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Freund 75 Freund 23 Freund 263 Freund 106 Freund 345 Freund 263 ALWAYS ON Nutzen und Preis der digitalen Vernetzung KEINE 1.000 FREUNDE Interview mit Dr. Catarina Katzer NR. 21 AUG/2013

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AlwAys on nutzen und Preis der digitalen Vernetzung

Keine 1.000 Freunde interview mit dr. Catarina Katzer

NR. 21 AUG/2013

ediToriAl

MiT HAuT und HAAren VoM neTz VersCHlungen

Liebe Leserinnen und Leser,

ununterbrochen strömt sie dahin, die Informationsflut im Internet und lässt still betrachtende Besucher, wie wir sie noch vor wenigen Jahren kannten, immer mehr zu digitalen Virtuosen werden, die die Welt im Netz als Kommunikations- und Kulturraum für sich entdeckt haben. Manchmal twittern sie nur ein wenig, manchmal netzwerken sie und manchmal lösen sie auch eine globale Massenbewegung oder Revolution aus.

Die digitale Vernetzung hat unsere Schule und Gesellschaft bereits heute verändert. Sie prägt neue Formen der Informationsverarbeitung, verändert Kulturen. Zukunftsforscher Prof. Peter Kruse spricht angesichts der Menschenmassen, die sich auf virtuellen sozialen Plattformen organisieren, gar von einer ersten großen Völkerwanderung im digitalen Zeitalter. So schnell, wie ein Randthema in sozialen Netzwerken in die Mitte der Gesellschaft katapultiert werden kann, so schnell kann es auch aus dem System ausgegrenzt werden. Gleiches gilt für die Personen, die sich im social media organisieren. Auf der Sonnenseite stehen Wirkmacht, Anerkennung, Zugehörigkeit und Popularität, auf der Schattenseite tun sich schmerzliche Tiefen auf, die sich in Ausgrenzung, Cybermobbing, massenhaftem Datenklau und Ausspähung manifestieren.

Damit stellt sich zum einen die Frage, welche Strategien der Informationsbewältigung angemessen und notwendig sind, um parallele Datenströme und schnelle Taktwechsel im Internet zu bewältigen und divergente Informationen zu verstehen. Ob es da ausreicht, frei schwebend durch das Internet zu streifen, um hier und da aus den Millionen einzelner Informationsbröckchen einen sinnhaften Kontext zusammenzufügen, scheint fraglich.

Zum anderen stellt sich auch die Frage nach einer neuen Ethik im Netz. Wem gehören welche Infor-mationen, wo sind Schutzräume, wie öffentlich sind vermeintlich private Plattformen und wie echt die Tränen, die im Netz geweint werden.

Das junge, wilde Internet scheint reifen zu wollen, weil seine User inzwischen auch im virtuellen Raum nach Bedeutung, Sinn, Wahrheit und Verantwortung suchen. Handlungsmaxime und Moral braucht es daher nicht nur im wirklichen Leben, denn auch das Virtuelle kann schnell zum Realen werden.

Die Redaktion der Bildung beweGt wünscht Ihnen geschützte und sichere Lesemomente, sei es mit der Bildung beweGt oder im Internet.

sabine stahlChefredakteurin

2 Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013

inHAlT

landesschulamt und lehrkräfteakademie

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10 Keine 1.000 Freunde

16 sMArTe ziele und ein MonsTerCHeCK wie Kinder durch selbst-reguliertes lernen Verant-wortung übernehmen

4 AlwAys on nutzen und Preis

der digitalen Vernetzung

ediToriAl

Mit Haut und Haaren vom netz verschlungen ................. 2

leiTArTiKel

Always on ............................................................................... 4Nutzen und Preis der digitalen Vernetzung

nACHgeFrAgT

Keine 1.000 Freunde ........................................................... 10Interview mit Dr. Catarina Katzer

Bildung iM BliCK

smarte ziele und ein MonstercheckWie Kinder durch selbstreguliertes Lernen Verantwortung übernehmen ............................................ 16

lehrkräftefortbildung und schulberatung in Hessen .................................................. 20

Kriterien zur Analyse und Bewertung vonlehrwerken für den Fremdsprachenunterricht Arbeitshilfen für Fachschaften ........................................ 22

dialogisches lernen im deutschunterricht .................... 26

schulforschung: was uns Hattie (nicht) sagen will .................................... 28

erForsCHT und enTwiCKelT

interaktive whiteboards im schulunterricht Der Stand der Forschung ................................................... 29

PinBoArd 32

Adressen & AnsPreCHPArTner 35iMPressuM

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„Im Innersten versteckt ist der emotionale Reflex, ausgelöst durch das Verhalten anderer. er findet sich nahezu überall bei höheren tieren. In der Mitte liegt die empathie, die Fähigkeit, die emotionen eines anderen einzuschätzen, einschließlich seiner Gründe. Menschenaffen seien dazu in der Lage und Menschen. Die äußerste Schicht ist die Kunst, in vollem Umfang die Perspektive eines anderen einzunehmen. Nur sie ist exklusiv menschlich.“ (Richard David Precht, 2008)

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Jugendliche verbringen beinahe die Hälfte der Zeit, die sie sich im Internet aufhalten, damit, mit-

einander zu kommunizieren. Viele su-chen täglich ihre Online-Communities auf, um sich auf dem Laufenden zu halten. Soziale Plattformen, wie Face-book, SchülerVZ oder Twitter, zählen daher inzwischen zu den attraktivsten Anwendungen im Netz. Rund drei Viertel der Schülerinnen und Schüler organisieren sich über die Plattform Facebook, die in Deutschland die meistgenutzte Community darstellt1 (JIM 2012). Schülerinnen und Schüler stellen dort ihre Fotos und Videos ein, senden sich Nachrichten oder posten, was sie gerade so treiben. Dabei ent-steht eine soziale Vernetzung riesigen Ausmaßes, die ganze Kontinente um-spannt. Längst steht nicht mehr die technische Seite der digitalen Verbin-dung im Vordergrund, sondern die so-ziale Vernetzung.

Und diese soziale Konnektivität ist sehr wirkmächtig. Sie folgt dem Prinzip, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Je mehr Menschen sich also in sozialen Kontexten digital vernetzen, desto wertvoller wird der Gebrauchswert. Und zwar für die Indi-viduen selbst, die sich darin organisie-ren, aber auch für andere Interessierte. Nicht ohne Grund haben einige Firmen gigantische Rechenzentren etabliert, die es ihnen erlauben, Daten abzu-schöpfen, digitale Spuren zu filtern und für die Lenkung der Konsumenten oder die Entwicklung neuer Produkte zu nutzen. Wer heute Suchanfragen im Internet zu einem bestimmten Produkt startet, findet häufig kurz danach zu dem Bedürfnis passende Werbeange-bote auf seinem Bildschirm. Big Data, also das Sammeln, Auswerten und Verknüpfen von Informationen und

Daten, kann dabei helfen, bessere Vorhersagen zu Klimaentwicklungen, Pandemien, Hungersnöten oder Hoch- wassergefährdungen zu machen. Es kann aber ebenso genutzt werden, um Interessen, Haltungen oder Bedürf-nisse auszuspionieren, Produkte zu be-werben oder in Portalen und Blogs die Meinungsbildung zu beeinflussen.

Da stimmt es zumindest nachdenk-lich, dass viele Kinder noch immer sehr großzügig Informationen über sich selbst im Internet hinterlegen. Zwei Drittel stellen recht bedenken-los Fotos ein. Drei Viertel informieren

über sich selbst, ihre Hobbies. Selbst eigene Telefonnummern, Fotos, Fil-me von Familie oder Freunden wer-den eingestellt. Und dies, obwohl das Thema Datensicherheit inzwischen bei vielen Kindern angekommen ist. Laut JIM-Studie gaben immerhin 45 % der Jugendlichen an, sich in Belangen des Datenschutzes in ihrer eigenen Community weniger oder gar nicht sicher zu fühlen (JIM 2012).

die multidimensionale Kommuni- kationswelt verändert gesetzeDie Art und Weise der Vernetzung, die Datendichte und die Schnellig-keit machen das World Wide Web zu einem besonderen Instrument, dessen Konnektivität aus passiv rezipierenden Nutzern ein globales Mitmach-Medium geformt hat. Die

digitale Vernetzung der Welt schreitet unaufhörlich voran und erzeugt einen „digital lifestyle“, der auch vor der Schule nicht Halt macht. Wer sein Smartphone nur zum Telefonieren nutzt, gilt schnell als analoges Fossil. Und wer nicht ständig auf einer sozialen Plattform aktiv ist, ist schnell draußen.

Durch die Vernetzung in alle Richtungen entsteht eine andere Qualität von Kommunikation. Aus reinen Informationsmedien werden Austauschmedien, weswegen die Komplexität erheblich zunimmt. Über-sichtliche, lineare Kommunikations-

prozesse, wie in einer Gesprächssi-tuation von Angesicht zu Angesicht, werden seltener. Viele Kommuni-kationsanlässe erfolgen inzwischen im Netzwerk und damit in einem komplexen System. Ein Netzwerk aus nur fünf Personen weist 10 Ver-bindungen zwischen den Netzwerk-partnern auf, eines aus 15 Personen bereits 105 Verbindungen. Wer also auf Facebook 267 Freunde hat, der hat eine unüberschaubare Komplexi-tät geschaffen. Komplexen Systemen wohnt dabei die Eigenart inne, dass sie sich zunehmend selbstgesteuert und unabhängig verhalten, was sie für alle Beteiligten unkontrollierbar(er) macht. Dies gilt auch für die Kommuni-kation von Kindern und Jugendlichen in Online-Communities. Im Web 2.0 kann jeder Autorin oder Autor werden.

Moderne Kommunikationstechnologien avancieren zunehmend zu einem treiber für gesellschaftliche Veränderungen, politische bewegungen, für innovative Ideen und integrierte Dienstleistungen. Vor allem aber nehmen sie soziale Funk-tionen ein und prägen dadurch die Lebenswelt der Jugendlichen. Mobiltelefone oder tablet-PCs gehören praktisch zu den Alltagsbegleitern vieler Schülerinnen und Schüler. Sie nutzen die technologie, um soziale Netzwerke aufzubauen und zu pflegen. In Online-Communities suchen Jugendliche nach neuen Kontakten, sie chatten, planen die Freizeit oder füllen digitale Pinnwände. Die Verabredung nach Schulschluss wird inzwischen eher gepostet als mündlich weitergegeben, tägliche Neuigkeiten werden vom Mobiltelefon aus via APP versendet. Mit allen Vorteilen und allen Risiken der digitalen Vernetzung.

Durch die Vernetzung in alle Richtungen entsteht eine andere Qualität von Kommunikation. Aus reinen Informationsmedien werden Austauschmedien, weswegen die Komplexität erheb-lich zunimmt.

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Das macht seinen Reiz aus, das macht es zugleich aber auch gefährlich, denn jeder kann unkontrolliert alles sagen oder posten. Auf der anderen Seite stehen Informationen in einer nie da-gewesenen Menge und Schnelligkeit praktisch allen Internetnutzern sofort zur Verfügung. Die multidimensionale Kommunikationswelt ändert die Kom-munikationsgesetze, die im analogen Zeitalter galten. „Aus von Raum, Zeit und Hierarchien geordneten sozialen Verhältnissen entstehen Schwarm-Logiken. Aus Plänen und Operationen mutieren spontane Kooperationen. Interaktive Mediensysteme verändern die Spielregeln, indem sie zunächst einmal die Anzahl der möglichen sozialen Spiele gewaltig erhöhen. Sie hebeln tendenziell die Hierarchi-en aus und zerstören Kausalketten“ (ZUKUNFTS-INSTITUT 2010, S. 12).

Wie weit die Veränderung solcher Spielregeln reichen kann, hat der

arabische Frühling gezeigt. Über Facebook, Twitter und andere Social Media Tools haben sich Millionen von Menschen solidarisiert, wurden traditionelle Hierarchien und Ge-sellschaftsformen überbrückt und in atemberaubender Geschwindigkeit unterschiedliche soziale Gruppierun-gen zusammengeführt. Aufschauke-lungswellen können im Internet in kürzester Zeit entstehen, aber auch wieder abebben. Sie können positive globale Wirkung entfalten, sie können allerdings auch im aggressiven, belei-digenden Shitstorm enden.

echtzeiterleben weltweitDie Faszination Internet liegt auch in seinen Möglichkeiten zur Teilhabe be-gründet. Soziale Plattformen erlauben einen Einblick in das, was Freunde, Be-kannte und sogar Fremde in diesem Moment gerade tun. Sie ermöglichen es, an fast allen Orten der Welt in Echt-

zeit irgendwie mit dabei zu sein. Auch der Service, sich über Mobiltelefone über Neuigkeiten in der „community“ informieren zu lassen, findet steten Zu-lauf und zeigt, wie wichtig es ist, „up to date“ zu sein. Es werden Live-Ticker gesichtet, gemailt oder getwittert. Das alles findet am besten parallel statt.

Man könnte angesichts mancher Bilder schon fast von einer Sucht sprechen, ständig alles sichten, filmen, kommentieren oder posten zu müssen. Während auf Rockkon-zerten früher noch Feuerzeuge in die Luft gehalten wurden, sind es heu-te Mobiltelefone (was nicht nur am Rückgang der Anzahl der Raucher liegt). Schaut man in einen Biergar-

ten, dann finden sich mit Sicherheit viele Menschen, die angestrengt auf ihr Display schauen, statt in die Na-tur oder sich mit Tischnachbarn zu unterhalten. Und ganz ehrlich: Wie viel Prozent der Leserinnen und Leser blicken während des Abendessens nicht neugierig auf ihr Smartphone, wenn eine Benachrichtigung piept, anstatt in Ruhe zu Ende zu essen.

Nun ist der Mensch in seinem Auffassungs- und Verarbeitungsver-mögen leider nicht unbegrenzt. Die Menge der im Internet zur Verfügung stehenden Informationen und Daten

führt fast zwangsläufig dazu, dass Beiträge eher gescannt als gelesen werden und dass nur noch Neuigkei-ten und Aktuelles im Fokus stehen. Immerhin hinterlässt „die Menschheit (…) täglich das Zwölfeinhalbfache aller jemals gedruckten Bücher“ (GABRIEL 2013, S. 29).

