mit neuen perspektiven - tourenfahrer 12/2002 (bosnien-herzegowina)

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Sarajevo, drei Jahre belagert, jetzt (fast) wieder eine normale Stadt (linke Seite). Willkommene Abwechs- lung in der Herzegowina sind die Kravica-Wasser- fälle mit Badesee (oben). V iel ist nicht los am Grenzübergang Metkovic. Nur ein paar Autos stehen vor mir. Als ich an der Reihe bin, will der Grenzbeamte außer dem Reisepass noch die grüne Versicherungskarte von mir se- hen. Das war’s. Kein Verkehr, keine Formalitäten, in weniger als fünf Minuten bin ich in Bos- nien. Alles ganz normal. Dass hier nicht alles normal ist, sehe ich schon zehn Minuten später. Plötzlich taucht ein verwüste- ter Friedhof auf, daneben zer- schossene Häuser. Umrahmt werden sie von einem gelben Plastikband: Minen! Ich bin ge- spannt, was mich erwartet. Zum LESERREISE BOSNIEN 84 Tourenfahrer 12/2002 12/2002 Tourenfahrer 85 ersten Mal nach fünf Jahren bin ich wieder in Bosnien, zum ersten Mal mit dem Motorrad. Das Auswärtige Amt rät zwar nach wie vor von touristischen Reisen nach Bosnien-Herzego- wina ab, im Gepäck habe ich aber das Schreiben eines deut- schen Offiziers der SFOR-Frie- denstruppe, den ich vorab per E-Mail um Infos gebeten hatte. Der Oberst, früher selbst begeis- terter Motorradfahrer, schreibt, »dass die herrliche Landschaft dem Reisen auf zwei Rädern sehr entgegenkommt«. Genau deswegen bin ich hier. Nach einer dreiviertel Stunde erreiche ich Mostar. Auch hier herrscht Sonntagsruhe. Viele Gebäude sind zwar schon reno- viert, aber nach Kriegsschäden muss man nicht suchen, sie sind noch allgegenwärtig. Immer- hin sind ein paar Touristen da, die mit Kameras herumlaufen. Nach einer Runde durch die Innenstadt fahre ich weiter Richtung Sarajevo, um meine Frau zu treffen. Sanja ist Ser- bin, und als sie sich bei der kroa- tischen Botschaft in Berlin auf Serbisch nach den Einreisebe- stimmungen erkundigte, wurde ihr in rüdem Ton gesagt, ein Visum gäbe es nur, wenn sie eine Einladung oder eine Hotel- buchung vorweisen könnte. Verwandte in Kroatien hat sie nicht, und wir wollten weder ein Hotel buchen noch um ein Visum betteln. Daher die ge- trennte Anreise. Egal, meine Fahrt wird ab Mostar nun rich- tig schön, denn wenige Kilo- meter nach der Hauptstadt der Nach dem Abheilen der gröbsten Kriegs- wunden in Bosnien tritt die Schönheit des Landes wieder zu Tage. Robert Annetzberger (Text/Fotos) hat sich davon überzeugt Herzegowina beginnt der Ne- retva-Canon. Immer näher rü- cken die Felsen an Straße und Fluss heran. Die nächsten 50 Ki- lometer bis Jablanica sind Land- schaft und Balkan-Schluchten pur. Erst geht es rechts, später links an der Neretva entlang, stets habe ich den Fluss im Blick, mit seiner satten, tiefgrü- nen Farbe. Als ich am späten Nachmittag Jablanica erreiche, weitet sich die Neretva zu einem See. Entlang meiner Strecke gibt es viele Forellenzüchter, die ihre Fische an der Straße PERSPEKTIVEN MIT NEUEN

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Eine Reportage über Bosnien und der Herzegowina aus dem Tourenfahrer-Zeitschrift

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  • Sarajevo, drei Jahre belagert, jetzt (fast) wieder eine normale Stadt (linke Seite). Willkommene Abwechs-lung in der Herzegowinasind die Kravica-Wasser-flle mit Badesee (oben).

