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Multimodale Kommunikationsangebote
Neue Aufgaben für die Textlinguistik,für die Sprachtheorie und für die
Kommunikationsgeschichte
Berlin, 11. November 2014
Thomas GloningJLU Gießen
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Gliederung
A Was sind multimodale Kommunikationsangebote?
B Die Organisation multimodaler Kommunikationsangebote
C Fragen der Kompositionalität und der Konventionalität
D Principien einer Geschichte multimodaler Angebote
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A Was sind multimodale Kommunikationsangebote?
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A1 Unterschiedliche kommunikativ genutzte Ressourcen– Texte (in unterschiedlicher Funktion: Information, Navigation)– Bilder, Icons, Infographiken– Typographie, typographische Eigenschaften– Farbe– Flächennutzung, räumliches Arrangement– Dynamik ohne Nutzer-Interaktion– Dynamik mit Nutzer-Interaktion– ggf. Töne, Geräusche, gesprochener Text– ...
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A2 Orchestrierung: Koordinierte Nutzung von RessourcenElemente + Modi
Überschrift,Vorspann,FließtextNavigationVerweiseStadtplanSiglenListenFarbeTypographie
Genre/SchemaRundgang
Koordinations-techniken (Weiss: Wien, 2003, Dumont Reisetaschenbuch)
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A3 Soziale, kulturelle und biologische Grundlagena »Mode is a socially shaped and culturally given resource for making
meaning. Image, writing, layout, music, gesture, speech, movingimage, soundtrack are examples of modes used in representation andcommunication.« (Kress 2009, 54; Kursive im Original)
making meaning > kommunikativen Sinn erzeugen(oder: > kommunikatives Potential erzeugen?)
b Sinneskanäle: Sehen vs. HörenModalitäten: Fläche, Raum / Ton, Geräusch, gesprochene Sprache
Zeit, Veränderungen in der Zeit (Dynamik)c Technische Grundlagen der Nutzung/Kombination von Ressourcen
interaktive Infographiken, AnimationDigitale Angebote (Webseiten; Lern-CDs), Fernsehen (Tagesschau)
d Relativierung der Sprache als zentraler Ressource?
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A4 Multimodalität als »domain of inquiry« (Kress)a »All text is multimodal« (Kress)
Multimodalität als (alter) ErscheinungsbereichMultimodalität als (relativ junges) Forschungsgebiet
b Was sind wichtige Forschungsfragen?i. Welche kommunikativen Leistungen/Potenziale können die
unterschiedlicher Modi, z.B. Farbe, Anordnung im Raum haben?ii. Worauf beruhen diese Potenziale? (Konventionen? Was noch?)iii. Mit welchen Verfahren können Ressourcen koordiniert werden?iv. Wie verstehen Nutzer multimodale Angebote? Welche typischen
Rezeptionsweisen gibt es (z.B. Flaniermodus, zielorientierterModus)? Worauf beruht das Verstehen multimodaler Angebote?
v. Wie haben sich multimodale Kommunikationsangebote und diePraktiken ihrer Herstellung und Nutzung geschichtlich entwickelt?
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B Die Organisation multimodalerKommunikationsangebote
– Man kann die Organisation eines multimodalen Angebots beschreiben,indem man
das übergeordnete Ziel, die Funktion des Gesamtangebotsbeschreibt und dann
zeigt, welchen Beitrag die Nutzung der einzelnen Ressoucen zurFunktion des Gesamtangebots beiträgt und dann/gleichzeitig
zeigt, in welchen funktionalen Zusammenhängen die einzelnenRessourcen zueinander stehen
– Funktionsbereiche (und der Bezug von Ausdrucksmitteln)i. Thematischer Bereich, Inhalt, Sachverhaltsrepräsentationii. sprachliche Handlungen, ihre Zusammenhänge, Teilfunktioneniii. Navigation, operationale Ebene
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B1 Geolino, 2/2009 »CERN. Teilchenjagd im Untergrund«
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B2 Die CERN-Doppelseitea Zielgruppe: Kinder von 8 bis 14 Jahren (Geolino-Homepage)b Informieren über / Aufbau, Zweck, Funktionsweise des Large-Hadron-
Colliders beim CERNc Gestaltungselemente und ihre Funktionen
Haupttext thematische HauptlastFotos (erwähnte Gegenstände) veranschaulichenBildlegenden Bildinhalte erklärenInfografiken (Topo-, Erklärgrafiken) erklären, veranschaulichenPiktogramme Textteile kennzeichnenFarbschema Textteile kennzeichnenFlächennutzung und räumliches Arrangement
d Koordination u.a. über lexikalische Gelenke (gemeinsame Ausdrücke)
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B3 Haupttext und aus-/angelagerte Elemente
Geolino 06/2008 : Zeitleiste im unteren Teil
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B4 Erläuterungen – ausgelagert und farblich markiert
Geolino 2008/06, S. 30-31, Auszug
– funktional:ausgelagerteErläuterungen(auch textuelleingelagerteErläuterungen, z.B.»Notverordnung«)
– Ressourcen Farben Platzierung Flächennutzung
– farbliche Abstimmung
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B5 Zusammenspiel: Texte, Infographik, Bild(teile)
Geolino, 2009/11, S. 25, Auszug
Thema: Ansteckung(Grippe, Vogelgrippe)
– Infographik– Erklärtext zur Info-
graphik und zu ihrenTeilen
– Koordination zwischenInfographik und Text(Siglen)
– Frage desZusammenhangszwischen Bild undHaupttext
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B6 Textuelle Variation – Text/Text-VerklammerungHaupttext:"(...) Schuld an den Tücken der Grippe istihr Erreger, ein Virus, das nicht ausZellen besteht, wie andere Schädlinge -Bakterien oder Würmer. Eigentlich lebenViren gar nicht. Sie sind nichts weiter alsein paar Eiweiße mit einem StückErbgut, verpackt in einer Schutzhülle, anderen Oberfläche Dornen herausragen. [[Stellt euch einfach einen stacheligenFußball vor, der auf ein zehntausendstelMillimeter geschrumpft ist. ]]DIE GRIPPEVIREN benutzen die Dornenan ihrer Oberfläche wie Piraten ihreEnterhaken: Wenn wir ein Virus einatmen,krallt es sich damit an der Nase, demRachen und der Lunge fest. (...)"(Geolino 2009/11, S. 23f.; Herv. TG)
Abbildungslegende:"ÜBELTÄTER: DasGrippevirus ist eine winzigeKapsel, deren Inneres seineERBINFORMATIONEN (1)enthält. Dieser Kern wird voneinem EIWEISSMANTEL (2)geschützt, der wiederum vonder VIRUSHÜLLE (3)umgeben ist. Aus ihr ragenEIWEISSDORNEN (4), mitderen Hilfe der Erreger aneine menschliche Zelleandockt und in sie eindringt.(...)"(Geolino 2009/11, Seite 25,Bildlegende).
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B6 Lehrbücher / Schema Leittext + angelagerte Einheiten
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B7 Lehrbücher / Schema "Duale Reihe"
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B8 Städte-/Landschaftsporträts in Reisezeitschriften
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C Kompositionalität und Konventionalität
C1 Haben multimodale Angebote eine Bedeutung?– Wortbedeutung
Satzbedeutung (Wahrheitswertpotential; Gebrauchspotential)Textbedeutung (?)
Bedeutung multimodaler Angebote (?)– Bedeutung multimodaler Angebote als Nutzungspotenzial
Tradition gebrauchstheoretischer Konzeptionen (Wittgenstein, Alston,Heringer, Muckenhaupt, Fritz, Bucher, ...)
– UnterscheidungKommunikatives Nutzungspotenzial eines AngebotsKommunikativer Sinn bei einer bestimmten Nutzung (Pfad)
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C2 Kompositionalität und die Verstehensfragea (Partee 1984) »The compositionality principle, in its most general form,
can be expressed as follows: The meaning of an expression is a function of the meanings of its parts and of the way they are syntactically combined.(...) In its most general form, the principle is nearly uncontroversial;some version of it would appear to be an essential part of any accountof how meanings are assigned to novel sentences.But the principle can be made precise only in conjunction with anexplicit theory of meaning and of syntax, together with a fullerspecification of what is required by the relation ›is a function of‹.«
b Kompositionalität // Verstehen // Gricesche Raisonnementsc Die Kompositionalitätsfrage ist für multimodale Angebote stark
verschärft und hochgradig komplex
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C3 Das Nutzungspotenzial multimodaler Angebote ist nichtsystematisch kompositional bestimmbarWoran liegt das?