Das ruft Kritiker auf den Plan. Sie sehen in dieser Fokussierung durch-aus eine Gefahr. Schnelligkeit und Informationsflut können auch Antipo-den der tiefgründigen Auseinander-setzung mit Themen und der nach-denklichen Reflexion sein. „In einem Buch wird über viele Seiten ein in sich geschlossener, logischer und emotio-naler Kontext aufgebaut. Im Internet hingegen ist über Hyperlinks alles mit allem direkt verbindbar. Zusammen-hänge werden aufgebrochen, und in der endlosen Verkettung vieler kleiner Wissenseinheiten geht oft der erklä-rende Kontext verloren“, argumen-tierte der Psychologe und Zukunfts-forscher Peter Kruse bereits 2010 im Gespräch mit dem Goethe-Institut. Wissen benötigt Erfahrung und auch Abwägung. Um valide einschätzen zu können, wann eine Information eine echte Information und wann eine Fehlinformation ist, müssen die Nut-zer über ein breites Allgemeinwissen verfügen. Sie müssen querdenken können, empathisch sein und Muster erkennen und bewerten können.

Die Gleichzeitigkeit auf Wissens- plattformen und in digitalen Netzwer-ken beschleunigt kulturelle und sozi-ale Evolutionen. Und man müsste an-nehmen, dass der ständige Zuwachs

Die Faszination Internet liegt auch in seinen Möglichkeiten zur teilhabe begründet. Soziale Plattformen erlauben einen einblick in das, was Freunde, bekannte und sogar Fremde in diesem Moment gerade tun.

Um valide einschätzen zu können, wann eine Information eine echte Information und wann eine Fehlinformation ist, müssen die Nutzer über ein breites Allgemeinwissen verfügen. Sie müssen querdenken können, empathisch sein und Muster erkennen und bewerten können.

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an Informationen auch zu einer Evo-lution von Wissen und Lernen führt. Da überrascht die These, dass trotz aller Vielfalt und Auswahl an Informa-tionen keine größere Differenziert-heit, sondern eher eine Art Gleichheit entsteht. Das Internet fragmentari-siere das „gleichzeitig auf gleiche Fragestellungen zentrierte Massen-publikum“ (HABERMAS 2008, S. 162). Es macht „uns nicht durchgängig schlauer als andere Medien, sondern fördert eine bestimmte Schlauheit mit allen Risiken und Nebenwirkungen“, würdigt auch der Philosoph und Pu-blizist Richard David Precht kritisch (PRECHT 2012, S. 480). Mitdenken, Diskutieren und Aufmerksamkeit sind also gefragt und nicht nur Querle-sen, Teasen und entspanntes Gleiten durch die Netzwerke. Der gedrück-te Button „Ich stimme zu“ sagt eben nichts über den Wahrheitsgehalt ei-ner Information aus.

Und noch etwas scheint problema-tisch. Trotz der vielen Möglichkeiten, sich im Netz ein soziales Umfeld auf-zubauen, steigt die Gefahr der Isolati-on. Denn die „Abruf“-Mentalität, die in vielen Netzwerken zu beobachten ist, und das lose, unverbindliche Neben-einander fördern ein Klima, bei dem soziale Beziehungen von kurzfristigen, pragmatischen Überlegungen ge-prägt werden. Wenn die Attraktivität sinkt, das Interesse erlischt, wird die Verbindung einfach gelöscht. Dass dies auf Kosten der Verbindlichkeit und der Bereitschaft geht, Verantwor-tung zu übernehmen, liegt auf der Hand. Es ist eben schwer, emotionale Bindungen zu 351 virtuellen Freunden aufzubauen.2

die potenzierte soziale umweltDie Generation der heutigen Schü-lerinnen und Schüler wächst weitge-hend als Digital Natives mit zahllosen multimedialen Möglichkeiten auf. Viele sind es gewohnt, in enger zeitli-cher Taktung Kurzinformationen über Trends und Meinungen zu erhalten. Sie erleben im Netz täglich den ex-plosionsartigen Anstieg an Wahlmög-lichkeiten, ob bei der Organisation ihrer Freizeit, der Suche nach einem passenden Partner oder bei der Be-rufsorientierung. Sie sind medial mit schnellen Bildwechseln und harten Schnitten aufgewachsen. Schwarm-kommunikation stellt für viele nichts Neues dar. Das langsame, aufeinan-der Aufbauende einer chronologisch

erzählten Geschichte will da nicht recht ins Schnitt- beziehungsweise Lesemuster passen. Eine Umgebung, die solchen Natives einen passiven, konsumierenden Rahmen mit wenig Raum und Optionen für Eigeninitiati-ve bietet, erleben viele daher als eher langweilig (STEPPICH 2013).

Darin liegt eine Herausforderung für klassische Medien, wie das Radio oder die Zeitung. Sie definieren tra-ditionell relativ klare Beziehungen zwischen einem Sender und einem Empfänger. Interaktionen mit Hörern oder Lesern beschränken sich in der Regel auf kurze Interviews oder im Abdruck eines Leserbriefes. Letztlich bestimmen die Programmmacher und Redakteure die Story. Sie filtern, struk-

turieren und selektieren. Sie inter-pretieren die Welt für ihre Leser und Hörer vor, sie machen die Themen, sie agieren. Das ist im Internet anders, auch wenn der Publizist Albrecht Müller nicht unberechtigt einwendet, dass sich auch dort etablierte Leitmedi-en durchsetzen. Im Internet erfolgen eine Demokratisierung des Wissens und eine Art Multi-Story-Telling durch viele Autorinnen und Autoren. Wikipe-dia lebt genau davon, dass eine Platt-form zwar Informationen bereitstellt, zugleich aber ein gigantisches Aus-tauschmedium des Wissens vieler ist.

Nun sind Wissens- oder soziale Netzwerke im Internet ihrem Wesen nach nichts grundsätzlich Neues. Menschen haben sich seit jeher in Netzwerken organisiert, sich grup-piert und Interessengemeinschaften gebildet. Digitale Netzwerke erwei-tern insofern das Spektrum an Mög-lichkeiten, das Menschen ohnehin nutzen. Allerdings potenzieren sich Möglichkeiten und damit auch Aus-maß und Wirkungen. Denn wenn viele Individuen miteinander über Netzwerke intensiv kommunizieren, können daraus ganze Populationen werden. Sie gleichen auf Dauer ihr Verhalten und ihre Gewohnheiten an.

Manchmal definieren sie ihre kultu-rellen Muster sogar neu. Im Kleinen lassen sich solche Online-Auswirkun-gen an schnell wechselnden Mode-trends und Modewörtern ablesen, die durch die Schulzimmer geistern. Wer Teil der Community ist, ob digital

oder real, entwickelt dann zumin-dest partiell ähnliche Muster der Wahrnehmung, der Informationsbe-schaffung, des Verhaltens und der Kommunikation. Lokale Phänomene können so schnell zu globalen Phä-nomenen werden. Dies gilt auch für Emotionen und Verhaltensweisen. Der Sozialmediziner Nicholas Chris-takis hat festgestellt, dass sich „be-stimmte Verhaltensmuster in sozialen Netzwerken fortpflanzen, und zwar unabhängig von den Intentionen und Charakteren einzelner Individuen“. Er hat herausgefunden, dass es in Netz-werken sogenannte Knotenpunkte gibt, die großen Einfluss auf Themen-gebiete haben. Diese Knotenpunkte zeichnen sich durch einen sehr ho-hen sozialen Vernetzungsgrad aus. Deswegen tragen sie entscheidend dazu bei, dass Trends, Informationen, aber auch Gerüchte viel schneller wei-tergegeben werden (vgl. ZUKUNFTS-INSTITUT 2010).

wir hassen lisADie Optionen und Möglichkeiten, die mit dem Internet verbunden sind, sind enorm. Allerdings ist die Me-diengesellschaft dadurch auch stark gefährdet, bestimmten Epidemien

wenn viele Individuen miteinander über Netzwerke intensiv kommunizieren, können daraus ganze Popula- tionen werden. Sie gleichen auf Dauer ihr Verhalten und ihre Gewohnheiten an. Manchmal definieren sie ihre kulturellen Muster sogar neu.

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zu erliegen. Dramatisch wird es für Einzelne, wenn sie Opfer von Gerüch-ten oder Falschmeldungen werden oder im Netz sogar denunziert wer-den. Die JIM-Studie 2010 legte offen, dass ein Viertel der befragten Kinder Angst vor Cybermobbing hatte. Die Sorge scheint berechtigt, denn „je-der vierte Internet-Nutzer berichtet, dass es bei Personen aus dem Freun-deskreis schon Ärger gegeben habe, (…), weil es zu Beleidigungen im In-ternet kam“ (JIM-Studie 2010, S. 48). Erschreckenderweise gab in dieser Studie auch ein Viertel der Kinder an, dass das Internet innerhalb ihrer Peer Group eingesetzt wurde, um jeman-den gezielt fertig zu machen“ (ebd. S. 49). Das wirft die Frage auf, warum so viele Jugendliche und Kinder so-ziale Netzwerke nutzen, die ihnen im schlimmsten Fall Verleumdung, Hass oder 700 unerwünschte Partygäste einbringen.

Gerüchte oder üble Nachrede werden über Chatrooms oder in sozi-alen Netzwerken verbreitet. Das kann so weit gehen, dass Profile „gehackt“ oder Hassgruppen wie „Wir hassen LISA“ eingerichtet werden. Mobbing gab und gibt es. Die Dimension ist in der Cyberwelt allerdings eine andere, weil Denunziationen anonym und ent-spannt per Mausklick weiterverbrei-tet werden können. Ein Streit zweier Kinder, der früher auf dem Bolzplatz

oder dem Schulhof ausgetragen wurde, wird in die elektronische Welt hineinverlagert. Zaungäste sind will-kommen, gerne auch tausendfach. Die Anonymität des Internets, das Fehlen wirksamer Kontroll- oder Sanktions- möglichkeiten verbunden mit der Tatsache, dass es keine direkte Rück-meldung zu dem Handeln mit seinen möglicherweise dramatischen Folgen gibt, stellen im Netz eine besondere Problemlage dar. Diese Aspekte, kombiniert mit den losen, aber zahl-reichen Verbindungen im jeweiligen Netzwerk, tragen dazu bei, dass Erre-gungen hochschwappen, durch die

Communities rasen und sich Aggres-sionen wie digitale Infektionen ver-breiten können. Wie ist zu erklären, dass zahlreiche Jugendliche mitma-chen oder zuschauen, wo ihnen doch klar sein müsste, dass sie jederzeit selbst Opfer werden können? Und welches Motiv treibt die Täter im digi-talen Netzwerk an?

Grundsätzlich gilt, dass es aus Sicht des menschlichen Motivations-systems kein lohnendes Unterfangen darstellt, „einer anderen Person, von der keine Provokation ausging oder ausgeht, Leid zuzufügen oder sich ihr

gegenüber aggressiv zu verhalten“ (BAUER 2011, S. 34). Aggression gilt unter normalen Umständen als ein reaktives Verhalten. Seine biologisch sinnvolle Funktion liegt darin, dieje-nigen Umstände abzustellen, die da-für sorgen, dass Aggression entsteht. Das könnte den Tatbestand erklären, warum nicht wenige Opfer von Cyber-mobbing in der Folge zu Tätern im Netz werden. Aggression entsteht in der Regel nicht, weil Menschen grund-

sätzlich nach Bösem streben oder ihre Interessen rücksichtslos durchsetzen möchten. Sie entsteht eher aus Angst um das eigene Wohlergehen. Wenn Menschen ihr Selbstwertgefühl be-droht sehen oder Angst haben, sozia-le Reputationen zu verlieren, verhalten sie sich häufig aggressiv. Hinter diesen Sorgen und Ängsten verbirgt sich das wahre Motiv vieler Aktivitäten im Netz, nämlich die Sehnsucht nach Akzep-tanz und Zugehörigkeit.

soziale Akzeptanz als TriebfederEs ist ein zentraler Wunsch des Men-schen, sozial akzeptiert und in einer

Gemeinschaft, wie beispielsweise ei-ner Schulklasse oder Online-Commu-nity, integriert zu sein. Positive Zuwen-dung und soziale Anerkennung sind der Stoff, aus dem das Belohnungs-zentrum im Gehirn seinen Nektar zieht. Wohlsein, Glücksgefühl, Vitalität und Lust entstehen sozusagen im eigenen Kopf. So wie ein anerkennendes Wort im realen Miteinander wie ein warmer Schauer über die Haut läuft, verschafft auch die positive Rückmeldung im di-gitalen Forum einen ähnlichen Effekt. Manchmal reicht hierfür schon ein „Gefällt mir“-Daumen aus.

Körpereigene Motivationssysteme werden also aktiviert, wenn Men-schen durch ihre sozialen Netzwerke Integration, Vertrauen und Akzeptanz erfahren. Unser Gehirn giert förmlich „nach Belohnungen durch unsere so-ziale Umwelt“ (PRECHT 2012, S. 158). Chemisch dankt es uns dies, in dem es Glücksbotenstoffe wie Dopamin, Oxy-tozin und sogar körpereigene Opiate ausschüttet.

Was im Gehirn belohnungstech-nisch im Guten funktioniert, kann sich umgekehrt auch im Negativen auswirken. Denn wo die Aktivierung des Motivationssystems auf Dauer ausbleibt, wird die Ausschüttung po-sitiver Botenstoffe reduziert. Wenn ein Kind andauernd ausgegrenzt und ihm die Kooperation verweigert wird, kann dies sogar zu einem Mangelzu-stand an gesunderhaltenden Boten-stoffen führen. Physische und psychi-sche Beeinträchtigungen können die Folge sein. „Wer einen Menschen unfair behandelt, tangiert dessen neurobiologische Schmerzgrenze“ (BAUER 2011, S. 41). Er entzieht uns, wie Richard David Precht es formuliert hat, das „Lebensmittel unserer Psyche“: Zuneigung, Beach-tung und Anerkennung.

Glücklicherweise zeichnet sich die menschliche Spezies aber auch durch ihr Gerechtigkeitsstreben aus. Men-schen ist es unangenehm, wenn Mit-menschen ungerecht behandelt wer-den. Und zwar auch dann, wenn sie selbst von den Handlungen gar nicht

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es ist ein zentraler wunsch des Menschen, sozial akzeptiert und in einer Gemeinschaft, wie beispielsweise einer Schulklasse oder Online-Community, integriert zu sein.

Die Dimension ist in der Cyberwelt allerdings eine andere, weil Denunziationen anonym und entspannt per Mausklick weiterverbreitet werden können. ein Streit zweier Kinder, der früher auf dem bolzplatz oder dem Schulhof ausgetragen wurde, wird in die elektronische welt hineinverlagert.

