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Schwerpunkt Nationale Versorgungs- leitlinie Asthma – Was ist neu aus Sicht der Allgemeinmedizin Antonius Schneider 1 und Wilhelm Niebling 2 1 Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg 2 Lehrbereich Allgemeinmedizin, Medizinische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Hintergrund Im Kontext der Implementierung struk- turierter Behandlungsprogramme zeig- te sich zunehmend die Notwendigkeit, einen die Fachgesellschaften übergrei- fenden Konsens in der Behandlung der wichtigsten Erkrankungen zu erzeugen. Ein entscheidender Schritt hierzu ist die Entwicklung von Nationalen Versor- gungsleitlinien zu den Erkrankungen, die aufgrund einer hohen Prävalenz, re- levanter Beeinträchtigungen von Ge- sundheit und Lebensqualität sowie ent- sprechenden Behandlungskosten am meisten zur Gesamtmorbidität in der Bevölkerung beitragen. Zum gesund- heitspolitischen Hintergrund, Entwick- lungsprozess und Methodik der Natio- nalen Versorgungsleitlinien sei auf den Beitrag von Kopp, Lelgemann und Ol- lenschläger in diesem Heft verwiesen. Entsprechend dem Gutachten des Sachverständigenrates für die konzer- tierte Aktion im Gesundheitswesen 2000 gehören Asthma bronchiale und COPD zu diesen Erkrankungen [1]. Die Prävalenzschätzungen liegen bei 6% der Gesamtbevölkerung [2]. Zur Präva- lenz in deutschen Hausarztpraxen lie- gen keine belastbaren Daten vor. Eine Stichprobe in der Region Rhein-Neckar ergab eine Praxisprävalenz von eben- falls 5% [3]. Im Rahmen der Versorgungssteuerung ist der Hausarzt in der Regel der erste Ansprechpartner für gesundheitliche Probleme, vor allem im Anfangssta- dium, wenn die Ursachen der Be- Zusammenfassung Die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Asthma wurde in einem fachübergreifen- den Konsens erarbeitet und bildet somit ein Novum in der Darstellung der optima- len Versorgung von Patienten mit Asthma bronchiale in Deutschland. Unter Mit- beteilung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) wurden die wichtigsten evidenz- basierten Handlungsgrundlagen erarbeitet. Die Umsetzbarkeit dieser Leitlinie im haus- ärztlichen Praxisalltag wird anhand der für die Allgemeinmedizin bedeutsamsten Kapi- tel diskutiert. Hierbei kann gezeigt werden, dass die Leitlinie zahlreiche praxisrelevante Hinweise für das hausärztliche Manage- ment von Patienten mit Asthma bronchiale bietet. Für eine Neufassung wäre die Auf- bereitung von Evidenzstufen, mit denen die Empfehlungen hinterlegt werden sollten, wünschenswert. Hierdurch wäre eine noch sicherere Entscheidungsgrundlage für die Hausärzte im Praxisalltag möglich. Beson- ders hilfreich sind die Implementierungs- hilfen auf der Website der NVL Asthma. Die Entwicklung der NVL Asthma setzt einen Meilenstein in der fächerübergreifenden Kooperation, die zur Verbesserung der Ver- sorgung von Patienten mit Asthma bron- chiale beitragen kann. Insofern ist eine kontinuierliche Betreuung und Weiterent- wicklung in dieser Form von hoher Bedeu- tung, um längst überflüssige Schranken in der Patientenversorgung aufzulösen und dadurch die Behandlungsprozesse zu opti- mieren. Sachwörter: Asthma – Leitlinien – Allge- meinmedizin – Disease Management The National Disease Management Guideline for Asthma – What’s New from the Point of View of General Practice Summary The National Disease Management Guide- line for Asthma was developed through a consensus process that involved different medical societies, thus constituting a nov- elty in the improvement of the care for asthma patients in Germany.The German Association of General Practitioners (DEGAM) also participated in the develop- ment of the asthma guideline. Along with those chapters of the new guideline that are most important to primary care physi- cians, its implementation in general prac- tice will be discussed. The guideline offers many relevant aspects for the management of asthma in general practice. In future edi- tions, the levels of evidence underlying the statements about diagnosis and therapy should be more elaborate, thus providing more concise decision aids for physicians in daily practice. In particular, the implemen- tation aids on the guideline’s website could be used to translate the content of the guidelines into practice. Continuous quality improvement and the further development of the implementation process would be most important steps for overcoming the cross-sectoral barriers of the German healthcare system and thus optimizing the quality of care. Key words: asthma – guideline – general practice – disease management 419 ZaeFQ Z. ärztl. Fortbild. Qual. Gesundh.wes. (2006) 100; 419–423 http://www.elsevier.de/zaefq

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SchwerpunktNationale Versorgungs-leitlinie Asthma –Was ist neu aus Sichtder AllgemeinmedizinAntonius Schneider1 und Wilhelm Niebling2

1 Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg2 Lehrbereich Allgemeinmedizin, Medizinische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität

Freiburg i. Br.

