nachtrag zu meinem aufsatze: zur kenntniss der mikropie und makropie

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Naehta'ag zu meinem Aafsatze: Zur KenntnJss der Mikropie und Makropie. (Arch, L 0phth. XLII, ~. S. t34,) ~on Prof. Dr. W. Koster Gzn. in Leiden. Dureh die yon Dr. Moriz Sachs ~) neulich in diesem Archly verSffentliehte .,Erklhrung der Mikropie" sehe ieh mieh veranlasst, noeh einmaI auf diesen Gegenstand zuriick- zukommen. Sachs hat det@nigen Theft meiner Arbeit, worin i& eine Erkhtrung dafiir gebe, dass mSglieher Weise einige Personen das Ph~nomen der Mikropie verbunden sehen mi~ der Vorstellung des grSsseren Abstandes ganz unberiieksiehtigt gelassen; h~tte er dies ni&t gethan, so wiirde er bald eingesehen haben~ dass sein St.reben ganz iiberfliissig war: well es in Wirkliehkeit darauf tfinausl~uft, einen Theft der yon mir mitgetheilten Theorie sozusagen in tIering's Sprache zu iibersetzen, wobei dann allerdings aueh entspreehend dem Untersehiede zwisehen den Don- ders'sehen und den Hering'sehen Annahmen, jedes wirk- lieh erkl~trende Moment ftir unser Urtheil iiber die absolute GrSsse und Enffernung fortf~llt. Sachs geht bei seinen Betrachtungen aus yon der Tha,tsache, dass wir die GrSsse eines Gegenstandes nieht 2) Dr. I~{ori~z Sachs: Zur Erkl~ung der l~{ikropie (nebst Bemerkungen fiber die gesch~tzte Gr~sse gesehener Gegenst~tnde). v. Graefe's Archly. Bd. XLI¥. Abth. I.

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Naehta'ag zu meinem Aafsatze: Zur KenntnJss der Mikropie und Makropie.

(Arch, L 0phth. XLII, ~. S. t34,)

~on

Prof. Dr. W. K o s t e r Gzn. in Leiden.

Dureh die yon Dr. Moriz Sachs ~) neulich in diesem Archly verSffentliehte .,Erklhrung der Mikropie" sehe ieh mieh veranlasst, noeh einmaI auf diesen Gegenstand zuriick- zukommen. Sachs hat det@nigen Theft meiner Arbeit, worin i& eine Erkhtrung dafiir gebe, dass mSglieher Weise einige Personen das Ph~nomen der Mikropie verbunden sehen mi~ der Vorstellung des grSsseren Abstandes ganz unberiieksiehtigt gelassen; h~tte er dies ni&t gethan, so wiirde er bald eingesehen haben~ dass sein St.reben ganz iiberfliissig war: well es in Wirkliehkeit darauf tfinausl~uft, einen Theft der yon mir mitgetheilten Theorie sozusagen in t I e r i n g ' s Sprache zu iibersetzen, wobei dann allerdings aueh entspreehend dem Untersehiede zwisehen den Don- ders'sehen und den Hering 'sehen Annahmen, jedes wirk- lieh erkl~trende Moment ftir unser Urtheil iiber die absolute GrSsse und Enffernung fortf~llt.

Sachs geht bei seinen Betrachtungen aus yon der Tha, tsache, dass wir die GrSsse eines Gegenstandes nieht

2) Dr. I~{ori~z Sachs: Zur Erkl~ung der l~{ikropie (nebst Bemerkungen fiber die gesch~tzte Gr~sse gesehener Gegenst~tnde). v. Grae fe ' s Archly. Bd. XLI¥. Abth. I.

