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22.05.2014 Seite 1 Gutachten „zur Frage der Auslegung der Eidgenössischen Volksinitiative für eine öffentliche Krankenkasse“ Autor: Prof. Dr. iur. Ueli Kieser Vizedirektor IRP-HSG, Rechtsanwalt Zürich/St. Gallen

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Page 1: Mk alliance sante, folien prof. dr. kieser

22.05.2014

Seite 1

Gutachten „zur Frage der Auslegung der

Eidgenössischen Volksinitiative für eine

öffentliche Krankenkasse“

Autor:

Prof. Dr. iur. Ueli Kieser

Vizedirektor IRP-HSG, Rechtsanwalt

Zürich/St. Gallen

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Fragestellung

Initiativtext:

Art. 117 Abs 3 (neu) und 4 (neu)3 Die soziale Krankenversicherung wird von einer einheitlichen, nationalen öffentlich-

rechtlichen Einrichtung durchgeführt. Deren Organe werden namentlich aus Vertreterinnen

und Vertretern des Bundes, der Kantone, der Versicherten und der Leistungserbringer

gebildet.4 Die nationale Einrichtung verfügt über kantonale oder interkantonale Agenturen. Diese

legen namentlich die Prämien fest, ziehen sie ein und vergüten die Leistungen. Für jeden

Kanton wird eine einheitliche Prämie festgelegt; diese wird aufgrund der

Kosten der sozialen Krankenversicherung berechnet.

Die Übergangsbestimmungen

Art. 197 Ziff. 8 (neu)1 Nach der Annahme von Art. 117 Abs 3 und 4 durch Volk und Stände erlässt die die

notwendigen gesetzlichen Bestimmungen, damit die Reserven, die Rückstellungen und die

Vermögen aus dem Bereich der sozialen Krankenversicherung auf die Einrichtung nach Art.

117 Abs 3 und 4 übertragen werden.2 Erlässt die Bundesversammlung nicht innert drei Jahren nach Annahme von Art. 117 Abs 3

und 4 ein entsprechendes Bundesgesetz, so können die Kantone auf ihrem Gebiet eine

einheitliche öffentliche Einrichtung der sozialen Krankenversicherung schaffen.

Was heisst das?

Wie soll das umgesetzt werden?

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Initiativtext mit abweichenden

Sprachversionen

Auslegung:

Speziellere Fassung hat Vorrang

Das ist hier zweifellos die deutsche Fassung der Initiative

Deutsch: «Für jeden Kanton wird eine einheitliche

Prämie festgelegt»

Französisch: «Les primes sont fixées par canton»

Italienisch: «I premi sono fissati per Cantone»

Fazit: Deutsche Sprachversion gilt

eine einzige «einheitliche Prämie»

pro Kanton

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Was bedeutet eine «einheitliche Prämie»?

Begründung:

Initiative will Vereinheitlichung bewirken:

- organisatorisch mit der Einheitskasse

- prämienmässig mit der einheitlichen Prämie

Initiative will gegenüber dem heutigen Recht eine

Veränderung bewirken.

Fazit: Mit dem Begriff der «einheitlichen Prämie» ist eine

vom heutigen Recht abweichende Regelung gemeint

Eine «einheitliche Prämie» pro Kanton bedeutet:

eine einzige einheitliche Prämie pro Kanton

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Prämien heute (geltendes Recht)

Wahlfreiheit für die Versicherten zwischen

verschiedenen Prämienmodellen

Berücksichtigung von familienpolitischen

Anliegen (Schutz von Kindern und jungen

Erwachsenen)

Möglichkeit von Prämienregionen innerhalb der

Kantone

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Prämienregionen

Fazit:

Prämienabstufungen innerhalb der Kantone sind

gemäss Volksinitiative nicht mehr möglich.

Geltendes Recht Volksinitiative «für eine

öffentliche Krankenkasse»

Innerhalb der Kantone

Prämienregionen möglich

(Art. 61 Abs. 2 KVG)

Eine unerwünschte

Solidarität zwischen

ländlichen Regionen und

städtischen Gebieten soll

vermieden werden

Eine «einheitliche Prämie»

pro Kanton

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Prämienabstufungen für Kinder und junge

Erwachsene

Geltendes Recht Volksinitiative «für eine

öffentliche Krankenkasse»

Verpflichtung zu tieferen

Kinderprämien; Möglichkeit für

tiefere Prämien für junge

Erwachsene (Art. 61 Abs. 3

KVG)

Ziel dieser Regelung:

Vermeidung einer zu starken

Belastung der Familie;

familienpolitische Massnahme

Berechnung der

einheitlichen kantonalen

Prämie…

…. ausschliesslich gestützt

auf versicherungs-

mathematische Kriterien

Fazit: Abgestufte Prämien für Kinder und junge

Erwachsene sind gemäss Volksinitiative nicht

mehr möglich.

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Wahlfranchise der Versicherten

Geltendes Recht Volksinitiative «für eine

öffentliche Krankenkasse»

Bisheriges Recht lässt

Wahlfranchise zu; daraus

abgeleitet: Unterschiedliche

Prämien (Art. 62 KVG)

Ziel der bisherigen

Wahlfranchisen: Dämmung

von Kosten; Abhalten von

zu rascher

Inanspruchnahme von

Leistungen

Eine «einheitliche Prämie»

pro Kanton

Wahlfranchisen mit daraus

abgeleiteten

unterschiedlichen Prämien

sind nicht mehr zulässig

Fazit:

Wahlfranchisen mit abgestuften Prämien sind

gemäss Volksinitiative nicht mehr möglich.

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Prämienrabatte auf besonderen

Versicherungsmodellen

Geltendes Recht Volksinitiative «für eine

öffentliche Krankenkasse»

Zulässigkeit von besonderen

Versicherungsformen nach Art.

62 Abs. 1 KVG

(Hausarztmodell, HMO-Praxis

etc.)

Prämienreduktion

Eine einzige einheitliche Prämie

keine Prämienreduktion mehr

möglich

Fazit: Prämienrabatte auf besondere

Versicherungsmodelle sind nicht mehr möglich

(besondere Versicherungsmodelle fallen faktisch

weg).

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Weitere offene Fragen

- Wie soll mit Rückstellungen, Reserven,

Verwaltungskosten umgegangen werden?

- Was geschieht, wenn die einheitliche Prämie nicht

ausreicht, um die entstehenden Kosten zu decken?

- Können Gerichte die Festlegung der einheitlichen

Prämie überprüfen?

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Zusammenfassung

Besondere Kinderprämie und Prämie für junge

Erwachsene

Unterschiedliche Prämienhöhen innerhalb der Kantone

(Stadt, Land, Agglomeration)

Prämienrabatte für alternative Versicherungsmodelle

(z.B. Hausarztmodelle, etc.)

Prämienrabatte aufgrund von Wahlfranchisen

Und: Die Umsetzung der Initiative wirft eine Reihe von

weiteren heiklen Fragen auf.

Mit einer Einheitskasse gemäss Initiative sind nicht

mehr möglich: