse direkt in Ausbildungspläne integrieren
Weiterbildungsprogramme, Konferenzen und Internetkurse zur Weiterbildung
Klare Richtlinien entwickeln (ab wann Wirksamkeit und Effizienz nachgewiesen ist)
Informationsverarbeitungssysteme (Interoperabilität, Datenmengen)
Klare Richtlinien für Leistungsvergütung und Vergütungsmodelle
Qualitativ hochwertige Informationssysteme und ‐plattformen
Offenen Dialog, was die Gesellschaft bereit ist, an Kosten zu tragen
Einstufung und Bewertung neuer Therapiemittel unter Einbezug gesundheitsökonomischer Aspekte
128
Klare Richtlinien, ab wann Wirksamkeit und Effizienz von Diagnostika nachgewiesen ist, würden
helfen, Klarheit zu schaffen, ab wann diese in Therapieleitlinien integriert werden sollen. Ebenso
bieten diese für Krankenkassen deutlichere Anhaltspunkte, ab wann ein Diagnostika in den Leis‐
tungskatalog aufgenommen werden sollte.
Zur Datenauswertung und Interpretation werden neue Informationsverarbeitungssysteme benö‐
tigt, um die Diagnoseerstellung zu unterstützen. Ebenso zur Integration von großen Datenmen‐
gen werden neue Systeme benötigt, die nicht nur innerhalb einer Praxis oder Klinik, sondern auch
zum Austausch zwischen unterschiedlichen Ärzten geeignet sind. Standards für Datengenerie‐
rung, ‐aufbereitung und –übertragung sollten schon in Wissenschaft gesetzt werden, um die
Interoperabilität der Systeme zu verbessern. Nur so kann die Chance genutzt werden, eine ge‐
samte Krankheitshistorie zu speichern und für einen späteren Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen,
bzw. sich mit anderen Ärzten über Patienten auszutauschen und Erkenntnisse auch zur Behand‐
lung anderer Patienten systematisch anzuwenden.
Mit klaren Richtlinien für Leistungsvergütung kann die Patt‐Situation gelöst werden, dass Diag‐
nostika nur zur Standardpraxis werden, wenn sie abgerechnet werden können, jedoch erst vergü‐
tet werden, wenn sie auch angewendet werden. Vergütungsmodelle, auch für Diagnostika, soll‐
ten möglichst als Anreiz gestaltet sein, die beste Therapie auszuwählen. Beispielsweise könnten
Bezahlungsmodelle an die Leistung und den Erfolg von Therapien geknüpft sein.
Zur Aufklärung der Patienten müssen qualitativ hochwertige Informationssysteme und Plattfor‐
men eingerichtet werden, bei denen sich Patienten, Ärzte und Krankenkassen vor allem informie‐
ren können. Vertrauen in solch eine Plattform kann am ehesten erzeugt werden, wenn diese
nicht von der Wirtschaft gefördert werden. Zudem würden Plattformen für den Austausch unter‐
einander, nicht nur zwischen Patienten, sondern auch mit Ärzten und Wissenschaftlern in Bezug
auf spezielle Krankheiten hilfreich sein, um Erfahrungswerte mit bestimmten Therapien aufzu‐
bauen. So können gleichzeitig Erwartungen an neue Therapien angepasst werden und Complian‐
ce sowie gesundheitserhaltendes Verhalten gefördert werden.
Ein offener Dialog darüber, was die Gesellschaft bereit ist, an Kosten zu tragen, könnte mehr Kon‐
sens bei der Politik, den Krankenkassen und Unternehmen sowie breitere Akzeptanz der steigen‐
den Kosten auf Seiten der Gesellschaft bewirken. Der Dialog würde auch helfen, neue Therapien
unter Einbezug gesundheitsökonomischer Aspekte einzustufen und zu bewerten.
Insgesamt sind alle Akteure im Markt in Deutschland an neuen Therapiekonzepten aus dem Be‐
reich der PM interessiert und gewillt, die Verbreitung zu unterstützen. Trotzdem, wie im Einzel‐
nen in diesem Unterkapitel aufgeführt, bestehen einige Barrieren, denen durch die Umsetzung
der Handlungsempfehlungen entgegen gewirkt werden kann. Nicht nur die Politik, sondern auch
Unternehmen können hier eine aktivere Rolle einnehmen, indem sie offen mit Ärzten und Kran‐
kenkassen zusammenarbeiten, Informationen zur Verfügung stellen, bei dem Aufbau von Aus‐
tauschplattformen und dem Setzen von Standards unterstützen sowie auf Therapiekonzepte mit
deutlichen Wirkungen setzen.