Hintergrund

Im Kontext der Implementierung struk-turierter Behandlungsprogramme zeig-te sich zunehmend die Notwendigkeit,einen die Fachgesellschaften übergrei-fenden Konsens in der Behandlung derwichtigsten Erkrankungen zu erzeugen.Ein entscheidender Schritt hierzu ist dieEntwicklung von Nationalen Versor-gungsleitlinien zu den Erkrankungen,die aufgrund einer hohen Prävalenz, re-levanter Beeinträchtigungen von Ge-sundheit und Lebensqualität sowie ent-sprechenden Behandlungskosten ammeisten zur Gesamtmorbidität in derBevölkerung beitragen. Zum gesund-heitspolitischen Hintergrund, Entwick-lungsprozess und Methodik der Natio-nalen Versorgungsleitlinien sei auf denBeitrag von Kopp, Lelgemann und Ol-lenschläger in diesem Heft verwiesen.Entsprechend dem Gutachten desSachverständigenrates für die konzer-tierte Aktion im Gesundheitswesen2000 gehören Asthma bronchiale undCOPD zu diesen Erkrankungen [1]. DiePrävalenzschätzungen liegen bei 6%der Gesamtbevölkerung [2]. Zur Präva-lenz in deutschen Hausarztpraxen lie-gen keine belastbaren Daten vor. EineStichprobe in der Region Rhein-Neckarergab eine Praxisprävalenz von eben-falls 5% [3].Im Rahmen der Versorgungssteuerungist der Hausarzt in der Regel der ersteAnsprechpartner für gesundheitlicheProbleme, vor allem im Anfangssta-dium, wenn die Ursachen der Be-

ZusammenfassungDie Nationale Versorgungsleitlinie (NVL)Asthma wurde in einem fachübergreifen-den Konsens erarbeitet und bildet somitein Novum in der Darstellung der optima-len Versorgung von Patienten mit Asthmabronchiale in Deutschland. Unter Mit-beteilung der Deutschen Gesellschaft fürAllgemeinmedizin und Familienmedizin(DEGAM) wurden die wichtigsten evidenz-basierten Handlungsgrundlagen erarbeitet.Die Umsetzbarkeit dieser Leitlinie im haus-ärztlichen Praxisalltag wird anhand der fürdie Allgemeinmedizin bedeutsamsten Kapi-tel diskutiert. Hierbei kann gezeigt werden,dass die Leitlinie zahlreiche praxisrelevanteHinweise für das hausärztliche Manage-ment von Patienten mit Asthma bronchialebietet. Für eine Neufassung wäre die Auf-bereitung von Evidenzstufen, mit denen dieEmpfehlungen hinterlegt werden sollten,wünschenswert. Hierdurch wäre eine nochsicherere Entscheidungsgrundlage für dieHausärzte im Praxisalltag möglich. Beson-ders hilfreich sind die Implementierungs-hilfen auf der Website der NVL Asthma. DieEntwicklung der NVL Asthma setzt einenMeilenstein in der fächerübergreifendenKooperation, die zur Verbesserung der Ver-sorgung von Patienten mit Asthma bron-chiale beitragen kann. Insofern ist einekontinuierliche Betreuung und Weiterent-wicklung in dieser Form von hoher Bedeu-tung, um längst überflüssige Schranken inder Patientenversorgung aufzulösen unddadurch die Behandlungsprozesse zu opti-mieren.

Sachwörter: Asthma – Leitlinien – Allge-meinmedizin – Disease Management

The National DiseaseManagement Guidelinefor Asthma – What’s Newfrom the Point of Viewof General Practice

SummaryThe National Disease Management Guide-line for Asthma was developed through aconsensus process that involved differentmedical societies, thus constituting a nov-elty in the improvement of the care forasthma patients in Germany.The GermanAssociation of General Practitioners(DEGAM) also participated in the develop-ment of the asthma guideline.Along withthose chapters of the new guideline thatare most important to primary care physi-cians, its implementation in general prac-tice will be discussed.The guideline offersmany relevant aspects for the managementof asthma in general practice. In future edi-tions, the levels of evidence underlying thestatements about diagnosis and therapyshould be more elaborate, thus providingmore concise decision aids for physicians indaily practice. In particular, the implemen-tation aids on the guideline’s website couldbe used to translate the content of theguidelines into practice. Continuous qualityimprovement and the further developmentof the implementation process would bemost important steps for overcoming thecross-sectoral barriers of the Germanhealthcare system and thus optimizing thequality of care.

Key words: asthma – guideline – generalpractice – disease management

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schwerden noch unklar sind. Daherwerden in der Hausarztpraxis zumeistdie ersten diagnostischen Weichen ge-stellt. Darüber hinaus obliegt demHausarzt die Langzeitbetreuung vonPatienten, so dass das „Managementder Gesamtmorbidität“ ebenfalls in derHausarztpraxis stattfindet. Aufgrunddieser anspruchsvollen Aufgaben zu Di-agnostik, Therapie und Langzeitbetreu-ung, die sich vor allem im ländlichenRaum oder beispielsweise bei Patientenim Altenheim meist nur schlecht dele-gieren lassen, ist die NVL Asthma vonbesonderer Relevanz für die Allgemein-medizin. Die Anwendbarkeit dieser Leit-linie muss sich daher insbesondere ander Umsetzbarkeit in der Hausarzt-praxis prüfen lassen. Die wesentlichenEckpunkte für das hausärztliche Ma-nagement bei Asthma bronchiale wer-den in den Kapiteln Diagnostik, Thera-pie, Prävention, Rehabilitation undVersorgungskoordination aufgegriffen.Die Kernaussagen dieser Kapitel undihre Relevanz für die hausärztliche Ver-sorgung werden im Folgenden aufge-zeigt.

Diagnostik

Hilfreich ist insbesondere der abgestuf-te diagnostische Algorithmus, der dashausärztliche Handeln adäquat abbil-det (Abb. 1). Erstmalig wird hier ver-bindlich dargestellt, dass die Spiro-metrie das entscheidende Verfahren imRahmen der Erstdiagnostik darstellt.Dies mag einerseits banal anmuten, daes in allen nationalen und internatio-nalen Leitlinien konsentiert ist [4]. Un-geachtet dessen wird die Spirometriehäufig nicht praktiziert, sondern eswird ohne gesicherte Diagnose ex ju-vantibus therapiert [3]. Die Gründehierfür sind vielgestaltig, so u. a. dieQualifizierung und notwendige Schu-lung von ärztlichem und nichtärzt-lichem Praxispersonal, Anschaffungund Wartung der entsprechenden Ge-räte sowie der Zeitaufwand zumindestder erstmaligen Untersuchung. Bei nurgeringer Vergütung wird dieses Dia-gnostikum meist nicht regelhaft in denPraxisablauf implementiert. Die Spiro-metrie ist aber eine conditio sine qua

non für Diagnostik und Monitoring vonPatienten mit obstruktiven Atemwegs-erkrankungen.Die Bedeutung der Bodyplethysmogra-phie für die Diagnostik bei Asthmabronchiale bleibt jedoch unklar. Diesebietet zwar Vorteile in Bezug auf dieBestimmung von mitarbeitsunabhängi-gen Parametern wie intrathorakalesGasvolumen oder Atemwegswider-stand. Diese Parameter sind jedoch fürdie Diagnostik von Asthma bronchialevon nachrangiger Relevanz. Das zentra-le und auch international konsentierteKernelement der Diagnostik ist derNachweis einer reversiblen Atemwegs-

obstruktion anhand der Einsekunden-kapazität FEV1 und des Tiffeneau-Quo-tienten FEV1/VC [1, 5] – und dies ist mitder Spirometrie erfassbar. Wünschens-wert wären im Rahmen einer (ohnehinregelmäßig vorgesehenen) Überarbei-tung Hinweise, bei welchen besonde-ren Situationen die Durchführung einerBodyplethysmographie indiziert ist,nicht zuletzt mit dem Ziel, die hausärzt-liche Versorgungskoordination zu er-leichtern. Formulierungen wie „instabi-les Asthma“ und „für besondere Frage-stellungen“ erscheinen hier wenig hilf-reich. Unklar bleibt auch, zu welchemZweck bzw. zu welchem Zeitpunkt

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Abb. 1. Diagnostischer Algorithmus der NVL Asthma.