    Viel ist nicht los amGrenzbergangMetkovic. Nur einpaar Autos stehenvor mir. Als ich an der Reihebin, will der Grenzbeamte auerdem Reisepass noch die grneVersicherungskarte von mir se-hen. Das wars. Kein Verkehr,keine Formalitten, in wenigerals fnf Minuten bin ich in Bos-nien. Alles ganz normal. Dasshier nicht alles normal ist, seheich schon zehn Minuten spter.Pltzlich taucht ein verwste-ter Friedhof auf, daneben zer-schossene Huser. Umrahmtwerden sie von einem gelbenPlastikband: Minen! Ich bin ge-spannt, was mich erwartet. Zum

    LESERREISE BOSNIEN

    84 Tourenfahrer 12/2002 12/2002 Tourenfahrer 85

    ersten Mal nach fnf Jahren binich wieder in Bosnien, zumersten Mal mit dem Motorrad.Das Auswrtige Amt rt zwarnach wie vor von touristischenReisen nach Bosnien-Herzego-wina ab, im Gepck habe ichaber das Schreiben eines deut-schen Offiziers der SFOR-Frie-denstruppe, den ich vorab perE-Mail um Infos gebeten hatte.Der Oberst, frher selbst begeis-terter Motorradfahrer, schreibt,dass die herrliche Landschaftdem Reisen auf zwei Rdernsehr entgegenkommt. Genaudeswegen bin ich hier.

    Nach einer dreiviertel Stundeerreiche ich Mostar. Auch hierherrscht Sonntagsruhe. Viele

    Gebude sind zwar schon reno-viert, aber nach Kriegsschdenmuss man nicht suchen, sie sindnoch allgegenwrtig. Immer-hin sind ein paar Touristen da,die mit Kameras herumlaufen.

    Nach einer Runde durch dieInnenstadt fahre ich weiterRichtung Sarajevo, um meineFrau zu treffen. Sanja ist Ser-bin, und als sie sich bei der kroa-tischen Botschaft in Berlin aufSerbisch nach den Einreisebe-stimmungen erkundigte, wurdeihr in rdem Ton gesagt, einVisum gbe es nur, wenn sieeine Einladung oder eine Hotel-buchung vorweisen knnte.

    Verwandte in Kroatien hat sienicht, und wir wollten weder einHotel buchen noch um einVisum betteln. Daher die ge-trennte Anreise. Egal, meineFahrt wird ab Mostar nun rich-tig schn, denn wenige Kilo-meter nach der Hauptstadt der

    Nach dem Abheilen der grbsten Kriegs-wunden in Bosnien tritt die Schnheit desLandes wieder zu Tage. Robert Annetzberger(Text/Fotos) hat sich davon berzeugt

    Herzegowina beginnt der Ne-retva-Canon. Immer nher r-cken die Felsen an Strae undFluss heran. Die nchsten 50 Ki-lometer bis Jablanica sind Land-schaft und Balkan-Schluchtenpur. Erst geht es rechts, spterlinks an der Neretva entlang,stets habe ich den Fluss imBlick, mit seiner satten, tiefgr-nen Farbe. Als ich am sptenNachmittag Jablanica erreiche,weitet sich die Neretva zu einemSee. Entlang meiner Streckegibt es viele Forellenzchter,die ihre Fische an der Strae

    PERSPEKTIVENMIT NEUEN

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    mentvoll gefahren. Geblinktwird nur in uerst seltenen Fl-len. All das mit Autos, um derentechnischen Zustand sich kei-ner wirklich kmmert. Der Ver-kehr in Sarajevo ist nichts frschwache Nerven.

    Nur ein paar Schritte von dertrkischen Altstadt Bascarsijaentfernt haben wir eine schnePension gefunden und wollenam nchsten Tag einen Ausflugnach Pale und in das SkigebietJahorina unternehmen.Vor derAbfahrt wird noch der Tankgefllt. Bei umgerechnet 0,73Euro pro Liter eine vergleichs-weise gnstige Angelegenheit.Zwischen Sarajevo und Paleliegen allerdings Welten. Hierdie bosnische Hauptstadt, diedrei Jahre lang von den Serbeneingeschlossen war. Dort dieSerben-Hochburg, von der ausder als Kriegsverbrecher ge-suchte Radovan Karadzic undsein General Mladic die eth-nischen Suberungen betrie-

    ben hatten, die immenses Leidber das Land brachten.