129
5.5 Handlungsempfehlungen Politik und regulatorische Rahmenbedingungen
Für die Akteure der Gesetzgebung, Zulassung und Erstattung sowie in diesem Zusammenhang für Unternehmen können folgende Handlungsempfehlungen die Umsetzung der PM begünstigen:
Tabelle 13: Handlungsempfehlungen für die Politik und regulatorische Rahmenbedingungen
Handlungsempfehlungen Politik und der regulatorischen Rahmenbedingungen
1. Handlungsempfehlungen für die Gesetzgeber
Schaffung klarer gesetzlicher Vorgaben
Anpassung der Vorschriften an den Stand von Wissenschaft und Technik unter Berücksichtigung der Besonderheiten der PM
Schaffung angemessener gesetzlicher Vorgabe mit Berücksichtigung der Interessen aller Beteilig‐ten wie Patienten, Anwendern und Herstellern
Berücksichtigung von Forschungs‐ und Entwicklungskosten der Unternehmen in Anbetracht von Einsparmöglichkeiten
2. Handlungsempfehlungen für die Behörden der Zulassung und Erstattung
Schaffung klarer Vorgaben und Bereitstellung von Informationen in Richtlinien über spezielle Zu‐lassungserfordernisse oder Anforderungen im Erstattungsverfahren
zusätzliche Informationen zur neu eingeführten frühen Nutzenbewertung
Beratung der Unternehmen vorm und im Zulassungs‐ und Erstattungsverfahren
Berücksichtigung/Anerkennung der Besonderheiten der PM und Anpassung der Anforderun‐gen/des Verfahrensablaufs
Abstimmung der Verfahren der Zulassung von Arzneimittel und Konformitätsbewertung von Me‐dizinprodukten
Abstimmung und Kooperation der Zulassungsbehörden in den USA und in Europa
3. Handlungsempfehlungen für die Unternehmen
Darstellung der Vorteile, möglicher Einsparpotentiale und des Einflusses der PM auf Wissenschaft und Technik und den hiermit verbundenen positiven Auswirkungen auf die wirtschaftliche Ent‐wicklung
Einsatz von diagnostischen Tests, Verringerung der Patienten‐ und Probandenkollegs
Gezielte Information und Aufklärung der KBV und der Vertragsärzte über entsprechende Thera‐piemöglichkeiten
Rechtzeitige Inanspruchnahme der Beratung durch die Behörden
1. Handlungsempfehlungen für die Gesetzgeber
Zum Beitrag eines Gelingens der PM ist zunächst einmal die Schaffung klarer und unmissver‐
ständlicher gesetzlicher Vorgaben in allen betroffenen Bereichen erforderlich, um Planungsunsi‐
cherheiten der Unternehmen und Verzögerung bei Entwicklung und Inverkehrbringen der Leis‐
tungen zu verhindern. Als Beispiel für einen Klärungsbedarf seitens des Gesetzgebers gelten die
oben angesprochenen Unklarheiten der IvD‐Richtlinie. Erforderlich ist außerdem in einigen Berei‐
chen die Anpassung der Gesetzesvorgaben an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt
und so auch der Besonderheiten der PM. So ergibt sich beispielsweise aufgrund von neuen Pro‐
duktarten das Erfordernis der risikoabhängigen Anpassung der Produktklassen der IvD‐Richtlinie
130
oder eine gesetzliche Anpassung an die zu erbringenden Nachweise in Zulassungsverfahren.
