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AUSGABE 1 / OKTOBER 2012 MOBILITÄT & LOGISTIK DER ZUKUNFT MAGAZIN 2012/2013 CODE24 PER GÜTERZUG VON ROTTERDAM NACH GENUA HESSEN MOBIL WENN AUTOS MITEINANDER REDEN eTICKET MOBILITÄT DURCHGÄNGIG ERFAHREN GEISSLER/KIENZLE MEHR DEMOKRATIE IN DER PLANUNG WAGEN HOLM VERNETZUNG SICHTBAR MACHEN KATARINA-WITT-STIFTUNG DIE ERFAHRUNG EINER BESONDEREN FORM VON MOBILITÄT

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Page 1: Mobilität & logistik der Zukunft - frankfurt-holm.de · struktur, Logistik, Verkehrsmanagementsysteme und Produktion von Verkehrsmitteln weltweit führend. Das künftige Wohlergehen

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1 /

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2012

Mobilität & logistikder Zukunft

MagaZin 2012 / 2013 Code24 Per GüterzuG von rotterdam nach Genua

Hessen Mobil Wenn autos miteinander reden etiCket mobilität durchGänGiG erfahren

geissler/kienZle mehr demoKratie in der PlanunG WaGen HolM vernetzunG sichtbar machen

katarina-Witt-stiftung die erfahrunG einer besonderen form von mobilität

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Forum Executive GmbH,

Hellerhofstraße 2-4,

60327 Frankfurt am Main,

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Verantwortliche für den Inhalt

Dr. Henrik Kelz (V.i.S.d.P.),

Jürgen Schultheis (HOLM, Frankfurt)

Redaktionelle Mitarbeit

Sven Hirschler (HOLM, Frankfurt),

Tim Kanning (F.A.Z., Frankfurt)

Art Direction

Dino Celjo

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(informationdesign, Berlin)

Druck

Westdeutsche Verlags- und

Druckerei GmbH,

Kurhessenstraße 4-6,

64546 Mörfelden-Walldorf

imPressum

Weitere exklusive Beiträge finden Sie im Internet:

Mobilität & logistik der Zukunft – Was dürfen Wir erWarten?

editorial 3

eu-verKehrsKommissar si im Kallas fordert mehr euroPäische WettbeWerbsfähiGKeit 4

unWäGbarKeiten an den WeltmärKten verunsichern loGistiKer, berichtet raimund KlinKner 5

code24 brinGt den euroPäischen GüterverKehr auf die schiene 6

heiner Geissler und ulrich Kienzle vermissen PlanunGsflexibilität bei behörden 8

JürGen fensKe, Klaus-Peter müller und Knut rinGat Plädieren für vernetzte mobilität 10

das auto Wird bestandteil intelliGenter mobilitäts- netzWerKe, zeiGt hessen mobil 12

das e-ticKet des rmv bietet die durchGänGiGe mobilitätsKarte 13

„mein KlaPPrad ist meine limousine“ saGt WolKe heGenbarth 14

albert sPeer und steffen saebisch disKutieren das zusammensPiel von innovationsarchiteKtur und WissensinfrastruKturen 16

führende forschunGseinrichtunGen schaffen WissensinfrastruKturen für loGistiK, mobilität und verKehr 18

der tüv rheinland orGanisiert für die bundesreGierunG netzWerKe in der verKehrsforschunG 20

Kati Witt fördert mobilitätseinGeschränKte Kinder 21

die zuKunft des fluGhafens ist eine erlebnisWelt, verdeutlichen stefan schulte und Werner d‘inKa 22

lufthansa-vorstand Kay KratKy berichtet über die entWicKlunG des luftverKehrs in china 24

basf baut neue vertriebsWeGe für Pflanzenschutzmittel in osteuroPa auf 25

WolfGanG clement und florian rentsch fordern eine stärKunG des industriestandortes deutschland 26

yossi sheffi analysiert die stimulierende WirKunG von loGistiK-clustern 28

siemes setzt mit seinem „crystal“ in london zeichen für nachhaltiGe stadtentWicKlunG 29

mobilität und Wohlstand hänGen zusammen, zeiGt helaba-chefsvolKsWirtin dr. Gertrud traud 30

Dr. Henrik KelzFrankfurter Allgmeine Forum

Director Industry

Liebe Leser,

wird es in absehbarer Zeit möglich sein, mit einer Chipkarte sämtliche Angebote einer Region zu nutzen: Nahverkehr, Mietwagen, Schwimmbäder? Werden Staus der Vergangenheit angehören, wenn unsere Autos untereinander Verkehrsinformationen austauschen? Wie können wir

schon heute den Konflikt zwischen notwendigem Güterverkehr und Minimierung der Belastungen für Anwohner meistern?

Antworten auf diese Fragen finden wir nur, wenn sich viele Menschen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft vernetzen und an einem Strang ziehen. Von den Entscheidungen, die wir heute treffen, wird die Zukunft eines jeden Einzelnen, einer Stadt, einer Industrie, gar

einer ganzen Region abhängen. Innovationszentren und Wissensinfrastrukturen werden uns dabei helfen, die Komplexität von Mobilität und Logistik zu verstehen und die richtigen Entscheidungen zu fällen.

In dieser ersten Ausgabe legen wir daher einen Schwerpunkt auf Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Mit einer internationalen Konferenz im Frühjahr 2013, die wie dieses Magazin von Frankfurter Allgemeine Forum in Zusammenarbeit mit dem House of Logistics & Mobility (HOLM) konzipiert wird, schaffen wir zudem ein Forum für den direkten Austausch. Bei dieser Veranstaltung werden dann Unternehmenssichtweisen und globale Lösungsansätze im Vordergrund stehen.

Wir sind sicher, Sie entdecken mit uns eine Welt, die Ihnen so nicht bekannt war und wünschen eine anregende Lektüre.

Mit freundlichen Grüßen

WWW.faz-forum.com/loGistiK

WWW.franKfurt-holm.de

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mobilität & loGistiK der zuKunftfranKfurter allGemeine forum / maGazin

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Die Logistik ist in Deutschland eine weitgehend unbekann-te Wirtschaftsmacht: Mit bis zu 228 Milliarden Euro Umsatz und 2,85 Millionen Beschäftigten (2012) ist die Logistik die drittstärkste Branche hinter der Automobilindustrie und dem Handel. Logistik und Supply Chain Management sind Quer-schnittsfunktionen über die betrieblichen Abteilungen und Unternehmensgrenzen hinweg, bis hin zum Verbraucher. Damit ermöglicht Logistik erst die Entwicklung in einer arbeitsteiligen, globalisierten und vernetzten Welt. Knapp über 50 Prozent aller Logistikleistungen finden in Industrie und Handel statt: Produktionsplanung, Montagesteuerung, Beschaffung, inner-betrieblicher Transport und Warenwirtschaft. Unter den 60.000 Logistikdienstleistern finden sich einige wenige Global Player und viele mittelständische Unternehmen.

deutschland ist Gut, aber nicht mehr sPitze

Steigender Außenhandel, höhere Preise für Energie und die Auslastung der Verkehrsinfrastruktur stellen die Logistikbranche vor neue Herausforderungen. Der Verkehr ist energieeffizienter geworden, hängt aber noch weitgehend vom Öl ab. Nachhaltige Mobilität zu organisieren, ist eines der Ziele für die Zukunft. Wirtschaft und Wissenschaft müssen an der Förderung alterna-tiver Verkehrslösungen arbeiten, die Einführung neuer Motoren und umweltfreundlicher Kraftstoffe sind wichtige Elemente einer nachhaltigen Logistik nicht nur in Deutschland. Dazu gehört auch der Einsatz intelligenter Verkehrssysteme. Straßen-, Eisenbahn- und Schiffsgüterverkehre müssen darüber hinaus stärker vernetzt werden.

Aufgrund der geografischen Lage, der im internationalen Vergleich guten Infrastruktur und des logistischen Know-how ist die Logistik in Deutsch-land

bestens aufgestellt. Hier entwickelte logistische Leistungen haben Vorbildcharakter. Die Stärken liegen in der langen Erfah-rung, der Innovationskraft und hohen Produktivität. Dazu trägt bei, dass die Logistikmitarbeiter in Deutschland gut ausgebildet sind. Die Forschungslandschaft und sehr gute Qualifizierungs-systeme in den Unternehmen sowie an den Hochschulen sind die Voraussetzungen dafür, dass die deutsche Logistikwirtschaft sich auch weiterhin international behaupten wird.

Im internationalen Logistik-Ranking 2012 der Weltbank unter dem Titel „Connecting to Compete“ steht Deutschland hinter Singapur, Hongkong und Finnland auf Platz vier. Deutschland punktet mit Infrastruktur und Pünktlichkeit sowie mit Kompetenz und Qualität. Bei Grenzschutz und Zoll, Sendungsverfolgung und internationaler Verschiffung hingegen wurden Spitzenpositionen eingebüßt.

Die konjunkturelle Entwicklung spielt derzeit eine wichtige Rolle. Seit Ende 2009 lag der Logistik-Indikator, der von der Bundes-vereinigung Logistik in Zusammenarbeit mit dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel herausgegeben wird, über dem Normal-niveau und signalisierte damit eine hervorragende Entwicklung und eine starke Position des Wirtschaftsbereichs Logistik. In der Augustbefragung 2012 in Industrie, Handel und Dienstlei-stung weist der Indikator jedoch nach unten und erreicht den niedrigsten Stand seit zwei Jahren. In der Eintrübung von Lagebeurteilung und Erwartungen schla-gen sich die Unsicherheiten auf den Kapitalmärkten und in der Politik nieder. Die teilweise widersprüchlichen Wirtschafts-meldungen, die Tag für Tag verbreitet werden, tragen nicht dazu bei, Vertrauen in die ökonomische Entwicklung zu erzeugen. Es gibt kaum noch eindeutige Aussagen: nicht zur Bonität einzelner Staaten, nicht zur wirtschaftlichen Entwicklung in den BRIC-Ländern, nicht zur Lösung der Währungskrise. Diese gefühlte Unsicherheit dominiert vielfach die betriebswirtschaftliche Realität – ein Zustand, der ein halbes Jahr lang überwun-den schien. Hoffentlich entsteht nicht wieder – wie schon 2008/09 – eine sich selbst erfüllende Prophezei-ung.

Verkehr ist Grundlage unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Mobilität ist die Basis des europäischen Binnenmarkts und prägt die Lebensqualität der Bürger. Logistik ermöglicht wirt-schaftliches Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Verkehrsbranche selbst beschäftigt in der EU rund zehn Millionen Menschen und macht rund fünf Prozent des BIP aus. Viele europäische Unternehmen sind in den Bereichen Infra-struktur, Logistik, Verkehrsmanagementsysteme und Produktion von Verkehrsmitteln weltweit führend.

Das künftige Wohlergehen unseres Kontinents wird davon abhän-gen, dass alle seine Regionen ihre Integration in die Weltwirt-schaft aufrechterhalten können. Ein effizienter Verkehr ist dafür die Grundvoraussetzung.

Öl wird in den kommenden Jahrzehnten knapper werden und zunehmend aus unsicheren Lieferquellen stammen. Gleichzeitig hat sich die EU zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor, der eine wesentliche und immer noch wach-sende Quelle solcher Emissionen darstellt, um mindestens 60 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Neue Technologien für Fahrzeuge und Verkehrsmanagement sind für diese Verringerung der Verkehrsemissionen ausschlaggebend.

Die Einschränkung von Mobilität ist keine Option. Es müssen sich neue Verkehrsmuster herausbilden, bei denen größere

Mengen Fracht und eine größere Zahl von Reisenden durch die effizienteste Kombination von Verkehrsträgern zu ihrem Zielort befördert werden. Die europäische Verkehrspolitik der Zukunft muss sich daher auf folgende Aspekte konzentrieren:

Reduzierung der Überlastung von Verkehrswegen: Die Verkehrssysteme des östlichen und des westlichen Teils Europas müssen zusammengeführt werden, damit sie dem Verkehrsbedarf unserer 500 Millionen Bürger entsprechen. Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur schaffen Vermögens-werte und Arbeitsplätze und fördern den Handel. Öffentliche Mittel für die Infrastrukturfinanzierung sind aber erhöhtem Druck ausgesetzt. Daher ist ein neuer Ansatz für die Finanzierung und Bepreisung der Infrastruktur erforderlich.

Verbesserung der Energieeffizienz bei allen Verkehrsträgern: Die Akzeptanz alternativer Brennstoffe steigt mit deren Verfüg-barkeit. Daher müssen wir die Infrastruktur zur Bereitstellung alternativer Treibstoffe verbessern. Zudem werden wir mit „carbon footprints“ für Transportleistungen das Bewusstsein für „sauberen Verkehr“ fördern.

Effizientere Nutzung des Verkehrs und der Infrastruktur durch Einsatz verbesserter Verkehrsmanagementsysteme: Hierzu gehören zum Beispiel Maßnahmen wie die Schaffung eines integrierten europäischen Eisenbahnverkehrsmarkts, die Abschaffung von Kabotagebeschränkungen, die Beseitigung von Hindernissen im Kurzstreckenseeverkehr oder eine transpa-rente, unverzerrte Preisbildung in Europa.

Papierloser Informationsaustausches zwischen den verschiedenen Partnern der multimodalen Logistikkette: Nicht nur die Buchung, Planung und Durchführung von Trans-porten und logistischen Leistungen soll vereinfacht werden, sondern auch die Informationsbeschaffung hinsichtlich der Position und des Zustandes der jeweiligen Infrastruktur, des Fahrzeuges und der Ladung.

Es gilt zu handeln ohne zu zögern. Für Planung, Bau und Aus-rüstung der Infrastruktur sind viele Jahre zu veranschlagen und Züge, Flugzeuge und Schiffe haben eine Lebensdauer von Jahrzehnten. Die Entscheidungen, die wir heute treffen, sind für den Verkehr im Jahr 2050 ausschlaggebend.

Siim Kallas ist Vizepräsident

der europäischen kommission

und kommissar für Verkehr

logistik ist das rüCkgrat der globalisierten WirtsCHaftmit dem transPort von Waren Wird in deutschland so viel umsatz Gemacht Wie in Kaum einer anderen branche. doch die unsicherheiten auf den WeltmärKten trüben die stimmunG unter den loGistiKern ein.

Text Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner

Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner ist Vorsitzen-der des Vorstands der

bundesvereinigung Logistik (bVL) e.V.

N E u N S t a t E m E N t S

von Dr. Karl-Friedrich Rausch zum nachhaltigen

Handeln: [1] Wir bringen Ökono-mie, Soziales und Ökologie in Einklang

[2] Den Fokus nur auf umsatz, Gewinne und Rendite zu richten, funktioniert heutzutage nicht

mehr [3] Die Kunden sollen spüren, dass sie im Mittel-punkt stehen und wir es ernst mit unserer Strategie meinen

[4] Zufriedene mitarbeiter sind maßgeblich für den unternehme-rischen Erfolg [5] Ohne Nachhaltigkeit werden wir langfristig keinen

Erfolg haben und die Zukunftsfähigkeit unseres Konzerns nicht gewährleisten können. [6] Nur ein dauerhaft erfolgreiches unternehmen kann der Gesellschaft

dienen und sich für sie engagieren. [7] Im transport- und Logistikgeschäft liegt die Kraft vor allem in Netzwerken und der effizienten und ökologisch sinnvollen Verknüpfung der

verschiedenen Verkehrsträger [8] Der Kunde fragt nach Lösungen für komplexe Probleme. Deshalb bieten wir Dienstleistungen, die weit über den reinen transport eines Gutes von a nach B hinausgehen.

[9] Die tendenz der weltweiten arbeitsteilung hält an, damit werden auch die Handelsströme zunehmen. Wer in diesem globalen markt bestehen will, muss über nationale Grenzen hinausdenken und handeln.

Dr. Karl-Friedrich Rausch ist Vorstand transport und Logistik der Db Mobility Logistics Ag und Chief sustainability Officer der Deutschen bahn

Wir brauCHen einen faHrplan für WettbeWerbsfäHigkeitsi im Kallas arbeitet an einem massnahmenKataloG zur verbesserunG der euroPäischen verKehrsinfrastruKtur.