    In Pale scheint die Zeit ste-hen geblieben zu sein: halb fer-tige Huser, Hotels, in denenkeiner mehr nchtigt, Cafs, indenen wie berall in Bosniendie jungen Mnner sitzen, weilsie keine Arbeit haben. Jahre-lang blickte die Welt auf Pale,die Stadt, in der whrend desKrieges Karadzic und seineGefolgsleute residierten unddie ganze Welt an der Nase he-rumfhrten. Wir verlassen dietrostlose Kleinstadt RichtungJahorina, dem Skigebiet derOlympischen Spiele von 1984.Bei einer kurzen Rast nhertsich uns ein groer, weierGelndewagen der UN-Polizei.Was macht ihr denn hier?,schallt es auf Deutsch heraus.Einen Augenblick spter steigtein Beamter des Bundesgrenz-schutzes aus dem Toyota. An-ton Stefan heie er und sei zurZeit in Diensten der UN-Poli-

    zei, erzhlt er uns. Der BGS-Beamte findet sich leichtzurecht, denn er ist in Jugosla-wien geboren und spricht dieSprache. Sich ohne Dolmet-scher verstndigen zu knnen,ist fr ihn ein groer Vorteil,nicht nur jetzt im Dienst derVereinten Nationen, sondernauch frher bei seinen Motor-radtouren. Vor 20 Jahren habeer schon die ganze Region mitdem Bike bereist. Erst mit einerHonda 750 Four, spter miteiner Kawasaki GPZ-900.

    Fr uns geht es weiter ins Ski-gebiet Jahorina. Eine schneBergstrae, auf der keinMensch unterwegs ist, fhrthinauf zu den Hotels und Pisten.Vom Glanz vergangener Tageist nicht viel geblieben, dochwir genieen frische Bergluftnach der Schwle, dem Staubund den Abgasen in Sarajevo.

    Doch genau dahin mssenwir jetzt wieder zurck, denn

    wir haben noch eine Verabre-dung, mit dem Moto KlubWalter. Wir treffen Amir undDado im Marquee Club, einerHard-Rock-Kneipe im Zent-rum Sarajevos. Sie liegt direktan der Obala-Strae, der std-tischen Rennstrecke, die alsFortsetzung der Sniper Alleyin die Innenstadt fhrt.

    Der Moto Klub Walter,den sie 1996 grndeten, ist be-nannt nach einem populrenSpielfilm ber den ZweitenWeltkrieg mit dem Titel Wal-ter verteidigt Sarajevo. DerClub ist weniger ein Verein alsein Zusammenschluss von gu-ten Freunden.

    Die Motorradszene in Sara-jevo ist relativ berschaubar,denn bei einer Arbeitslosenratevon mehr als 40 Prozent habendie meisten Menschen ganz an-dere Sorgen. Amir und Dadogeht es gut, sie haben einen Job.

    Trotz der schlechten wirt-schaftlichen Lage hat die Zahl

    der Biker zugenommen. Fr-her konnte ich am Klang derMaschine hren, wer da unter-wegs ist, sagt Ado. Jetzt gehtdas nicht mehr, es sind zu vielegeworden. Wir besprechen beiCola und Corona, welche Rou-ten auerhalb von Sarajevointeressant sind. Ihr msstunbedingt auf den Berg Igmanfahren, meinen sie einhellig.Die Route ber den Berg Igmanwar whrend des Krieges fastdie einzige Versorgungslinie indie belagerte Stadt hinein.

    Wenige Kilometer auerhalbder bosnischen Hauptstadt bie-gen wir in Hadzici links ab. DieStrae gehrt uns allein, als wiruns Kurve fr Kurve den Igmanhocharbeiten. Wir folgen dergeteerten Strae bis zum Ende,erreichen das Hotel Marsal auf1200 Metern Hhe. Auf demParkplatz treffen wir auf einennervsen deutschen Oberfeld-webel. Eine Patrouille ist oben

    auf dem Berg unterwegs, aberder Kontakt zu den Kameradenist abgerissen.

    Jetzt ist ein anderes Team aufdem Weg nach oben, um nach-zusehen, was los ist. Die Ser-ben, erzhlt uns der Soldat, st-ren immer wieder mit starkenSendern die Handys. Als wirber mgliche Routen im Landreden, warnt uns der Deutschevor allem vor Foca in der Repu-blika Srpska. Das ist momen-tan zu hei dort, sagt er. DieRegion im Sdosten des Lan-des gilt als eine der Hochbur-gen serbischer Nationalisten.Nach Einstzen gegen mutma-liche Kriegsverbrecher seiendie Leute dort nicht gut auf dieSFOR-Truppen zu sprechen. Inder Zwischenzeit ist der Such-trupp vom Berg zurck. Allesin Ordnung, es war wirklich nurein Problem mit den Handys.

    Wir verabschieden uns vonden Soldaten und machen unsauf den Weg. Es geht auf die

    Glaubensbekenntnis: neue Moschee in

    Sarajevo (oben), dahin-ter Kriegsschden an Wohnhusern.

    Wie frher: Jablanica-See (rechts oben),

    Altstadt Bascarsija(rechts Mitte).

    Nach dem Regen heit es frmich Kurvenfahren. Die zahl-reichen Kinder, die am Straen-rand Honig verkaufen, nehmeich kaum wahr. Kurz vor Sara-jevo geht pltzlich nichts mehr.Ein Stau und auch ein StckNormalitt. Ich schere aus, ummich an den Wartenden vorbei-zumogeln. Als ich in der Ferneeine bosnische Polizeistreifesehe, reihe ich mich brav wie-der in die Schlange ein. DieVorsicht ist unntig. Als ich aufHhe der Beamten bin, gebensie mir zu verstehen, dass ichdoch am Stau vorbeifahren soll.Zehn Kilometer weiter sehe ich,was los ist: ein SFOR-Check-point. Dann Sarajevo: Vom Vor-ort Ilidza fhrt die Strae schnur-gerade in die Stadt. Nachdemman den ehemaligen Belage-rungsring berquert hat, kommtman auf die Sniper Alley.Hier wurden whrend des Krie-ges viele Menschen Opfer ser-bischer Scharfschtzen.

    Jetzt ist das Gefhrliche dieFahrweise der Bosnier, dennauf der dreispurigen Straewird sdlndisch tempera-

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    LESERREISE BOSNIEN

    Schotterstrae, die hinter demCaf beginnt. Je weiter wir nachoben kommen, desto beein-druckender werden die Ausbli-cke in die Tler und auf die Ber-ge. Dass hier mal Krieg war,knnen wir hinter uns lassen.Angekommen am Ausgangs-punkt unserer Nachmittagstoursehen wir zwei Motorrder vordem Caf stehen. Wer ist in die-ser abgelegenen Gegend mitdem Motorrad unterwegs?

    Zwei Prchen sind es, die daim Schatten sitzen: Emina undSale, Adisa und Amer. Eminaist Deutsche, ihr Mann Sale unddie anderen beiden stammenaus Hadzici am Fue des BergsIgman. Die vier leben allesamtin Monheim und sind aufUrlaub hier, wie jedes Jahr.

    Getrbt wird die nette Unter-haltung durch drei Bosnier amNebentisch, die Sanja auffor-dern, doch eine andere Sprachezu sprechen. Die serbischenTschetniks htten hier so viel

    kaputt gemacht. Die vier ausMonheim gltten die Wogen:Lasst das doch, sagen sie. Die drei sticheln noch ein wenigweiter, aber dann ist Ruhe.

    Am Abend lassen wir uns inder Fugngerzone Sarajevostreiben. Im Gedrnge der Gas-sen kann man die Stellen, andenen Menschen bei Granatan-griffen ums Leben kamen, heu-te noch sehen. Knstler habendie Einschlaglcher mit rotemKunststoff ausgegossen. DieOpfer der Massaker warenmeist Menschen, die fr Brotoder Wasser anstanden. Heutegibt es die Dinge des tglichenBedarfs wieder im Supermarkt,wenngleich sie nicht fr jedenerschwinglich sind.

