menschenrechtliche anforderungen an ein psychiatrisches versorgungs- und unterstützungssystem

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Dr. Valentin Aichele, LL.M. 1 Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem 12. TEEK-Sitzung am 12.09.2013 in Bremen

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Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem. 12. TEEK-Sitzung a m 12.09.2013 in Bremen. Überblick. 1 Meine Perspektive 2 Menschenrechtliche Anforderungen 3 Systementwicklungsziele 4 Eckpunkte 5 Abschließende Bemerkungen. 1 Hintergrund. - PowerPoint PPT Presentation

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Page 1: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 1

Menschenrechtliche Anforderungen an ein

psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

12. TEEK-Sitzungam 12.09.2013 in Bremen

Page 2: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Überblick

1 Meine Perspektive

2 Menschenrechtliche Anforderungen

3 Systementwicklungsziele

4 Eckpunkte

5 Abschließende Bemerkungen

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 2

Page 3: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

1 Hintergrund

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 3

Page 4: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 4

Die Monitoring-Stelle

• Seit 2009 angesiedelt beim Deutschen Institut für Menschenrechte

• Politisch unabhängig• Mandat: Rechte von Menschen mit

Behinderungen fördern und schützen; Umsetzung in Deutschland überwachen

• Aufgaben: Beobachtung, Klärung, Intervention

Page 5: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

2 Menschenrechtliche Anforderungen

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 5

Page 6: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

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UN-Behindertenrechtskonvention

• Ziel: gleichberechtigte Rechtsausübung

• Geltendes Recht in Deutschland verbunden mit einer Einhaltungs- und Umsetzungsverpflichtung

• Grundlage für eine Gesellschaftspolitik: von einer Politik der Fürsorge hin zu einer Politik der Rechte

Page 7: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Menschenrechtsansatz

• Gewährleistung der Rechte in der systemischen Praxis

• Kontrolle (Monitoring) von Systemen

• Staatliche Rechenschaftsverpflichtung

• Verrechtlichung / effektiver Rechtsschutz / Anwendung der UN-BRK im Einzelfall

• Menschenrechtsbildung, insbesondere „Empowerment“

Page 8: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Die einzelnen Rechte

• Recht auf Gleichheit vor dem Recht

• Recht auf Gesundheit

• Recht auf Integrität der Person

• Recht auf Freiheit und Sicherheit

• Recht auf Freiheit von unmenschlicher und erniedrigender Behandlung

• Recht auf Leben in der Gemeinschaft

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 8

Page 9: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Grundsätze

• Menschenwürde• Assistierte Selbstbestimmung, einschließlich

der unterstützten Entscheidung

• Nichtdiskriminierung, einschließlich angemessene Vorkehrungen

• Partizipation

• Inklusion

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 9

Page 10: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

BVerfGE

• Kritik an Gesetzgeber, an Gerichten und auch an psychiatrischer Praxis

• Verbot einer Zwangsbehandlung von Einwilligungsfähigen / „Freiheit zur Krankheit“ gestärkt

• Enge Ausnahme: „krankheitsbedingte Nichteinsichtsfähigkeit“ / eine Liste an Anforderungen zur Rechtfertigung

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 10

Page 11: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Kritik an BVerfGE

• Paradoxie in der Begründung

• Überwindung des Willens keinen Rückhalt im Wortlaut von Art. 12 UN-BRK

• Fachliche Kriterien zur Bestimmung „krankheitsbedingter Nichteinsichts-fähigkeit“ hochgradig instabil

• Divergierende Praxis in Deutschland

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 11

Page 12: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Einwände aus der Fachwelt

• Keine Alternative zu Zwang (Natur der Dinge)

• Zwang für Rettung von Leben

• Nachträgliche Billigung durch die betroffene Person

• Pharmakologische Behandlung: wirksam, kostengünstig, nachhaltig

• System abschließend entwickeltDr. Valentin Aichele, LL.M. 12

Page 13: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Aktuelle Entwicklungen

• Hintergrund: die UN-BRK; Entscheidungen des BVerfG und des BGH

• Gesetzgebungsverfahren zu Novellierung von§1906 BGB abgeschlossen

• Ausblick: Änderungen der Psychisch-Kranken-Gesetze (BaWü, etc.)

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 13

Page 14: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Kritik an Wiedereinführung

• Zwang ist ein menschenrechtliches Problem und wird es bleiben

• Gesetzliche Veränderung tritt an die Stelle der alten und das System der psychiatrischen Versorgung fällt in alte Muster zurück

• Geboten: Systementwicklung auf menschenrechtlicher Grundlage

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 14

Page 15: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

3 Systementwicklungsziele

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 15

Page 16: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Rechteansatz

• Achtung der Menschenwürde

• Gewährleistung der Menschenrechte, auch in extremen Situationen

• Assistierte Selbstbestimmung, einschließlich unterstützte Entscheidungsfindung („supported decision-making“)

• Recht auf angemessene Vorkehrungen

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 16

Page 17: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Freiwilligkeit

• Freiwilligkeit von gesundheitlichen Diensten und Dienstleistungen in allen Bereichen

• Freie und informierte Entscheidung von allen Menschen, ob und welche Therapie, in allen Fällen