Text Siim Kallas Foto EU Kommission

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mobilität & loGistiK der zuKunftfranKfurter allGemeine forum / maGazin

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deutsCHland Hängt HinterHer

einer von täglich mehreren Hundert güterzügen durchquert Assmannshausen.

HauptsCHlagader des güterstroMszWischen nordsee und mittelmeer fliesst einer der mächtiGsten Warenströme euroPas. enGPässe auf dem schienenWeG, die lärmbelastunG an der strecKe und das ProGnostizierte Wachstum im GüterverKehr stellen aber nicht nur die anrainer vor Grosse herausforderunGen.

Text Jürgen Schultheis Karte Code24 Foto Kevin Sommer

Sie ist die Hauptschlagader des Kontinents: von Rotter-dam über Köln, Mannheim, Basel und Bern bis nach Genua verläuft die wichtigste Nord-Süd-Schienenverbindung Europas. Eine Strecke, in deren Einzugsbereich 70 Millionen Menschen leben – rund 14 Prozent der Bevölkerung der EU. Jede zweite Tonne Fracht, die in der Union der 27 Staaten auf der Schiene von Norden nach Süden transportiert wird, rollt entlang dieser Route: 700 Millionen Tonnen im Jahr. Bis 2020 könnte sich das Volumen in diesem Korridor sogar verdoppeln - mit positiven Effekten für die Prosperität und die Zahl der Arbeitsplätze in den Regionen, aber auch mit einer deutlichen Zunahme des Lärms, gegen den immer mehr Menschen protestieren.

Die wirtschaftliche Entwicklung sowohl technisch zu ermög-lichen als auch umweltverträglich zu gestalten, ist eine der Aufgaben, die sich das länderübergreifende Großprojekt Code24 gestellt hat. „Ein Korridor – eine Strategie“ lautet das Hauptziel, für das sich Regionen, Hochschulen und Unterneh-men zusammengeschlossen haben. Auf kommunaler Seite leitet das Projekt der Verband Region Rhein-Neckar. Die europäischen Netzbetreiber bilden die zweite und das European Rail Traffic Management System die dritte Säule des Code24-Projektes.

Aufgabe des Code-Konsortiums ist es, den Ausbau des Schienenkorridors sicherzustellen und zu beschleunigen. Jörg Saalbach, Referent für Europaangelegenheiten beim Verband Region Rhein-Neckar, hat ein klar definiertes Ziel: „Es gilt in allen Phasen, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gerade im Hinblick auf Frachttransport und Logistiknetze zu steigern und dabei die negativen Auswirkungen auf Umwelt und Bevölkerung zu minimieren.“ Hinzu kommen die Ziele, die mit dem aktuellen Weißbuch Verkehr für 2030 und 2050 gesteckt worden sind: Bis 2030 sollen 30 Prozent der Straßengüterverkehre mit einer Transportstrecke von mehr als 300 Kilometern auf Schiene und Wasserwege verlagert werden. Im Jahr 2050 soll der Anteil auf 50 Prozent steigen.

Wirtschaftlicher Nutzen und ökologische Herausforderungen – die Partner innerhalb des Projektes betonen immer wieder beide Aspekte: „Es ist wichtig, einen gleichmäßigen und ruhigen Ver-kehr auf einer Strecke zu haben, auf der es keine Flaschenhälse mehr gibt“, sagt ein Sprecher des Rotterdamer Hafens.

Wie alle Beteiligten erwartet Rotterdam beim Frachttransport ein Wachstum im Korridor, aber auch wachsenden Widerstand gegen diese Entwicklung gerade in Deutschland. Die Sorge der Niederländer, dass viele Anwohner gegen den Ausbau der Strecke protestieren und ihn damit verzögern, teilen auch die Schweizer. Ein Grund, dem Projekt beizutreten, war für den Hafen Rotterdam die Hoffnung, die Interessengruppen zusam-menbringen und die negativen Effekte des Gütertransports auf der Schiene zu vermindern. „Umwelt und Lärm“ lautet deshalb auch der Titel eines von vier Arbeitspaketen von Code24.

An Lärmminderung hat auch der Regionalverband Ruhr Interesse: „Der Regionalverband und der Kreis Wesel arbeiten in diesem EU-Projekt mit, um die Interessen der Kommunen entlang der Bahnstrecke zu unterstützen und bündeln zu können“, sagt Martin Tönnes, stellvertretender Direktor des Regionalverbands

Ruhr. Ziel sei, „Belastungen für die Anwohner zu minimieren und die Einbindung des Streckenbaus in die Siedlungsstruk-tur zu optimieren“. Als Wirtschaftsregion habe die Metropole Ruhr ein „hohes Interesse an einer zukunftsfähigen, leistungs-starken Verkehrsinfrastruktur“. Für Ralph Schlusche, Direktor des Verbands Region Rhein-Neckar, kommt es darauf an, den Korridor „in all seinen einzelnen Sektoren zu entwickeln, um so die Gesamtleistungsfähigkeit zu steigern“. Dabei sollen vor allem die Umschlagplätze im Korridor an Bedeutung gewinnen, die Wasserwege, Schienentrassen und Straßen an einem Ort verbinden - die multimodalen Hubs. Den Aspekt der Vernetzung hebt Birgit Simon hervor, Erste Beigeordnete des Regionalver-bandes Frankfurt/Rhein-Main: „Wir wünschen uns für das Jahr 2030 eine Hochleistungstrasse, auf der Güter- und Personen-verkehr optimal und schnell rollen und die jeweiligen Halte-punkte auch regional vernetzt werden - insbesondere für den Streckenabschnitt Frankfurt-Mannheim.

Die Niederlande haben mit der 160 Kilometer langen Ver-bindung zwischen Rotterdam und der deutschen Grenze (Betuwe-Linie) ihren Beitrag geleistet, die Schweiz mit der In-betriebnahme des Lötschbergtunnels 2007 und dem Gotthard-Basis-Tunnel, der voraussichtlich 2017 fertiggestellt wird. In Deutschland haben sich Bundesverkehrsministerium und Bahn

in diesem August auf die Finanzierung eines 16 Kilometer langen Abschnittes der Rheintalbahn südlich von Karlsruhe geeinigt. Mit einer Gesamtinvestition von 693 Millionen Euro wird auch der 4,3 Kilometer lange Tunnel finanziert, der Rastatt und den Fluss Murg unterquert. „Flaschenhälse“ befinden sich vor allem zwischen Emmerich und Duisburg, Frankfurt und Mannheim sowie Offenburg und Karlsruhe. In Italien steht der Ausbau der Verbindung Lugano - Mailand und der dritte Giovi-Durchbruch aus.

Die Wirtschaft wird ungeduldig. Die europäischen Industrie- und Handelskammern haben schon 2007 von der Bundesregierung verlangt, den viergleisigen Ausbau der Rheintalbahn bis 2016 sicherzustellen. Im vergangenen Jahr hatten die Regierungen der 13 Gotthard-Kantone angesichts des Ausbaus von Lötsch-berg und Gotthard-Basis-Tunnel außerdem davor gewarnt, dass die Kapazitäten auf den Strecken vor und hinter den Tunnels nicht entsprechend erhöht wurden.

2008 sind nach Angaben von Eurostat, dem Statistischen Büro der Europäischen Union, 2,4 Billionen Tonnen-Kilometer Fracht transportiert worden. Etwas mehr als drei Viertel dieser Güter sind auf der Straße, weniger als ein Fünftel auf der Schiene bewegt worden. Würden die Kapazitäten des vorhandenen Schienennetzes schon heute voll genutzt, könnten nach Angaben der Gemeinschaft der Europäischen Bahnen und Infrastruktur-betreiber und dem Internationalen Eisenbahnverband bis zu 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr weniger ausgestoßen werden. Ein ausgebauter und optimierter Korridor zwischen Rotterdam und Genua könnte diesen Effekt noch verstärken. Auch deshalb zählt er zu den 30 vorrangigen Vorhaben der EU, die bis 2020 verwirklicht werden sollen.

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Der Hauptverband der deutschen bauindustrie hat darauf-hin gewiesen, dass in Deutschland 53 großprojekte mit einem Investitionsvolumen von 43 Milliarden. euro auch aufgrund von Akzeptanzproblemen in der bevölkerung nicht realisiert werden können. Herr kienzle, Herr Dr. geißler, gefährdet der Wutbürger den standort Deutschland?

Kienzle: Das ist absoluter Quatsch. Diese Herrschaften müssen lernen mit den mündigen Bürgern umzugehen und sie rechtzei-tig zu informieren. In der Schweiz ist der Gotthard-Tunnel, ein Riesenprojekt, wunderbar durchgegangen. Schlicht und einfach deshalb, weil die Leute von Anfang an mit einbezogen worden sind. Auf diese arrogante Art und Weise ,Friss Vogel oder stirb‘, wird das nicht mehr funktionieren.

Herr Dr. geißler, teilen sie die einschätzung von Herrn kienzle?

Geißler: Richtig ist, wenn wir das deutsche Bau- und Planungs-recht nicht vom Kopf auf die Füße stellen, wird in Deutschland nichts mehr laufen an Großprojekten, weil sie nicht mehr realisierbar sind ...

Kienzle: … das hat aber nichts mehr mit den Bürgern zu tun...

Geißler: … das hat gar nichts mit den Bürgern zu tun. Wir haben in Deutschland – verglichen auch mit den anderen OECD-Staa-ten – das bürokratischste, komplizierteste und obrigkeitlichste Planungs- und Baurecht der Industriestaaten...

Kienzle: … mal abgesehen von den Franzosen…

Geißler: … nein, die Franzosen sind in gewisser Beziehung weiter, weil sie schon vor einigen Jahren Mediationsverfahren eingeführt haben. Wir brauchen in der Zukunft für solche Projekte zwei Phasen, die auf eine direkte Bürgerbeteiligung hinauslaufen. Großprojekte werden in Deutschland in der

Zukunft nur möglich sein durch eine transparente, offene Infor-mationsphase als Voraussetzung für die zweite Phase, nämlich die Abstimmung, von der Bürgerbefragung angefangen bis zur wirklichen Volksabstimmung.

Wir haben unser Planungsrecht im Zuge von ,Mehr Demokratie wagen‘ demokratisiert, samt umfangreicher bürgerbeteiligungsver-fahren? War das nicht ausreichend oder ist das in die falsche richtung gegangen?

Geißler: Die Leute sind ja gar nicht beteiligt, bei unserem Pla-nungsrecht. Die werden angehört und können Einspruch erhe-ben. Danach werden sie von denselben Leuten, die die Planung zu verantworten haben beschieden – und zwar von oben und meistens negativ. Das ist ja gerade die Frustration.

Kienzle: Vor allen Dingen betrachten die Planer diese Leute, die Einsprüche haben, als Gegner.

Geißler: Ja, richtig. Die Obrigkeit präsentiert sich den Menschen gegenüber als Gegner. Ein Bauingenieur weiß zwar etwas, aber die Leute wissen heute viel mehr, als der sich denkt. Die haben heute einen Informationsstand, der sie in die Lage versetzt, auch komplizierte Probleme gründlich und richtig zu beurteilen und vor allem können sie etwas erreichen; dass nämlich bei der Planung in der Zukunft bei allen Projekten Varianten und Alternativen entwickelt werden, denn sie können heute mit einem Knopfdruck innerhalb von zwei Stunden Zehntausende mobilisieren.

können sie uns ein beispiel geben?

Geißler: Ein Beispiel sind die Stromtrassen, bei denen heute die Bürokratie wieder sagt, da sieht man ja, die wehren sich alle dagegen. Das ist völlig falsch, denn die Leute wissen, dass wir diese Stromtrassen brauchen. Aber sie wissen gleichzeitig auch, dass man Strom transportieren kann, zum Beispiel durch Erdleitungen oder durch die Umstellung auf Gleichstrom und sie wissen, dass es Varianten gibt. Man muss nicht die kos-tenmäßig billigste Lösung machen, bei der nachher die Trasse über Wohngebiete geführt wird und über Freizeitzentren und Krankenhäuser, sondern dass man Alternativen zur Verfügung stellt. Darüber muss abgestimmt werden und dann kriegen wir die Stromtrassen auch hin.

Kienzle: Die Planungsbüro-kratie arbeitet da noch mit Vorstellungen aus dem 19. Jahrhundert. Das ist das große Problem, dass sie nicht gelernt haben, dieses

obrigkeitsstaatliche Denken zu verlieren. Die Schweizer haben es ja auch hingekriegt.

Geißler: Wir haben bei unseren Behörden keine Fähigkeit des Denkens in Alternativen.

Manche demokratischen entscheidungen sind für einige bürger auch mit Nachteilen verbunden. sind die bürger noch bereit, Nachteile in kauf zu nehmen?

Kienzle: Das waren sie nie. Die Bürger haben immer ihre Inter-essen vertreten und das ist ja auch in Ordnung. Ich gehöre jetzt auch zu denen, die durch die neuen Planungen des Frankfurter Flughafens plötzlich Fluglärm haben.

Wo wohnen sie?

Kienzle: Ich wohne in Rauenthal bei Eltville. Da beginnt jetzt ein Aufbegehren. Die Leute sagen, was ist hier eigentlich los? Wir haben bisher absolute Ruhe gehabt und plötzlich jagen die Din-ger - zwar in 800 oder 1000 Meter Höhe - über unsere Köpfe hinweg und wir sind nicht gefragt worden. Nur weil Einspruch aus Mainz kam und ein Gerichtsverfahren, mussten die Routen verändert werden. Jetzt sind andere betroffen. Persönlich finde ich das schon sehr unangenehm, das muss ich ehrlich sagen.

Herr geißler, müssen wir in der Demokratie in einzelfällen Nachteile in kauf nehmen um eine standortqualität zu halten oder einer gesamtheit zu nutzen?

Geißler: Natürlich wird man auch Nachteile in Kauf nehmen müssen. Die Frage ist nur wofür? Wenn Sie jetzt den Fluglärm nehmen: Es geht ja gar nicht um den Fluglärm als solchen. Dass da geflogen werden muss, am Frankfurter Flughafen, wird ja überhaupt nicht bestritten. Es geht in erster Linie um das Nachtflugverbot. Da war klar von der Politik, dass es ein Nacht-flugverbot geben soll. Das hat die Hessische Landesregierung so gesagt und dann hieß es plötzlich, „Nein, da werden Ausnah-men gemacht“. Das ist der Punkt.

Herr Dr. geißler, sie hatten eingangs gesagt, dass wir das Planungsrecht verändern müssen. Wie schaffen wir wieder mehr Vertrauen, um Mehrheiten für großprojekte gewinnen zu können?

Geißler: Zuerst ist ja die Idee da und eine gewisse Vorstellung: Wir brauchen eine Umgehungsstraße, einen Bahnhof, einen Flughafen. Dann muss über diese Idee, über den Grundsatz, ob man einen Bahnhof braucht, einen Flughafen, eine zusätzliche

Landebahn oder eine Umgehungsstraße, die Informationsphase eröffnet werden. Darüber muss diskutiert werden und zwar bevor irgendetwas entschieden wird. Es ist die Grundsatzentschei-dung, die zunächst diskutiert werden muss. Brauchen wir das oder brauchen wir das nicht? Und dann ist es durchaus möglich in einer Demokratie, überhaupt in einem vernünftigen Land, dass die Leute zu dem Ergebnis kommen, wir brauchen so etwas nicht. Da muss man sich mal dran gewöhnen, nicht wahr.

Kienzle: Und das ist das, was die Bürokratie nicht will.

Geißler: Wenn die mal was geplant haben, dann muss es auch gemacht werden. Aber die Alternative Null, die muss natürlich auch möglich sein. Jetzt nehmen wir mal an, die Leute sagen: ja, wir brauchen den Bahnhof oder den Flughafen. Dann kommt die zweite Phase der Varianten. Dafür ist nun die Behörde da, aber auch die Bürger, dafür dass sie Varianten, Alternativen entwickeln. In dieser zweiten Phase muss über die Alterna-tiven genauso transparent diskutiert werden. Raus aus den Hinterzimmern, raus aus dieser Geheimniskrämerei und totale Transparenz. Offenlegung aller Fakten, auch der Kosten. Wenn diese Informationsphase vorbei ist, muss über die Varianten abgestimmt werden und es wird die Variante gebaut, die eine Mehrheit bekommt. Dann wird niemand, der gegen den Bahnhof war und den Flughafen, etwas Substanzielles vorbringen kön-nen, weil der Konflikt in der letzten Instanz entschieden worden ist, nämlich beim Volk und nicht bei der Bürokratie.

Kienzle: Stuttgart ist ein gutes Beispiel. Es wird jetzt doch gebaut, es gab eine Abstimmung. Das stimmt eben nicht, dass der Wutbürger alles verhindert, sondern in Stuttgart hat eine Mehrheit klar gesagt, wir wollen den Bahnhof und das nach einer langen Phase.

Geißler: Und zwar nach der Informationsphase. Vor der Informationsphase waren nur 30 Prozent der Leute für den Bahnhof und 60 Prozent dagegen. Nach der Informations-phase hat sich das umgedreht, es waren 60 Prozent für den Bahnhof, 30 Prozent dagegen. So ist die Volksabstimmung auch ausgegangen.

Kienzle: Es ist ein blödes Vorurteil zu glauben, dass man diese Projekte nicht mehr realisieren kann und man sich einigelt. Aus diesem Denken müssen die Behörden und die Planer heraus kommen.

Müssen über die Politik hinaus auch unternehmen lernen, transparenter zu argumentieren und zu handeln?

Geißler: Ja, was ich gesagt habe – oder was wir gesagt haben – das gilt natürlich nicht nur für Infrastrukturmaßnahmen öffentlich-rechtlicher Art. Das gilt selbstverständlich auch für die Behör-den und es gilt für den Unternehmer, der eine Hühnerfarm am Rande einer Ortschaft errichten will. Da kann ich nicht dem Gemeinderat oder einem Bürgermeister sagen: ich kaufe jetzt hier Grundstücke und mache da eine Hühnerfarm. Nachher stinkt das ganze Dorf und die Leute können nicht mehr leben. Auch eine solche Entscheidung muss selbstverständlich transparent gemacht werden. Letztlich müssen die Leute auch darüber abstimmen können.

Wir haben bei unseren behörden Keine fähiGKeit des denKens in alternativen

das stimmt eben nicht, dass der WutbürGer alles verhindert

„die obrigkeit präsentiert siCH den MensCHen als gegner“der ehemaliGe cdu-GeneralseKretär und attac-mitGlied dr. Heiner geissler und der fernsehJournalist ulriCH kienZle über den Widerstand GeGen GrossProJeKte und neue beteiliGunGsverfahren.

Interview Jürgen Schultheis Foto Klaus Weddig

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mobilität & loGistiK der zuKunft

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Die jüngere Großstadtbevölkerung hat in puncto Mobilität den Anspruch, dass Angebote einfach, flexibel und schnell ver-fügbar sind. Da die öffentlichen Nahverkehrsunternehmen seit langem die Mobilität in den Städten erfolgreich organisieren, sollten sie auch die unterschiedlichen Mobilitätsangebote in ihrer Stadt oder Region koordinieren.

Bei der langfristigen Finanzierung des ÖPNV ist in erster Linie die Politik auf Bundes- und Landesebene gefordert. Der Nah-verkehr boomt, jedes Jahr steigen die Fahrgastzahlen. Und mit einem durchschnittlichen Kostendeckungsgrad von 77 Prozent liegen die ÖPNV-Unternehmen weltweit an der Spitze - nirgend-wo wird öffentlicher Nahverkehr so wirtschaftlich und effizient betrieben wie hierzulande. Es ist unbegreiflich, warum man sich auf politischer Ebene momentan schwer tut, eine nachhaltige und sichere Finanzierungsbasis auch weiterhin gesetzlich zu verankern. Der ÖPNV fährt vielerorts schon an Kapazitätsgren-zen, die Infrastruktur ist teilweise im bedenklichen Zustand.

Wir brauchen deutschlandweit mehr als drei Milliarden Euro für Instandhaltungs- und Erneuerungsmaßnahmen in der kommu-nalen Verkehrsinfrastruktur.

Für die Zukunft muss es eine finanzielle und gesetzliche Lösung für die Infrastrukturinstandsetzung geben. Dann muss es neue Konzepte und Lösungen für Mobilität im ländlichen Raum geben. Unsere Mitgliedsunternehmen dort stehen durch Bevöl-kerungs- und Schülerrückgang vor existenziellen Problemen. In den Großstädten und Ballungsräumen ist es genau umgekehrt. Bei der Frage „Wohin mit dem ganzen Verkehr“ wird der Nahver-kehr eine entscheidende Rolle spielen.

Das Bundesverkehrsministerium prognostiziert, dass die Verkehrsleistung in Deutschland bis 2025 im Güterbereich um 74 Prozent und im Personenverkehr um 17,9 Prozent steigt. Zahlen, die unglaublich wirken, hält man sich die täglichen Staus vor Augen. Zudem wollen wir umweltfreundlicher und zu bezahlbaren Preisen reisen und transportieren.

Entscheidend für die Zukunft ist eine leistungsfähige Verkehrs-infrastruktur. Deutschland verfügt über ein dichtes Verkehrsnetz: 12.600 Kilometer Autobahnen, 41.000 Kilometer Schienen-infrastruktur, die Flughäfen Frankfurt und München unter den Top-Ten in Europa sowie 7.500 Kilometer Binnenwasserstraße. Das positive Bild trügt. Mittlerweile verfallen Brücken und etliche Verkehrswege, da nicht genügend für Erhalt, Ausbau und Modernisierung getan wird.

Die Bundesregierung hat vorgerechnet, dass mindestens zwölf Milliarden Euro jährlich in Bundesverkehrswege investiert werden müssten. Mit Ausnahmen wurden in der Vergangenheit im Jahr weniger als zehn Milliarden Euro investiert. Um den Verkehrskollaps zu vermeiden müssen wir mehr Geld nach Prioritäten in die wichtigsten Straßen, Schienenwege und Was-serstraßen investieren, wo der größte positive Effekt für das gesamte Netz erzielt wird.

so WirtsCHaftliCH und effiZient Wie nirgendWo sonst auf der WeltGesellschaft und unternehmen sind abhänGiG von mobilität und der infrastruKtur, die sie ermöGlicht. aber Wie sieht die zuKunft aus?

Antworten von Jürgen Fenske, Klaus-Peter Müller, Prof. Knut Ringat. Foto Andreas Arnold

bedürfnis nach mobilitätWird steiGen JüRgen FenSKe

mehr Geld für strasse und schiene KlauS-PeteR MülleR

Jürgen Fenske ist Präsident des Verban-

des der deutschen Verkehrsunternehmen

(VDV)

Klaus-Peter Müller ist Präsidiumsvorsit-zender Deutsches

Verkehrsforum und Aufsichtsratsvorsit-

zender der COMMerZ-bANk Ag

Prof. Knut Ringat ist Präsident der

Deutschen Verkehrs-wissenschaftlichen

gesellschaft (DVWg)

Die Verkehrswirtschaft investiert Milliarden, um Kohlen-dioxid, Abgase und Lärm zu reduzieren, die Sicherheit zu erhöhen und Kraftstoffe zu sparen. Damit diese Inno-vationen zum Klima- und Lärmschutz beitragen können, müssen Staus vermieden werden – auch durch Einsatz von Telematik für intelligente Mobilitätsketten.

In der Vergangenheit wurde das Mobilitätsverhalten häufig durch Statussymbole wie das Automobil beeinflusst. Heute wird die Entscheidung für oder gegen ein Verkehrs-mittel geprägt von Lebensgefühl und größtmöglichem Nutzen. Die Menschen wählen das Verkehrsmittel bzw. die Kombination daraus, die für sie am attraktivsten ist.

Dabei spielt der Besitz des Autos bei der jungen Generation eine immer geringere Rolle; sie fahren bei schönem Wetter mit dem Rad ins Büro, nehmen auf dem Rückweg ihr Velo mit in die S-Bahn und fahren abends mit dem Auto zum Kino. Man macht die Nutzung an Situation und Gegebenheit fest. Das bedeutet aber nicht, dass das Auto wesentlich an Bedeutung verlieren muss. In ländlichen Regionen, die von der demographischen Entwicklung besonders betroffen sind, wird das Auto das entscheidende und einzige Verkehrsmittel zur Erschließung dieses Raumes sein, sollte es nicht gelingen, zum ÖPNV-Linienverkehr attraktive Alternativen zu finden.

Für die gleichwertige Akzeptanz gegenüber dem privaten Auto müssen Zugangsbarrieren zum Öffentlichen Personenverkehr, aber auch zu Auto- und Fahrradverleihsystemen abgebaut werden. Mobilitätskarten, mit denen alle Verkehrsmittel über die gesamte Wegekette gleichberechtigt genutzt und abge-rechnet werden können, führen zum erleichterten Zugang zu diesen Systemen und zu einer erhöhten Preistransparenz.

Recherche Nina Paulus, HOLM, Quelle: Statistisches Bundesamt

mobilitätsanGebote vernetzen PRoF. Knut RIngat

ENTWICKLUNG DES PERSONENVERKEHRS (IN MILLIARDEN PERSONEN-KILOMETER)

Recherche: HOLMQuelle: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

AUSGABEN DES BUNDESMINISTERIUMS FüR VERKEHR, BAU UND STADTENTWICKLUNG

Nach meiner Ausbildung zum Lokführer bei der Deutschen bahn bin ich heute bei der

s-bahn rhein-Main beschäftigt und bereite in der s-bahn-Werkstatt in Frankfurt die

Züge für den tageseinsatz vor. Ab Mai werde ich mit einem von 166 s-bahn-Zügen auf

dem gesamten streckennetz in rhein-Main fahren. In modernen und umweltfreund-

lichen s-bahnen reisen 127 Millionen Fahrgäste im Jahr. Meine kollegen und

ich fahren auf den insgesamt neun s-bahn-linien täglich fast tausend Züge und legen

dabei jährlich 13,7 Millionen kilometer zurück. Persönlich ein teil dieser Leistung

zu sein erfüllt mich mit stolz.

Michael Adam, 20 Jahre, triebfahrzeugführer bei der

s-bahn rhein-Main

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30 Millionen Menschen nutzen in Deutsch-land täglich den öffentlichen Regional- und Nahverkehr, allein im Gebiet des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV), von Mainz bis Fulda und Erbach bis Marburg, sind es zwei Millionen Fahrten am Tag. Die Zahl der Fahrgäste könnte größer sein, wenn etwa für Gelegenheitsnut-zer Hürden wie die richtige Tarifwahl und der teils komplizierte Fahrkartenerwerb beseitigt würden. Das wissen die Geschäftsführer und

Mobilitätsplaner der Verkehrsverbünde: „Selbst erfahrene Nutzer von Bussen und Bahnen stehen in einer fremden Stadt vor einer echten Herausforderung, wenn sie das richtige Ticket wählen und den Automaten entsprechend bedienen wollen“, heißt es in der Wiesbadener Erklärung, die im September 2010 von den Geschäftsführern der sechs größten deutschen Verkehrsverbünde und der Deutschen Bahn unterschrieben worden ist. In dem Papier bekennen sich die Unterzeichner dazu, ein deutschlandweit einheitliches elektronisches Ticket einführen zu wollen, das ähnlich einfach und anerkannt ist wie die ec-Karte.

„Wenn wir in der Zukunft intelligenter reisen wollen, werden wir nicht ohne dynamischere und vollständig integrierte Informations- und Zahlungssysteme auskommen.“, sagt Steve Shewmaker, Präsident des in San Diego ansässigen Unternehmens Cubic Transportati-on Systems. Cubic gilt als weltweit führender Anbieter für automatisierte Fahrgeldmanage-mentsysteme des öffentlichen Nahverkehrs. Nach Angaben des Unternehmens werden

mit seiner Software zehn Milliarden Fahrten jährlich in mehr als 400 Cubic-Projekten auf der ganzen Welt abgerechnet. Seit 2009 ist der Dienstleister aus San Diego auch in den Aufbau des elektronischen Fahrgeldmanage-ments im Gebiet des RMV involviert. Ende der Neunziger Jahre hatten die im Verband deutscher Verkehrsunternehmen organisierten Verbünde – unter ihnen auch der RMV – be-gonnen, eine sogenannte Kernapplikation für das elektronische Fahrgeldmanagement zu entwickeln. Dieser deutsche Smart-Card-Stan-dard soll die Basis dafür legen, dass deutsch-landweit nur noch ein elektronisches Medium – etwa eine Chipkarte – ausreicht, um sich in allen Verkehrsverbünden und mit der Bahn

problemlos bewegen zu können. Cubic hat die Basissoftware geliefert, über

die die eTickets vertrieben, abgerechnet und kont-rolliert werden können. Der RMV und seine Tochtergesellschaft Rhein Main Service haben sie weiterentwickelt.

Die Anforderungen an intelligente Ver-kehrslösungen von morgen, allen voran an die so genannten kooperativen Systeme, die auf die Vernetzung von Fahrzeugen untereinander und mit der straßenseitigen Telematikinfra-struktur zielen, sind gewaltig.

Bei Hessen Mobil übernimmt Gerd Riegelhuth, Abteilungsleiter und Chef der Verkehrszentrale Hessen in Frankfurt-Rödelheim, diese immense Aufgabe: „Gerade hochindustrialisierte und spezialisierte Industrienationen wie Deutsch-land“, sagt Riegelhuth, „können nachhaltige Mobilität angesichts der wachsenden Verkehrs-nachfrage nur durch innovative Lösungen sichern.“ Dazu wurde unter anderem das Projekt simTD (Sichere Intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland), das von drei Bundes-ministerien und dem Land Hessen gefördert wird, ins Leben gerufen.

Hinter dem Projekt steht ein breit aufgestelltes Konsortium: Seitens der Automobilhersteller

sind Audi, BMW, Daimler, Ford, Opel und Volks-wagen vertreten. Bosch und Continental, die Telekom sowie zahlreiche Forschungsinstitute wie das Fraunhofer Institut, die Technischen Universitäten München und Würzburg liefern die wissenschaftliche Expertise. Hessen Mobil und die Stadt Frankfurt bieten als Straßen-betreiber das mit modernster Verkehrstele-matik ausgestattete Versuchsgebiet und ihre langjährigen praktischen Erfahrungen als Verkehrsmanager.

Ziel von simTD ist es, Strategien und Techno-logien zur Vernetzung von Fahrzeugen unter-einander sowie mit intelligenter Infrastruktur – sogenannte Car2X-Systeme oder auch koope-rative Systeme – zu entwickeln und zu testen. Mit dieser Technologie können Autos oder Verkehrszentralen Fahrzeuge in ihrer Umgebung beispielsweise über Baustellen informieren, vor Hindernissen auf der Fahrbahn warnen

und bei Staus die besten Alternativrou-ten empfehlen. Für die projektbe-

gleitende Evaluation sind seit Mitte 2012 in einem

groß angelegten Feldversuch

120 Fahrzeuge, die mit entsprechender Tech-nologie ausgestattet sind, in Hessen unter-wegs. Autos und Fahrer kommunizieren schon heute miteinander (Stichwort: Navigationsge-räte). Im Vergleich zu isolierten Fahrerassis-tenzsystemen sollen kooperative Systeme aber die positiven Effekte auf Verkehrssicherheit und Verkehrseffizienz verstärken. So könnte beispielsweise eine Unfallsituation oder ein detektierter kritischer Fahrbahnzustand an nachfolgende Fahrzeuge übermittelt werden, bevor die Gefahr überhaupt in Sichtweite des Fahrers ist. Darüber hinaus könnten geplante Ereignisse wie Tagesbaustellen mit GPS-Position und Zeitangabe direkt von den Verkehrsleitzen-tralen in die Fahrzeuge übertragen werden.