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betroffen sind. Das lässt darauf hoffen, dass vom Menschen verursachte Ma-laisen, ob nun real oder digital, auch durch ihn wieder gelöst werden. Und dass die Generation der Digital Nati-ves auch in der virtuellen Umgebung den Mut zur Verantwortung zeigt.

eine neue ethik im netzIn der menschlichen Evolution hatten diejenigen Spezies, die gut vernetzt waren, bessere Überlebenschancen und damit eine höhere Lebenserwar-tung. Demnach hat der Mensch mit der Bildung von Netzwerken schon seit Jahrtausenden meist gute Erfahrung gemacht und deren positiven Mög-lichkeiten genutzt. Es wird bemängelt, dass das Internet Informationen ohne Kontext und millionenfach einzelne Puzzleteile liefere und eine unkontrol-lierbare Informationsflut produziere. Dies zeigt auf, dass es nach wie vor auf den Einzelnen und seinen intelligenten Umgang mit dem Internet ankommt.

So wie Jugendliche in der Schule und der Freizeit Verantwortung für sich und ihr Handeln übernehmen, sich en-gagieren und für Freunde einsetzen, so müssen sie dies auch im Netz tun. Denn sie verfügen über die exklusiv menschliche Eigenschaft der Empa-thie. Sie können einen Teil der Kontroll-möglichkeiten selber gestalten, gerade auch über das Instrument der sozialen Kontrolle. Und sie können Fehlinforma-tionen gegenüber eine Gegenöffent-lichkeit aufbauen, wenn sie sich kri-tisch, reflexiv und vertieft mit Inhalten und Informationen auseinandersetzen. Kleine, überschaubare Netzwerke kön-nen auch ein Antwortversuch sein, die Deutungs- und Bedeutungsprobleme im Internet mit den Möglichkeiten des Internets zu lösen.

Das Zukunftsinstitut schätzt, dass der „Streit zwischen proprietären und offenen Netzwerken, geschütz-ten und ungeschützten Datenum-

welten, (…) auf Dauer in Richtung auf Regelsysteme tendieren“ wird. „Normen, Gesetze, Kodizes, Erfah-rungswerte, die sich in menschli-chen Gesellschaften in langsamen historischen Prozessen gebildet haben, werden auch die sozialen Netzwerke erobern. Die Auseinan-dersetzungen über E-Identity, über die Rechte an eigenen Daten (…) sind Vorboten einer neuen Ethik des Netzes“ (ZUKUNFTS-INSTITUT 2010, S. 16). Eine solche Entwicklung könn-te an den großen makroökonomi-schen Zyklen der letzten Jahrhunder-te andocken. Während noch Anfang dieses Jahrtausends der Zugang zu Informationen und Wissensnetzwer-ken im Vordergrund stand, bilden inzwischen Fragen nach der gemein-samen Sinnstiftung und nach Bewer-tungsnetzwerken mögliche ethische Leitachsen. Diese lassen sich an Begrifflichkeiten wie Nachhaltigkeit oder „soft facts“ festmachen.

Im Prinzip sind von unseren Schü-lerinnen und Schülern im Umgang mit der virtuellen Welt ähnliche Kom-petenzen gefordert wie im wirklichen Leben, und zwar unabhängig davon, ob sie das Internet nur als Werkzeug oder sogar als Lebensraum nutzen.

„Letztlich geht es darum, dass der Einzelne auch in Netzwerken per-sönliche Verantwortung übernimmt. Gesunde gesellschaftliche Entwick-lung erwächst nicht aus anonymer Provokation. Kreative Veränderung braucht Gegenentwürfe mit Gesicht“ (KRUSE, in HÜTTNER 2010, S. 2).

sABine sTAHl

leiTArTiKel

literatur

BAUER, J.: Schmerzgrenze vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt, Heyne 2013

GABRIEL, S.: Die offene Gesellschaft und ihre digitalen Feinde; in: FAZ 150, 2. Juli 2013, S. 29

HABERMAS, J.: Ach, Europa, Suhrkamp 2008

HÜTTNER, V.: I Link, I Like – Peter Kruse zur Cloud Culture; in: Goethe-Institut e. V., Online-Redaktion Oktober 2010

MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGS-VERBUND SÜDWEST: JIM 2012 Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland, Stuttgart Nov. 2012; und JIM-STUDIE 2010: Jugend, Information, (Multi-) Media, Stuttgart Nov. 2010

PRECHT, R. D.: PH I LOS OPH I E, Vom tieri-schen Mitgefühl. Können Affen zwischen Gut und Böse unterscheiden? Warum der Prima-tenforscher Frans de Waal mit seiner Moral-theorie überzeugt. Der Spiegel 41 (2008), S. 186

PRECHT, R. D.: Die Kunst, kein Egoist zu sein: Warum wir gerne gut sein wollen und was uns davon abhält, Goldmann Verlag, 2010

STEPPICH, G.: www-medien-sicher.de, 2013

UNICEF-BERICHT zur Lage der Kinder in Industrieländern 2013

ZUKUNFTS-INSTITUT: Megatrend Connectivity, Dezember 2010

erläuterungen 1 Weltweit nutzen rund eine Milliarde Men-

schen Facebook.2 Der Durchschnittswert der Anzahl der Freun-

de in der digitalen sozialen Gemeinschaft ist inzwischen auf 272 angestiegen ist (JIM Studie 2012).

So wie Jugendliche in der Schule und der Freizeit Verantwor-tung für sich und ihr Handeln übernehmen, sich engagieren und für Freunde einsetzen, so müssen sie dies auch im Netz tun. Denn sie verfügen über die exklusiv menschliche eigen-schaft der empathie. Sie können einen teil der Kontrollmög-lichkeiten selber gestalten, gerade über das Instrument der sozialen Kontrolle.

Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013 9

nACHgeFrAgT

Können sie beschreiben, was Cybermobbing genau bedeutet?

Katzer: Cybermobbing stellt im Prinzip eine neue Form des klassischen Mob-bings dar, wie wir es zum Beispiel aus Schulen kennen. Nur geschieht das Be-leidigen, Hänseln, Erpressen oder Be-drohen hier per E-Mail, auf Facebook oder von Handy zu Handy. Psychisches und verbales Mobben erfolgt nicht mehr in Situationen, in denen sich Täter und Opfer Auge in Auge gegenüber-stehen, sondern in Chatrooms und auf Social-Media-Plattformen. Mittlerweile werden zudem immer häufiger Fotos und Videos, die Jugendliche in peinli-chen oder in ganz privaten Situationen zeigen, ohne das Wissen der Personen ins Netz gestellt.

Zum Cybermobbing zählt auch das Ausüben von psychischem Druck auf Personen. Das kann sich darin äußern, dass Jugendliche von be-stimmten Gruppen auf Facebook ausgeschlossen oder in Chatgesprä-che nicht integriert werden. Auf diese Weise werden sie auch im Internet als Außenseiter behandelt.

Das Einzige, was beim Cyber-mobbing nicht stattfinden kann, ist

physisches Mobbing. Allerdings gibt es im Internet Kombinationen von realer und virtueller Gewalt. Wenn reale Gewalt über ein Handy gefilmt, ins Netz gestellt und über YouTube verbreitet wird, dann findet reale Gewalt auf einmal doch den Weg ins Netz.

Für wie gravierend erachten sie das Problem Cybermobbing?

Katzer: Cybermobbing ist noch dra-matischer als das Mobbing in der Schule. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Zum einen ist die Viktimisierung end-los. Daten und Inhalte können im Internet immer wieder auftauchen. Selbst wenn auf Facebook das Profil gelöscht worden ist oder YouTube

einen Film herausgenommen hat, kann dieser unter Umständen bereits tausendfach verbreitet sein und auf irgendwelchen Festplatten liegen. Schulmobbing findet im Normalfall irgendwann ein Ende, so dass die Schülerin oder der Schüler damit auch abschließen kann. Das können sie beim Cybermobbing nicht.

Zum Zweiten ist Cybermobbing extrem öffentlich. Cyberattacken kön-nen unter Umständen von tausenden Menschen – Parallelklassen, Lehrkräf-ten, dem Bäcker um die Ecke – gese-hen werden und eben nicht nur von

den eigenen Mitschülern. Jeder weiß darüber Bescheid. Das macht es für die Betroffenen noch schlimmer.

Der dritte problematische Grund liegt darin, dass Kinder und Jugend-

KeINe 1.000 FReUNDeInterview mit Dr. Catarina Katzer

„dr. Catarina Katzer studierte Volkswirtschaft, soziologie und sozialpsychologie an der universität Köln. seit ihrer Tätigkeit als

Assistentin am institut für wirtschafts- und sozialpsychologie der uni Köln beschäftigt sie sich mit Cyberpsychologie, Medien-

ethik und Jugendforschung und speziell mit dem Themenfeld Aggressionen und gewalt im internet. seit 2008 ist sie auf

eu-ebene für deutschland im Management Committee der CosT (european Cooperation in science and Technology) im

Bereich „Cyberbullying“ tätig. zudem ist sie Mitgründerin des Vereins „Bündnis gegen Cybermobbing“ e.V. in Karlsruhe.“

Cyberattacken können unter Umständen von tausenden Menschen – Parallelklassen, Lehrkräften, dem bäcker um die ecke – gesehen werden und eben nicht nur von den eigenen Mitschülern. Jeder weiß darüber bescheid. Das macht es für die betroffenen noch schlimmer.

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liche keinen Schutzraum mehr haben. Die Täter kommen überall dahin, wo sie sich auch befinden. Über das Inter-net, das Smartphone kann Cybermob-bing ständig an jedem Ort stattfinden. Schulmobbing findet klassischerweise in der Schule oder auf dem Weg nach Hause statt. Das Zuhause ist für die Kinder normalerweise ein Schutzraum. Beim Cybermobbing gibt es diesen Schutzraum plötzlich nicht mehr.

In der aktuellen Studie, die das Bündnis gegen Cybermobbing durch-geführt hat, geben rund 20 % der 14 bis 15-Jährigen und der 18 bis 20-Jäh-rigen an, von Cybermobbing betrof-fen zu sein. Wir beobachten dabei zwei Peaks: In der Pubertät und beim Übergang von der Schule ins Berufsle-ben. Beide Phasen sind sehr kritische, sensible Lebensphasen.

Als wir mit der Forschung ange-fangen haben, waren vor allem Chat- rooms, Blogs und E-Mails ein Thema. YouTube, Facebook oder Smartphones gab es noch nicht. Außerdem hatte nicht jeder Jugendliche ein Handy mit Kamerafunktion. Heute besitzen praktisch alle Kinder ein solches Mo-biltelefon und haben damit auch die Möglichkeit, etwas Peinliches oder Unangenehmes aufzunehmen und einfach zu veröffentlichen. Deswegen wird auch das Problem Cybermobbing nicht kleiner, sondern eher größer.

sie haben eben auf die studie des Bündnisses gegen Cybermobbing verwiesen. dort haben 16,6 % der befragten schülerinnen und schüler

gesagt, sie seien opfer von Cyber- mobbingattacken geworden. die dauerhaftigkeit gilt als definitions-kriterium für Mobbing. in der studie hatten mehr als ein Fünftel der opfer, also jener 16,6 %, gesagt, sie fühlten sich dauerhaft belastet. rein rechne-risch betrachtet sprechen wir also nur von rund 3 bis 4 % betroffener schülerinnen und schüler?

Katzer: In unserer Studie haben wir beschrieben, dass 16,6 % der Be-fragten regelmäßig von Cybermob-bing in bestimmten Formen betrof-fen sind. Andere Studien belegen, dass die Zahlen durchaus auch et-was höher liegen können. Beim Mobbing in Schulen schwankt die Zahl der Betroffenen zwischen 15 und 20 %. Die Prozentangaben sind

wegen der verschiedenen Erhe-bungsarten und -instrumente inter- national allerdings leider sehr unter-schiedlich. Ein Grund für Abweichun-gen liegt in der Frage, ab welcher Häu-figkeit von Regelmäßigkeit und damit von Mobbing bzw. Cybermobbing gesprochen werden kann. Die Defini-tion von Mobbing sagt aus, dass eine Regelmäßigkeit der Vorkommnisse

gegeben sein muss. Wir sprechen demnach nicht vom Cybermobbing, wenn einmal im Monat ein Ereignis stattfindet. Aber es macht einen Un-terschied, ob Sie danach fragen, ob Jugendliche täglich oder mehrmals in der Woche attackiert werden.

Hinzu kommt, dass die Dunkel-ziffer meist ein bisschen höher liegt, weil sich weniger Jugendliche als Opfer outen. Es fällt schwer zuzuge-ben, Opfer geworden zu sein. Bei der Täterschaft liegen die Prozentwerte meist etwas höher. Tätersein ist etwas, worüber sich Einzelne durchaus auch profilieren.

Für eine exakte Datenlage kommt erschwerend hinzu, dass das Empfin-den darüber was als Mobbing wahr-genommen wird und was nicht, indivi-duell sehr variiert.

Zahlen sollte man daher immer ein wenig kritisch betrachten. Wie viele Kinder und Jugendliche tatsächlich exakt von Cybermobbing betroffen sind, können wir einfach nicht sagen. Ich denke aber – unabhängig von den Prozentwerten – dass jedes Kind, das von Mobbing betroffen ist, eines zu viel ist.

Wir dürfen das Thema daher nicht verharmlosen. Die Traumatisie-rungen der Kinder sind stark und die Folgen sind lange Zeit danach häufig nicht verarbeitet. In den letzten fünf bis sieben Jahren sind die Fallzahlen in der Jugendpsychiatrie, die Mob-bing oder Cybermobbing als Ursa-che hatten, stark gestiegen. Auch die Zahl der Suizide oder Suizidversuche

wie viele Kinder und Jugendliche tatsächlich exakt von Cy-bermobbing betroffen sind, können wir einfach nicht sagen. Ich denke aber – unabhängig von den Prozentwerten – dass jedes Kind, das von Mobbing betroffen ist, eines zu viel ist.

es fällt schwer zuzugeben, Opfer geworden zu sein. bei der täterschaft liegen die Prozentwerte meist etwas höher. täter-sein ist etwas, worüber sich einzelne durchaus auch profilieren.

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Jugendlicher wegen Mobbings oder Cybermobbings hat zugenommen. Wir müssen Schülerinnen und Schü-lern einfach Hilfe anbieten.

sie haben davon gesprochen, dass das zuhause keinen rückzugsort mehr darstellt und Cybermobbing 24 stunden am Tag sieben Tage in der woche stattfinden kann. Können sie die Auswirkungen auf die opfer beschreiben?