Nachtr. zu m. Aufs.: Zur Kenntniss der l~{ikropie u. l~akropie. 91

verschieden beurtheilen, wenn derselbe sieh innerhalb ge- wisser Distanzen yon uns befindet. Ftir diese Ers&einung gebraueht er den Ausdru& , ,phys io log isehe Mikrop ie" und damit steht er auf dem Boden jener Forscher, welche das N e t z h a u t b i t d und unse r e E m p f i n d u n g der Aussen- dinge ftir einander sehr ~ihnlieh halten, in dem Sinne, dass die Letztere gewissermaassen eine Wiederholung des erste- ten sein solle. Wenige Anh~tnger dieser Riehtung werden mir dies zugeben, abet in Wirklichkeit I~uft die Theorie immer darauf hinaus. Auch Sachs steht ganz auf diesem Standpunkte, indem er annimmt, dass glei&zeitig mit der Innervation der ~usseren Augenmuskeln und des Museulus eiliaris ein , , Impuls" erfolgt, der das l~laass der Ver- g rg s se rung des Ne tzhau tb i ldes , und dami t die GrSsse des g e s e h e n e n G e g e n s t a n d e s bes t immt. Das heisst also, wenn ein Gegenstand dem Auge n fach n~her gebraeht wird und das Netzhaut.bild also (in linearem Maass) n faeh gr6sser wird, multiplicirt die Seele dieses Bild mit einem n fkeh kleineren Fact.or als im ersten Fatle. Weil der Factor nfaeh kleiner sein muss~ sprieht Saclls yon Mikro- pie, abel" man sieht leieht ein, dass, wenn man bei der ¥orstellung mit einem Gegenstand anfangt, der nahe dem Auge gelegen ist und diesen jetzt yore Beobaehger entfernt, man ebenso gut yon physiologiseher Makrop ie reden kann. ~[eines Eraehtens thut dies aber wenig zur Sache, denn ~'on einer Erkl~rung der genannten Thatsaehe ist hier in Wirkliehkeit nieht die Rede. Erstens frage ieh reich ver- geblieh, wie bier yon I m p u l s e n gesproehen werden kann, wo doeh lediglich e m p f u n d e n wird. Doch gesetzt, wit kSnnten diese E m p f i n d u n g , welche zugleich mit dem Sehen in einer bestimmten Entfernung auftreten soll, ,,einen Impuls" nennen, wo bleibt dann der Zusammenhang zwisehen diesen beiden?; wie kommi~ die Seele zu dem Bewusstsein, oder wenn man wiil, wie kommt der unbewusste Sehluss zu Stande, dass wir mit n start mit ~]2 n oder mit 2n

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multipliciren mfissen? Da ist nut ein Ausweg. und der besteht darin zu behaupten, dasses bis jetzt unbekannt ist, was diesen ,,Impuls" bestimmt. Abet in dem Falle kann ich nicht~ umhin zu sagen, dass diese Erkl~rung der ,physiologischen Mikropie" nur auf eine Umschreibung einer bekannten Th~tsaehe hinausl~uft.

In meiner ~origen Arbeit habe ieh die Donders 'sche Hypothese fiber die Wabrnebmung der Gr~isse nnd der Tide (Enffemung) dahin modificirt, dass die Empfindung der seelischen Anstrengung, welehe zur Erreiehung der er- forderlichen Accommodation trod Com~ergenz n6thig ist, nioht erst die ¥orstellung der Entfernnng hervorrnft, son- dem sofort, zugleich mit der Empfindung des Netzhaut- eindruckes, die Vorst.ellung der GrSsse des Gegenst~ndes er- zeugt, w~.hrend da~nn das Urtheil iiber den Abstand hervorgeht aus der Parailaxe~ aus der Lage der Doppetbilder der an- deren nicht fixirten Gegenst~nde und aueh aus dem Impuls zur Convergenz. Diese Amaahme wurde gemaeht, mn aueh jene Fglle in die Erklgrung unseres rSumliehen Sehens auf- zunehmen, bei welchen die Nikropie dutch Parese der Ac- commodation verbunden sein soil mit der Vorstellnng einer griisseren odor jedenfalls nieht einer geringeren Entfernung. Fiir Ngheres muss ieh auf racine genannte Arbeit ver- weisen.

Was nun die Erkl:~irnng tier Mikropie dutch Aecom- modationsparese anbelangt, so steht Sachs hier ganz auf dem Standpunkt yon Donder s und mir, dass diese nur ein Specialfall der yon ihm sogenannten ,,physiologis&en Mikropie" ist. Die seelisehe Einstellung des Sehens er- lolgt ftir eine Ebene, weld~e dem Ange viol n-gher gelegen ist Ms die Ebene, fiir welche die opfisehe Einstellnng des Auges erfolgk Nach Sachs laufen mit den Impulse~ zur Accommodation und Convergenz gleiehzeitig die undefinir- ten ,,Impulse" ab~ wovon vorher die Redo war; nach Don- ders und mir wird die seelisehe Anstrengung empflmden,

Naehtr. zu m. Aufs. : Zur Kenntniss der Mikropie u. Makropie. 93

welche nSthig ist zur Accommodation und Convergenz. Wghrend abet Sachs nicht die geringste Andeutung geben kann, warum die ,,Impulse" jetzt eine andere Stgrke haben, ist die Erklgrung mit der modificirten Them% yon Don- ders klar nnd einfach.