Projekte wie simTD sind ein weiterer Schritt zur Vernetzung im Verkehr. Das Auto wird zuneh-mend Bestandteil eines intelligenten Mobili-tätsnetzwerks. Mittels WLAN oder UMTS werden anonymisiert und gesichert aus dem Auto Informationen an die Verkehrsleitzentralen und die anderen Verkehrsteilnehmer gesendet. Für Riegelhuth ist dabei wichtig, dass die Vernet-zung dafür sorgt, dass der Fahrer alle relevan-ten Daten bekommt, die er für eine sichere und effiziente Fahrt benötigt. Aber auch nicht mehr, um eine Ablenkung von der eigentlichen Fahraufgabe zu vermeiden.

Derzeit befahren etwa eine Milliarde Autos die Straßen. Gerade die urbanen Lebensräume, die Ballungszentren, werden wachsen. Car-Sharing, alternative Antriebe, Zugangsverbes-serung zu öffentlichen Verkehrsmitteln sind nur einige der Lösungsansätze. Möglich wird dies nur durch ein übergeordnetes strategisches Konzept. „Die intelligente Straße“, sagt Rie-gelhuth, „wird als ein Baustein im Verbund der Vernetzung von Verkehrs- und Aufgabenträgern die Mobilität nachhaltig sichern.“

Wenn siCH autos unterHaltenan der verKehrsdrehscheibe deutschlands, dem rhein-main-Gebiet, entWicKelt und erProbt hessen mobil Gemeinsam mit automobil-herstellern, KommuniKationsunternehmen und Wissenschaftlichen institutionen lösunGsansätze für die mobilität der zuKunft.

Text Sven Hirschler Grafik Hessen Mobil

reisen oHne Hindernissedie eleKtronische chiPKarte als fahrausWeis der zuKunft vereinfacht die fahrt mit bus und bahn – und ist GleichzeitiG der schlüssel für mietWaGen und eleKtrofahrrad.

Text Jürgen Schultheis Grafik und Foto RMV/Markus Hammrich

Mit dem Fahrplanwechsel 2011/2012 hat der RMV begonnen, zunächst alle Jahreskarten auf die Chipkarte „eTicket RheinMain“ umzustellen. Bis Ende September sind nach Angaben des RMV gut drei Viertel aller Jahreskarten – rund 52.500 Zeitkarten – durch das elektronische Ticket ersetzt worden. Neben der Chipkarte hat der Kunde die Möglichkeit, sein Smartphone als elektronisches Medium zu nutzen. Damit kann der Reisende bereits heute Einzelfahrkar-ten, Tages- und Gruppenkarten erwerben. Bahn und RMV haben ferner im November 2011 mit Touch&Travel ein elektronisches Fahrgeld-management eingeführt, das die automati-sche Fahrpreisbildung ermöglicht: Löst der Kunde am Tag etwa mehrere Einzelfahrscheine, berechnet das elektronische Fahrgeldmanage-ment am Ende eine Tageskarte, sofern der Kunde damit günstiger fährt.

Das papierlose, den bestmöglichen Tarif berechnende System ist nur der Anfang einer Entwicklung, an deren Ende eine allumfassende Mobilitätskarte für den Kunden stehen soll. Wer heute schon eine elektronische Jahres-karte besitzt, kann damit auch bei Stadtmobil problemlos ein Auto mieten. Mit Book-n-Drive verhandelt der RMV derzeit, und da das Carsharing-Unternehmen wiederum mit dem Bahn-Angebot Flinkster vernetzt ist, könnte der RMV-Kunde dann auch auf Mietwagen der Bahn zurückgreifen. Mit der Chipkarte lässt sich aber auch ein Rad in Mainz mieten (MVGmeinRad). Der Verkehrsverbund über-legt darüber hinaus, Kooperationen auch mit Call a Bike (Bahn) und Movelo (Pedelecs) einzugehen. Theoretisch könne das „eTicket RheinMain“ auch als Zugang zu Parkhäusern, Schwimmbädern und für alle kulturellen und sportlichen Veranstaltungen genutzt werden, heißt es beim RMV. Derzeit beschränkt sich der Verbund auf Mobilitätsangebote und die Zahl der verkauften eTickets wächst rasant.

das e-ticKet Wird zu unserer umfassenden mobilitätsKarte für die Gesamte reGion PRoF. Knut RIngat, SPRecHeR DeR geScHäFtSFüHRung, RMV

E-TICKETVERKAUF UND UMSäTZE RHEIN-MAIN-VERKEHRSVERBUND

das auto Wird bestandteil intelliGenter mobilitätsnetzWerKe

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mobilität & loGistiK der zuKunftfranKfurter allGemeine forum / maGazin

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„die baHn Muss besser Werden“

die schausPielerin WolKe heGenbarth über das bahnfahren, das radfahren in der stadt und Warum sie demnächst als hoteltesterin arbeiten Wird.

Interview Jürgen Schultheis Foto Alex Degenhardt

Frau Hegenbarth, sie haben mal in einem Interview gesagt, dass sich für sie der sinn eines Autos in einer stadt nicht erschließt. sind sie bei dieser Meinung geblieben?

Hegenbarth: Ja, die hat sich sogar noch bestä-tigt. Seit vier Wochen wohne ich in Berlin, der Verkehr ist eine absolute Katastrophe. Es gibt mehr Baustellen als Fahrbahnen. Gestern habe ich mit dem Taxi eine Stunde vom Fernsehstu-dio zum Flughafen Tegel gebraucht, habe fast meinen Flieger verpasst und war dankbar, dass sie mich und meinen Koffer noch eingecheckt haben. Da habe ich wieder mal gedacht, wärst Du doch in die Bahn gestiegen.

es gibt konzepte, die es ermöglichen sollen, mit dem rad zum Flughafen zu fahren. Zuhau-se wird das gepäck abgeholt, und sie steigen einfach aufs rad und fahren zum Airport um abzufliegen. Was halten sie davon?

Hegenbarth: Großartig, ich wäre die Erste, die es macht, weil ich am liebsten Rad fahre, auch in Berlin. Es könnte ein paar mehr Radwege geben. Wenn ich zum Beispiel zu einer Freundin fahre, die in Tempelhof wohnt, das sind zehn Kilometer, dauert das 40 Minuten. Aber das ist okay. Mit der Bahn brauche ich übrigens genauso lange.

Manche diskutieren, ob man nicht bei mehr-spurigen straßen in städten konsequent eine spur für radfahrer freihalten sollte.

Hegenbarth: Ja, super. Ich fahre jetzt immer auf der Busspur in Berlin. Aber dann kom-men die Busse und dann muss man sich mit denen arrangieren. In Kopenhagen sind die ja so wahnsinnig fortschrittlich Da haben sie ausgerechnet, dass es nicht länger als eine halbe Stunde zur Arbeit dauern darf. Dort werden alle Ampeln für Radler so geschaltet,

dass sie quasi durchfahren können. Das finde ich großartig.

könnte man die einzelnen Verkehrsmittel besser miteinander verbinden?

Hegenbarth: Die Anbindung von der Bahn zum Flughafen ist ja in den meisten deutschen Städten sehr gut. In Köln fährt inzwischen die S-Bahn statt wie früher der Bus zum Flughafen. Und in Frankfurt ist es super, dass der ICE direkt am Flughafen hält. Von da ist man in einer Stunde wieder in Köln. Wenn ich in Köln bin kommt Frankfurt für mich deshalb genauso als Abflugsort in Frage. Das finde ich sehr gut gelöst. Man merkt schon, dass die Städte sich darauf ausrichten, Menschen auch wirklich umweltfreundlich von A nach B zu bekommen.

Meinen sie, wenn sich die städte stärker für den radverkehr engagierten, würden auch mehr Leute auf ihr Auto verzichten?

Hegenbarth: Wahrscheinlich haben die meisten Menschen sich so sehr ans Auto gewöhnt. Also beim Deutschen hat man ja das Gefühl, das Auto ist wie ein Bein am Körper. Ohne Auto kann man nicht leben - das stimmt ja überhaupt nicht.

Wie kann man das ändern?

Hegenbarth: Tja, das Auto ist halt so wahn-sinnig komfortabel, macht aber vielleicht auch faul. Man kann seinen Trolley reinwerfen, irgendwo hinfahren und ist unabhängig von anderen. Das ist ein Luxusgut. Da haben sich die Leute einfach sehr daran gewöhnt. Aber ich muss sagen, zehn Monate im Jahr geht das Radfahren eigentlich hervorragend, und ich fühle mich auch besser. Man kriegt einen klaren Kopf. Ich glaube, sehr hohe Spritpreise bringen nochmal den Einen oder Anderen aufs

Fahrrad. Das ist wie mit dem Rauchen. Wenn Zigaretten ganz, ganz teuer sind, dann rauchen auch weniger Menschen.

Wenn sie zur bundesverkehrsministerin beru-fen würden, was würden sie anpacken wollen?

Hegenbarth: Die Bahn muss besser werden.

Inwiefern?

Hegenbarth: Die ist viel zu oft zu spät, und diese Ausfälle wegen Wärme und Kälte sind ja so blamabel. Das geht nicht. Ich habe eine Bahncard, bin regelmäßige Bahnfahrerin. Ich muss sagen, die Verspätungen, die ich erlebe, sind eine Zumutung. Vor allem die Anschluss-züge, die ich deshalb nicht kriege, gerade in

den Harz, wo ich kürzlich gedreht habe, und dann acht Stunden unterwegs bin mit einer Stunde Aufenthalt in Hannover. Da kann ich auch verstehen, dass Leute sagen, sie finden es zu teuer und sie kommen nicht in der anvi-sierten Zeit an. Ich habe mal Weihnachten, den 24. Dezember, im Zug verbracht, der wegen Schneechaos‘ auf der freien Strecke hinter Hannover stecken geblieben ist. Da habe ich mit Rot-Kreuz-Mitarbeitern und vielen Kindern und anderen Menschen, auch Bahnmitarbei-tern, Weihnachten gefeiert.

Was würden sie sonst noch angehen?

Hegenbarth: Ich würde meine Hauptaufgabe darin sehen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu verbessern. Wenn die Städte nämlich funkti-onieren sollen, brauchen wir gute öffentliche Verkehrsmittel, gerade auch wegen der Nach-

haltigkeit. Städte wie Wien sind da ganz weit vorne. Man muss das Augenmerk darauf legen, dass sich Städte gut präsentieren mit den Öffentlichen, dass man online Tickets kaufen kann und den Nah- und Fernverkehr noch leichter zugänglich macht.

Sollten berühmte Menschen häufiger über das thema Mobilität sprechen, um bewusstsein zu schaffen?

Hegenbarth: Sie können das und man sieht es ja auch oft. Im DB-Mobil-Magazin erklären viele, warum und wie viel sie Zug fahren, Hape Kerkeling, Barbara Schöneberger. Wir sind ja klassische Vielreisende, und wir sind viel off Location. Eigentlich sind wir genau die Rich-tigen, um darüber zu sprechen. Wir gehören sicher mit zur mobilsten Berufsgruppe über-haupt. Teilweise sind wir jeden Tag woanders und könnten auch gut Hoteltester werden. Weil wir einfach wissen, worauf es ankommt.

Frau Hegenbarth, gibt es ein erlebnis beim radfahren, an das sie gerne zurückdenken?

Hegenbarth: Ich bin oft angesprochen worden, weil ich ein Klapprad fahre. Die modernen Klappräder sind wunderbar, da macht man eine Tasche drüber und steigt dann damit in den Zug. Dann gilt das als Handgepäck. Das kann man also auch in den ICE mitneh-men. Das ist großartig. Damit bin ich immer zum Theater gefahren. Damals haben mich mal zwei kleine Mädchen am Kölner Hauptbahnhof angesprochen, die waren vielleicht elf oder zwölf Jahre alt. Sie hatten mich erkannt und meinten zu mir, wo ist denn Deine Limousine? Da habe ich gesagt, guckt mal da und habe auf mein Fahrrad gezeigt und gesagt, das ist meine “Limousine“. Die schauten mich mit offenen Augen an. Wahrscheinlich haben sie gedacht, ich veräppel´ sie.

nah- und fernverKehr besser zuGänGlich machen

schauspielerein Wolke Hegenbarth ist beruflich wie privat viel

unterwegs und weiß, worauf es ankommt.

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Herr speer, sie planen die Fußball-WM in katar, großprojekte in shanghai. Über die Deutschen sagen sie, dass sie sich des Aus-maßes der globalisierung nicht bewusst sind.

Speer (lacht): Da muss ich aufpassen, wie ich zitiert werde. Was ich gesagt habe, ist: Wir, die Deutschen, sind uns oftmals der Rolle nicht bewusst, die wir mit unserem Wissen, mit unserer Kompetenz spielen können. Ich habe den Eindruck, dass wir diese Rolle nicht immer wahrnehmen.

Saebisch: Nehmen wir nur die Bedeutung von Logistik und Mobilität im Rhein-Main Gebiet. Der Flughafen Frankfurt ist mit mehr als 70.000 Arbeitsplätzen die größte Arbeits-stätte Deutschlands, weltweit steht er auf Platz sieben, was die Menge der umgeschlagenen Frachtgüter angeht. Der Frankfurter Bahnhof ist einer der wichtigsten Verkehrsdrehscheiben Europas, von den Autobahn- und Binnen-schifffahrtskorridoren gar nicht zu sprechen. Wie Herr Speer gesagt hat: Spannenderweise nimmt man uns im Ausland besser wahr als in Deutschland selbst.

Speer: Das stimmt. Im Ausland verfolgen die Unternehmen und Regierungen sehr genau, was im Ballungsraum Rhein-Main passiert. übrigens auch das HOLM.

ein House of Logistics & Mobility also als schaufenster, um die region bekannt zu machen?

Saebisch: Wir verfolgen mit dem HOLM einen dreifachen Ansatz: Regional bündeln, national vernetzen, international positionieren. Die Region ist unsere Basis. Die Einzigartigkeit des

HOLM entsteht jedoch durch die Kombination mit nationalen und internationalen Faktoren.

Speer: Als Architekt hat mich gereizt, die An-forderungen, welche das HOLM an sich selbst stellt, auch optisch darzustellen. Das HOLM wird ein Ort sein, an dem sich Wirtschaft, Wis-senschaft und gesellschaftliche Institutionen nicht nur begegnen, sondern sich miteinander abstimmen, zusammen arbeiten und Projekte entwickeln. Hierfür mussten wir eine neuartige Architektur schaffen, die Bewegung, Vernetzung und Verwebung zulässt und sichtbar macht.

das neue holm-Gebäude symbolisiert Kreativität und Wandel

Saebisch: Es braucht ein Gebäude, das wie ein Maßanzug zu unserem Konzept passt: Dynamisch, modular und flexibel. Dies hat Albert Speer überzeugend umgesetzt. Auf sieben Etagen werden Hochschulen, Verbände, globale und regionale sowie große und kleine Unternehmen zusammenarbeiten. Tür an Tür, Rücken an Rücken, Schreibtisch an Schreib-tisch. In Büros, im stetigen Austausch in Projekträumen und im Vorlesungssaal, in den Innenhöfen, in der Cafeteria, in der Grünanlage.

Ist das konzept neu? Was ist das besondere am HOLM?

Speer: Das Gebäude ist – wie die Menschen, die dort zusammenkommen – in einem steten Wandel. Wie eine Acht, das Symbol der

Unendlichkeit, legt sich der Baukörper auf das Grundstück. Alle Bereiche sind über eine helle, siebengeschossige Treppenskulptur, den X-Celerator, miteinander verbunden. Sämtliche Einheiten des Gebäudes gehen fließend inein-ander über, können neu geordnet und flexibel und modular kombiniert werden.

Saebisch: Und dennoch gibt es Räume, die als Ruhe- und Rückzugsort dienen. Es bleibt jedem selbst überlassen, wie der Arbeitstag gestaltet wird. So entsteht eine vielfältige, inspirierende Arbeitsumgebung. Flexibel, wandelbar, innova-tiv, passend für alle Bedürfnisse.

