n y kleines! - khbrisch.de · „ich habe immer gedacht, essen und schlafen sei für babys das...

3
Unser Experte Dr. Karl Heinz Brisch, Privatdozent und Oberarzt am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, hat die SAFE-Kurse entwickelt. Der Bindungsforscher, Kinder- und Jugendpsychiater und Psychoanalytiker ist Buchautor („SAFE– sichere Ausbildung für Eltern“, Klett-Cotta, 14,95 Euro) und Präsident der „Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit“ (www.gaimh.de). Er hat drei erwachsene Kinder Leben & erziehen Juni 2011 21 Kleines! Der Baby-Dolmetscher Liebe braucht keine Worte. Das gilt besonders für die Beziehung zwischen Eltern und Baby. Ein Bindungsforscher erklärt, wie Eltern ihr Kind verstehen lernen und wie Mutterliebe wächst Schau mir in die Augen, Nach einer schwierigen Schwangerschaft kam Marla per Kaiserschnitt zur Welt. „Deshalb war es besonders schön, dass wir sie gleich nach der Geburt trotzdem in Ruhe kennenlernen konnten. Man brachte uns dazu in einen Nebenraum. Mit einem warmen Tuch bedeckt lag sie nackt auf meiner Brust. Diese vier Stunden allein mit ihr waren unglaublich intensiv“, erzählt Sonja. Schon in der Klinik hat sie genau geschaut, wie die Kleine in verschiedenen Situationen reagiert. „Nach zwei, drei Wochen hörte ich heraus, warum sie weint. Zu Hause haben Holger und ich darauf geachtet, uns Marlas Betreu- ung und die Hausarbeit zu teilen, damit auch noch etwas Zeit für uns bleibt. Das ist bei unserer Kleinen sehr wichtig, denn sie ist ein Kurzschläfer wie ihr Papa. Elf Stunden Schlaf reichen ihr. Wenn sie wach ist, will sie beschäftigt werden. Das ist okay, denn von Freunden wusste ich schon: Anfangs ist das Baby der Chef. Das Wichtigste ist, seine Bedürfnisse zu befriedigen.“ Marla ist die Chefin! Sonja (36) und Holger (35) Härlin-Nonnenmann mit Marla (6 Monate) Im ersten Jahr NEUE SERIE: Leichter leben mit Baby FOLGE 1: Jetzt sind wir eine Familie FOLGE 2: Was will unser Baby? FOLGE 3: Und wo bleiben wir? FOLGE 4: Zurück in den Job Leben & erziehen Juni 2011 20 ▸▸▸ G mich durchschauen könnte und sa- gen wollte: ‚Mama, das wird schon!‘“ Wie jeden Abend macht es sich die 31-jährige Augsburgerin mit ihrem Sohn Moritz auf dem Sofa gemütlich. Nach einer Massage und einem inni- gen Zwiegespräch mit Mama schläft der Kleine besonders gut. Die Charme-Offensive der Kleinen, von Verhaltensforschern „Kindchen- schema“ genannt, verfolgt vor allem einen Zweck: den Nachwuchs zu schützen. Sonst hätten die Steinzeit- menschen ihre Babys wohl auf der lückwunsch! Sie ha- ben das schönste Baby der Welt! Die- ser süße Schmoll- mund, die netten Grübchen, der feine Flaum auf dem Kopf, die reizenden Speckfältchen und dazu der staunende Blick aus rie- sengroßen Kulleraugen! Beim An- blick ihres Babys sind junge Eltern verzaubert. Auch Claudia Schmid, seit drei Monaten Mama, schwärmt: „So tief, unergründlich und un- verstellt. Als ob unser Kleiner

Upload: others

Post on 31-Oct-2019

1 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: n y Kleines! - khbrisch.de · „Ich habe immer gedacht, essen und schlafen sei für Babys das Natürlichste auf der Welt. Nie wäre ich darauf gekommen, dass ich meinem Kind dabei

Unser Experte

Dr. Karl Heinz Brisch, Privatdozent und Oberarzt am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, hat die SAFE-Kurse entwickelt. Der Bindungsforscher, Kinder- und Jugendpsychiater und Psychoanalytiker ist Buchautor („SAFE– sichere Ausbildung für Eltern“, Klett-Cotta, 14,95 Euro) und Präsident der „Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit“ (www.gaimh.de). Er hat drei erwachsene Kinder

Leben & erziehenJuni 2011 21

Kleines!