S a c h s versucht gegen die tetztere einige Einwgnde zu machen, indem er die relative Accommodationsbreite anfiihrt; ieh habe schon friiher dargethan, dass, wenn das binoeulare Sehen noch mSglich ist, keine Mikropie auftritt, weil die Anstrengung der Convergenz die richtige ist: die zu starke Accommodationsanstrengung hat also dann keinen Einfluss; aueh beim monocularen Sehen ist as wahrsehein- lich die Anstrengung der Convergenz, wetehe die Empfin- dungen yon GrSsse und Entfernung bestimmt; fibrigens muss ich auch hier auf fl'iiher mitgetheiltes verweisen. Dass hier kein wirklicher Einwand zu finden ist, wird Sachs bei ngherer UeberIegung mir wohl zugeben. Ueber die mit der Vorstellung einer grSsseren Entfemung verbundene Mikropie spricht Sachs nur einige Worte. Ich m~chte ihn fragen, warum ,bei dem Durchmessen des Gesichts- raumes nach der Dimension der Tiefe" der kleingesehene Gegenstand welter weg rficken soll; die Tiefe des Raumes wtirde noch besser hervortreten, wenn der wenig entthrnt% kleingesehene Gegenstand ngher zn rticken schiene.

Die messenden ¥ersuehe yon Sachs fiber die Seh~tt- zung der Entfernung wghrend der Mikropie haben reich dazu veranlasst, wieder einige Collagen zu bitten~ ihre Accommodation auf einem Auge paretisch zn maehen, und ieh war jetzt so glficklich, yon zweien die Angabe zu er- hMten~ dass sie den Eindruck bekamen, dass der Gegen- stand weiter entfernt sei. Merkwfirdig war es aber dab@ dass, wenn ich sie aufforderte, schneli nach dem Gegen- stand, tier sich in einer Entfernung yon 20 bis 30 cm be- land zu greifen, Sie s te ts 5 bis 10 em vor das Object fassten, w~hrend sie mit dem normalen Auge allein das

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eine ~[~I etwas vor; das andere Nal etwas hinter den fixirten Gegenstemd tasteten. Diese Wahmehmung beweist, dass bei e in igen P e r s o n e n nieht die bewusste Vorstellnng yon der vermeintliehen Entfernung die Innem~ation der )ttlskeN beim Tasten besthnmt, sondern dass ein anderer, unbewusster Verband zwisehen der Innervation der Arm- nmskeln und der Augenmuskeln besteht; es liegt wieder am n~chsten~ dafiir die Empfindung tier ConYergenz nnd Aeeommodationsimpulse als wirksames Moment. anzunehmen. Die Beobaehtungen in diesen beiden FNlen werden mieh ~eranIassen, eine grosse Zahl yon Indi~iduen in dieser Riehtung zu mltersachen~ wortiber ieh sp~.ter berichten werde. Ieh habe iibrigens hie bes t r i t t en , dass es solehe F~lle geben kgnne~ ~ie FSrster sie mitgetheilt hat, ieh habe nnr daran gezweifelt~ ob nicht eine Verwechstung mit dem Sehen in Zerstreuungskreisen vorlag~). Wet die Mikropie so atfffallend zusammen mit kleinerer Entfernung wahmimmt wie ieh, wird meinen Zweifel verstehen. An& D o n d e r s sah die Mikropie mit kleinerer Entfernung ein- hergehen and eitirt nur naehher, dass sie ~ueh mit der Vorstellnng grSsserer l~ntf?rnnng zusammen gehen kanu (Fgrster). Wie gesagt nimmt die Theori% wie ich sie modifieirt habe, diese P~ille leieht in sieh a~ff.

Bei meiner Untersuehung der Mikropie und 5:[akropie babe ich absiet~tlich jene Experimente unerwi~hnt gelassen~ welehe uns lehren, dass die ferner als der Fixationspunkt gelegenen Objeete ein wenig zu klein, diejenigen welehe dem Beobaehter n~ther liegen, etwas zu gross ges&~tzt werden. Ieh habe diese Fiille nieht mit eil~bezogen, well

~) Auch die Einrichtung der Versuche yon Sachs, wobei eine Nadelspitze als 0bjeet gewahlt ist, seheint m~r Verwirrung m6glich zu machen: Erstens ist es sc.hwierig~ an einer solchma Spitze z~t beur- theilen, ob Mikropie besteht, und zweitens sieht der Kern der ~n Zerstremmgskrei~en gesehenen NadeI, besollders bei sehr weiter Pu- pille wie eine feinere ~(adel ntis.

Nachtr. zu m. Aufs. : Znr Kennmiss der Mikropie u. Makropie. 95

bier keine sch~rfen Netzhautbilder bestehen und weitere Versuche nothwendig sind~ um festzustellen, welche Ein- flttsse bier wirks~m sind. Uebrigens will ich schon jetzt racine Meimmg mittheilen, dass die yon P a n u m gegebene Erkl~rung mir die richtige scheint. Eine solche Erkl~rung schliesst gar nicht ein~ dass wit dann alles in e ine r E b e n e sehen mttssen, wie S a c h s s~gt; ein g e r i n g e r e r Unter- schied in der Entfernung heisst doch noch nicht gar ke in Unterschied.