Ebenso ist es in den unterschiedlichen Bereichen erforderlich, angemessene Vorgaben zu schaf‐
fen, die alle berührten Interessen berücksichtigen. Hierzu gehören zum einen die Schutzinteres‐
sen der Bevölkerung und der Patienten im Hinblick auf den Datenschutz und die körperliche In‐
tegrität wie ihr Interesse an einer guten und fortschrittlichen Versorgung. Zum anderen sind je‐
doch auch die Interessen der Wirtschaft und der Anwender ‐ beispielsweise an einer angemesse‐
nen Vergütung ‐ zu berücksichtigen und Überregulierungen zu vermeiden, die eine Entwicklung
der PM unnötig behindern würden. Trotz des Erfordernisses von Kosteneinsparungen im
Gesundheitswesen zum Erhalt des Krankenversicherungssystem, ist zum Gelingen eine Einfüh‐
rung in die PM erforderlich sowie Forschungs‐ und Entwicklungskosten als auch Kosten der Arz‐
neimittel‐ wie auch der Diagnostikunternehmen zu berücksichtigen.
2. Handlungsempfehlungen für die Behörden der Zulassung und Erstattung
Auch von Seiten der Behörden ist die Schaffung klarer und unmissverständlicher Vorgaben zur
Ausfüllung der Gesetzesvorgaben erforderlich, um eine Einführung der Leistungen der PM sicher‐
zustellen. Dies kann in behördlichen Informationen oder Verfahrensordnungen und –richtlinien
erfolgen und beispielsweise der Konkretisierung von Zulassungserfordernissen oder Anforderun‐
gen im Erstattungsverfahren dienen. Dabei hat sich gerade im Hinblick auf die neu eingeführte
frühe Nutzenbewertung durch den GBA das Bedürfnis einer Klarstellung einiger noch offener Fra‐
gen zu Verfahrensablauf und Voraussetzungen ergeben. Zudem würde eine Auskunft von Seiten
der Behörden oder auch der Gesetzgebungsorgane zu Inhalt und Datum des Inkrafttretens neuer
gesetzlicher Regelungen wie beispielsweise der IvD‐Richtlinie Planungssicherheit für Unterneh‐
men schaffen. Hierbei ist es erforderlich, dass die Behörden die Besonderheiten bei ihren Ent‐
scheidungen beispielsweise über Zulassung und Erstattung er‐ und anerkennen. Hierzu gehört
beispielsweise die Akzeptanz neuer Prüfverfahren in klinischen Studien (O’Donnell 2011: 2):
„Hemmnisse sind regulatorisch. Man wird neue Methoden der klinischen Studien mit den Zulas‐
sungsbehörden diskutieren müssen.“ (A9)
Um Zulassungs‐ und Erstattungsentscheidungen zu beschleunigen und für beide Seiten zu verein‐
fachen, könnte eine frühzeitige und ausführliche Beratung der Unternehmen durch die Behörden
– stets bezogen auf den Einzelfall ‐ sinnvoll sein. Diese Empfehlung bezieht sich insbesondere auf
die Beratung der Unternehmen im Qualifizierungsverfahren von Biomarkern durch die EMA.
Durch eine entsprechend frühzeitige Beratung könnten Hersteller von Diagnostika sich frühzeitig
auf die besonderen Nachweise und Erfordernisse einstellen und ihre Planung hierauf ausrichten.
Nach Herausarbeiten der Risiken für die Unternehmen im Zulassungs‐ und Konformitätsbewer‐
tungsverfahren im Bereich der PM gerade in Bezug auf die gemeinsame Entwicklung von Compa‐
nion Diagnostics könnte eine Abstimmung der Verfahren der Zulassung von Arzneimittel und der
Konformitätsbewertung von Medizinprodukten oder zumindest eine Kooperation der jeweils be‐
teiligten Behörden hilfreich sein. So könnten die Entscheidungen speziell in Bezug auf eine be‐
stimmte Arzneimitteltherapie koordiniert und die unterschiedliche Verfahrensdauer zur gemein‐
131
samen Vermarktung von Diagnostik und Arzneimittel angepasst werden. In diesem Zusammen‐
hang ist auch über eine Zusammenlegung der Entscheidung in einer zentral verantwortlichen Be‐
hörde nachzudenken.
Ebenso würde sich eine noch tiefer gehende Abstimmung und Kooperation der Zulassungsbehör‐
den in den USA und in Europa förderlich auf die Entwicklung der PM auswirken. So können Ver‐
fahrensgänge und –voraussetzungen vereinheitlicht werden. Unternehmen könnten dadurch
beispielsweise die gleichen Unterlagen in beiden Behörden einreichen und so Kosten und Ar‐
beitsaufwand einsparen. Außerdem wäre eine einheitliche Einführung der Arzneimittel in beiden
Rechtskreisen möglich.