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eine allergologische Stufendiagnostikdurchgeführt werden soll. Die Datenla-ge zur spezifische Immuntherapie (SIT)als therapeutischer Konsequenz ist in-konsistent, so dass diese nicht generellempfohlen werden kann [6]. Sie bieteteinerseits Vorteile im Hinblick aufSymptom- und Medikamentenreduk-tion, andererseits ist der Benefit gegen-über anderen therapeutischen Optio-nen noch unklar [7]. Abramson et al.kommen zum Schluss, dass eine SIT beiallergischem Asthma in Betracht gezo-gen werden sollte, wenn ein unver-meidbares klinisch relevantes Allergenidentifiziert werden kann [7]. Es bleibtunklar, wie bei polyvalenten Allergienverfahren werden sollte, vor allemwenn die Nebenwirkungen der SIT, wiez. B. anaphylaktischer Schock, in Be-tracht gezogen werden. Ebenso wün-schenswert für die „zweite Auflage“wären evidenzbasierte Bewertungendiagnostischer Verfahren, da diese inder aktuellen Version fehlen. So wirdetwa für die Diagnose von Asthmabronchiale eine Änderung von FEV1 um15% im Bronchodilatationstest gefor-dert (in Abgrenzung zur COPD). ImWiderspruch dazu findet sich in denmeisten (internationalen) Leitlinien eincut-off von 12% [5]. Die Bedeutungdieser arbiträren Wahl des cut-off-Wer-tes ist unklar, da diagnostische pro-gnostische Studien hierzu fehlen.

Therapie

Ein weiterer wichtiger Meilenstein istdie verbindliche Formulierung einer ab-gestuften Therapie, die ein zentralesElement der NVL Asthma darstellt(Abb. 2). Insbesondere die Gabe von in-halativen Corticosteroiden (ICS) abAsthma Stufe 2 stellt ein wichtiges Sig-nal für die Optimierung der Therapiedar, da hier eine Unterversorgung zuvermuten ist [8, 9]. Auch die Gewich-tung der Therapieoptionen in der Stufe3, bei Kindern auch in Stufe 2, ist fürden Hausarzt hilfreich, da hier die Me-dikation mit der höchsten Evidenzstufein Bezug auf die Wirksamkeit auch derkosteneffizientesten Therapie ent-spricht. Somit werden therapeutischeOptionen relativiert, die bei geringerem

Wirksamkeitsnachweis häufig auchteuerer sind.Problematisch bleibt jedoch, dass keineweitere Differenzierung der ICS vorge-nommen wird, die in ihrer Wirksamkeitunterschiedlich belegt sind. Gelistetwerden Beclometason, Budenosid, Flu-ticason, Ciclesonid und Mometason.Ciclesonid zeigte sich in dreimonatigenStudien im Hinblick auf die Nebenwir-kungen, wie z. B. Mundsoor, überlegen;Langzeitstudien stehen jedoch nochaus [10–12]. Mometason soll geringeresystemische Nebenwirkungen haben[13], wobei auch hier Langzeitstudienfehlen. Diese beiden Präparate sind je-doch bis zu dreimal teuerer als ältereSteroide, die in der Wirksamkeit auchin Langzeitstudien belegt sind und alsGenerika erhältlich sind. Dement-sprechend wird die Verschreibung vonCiclesonid und Mometason auch nichtvon der Risikostrukturausgleichsverord-

nung (RSAV) für das DMP Asthmabronchiale [14] gestützt. Bei der RSAVhandelt es sich um einen Gesetzestext(Sozialgesetzbuch, SGB V), der die Vor-gaben für DMPs in Bezug auf Diagnos-tik und Therapie verbindlich regelt.Durch diese Verbindlichkeit, die sichauch auf die Medikation bezieht, hätteder Hausarzt mit Regressforderungenzu rechnen, falls er sich nicht an dieRSAV-Vorgaben hält. Einen Ausweg fürdiesen Entscheidungskonflikt bietet derFlyer für die Kitteltasche, der dem Arztdurch ein „Ranking“ hilfreiche „Mini-Empfehlungen“ gibt (www.versor-gungsleitlinien.de/themen/asthma). InZeiten knapper Ressourcen ist dieHausärzteschaft, die einen wesent-lichen Teil der Arzneimittelverordnun-gen verantworten muss, auch auf valideInformationen zur Wirtschaftlichkeitvon Empfehlungen zur Arzneimittel-therapie angewiesen.