Uebrigens h~tte S gchs besser gethan, diese Erscheinung bier gar nicht heranzuziehen, denn mit seinem Versuch zur Erklgrung der Mikropie durch Accommod~tionsparese hat dieselbe nichts zu thun; es macht ~uf reich den Eindruck, ~ls ob ein zweiter Erkl~rungsversuch mit dem ersteren vermischt werde. Denn die erste ,physiologische Mikropie" ist ein Kleinsehen der n~heliegenden Gegenst~nde: die Mikro- pie hebt hier den Einfluss des grosseren Netzh~utbildes ngch S a c h s auf; die zweite Sorte physiologischer Mikropie ist aber eine Mikropie der welter als der Fix~tionspunkt liegenden und also auch in Zerstreuungskreisen gesehenen Gegenst~nde: und um diese zu erklgren dt i r t S a c h s die bekannte He r ing ' s che Bcweisftihrung. Dann geht er ~ber welter und sagt: ,,dass a]s Maass ~ller Dinge die Netzhaut zu betrachten ist, ein Maassstgb, der schrumpf~ und sich ausdehnt" u. s .w . Ntm will es mir ~ber scheinen, d~ss diese zwei Erklgrungsversuche niema]s zus~mmen gehen kSnnen; entweder die ,Impulse" yon S a c h s oder die Theorie des sich ~nderncten Maassstgbes~), aber beide zugleich

~) Auch die Theorie des sich ~ndernden Maassstabes bietet viel Unverstandliches: So ssgt S~chs S. 100 1. c. ,,well das mit der An- naherung einhergehende Wachsen des Netzhautbildes compensirt wird durch das Schrumpfbn des Maassstabes"~ diese Compensation ist mir nicht klar; ein kleineres Maass wtirde doch in dem grSsseren Bilde eiae gr6ssere Anzahl yon ~[alen ausgemessen werden k6nnen ? Das wiirde nach S a c h s doch heissen, Wahrnehmung eines viel g r ~ s s e r e n 0bjectes! Und die GrSsse soll dieselbe sein.

96 W. Koster Ozn., Nachtrag z. m. Aufs. : Z. Kennm. d. Mikropie etc.

scheinen mir unvereinbar. Denn jede Theorie fiir sich versucht das wahrgenommene Netzhantbild auf die richtige GrSsse zu bringen. Oder in°e ich hier Yielleicht und meint Sachs , dass die ,,Impulse" die @riSsse des ~aassstabes bestimmen? Dann bedanre ich dies arts dem Mitgetheilten nicht entnehmen zu kSnnen.

,Nach jedem einzelnen Momente wird," nach Sachs , die Summe alles Oesehenen mit demsdben Maassstabe ge- messen. Das heisst also, dass gleige Netzhau%ilder ii~ diesem Falle die gorstellung yon gleieher Or~Ssse der ent- sprechenden Gegenstgnde erwecken? Ein kleiner I-tund in 1 m u n d ein zehnfach grSsseres Pferd in 10 m Entfernung sollen mir gleich scheinen? Nein, davon ist bei mirn ie die Rede~ wie genau ich auch eins yon Beiden fixire. So- gar wenn ieh die Netzhautbilder nngetghr zusammenfallen tasse, sehe ich die Gr~Sssen ungefghr so wie die VerhNt- nisse wirklich sin& Die Mikropie oder Makropie &s in Zerstremmgskreisen wahrgenommenen Gegenstandes ist bei mir nur sehr gering. Giebt es Individuen, wo wirklich etwas Derartiges zutrifft, wie das was Sachs uns vorfiihrt, so muss die Empfindung des Raumes eine individueI1 sel~r versehiedene sein~ nnd ich k~Snnte diese so wmfig Begih> stigten bedauern, wie die Farbenblinden, die den Reichthum unserer wechselnden Lichtempfindungen entbehren.

Ieh htttte noeh vide Bemerkungen zu dem Aufsatze yon Sachs zu machen; abet ieh wiirde damit in Wieder- holungen verf~llen und nut noeh eimnal zeigen, wie wenig befriedigend far reich die E[ering'sche Themie der Raum- vorstellungen ist. Ieh will daher darauf verzichten und sehliesse mit dem Ausdru& der Itoffnung, dass Sachs bei weiterer Ueberlegnng die yon mir modifieirte Donders 'sehe I-Iypothese in geMssem Sinne wohl annehmbar finden werde, da er doeh die LSsung des Problems tier 3fikropie in der- selben Riehttmg angestrebt hat.