3. Handlungsempfehlungen für die Unternehmen
Für die Unternehmen gilt als wesentliche Handlungsempfehlung die Darstellung von Besonder‐
heiten der PM sowie möglicher Einsparpotentiale gegenüber Gesetzgeber und Zulassungs‐ und
Erstattungsbehörden. Nur durch Informationen über die besonderen Eigenschaften der PM sowie
der dadurch etwaig entstehenden Probleme sind diese Akteure in der Lage, diese bei ihren Ge‐
setzgebungs‐, Zulassungs‐ und Erstattungsentscheidungen zu berücksichtigen. So sind beispiels‐
weise der besondere Nutzen für die Patienten, der Einfluss auf den Stand von Wissenschaft und
Technik und damit die Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung herauszustellen, um den
Gesetzgeber zu erleichternden Vorschriften zu bewegen. Bei Zulassungs‐ und Erstattungsent‐
scheidungen ist vor allem die Darstellung des Zusatznutzens anhand ausführlicher klinischer Prü‐
fungen erforderlich. Für Erstattungsfragen sollte die Darstellung einer positiven Kosten‐
Nutzenanalyse in der PM hilfreich sein. Um die Anwendung der Leistungen der PM zu fördern, ist
darüber hinaus eine gezielte Information und Aufklärung der KBV und der Vertragsärzte über
entsprechende Therapiemöglichkeiten durch die PM erforderlich. Zur Beschleunigung von Zulas‐
sungs‐ und Erstattungsverfahren und die Anpassung der Entwicklung der Leistungen an spezielle
Anforderungen, ist den Unternehmen außerdem zu empfehlen, frühzeitig die Beratungsmöglich‐
keiten durch die Behörden (beispielsweise durch die EMA im Zulassungs‐ und Qualifizierungsver‐
fahren) wahrzunehmen und sich mit diesen abzustimmen.
Im Hinblick auf ein Gelingen der PM ist somit insbesondere deutlich geworden, dass jede der viel‐
zähligen Regulatorien im Hinblick auf Zulassung und Erstattung mit zusätzlichen Anforderungen
für die Unternehmen verbunden sind, die aufgrund von Arbeits‐ und Kostenaufwand Hindernisse
darstellen können. Dies gilt insbesondere in Bezug auf teilweise schwer einzuhaltende Wirksam‐
keits‐ und Nutzennachweise im Zulassungs‐ und Erstattungsverfahren und in Bezug auf die Kom‐
plexität der einzelnen Verfahren. So bereiten die Nachweise speziell in der PM meist aufgrund
des geringen Probanden‐ und Patientenkollegs Schwierigkeiten.
Ein besonderes Problem stellt bei der Entwicklung von Companion Diagnostics zusätzlich die je‐
weils separate Betrachtung von Arzneimitteln und Medizinprodukten dar. Ein Hindernis ist dabei,
nicht nur in den einzelnen nationalen Anforderungen, sondern in der Unterschiedlichkeit der Ver‐
132
fahren in den einzelnen Ländern, in denen die Leistungen der PM eingeführt werden sollen, zu
sehen.
Gerade das aufwendige Verfahren der Erstattung der Leistungen wird von den Unternehmen als
Hürde empfunden, die nicht ausreichende Erstattung ihrer Leistungen gefürchtet. Dabei ist je‐
doch zu berücksichtigen, dass die teilweise als schwer zu erfüllen empfundenen regulatorischen
Voraussetzungen gleichzeitig dem Erfordernis des Schutzes der Patienten und dem Erhalt des
Krankenversicherungssystems dienen, ohne die eine Einführung der Leistungen erst gar nicht
möglich wäre. Dabei ist die Mehrzahl an Regulatorien gerade im Bereich der PM erforderlich, um
von Befürchtungen und Skepsis gegenüber dieser neuartigen Therapieform einzudämmern und
Vertrauen zu schaffen. Hier wird es auf eine ausgleichende Bewertung durch den Gesetzgeber
und die Entscheidungsbehörden ankommen, die alle beteiligten Interessen sowie die Besonder‐
heiten der PM berücksichtigt.