Katzer: Jugendliche empfinden eine starke Hilf- und Machtlosigkeit. Sie können nicht entfliehen, wissen nicht, wie sie sich wehren können. Sie stehen der Situation völlig machtlos gegenüber. Dann kommt zum Teil noch Schamgefühl hinzu, weswegen sie Angst haben, sich an-deren gegenüber zu öffnen; sowohl Eltern als auch Lehrern gegenüber, die sie häufig nicht als Vertrauens-person wahrnehmen. Viele Kinder haben Sorge, nicht ernst genommen zu werden. Oft fürchten sie auch, dass Eltern überreagieren und ihnen das Internet ganz verbieten könnten, wenn sie um die Probleme wüssten. Deshalb wird den Eltern das Problem verschwiegen.

Viele Kinder empfinden aber auch Wut, und wissen nicht, wohin damit. Manche werden aggressiv. Andere Opfer von Cybermobbing ziehen sich zurück und vereinsamen. Wieder an-dere verändern ihr Aussehen, ziehen sich anders an. Manche Jugendliche fressen im wahrsten Sinne des Wortes alles in sich hinein, werden dick. Viele betroffene Kinder entwickeln psycho-somatische Probleme wie Magen-schmerzen oder Kopfschmerzen. Sie wollen nicht mehr in die Schule, um nicht noch mehr Attacken zu erleben.

Cybermobbingopfer haben keine Lobby. Häufig nehmen Eltern, Lehr-

kräfte oder Freunde nicht wahr, wie problematisch die Situation für die Opfer ist. Sie sollten stärker darauf achten, wie sich ihre Kinder, Freunde beziehungsweise Schüler verhalten, ob sich ihr Verhalten verändert. Wenn Schule und Gesellschaft deutlicher si-gnalisieren würden, dass das, was da passiert, nicht in Ordnung ist, wäre vie-len Opfern schon geholfen.

Hochproblematisch ist auch, dass zahlreiche Betroffene nicht wissen, wer hinter einer Cybermob-bingattacke steckt und wer darüber hinaus involviert ist – und sei es nur als „Betrachter“. Das verunsichert stark. Es ist ja potenziell möglich, dass der Tischnachbar mitmacht oder sogar der beste Freund davon weiß, sich aber aus Angst davor, sel-ber zum Opfer zu werden, nicht zu helfen traut. Diese Verunsicherung trägt dazu bei, dass das Vertrauen in Freundschaften bei vielen Cyber- mobbingopfern sinkt.

Sensationell finde ich deshalb jene Jugendlichen, die jahrelang Opfer böser Cybermobbingatta-cken waren und das öffentlich ma-chen. Sie signalisieren: „Mir ist es so gegangen, aber ich bin da rausge-

kommen. Und ich bin nur herausge-kommen, weil ich Hilfe bekam. Al-leine hätte ich das nicht geschafft!“ Diese tapferen jungen Menschen können anderen Betroffenen Mut machen. Sie bewirken auch auf Sei-ten der Täter einiges, weil sie ihnen

zeigen: „Ihr habt uns nicht kaputt ge-macht. Aber es ist falsch, was ihr tut.“

Ich arbeite viel mit Jugendlichen und Schulen zusammen. Meine Er-kenntnis aus dieser Arbeit lautet: Ju-gendliche wollen Hilfe, sie wünschen sich Aufmerksamkeit von Seiten der Schule, sie möchten, dass Täter be-straft werden. Allerdings gibt es ein Problem. Cybermobbing ist nicht leicht zu fassen. Wenn ein Kind auf dem Schulhof geschlagen wird, kann ich das sehen. Auch wenn jemand Außenseiter in der Klasse ist, bemerke ich das. Und auch die Täter sehen, dass sie Personen wehtun. Die Tränen, die im Netz fließen, sehen Außenste-hende nicht. Aber die Tränen die im Netz geweint werden, sind genauso echt wie diejenigen auf dem Schulhof.

wer sind die Täter? was bringt einen Menschen dazu, im netz andere zu mobben?

Katzer: Rund 80 % der Täter in der Schule sind auch diejenigen, die im Netz mobben. Es gibt also eine deutliche Überschneidung. Wir be-obachten dabei verschiedene Grup-pierungen mit unterschiedlichen

Motiven. Wir kennen aggressivere, gewaltaffinere Jugendliche, die im In-ternet nach Gewaltchats oder Gewalt-spielen suchen. Wir haben aber auch eine Gruppierung, die im schulischen Umfeld eher unauffällig ist, dafür aber im Netz richtig lospöbelt und austestet,

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Cybermobbingopfer haben keine Lobby. Häufig nehmen eltern, Lehrkräfte oder Freunde nicht wahr, wie problematisch die Situation für die Opfer ist. Sie sollten stärker darauf ach-ten, wie sich ihre Kinder, Freunde beziehungsweise Schüler verhalten, ob sich ihr Verhalten verändert.

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was sie alles anstellen kann. Und wir haben eine weitere Gruppe Jugend-licher, die selbst Opfer von Mobbing waren oder sind. Die Frage nach den Motiven spielt dabei eine wichtige Rolle. Spaß und Langeweile sind die beiden stärksten, gefolgt vom Motiv

Nachahmung. Jugendliche Mobber werden zum Teil sogar bewundert, weil sie eine Gruppe um sich scharen und vermeintlich mächtig sind. Für manche Kinder ist dies ein Ansporn, das auch einmal auszuprobieren. Ge-rade wegen der Vielschichtigkeit des Cybermobbings und der heteroge-nen Tätergruppen ist Präventionsar-beit so wichtig. der neurobiologe und Autor Joachim Bauer schreibt in seinem Buch schmerzgrenze, dass Aggression für sich genommen kein zielführendes Verhalten ist und von den Beloh-nungszentren im gehirn nicht geför-dert wird. Können sie das Motiv spaß vor diesem Hintergrund noch einmal einsortieren?

Katzer: Bei Erhebungen zum klas-sischen Mobbing wurde nicht nach dem Motiv Spaß gefragt. Interessan-terweise spielt es beim Cybermob-bing eine sehr starke Rolle. Täter sind am Rechner physisch gewis-sermaßen abwesend, wenn sie über Facebook und andere Plattformen Personen schädigen. Sie entwickeln Lust daran zu schauen, wie andere reagieren und wie sie selbst mit ih-rem Verhalten ankommen. Dahinter steht das eigentliche Motiv, Aner-

kennung zu erhalten. Im Netz wer-den Äußerungen häufig durch das Anklicken von „gefällt mir“ bewertet. Je mehr Menschen auf einer Platt-form das Verhalten des Täters aner-kennen, desto mehr spornt ihn das natürlich an.

einmal auf den gefällt-mir-Button gedrückt, dann mache ich mich zum Mittäter?

Katzer: Da sprechen Sie einen wich-tigen Punkt an. Beim Cybermobbing wird man sehr schnell vom „Nur-Be-obachter“ zum Mittäter. Dabei macht es einen grundsätzlichen Unterschied in der Bewertung des Verhaltens, ob eine Person in einer Situation physisch anwesend ist oder vor einem Rech-ner sitzt und nur via Tastatur agiert. Mit dem Drücken des Buttons „gefällt mir“ stärkt derjenige nicht nur den Täter und verschafft ihm ein positi-ves Selbstbild, sondern er macht sich zum Mittäter, weil er das Opfer nicht schützt. Das ist vielen Jugendlichen im ersten Moment nicht klar. Die Diskussi-onen in Schulen zeigen immer wieder, dass Kindern dann auf einmal bewusst wird, dass sie durch ihr Verhalten auf einen Zug mitaufspringen. Sie mer-ken: was sie im Netz tun, ist genauso echt wie das, was sie in der Schule tun.

gibt es die Möglichkeit, sich strafrecht-lich gegen diese Attacken zu wehren?

Katzer: Viele Fälle von Cybermob-bing fallen unter das Strafgesetzbuch. Es gibt zwar kein Mobbing-Gesetz, aber sogenannte Ehrenschutzdelik-

te, wie Beleidigungen, Verleumdung, das Verbreiten von Lügen, die häufig Bestandteil von Cybermobbing sind. Ganz gleich, ob Fake-Profile erstellt, auf Facebook Lügen verbreitet und Menschen verleumdet werden, die-se Handlungen sind nach dem Straf-gesetzbuch Straftaten. Man kann also Strafanzeige stellen. Betroffene sollten Seiten kopieren, Screenshots erstellen und Zeitpunkte notieren. Mit diesen Belegen sollten sie zur Polizei gehen und dort Strafanzeige stellen. Das trägt auch mit dazu bei, dass das Phänomen öffentlich wahr-genommen wird. Betroffene sollten solche Attacken natürlich auch dem jeweiligen Anbieter melden.

Viele Jugendliche, die in der Schule Opfer von Mobbing werden, werden auch im Netz zu Betroffe-nen. Immer häufiger können wir beobachten, wie Mobbing in der Schule beginnt und dann im Inter-net weitergeführt wird. Wir sehen allerdings auch den umgekehrten Fall. Es kommt vor, dass ein Täter für eine andere Person auf Facebook ein falsches Profil anlegt, gefälschte Profilfotos einstellt. Das Opfer weiß gar nicht, dass dieses Profil von ihm existiert. Es wird dann in der Schule von Mitschülerinnen und Mitschü-lern darauf angesprochen, mögli-cherweise sogar ausgegrenzt. Der Betroffene sieht sich schnell der Situation ausgesetzt, sich erklären zu müssen. Es ist sehr einfach, ein Profil mit einem Namen zu erstel-len. Den Beweis zu erbringen, dass man das Profil nicht selbst ange-legt hat, ist dagegen sehr schwer. Solche Probleme können Jugendli-che auch nach ihrer Schulzeit noch einholen, wenn sie sich für einen Beruf bewerben und der Arbeitge-ber plötzlich falsche Profile im Netz sieht oder Videos findet, die die

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Rund 80 % der täter in der Schule sind auch diejenigen, die im Netz mobben.

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Jugendlichen gar nicht selbst ge-macht haben und von denen sie auch nichts wissen.

Häufig werden jene Kinder gehänselt, die äußerlich nicht der norm entspre-chen. ist dies auch beim Cybermob-bing zu beobachten?

Katzer: Ja, das kann man sagen. Ein Risikofaktor liegt oft in einem Mangel an Selbstbewusstsein, den die Kinder sowohl im realen Alltag als auch im In-ternet ausstrahlen. Das macht sie auch für Cybermobbingattacken leichter angreifbar. In der Cyberlife-Studie haben wir herausgefunden, dass der Anteil an cyberfixierten Jugendlichen unter Cybermobbingopfern relativ hoch ist. Also derjenige Anteil Ju-gendlicher, die sich sehr stark auf das Leben im Internet konzentrieren und dort sehr viel Zeit verbringen. Das ist ein Zeichen, dass sie sich in der rea-len Umgebung nicht so wohlfühlen. In der virtuellen Realität sind sie in der Regel aber auch nicht wirklich belieb-ter. Täter spüren dies.

würden sie dann den wohlgemein-ten rat, einfach nicht mehr auf die Facebook-Plattform zu gehen, eher belächeln?

Katzer: Verbote sind grundsätzlich problematisch. Zudem wird Face-book bei Kindern und Jugendlichen immer beliebter, weil es so schön amerikanisch ist und Informationen inzwischen gepostet statt mündlich weitergegeben werden. Was ist in? Wann findet die nächste Party statt? Das alles finden sie im virtuellen Me-dium. Einmal eingetippt und alle wis-sen Bescheid. Weil dieses Medium Basis für viele soziale Netzwerke ist, wird es für die Jugendlichen beinahe genauso wichtig wie das normale

Schwatzen in der Unterrichtspause. Das Internet ist eine zweite gleich-wertige Welt. Kinder durch Verbote von diesem Arm der Kommunikation, von dieser zweiten Welt abzuschnei-den, bedeutet, sie noch stärker zum Außenseiter zu machen. Sie werden nicht nur belächelt, weil es ihnen nicht erlaubt wird. Sie sind auch von täglichen Informationen des sozialen Netzwerkes abgeschnitten.

Eltern sollten ihre Kinder besser von Anfang an im Internet begleiten, mit ihnen besprechen, was alles pas-sieren kann und das Bewusstsein der Kinder schärfen, genau hinzusehen. Sie sollten auch darauf achten, was sie von sich erzählen. Mit wem treffen sie sich da eigentlich, mit wem reden sie? Ihnen verdeutlichen, dass die Person auf dem Foto in Wirklichkeit auch eine ganz andere sein kann. Informierten

Kindern passiert unter Umständen we-niger, weil sie besser im Bilde sind.

Gleiches gilt für Lehrkräfte: Sie soll-ten nicht lange überlegen, sondern die Thematik gleich ansprechen. Aus der Arbeit in Grundschulen mit guter Medien- und Aufklärungsarbeit wis-sen wir, dass 80 % der Kinder keine Fotos mehr von sich auf Facebook haben. Fragt man nach den Grün-den, lautet die Erklärung, dass die Kinder darüber gesprochen und sich

überlegt haben, dass man mit den Fotos auch unangenehme Dinge an-stellen kann. Das Bild einer Blume reicht ihnen dann als Profilfoto. Auch in sehr jungem Alter können Kinder ver-antwortungsvoll und vernünftig sein. Man muss nur mit ihnen sprechen.

wenn nach aller Präventionsarbeit ein Fall von Cybermobbing auftritt, was können eltern und lehrkräfte tun?

Katzer: Die Strafanzeige bildet na-türlich die letzte Stufe der Eskala-tion. Ganz wichtig ist, dass die Er-wachsenen ein offenes Auge dafür haben, wenn Jugendliche sich ver-ändern. Cybermobbing stellt eine Form von Gewalt dar, der wir ent-schieden entgegentreten müssen. Wenn die Täter identifizierbar sind, muss man sich mit ihnen und auch

mit deren Eltern auseinandersetzen. Auch die Eltern der Geschädigten sollten mit ins Boot geholt werden.

Ein Betroffener von Cybermob-bing möchte natürlich, dass ihm geholfen wird. Aber er möchte nicht an den Pranger gestellt oder in der Klasse als Opfer vorgezeigt werden.

Deswegen ist es sehr wichtig, dass sich Lehrkräfte und Schulleitun-gen proaktiv verhalten, Mobbing und Cybermobbing thematisieren und

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Das Internet ist eine zweite gleichwertige welt. Kinder durch Verbote von diesem Arm der Kommunikation, von dieser zweiten welt abzuschneiden bedeutet, sie noch stärker zum Außenseiter zu machen. Sie werden nicht nur belächelt werden, weil es ihnen nicht erlaubt wird. Sie sind auch von täglichen Informationen des sozialen Netzwerkes abgeschnitten.