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Abb. 2. Stufentherapie nach der NVL Asthma.

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Hilfreich für das hausärztliche Manage-ment ist das Kapitel zu den Maßnah-men mit unzureichendem oder fehlen-dem Wirksamkeitsnachweis. Zumindestin der Kommunikation mit dem Patien-ten kann sich der Hausarzt nun auf eineoffizielle Stellungnahme berufen.Die nichtmedikamentösen Maßnahmensind umfassend dargestellt. Insbe-sondere die Notwendigkeit der Schu-lung wird mit der Formulierung „jederPatient … muss daher zeitnah … Zu-gang zu einem strukturierten, evaluier-ten, … Schulungsprogramm haben“gewürdigt. Die optimale Schulung desPatienten mit Führen eines Asthmata-gebuches und individuellem Notfall-plan stellt eine der wichtigsten lebens-verlängernden nichtmedikamentösenMaßnahmen dar [15]. Da Asthma-Schulungen bislang immer noch nichtflächendeckend verfügbar sind, kommtdiesem Passus eine besondere Bedeu-tung zu.

Prävention undRehabilitation

Diese beiden Kapitel sind prägnant undknapp dargestellt und enthalten diewesentlichen Elemente für die haus-ärztliche Arbeit. Bei der Primärpräven-tion sind die Evidenzstufen hinterlegt,namentlich bei der Empfehlung zumStillen und zu den negativen Effektendes (Passiv-)Rauchens. Im Kapitel Re-habilitation sind insbesondere die Nen-nungen der Indikationen hilfreich, wo-bei der Evidenzgrad dieser Empfehlun-gen unklar bleibt, bzw. die Unklarheitnicht benannt wird. Das Kapitel Reha-bilitation wird in der aktuellen Ausgabeeingehend anderenorts besprochen[16].

Versorgungskoordination

In diesem Teil sind die wesentlichenhausärztlichen Aufgaben dargestellt.Ein entscheidender Passus, in dem dieherausragende Rolle des Hausarztes of-fensichtlich wird, ist die Formulierung„Die Langzeitbetreuung des Patientenund deren Dokumentation im Rahmeneines strukturierten Behandlungspro-

gramms erfolgt grundsätzlich durchden Hausarzt.“ Die angegebenen Über-weisungskriterien geben die Möglich-keiten im deutschen Gesundheitswesenwider. Hierzu können keine Evidenzgra-de angegeben werden, da die Sinnhaf-tigkeit im Kontext der Gestaltung desGesundheitswesens zu sehen ist undnicht auf Studiengrundlagen beruht.Auch die anderen Unterkapitel, wiezum Beispiel Einweisung in das Kran-kenhaus, geben klinisch sinnvolle Krite-rien wider, ohne dass dies mit Studienuntermauert werden kann. Letztlichhandelt es sich hier um einen von denFachgesellschaften getragenen Kon-sens, wie er auch in der RSAV zum DMPAsthma bronchiale zu finden ist [14].

Diskussion

Die NVL Asthma bronchiale wurde un-ter Leitung des Ärztlichen Zentrums fürQualität in der Medizin (ÄZQ), derBundesärztekammer und der Kassen-ärztlichen Bundesvereinigung in Ko-operation mit der ArbeitsgemeinschaftWissenschaftlich Medizinischer Fachge-sellschaften (AWMF) erstellt. Das her-ausragende Novum ist, dass dies unterfachgesellschaftenübergreifender Be-teiligung erfolgte, also auch unter Mit-wirkung der Deutschen Gesellschaft fürAllgemeinmedizin und Familienmedizin(DEGAM). Dementsprechend findensich zahlreiche handlungsrelevanteAussagen zur hausärztlichen Tätigkeit.Insbesondere der Notwendigkeit einerStufendiagnostik wird Rechnung getra-gen, die letztlich die einzige Gestal-tungsmöglichkeit einer sinnvollen Diag-nostik im Gesundheitswesen darstellt[17]. Besonders hilfreich sind auch dieDarstellung der optimalen Stufenthera-pie und das Aufzeigen von therapeuti-schen Maßnahmen mit fehlendem Nut-zennachweis.Allerdings werden häufig die Angabenzu Evidenzstufen empfohlener diagnos-tischer und therapeutischer Maßnah-men vermisst. Alternativ wäre auch ei-ne klare Benennung hilfreich, zu wel-chen Maßnahmen die entsprechendeEvidenz fehlt. Dem Hausarzt kommt fürdie Versorgungssteuerung eine immerzentralere Rolle zu; und die sich immer