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 17

Page 18: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Mildere Mittel

• Leitgedanke aus dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

• Botschaft „Zwang als ‚ultima ratio‘ kann nicht mehr gerechtfertigt werden, wenn es heute versäumt wird, die ‚milderen Mittel‘ in System und Praxis fest zu verankern“

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 18

Page 19: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

4 Eckpunkte

für die Gestaltung eines psychiatrischen Versorgungs- und

Unterstützungssystems

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 19

Page 20: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 1: Rolle der Nutzerinnen und Nutzer

• Stärkung der Rolle von Nutzerinnen und Nutzer in allen Prozessen etwa bei Politikentscheidung, Entwicklung von Angebotsstrukturen, Beratung und Aufklärung (Peer-Ansatz), Qualitätssicherung, Forschung, Überwachung

• Schaffung von Partizipationsrechten und finanzielle Förderung von Selbsthilfe

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Page 21: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 2: Politik

• Politischer Beschluss, der menschenrechtliche Reformziele aufgreift

• Eine gesetzliche Änderung mit anderen geeigneten Maßnahmen zur Systemreform verbinden

• Erforderliche Ressourcen, insbesondere transformationsbedingte, bereitstellen

• Instrumente, etwa Aktionsplan, nutzenDr. Valentin Aichele, LL.M. 21

Page 22: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 3: Recht und Gesetz (1)

• Gesetzlicher Rahmen für eine Entwicklung des Systems

• Systementwicklungsziele sollten von der gesetzlichen Ebene aufgegriffen werden

• Behinderung, auch in Kombination mit anderen Merkmalen, darf nicht zu Benachteiligungen führen

• Angemessene VorkehrungenDr. Valentin Aichele, LL.M. 22

Page 23: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 3:Recht und Gesetz (2): Zwang

• Keine Verpflichtungen, Zwangsbefugnisse zur Behandlung aufrechtzuerhalten

• Begriffliche Differenzierung von „Behandlung“ (etwa Abgrenzung von unmittelbarem Zwang)

• Legitimer Zweck für die pharmakologische Behandlung ist die Wiederherstellung von rechtlicher Handlungsfähigkeit

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 23

Page 24: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 4: Systemische Kompetenzen

• Lern- und Entwicklungskompetenz

• Kompetenz zur gesundheitlichen Versorgung auf der Basis von Freiwilligkeit und assistierter Selbstbestimmung

• Kompetenzen zur Vermeidung von Zwang, insbesondere mildere Mittel

• Überprüfung und Neubestimmung von Anreizstrukturen

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 24

Page 25: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 5: Angebotsstruktur

• Niederschwellige Zugänge und Angebotsvielfalt

• Förderung von ambulanten Versorgungsansätzen

• Unterstützung von stationären Einrichtungen, die ausschließlich auf Freiwilligkeit setzen

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 25

Page 26: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 6: Stationäre Einrichtung

• Zwangsbefugnisse an Genehmigung mit hohen Anforderungen verknüpfen

• Einrichtungsbezogene Entwicklungspläne, die menschenrechtlichen Ziele umzusetzen, als gesetzliche Pflicht

• Ausstattung (Personal- und Sachmittel)

• Informationelle Grundlagen (Steuerung)

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Page 27: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 7: Information, Beratung, Aufklärung

• Information über Instrumente der Selbstbestimmung, Vor- und Nachteile von Therapien, Rechte und Rechtsschutz

• Beratung von Nutzerinnen und Nutzern der Psychiatrie (auch Peer) sowie anderen beteiligten Gruppen

• Aufklärung und Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen

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Page 28: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 8: Aus- und Fortbildung

• Zielgruppenbezogene Aus- und Fortbildung mit einem einheitlichen Konzept

• Empowerment und Qualifizierung für ehemalige Nutzerinnen und Nutzer / Unterstützung der hauptamtlichen Tätigkeit

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Page 29: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 9: Überwachung

• Nutzerinnen und Nutzer als Teil einer Überwachungsstruktur (etwa Besuchskommission etc.)

• Plattform für Austausch und Koordination der unterschiedlichen Akteure

Dr. Valentin Aichele, LL.M. 29

Page 30: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 10: Forschung

• Beschaffung guter informationeller Grundlage für Steuerung und Entwicklung

• Ggf. Organisation von transformationsbezogener Begleitforschung

• Organisation eines Wissenstransfers von Forschung in Politik und Praxis und zurück

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Page 31: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

Eckpunkt 11: Dynamisierung

• Psychiatrische Versorgung als „Lernenden-System“ dynamisieren, etwa durch – Schaffung eines guten Rahmens für einen

Transformationsprozess – Mobilisierung von Veränderungsbereitschaft – Informationelle Grundlagen / Transparenz– Rückkopplung mit Politik / staatliche

Rechenschaftslegung

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Page 32: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

5 Abschließende Bemerkungen

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Page 33: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

• UN-Behindertenrechtskonvention ist Grundlage für eine neue Gesellschaftspolitik: von einer Politik der Fürsorge hin zu einer Politik der Rechte

• Anerkennung von aktuellem strukturellen Handlungsbedarf, Ziel: Freiwilligkeit in allen Fällen

• Ermutigung, einen Beitrag zu einer den Menschenrechten verpflichteten Psychiatrie zu leisten

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Page 34: Menschenrechtliche Anforderungen an ein psychiatrisches Versorgungs- und Unterstützungssystem

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Ich danke Ihnen für

Ihre Aufmerksamkeit!