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klar herausstellen, dass beides an der Schule keine Chance hat und Täter sanktioniert werden.

Manche Problemfälle entstehen auch einfach durch Dinge, die eine Person in den falschen Hals bekom-men hat. Solche Probleme lassen sich lösen, dazu müssen Lehrkräfte oder Eltern allerdings zwingend mit den Ju-gendlichen sprechen und herausfin-den, was dahintersteckt. Wenn Kinder verstehen, dass sie Fehler gemacht haben, lernen sie auch daraus.

Manche lehrkräfte beklagen, dass sie sich hilflos, ratlos und uninformiert fühlen. woran können sie denn einen Cybermobbingfall erkennen?

Katzer: Kinder verändern häufig ihr Verhalten, wenn sie Mobbingatta-cken ausgesetzt sind. Wenn sich ein Kind, das sich sonst direkt nach der Schule an den Laptop gesetzt oder das Smartphone herausgeholt hat, um zu schauen, was die anderen so machen, sich plötzlich in sein Zim-mer zurückzieht, die Tür zumacht, nichts essen möchte oder den Rech-ner schnell ausmacht, wenn Eltern ins Zimmer kommen, dann kann das ein Zeichen für Cybermobbing sein. Auch wenn plötzlich keine Freunde mehr zu Besuch kommen, sollte man wenigstens hellhörig werden. Na-türlich kann hinter all dem aller-dings auch eine ganz andere Ursa-che stecken.

Bei unseren Besuchen in Schu-len ist uns aufgefallen, dass es helfen kann, das Geschehen im Klassenraum bewusst mit einem fremden Blick zu betrachten. Aus der Distanz werden Kommunikati-onsstrukturen schnell sichtbar und man sieht, wo etwas schiefläuft, wo Jugendliche anders sind als andere Kinder.

Mein Tipp an viele Lehrkräfte lautet daher: „Gehen Sie einmal mit einem anderen Blick in Ihre Klasse. Schauen Sie sich jedes Kind genau an, als wäre es Ihnen fremd.“ Wenn

man ein Kind jeden Tag sieht, geht manches unter. Die Vogelperspek-tive unterstützt dabei, vieles neu zu erkennen.

Auch die Lehrerfortbildung sollte das Thema stärker aufgreifen. Lehr-kräfte fühlen sich doch ratlos, weil sie keine Hilfestellung oder eine entsprechende Ausbildung erhalten. Sie erkennen die Risikofaktoren dann

nicht oder sind sich unsicher, welche Hilfestellung sie geben können. Sie haben Angst, etwas falsch zu ma-chen, und handeln dann lieber gar nicht. Aber gerade dieses Nichtstun ist ein Fehler. Der gesamte Komplex von Aggression und Prävention soll-te daher bereits während der Aus-bildung aufgegriffen werden. Um so niedriger wird die Hemmschwelle bei den Lehrkräften gegen Aggression vorzugehen, und um so souveräner wird der Umgang mit dem Thema.

Mir scheint es zudem bedeutsam, kreative Präventionsarbeit zu be-treiben und Gewaltprävention auch mit neuen Medien zu verbinden. Sei es, dass Filme von den Schulen

selbst gedreht werden, die Kinder die Skripte schreiben. Sei es, dass Kinder Musikstücke texten oder ein Anti-Mobbing-Radio entwickeln, das einmal in der Woche oder in den Pausen läuft. Präventionsarbeit muss Spaß machen. Es ist eine verantwor-tungsvolle und schwerwiegende Auf- gabe. Aber sie muss den Jugend-lichen auch Freude bereiten.

Wenn Jugendliche merken, dass Helfen Freude und Sinn macht, ver-ändert sich auch die Einstellung: Die Helfenden, das sind die coolen Kids! Die, die mobben, sind uncool.

das interview für „Bildung beweGt“ führten

sAndrA BusCHMüller und sABine sTAHl

nACHgeFrAgT

Mein tipp an viele Lehrkräfte lautet daher: „Gehen Sie einmal mit einem anderen blick in Ihre Klasse. Schauen Sie sich jedes Kind genau an, als wäre es Ihnen fremd.“ wenn man ein Kind jeden tag sieht, geht manches unter. Die Vogelperspektive unterstützt dabei, vieles neu zu erkennen.

wenn sie merken, dass Helfen Freude und Sinn macht, ver-ändert sich auch die einstellung: Die Helfenden, das sind die coolen Kids! Die, die mobben, sind uncool.

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sMArTe ziele und ein

MonsTerCHeCK wie Kinder durCH

selBsTregulierTes lernen VerAnTworTung üBerneHMen

ein Modell, das den Prozess des selbstregulierten Lernens in den Mittelpunkt rückt, ist das

von Schmitz und Wiese (vgl. Abb. 1). „Die Lernhandlung wird hierbei als wiederkehrender Zyklus verstanden, der in drei Phasen unterteilt ist. In den Phasen vor, während und nach dem Lernen nehmen verschiedene persönliche Fertigkeiten und Hand-lungen Einfluss auf das Lernergebnis.“ (KELLER et al. 2013, S. 15)

In der Phase vor dem Lernen (präaktionale Phase) finden die Lern-vorbereitungen und damit die Hand-lungsplanungen statt. Hier steht im Vordergrund, sich ein konkretes Ziel zu setzen, das Vorhaben selber zu planen und sich entsprechend für die Lernhandlung zu motivieren.

In der Phase während des Lernens (aktionale Phase) findet die Lernhand-lung statt, in der ausgewählte Strategi-en umgesetzt werden und „die Über-wachung der eigenen Handlungen“ und die Regulation des Lernprozesses

im Zentrum stehen. Die Selbstbeob-achtung (Self-Monitoring) ist dabei von zentraler Bedeutung. Eine erhöh-te Aufmerksamkeit für die Effektivität der eingesetzten kognitiven Lernstra-tegien, das Durchhaltevermögen, die Konzentrationsfähigkeit und die Wir-kung des eigenen Handelns sollen

zur Optimierung der Lernhandlungen genutzt werden. Nach Keller haben Lernende die Möglichkeit, durch Selbstbeobachtung eine nicht zum Ziel führende Strategie zu erkennen und eine erfolgversprechendere Stra-tegie zu wählen, um das Lernziel doch noch zu erreichen.

Schülerinnen und Schüler dabei zu unterstützen, immer mehr Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übernehmen, ist eine der Aufgaben von Schule. erleichtert wird dieses Lernen, wenn Lernstrategien als teil der Lern- und Arbeitskultur stärkeren eingang in den Regelunterricht finden.

Bildung iM BliCK

ABB. 1: ProzessModell des selBsTgesTeuerTen lernens NACH SCHMITZ UND WIESE, NACH KELLER 2013, S. 17

durchhalten, selbstmonitoring,

Konzentration, regulation

Aufgabe, ziele, emotionen,

Planung, einstellung, Motivation

ergebnis, emotionen, Bewertung,

ursachen, Vergleich, Vorsätze

der Prozess des selbstregulierten lernens

vor dem Lernen nach dem Lernenwährend des Lernens

16 Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013

In der Phase nach dem Lernen (postaktionale Phase) wird „das vorher gesetzte Ziel mit dem tatsächlichen Lernergebnis“ verglichen (KELLER et al. 2013, S. 16) und es werden für zukünf-tige Lernhandlungen Konsequenzen gezogen. Eine besondere „Rolle spielen hier der Umgang mit Fehlern sowie die Zuschreibung von Ursachen bei guten und schlechten Lernergeb- nissen“ (KELLER et al. 2013, S. 16 f.). Zum Aufbau eines positiven Selbst-konzeptes bei Lernenden ist es hilf- reich, Fehler oder Ursachenzuschrei-bungen auf Handlungen zurückzufüh- ren, die durch den Lerner beeinfluss-bar und kontrollierbar sind. Dadurch kann eine Erweiterung des Hand-lungsspielraums der Lerner gelingen.

ergebnisse aus der ForschungDie Wirksamkeit von Förderprogram-men zum selbstregulierten Lernen sind durch verschiedene Studien be-legt. Um Selbstregulationskompe-tenzen auszubilden, sind laut Keller und Ogrin (2013) folgende Punkte besonders von Bedeutung:• die kombinierte Förderung von kog-

nitiven, metakognitiven und motiva-tionalen Strategien in einem fachli-chen Kontext,

• die Möglichkeit erworbene Strate-gien zu üben, zu vertiefen und durch Anwendung auf andere Kontexte zu transferieren und

• dies möglichst über einen längeren Zeitraum zu tun.

Am effektivsten und sinnvollsten scheint die Einbettung von Förder-maßnahmen zum selbstregulierten Lernen in den regulären Unterricht zu sein. Zentrale Aufgabe von Schule sollte sein, Schülerinnen und Schü-lern Werkzeuge – ein Repertoire an metakognitiven, motivationalen und kognitiven Lernstrategien – an die Hand zu geben und ihnen die Kompetenzen zum selbstregulier-ten Lernen zu vermitteln. Entspre-chend müssen Lehrkräfte langfristig befähigt werden, ihr Wissen über Selbstregulation zu erweitern. Und sie müssen darin unterstützt werden, mit ihren Schülerinnen und Schülern erfolgreich das Lernen von und den Umgang mit Strategien der Selbst-regulation integriert im Regelunter-richt durchzuführen.

Die Bedeutung der Motivation für das Lernen ist in vielen Veröffent-lichungen bereits erläutert worden. Trotzdem soll an dieser Stellen noch einmal auf den Einfluss der Motivati-

on hingewiesen werden. Keller und Ogrin betonten in ihrem Vortrag, dass Motivation ein vergleichsweise leicht beeinflussbarer Bereich ist. Untersu-chungen zeigen, dass die akademi- sche Leistung stärker von der Lern-motivation als von der Intelligenz ab-hängt. Weiter entscheidet Motivation über Beginn, Dauer und Intensität einer Lernhandlung. Deswegen lohnt es sich, dass sich Lehrkräfte stärker der Motivation ihrer Schülerinnen und Schüler zuwenden.

Einfache Strategien zur Motiva-tionssteigerung sind:• sich Mut zusprechen (Ermutigung), • für die bevorstehende Aufgabe

Mut aus vergangenen Erfolgen ziehen,

• Interesse und Neugierde für die bevorstehende Aufgabe wecken,

• persönliche Bezüge zum Vorwis-sen herstellen,

• die persönliche Bedeutung und Wichtigkeit des Ziels hervorheben,

• sich ein konkretes Bild vom Ziel machen,

• sich bei Zielerreichung belohnen,• den Lernerfolg als Ergebnis der

eigenen Anstrengung zu be-trachten.

Bildung iM BliCKBildung iM BliCK

Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013 17

lernstrategien im überblickIn dem Artikel „Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen“ wurden die Lernstrategien nach Primär- und Sekundärstrategien unterschieden (vgl. MAITZEN/STEIN-HELLMANN 2012). Nach kognitiven, megakogni-tiven und motivationalen Strategien geordnet gibt RUPPERT Lernstrate-gien und Beispiele für diese an (vgl. Abb. 2).

selbstregulation im unterrichtZur Vorbereitung auf eine Klassen-arbeit oder eine Klausur haben sich folgende Instrumente bewährt: Selbsteinschätzungsbogen, Partner-aufgaben, Rückmeldung zur Klassen-arbeit (KALBHENN 2012, REIFF 2008). Diese Instrumente wurden im Rah-men einer Tagung um SMARTe Ziele, einen Lernplan für die Übungsphase bis zur Klassenarbeit sowie um einen Selbstanalysebogen zur Klassenarbeit ergänzt (vgl. Infokasten und Anmer-kung).

sMArTe ziele, ein lernplan und ein Monstercheck für die übungsphaseNachdem im Regelunterricht ein Lerngegenstand mit den damit ver-bundenen anvisierten Kompetenzen umfänglich bearbeitet wurde, kön-nen Lernende mithilfe eines Selbst-einschätzungsbogens (Metakognitive Strategie) überprüfen, über welches Wissen und Können sie verfügen. Die-se Übersicht über Stärken und noch offene Baustellen (Phase vor dem Ler-nen) ist im Unterricht der Ausgangs-punkt, an die sich die Übungsphase bis zur Klassenarbeit anschließt (Pha-se während des Lernens). SMART for-mulierte Ziele (Motivationsstrategie) sollen dabei helfen, die Aufmerksam-keit und Motivation in dieser Phase auf ausgewählte Ziele zu richten.

Das Akronym SMART steht für die Worte spezifisch, messbar, attraktiv/anspruchsvoll, realistisch und termi-niert. Diese Kriterien helfen, ein Ziel präzise zu formulieren und hierdurch die Zielerreichung zu konkretisieren. Um zu prüfen, ob die fünf Kriterien durch die Formulierung eines Ziels erfüllt werden, können Überprü-fungsfragen eingesetzt werden (vgl. Abb. 3).

Zur Veranschaulichung hier zwei SMARTe Ziele aus dem Schulkontext: • „Ich möchte mich in der nächsten

Chemiestunde mindestens sechs-mal melden und dies mit einer Strichliste überprüfen.“

• „Ich möchte in der kommenden Schulwoche alle meine Hausaufga-ben erledigen, dafür schreibe ich mir im Unterricht die Hausaufgabe in meinen Wochenplaner. Ich reser-viere mir zu Hause mindestens eine Stunde Zeit, um die Aufgaben zu erledigen. Wenn ich Hilfe benötige, rufe ich meine Freundin Clara an oder frage meine ältere Schwester.“

Ein Lernplan (Metakognitive Stra-tegie), der Antwort geben soll, wann, wo, was und wie in der Übungsphase bearbeitet wurde, dient den Schüle-rinnen und Schülern als Planungshilfe

während des Lernprozesses bei der Überwachung der eigenen Handlun-gen. Nach dem Lernen soll er durch die Beantwortung der folgenden Fra-gen zum Nachdenken anregen: Was hilft mir, meine Ziele zu erreichen? Was sind meine Störmonster? Wie kontrolliere ich meine Monster?

Im Unterricht soll der Monster-check kurz vor Ende der Übungspha-se den Schülerinnen und Schülern im Austausch mit dem Tischnachbarn helfen, eigene Strategien im Umgang mit Störungen zu reflektieren und ge-gebenenfalls zu erweitern.