Der Baby-Dolmetscher

Liebe braucht keine Worte. Das gilt besonders für die Beziehung zwischen Eltern und Baby. Ein Bindungsforscher erklärt, wie Eltern ihr Kind verstehen lernen und wie Mutterliebe wächst

Schau mir in die Augen,

◾ Nach einer schwierigen Schwangerschaft kam Marla per Kaiserschnitt zur Welt. „Deshalb war es besonders schön, dass wir sie gleich nach der Geburt trotzdem in Ruhe kennenlernen konnten. Man brachte uns dazu in einen Nebenraum. Mit einem warmen Tuch bedeckt lag sie nackt auf meiner Brust. Diese vier Stunden allein mit ihr waren unglaublich intensiv“, erzählt Sonja. Schon in der Klinik hat sie genau geschaut, wie die Kleine in verschiedenen Situationen reagiert. „Nach zwei, drei Wochen hörte ich heraus, warum sie weint. Zu Hause haben Holger und ich darauf geachtet, uns Marlas Betreu-ung und die Hausarbeit zu teilen, damit auch noch etwas Zeit für uns bleibt. Das ist bei unserer Kleinen sehr wichtig, denn sie ist ein Kurzschläfer wie ihr Papa. Elf Stunden Schlaf reichen ihr. Wenn sie wach ist, will sie beschäftigt werden. Das ist okay, denn von Freunden wusste ich schon: Anfangs ist das Baby der Chef. Das Wichtigste ist, seine Bedürfnisse zu befriedigen.“

Marla ist die Chefin!Sonja (36) und Holger (35) Härlin-Nonnenmann mit Marla (6 Monate)

Im ersten Jahr

NEUE SERIE: Leichter leben mit BabyFOLGE 1:Jetzt sind wir eine Familie FOLGE 2:Was will unser Baby?FOLGE 3:Und wo bleiben wir?FOLGE 4:Zurück in den Job

Leben & erziehenJuni 201120

▸▸▸

G mich durchschauen könnte und sa-gen wollte: ‚Mama, das wird schon!‘“ Wie jeden Abend macht es sich die 31-jährige Augsburgerin mit ihrem Sohn Moritz auf dem Sofa gemütlich. Nach einer Massage und einem inni-gen Zwiegespräch mit Mama schläft der Kleine besonders gut.Die Charme-Offensive der Kleinen, von Verhaltensforschern „Kindchen-schema“ genannt, verfolgt vor allem einen Zweck: den Nachwuchs zu schützen. Sonst hätten die Steinzeit-menschen ihre Babys wohl auf der

lückwunsch! Sie ha-ben das schönste Baby der Welt! Die-ser süße Schmoll-mund, die netten

Grübchen, der feine Flaum auf dem Kopf, die reizenden Speckfältchen und dazu der staunende Blick aus rie-sengroßen Kulleraugen! Beim An-blick ihres Babys sind junge Eltern verzaubert. Auch Claudia Schmid,

seit drei Monaten Mama, schwärmt: „So tief, unergründlich und un-

verstellt. Als ob unser Kleiner

Page 2: n y Kleines! - khbrisch.de · „Ich habe immer gedacht, essen und schlafen sei für Babys das Natürlichste auf der Welt. Nie wäre ich darauf gekommen, dass ich meinem Kind dabei

Im ersten Jahr

Leben & erziehenJuni 201122

▸▸▸ Flucht vor Unwettern und wilden Tieren zurückgelassen. Deshalb reden Erwachsene auch au-tomatisch in der Ammensprache, wenn sie einen Winzling auf dem Arm haben. Dieser typische Singsang ist ihnen genauso in die Wiege gelegt wie Neugeborenen die Gabe, sich ver-

ständlich zu machen. „Statt mit Worten drü-cken Babys ihre Ge-fühle und Bedürfnisse durch Laute, Mimik und Gestik aus. Ihre Signale sind univer-sell und bedeuten auf der ganzen Welt das Gleiche“, erklärt der Münchener Bindungs-forscher Dr. Karl Heinz Brisch.