Zwar wurde in einigen Bereichen ein Klärungsbedarf unbestimmter gesetzlicher Vorgaben sowie
der Bedarf an zusätzlichen Informationen hierüber festgestellt, es ist jedoch auch anzumerken,
dass hier beispielsweise mit der Änderung der IvD‐Richtlinie oder besonderen Beratungsmöglich‐
keiten der EMA im Zulassungs‐ und Validierungsverfahren, Abhilfe geschaffen werden kann. Des
Weiteren gibt es eine Vielzahl an gesetzlichen Änderungen (IvD‐Richtlinie, Einführung eines
Untersuchungs‐ und Probeverfahrens durch das Versorgungsstrukturgesetz, teilweise frühe Nut‐
zenbewertung), die die angesprochenen bestehenden Probleme in der PM lösen und so einen
Beitrag zum Gelingen der PM leisten können. So ist auch festzustellen, dass insbesondere bei der
EMA mit Einführung einer speziellen Arbeitsgruppe im Bereich der Pharmakogenomik und den
von ihr entwickelten Arbeitspapieren und mit der Zusammenarbeit mit der FDA eine Berücksich‐
tigung der Besonderheiten der PM sowie eine Lösung bestehender Probleme angestrebt wird.
Weitere Hindernisse wie Unklarheiten gesetzlicher Vorgaben könnten künftig durch eine ausführ‐
liche Klärung und Information von Seiten der Behörden beseitigt und Unsicherheiten der Unter‐
nehmen in Bezug hierauf genommen werden.
Zur Beeinflussung der gesetzlichen Vorgaben zugunsten der PM wird von Seiten der Unterneh‐
men eine genauere Information über einen besonderen Nutzen und über die mit der PM verbun‐
denen Vorteile erforderlich sein. Nur so können bestehende Hindernisse bei Zulassung und Er‐
stattung in angemessenem Maß verhindert, eine Überregulierung in diesem Bereich beseitigt und
sachgerechte Entscheidungen der Behörden herbeigeführt werden.
133
5.6 Handlungsempfehlungen Gesellschaft
Folgende Handlungsempfehlungen sind für den Bereich Gesellschaft relevant:
Tabelle 14: Handlungsempfehlungen für die Gesellschaft
Handlungsempfehlungen Gesellschaft
aktive Informationspolitik von Forschungseinrichtungen, Politik und Unternehmen gegenüber den Medien über mögliche Folgen oder Risiken der PM
aktiver Umgang mit kritischer Berichterstattung
Beobachtung von Umfragen, Medienberichterstattung und gesellschaftlichen Debatten zur Akzeptanz technologischer Themen
klare Datenschutzrichtlinien für den Umgang mit Gesundheitsdaten, um Missbrauch zu verhindern
klare Richtlinien über vorgeschriebene und freiwillige Tests bzw. über Tests die von den Krankenkassen übernommen oder selbst gezahlt werden
Gesundheitskompetenz muss auf allen Ebenen des Bildungssystems und der Gesellschaft gefördert werden
qualitativ hochwertige, an das allgemeine Publikum angepasste und breit bekanntgemachte Onlineauf‐tritte bzw. Informationsangebote (einfach in Verständnis und Nutzung), bereitgestellt von einer offizi‐ellen Behörde oder zertifiziert, um die Qualität der Informationen für den Bürger sichtbar zu machen
Schulung von Ärzten im Umgang mit Patienten
Der Handlungsbedarf zielt in erster Linie auf die Information der Öffentlichkeit ab. Um die Skepsis
der Bevölkerung gegenüber neuen Technologien und Forschungsergebnissen zu senken, ist eine
aktive Informationspolitik der beteiligten Akteure nötig. Dies gilt auch und besonders bei kriti‐
scher Berichterstattung. Zur frühen Erkennung von Trends und Entwicklungen in öffentlichen
Debatten sollten zudem Umfragen und die Medienberichterstattung zu technologischen Themen
beobachtet werden.