Bildung iM BliCK

ABB. 2: lernsTrATegien HelFen den wissenserwerB zu sTeuern, nach RUPPERT (2012, S. 4)

Kognitive strategien

Metakognitive strategien Motivations- strategien

lernstrategien

Wiederholungsstrategien

Elaborationsstrategien

Organisationsstrategien

Wissensnutzungsstrategien

Selbstkontrolle- und Selbstregulationsstrategien Beeinflussung der Lernmotivation

Aktivierung der Lernmotivation

Emotionsregulation

Gestaltung der Lernumgebung

Konzentration fördern

Beispiele

Wiederholtes Aufsagen Texte abschreiben

Sich Beispiele überlegen Gelerntes mit eigenen Worten formulieren

Zusammenfassungen von Texten schreiben

Mindmaps oder Concept-maps zu einem Themen- bereich erstellen

Schreiben von eigenen Texten

Lösen von Problemen

Argumentieren im sozialen Kontext

Lernen planen

Lernen überwachen

Lernen bewerten

Sich selbst Ziele setzen

Interesse entwickeln

Mit Frustrationen umgehen

Schreibtisch aufräumen

Regelmäßig Pausen einlegen

ABB. 3: FrAgen zur ForMulierung sMArTer ziele (nach KELLER et al. 2013, S. 42; auch BRANDES 2010, Material M11)

Kriterien

spezifisch

messbar

attraktiv/ anspruchsvoll

realistisch

terminiert

überprüfungsfragen

Was genau will ich erreichen? Wie konkret ist mein Ziel? Ist der Zielzustand für mich gut vorstellbar? Ist das Ziel positiv formuliert?

Woran werde ich erkennen, dass ich mein Ziel erreicht habe? Welche Messgrößen, welche Kriterien habe ich, um meine Zielerreichung zu messen/zu überprüfen?

Was bringt es mir, wenn ich mein Ziel erreicht habe? Ist das Ziel lohnend für mich? Motiviert mich das Ziel?

Woran erkenne ich, dass mein Ziel wirklich realistisch ist? Ist das Ziel nicht zu einfach, aber auch nicht zu schwer, um es zu erreichen? Ist das Ziel eine Herausforderung für mich?

Bis wann will ich mein Ziel erreicht haben? Bis zu welchem Zeitpunkt möchte ich mein Ziel erreicht haben?

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durch selbstanalyse stärker in die Verantwortung kommenNach der Rückgabe der Klassenar-beit (Phase nach dem Lernen) wer-den die Schülerinnen und Schüler durch die Bearbeitung des Selbst-analysebogens angehalten, einen vergleichenden Blick auf die Klas-senarbeit, den Selbsteinschätzungs-bogen und die Erreichung der SMARTen Ziele und damit auf den Lernprozess in der Übungsphase zu werfen. Aus dieser Analyse können Schritte für die nächste Übungspha-se beziehungsweise für das Weiter-lernen gezogen werden.

erste erfahrungen mit den erweiterten instrumentenSelbsteinschätzungsbogen und Part-neraufgaben, ergänzt um SMARTe Ziele, einen Lernplan für die Übungs-phase bis zur Klassenarbeit sowie um einen Selbstanalysebogen zur Klassenarbeit, wurden im Fachunter-richt Mathematik in verschiedenen Klassen, insbesondere in einer Gym-nasialklasse 7, erprobt.

Erwartungsgemäß haben sich Schulkinder einer siebten Klasse mit der Formulierung von Zielen schwer-getan. Die Überprüfungsfragen wa-ren hilfreich. Die Murmelphase nach der Formulierung der eigenen Ziele, die sich an den Fragen orientiert

hat, hat dazu beigetragen, dass in einigen Fällen Ziele modifiziert und weiter konkretisiert werden konnten.

Für die Lehrkraft ergab die Sich-tung der Lernpläne einen tieferen Einblick in die persönlichen Lern-planungen ihrer Schülerinnen und Schüler. In der Regel wurden drei bis sieben Eintragungen im Lernplan vorgenommen. Interessant waren die Eintragungen zum Umgang mit Störungen, zu denen unter anderem häusliche Auseinandersetzungen mit Geschwistern oder auch Eltern beispielsweise über die Nutzung des Handys gemacht wurden. Lernende machen sich aber auch Sorgen um das eigene Haustier.

Die Eintragungen im Selbstana-lysebogen waren unterschiedlicher Qualität. Eher bessere Schülerinnen und Schüler haben detaillierter und ausführlicher geschrieben, schwä-chere Lerner eher lückenhaft und scheinbar oberflächlicher. Es gab auch Eintragungen wie „mit dem Plan kann ich nicht umgehen“.

Erkennbar ist aber, dass durch die erweiterten Instrumente die Ver-pflichtung für die Schülerinnen und Schüler größer wurde, etwas für die Vorbereitung der Klassenarbeit zu tun. Die Lernziele und der Lernpro-zess werden für die Lernenden und die Lehrkraft transparenter. Es ent-

stehen Gesprächsanlässe darüber, was in der Übungsphase geschieht und getan wurde.

Das beschriebene Vorgehen hat bei den ersten Erprobungen etwas mehr Zeit in Anspruch genommen als zunächst angenommen. Die-ser zeitliche Mehraufwand hat sich jedoch gelohnt, da die Rückmel-dungen von den Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern durchweg positiv waren.

Für den weiteren Einsatz der Instrumente ist es wichtig, Schüle-rinnen und Schülern die Erfahrung zu vermitteln, dass die Instrumen-te für das eigene Lernen hilfreich sind. Die Lernenden müssen den eigenen Nutzen selber erleben. Der Einsatz der Instrumente sollte mit einer längerfristigen Perspektive verbunden sein. Hierzu ist sicher eine gute Portion Geduld auf Seiten der Lehrkräfte nötig.

CHrisToPH MAiTzenFortbildung von Lehrkräften in Mathematik und Naturwissenschaften, Projektleitung KUMN

swAnTJe sTein -HellMAnnProjektleitung KUMN, Schwerpunkt Naturwissenschaft

literatur

BRANDES, H./LINZ, U./LOUIS, R./MEIER-BÖ-SE, M./SEIBERT, L.: Professionelle Projektar-beit. Praxisnahe Einführung mit Arbeitsmate-rialien, Amt für Lehrerbildung, 2010

KALBHENN, U./MAITZEN, C./SCHREDER, G./WAGNER, S.: Werkstatt – Kompetenzorien-tiertes Lernen ermöglichen, Anregungen und Orientierung. In: Kompetenzorientiert lernen und lehren, Lernende Schule, Heft 58, 2012, Friedrich Verlag, Velber

KELLER, S./OGRIN, S./RUPPERT, W./SCHMITZ, B.: Gelingendes Lernen durch Selbstregulati-on. Ein Trainingsprogramm für die Sekundar-stufe II, Göttingen 2013

KELLER, S./OGRIN, S.: Vortrag „Gelingendes Lernen durch Selbstregulation“, Qualifizie-rungstagung KUMN, 19.02.2013, Fuldatal, 2013

MAITZEN, C./STEIN-HELLMANN, S.: Verant-wortung für das eigene Lernen übernehmen. In: BILDUNG BEWEGT, Amt für Lehrerbildung, Dez/2012, S. 17-19

REIFF, R.: Selbst- und Partnerkontrolle. Ein ef-fizientes Verfahren zur produktbezogenen Di-agnostik. In: mathematik lehren, 150. Seelze 2008, S. 47-51

RUPPERT, W.: Selbstreguliertes Lernen im Bio-logieunterricht. In: Unterricht Biologie, Heft 377/378, Friedrich, Seelze 2012, S. 2-9

Bildung iM BliCKBildung iM BliCK

Ein einfaches klassisches Beispiel für die Abfolge Selbsteinschätzungsbogen, Partner-aufgaben, Klassenarbeit, Rückmeldung zur Klassenarbeit für Mathematik sowie ein ein-faches klassisches Beispiel für Mathematik mit der Erweiterung: Formulierung SMARTer Ziele und Lernplan für die Übungsphase, Selbstanalysebogen zur Klassenarbeit liegen zum Download unter http://lsa.hessen.de > Lehrerbildung und Personalentwicklung > Qualifizierung > Unterrichtsentwicklung > Mathematik und Naturwissenschaften > Materialien bereit.

AnMerKung

Das Projekt „Kompetenzorientiert unterrichten in Mathematik und Naturwissenschaf-ten“ (KUMN) begann auf seiner Qualifizierungstagung im September 2012 mit der Konzeptentwicklung zum Thema „Verantwortung für das eigene Lernen überneh-men“ (MAITZEN/STEIN-HELLMANN 2012). Auf der Qualifizierungstagung im Februar 2013 wurde dieser Schwerpunkt erneut aufgegriffen und weiterentwickelt.

Zum Thema „Gelingendes Lernen durch Selbstregulation“ hatte Wolfgang Ruppert (Schule für Erwachsene im Haus des Lebenslangen Lernens in Dreieich) eine Ein-führung in das Themengebiet „Selbstreguliertes Lernen“ gegeben. Sylvana Keller und Sabine Ogrin (TU Darmstadt, Arbeitsgruppe Prof. Bernhard Schmitz) hatten das von ihnen entwickelte Trainingsprogramm zur Förderung des selbstregulier-ten Lernens vorgestellt. Abschließend wurden im Workshop einige der im Projekt KUMN verwendeten Instrumente um die präsentierten Vorschläge und Anregun-gen erweitert.

inFoKAsTen: KoMPeTenzenTwiCKlung „VerAnTworTung Für dAs eigene lernen üBerneHMen“

Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013 19

die Erwartungen daran, was Schule heute leisten soll, ver-ändern sich ständig und die

Anforderungen aus Gesellschaft und Politik an die Arbeit und Qualität der Schulen nehmen kontinuierlich zu. In der Vergangenheit war die Fortbil-dung nur bedingt in der Lage, Lehr-kräfte und Schulen bei diesen Aufga-ben ausreichend zu unterstützen. Dies hatte vor allem strukturelle Ursachen. Diese strukturellen Hürden haben Ab-stimmungsprozesse und die zielfüh-rende Steuerung erschwert.

Im Landesschulamt werden die Organisation und die Steuerung von Lehrkräftefortbildung und Schulbera-tung nun verändert, damit die biogra-fisch längste Berufsphase von Lehr-kräften künftig wirksamer unterstützt werden kann. Die Organisations-struktur sieht jetzt eine enge Verbin-dung zwischen zentraler Steuerung und regionaler Anbindung vor. Dies schafft eine Voraussetzung, damit das Unterstützungssystem aus Fort-bildung und Beratung abgestimmt

handeln, mit wirksamen Konzepten an Schulen herantreten und seine Angebote dabei an dem konkreten Bedarf ausrichten kann.

Mehr selbständigkeit für schulen nach PisAInternationale Schulleistungsvergleichs- studien haben in der Bundesrepub-lik einen Diskurs ausgelöst, der dazu beigetragen hat, dass sich bildungs-politische Vorstellungen Stück für Stück von der Idee einer zentralen Regulierbarkeit schulischer Qualität verabschiedet haben. Dies gilt auch für die Gestaltung der pädagogischen Arbeit. Damit verändern sich die Auf-gabe der Schulen und die Rollen der verschiedenen schulischen Akteure, von der Schulleitung bis hin zur ein-zelnen Lehrkraft. Das Weiterlernen im Beruf gewinnt deutlich an Stellen-wert. „Eine zentrale Herausforderung des Schulsystems deutet sich in PISA selbst nicht an, ist aber aus anderen Studien bekannt (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012): die

Rekrutierung sowie die fachlich und didaktisch exzellente Aus- und Wei-terbildung von Lehrpersonal. Vieles spricht dafür, dass die Professionali-tät des Lehrpersonals die entschei-dende Ressource für Qualitätsent-wicklung im Bildungswesen ist“ (PISA 2009, S. 296).

Dieser Zusammenhang zwischen der Professionalität der Lehrkräfte und der Qualität des Lehrens und Lernens, der sich auch in der Formel „auf den Lehrer bzw. auf die Lehrerin kommt es an“ ausdrückt, macht die kontinu-ierliche Weiterqualifizierung im Beruf zu einem wichtigen Element schuli-scher Reformvorhaben. Daraus ergibt sich zwingend die Notwendigkeit der passgenauen Unterstützung für Schu-len und Lehrkräfte.

die berufsbiografische entwicklungsaufgabeAus der größeren Eigenständigkeit der Schulen haben sich bereits neue Aufgaben ergeben, vor allem auf Ebene des Schulmanagements und

Mehr Selbständigkeit für Schulen und größere Verantwortung für die pädagogische Gestaltung vor Ort gelten seit längerem als zentrale Leitideen in Hessen. Voraussetzung dafür ist ein Unterstützungs-system, das an den bedarfslagen der Schulen ausgerichtet ist und passgenaue beratung und Fortbil-dung anbietet. Zwar haben die Veränderungen des letzten Lehrerbildungsgesetzes die entstehung eines freien Fortbildungsmarktes begünstigt. Nach erfahrungen der vergangenen Jahre war dieser jedoch nicht in der Lage, den Fortbildungsbedarf der Schulen alleine zu decken. So signalisieren so-wohl ergebnisse aus der Schulinspektion als auch Rückmeldungen aus den Schulen weiterhin einen deutlichen Unterstützungsbedarf.

leHrKräFTeForTBildung und sCHulBerATung in Hessen

Bildung iM BliCK

20 Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013

Bildung iM BliCK

der allgemeinen Schulorganisation. Zu ihnen kommen weitere hinzu, die die tägliche Arbeit aller Lehrkräfte betreffen, wie der Umgang mit ex-terner und interner Evaluation, Pro-gramme zu Bildungsstandards und Kompetenzorientierung, die zuneh-mende Heterogenität der Schülerin-nen und Schüler, die Entwicklung zur Ganztagsschule oder die Inklusion. All diese Themen stellen enorme He-rausforderungen dar, verändern das traditionelle Berufsbild der Lehrkräfte. Und sie machen deutlich, dass Lehre-rinnen und Lehrer ihre Kompetenzen und Fähigkeiten, die sie in Studium und Vorbereitungsdienst erworben haben, kontinuierlich fortentwickeln müssen. Ewald Terhart formuliert dazu in einem Interview zur Reform der Lehrerbildung: „Vor allem aber (…) müsste das Weiterlernen im Beruf, die Aufrechterhaltung und Neuak-zentuierung der eigenen beruflichen Fähigkeiten sehr viel stärker als bisher ausgeprägt sein. Wenn ich pathetisch werden wollte, könnte ich formulie-ren: Die Wahrheit der Lehrerbildung liegt in der Lehrerweiterbildung! Aber Pathos liegt mir nicht. Deshalb noch einmal und anders: Professionalität ist ein berufsbiographisches Entwick-lungsproblem – in allen anspruchsvol-len Berufen, also auch im Lehrerberuf“ (TERHART 2012, S. 3).