Speer: Die Außenfassade des HOLM symboli-siert dies: Die vertikalen Fassadenbänder bewe-gen sich gegenläufig, so dass ihre Schnittkanten sichtbar werden. Je nachdem, in welchem Win-kel man zur Fassade steht, desto mehr erscheint das Rot der seitlichen Kanten, oder man sieht die ruhige, silbrige Fläche davor. Einschnitte betonen die Dynamik. Das HOLM selbst befindet sich im stetigen Wandel. Im Inneren wie im äußeren. Die zufällige Begegnung, die Verände-rung, ist ein zentraler Aspekt des HOLM; als Ort

der Kreativität und als neutrale Plattform ohne Hierarchien und Machtstrukturen.

Saebisch: Die Innenarchitektur greift das Motiv der zufälligen Begegnung, der Spontaneität und Kreativität auf. In dieser Konsequenz ist das architektonisch ambitioniert umgesetzt.

innovatives entsteht nur, Wo der mensch im mittelPunKt steht

gebaut wird das HOLM direkt am Frankfurter Flughafen. Mit einer Minute zum terminal, einer Minute zur regional- und Fernbahn, direkt am Frankfurter kreuz, im Herzen europas, wohl die am besten angeschlossene Infrastruktur der Welt, wie der Vorstand einer der größten Fluglinien es gerne nennt.

Speer: Aber, entschuldigen Sie, dass ich unter-breche. Das HOLM ist trotz seiner einzigartigen infrastrukturellen Anbindung mehr als nur Ar-beit: Es ist in einen Park eingebunden, es gibt einen sehr großzügigen Erholungsbereich. Das Gebäude ist so konzipiert, dass es vom

Menschen – und nicht von seiner Arbeit – ausgeht.

Saebisch: Das Innenleben des HOLM ist zusammen mit dem Fraunhofer IAO entwickelt worden. Ausgangspunkt waren die Bedürf-nisse der Menschen. Innovative Ergebnisse können nur entstehen, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht. Das HOLM ist ein Innovati-onsgebäude, kein bloßes Bürogebäude. Genau genommen ein Gravitationsschwerpunkt in einem internationalen Wissensnetzwerk.

Speer: Und ich denke, diesen Anspruch umzu-setzen, ist uns gemeinsam im HOLM sehr gut gelungen. Ende 2013 werden wir es gemein-sam eröffnen.

eine HeiMat für logistik und Mobilitätder architeKt albert speer und hessens Wirtschafts-staatsseKretär steffen saebisCH im GesPräch über funKtion und architeKtur des holm-Gebäudes.

Interview Sven Hirschler Gebäude-animation HOLM

staatssekretär Steffen Saebisch ist Aufsichtsratsvorsitzender

des HOLM

Prof. albert Speer ist Architekt bDA und stadtplaner. Mit seinem unternehmen As&P realisiert er stadtplanungspro-

jekte weltweit.

Leitung:Dr. Stefan Walter (Inhalte) Dr. Christian Garbe (Infrastruktur)Fläche: 20.000 QuadratmeterAnzahl der Mitarbeiter: ca. 600geplante Fertigstellung: Ende 2013

die Welt ist im Wandel – neue KonzePte für neue herausforderunGen

Wir befinden uns einer neuen Phase der Globa-lisierung. Die weltweiten Transportwege stehen auf dem Prüfstand. Steigende Energiekosten und der Klimawandel beeinflussen zunehmend die Entwicklung logistischer Strukturen. Gleichzeitig stellt uns die enorme wirtschaftli-che Entwicklung der Schwellenländer vor neue Herausforderungen. Der demografische Wandel in den entwickelten Industrienationen und die Entvölkerung ländlicher Räume verlangen neue Antworten.

Die Komplexität der Aufgaben erfordert ein neues Zusammenwirken von Wirtschaft, Politik, Bürgergesellschaft und zwischen wissenschaft-lichen Disziplinen. Vor diesem Hintergrund wird in Frankfurt am Main das House of Logistics & Mobility (HOLM) direkt am Flughafen gebaut. Das Gebäude ist eine neutrale Plattform für die interdisziplinäre, zukunfts- und anwendungsori-entierte Zusammen¬arbeit von Wirtschaft, Wis-senschaft und öffentlichen Institutionen in den Bereichen Forschung & Bildung, Vermarktung & Events sowie Vernetzung & Kooperationen. Das HOLM kooperiert dabei mit den herausragen-den Innovationszentren Deutschlands, die auf den nächsten Seiten vorgestellt werden.

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franKfurter allGemeine forum / maGazin

WWW.franKfurt-holm.de

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cluster loGistiK in der rWth aachen

Im RWTH Aachen Campus unter Leitung von Prof. Günther Schuh ist die Logistik auf Augenhöhe mit den auf Technolo-gieentwicklung ausgerichteten Clustern. Als einer von sechs Start-Clustern steht in jenem für Logistik die Erforschung und Gestaltung komplexer Systeme sowie die Beschleunigung von Innovationen im Fokus. Dazu werden inner- und überbetriebliche Wertschöpfungsketten aus einer ganzheitlichen Perspektive zur Integration von Prozessen und IT-Lösungen betrachtet. Die Logistik ist dabei als bedeutende Querschnittsbranche klar positioniert.

Im wohl größten Entwicklungsprojekt an einem Hochschul-standort, der wie kaum ein anderer in Deutschland für Exzellenz und Industrienähe steht, werden in den Clustern Gebäude mit Kooperations- und Forschungsflächen durch Investoren errichtet. Themenzentriert siedeln sich durch „Immatrikulation“ Unternehmen, Forschungsinstitute und Verbände an und erfor-schen vor Ort gemeinsam künftige Herausforderungen. Diese noch engere Art der Kooperation erhöht die Effizienz, weitere Synergien entstehen durch den intensiven Dialog mit Partnern aus unterschiedlichen Perspektiven.

Im Cluster Logistik unter Leitung von Prof. Volker Stich wurden bereits die erforderlichen Strukturen geschaffen. Innovations-labore für ERP-, Auto-ID und Services wurden etabliert, eine Demonstrationsfabrik ist im Aufbau. Sie alle dienen dazu, Pro-duktions- und IT-Prozesse „anfassbar und erlebbar“ zu machen. Von Mitte 2013 an wird diese Infrastruktur im neuen Cluster-Gebäude in einer einzigartigen Forschungs- und Demonstrati-onsumgebung im realen Betrieb zu sehen sein.

Leitung: RWTH Aachen Campus: Prof. Günther SchuhCluster Logistik: Prof. Volker StichNutzfläche: im Cluster Logistik 14.000 Quadratmeter

Anzahl der Mitarbeiter: im ersten Clustergebäude: ca. 350geplante Fertigstellung: Mitte 2013

innoz berlin

Auf dem EUREF-Campus am Gasometer in Berlin-Schöneberg wird heute schon erprobt, was andernorts noch simuliert wird. Das Innovationszentrum für Mobilität und ge-sellschaftlichen Wandel (InnoZ) arbeitet hier an Konzepten für die mehrfach vernetzte Mobilität, um die längst überfällige Verkehrswende zu beschreiten. Die wichtigste Erkenntnis hierbei ist, dass sie nur in Verbindung mit der Energiewende, funktionieren kann. Zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung hat das InnoZ daher unter dem Namen Micro Smart Grid (MSG) ein intelligentes Stromnetz aufgebaut, welches als Bestandteil des Projekts „Berlin elektroMobil 2.0“ die Synergien zwischen Energie- und Verkehrswende untersucht. Es wird vom Bundesverkehrsministerium gefördert.

Das Herzstück des MSG bildet die Energieleitwarte auf der Plattform „elektroMobilität“ im InnoZ in der jede einzelne Komponente wie Ladesäulen oder Solaranlagen von intelli-genten Messgeräten, sogenannten Smart Metern, ausgelesen, verarbeitet und visualisiert wird. An einem Multitouch-Tisch mit interaktiven „Bauklötzen“ können Besucher die Funktions-weise eines Intelligenten Stromnetzes spielerisch erkunden.

Das ist jedoch erst der Anfang. Im „Internationalen Schaufen-ster Elektromobilität“ Berlin/Brandenburg soll neue Mobilität (er)fahrbar gemacht und Deutschlands Rolle als Leitmarkt gezeigt werden. So wird zum Beispiel Vehicle to Grid, also die Rückspeisung von Strom aus dem Auto, erprobt und die Akzeptanz solcher Konzepte beim Endnutzer erforscht. Denn nur Entwicklungen die gesellschaftlich akzeptiert sind, können langfristig erfolgreich sein.

Geschäftsführer: Prof. Dr. Andreas Knie, Dr. Jürgen PetersGesellschafter: DB Mobility Logistics AG, T-Systems International GmbH, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB), Deutsches Institut für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR)umsatz: 3,1 Millionen € (100% Projektfinanzierung)Anzahl der Mitarbeiter: 38

institut für verKehrsforschunG im deutschen zentrum für luft- und raumfahrt e.v.

Das Institut für Verkehrsforschung in Berlin-Adlershof ist integraler Bestandteil des Programmbereichs Verkehr im DLR. Das Institut bearbeitet Fragestellungen rund um die Ursachen, Entwicklungen und Auswirkungen des Personen- und des Wirt-schaftsverkehrs.

Daraus ergibt sich ein breites Spektrum an inhaltlichen und methodischen Aufgaben:• die ganzheitliche Betrachtung des Verkehrssystems aus inter-

modaler Perspektive;• die Abbildung und Simulation des Verkehrs durch maßnahmen-

sensitive Modelle im Personen- und Wirtschaftsverkehr;• die Auswirkungen des Verkehrssystems hinsichtlich Lärmbelas-

tung, Luftqualität und Klima (gemeinsam mit anderen DLR-Instituten im Schwerpunktthema „Verkehrsentwicklung und Umwelt“)• die Wirkungsabschätzung hinsichtlich technischer Innovationen

und politischer Maßnahmen im Personen- und Güterverkehr;• die Erarbeitung verkehrsträgerübergreifender Konzepte.

In aktuellen Projekten untersuchen die Mitarbeiter des Ins-tituts derzeit beispielsweise die Akzeptanz neuer Car-Sharing Konzepte, die Nutzung von Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen, die Einsatzmöglichkeiten von elektrischen Lastenfahrrädern im innerstädtischen Lieferverkehr, die Möglichkeiten und Grenzen des Kombinierten Verkehrs oder auch die verkehrsträgerüber-greifende Erfassung von Kohlendioxid-Emissionen entlang von Versorgungsketten.Mit seinen Arbeiten berät das Institut Ministerien, politische Einrichtungen und Organisationen sowie nationale und inter-nationale Unternehmen aus der Privatwirtschaft.

Leitung: Prof. Dr. Barbara LenzFläche: 1.000 Quadratmeterumsatzvolumen: 3.7 Millionen €.Anzahl der Mitarbeiter: 39Gründung: 2007

loGistiKcamPus & fraunhofer iml dortmund

Der LogistikCampus in Dortmund ist ein assoziiertes Projekt und einer von drei physischen Orten im Effizienz-Cluster LogistikRuhr – dem größten Forschungs- und Ent-wicklungscluster der Logistik in Europa. Mit einem Forschungsvolumen von rund 100 Millionen Euro wird im EffizienzCluster zukunftsweisendes Design für Logistik-Dienstleistungen entwickelt. Ihre Aufgabe als führende Instanz wird die Logistik nur mit bestens aus- und weitergebildeten Mitarbeitern und Führungskräften voll erfüllen können. Genau hier setzt auch der LogistikCampus an. Seine Interdiszipli-narität ist ein in der Logistik bislang einmaliges Vorhaben. Die Dozenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter bleiben weiter den bestehenden Universitätsfakultäten und Instituten zugeordnet, sie forschen und lehren aber unter einem Dach. Der LogistikCampus – als Interdisziplinäres Forschungszentrum getragen von der TU Dortmund und der Fraunhofer-Gesell-schaft - soll damit zum Anlaufpunkt für Bildung und Forschung im weiten Feld der Logistik werden.

Der Ausbau des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) auf mehr als 200 wissenschaftliche Mitarbeiter wird nach dem Bau der Versuchshalle für Zellulare Förder-technik (ZFT) 2011 in diesem Jahr mit dem LogistikCampus fortgesetzt. Neben der Graduate School of Logistics wurde die erste Stiftungsprofessur „Supply Net Order Management“ mit Unterstützung der Audi AG bereits eingerichtet. Weitere Stif-tungsprofessuren sind zugesagt.

Leitung: Prof. Dr. Michael ten Hompel, Prof. Dr.-Ing. Uwe Clausen Fläche: 5.000 Quadratmeter insgesamt, davon 2652 Quadratmeter im neuen LogistikCampus-Gebäude Investitionsvolumen: 100 Millionen € EffizienzCluster inkl. assoziierter Projekte, davon etwa 7 Millionen € Bauvolumen LogistikCampus Anzahl Mitarbeiter: 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, davon etwa 50 im neuen LogistikCampus-Gebäude geplante Fertigstellung: Ende 2012

Wissensinfrastrukturen fürlogistik, Mobilität und verkeHr

vier führende forschunGsinstitutionen im Portrait

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der tüv für die verkeHrsforsCHungder tüv rheinland orGanisiert für die bundesreGierunG netzWerKe in der verKehrsforschunG.

Text Dr. Holger Sass

sport sCHafft selbstbeWusstseinsie selbst War deutschlands erfolGreichste eisKunstläuferin. heute fördert Katarina Witt mit ihrer stiftunG Kinder, die in ihrer mobilität einGeschränKt sind.

Text Jürgen Schultheis Foto Katarina Witt-Stiftung

Der TüV Rheinland spielt nicht nur bei der Qualitätssiche-rung technischer Produkte eine zentrale Rolle, sondern auch bei der Sicherung von Forschungsqualität, insbesondere in der Verkehrsforschung.

Als Projektträger ist er Bindeglied zwischen Fördermittelgeber und Forschung und berät die Bundesregierung bei der Entwick-lung der großen Förderlinien und -programme. Mobilität und Verkehrstechnologien sind für den Wirtschaftsstandort Deutsch-land zentral: Automobilindustrie, Handel und Logistik gehören zu den größten Branchen des Landes.

Die Mobilitäts- und Verkehrsforschung ist somit auch zentraler Bestandteil der deutschen Wirtschafts- und Technologiepolitik und wird mit großem Nachdruck unterstützt. So fördert die Bundesregierung mit dem Forschungsprogramm „Mobilität und Verkehrstechnologien“ derzeit Projekte mit öffentlichen Fördermitteln im Umfang von etwa 300 Millionen Euro. Auto-mobilhersteller, Zulieferindustrie, Forschungseinrichtungen und Hochschulen sollen gemeinsam innovative Konzepte für den sozial- und umweltverträglichen Verkehr von morgen entwi-ckeln. Im Fokus stehen drei Schwerpunkte: intelligente Logistik, Mobilität für Menschen im 21. Jahrhundert und intelligente Infrastruktur.

Doch diese komplexe Forschungszusammenarbeit muss auch organisiert werden. Als Projektträger koordiniert der TüV Rhein-land die Erwartungen des Bundes als Fördermittelgeber auf der einen Seite und den forschenden Stellen in Industrie und Wissenschaft auf der anderen Seite - und das kontinuierlich für rund 450 laufende Forschungsvorhaben. Zudem hilft der TüV den Antragstellern beim Erfüllen der mitunter umfangreichen formalen Anforderungen die zum Empfang und der richtigen Verwendung von Fördergeldern erforderlich sind. Um den immer stärker vernetzten und grenzüberschreitenden Ver-kehrsströmen

gerecht zu werden sind neben der nationalen Forschung immer häufiger Kooperationsprojekte mit Partnern aus dem europäi-schen Ausland erforderlich. Der TüV Rheinland tritt auch hier als Partner der deutschen Forschung auf und betreibt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie die „Nationale Kontaktstelle Verkehr“. In dieser Rolle gestaltet er auch nationale Positionen zur Entwicklung und Ausgestaltung des nächsten Rahmenprogramms der EU, Horizon 2020, mit.