a Offenheit vieler Ressourcen (z.B. Farben, räumliche Nachbarschaft)b Offenheit und Komplexität vieler Aspekte der Koordinationc Gricesche Raisonnements als Deutungshypothesen, die auch von
Nutzervoraussetzungen abhängig sind (z.B. regelmäßigenErfahrungen mit medialen Angeboten)
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C4 Konventionalität? – Keine einheitliche Antworta Es gibt Ressourcen, deren kommunikativer Beitrag inzwischen
konventionell ist.
Friedemann Pulvermüller Quartett: Afro Blue (John Coltrane)
b Es gibt Ressourcen, deren kommunikative Beitrag in einembestimmten Angebot lokal verfestigt ist (z.B. Farben zurKennzeichnung von Ressorts in einer Online-Zeitung)
c Es gibt Ressourcen, deren kommunikativer Beitrag ad hoc erschlossenwerden muss
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D Principien einer Geschichte multimodaler Angebote
D1 Die Frage nach multimodalen Aspekten "traditioneller" Texte("all texts are multimodal", Kress)
Codex Bodmer 75, Decretum Gratiani cum glossa ordinaria (e-codices)
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D2 Einige Grundfragena Wie haben technische Neuerungen neue multimodale Optionen
eröffnet?Welche kommunikativen Spielräume und Nutzungsmöglichkeiten
wurde damit eröffnet?Wie und wann wurden diese Spielräume genutzt (oder nicht
genutzt)?b Wie lässt sich die Geschichte einzelner Ressourcen und ihrer
kommunikativen Nutzung beschreiben?c Wie haben sich Formen und Verfahren der Koordination von
Ressourcen historisch entwickelt?d Wie haben sich multimodale Profile einzelner Textsorten entwickelt
(z.B. Multiodalisierung von Lehrbüchern, von Zeitungen)?
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D3 Beispiel I: Bamberg, Msc. Med 6 (12. Jh.)
Tractatus descemate humano
mit
"Infographik"
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D4 Beispiel II: Thurneyssers Kräuterbuch (1578)
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Verräumlichung syntaktischer Strukturen und von Lesepfaden
(Thurneysser, Ausschnitt)
– graphische Elemente: Klammern, IconsAspekte des räumlichen Arrangements
– syntaktische Zusammenhänge/Lesepfade räumlich visualisieren
Mskr.: Textkomposition und Multimodalität in Thurneyssers Buch über dieErdgewächse (1578). Eine Erkundung (2014)
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D5 Beispiel III: Schreibkalender des 17./18. Jhs.
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Schreibkalender: Ressourcen und ihre Nutzunga Ressourcen
TextFarbeTypographieFlächenaufteilung und räumliches Arrangement, LinienIcons
b "VOriges Jahr haben Wir in diesem kleinern Spatio tractirt undgehandelt/ von ... Nun folget ..."
c Text/Icon-Konstellationen für komprimierte Informationen, welcheHandlungen an welchen Tagen am besten/risikolos zu vollziehen sind
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Wie lernt man die Bedeutung der Icons?– z.B. links unten: "Gut Artzney einnehmen / Purgieren/ "– Zwei Handlungen, zwei Zeichen: Wie deuten wir das Arrangement?– Grundlage? Woher kommt ggf. die Übereinstimmung?
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E Zusammenfassung und Ausblick1 Multimodalität als (alte) Erscheinung und als (relativ) neuer
ForschungsbereichWie beschreibt man die Angebote und ihre Organisation?Kompositionalität? Konventionalität? Fragen des Verstehens
2 Fragen der Beschreibungs- und Analysemethodenübergeordnete Funktionen – Ressourcen und ihr kommunikativer
Beitrag – das funktionale Zusammenspiel von Ressourcen3 Heute nur sparsame Hinweise auf Theorieansätze (u.a. funktionale)4 Die Frage nach der historischen Entwicklung multimodaler Angebote,
nach den Prinzipien und der Agenda einer historischenMultimodalitätsforschung