In Bezug auf genetische Daten müssen klare Richtlinien für den Datenschutz geschaffen bzw.
kommuniziert werden. Mit der Einführung und breiteren Anwendung von Gentests sollten auch
klare Richtlinien über vorgeschriebene oder empfohlene Tests sowie die daraus abgeleitete Kos‐
tenübernahme geschaffen werden. In Bezug auf die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung
wird Handlungsbedarf auf verschiedenen Ebenen gesehen: gesundheitliche Bildung sollte zu‐
nächst auf allen Ebenen des Bildungssystems gefördert werden. Informationsangebote von Un‐
ternehmen oder von öffentlichen Stellen sollten auf die Bedürfnisse und den Bildungsstand der
Bürger angepasst und Informationen im Internet zur Verfügung stellen. Klare Qualitätsrichtlinien
oder eine Zertifizierung durch öffentliche Stellen könnten dabei die Qualität sichern und für die
Bevölkerung sichtbar machen und das Vertrauen in Gesundheitsinformationen im Internet för‐
dern.
Zuletzt sollten auch die Ärzte im Umgang mit den Patienten geschult werden. Dies gilt zum Einen
im Umgang mit Patienten, die bereits über ausführliche Informationen aus den Medien verfügen,
als auch im Umgang mit Patienten, deren Wissen zu diagnostischen Tests und deren Implikatio‐
134
nen bisher unzureichend ist. Die Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen birgt die Chance,
dass die Akzeptanz der PM in der Bevölkerung gefördert wird.
135
6. Fazit
Ziel der Untersuchung war das Aufzeigen der wichtigsten Akteursgruppen im Wertschöpfungssys‐
tem der PM mit den jeweiligen Einflussfaktoren, Chancen und Treibern sowie Risiken und Barrie‐
ren für eine Entwicklung und Einführung von Produkten und Dienstleistungen der PM, um Hand‐
lungsempfehlungen für Akteure in Deutschland abzuleiten. Dazu wurden im ersten Schritt die
Begriffsverwendung untersucht und der Fokus der Untersuchung – PM im Sinne einer Verknüp‐
fung von Therapeutikum und Diagnostikum sowie reine Diagnostika für Diagnose und Therapie‐
begleitung – festgelegt. Der Abschnitt Dienstleistungen und Produkt‐Service‐Systeme in der Per‐
sonalisierten Medizin erläutert die Bedeutung von Dienstleistungen, ob als reine oder als pro‐
duktbegleitende und bietet einen allgemeinen Überblick über aktuelle und zukünftige Einsatzge‐
biete. Zwar sind schon erste Produkte aus diesem Bereich auf dem Markt und viele in der Ent‐
wicklungspipeline, insbesondere im Bereich der Krebserkrankungen, doch eine flächendeckende
Einführung steht noch aus.
Um die Chancen der PM im Sinne von gezielteren, wirksameren Therapien zu realisieren, wurden
für die Akteure der Wissenschaft (Forschungsinstitute und Forschungsförderer), der Wirtschaft
(Pharmaunternehmen und Diagnostikuternehmen), des Markts (Ärzte, Patienten, Krankenkas‐
sen), der Politik und regulatorischen Rahmenbedingungen (Gesetzgebung, Zulassung von Arznei‐
mitteln, Bewertung von Medizinprodukten, Erstattung) sowie der Gesellschaft auf Basis von Stu‐
dien und Experteninterviews die wichtigsten Einflussfaktoren identifiziert. Für die Einflussfakto‐
ren wurden jeweils die Chancen und Treiber sowie die Risiken und Barrieren detaillierter be‐
schrieben. Auf Basis der Einflussfaktoren wurden im letzten Schritt Handlungsempfehlungen for‐
muliert, wie die Chancen und Treiber aufgegriffen und gleichzeitig den Risiken und Barrieren ent‐
gegen gewirkt werden kann.
Bei vielen Unternehmen der Pharma‐, Biotech‐, und Diagnostikbranchen spielt PM aktuell eine
untergeordnete Rolle, wird aber als strategisches Zukunftsfeld betrachtet. Entsprechend gilt es
die Balance zwischen bewährten Geschäftsmodellen und einer strategischen Neuausrichtung zu
meistern. Vor dem Hintergrund der Einflussfaktoren, Chancen und Barrieren ist das nächste Ziel
im Forschungsprojekt „Dienstleistungspotenziale in der Personalisierten Medizin“, die Bandbreite
an möglichen Geschäftsmodellen genauer zu untersuchen und Konzepte zu entwickeln, wie diese
umgesetzt werden können.
8 Anlagen
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