Der Baby-Dolmetscher▪ Weinen und Schreien heißt „Alarm!“. Das Baby braucht schnell die Nähe von Mama oder Papa. Aber

nicht nur, weil es Hunger hat, wie El-tern meist meinen. Manchmal fühlt sich das Kind einfach unbehaglich, alleine oder ihm ist kalt. ▪ Spitzt das Kind auffällig den Mund und dreht dabei das Köpfchen su-chend zur Seite, hat es Hunger und will an Mamas Brust. ▪ Schaut das Baby Sie aufmerksam und mit offenen Händchen an, freut es sich, dass Sie sich mit ihm beschäf-tigen. Vielleicht spiegelt es in seinem kleinen Gesicht sogar Ihr Lachen, Stirnrunzeln oder Staunen. Bei die-sem Pingpong-Spiel der Mimik lernt das Baby Gefühle kennen und unter-scheiden!▪ Wendet das Kleine nach ein paar Minuten den Blick ab oder schaut in die Ferne, bedeutet das: „Jetzt brauch’ ich ein Päuschen.“ ▪ Fallen ihm die Augenlider zu, reibt es sich am Ohr oder gähnt es, braucht es ein Nickerchen.„Feinfühlige Eltern schaffen es bald, die verschiedenen Signale zu unter-

scheiden. Das Wichtigste dazu ist der Faktor Zeit“, so Privatdozent Brisch. Deshalb wünscht er jungen Familien einen Baby-Honeymoon, ähnlich wie das Wochenbett in traditionellen Kul-turen: viel Ruhe, wenig Besuch und möglichst keinen, der sie durch gut gemeinte Ratschläge verunsichert („Tragt das Baby nicht so viel herum, sonst verwöhnt ihr es noch!“).

Jedes Kind ist andersStattdessen braucht die junge Mutter selbst eine liebevolle Betreuung, da-mit sie sich vom Geburts-Stress erho-len und sich ganz und gar auf das Neugeborene und seine Bedürfnisse einstellen kann.Denn jedes Baby ist anders, ist von Anfang an eine eigene kleine Persön-lichkeit. Deshalb gibt es auch nicht die einzige, die beste Methode, mit ihm umzugehen. „Sogar innerhalb ei-ner Familie finden wir von Kind zu Kind Unterschiede“, weiß der Exper-te. „Wie ein Baby sich aus-

Sicherer durch einen KursSAFE-Kurse starten in der

20. Schwangerschaftswoche und enden an Babys erstem

Geburtstag. Sie kosten je nach Anbieter (Kliniken, Heb-

ammen, Familienbildungs -stät ten) 25 bis ca. 100 Euro

pro Person. In einigen Gemeinden übernimmt das

Jugendamt die Gebühr (www.safe-programm.de)

▸▸▸

◾ „Nach Moritz’ Geburt vermisste ich mein frühe-res Leben. Ich wollte in die Stadt gehen, was ande-res sehen. Aber das gab sich schnell wieder und es war mir wichtiger, für unseren Sohn da zu sein. Ob-wohl ich als Kinderkrankenschwester viel weiß, habe auch ich Zeit gebraucht, um ihn kennenzuler-nen. Vielleicht ist das ein Trost für andere Eltern? Umso mehr habe ich es genossen, dass sich mein Mann Stefan vier Wochen freinahm, für uns kochte und einkaufen ging, während ich mich ganz auf un-seren Sohn konzentrierte. Ich trage Moritz viel am Körper, massiere ihn jeden Abend. Genauso achte ich darauf, etwas für mich zu tun und Zeit mit meinem Mann zu verbringen. Ich pumpe seit der dritten Woche Muttermilch ab. So kann Stefan oder unsere Nichte den Kleinen füttern, wenn sie Baby-sitter ist. Klappt super und tut uns allen gut!“

Selbst ein Profi braucht Zeit

Claudia Schmid (31) mit Sohn Moritz (3 Monate)

Page 3: n y Kleines! - khbrisch.de · „Ich habe immer gedacht, essen und schlafen sei für Babys das Natürlichste auf der Welt. Nie wäre ich darauf gekommen, dass ich meinem Kind dabei