anspruchsvoller entwickelnden Anfor-derungen an Diagnostik und Therapiestoßen zunehmend an die Grenzen derRessourcen, wie sich dies auch ander aktuellen Bonus-Malus-Diskussionzeigt. Entsprechend dieser schwerenAufgabe der Balancierung von indivi-duellen Bedürfnissen und gesellschaft-licher Ressourcenverantwortung wäreeine klare Benennung der Evidenzstu-fen zu den Medikamenten für die Haus-ärzte besonders hilfreich gewesen. Diesfällt insbesondere dort auf, wo sich dieTherapieoptionen der Leitlinie nichtvollständig im Rahmen des DMP Asth-ma bronchiale realisieren lassen. Dieübrigen Empfehlungen zum Manage-ment der Patienten mit Asthma bron-chiale, wie z. B. Schulungen und Versor-gungskoordination, decken sich weit-gehend mit den Vorgaben der RSAVzum DMP Asthma, so dass hier einehilfreiche Unterstützung für den Praxis-alltag gegeben ist.Den Bedürfnissen nach einem optima-len Praxismanagement wird mit denImplementierungshilfen auf der Web-site der NVL Asthma (www.versor-gungsleitlinien.de/themen/asthma)entgegengekommen, die als kosten-freie downloads Patientenmaterialien(Asthma-Tagbuch, Notfallplan, patien-tengerechte Informationen), eine „Leit-linien-Kitteltaschenversion“ und Fort-bildungsmaterialien enthält. Zusam-menfassend ist festzuhalten, dassdurch den übergreifenden Konsens eingroßer Schritt in die richtige Richtunggemacht wurde [18]. Die Chance, ge-meinsam voran zu kommen, bietet sichbei einer Neuauflage, in der die ge-nannten Probleme noch aufgearbeitetwerden sollten.

Schlussfolgerungen

• Die NVL Asthma bietet als Konsens-leitlinie zahlreiche praxisrelevanteHinweise für den hausärztlichen Ar-beitsalltag. Die Benennung von Evi-denzstufen oder eine klare Gewich-tung der neueren Arzneimittel, derenNutzen vom Hausarzt häufig be-sonders schwierig zu beurteilen ist,wäre für den primärärztlichen Ver-sorgungsbereich hilfreich. Denn bei

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Neueinführungen wird häufig einschwer zu durchschauender „Ver-braucherdruck“ aufgebaut – nichtzuletzt auch über Pharmareferenten.

• Ein begrüßenswertes Novum ist dieBereitstellung von sehr nützlichenImplementierungshilfen, die sich alskostenlose Downloads der Websiteder NVL Asthma befinden.

• Die Entwicklung der NVL Asthma bil-det somit einen Meilenstein in derfächerübergreifenden Kooperation,die zur Verbesserung der Versorgungvon Patienten mit Asthma bronchialebeitragen kann. Eine kontinuierlicheBetreuung und Weiterentwicklung indieser Form ist von hoher Relevanz,um längst überflüssige Schranken inder Patientenversorgung zu beseiti-gen und so die Behandlungsprozes-se zu optimieren.

Die Autoren bedanken sich bei Prof. Dr.med. Joachim Szecsenyi und Dr. med.Stefanie Joos für die Durchsicht undwertvollen Hinweise bei der Erstellungdes Manuskriptes.

Literatur[1] Sachverständigenrat für die Konzertier-

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[17] Schneider A, Dinant GJ, Szecsenyi J. ZurNotwendigkeit einer abgestuften Diag-nostik in der Allgemeinmedizin als Kon-sequenz des Bayes´schen Theorems. Zärztl Fortbild Qualitatssich 2006;100:121–7.

[18] Abholz HH, Donner-Banzhoff N, Nieb-ling W. Das Konzept der NationalenVersorgungs-Leitlinie (NVL) – was be-deutet dies für die Hausärzte? Z AllgMed 2006; in press.

Korrespondenzadresse:Dr. med.Antonius SchneiderAbteilung Allgemeinmedizin undVersorgungsforschungUniversitätsklinikum HeidelbergVoßstraße 2, Gebäude 3769115 HeidelbergTel.: 06221 / 564819Fax: 06221 / 561972Email:[email protected]

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