Der TüV gestaltet den Transfer der Forschungsergebnisse auf Messen, Ausstellungen und Konferenzen und schafft Transpa-renz im Dschungel der Forschungsberichte: Gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wird im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums das Forschungs-Informations-System (FIS) betrieben und weiter entwickelt. In diesem System werden eine Vielzahl von Arbeiten aus der nationalen und internationalen Forschung durch renommierte Universitäts-Institute unterschiedlicher Fachbereiche in der Ver-kehrs- und Mobilitätsforschung ausgewählt, ausgewertet und in systematischen Wissenslandkarten abgebildet. TüV Rheinland und das DLR koordinieren hierbei elf universitäre und außer-universitäre Forschungseinrichtungen bei der Aufbereitung und Darstellung von politikrelevanten Sachverhalten. So sorgen sie dafür, dass auch zukünftig die Verkehrsforschung in Deutschland in die richtigen Bahnen gelenkt wird.

Anfang Juli dieses Jahres sind Oleg Kononenko und André Kuipers zusammen mit ihrem Bordingenieur Donald Pettit von der Raumstation ISS zurückgekehrt. Zurück am Boden haben sich die beiden Astronauten recht schnell hingesetzt, um Kata-rina Witt und ihrer Stiftung Danke zu sagen. Die Stiftung, 2005 gegründet, hatte dem kleinen Artem Andreevich Anisimov eine in Russland nicht verfügbare Untersuchung ermöglicht. „Jede gute Tat hält die fragile Welt zusammen, und wer immer ein Leben rettet, bewahrt in diesem einen Leben die ganze Welt“, heißt es im Schreiben der beiden Raumfahrer.

„Es ist einfach etwas ganz Wunderbares, Feedback von Kindern und Jugendlichen zu bekommen, die wir mit der Stiftung unterstützt haben“, sagt Katarina Witt. „Wenn wir zum Beispiel Sportrollis finanzieren konnten und dann die Fotos von Kindern auf dem Spielfeld im Wettstreit bekommen, freuen wir uns mit.“ Sport-Rollstühle, erzählt Witt, würden in den seltensten Fällen von den Krankenkassen übernommen. Sie seien aber wichtig, denn Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung entfalteten durch den aktiven Sport ihr Selbstbewusstsein ganz anders. Das gelte auch für die Motivation, mit ihrer Behinderung umzugehen und sich der Sache zu stellen. Der Gedanke, nach einem international beispiellosen Erfolg – zwei Olympia-Siege, vier Welt- und sechs Europa-

meistertitel – etwas zurückgeben zu wollen, war für Witt der Auslöser, die Stiftung aufzubauen. Solche Hilfen sind dringend gewünscht, wie zahlreiche Projektanträge belegen, die bei der Stiftung eingehen. Es seien „viel mehr Anträge, als wir finanziell stemmen könnten. Und da ist leider auch die Erfahrung, dass es an vielen Ecken und Enden noch fehlt“, sagt Witt. Wo die Stiftung helfen kann und Kinder unterstützt, sind die Erfolge da und die Dankbarkeit groß. Witt zeigt sich überhaupt beeindruckt vom Mut, dem Kampf und dem unbedingten Lebenswillen der-jenigen, die bei der Stiftung anfragen. „Sie schildern ja immer auch ihre Situation und wie es dazu kam. Und man kann sich wirklich ein Beispiel an den Menschen nehmen, die mit ihrer Behinderung leben und umgehen müssen und dies ohne Weh und Ach tun.“

die erfahrunG einer besonderen form von mobilität

Mit fünf Jahren hat die heute 46-Jährige mit dem Eislaufen begonnen, und mit sechs oder sieben Jahren, so genau weiß sie es nicht mehr, hat Witt ihren ersten Rittberger gesprungen. Die Faszination blieb bis heute: „Die Bewegung auf dem Eis ist

mit nichts zu vergleichen. Weder mit Laufen, Rennen, noch mit Motorrad oder hoher Geschwindigkeit Auto zu fahren. Sie

ist eine ganz eigene kraftvolle Form der Fortbewe-gung, schnell, stark und wendig, die ich immer

sehr geliebt habe und bis heute liebe.“

„Mobilität ist Freiheit“, diesen Slogan kann Witt unterschreiben, „denn wer mobil ist, kann dorthin, wo er möchte. Dazu gehören aber auch offene Grenzen. Da sind wir in der ganzen Welt einen Riesenschritt weiter als vor 20 Jahren.“ Die Politik müsse aber mehr Dampf machen, sagt sie und verweist darauf, dass unsere Zukunft „besonders in der Umweltverträglichkeit und in der Energieeffizienz liegt“. Ihr Wunsch für die Zukunft: „Die Mobilität muss sich den Anforderungen der Bevölkerung anpas-sen und nicht umgekehrt.“

Weiterführende linkswww.tuvpt.de www.forschungsinformationssystem.de

einen weiteren beitrag zum thema Clearing-stelle der DLr finden sie im Internet: www.faz-forum.com/logistik

auch für das WissensmanaGement und die öffentlichKeitsarbeit verantWortlich

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Früher war ein Flughafen ein Flughafen. Heute ist ein Flughafen eine shopping Mall, ein konferenzzentrum, ein bürokomplex, ein neues stadtviertel – kurz: eine Airport City mit angeschlossenem Flugbetrieb. Wie geht das weiter?

Schulte: Unser Mobilitätsbedürfnis wächst. Heute ist schon für viele Kinder das Erlebnis des Fliegens etwas Selbstverständliches. Das ist die private Seite des Mobilitätsbedürfnisses. Dazu kommt: Viele Unternehmen müssen heute den Weltmarkt als ihren Markt begreifen. Das setzt wiederum internationale Arbeitsteilung und Mobilität voraus. Wir werden also immer mobiler, zugleich konzentrieren wir uns auf Me-tropolregionen, das fördert Airport Cities. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen.

schrittmacher dieses trends sind in europa Amsterdam und London, weltweit gehören Dallas, singapur oder Hongkong zu den großen Airport Cities. Wo steht Frankfurt?

Schulte: Jede Airport City ist in ihrer Struktur an-ders. Das hängt davon ab, welcher Schwerpunkt der Flughafen hat, aber auch davon, welche Rolle die jeweilige Stadt spielt und wie weit sie entfernt ist. Amsterdam beispielsweise liegt eher weiter draußen. Dort gibt es in der Airport City große Frachtzentren und eine große Bürofläche, aber es entwickeln sich auch Komponenten einer eigenen Stadt. In Frankfurt verstehen wir uns eher als Logistik-Drehscheibe, die kurze Wege erfordert. Hier siedelt sich Gewerbe an, das

unmittelbar am Flughafen sein muss. Ein Main-Taunus-Zentrum würde hier nicht entstehen, dafür ist die Fläche zu knapp. Wir entwickeln eine Airport City, die die direkte Anbindung an den Flughafen sucht, „The Squaire“ ist das beste Beispiel.

Ist diese entwicklung die strategische Antwort von Flughafenbetreibern auf strukturelle Veränderungen: sinkende erlöse aus dem Luftverkehr, Deregulierung mit der Folge gerin-gerer subventionen, konkurrenz zu anderen Flughäfen?

Schulte: Zunächst einmal ist die Luftverkehrs-industrie eine Branche, die sich fast vollständig selber finanziert, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Das unterscheidet sie von fast allen anderen Verkehrsträgern. Die Airport City ist eher eine Antwort auf die Anforderungen des Marktes. International ausgerichtete Unter-nehmen zieht es immer stärker an die Hotspots der Mobilität. KPMG ist ein gutes Beispiel. Die strategische Antwort auf den Wettbewerbsdruck zeigt sich vielmehr beim Einzelhandel und in der Gastronomie, kurz gesagt im Retail-Geschäft. Nicht nur, um Einnahmen zu erzielen, sondern weil die Fluggäste am Flughafen eine Erlebniswelt erwarten. Sie möchten nicht bloß durch eine Abfertigungshalle gehen, sondern sie erwarten, dass das Erlebnis Reise schon am Flughafen beginnt.

Wie viel gibt ein Passagier in Frankfurt für Dinge aus, die nichts mit der Flugreise zu tun haben?

Schulte: Der Non-Aviation-Umsatz pro Passagier liegt bei etwa zwölf bis fünfzehn Euro. Davon erhält die Fraport eine Konzessi-onseinnahme von etwa 20 - 25 Prozent. Mit Blick auf die Konkurrenz der Flughäfen, die Sie angesprochen haben, wird diese Einnahm-

quelle immer wichtiger, weil wir die erheblichen Investitionen in die Infrastruktur aus dem rein regulierten Entgelt kaum mehr bewerkstelligen können.

Logistik wird häufig nicht als eigener Wirt-schaftszweig wahrgenommen, sondern als eine Art Hilfsdienst, der blumen aus kenia herbeischafft oder Kotflügel nach Kasachstan fliegt. Wird Logistik unterschätzt?

Schulte: Sie ist bestimmt ein Hidden Cham-pion, der unser Leben stark beeinflusst, ohne dass wir das so richtig wahrnehmen. Was wir alle im Internet bestellen, kommt ja nicht virtuell zu uns nach Hause. Wenn man sich das klarmacht, weiß man, was Logistik bedeutet. Dazu kommt, dass die meisten Waren, die wir kaufen, vom Smartphone bis zum Auto, in internationaler Arbeitsteilung hergestellt wer-den. Ohne Logistik wäre das gar nicht möglich, schon gar nicht so preiswert.

ein Paradebeispiel eines Logistik-standorts ist der Landkreis Hersfeld-rotenburg mit Amazon, Hermes, DHL, schenker und anderen. Warum sind diese unternehmen nicht hier am Flughafen?

Schulte: Das ist gut so, weil sie damit einer strukturschwachen Region helfen. Daran sieht man aber auch, dass Logistik nicht aus-schließlich auf Flughäfen angewiesen ist. Die Luftfracht macht nur 0,5 Prozent der Menge im internationalen Warenaustausch aus, aber 35 bis 40 Prozent des Wertes. Die Masse des internationalen Warenverkehrs läuft immer noch über die Seefracht.

Welche wirtschaftliche bedeutung hat die Lo-gistik für den Frankfurter Flughafen, in Zahlen ausgedrückt?

Schulte: Wenn ich Logistik mit Fracht übersetze, schlagen wir jedes Jahr über zwei Millionen Tonnen Fracht um. Damit ist Frankfurt der größte

Frachtflughafen Europas. Unsere Stärke liegt in der Verbindung aus einem starken Passagier- und einem starken Frachtgeschäft.Welche rolle spielt die intermodale Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsträger?

Schulte: Wenn wir über die landseitige Logistik reden, ist es für einen Flughafen enorm wich-tig, exzellent angebunden zu sein. Denn eine gute Anbindung vergrößert das Einzugsgebiet, was wiederum hilft, die großen Flugzeuge im Interkontinentalverkehr zu füllen. Fast siebzig Prozent des deutschen Interkontinentalverkehrs gehen über den Frankfurter Flughafen, deshalb sind wir „das Tor zur Welt“. Das geht nur, weil Frankfurt so zentral liegt und weil wir wirklich ausgezeichnete Anbindungen an die Autobah-nen und an das ICE-Streckennetz haben. Das Einzugsgebiet reicht bis Köln, Kassel, Stuttgart und weit in den Südwesten. Das gilt aber auch für den Nahverkehr. Die 75.000 Beschäftigten am Flughafen profitieren von dem hervorragen-den öffentlichen Nahverkehr.

Ist die Logistik auch deshalb so wichtig geworden, weil sich viele unternehmen teure Lagerhallen sparen und ersatzteile gewisser-maßen als Fracht lagern?

Schulte: Bei der stetigen Optimierung von Fertigungsprozessen sind Logistik und Lager-haltung bestimmt eine wichtige Facette neben anderen. Deswegen wächst der Warentransport schneller als die Warenproduktion. Es ist aber nicht so, dass heute auf der Straße rollt, was früher Platz in Lagerhallen hatte. Vielmehr sind international arbeitsteilig organisierte Wertschöpfungsketten einfach innovativer und produktiver. Deshalb steigt der Transportbedarf.

einmal angenommen, sie könnten einen völlig neuen Flughafen nach Ihren Vorstellungen bauen. Wie würde der aussehen?

Schulte: Von der Konzeption her würde ich ein sogenanntes Midfield-Terminal bauen,

mit jeweils zwei Bahnen links und rechts. Der Flughafen müsste die Anbindung an das Straßennetz, an den öffentlichen Nahverkehr und an die Fernzüge haben wie in Frankfurt, da gehören wir mit zu den Besten. Und in den Terminals werden wir vielleicht schon in zehn Jahren intelligentere Systeme einsetzen.

Was heißt das?

Schulte: Passagiere, die zum Beispiel mit dem Auto zum Flughafen kommen, werden automatisch zu ihrem Parkplatz geleitet. Im Terminal werden sie über ihr Smartphone darauf hingewiesen, wann es Zeit ist, zum Gate zu gehen. Vorstellbar sind auch intelligentere Gepäcksysteme. Warum sollen nicht Dienst-leister eine Stunde vor Abflug das Gepäck zu Hause abholen oder nach Ankunft nach Hause bringen? Mittelfristig stelle ich mir auch eine Art Profiling für die Sicherheitsüberprüfung vor, das dem Fluggast all die manuellen Checks erspart, die er heute durchlaufen muss.

Wie wird der demographische Wandel die Welt des reisens verändern?

Schulte: Für mich ein ganz spannendes Thema. Mir sagen alle Experten, dass künftige ältere Menschen mehr reisen werden als frühere ältere Menschen. In Japan sieht man ganz deutlich, dass auch alternde Gesellschaf-ten einen hohen Wunsch nach Mobilität haben: Kurzreisen, die Enkel besuchen, Städteflüge über das Wochenende.

In kalifornien werden jetzt fahrerlose Autos zugelassen, die von einem Computer gesteuert werden. Wird das pilotenlose Flugzeug science Fiction bleiben?

Schulte: In einem überschaubaren Zeitraum gehe ich davon aus, dass wir zunächst we-sentlich leisere Flugzeuge erleben werden, die längerfristig vielleicht ganz anders aussehen, mit Triebwerken über den Flügeln oder anderen aerodynamischen Formen. Schon jetzt fliegen erste Flugzeuge mit synthetischem Fuel. Natür-lich ist das noch nicht flächendeckend einsetz-bar, weil wir Riesenflächen bräuchten, um zum Beispiel genügend Bio-Fuel zu erzeugen, aber dass das überhaupt möglich ist, ist ja techno-logisch ein Riesenfortschritt. Die Triebwerkher-steller machen enorme Anstrengungen, weitere bessere Antriebsformen zu entwickeln. Ob es allerdings jemals Elektro-Triebwerke geben wird, bleibt abzuwarten. Aber es gibt auf alle Fälle Innovationen und das heißt Fortschritt.

der flugHafen als erlebnisWeltdr. stefan schulte, vorstandsvorsitzender der fraPort aG, sPricht mit Werner d’inKa, herausGeber der f.a.z., über airPort cities und Pilotenlose fluGzeuGe.

Interview Werner D’Inka Foto Klaus Weddig

Wir entWicKeln eine airPort city, die die direKte anbindunG an den fluGhafen sucht

Dr. Stefan Schulte, Vorstandsvorsitzender

der Fraport Ag

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Schwindelerregende Wachstums-zahlen und Investitionssummen beeindrucken uns Westeuropäer, wenn es um die Entwicklung Chinas geht. So sieht der derzeitige Fünf-Jahres-Plan für den Luftverkehr eine Gesamtinvestition von 180 Milliarden Euro bis 2015 vor. Das prognostizierte Passagier-wachstum liegt bei über acht Prozent für die kommenden zwei Jahrzehnte.

Chinesische Fluggesellschaf-ten werden im Zeitraum von 2011 bis 2015 jedes Jahr etwa 300 neue Flugzeuge kaufen. Innerhalb der nächs-ten drei Jahre sollen rund 70 neue Flughäfen errichtet und 100 bestehende weiter ausge-baut werden. Bis Ende 2015 soll es dann mehr als 230 Flughäfen geben. Kernprojekt ist dabei der Bau eines zweiten Großflughafens für die Haupt-stadt Peking, der laut chinesi-schen Medienberichten bereits 2015 in Betrieb gehen soll.