    Auffallend sind die zahlrei-chen neuen Moscheen in derStadt. Immer wieder hrt manals Begrung auch Salaamaleikum statt des blichenDobar dan. Der Islam istsichtbarer geworden in Bos-

    verkaufen. Auf Schildern wer-den Zimmer offeriert, am Ufertauchen Strandbder auf.

    Ein heftiger Regenschauerzwingt mich, die Fahrt kurz vorKonjic zu unterbrechen undZuflucht unter ein paar Bumenzu suchen. Ich habe gerade dieMaschine abgestellt, als nebenmir eine Honda X-Eleven aus-rollt. Die Pause beschert mirmein erstes Treffen mit einembosnischen Biker. Haris undseine Freundin Leila waren ander kroatischen Kste und wol-len zurck nach Sarajevo. An-gesichts des Regens legen auchsie eine kurze Rast ein. Vielesim Land ist besser geworden,sagt Haris. Man kann jetztberall hinfahren.

    DER VERKEHR IST NICHTS FR SCHWACHE NERVEN

  • weltgestalten in Jeans, schwar-zen Lederjacken und militri-schem Kurzhaarschnitt, die im-mer hier herumlungerten. Auchdeswegen wurde das Ero damalshufig mit Ricks Caf Ame-ricain aus dem Kino-Klassi-ker Casablanca verglichen.

    Nur war die Realitt in Mostarmanchmal bedrohlicher, so wieam 7. Februar 1996: EU-Ver-walter Hans Koschnick hatte andiesem Tag per Dekret ent-schieden, dass die Stadt nachder Wiedervereinigung in dreikroatische, drei moslemischesowie einen siebten Bezirk ein-geteilt werden sollte, den beideVolksgruppen gemeinsam ver-walten sollten. Kurz darauf ver-sammelten sich vor dem Hotelaufgebrachte Kroaten, die ge-gen den Plan waren. Schssefielen, der Mob strmte schlie-lich das Hotel. Zusammen mitKollegen blieb mir nichts ande-res, als durch den Hinteraus-gang zu verschwinden. Auch

    Hans Koschnick konnte sich inSicherheit bringen.

    Nichts erinnert mehr an diedramatischen Augenblicke,whrend wir Kaffee undSchwarzwlder Kirschtorte ge-nieen. Nur der Kellner ist der-selbe wie damals.

    Die Fahrt nach Bihac imNordwesten Bosniens ist mitber 300 Kilometern unserelngste Etappe. In Jablanicabiegen wir links ab RichtungBugojno. Von nun an arbeitenwir uns auf engen Serpentinendie Berge hinauf. Immer wie-der werden wir dabei mit gran-diosen Ausblicken auf denJablanica-See belohnt.

    Auf der Karte haben wir denRamsko-See entdeckt, der ge-rade mal zehn Kilometer vonunserer Strecke entfernt liegt.Der Abstecher lohnt sich, unserwartet eine traumhafte Land-schaft. Der grne Ramsko-Stausee liegt auf 900 MeternMeereshhe und fllt fast den

    gesamten Talkessel aus. Erstdie franzsische SFOR-Pat-rouille erinnert uns wieder da-ran, dass wir in Bosnien sind.

    Zurck auf der Hauptstraesind es nur noch wenige Kilo-meter bis zum Makljen-Pass.Von 200 auf mehr als 1100 Me-ter Meereshhe haben wir unsauf den zurckliegenden 40 Ki-lometern hochgearbeitet. Nunrollen wir den Pass in nrdli-cher Richtung hinunter. Pas-sieren Gornji Vakuf, Bugojno,Donji Vakuf. Orte, die whrenddes Krieges weltweit durch dieMedien gingen. Jetzt ist dieAufmerksamkeit des Auslan-des weg, die Schden aber sindgeblieben. Immerhin verkn-den groe Schilder am Straen-rand, dass die EU hier beimWiederaufbau hilft.

    Kurz nach Jajce werden dieOrtsschilder kyrillisch, auf dennchsten 50 Kilometern fahrenwir durch die Republika Srpska.Die kleinen gelben Schilder der

    SFOR, die am Straenrandbefestigt sind, sagen uns, dasswir uns bei Jajce auf der SFOR-Route Gull (Mwe) bewe-gen. Bis Bihac fahren wir dannauf der Route Bluebird. We-sentlich hilfreicher als dieCodewrter der Militrs sindaber die Tafeln mit der Auf-schrift Caution Tunnel oderDanger! Sharp Bends follow.

    Hinter Kljuc, wieder in dermoslemisch-kroatischen Fde-ration, steigt die Strae auf 700Meter an. Die letzten 80 Kilo-meter bis Bihac fahren wir aufeinem Hochplateau. BosanskiPetrovac ist der einzige grereOrt, den wir auf der Ebene nochdurchqueren. Danach wird eseinsam und verlassen. Wir fah-ren durch eine leicht hgeligeGegend, knnen die Strae ki-lometerweit vor uns liegen se-hen. Felder und Wiesen leuch-ten in der Nachmittagssonne,die Idylle wre fast perfekt,wenn die Ruinen nicht wren.

    Wie Mahnmale stehen die zer-strten Huser da, hier scheintkeiner mehr zu leben. Drei Jahrelang wurde Bihac von den Ser-ben belagert. Es gelang ihnennie, die Stadt einzunehmen,aber ihre Spuren sind berall.

    Das ffentliche Leben inBihac spielt sich im Wesentli-chen an der Una ab. Gemch-lich schiebt sich der Fluss durchdie Stadt. Einige Leute sind mitBooten unterwegs. Die Cafsund Restaurants im Zentrumsind auch tagsber gut gefllt.Fr mehr als Mineralwasseroder einen Kaffee aber reichtbei den meisten das Geld nicht.Dennoch wollen sie das Gefhlhaben, wieder ein halbwegsnormales Leben zu fhren. DieStadt, die vom Krieg derart inMitleidenschaft gezogen wur-de, hat vor allem jungen Leu-ten nicht viel zu bieten.

    Als wir wieder aufbrechen,folgen wir wieder der RouteBluebird. Es geht den Fluss

    entlang, die Strae ist eng, kur-vig und unbersichtlich. DasBltterdach der Bume lsstkaum einen Sonnenstrahldurch, der die Fahrbahn trock-nen knnte. Das Tempo-Limitvon 40, das die nchsten 30 Ki-lometer gilt, ist absolut ange-bracht. Ein paar Mal kreuzenwir die Bahnstrecke, die eben-falls am Fluss entlangfhrt. AufZge muss man nicht achten,denn hier ist schon lange kei-ner mehr gefahren. Trotzdemerfordern die Bahnbergngevolle Aufmerksamkeit, dieHolzbohlen zwischen den Glei-sen sind gefhrlich glitschig.

    Whrend wir durch die nord-westliche Ecke Bosniens fah-ren, lernen wir die vielfltigeVogelwelt der SFOR kennen:Kiwi, Phoenix und Buz-zard. In Bosanski Novi ver-lassen wir nach mehr als 60Kilometern den Lauf der Una,folgen mit der Sana aber gleichdem nchsten Wasserlauf und

    erreichen zum letzten Mal aufdieser Reise die RepublikaSrpska.Schlagartig werden dieHuser wieder armseliger unddie Autos noch etwas lter.Immer wieder treffen wir auchauf Pferdefuhrwerke.

    Wir wechseln von der Vogel-in die Fabelwelt, von jetzt anfolgen wir Pegasus. Die Fahrtist allerdings weniger fabel-haft, die Magistrale Nummer 4Richtung Prijedor verluftschnurgerade. Meist liegt dasLimit bei 80 Stundenkilome-tern, und die sollte man wegender zahlreichen Radarkontrol-len auch einhalten.

    Banja Luka ist die Hauptstadtder Republika Srpska, doch derzweitgrten Stadt Bosniens istanzusehen, dass sich die bos-nischen Serben selbst ins poli-tische Abseits manviert ha-ben. Alle 16 Moscheen derStadt wurden 1993 zerstrt. Diewirtschaftliche Lage in der ser-bischen Hlfte Bosniens istnoch schlechter als in der mos-lemisch-kroatischen Fdera-tion. Und vom groen Bruderin Belgrad knnen die bosni-DIE BIKER-SZENE IN BOSN IEN WCHST WEITER

    Biker-Club undOrdnungshter: Mankennt sich (links oben). Warten aufWiederaufbau:Zerstrungen in Mostar (links unten). Am Stadtrand Sarajevos beginnt derKurvenspa (unten).

    Bis es so weit ist, werden dieFugnger weiterhin die Be-helfsbrcke bentzen mssen,die wenige Meter neben denberresten der alten Brckeber die Neretva spannt. Aufbeiden Ufern haben inzwischenwieder zahlreiche Restaurantserffnet, in denen nach Son-nenuntergang die Tische gutbesetzt sind. Die Teenager ziehtes dann in die Cafs und Bars.Am Abend bebt im Umkreis derBrcke der Boden von denBeats der Techno-Bsse.

    Wir besuchen ein Caf, dasich noch von frher kenne: DasHotel Ero war einmal derDreh- und Angelpunkt in Mos-tar. Hier trafen sich alle, ob Jour-nalisten, UN-Soldaten, Vertre-ter von Hilfsorganisationenoder der EU-Administration.Nicht zu vergessen die Halb-

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    nien. Am nchsten Tag fahrenwir durch die anmutige Fluss-landschaft der Neretva nachMostar, der Hauptstadt der Her-zegowina. Touristen tummelnsich in den Gassen mit ihremholprigen Kopfsteinpflaster,und die Souvenir-Shops ver-markten etwas, das Mostarnicht mehr hat: die weltberhm-te Fugngerbrcke.

    Erbaut im Jahre 1566 vomtrkischen Baumeister Hajru-din, verband die Brcke mehrals vierhundert Jahre lang beideUfer. Sie galt als Symbol frden Brckenschlag zwischenKatholizismus und Islam. Wh-rend der Kmpfe zwischen Kro-aten und Moslems wurde dieBrcke im November 1993 vonkroatischer Artillerie zerstrt.Jetzt soll sie mit auslndischerHilfe wieder aufgebaut werden.

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    LESERREISE BOSNIEN

    schen Serben auch nichts mehrerwarten, weder politisch nochfinanziell. Rest-Jugoslawien istwirtschaftlich selbst am Boden.

    50 Kilometer sind es von Ban-ja Luka zur kroatischen Gren-ze. Nachdem Sanja RichtungBelgrad abgereist ist, fahre ichzum Abschluss wieder allein.Mehr als 1400 Kilometer warenwir in Bosnien unterwegs. Eswar eine Fahrt durch ein zerris-senes Land. Wunderbare Land-schaften und Kriegsschden,das gehrt in Bosnien immernoch zusammen.Dennoch wol-len wir nchstes Jahr wieder-kommen, um die Entwicklungzurck zur Normalitt auf zweiRdern weiterzuverfolgen.

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    DOKUMENTATION BOSNIEN

    Allgemeines: Bosnien-Herze-gowina ist etwa so gro wie dieBundeslnder Schleswig-Hol-stein und Nordrhein-Westfalenzusammen und hat vier MillionenEinwohner. Das Land besteht imWesentlichen aus Gebirge und istdurchzogen von zahlreichenSchluchten und Flssen. berallgibt es Wasser. Daneben hat Bos-nien am Mittelmeer einen kurzenKstenstreifen von 20 km Lngeund im Norden des Landes dieEbene an der Save.

    Politisch besteht Bosnien seitdem Friedensabkommen vonDayton im Jahre 1995 aus dermoslemisch-kroatischen Fdera-tion und der Republika Srpska.An der Spitze steht ein dreikpfi-ges Staatsprsidium mit Vertre-tern von Moslems, Kroaten undSerben, die sich im Vorsitzabwechseln.

    Eine wichtige Rolle spielt wei-terhin der Hohe Reprsentant derinternationalen Staatengemein-schaft. Nach dem sterreicherWolfgang Petritsch hat der BritePaddy Ashdown im Sommer die-ses Amt bernommen. Hufigmuss der Hohe Repsentant perDekret Dinge entscheiden, berdie sich die Volksgruppen nichteinigen knnen. Immer noch istauch die Prsenz der Friedens-truppe erforderlich, wie die Waf-fenfunde im Sommer zeigen. Ineinem Depot, das erst nach demKrieg angelegt wurde, fand dieSFOR im Sommer bei Mostartausende Granaten. Zu Spannun-gen kommt es auch immer wie-der in den serbischen Regionenim Grenzgebiet zu Montenegro,wenn die SFOR gegen mutmali-che Kriegsverbrecher vorgeht.

    Dennoch kann man sich inBosnien ohne Probleme bewe-gen. Meist wird man von denMenschen neugierig in Augen-schein genommen. Das gilt auchfr Polizisten, die uns stetsfreundlich begegneten.

    Sicherheit: Weil in Bosnienimmer noch zahlreiche Minen imBoden und Sprengfallen in Rui-nen versteckt liegen, sollte manauf keinen Fall Straen undWege verlassen. Offroad-Fahrtensind grundstzlich tabu.

    Anreise: Anfahrt vonDeutschland aus am besten berLjubljana, von sterreich ausber Maribor nach Zagreb. Vondort ber die Autobahn Zagreb-Belgrad nach Banja Luka.

    Von der kroatischen Kste aussind Mostar und Sarajevo schnellzu erreichen. Die beiden Stdtesind die sehenswertesten in Bos-nien, und der Weg dorthin fhrtdurch schne Landschaften. DieRoute empfiehlt sich fr diejeni-gen, die von Kroatien aus nureinen kurzen Abstecher nachBosnien machen wollen.

    Einreisebestimmungen: FrDeutsche ist kein Visum erfor-derlich. Das Auswrtige Amt rt,unbedingt eine Auslands-Reise-versicherung mit Krankenrck-transport abzuschlieen.

    Whrung: Die bosnischeWhrung ist die KonvertibleMark (KM). Bis zur Einfhrungdes Euro war der Wechselkurszur DM 1:1. Dementsprechendbesteht jetzt der gleiche Kurs wiezwischen Euro und DM.

    Mit ec- oder Kreditkarte kannman fast nirgends bezahlen,meist akzeptieren Hotels undRestaurants kleine Euro-Scheineund geben KM zurck.

    Tanken: Die Sprit-Versor-gung ist kein Problem, Tankstel-len gibt es in fast jedem Ort, siesind tagsber fast immer geff-net. Ein Liter Bleifrei (Eurosu-per 95) kostet zwischen 1,40und 1,48 KM.

    Reisezeit: Am besten zwi-schen Juni und September. DieWinter sind kalt und lang, dieSommer kurz und hei. Tempera-turen zwischen 30 und 35 Gradsind dann vllig normal. In denhher gelegenen Gebieten ist esim Sommer angenehm khl.

    Unterkunft: In allen grerenStdten gibt es Hotels und Pen-sionen. Die Hotels knnen bis zu100 Euro kosten, Pension sindetwas gnstiger.

    Literatur: Juli Zeh: DieStille ist ein Gerusch. Ein Fahrt

    durch Bosnien. Verlag Schff-ling & Co., 2002. Ivo Andric:Die Brcke ber die Drina.dtv. Reisefhrer ber Bosniengibt es nicht. In Sarajevo undMostar sind Stadtfhrer zu kaufen.

    Websites: SFOR-Friedens-truppen: www.nato.int/sfor/ (eng-lisch/franzsisch). InformativeHomepage mit zahlreichen ntz-lichen Links: www.osteuropa.ch/bosnien/bih_info.htm.

    Informationen ber Minen:www.bhmac.org und www.mine-action.org (beide englisch).

    Landkarten: Bosnien-Herze-gowina, 1 : 250.000, freytag &berndt, 9,45 Euro.

    Jugoslawische Adriakste,1 : 300.000, Euro-Cart, RV-Verlag.

    Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Jugoslawien, Ma-kedonien, 1 : 800.000, Euro-Cart,RV-Verlag.