lehrkräftefortbildung und schul- beratung für die schulische Praxis Bereits heute kann sich die Planung und Konzeption von Unterstützungsange-boten auf umfangreiche Datenquellen stützen, die allerdings gebündelt und ausgewertet werden müssen. Dazu ist ein Verfahren notwendig, das die Erkenntnisse aus den verschiedenen Informationsquellen wie beispielswei-se Schulinspektionsergebnissen, aber auch Auswertungen von Fortbildungen und Beratungen und nicht zuletzt die Befragung der Schulen selbst nach ih-rem Unterstützungsbedarf heranzieht, und systematisch auswertet. Aus der Aufbereitung dieser Daten- und Infor-mationsquellen lassen sich gezielt Un-terstützungsprogramme entwickeln, für die es auf dem freien Fortbildungs- und Beratermarkt keine Expertise und so-mit auch keine adäquaten Angebote

gibt. Die verfügbaren Ressourcen des Landes für die Unterstützung sollten sich auf wenige, zentrale Schwerpunk-te konzentrieren und dabei schulische Zielgruppen wie Fachgruppen, Schul-leitungen, Mentorinnen und Mentoren etc. mit passenden Formaten unterstüt-

zen. Das Ziel ist und bleibt, Schulen und die schulische Praxis der Lehrerinnen und Lehrer inhaltlich, prozessbezogen und strukturell bei allen Aktivitäten ins Zentrum zu stellen!

zentral steuern und regional wirksam werdenDie Lehrkräftefortbildung und die Schul-beratung benötigen zentrale Steuerung und Koordination, damit alle Schulen in Hessen erreicht und in ihrer Entwick-lung gefördert werden, ganz gleich ob sich diese in großen Landkreisen oder in städtischen Ballungszentren befin-den. Zu dem Gedanken der zentralen Steuerung gehört aber auch eine sach-kundige regionale Ebene, die nahe an der einzelnen Schule ist, deren Bedarf kennt und um lokale Gegebenheiten

und Besonderheiten weiß. Werden die-se Kenntnisse mit geeigneten Konzep-ten verknüpft, ist es möglich, passge-naue Angebote zur Verfügung stellen zu können, die Wirkung auf den Unter-richt und das Lernen der Kinder haben.

Evaluationsergebnisse wie zum Bei-spiel aus Befragungen zur Einführung der Bildungsstandards und des Kern-curriculums legen nahe, dass Schulen bei ihrer Suche nach geeigneten Un-terstützungsmaßnahmen verstärkt Ori-entierungshilfen benötigen. Für ihre Arbeit ist es notwendig, dass sie jene Angebote finden, die sie bei der Ent-wicklung ihrer Schule und ihrer Lehr-kräfte am besten unterstützen. An den Staatlichen Schulämtern stehen ihnen daher feste Ansprechpartner zur Ver-fügung, die eine solche Orientierungs-hilfe leisten sollen. Sie unterstützen bei Beratungs- und Fortbildungsfragen und

übernehmen Schulen gegenüber eine Art Lotsenfunktion bei der Realisierung von Unterstützungsmaßnahmen. Unter dem Dach des Landesschulamtes wur-den nun erste organisatorische Voraus-setzungen geschaffen, mit denen die Lehrkräftefortbildung und die Beratung

stärker miteinander verzahnt werden. Die Verzahnung soll dabei unterstützen, die vielfältigen Aktivitäten in den Regi-onen mit landesweiten Programmen zu verbinden und gemeinsame inhaltliche Schwerpunkte zu stärken.

guter unterricht braucht Qualität in Fortbildung und BeratungDie Evaluation und die empirische Forschung liefern immer genauere Daten über die Qualität und Wirksam-keit von Beratungs- und Fortbildungs-maßnahmen. Gerade die Qualität einer Fortbildung, der enge Bezug zur schulischen Praxis und die nach-weisliche Wirkung einer Fortbildungs-maßnahme auf die Lernentwicklung von Schülerinnen und Schülern sind mitentscheidend dafür, ob Lehrkräfte und Schulleitungen ein Fortbildungs-angebot akzeptieren oder nicht. Dies unterstreicht die Bedeutung und die Notwendigkeit eines Qualitätsma-nagements auch in der Fortbildung und Beratung. Nur wenn beide wirk-sam sind, wird sich die Qualität von Schule und Unterricht verbessern.

Schulen sind nicht nur die eigentli-chen Adressaten von Fortbildung. Sie sind immer stärker auch die eigentli-chen Auftraggeber. Umso wichtiger ist daher der ständige Austausch zwi-schen der zentralen Ebene und den Verantwortlichen für die regionale Unterstützung der Schulen. Das alles verbindende Hauptmotiv aller Betei-ligten bleibt die Entwicklung der ein-zelnen Schule und der Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler.

MArKus geisselMAnn

literatur

PISA 2009, S. 296

TERHART, E.: Reform der Lehrerbildung, Inter-view mit Ewald Terhart, Zeitschrift Schulpäda-gogik heute, Heft 5, 2012

Professionalität ist ein berufsbiographisches entwicklungs- problem – in allen anspruchsvollen berufen, also auch im Lehrerberuf“ (teRHARt 2012, S. 3).

Die Lehrkräftefortbildung und Schulberatung benötigen zentrale Steuerung und Koordination, damit alle Schulen in Hessen erreicht und in ihrer entwicklung gefördert werden, (…)

Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013 21

Fachschaften stehen regelmäßig vor der verantwortungsvollen Aufgabe, ein Lehrwerk für den Unterricht zu ihrem Fach auszuwählen. Sie treffen mit ihrer Auswahl eine entscheidung, die den Unterricht für meh-rere Jahre prägen wird. Die Rahmenbedingungen für den kompetenzorientierten, fremdsprachlichen Unterricht erfordern eine veränderte betrachtungsweise bei der beurteilung von Lehrwerken. Sie weicht deutlich von der ab, die bislang üblich war.

Bildung iM BliCK

in der Vergangenheit standen für die Entscheidung, ob ein Lehrwerk für den Unterrichtseinsatz geeig-

net ist, die Fragen nach den Inhalten gemäß Lehrplan und nach einer am Sprachsystem orientierten Progres-sion im Vordergrund. Heute muss stattdessen gefragt werden, ob bzw. inwieweit das Lehrwerk geeignet ist, alle Kompetenzen zu entwickeln, über die die Schülerinnen und Schüler ge-mäß Hessischem Kerncurriculum bis zum Ende ihrer Schulzeit verfügen sollen. Der Aufbau des Lehrwerks und die in ihm angebotenen Texte und Aufgaben müssen daraufhin über-prüft werden.

Der nachfolgende Text führt Kri-terien auf, die bei der Analyse und Bewertung für den Einsatz von Lehr-werken im kompetenzorientierten Un- terricht beachtet werden müssen. Die verwendete Gliederung verweist auf diejenigen Bestandteile des Lehr-werks, die für die Entscheidung, ob es für den Unterricht ausgewählt wird, besonders bedeutsam sind.

Zunächst sollte die Fachschaft über-prüfen, ob die Herausgeber selbst an das Lehrwerk den Anspruch gestellt haben, kompetenzorientierten Unterricht im Sin-ne des Kerncurriculums zu ermöglichen. Anschließend sollte der Textbestand auf seine Beschaffenheit hinsichtlich Authen-

tizität, inhaltlicher Bedeutsamkeit und medialer Vielfalt untersucht werden. Sehr wichtig ist danach die Begutach-tung der angebotenen Aufgaben auf ihre Zielsetzung, Relevanz und prakti-sche Umsetzbarkeit hin. Schließlich soll-ten der grundlegende Aufbau sowie die angebotenen Unterstützungsleistungen, Differenzierungsmöglichkeiten und Eva-luationsangebote angeschaut und be-wertet werden.

Um möglichst valide Einschätzun-gen zu erhalten, sollte zunächst eine Beschreibung der punktuell relevan-ten Elemente des Lehrwerks erfolgen, bevor die Bewertung auf Basis der ge-nannten Kriterien vorgenommen wird.

KriTerien zur AnAlyse und BewerTung Von leHrwerKen Für den FreMdsPrACHenunTerriCHT ArBeiTsHilFen Für FACHsCHAFTen

22 Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013

Bildung iM BliCK

1. ziele und zielgruppen des lehrwerksIn den hessischen Kerncurricula für die Hauptschule, Realschule und die Sekundarstufe I des Gymnasiums sind im Bereich der Modernen Fremd-sprachen drei zentrale Kompetenz-bereiche aufgeführt, die berücksich-tigt werden müssen: die Funktionale kommunikative Kompetenz, die Trans- kulturelle Kompetenz sowie die Sprachlernkompetenz. Im Kontext des fachlichen Kompetenzerwerbs ist außerdem auch immer die Entwick-lung überfachlicher Kompetenzen zu

berücksichtigen. Sie ist in die vier zen-tralen Bereiche Personale Kompetenz, Sozialkompetenz, Lernkompetenz und Sprachkompetenz gegliedert.

Kompetenzorientiertes Unterrich-ten bedeutet, von den Zielen her zu planen. Folglich sollte die Analyse des Lehrwerks mit der Prüfung beginnen, ob die genannten Kompetenzziele ge-steckt worden sind.

Lehrwerke richten sich an Adressa-ten unterschiedlicher Altersgruppen, Bildungslaufbahnen und Leistungs-fähigkeiten. Bei der tiefergehenden Analyse sollte das Augenmerk darauf gerichtet sein, ob das Lehrwerk tat-sächlich Inhalte und Aufgaben bereit-stellt, die den angesprochenen Lern-gruppen angemessenen sind. Hieran schließt sich die Frage an, ob das An-gebot nur von homogenen Gruppen sinnvoll genutzt werden kann und wel-che Differenzierungsangebote enthal-ten sind.

2. inhaltsfelder, Themen und TexteDer Fremdsprachenerwerb im Unter-richt ist keine isolierte Lernleistung, vielmehr trägt er wesentlich zur Bildung der Lernenden bei. In diesem Zusam-menhang sind die thematische Gestal-tung und die Auswahl der Texte von herausragender Bedeutung. Die hes-sischen Kerncurricula formulieren dazu die folgenden Ansprüche:

„… Zum Textrepertoire eines Fremd-sprachenunterrichts gehören sowohl Sach- als auch literarische Texte, die sich durch lernmotivierende Authentizität und inhaltliche Relevanz auszeichnen. Ausgegangen wird vom erweiterten

Textbegriff, der nicht auf die Schriftform beschränkt ist. Dadurch wird berück-sichtigt, dass Diskurse häufig in ande-ren Symbolisierungen und medialen Darstellungen verfasst oder mit schrift-lichen und mündlichen Äußerungen verknüpft sind.

Da literarische Texte einen sprach-lichen Zugewinn und darüber hinaus zahlreiche kulturelle und persönlich-keitsbildende Erfahrungsmöglichkeiten bieten, kommt ihnen in der Textauswahl eine besondere Bedeutung zu.

Damit Sprachen lebenslang erwei-tert und gelernt werden können, muss

der Fremdsprachenunterricht Neugier und Freude in der Begegnung mit dem fremden Sprach- und Kulturbereich för-dern und erhalten. Dies gelingt, wenn der Unterricht an die Interessen und Vorerfahrungen der Lernenden an-knüpft, ihre individuellen Fähigkeiten wertschätzt und fördert sowie hand-lungs-, prozess- und ergebnisorientiert konzipiert ist. Dazu gehört auch die Aus-einandersetzung mit fremdsprachlicher Literatur …“ (Bildungsstandards und Inhaltsfelder – Das neue Kerncurriculum für Hessen – Sekundarstufe I, Wiesba-den 2011, S. 11)

Themen sollten aus persönlichen, öffentlich-gesellschaftlichen und kultu-

rellen Lebenswelten abgeleitet werden. Und sie sollten, von direkter Betroffen-heit und Nähe im Alltagsleben ausge-hend, einen immer stärker werdenden Bezug zur Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben als mündige Bürger eines demokratischen Staates in der globalisierten Welt erhalten. Indem Themen spiralförmig immer wieder auf-genommen werden, können sie zu ei-nem inhaltsfeldbezogenen kumulativen Kompetenzaufbau beitragen.

3. AufgabenAufgaben sollten zunächst den An-spruch haben, zur Entfaltung von

Kompetenzen zu führen. Im Detail sind damit ausdrücklich die Bildungs-standards bzw. die lernzeitbezogenen Kompetenzerwartungen des Kerncur-riculums gemeint.

Wie sehen Aufgaben aus, die da-rauf ausgerichtet sind, genau diesen Anspruch zu erfüllen? Zunächst sollte der Typus der Lernaufgabe (task) vom Typus der Übung (exercise) und der Prüfungsaufgabe (test) deutlich unter-schieden werden. Ein Lehrwerk sollte alle Typen anbieten, seinen Schwer-punkt allerdings in einem vielfältig differenzierten Angebot an Lernauf-gaben haben.

Die Lernaufgabe sollte einen „Sitz im Leben“ aufweisen. Unter dem Ausdruck aus der Textpragmatik wird verstanden, dass die Aufgabe real existent sein soll, auch wenn sie im Unterricht vielleicht nur simuliert werden kann. Eine Lernaufgabe soll-te um Authentizität und Lebensnähe bemüht sein. Kompetenzorientierte Lernaufgaben führen in aller Regel auch zu einem Produkt. An diesem lässt sich nachvollziehen, welcher Könnensstand vorliegt. In kompeten-zorientierten Lernaufgaben handeln Lernende als sie selbst und nicht in zugewiesenen Rollen. Gestaltungs-spielraum ist notwendig und lässt voll-ständige Planbarkeit nicht zu.

Kompetenzorientierte Lernauf-gaben konzentrieren sich zudem auf den Inhalt und nicht auf die sprachli-che Form. Sprachliche Mittel können zeitweilig im Mittelpunkt stehen, wenn ihre Beherrschung für die Erfüllung der Aufgabe erforderlich ist. Lernaufgaben

können sowohl einzelne Kompeten-zen schwerpunktmäßig entwickeln, sie können aber auch mehrere Kompeten-zen integrierend entwickeln – auch aus verschiedenen Kompetenzbereichen.

Übungen haben im Gegensatz zu Lernaufgaben in der Regel nur das Ziel, isolierte sprachliche Mittel oder Fertig-keiten zu trainieren. Sie werden dabei oft willkürlich und sprunghaft in Kontex-te gebracht. Ihr Einsatz sollte genau be-dacht und begrenzt werden, da sie auf Kompetenzentwicklung nur indirekten Einfluss haben und sich die überpropor-tionierte Verwendung sicher kontrapro-duktiv auswirken würde.