Die Quelle des chinesischen Luftverkehr-Booms ist vor allem der heimische Markt. Damit ist die Situation vergleichbar mit der in Frankfurt vor zirka 20 Jahren. Die heutige Angebotsdichte und -vielfalt in Frankfurt ist aber erst durch die Umsteigeverkehre mög-lich, die die Lufthansa an ihrem internationalen Drehkreuz realisiert. Dieses Angebot ist ein enorm wichtiger Faktor für die Attraktivität des Standortes Frankfurt/Rhein-

Main und zieht auch eine Menge chinesischer Kunden und Geschäftsniederlassungen an.

Deshalb ist es für den Luftverkehrsstandort Deutschland elementar wichtig, dass die Wettbewerbsposition nicht durch staatliche Eingriffe verschlechtert wird. Negative Beispiele sind die strikte Auslegung der 23-Uhr-Grenze für Tagesrand-Flüge in Frankfurt oder zusätz-liche Kosten durch die Passagierabgabe und den drohenden einseitigen Emissionshandel der Europäischen Union. Wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen sind notwendig, wenn Deutschland dauerhaft eine gute Anbindung an Wachstumsmärkte wie China sicherstellen will. Lufthansa hat die Chancen, die der chi-nesische Markt bietet, frühzeitig erkannt und ist seit Jahren einer der führenden Anbieter für Flüge zwischen China und Europa. Seit 2007 ist Air China Partner von Lufthansa im Luftfahrtbündnis Star Alliance. Gemeinsam mit Air China betreibt Lufthansa Technik auch das erfolgreiche joint-venture für Flugzeugwar-tung- und Überholung Ameco Beijing. Auch die Lufthansa Konzerngesellschafen Cargo und LSG Skychefs sind in China sehr erfolgreich vertreten.

Die Lufthansa hat gemeinsam mit ihren Partnern noch viel vor in dem wohl derzeit dynamischsten Wachstumsmarkt der Airline-Industrie. Erst im März 2012 wurden Shenyang und Qingdao, das in Deutschland besser unter dem Namen Tsingtau bekannt ist, neu in den Flugplan ab Frankfurt aufgenommen. Auch die Präsenz in Shanghai wurde ausgebaut. Lufthansa ist wie viele andere erfolgreiche deutsche Industrieunternehmen in einer guten Ausgangsposition auf dem strategischen Zukunftsmarkt in China.

Kai Kratky ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Lufthansa Ag und zuständig für das ressort „Frankfurt und Flight Operations“

Mobilität bedeutet für mich eine moderne Lebensweise und trägt meiner Meinung nach maßgeblich zur Verbesserung der Lebensqualität bei, denn sie ermöglicht der gesellschaft, leichter zu kommuni-zieren, sich in der Welt zu bewegen und dadurch auch wirtschaftliche bezie-hungen aufrecht zu erhalten. Mobilität bedeutet für mich auch Flexibilität - in meinem beruf als Pilotin unentbehrlich - einen gewinn von neuen eindrücken und kontakten, die Möglichkeit andere Länder und kulturen kennen zu lernen, viel zu erleben.

stefanie bub, 33 Jahre, senior First Officer Airbus A380, Lufthansa.

der draCHe fliegtchina Will im luftverKehr Weiter KräftiG Wachsen. bis 2015 sollen im reich der mitte 170 fluGhäfen neu Gebaut oder ausGebaut Werden.

Text Kai Kratky Foto Andreas Arnold

Klimawandel und sich verändernde Ansprüche an Ernährung und Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung stellen auch die landwirtschaftliche Produktion Europas vor neue Herausforderungen. Von traditionellen Kornkammern wird als Beitrag zur Welternährung erwartet, die Produktion jährlich zu steigern und Verlässlichkeit in der Herstellung zu gewährleisten. Umweltverträgliche Pflanzenschutzlösungen gehören deshalb längst zum Handwerkszeug des modernen Landbetriebes. Das Aufbringen der Fungizide, Herbizide und Insektizide muss jedoch punktgenau und abhängig von den regionalen Bedürfnissen erfolgen.

Für das Supply Chain Team der BASF war es deshalb eine herausfordernde Aufgabe, als die Marketingkollegen ein gewaltiges Umsatzpotenzial in den osteuropäischen Staaten und der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) identi-fiziert hatten: Eine Region, die logistisch und infrastrukturell noch nicht optimal an Westeuropa und damit die Fertigungs-stätten der Chemikalien angebunden ist. Aber wie können die Produkte zielgenau in einer stabilen Prozesskette zu den Kunden der Region geliefert werden?

Die osteuropäischen Märkte werden heute über ein Konsolidie-rungszentrum in Westeuropa, in der Nähe der Produktionsstät-ten, beliefert. Für Russland wird ein mehrstufiges Lagerkonzept komplett implementiert: Hier lagern Chemikalien zum einen in zentralen Lagerhäusern an gut erreichbaren Orten, etwa in der Nähe Moskaus. Von dort werden die Produkte in die 25 Regi-onen Russlands und der angrenzenden Staaten transportiert. Das Konzept ermöglicht somit den Transport per Bahn ab 2000 km und für die anderen Strecken die Nutzung von weni-gen landesweit aufgestellten Logistik-Dienstleistern.

Das Projekt hat gezeigt, dass wir mit einem gut aufgestellten Supply Chain Management neue Märkte erreichen können“, bestätigt Projektleiter Ralf Hundertmark.

Als eine der größten Herausforderungen des Projektes erwies sich die Handhabung der sehr strengen europäischen und BASF-internen Anforderungen im Umgang mit Umwelt-, Gesund-heits- und Sicherheitsrisiken. Hier fielen in einer ersten Analyse viele der örtlich verfügbaren Lager und Umschlagseinrichtungen durch, denn sie erfüllten nicht die Erwartungen. Gemeinsam mit den Verantwortlichen in der Region wurden individuelle Lösun-gen gefunden, um die neuen Standorte anforderungsgerecht zu gestalten. In einigen Ländern konnten so neue Maßstäbe zum Umwelt- und Gesundheitsschutz gesetzt werden.

Das innovative Konzept ermöglichte es, die ehrgeizigen Wachs-tumsziele zu realisieren: Der Umsatz verdoppelte sich in drei Jahren, die Menge stieg allein zwischen 2009 und 2011 um 66 Prozent bei stabilen Distributionskosten und -beständen. „Dies gilt auch für andere Wachstumsmärkte in Europa“, be-stätigt Dr. Robert Blackburn, President Information Services & Supply Chain Management. “Auch hier setzen wir mit individuellen, effektiven Supply-Chain-Lösungen an, um die BASF flexibel und agil im Markt zu positionieren.“

Dr. andreas Backhaus ist senior Vice Presi-

dent global supply Chain & Process

Innovation bei der bAsF se

WaCHstuM iM Maisfeldfür die flächendecKende versorGunG in osteuroPa mit Pflanzenschutzmitteln musste die basf neue WeGe Gehen.

Text Dr. Andreas Backhaus Foto BASF

einen weiteren beitrag über das Airrail-Programm der Lufthansa finden sie im Internet: www.faz-forum.com/logistik

neue laGer- und verteilunGsKonzePte erforderlich

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Die Finanzkrise hat gezeigt, dass Länder mit einer starken Industrie sich besser schlagen als jene, die vor allem auf Dienst-leistungen gesetzt haben. Hat sich dadurch die Akzeptanz für die Industrie in Deutschland erhöht?

Clement: Das hoffe ich, aber bisher ist das noch nicht wahrnehmbar. Die Industrie hat uns als Exportnation durch die Krise getragen, bis auch die Binnennachfrage angezogen hat. Im Ausland wird Deutschland für drei Dinge bewundert: für den industriellen Sektor, die mittelständische Struktur und die duale Berufsausbildung.

Rentsch: Vertreter der Industrie berichten, dass in den Köpfen der Menschen immer noch ein negatives Bild vorherrscht und die Erfolge und die starke Wertschöpfung kaum wahrge-nommen werden. In der Öffentlichkeit wird vor allem gefragt, ob es nicht gefährlich ist, was dort gemacht wird.

In der Debatte zur energiewende zeigen sich die Deutschen doch ganz fortschrittsgläubig. Die Hoffnung, mit erneuerbaren energien den bedarf decken zu können, ist jedenfalls groß.

Clement: Die energiepolitische Debatte zeigt sich die ganze Problematik. Es überwiegt immer noch das Bedürfnis nach Wohlgefühl, Energie aus Wind und Sonne bedroht nieman-den und ist wunderbar. Alles, was aus konven-tionellen Quellen kommt, wird verteufelt. Man versucht, jedes Risiko auszuschal-ten. Es gibt aber keinen Fortschritt ohne Belastungen.

Rentsch: Wir haben eine sehr emotio-nale Energiewende

gehabt, das muss jetzt rationaler werden. Die erheblichen Investitionen im Rahmen des EEG müssen besser durchdacht werden. Die Energiewende ist eine europäische Aufgabe. Wir haben 900 Sonnenstunden, Griechenland hat 2000. Die Preissteigerung für Energie droht für viele Unternehmen unbezahlbar zu werden. Die hohe Zahl von Ausnahmegenehmigungen zeigt, dass das System nicht in Ordnung ist. Die Akzeptanz für die Energiewende werden wir verlieren, wenn die Preise weiter steigen und die Unternehmen abwandern.

Wie kann man denn den stolz auf rauchende schlote wieder wecken?

Clement: Das ist ein langwieriger Prozess. Die Notwendigkeit von großen Infrastrukturprojek-ten, Industriebauten und auch von Gentech-nologie ist schwer zu vermitteln. Politik und Wirtschaft müssen deutlicher dafür eintreten, denn das Schweigen der Industrie zu solchen Vorgängen führt zu einer gewissen Schieflage in der Wahrnehmung. Auch die Wissenschaft muss sich vernehmbar machen: Aus der Genforschung hört man keine einzige Stimme mehr, da herrscht im Grund Resignation.

und was kann die Politik tun?

Rentsch: Das ist ein extrem langer Weg. Nehmen wir die Debatte über den Frankfurter Flughafen. Der Aufstieg der Region hat sehr

viel mit dem Airport zu tun, und doch steht immer nur die negative Seite im Mittelpunkt. Da ist Öffent-lichkeitsarbeit sehr wichtig. Die Kommunalpolitik kann eine wesentliche Rolle spielen, indem sie der Ausweisung von Indust-rieflächen nicht im Weg

steht. Die Landespolitik kann bei Infrastruktur und Wissenschaftsförderung eine ganze Menge leisten. Bei der Forschung ist der Bund stark eingebunden.

Viele regionen in Deutschland versuchen sich als prosperierende Landstriche zu vermarkten: rhein-Main, rhein-Neckar, rhein-ruhr zum bei-spiel. Welche region ist da am erfolgreichsten?

Clement: Die aktivste ist die Region Ludwigs-hafen-Heidelberg, die aber auch etwas tun muss. Das Ruhrgebiet ist viel zu zurückhaltend, dort wird noch zu sehr das alte Kirchturmden-ken gepflegt. Die Marke Rhein-Main ist schon so stark, dass sie eine eigene Anziehungskraft entwickelt.

Ist das konkurrenzprinzip nützlich oder müsste man nicht vielmehr die Zusammenarbeit zwi-schen den regionen stärken?

Clement: Wenn man sich die Entwicklung der Welt anschaut, wo sich enorme wirtschaftliche Kraftzentren herausbilden, dann ist es not-wendig, unsere relativ kleinen Ballungsräume zusammenzuschließen. Für mich ist Rhein-Main der natürliche Partner von Rhein-Ruhr. Es liegt nahe, beide Regionen über die Rhein-Schiene infrastrukturell miteinander enger zu verbinden. Wenn das gelänge, wäre man fast unschlagbar. Dazu braucht es Wachstumsimpulse, die vor allem durch Investitionen in Straße, Schiene, Energie und Kommunikation kommen müssen.

Rentsch: Die übernahme der WestLB durch die Helaba mit der dahinterstehenden Kooperation der Sparkassen ist schon ein erster Ansatz für eine engere Zusammenarbeit von Rhein-Main und Rhein-Ruhr.

es fällt auf, dass jene bundesländer wirtschaft-lich besonders gut dastehen, die auch einen

guten ruf in der bildungspolitik haben. Was folgt daraus: Muss der bund mehr bildungs-politische Verantwortung übernehmen oder muss man im gegenteil die rolle der Länder stärken?

Clement: Der Bildungsföderalismus steht vor seiner letzten Nagelprobe. Der übergang von den Schulen ins Berufsleben funktioniert nicht. Die Schulen sind dazu nicht in der Lage, weil sie mit der Wirtschaft nichts zu tun haben. Und es fehlen gemeinsame Standards; das behindert die Leute, wenn sie von einem Bundesland ins andere umziehen, das nimmt absurde Züge an.

Hessen stand vor zwanzig Jahren in denkbar schlechtem Ansehen, was das Niveau seiner schulen angeht. Heute steht es besser da, aber baden-Württemberg und bayern sind immer noch vorn. Wann wird Hessen auch da den Anschluss schaffen?

Rentsch: Die Qualität in Hessen hat sich deut-lich verbessert, aber auch die anderen haben nicht geschlafen. Das ist auch ein Vorteil des Föderalismus, dass man Wettbewerb hat. Aber man muss dafür sorgen, dass man ohne Schwierigkeiten von einem Bundesland in ein anderes umziehen kann. Dafür muss man keine Zentralisierung vornehmen, verbindliche Vereinbarungen der Kultusminister würden reichen. Dass wir international top sind, kann man nicht sagen. Unter den 30 besten privaten Hochschulen der Welt findet sich keine einzige deutsche Institution.

Wäre es nicht sinnvoll, das Fach Wirtschaft an den schulen einzuführen?

Rentsch: Wir sind gerade dabei, die Grundla-gen für eine Stiftung zu legen, die Grundschü-

lern Kontakte zum Arbeitsleben verschafft. Das ist dringend notwendig. Wichtig sind die Lehrer, die können sehr prägende Persönlichkeiten für die Schüler sein. Es wäre sinnvoll, wenn Lehrer über Praktika in die berufliche Lebenswirklich-keit eingebunden werden. Da haben wir noch Luft nach oben.

Clement: Man braucht an jeder Schule eine permanente Berufsberatung durch professio-nelle Berater. Es scheitern immer noch sechs bis sieben Prozent der Schüler im Berufsleben. Wir bleiben nur eine der stärksten Wirtschafts-nationen der Welt, wenn wir eine der stärksten Bildungsnationen bleiben.

Die hessische Landesregierung hat in den letzten Jahren viel geld in die Wissenschaft in rhein-Main investiert. Wie zahlt sich das aus?

Rentsch: Die hessischen Universitäten gehören mittlerweile nach den Rankings zu den belieb-testen in Deutschland. Die Hochschulen haben einen Output, der den Unternehmen nutzt. Das zieht neue Unternehmen an. Sie bekom-men hochqualifizierte Leute. Was Infrastruktur und Bildung betrifft, hat Hessen deutlich aufgeholt. Das merken wir in den Gesprächen. Wir haben zudem sehr stark investiert in Max-Planck- und Fraunhofer-Institute, weil Exzellenz hilft. Der Return on Invest ist relativ hoch.

Ist umgekehrt die Industrie gut aufgestellt, wenn es darum geht, die ergebnisse der For-schung für ihren entwicklungen zu nutzen?

Clement: Wir haben einige gute Ansätze, zum Beispiel bei den Fachhochschulen. Was ich für vorbildlich halte, sind die schon erwähnten Fraunhofer-Institute. Sie bieten Praxisorientierung in der Grundlagenforschung. Aber wir brauchen mehr Geld.

Man müsste heute eigentlich mindestens vier Prozent des Bruttosozialprodukts für Wissen-schaft und Forschung aufwenden, wir sind selbst in Deutschland erst bei 2,7 Prozent.Welche rolle kommt dem HOLM in diesem Zusammenhang zu?