◾ „Ich habe immer gedacht, essen und schlafen sei für Babys das Natürlichste auf der Welt. Nie wäre ich darauf gekommen, dass ich meinem Kind dabei helfen muss“, erzählt Christina. „Zum Glück hatten wir uns zum SAFE-Kurs angemeldet, weil wir neu in München waren und niemanden kannten. Als Chiara dann auf der Welt war und in den ersten Wochen so viel weinte, hat uns die Kursleiterin sehr geholfen. Al-lein das Gefühl, sie an unserer Seite zu ha-ben, war ungeheuer beruhigend. Sie ist Tag und Nacht für uns erreichbar und hat uns immer wieder ermutigt, selbst eine Lösung zu finden. Außerdem wurden wir beim Wickeln gefilmt. Eine gute Übung! Dabei erkennt man schnell, was gut ist: Je ruhiger wir selbst sind, desto besser verstehen wir die Zeichen unseres Kindes. Der Kurs hat uns viel gebracht: Inzwischen habe ich das Selbstvertrauen, dass ich als Mutter am besten weiß, was mein Kind braucht. Mit unserem kleinen Sonnenschein läuft es jetzt richtig rund.“

Den eigenen Weg gefundenChristina Ivanova (36) und Christian Stüdemann (38) mit Chiara (9 Monate)

Leben & erziehenJuni 201124

Foto

s: P.

O.M

. Poi

nt o

f Med

ia G

mbH

(2);

priv

at; F

otos

tudi

o To

ni S

ahm

, Mün

chen

Sie wollen sich mit anderen Eltern zum Thema aus-tauschen? Dann gehen Sie aufwww.leben-und-erziehen.de

Klicktipp

drückt, hängt von seinem Tempera-ment und den Reaktionen seiner Eltern ab. Manche Kinder sind von Geburt an ausgeglichener, andere leichter irritierbar. Sie brauchen mehr Unterstützung von Mutter und Vater, bis sie lernen, wie sie sich selbst beru-higen können.“ Dass Eltern ihr Kind nicht immer gleich verstehen, ist normal, beruhigt der Experte. „Das wird öfter passie-ren und ist nicht schlimm. Perfekte Eltern sind von der Natur nicht vorge-sehen. Hauptsache, Sie trösten Ihr Kind, wenn es weint. Bleiben Sie gu-ten Mutes: Irgendwann finden Sie heraus, was Ihr Baby will.“ Manchmal allerdings ist der feinfüh-lige Blick aufs Baby verstellt. Müde und ausgelaugte Eltern können sich weniger gut in ihr Kind hineinver-setzen. Auch eine sehr anstrengende Geburt, ein Babyblues, eigene belas-

tende Erfahrungen in der Kindheit, Stress in Job und Partnerschaft oder Drei-Monats-Koliken können Hin-dernisse sein. Je früher Eltern sich dann professionelle Hilfe holen, des-to besser! Zum Beispiel bei einer Schreiambulanz oder einer psycho-logischen Beratungsstelle.

Hilfe vom ProfiChristina Ivanova, Mutter von Chiara (heute 9 Monate), weiß, wie es sich anfühlt, wenn das Neugeborene aus unerfindlichen Gründen immer wie-der schreit und sich kaum trösten lässt: „Man zweifelt an seinen Fähig-keiten als Mutter und fühlt sich schnell als Versagerin.“ Dieses Gefühl setzte sie und ihren Partner Christian immens unter Druck. Nervös und angespannt zo-gen sie alle Register, um ihr Kind zu beruhigen. Und erreichten genau das

Gegenteil. Bis sich das Paar darauf besann, was es im SAFE-Kurs gelernt hatte. SAFE steht für „Sichere Ausbil-dung für Eltern“ (mehr dazu unter „Sicherer durch einen Kurs“ auf S. 22). Paare lernen dort Entspannungstech-niken für sich selbst, bekommen In-fos zur Entwicklung des Kindes, zu sanftem Trösten sowie ein video-gestütztes Training in Sachen „Baby lesen lernen“. Drei Monate nach der Geburt hörten die Probleme mit Chiara auf, mit fünf Monaten schlief die Kleine regelmäßig. Ihre Eltern Christina und Christian empfehlen den Kurs seitdem allen Eltern. ■

Andrea Schmidt-Forth

▸▸▸

Im ersten Jahr