Rentsch: Wir brauchen mehr private Investi-tionen im Bildungssektor. Das HOLM ist ein Beispiel dafür. Es ist eine Gründung von Uni-versitäten, übrigens nicht nur aus Hessen, und von Unternehmen aus der Logistikbranche. Es darf keine gekaufte Forschung geben, aber es soll schon so sein, dass sich Unternehmen mit ihren Interessen beteiligen.

Clement: Das gewaltige private Kapital, das auf der ganzen Welt nach Anlagemöglichkei-ten sucht, müssen wir kreativ für uns nutzen, sowohl für Infrastrukturinvestitionen als auch für Wissenschaft und Forschung. Wir müssen die weit verbreitete Furcht vor privatem Geld im gesamten Bildungssektor überwinden.

sie haben einen Wunsch frei an die bundes-regierung, um die Innovationsbereitschaft in Deutschland zu fördern. Wie würde der lauten?

Clement: Ich würde die Forschung in den Unternehmen in erheblichem Umfang steuer-lich fördern. Außerdem ist eine europäische Energieunion wünschenswert. Wenn ich mir überlege, dass wir demnächst für Bayern den Strom aus der Nordsee holen, …

Rentsch: Ich bin ganz bei Herrn Clement: die Wirtschaftsministerkonferenz hat die Förderung von Forschung und Entwicklung beschlossen, das ist das Sinnvollste, was man machen kann. Das Erfinderland Deutschland zu stär-ken, ist die beste Investition.

stärkung des industriestandortes: region als rüCkgrat der innovationder hessische staatsminister für Wirtschaft, verKehr und landesentWicKlunG florian rentsCH und bundesWirtschaftsminister a.d. Wolfgang CleMent im intervieW mit MattHias alexander , ressortleiter rhein-main der f.a.z.

Interview Matthias Alexander Foto Klaus Weddig

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Logistikcluster: Wert schaffen und Wachstum fördern von Yossi Sheffi, Veröffentlicht durch MIt Press (Oktober, 2012)

Yossi Sheffi ist elisha gray II Professor für technische systeme und Direktor des MIt Center for transportation and Logistics

Seit Jahren investieren Regierungen überall auf der Welt in industrielle Cluster. Sie folgen dabei der Theorie, dass solche Investitionen zu einem sich selbst verstärkenden positiven Wirtschaftswachstum führen. Logistikclus-ter haben den Vorteil, dass sie bei stetigem Wachstum niedrigere Transportkosten innerhalb und außerhalb des Clusters bewirken, denn niedrigere Kosten und ein höheres Dienstleis-tungsniveau ziehen zusätzliche Unternehmen an, was zur weiteren Optimierung dieser Faktoren führt.

Das Besondere an diesen Clustern ist auch ihre Rolle als Jobmotor: Zunächst gibt es die direkten Logistikberufe in Lagerung und Transport aber auch beim Einsatz und der Wei-terentwicklung von spezialisierten IT-Systemen. Weiterhin bedarf die Branche komplexer grenzüberschreitender Abrechnungs-, Manage-ment- und Finanzaktivitäten. Die Schaffung von Arbeitsplätzen in Logistikclustern geht aber noch deutlich weiter.

Erstens beinhalten Logistikcluster durch die Querschnittsfunktion der Branche viele wertschaffende Berufe mit höheren, speziellen Anforderungen. Zweitens entscheiden sich Hersteller von design-intensiven Konsumgütern wie Bekleidung, Spielzeug und Haushaltswaren zunehmend dafür, ihren Unternehmenssitz und ihre Entwicklungszentren nahe der global bedeutenden Distributionshubs anzusiedeln, um näher am logistischen Geschehen zu sein. Drittens ziehen Logistikcluster oftmals Unter-nehmen des produzierenden Gewerbes an. Die-se Unternehmen können die Entstehung und Entwicklung weiterer Unter-Cluster anregen.

Logistikcluster bieten eine gewisse regionale Jobsicherheit, denn die dortigen Arbeitsplät-ze sind nicht an einzelne branchenbedingte Konjunkturzyklen gebunden und daher wirt-

schaftsunabhängiger. Zudem lassen sich die Arbeitsplätze in den lokalen Distributions-zentren nicht auslagern. Die lokale Distribution muss in der geographischen Nähe zum Kun-den stattfinden und erfordert entsprechendes Personal.

Obwohl nicht im gleichen Ausmaß wie die Schwerindustrie verursacht die Logistik den-noch Kraftverkehr mit negativen Einflüssen auf die Umwelt durch Lärm, Verschmutzung und Staus. Die Bündelung von Kompetenzen in einem Cluster jedoch verhilft den beteiligten Akteuren auf innovative Transportlösungen zurück zu greifen. Ein Beispiel solcher Clusterinnovatio-nen ist die erneuerbare und saubere Energiegewinnung für den Transport und die Lagerung. In der Tat haben die größten Logistikcluster der Welt Lastwagen mit hybrider Antriebstech-nologie, elektrische Kräne und neue Er-kenntnisse bei der Verlagerung von der Straße auf die Schiene hervorgebracht. Auch die beiden größten Zentren zur Herstellung von Biokraftstoff in Singapur und Rotterdam sind zwei der größten Häfen und Logistikcluster dieser Welt.

logistikCluster sind JobMotorenyossi sheffi, direKtor des center for transPortation am massachusetts institute of technoloGy über Werte und arbeitsPlätze schaffende netzWerKe von unternehmen.

Text Yossi Sheffi Foto Andreas Arnold Übersetzung Pascal Huther

ein kristall für die Zukunft der stadtsiemens hat im londoner east end ein technoloGie- und innovationszentrum eröffnet, das die WeltWeit Grösste ausstellunG zum thema „nachhaltiGe stadtentWicKlunG“ beherberGt.

Text Jürgen Schultheis Foto Siemens

Europas Schaufenster in die Zukunft entsteht im Londo-ner East End: Zwischen Newham und Bexley, wo die Themse die Stadt hinter sich lässt, wächst Londons Green Enterprise District. Auf einer Fläche von 48 Quadratkilometern will die Stadt demonstrieren, wie der übergang in eine kohlenstoffarme Wirtschaft gelingen kann. „International Hub for low carbon business“ nennt Londons Bürgermeister Boris Johnson das Quartier, dem eine Schlüsselfunktion zufällt, wenn die Stadt ihr Ziel erreichen will, bis 2025 die Kohlendioxid-Emissionen im Vergleich zum Basisjahr 1990 um 60 Prozent zu reduzieren.

Mitten im Green Enterprise District, an den Royal Victoria Docks, hat der Technologiekonzern Siemens Ende September „The Crystal“ eröffnet. Wilkinson Eyre Architekten haben den auffälligen Glasbau entworfen, der mit seiner markanten Form an einen schwarzen Kristall erinnert. The Crystal beherbergt das neue Zentrum für nachhaltige Stadtentwicklung und zeigt die weltweit größte Ausstellung zum Thema Nachhaltigkeit und Stadt. „Wir wollen Lösungen für das massive Wachstum der Städte finden, um sie weltweit als lebenswerte Wirtschafts- und Kulturzentren zu erhalten“, sagt Roland Busch, Siemens-Vorstandsmitglied und Vorsitzender des Geschäftsbereichs Infrastruktur und Städte.

Das teilweise dramatische Wachstum der Ballungsräume, steigende Energieverbräuche und hohe Umweltbelastungen als Folge zunehmender Emissionen stellen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor große Herausforderungen: Im Jahr 2009 lebten nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) erstmals mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in städtischen Gebie-

ten. Bis 2050 prognostizieren die UN einen Anstieg auf rund 70 Prozent. Besonders stark wird dieses Wachstum in Asien und Afrika ausgeprägt sein. Diese Entwicklung wird erhebliche Auswirkungen auf Energieverbrauch und Emissionen haben: Zwei Drittel der Energie weltweit wird schon heute in Städten nachgefragt, rund 70 Prozent der klimaschädigenden Treibh-ausgase entstehen in Ballungsräumen.

Im Crystal will Siemens Antworten auf diese Herausforde-rungen geben. Es ist zugleich Sitz des weltweiten „Center of Competence Cities“, in dem Siemens-Experten für Infrastruktur und Städte, aber auch externe Fachleute arbeiten und eine Denkfabrik schaffen für nachhaltige Stadtentwicklung, Gebäu-demanagement, Verkehr und Logistik, Energie- und Wasserver-sorgung, Sicherheit und Gesundheit.

Das Gebäude selbst zeigt, was schon heute im Blick auf Nachhaltigkeit möglich ist: Die Fassaden sind so strukturiert, dass möglichst viel Tageslicht einfällt, viele Baustoffe sind ressourcenschonend aus möglichst wenig Material gefertigt worden, Regenwasser wird gesammelt und in Trinkwasserqua-lität aufbereitet. Pflanzen werden mit Brauchwasser gegossen. Photovoltaikanlagen erzeugen Strom für das Gebäude, Solar-thermieanlagen erwärmen das Wasser. über eine Erdwärme-pumpe kann das Gebäude im Winter beheizt und im Sommer gekühlt werden.

Das neue Zentrum für nachhaltige Stadtentwicklung erfüllt als Institution das, was sich Londons Bürgermeister für den Green District wünscht: Das Crystal, sagt Boris Johnson, stehe für eine „dynamische Partnerschaft mit globalen Innovatoren, die ich mir für London wünsche, damit wir die beste Großstadt der Welt werden“. Auch von Frankfurt aus beobachtet Siemens das Stadtforschungszentrum. „Die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main ist eines der wichtigsten logistischen Drehkreuze ganz Europas. Die Wettbewerbsfähigkeit des städtischen Ballungsraums hängt maßgeblich von der stetigen Weiter-entwicklung der Verkehrsinfrastrukturen ab“, sagt Michael Kassner, Leiter der Siemens Region Mitte in Frankfurt. „Auch deshalb sind wir gespannt, welche aktuellen Trends und Lö-sungsansätze uns The Crystal bringen wird. Dies wird auf der Achse Frankfurt – London sicher zu einem interessanten Dialog führen.“

Wer wirklich frei und flexibel mobil sein will fährt Fahrrad. Denn bei diesem Verkehrsmittel verbinden sich die größtmöglichen Vorteile für Nutzer und umfeld: es ist gesundheitsfördernd, kontaktfreundlich, günstig in unterhalt und Infrastruktur, zeitsparend, emissionsfrei und bietet eine nahezu unbegrenzte bewegungsfreiheit auf lokaler ebene. Dazu kommt natürlich eine Menge Fahrspaß. Auch bei Wind und Wetter erhöht das Fahrrad trotz seiner vergleichsweise schlichten konstruktion den Aktionsradius um ein Vielfaches und emanzipiert seine Halter von alten konventionen. Für mich ist ein rad daher der perfekte begleiter in fast allen Lebens-lagen: zum Pendeln, regenerieren und trainieren, für erledigungen in Nachbarschaft und Innenstadt, dem urlaub in der Natur und wenn ich gemeinsam mit Freunden oder bekannten unterwegs bin.

Jan-Frederik stautz, 32 Jahre geschäftsführer der Fahrradwerkstatt Fixiestube

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franKfurter allGemeine forum / maGazin

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Viele Logistikunternehmen konnten in den letzten Jahren Vollgas fahren. So stieg der Logistikumsatz in Deutschland nach Branchenangaben seit 2005 um durchschnittlich 3,6 Prozent im Jahr und damit deutlich stärker als das Brutto-inlandsprodukt (BIP). In Hessen mit dem internationalen Logistikstandort Frankfurt und den nationalen Güterverteilzen-tren in Nordhessen liegt das BIP je Einwohner um ein Fünftel höher als in Deutschland insgesamt und erreicht unter den Flächenländern mit Abstand den höchsten Wert. In puncto Produktivität ist die hessische Wirtschaft ebenfalls führend und übertrifft den deutschen Durchschnitt um 15 Prozent. Hessen gehört auch im europäischen Vergleich zur Spitzengruppe: Die Wirtschaftsleistung je Einwohner liegt um 50 Prozent über dem EU-Durchschnitt.

struKturelle assetsfür die loGistiK

Die Rhein-Main-Region ist mit einem Anteil von 70 Prozent am hessischen BIP das wirtschaftliche Herzstück des Bundes-lands. Für diese bundesweit einzigartige Konzentration gibt es vier Hauptursachen, die die Logistik stärken:

» Der Flughafen Frankfurt ist der größte europäische Cargo-Hub und steht weltweit an achter Stelle bezüglich des Frachtumschlags. Im Personenverkehr nimmt der Frankfurter Flughafen nach Paris den zweiten Rang in Kontinentaleuropa ein und rangiert international an zwölfter Stelle. Zusammen mit der schnellen Anbindung an Straße und Schiene ist er ein zentrales Drehkreuz für den internationalen Flugverkehr und verknüpft die Rhein-Main-Region mit der Welt.

» Frankfurt ist die Heimatstadt der Europäischen Zentralbank, der Deutschen Bundesbank sowie der Deutschen Börse und damit national wie international einer der bedeutendsten Stand-orte in der Finanzwelt. Am Finanzplatz Frankfurt haben rund 220 Kreditinstitute ihren Hauptsitz; davon sind 70 Prozent Auslandsbanken. Das Spektrum der Frankfurter Auslandsbanken ist mit 40 verschiedenen Herkunftsnationen breit gefächert. Hier kommt der Faktor Mobilität wieder ins Spiel: So gab eine Vielzahl der Auslandsbanken in einer von der Helaba durchge-

führten Umfrage an, dass die gute verkehrstechnische An-bindung eine wichtige Rolle bei der Standortwahl in Europa gespielt hat.

» Die enge internationale Verbundenheit spiegelt sich in der Messe Frankfurt ebenfalls. So präsentieren sich überdurch-schnittlich viele ausländische Aussteller auf dem Frankfurter Messegelände. Auch bei der Attraktivität für in- und ausländi-sche Besucher zählt Frankfurt innerhalb Deutschlands zu den führenden Messestandorten.

» Neben großen Dienstleistungsunternehmen gibt es im Rhein-Main-Gebiet traditionsreiche Industriebetriebe aus nahezu allen Branchen, die große Arbeitgeber in der Region sind; Chemie/Pharma und Automobilindustrie sind nur zwei Beispiele. Die überdurchschnittliche hessische Exportquote von mehr als 50 Prozent sorgt für erhebliche Impulse für die Logistikbranche, die den Transport der umfangreichen Ex- und Importe gewährleisten muss.

mobilität in den KöPfen

Die Attraktivität des Wirtschaftsraums setzt enorme Pendler-ströme in Gang. Rund 328.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer aus anderen Bundesländern überschreiten die hessischen Grenzen um hier zu arbeiten. Damit weist Hessen den höchsten Pendlersaldo unter den Flächenländern bundes-weit auf. Ein weiteres Superlativ in Deutschland ist die Stadt Frankfurt. So pendeln täglich rund 330.000 der insgesamt knapp 500.000 Arbeitnehmer in die Stadt ein. Keine andere deutsche Stadt kann mehr Einpendler vorweisen. Auch hier ist die gute Infrastruktur in der Region für den weitgehend reibungslosen Personenverkehr verantwortlich.

Mobilität von Personen, Waren, Dienstleistungen und Geld sind also die Basis der hiesigen Wirtschaft. Die Logistik ist ein integraler Bestandteil, die den Transport der Güter vornimmt und dabei gleichzeitig für den Aufbau der Infrastruktur sorgt, die für die Ansiedlung internationaler Unternehmen unerläs-slich ist, um die Mobilität ihrer Mitarbeiter und Dienstleistun-gen auf den Weltmärkten zu garantieren.

Dr. gertrud R. traud ist Chefvolkswirtin

und Leiterin research der Helaba

Barbara Bahadori ist regionalanalystin

der Helaba

WWW.faz-forum.com/loGistiK

iMMer in beWegung Kaum eine reGion lebt so starK von mobilität und loGistiK Wie franKfurt/rhein-main beleGen Gertrud traud und barbara bahadori.

Text Gertrud Traud und Barbara Bahadori Foto Harald Krämer

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internationale Konferenzfrühjahr 2013, frankfurt am main

produktion & logistik Mobilität & vernetZung

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