Damit Sprachen lebenslang erweitert und gelernt werden können, muss der Fremdsprachenunterricht Neugier und Freude in der begegnung mit dem fremden Sprach- und Kulturbereich fördern und erhalten.

Indem themen spiralförmig immer wieder aufgenommen werden, können sie zu einem inhaltsfeldbezogenen kumu-lativen Kompetenzaufbau beitragen.

Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013 23

Bildung iM BliCKBildung iM BliCK

Testaufgaben gibt es sowohl zu sprachlichen Mitteln als auch zu Kom-petenzen. Wie der Name verrät, han-delt es sich bei diesen Aufgaben um Leistungsfeststellungsaufgaben. Aus diesem Grund müssen sie eine ganze Reihe von Kriterien erfüllen, um sicher-zustellen, dass auch gemessen wer-den kann, was zu messen vorgegeben wird. Ein Lehrwerk sollte eine Auswahl solcher Aufgaben durchaus anbieten.

Es ist allerdings davor zu warnen, den Unterricht überwiegend mit Testaufga-ben zu bestreiten (teaching to the test), auch wenn es in der guten Absicht er-folgt, die Schülerinnen und Schüler auf Tests vorzubereiten.

4. lehrwerksaufbau, Medien, unterstützungsleistungen und evaluationsangeboteGrundlegende Elemente eines Lehr-werks sind in der Regel ein Textbuch, ein Arbeitsbuch, CDs, DVDs, CD-ROMs, Folien, Kopiervorlagen, Hand-buch für Lehrkräfte. Von Lehrwerken werden verstärkt auch Materialien zur selbstständigen Arbeit, leistungs-differenzierende und nach Neigung unterschiedliche Materialien, Anbin-dung an Sprachenportfolios, Portfo-lio-Fragebögen, Anschluss an Lern-standsportale, Lernerfolgskontrollen für die Hand der Lehrenden und zur Selbstevaluation erwartet.

Es gibt keinen mustergültigen Lehr-werksaufbau. Konzeptionelle Ideen der Verlage bleiben abzuwarten. Die traditi-onelle Aufteilung in themes bzw. Units ist auch heute noch die Regel. Diese Units werden in der Regel um inhaltliche Schwerpunkte herum aufgebaut. Dar-aus ergibt sich, dass eine themenbezo-gene Wortschatzerweiterung zu einem der zentralen Elemente wird. Das Bemü-hen um kommunikative Situierung der Texte ermöglicht in besonderem Maße eine Berücksichtigung unterschiedli-cher Kompetenzbereiche. Von den zur Verfügung stehenden Aufgaben, deren Formaten und der medialen Gestal-tung dieser Angebote ist abhängig, ob ein oder mehrere Kompetenzbereiche zentral in den Fokus genommen wer-den können.

Als Konsequenz aus der Kom-petenzorientierung sollten einzelne Kapitel eines Lehrwerkes nicht mehr zentral um den Aufbau sprachlicher Mittel konzipiert werden, vor allem nicht mehr um das Verständnis und die Einübung isolierter grammatischer Strukturen. Die Herausforderung an Lehrwerke besteht bei der Integration sprachlicher Strukturen darin, geeig-nete Angebote zu unterbreiten, die

eine kognitive Durchdringung der wesentlichen grammatischen Struk-turen ermöglichen. Dies ist insbeson-dere für Lerntypen von Bedeutung, die über das bewusste Erkennen von Regelhaftigkeiten der Sprache Lern-fortschritte erzielen. Eine Erklärungs-weise zu finden, die die Zielgruppen erreicht, ohne unzulässige Verallge-meinerungen oder Vereinfachungen durchzuführen, ist der Anspruch an eine solche sogenannte „Schulgram-matik“. Ob es darüber hinaus auch

Aufgabe des Lehrwerks sein sollte, vertiefende Übungsaufgaben zur Ver-fügung zu stellen, ist umstritten.

Viel wichtiger als den Schwer-punkt auf sprachliche Mittel zu legen ist es, dass qualitativ wertvolle Texte angeboten werden, die in medialer Vielfalt, nach Leistungsanspruch und Neigung sowie methodischem Ein-satz differenziert dargeboten werden und in sinnvoller Weise modular ver-wendbar sind.

schlussbemerkungenDie Entscheidung für ein Lehrwerk sollte immer darauf ausgerichtet sein, jungen Lernerinnen und Lernern bestmögliche Angebote für gute Ler-nerfolge zur Verfügung zu stellen. Die nachfolgenden Analyse- und Beurtei-lungsraster zielen genau darauf ab. In der Schulrealität ergeben sich häufig

zusätzliche pragmatische Fragestel-lungen, die Einfluss auf die Entschei-dung nehmen. Einige dieser Fragen werden kurz erörtert, ohne dass ihre Bedeutung dadurch zu sehr betont werden soll.

Kosten: Die Neuanschaffung eines Lehrwerks reißt ein Loch in das Schulbudget. Dies könnte ein schulleitungsseitiges Interesse her-vorrufen, Fachkonferenzen bei ihrer Lektüreprüfung zu beeinflussen. Bei-spielsweise, mit der Frage, ob mit einem günstigeren Lehrwerk nicht ebenso gute Ergebnisse erzielt wer-den könnten. Wenn grundlegende Materialien nicht über das Schulbud-get, sondern von den Schülerinnen oder Schülern selbst angeschafft werden müssen, ist die Frage der Kosten auch aus diesem Blickwinkel eine Überlegung wert.

Haltbarkeit: Lehrwerke werden immer für eine bestimmte Mindest-laufzeit angeschafft und sollten eine ungeplante verlängerte Nutzungszeit überstehen können.

Diese und weitere Kriterien so-wie schulinterne Entscheidungsvo-raussetzungen können die nachfol-gend dargestellte Kriteriensammlung ergänzen.

Bei der Betrachtung der einzel-nen Kriterien soll keine arithmetische

Mittelung des Ergebnisses vorge-nommen werden. Die Entscheidung, welche positiv bewerteten Kriterien schließlich zur Entscheidung für ein bestimmtes Lehrwerk führen, sollte in offener Diskussion in der Fachschaft getroffen werden.

raster zur Analyse und Beurteilung Nachfolgend werden insgesamt 28 Kriterien – aufgeteilt in vier Berei-che – präsentiert, deren Begutach-tung ein Urteil ermöglicht, ob die untersuchten Lehrwerke beziehungs-weise Elemente für den kompetenz-orientierten Unterricht geeignet sind.

THeo Müller Bei der Erstellung der Kriterienseiten hat sanja wagner unterstützt.

Die entscheidung für ein Lehrwerk sollte immer darauf aus-gerichtet sein, jungen Lernerinnen und Lernern bestmögliche Angebote für gute Lernerfolge zur Verfügung zu stellen.

Die Herausforderung an Lehrwerke besteht bei der Integra-tion sprachlicher Strukturen darin, geeignete Angebote zu unterbreiten, die eine kognitive Durchdringung der wesent-lichen grammatischen Strukturen ermöglichen.

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Bildung iM BliCK

lehrwerk, Jahrgang, element(e) BereiCH 1: ziele und zielgruPPen des leHrwerKs sowie PlAnungsHilFen

Kriterium

1A Kompetenzorientierung ist als Ziel ausdrücklich ausgewiesen

1B Förderung in allen relevanten Kompetenz- bereichen gemäß Kerncurriculum wird angestrebt

1C Zieltransparenz bei jeder Einheit

1d Heterogene Lerngruppen werden angesprochen

1e Geeignet für inklusiven Unterricht

1F Unterstützung bei der Planung der Unterrichts- sequenzen

Beschreibung einschätzung >

Ja

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lehrwerk, Jahrgang, element(e) BereiCH 2: inHAlTsFelder, THeMen und TexTe

Kriterium

2A Es werden zahlreiche Themen angeboten

2B Themenauswahl ist für Schülerklientel angemessen und interessant

2C Inhaltliche Schwerpunkte der Lehrwerkseinheiten wer-den transparent dargestellt

2d Alle Inhaltsfelder des Kerncurriculums werden berücksichtigt

2e Textauswahl ist vielfältig und motivierend

Beschreibung einschätzung >

Ja

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lesetexte

grafik

Hör-seh-Texte

Multimedia

lehrwerk, Jahrgang, element(e) BereiCH 3: AuFgABen

Kriterium

3A Der Unterschied zwi-schen tasks, exercises und tests ist deutlich erkennbar

3B Kooperative Lernformen werden angebahnt bzw. gefördert

3C Geeignete Aufgaben zur Förderung in allen relevan-ten Kompetenzbereichen gemäß Kerncurriculum sind vorhanden

3d Es sind Lernaufgaben (tasks) in ausreichender An-zahl zur Auswahl vorhanden

3e Aufgaben ermöglichen deutlich sichtbare Differenzierung

3F Aufgaben sind verständlich formuliert

3g Aufgaben sind methodisch vielfältig

Beschreibung einschätzung >

Ja

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lehrwerk, Jahrgang, element(e) BereiCH 4: leHrwerKsAuFBAu, Medien, unTersTüTzungs- leisTungen und eVAluATionsAngeBoTe

Kriterium

4A Optische Gestaltungwirkt motivierend, gut lesbare Schriften (große Fonts, keine „Bleiwüsten“), Orientierung auf der Seite ist gut möglich

4B Medienangebot ist viel- fältig und gut zugänglich

4C Texte ermöglichen Differenzierung

4d Anregungen und Hilfen zur selbstständigen Arbeit sind vorhanden

4e Portfolio-Fragebögen bzw. andere Formen der Selbst-evaluation sind angelegt

4F Lernstrategien werden ex-plizit angeboten und erläutert

4g Es existieren Hilfen zur Vertiefung des sprachlichen Verständnisses (z. B. Gramma-tik, Wortschatz)

4H Thematisches Angebot ist modular aufgebaut, Elemente können ausgetauscht oder weggelassen werden

4i Diagnoseaufgaben und Lern- erfolgskontrollen sind vorhanden

4J Anleitung zur Reflexion des Lernprozesses wird gegeben

Beschreibung einschätzung >

Ja

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Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013 25

Bildung iM BliCK

diAlogisCHes lernen iM deuTsCHunTerriCHT

Arbeit mit „Autographen“ im deutschunterricht Die entscheidende Verände-

rung des Dialogischen Lernens im Unterschied zum traditionellen Un-terrichtskonzept liegt in der Rolle der Schülerinnen und Schüler. Sie werden immer wieder aufgefordert, sichtbar

zu machen, was sie lernen und wie sie lernen. Die Aufforderung „Schreib auf, was du gelernt hast!“ führt für Lernen-de und Lehrende gleichermaßen zu einem Reflexionsprozess. Lehrkräfte können ihr Angebot dahingehend prüfen, welche Wirkung es hat und wie die Nutzung verbessert werden kann.

Diese Form der Reflexion, die Ruf und Gallin als „Autographensammlung“ bezeichnen, wird von der Lehrkraft für die weitere Unterrichtstätigkeit so genutzt, dass entscheidende Erkenntnisse und Qualitäten, die im Autographen zu finden sind, in die Lerngemeinschaft zurück gegeben

„Der Unterricht ist in der Regel von einer Grund- beziehungsweise Leitvorstellung dominiert. Die Aufgabe der Schülerinnen und Schüler ist es danach, den erwartungen der Lehrperson gerecht zu werden und dabei die heimliche Leitfrage ‚Machst du es richtig?‘ zu beantworten. An diese Stelle tritt in der Dialogischen Didaktik eine wende zu einem ‚wie machst du es denn?‘ So wird aus der gege-benen Heterogenität der Schülerschaft eine hervorgebrachte Vielfalt, eine produktive, sich verständi-gende Lerngemeinschaft, die die Lehrperson einschließt.“ (Prof. Dr. Urs Ruf, weilburg 2013)

26 Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013

Bildung iM BliCKBildung iM BliCK

werden. So werden aus Lehrkräften Lernende und aus Schülerinnen und Schülern Lehrende. Kann Unterricht motivierender sein?

Eine Anleitung für eine mündliche Autographensammlung könnte lauten:• Du sitzt in einer Runde und hast einen

Kurzjournaleintrag geschrieben.• Übergib deinen Text dem Nachbarn

zur Rechten.• Unterstreiche im Text, den du vom

Nachbarn zur Linken erhalten hast, was du als besonders gelungen empfindest.

• Lies in der Runde vor, was du unter-strichen hast.

• Begründe, warum du gerade diese Passagen ausgewählt hast und für wichtig erachtest.

didaktische Planung mit Kernideen und Aufträgen„Eine Kernidee ist eine persönlich gefärbte und pointiert formulier-te Aussage über einen komplexen Sachverhalt, die einem Gesprächs-partner ohne Umschweife klar macht, was der Witz der Sache ist.“ (GALLIN/RUF 1993). „Eine Kernidee eröffnet einem Novizen eine Vor-schau auf ein noch unbekanntes Handlungsfeld und lenkt seinen Blick auf den Witz der Sache – die Pointe, ohne ihn mit Informationen zu überschütten und sein Gedächt-nis unnötig zu belasten“, erklärt Urs Ruf und gibt eine Anleitung, wie Ker-nideen gefunden werden können. „Stellen Sie sich in Ihrem Fach ein Stoffgebiet vor, das Sie mögen. Blen-den Sie alles aus, was Sie nur dann interessiert, wenn Sie an Ihre Schüle-rinnen und Schüler denken. Erinnern Sie sich an ein Schlüsselerlebnis zu diesem Sachgebiet, das Ihnen die Augen geöffnet hat. Erzählen Sie es als Geschichte oder Anekdote. Bündeln Sie dann den persönlichen Blick in der Vorschau in einer attrak-tiven und sachzentrierten Kernidee. Erstellen Sie einen exemplarischen Mustertext oder eine repräsentative Aufgabe. Testen Sie Ihre Anekdote/Kernidee mit Partnern, bevor Sie sie in die Klasse tragen.“ Gute Aufträge sind erfüllbar, für alle. Sie sind an-spruchsvoll und bieten eine Rampe für Könner. Sie sind offen und bieten einen Überraschungseffekt.

siBylle BrAuneiser

AngeliKA sCHMiTT-rösser

Zu Beginn einer neuen Unterrichtseinheit erhielten die Schülerinnen und Schüler einer 5. Klasse von ihrer Lehrerin (L) folgenden Arbeitsauftrag: „Heute beginnt bereits das letzte Quartal der fünften Klasse. Lass deinen Stift auch so wieselflink über deine Reise-tagebuchseite rennen, wie das im Gedicht ‚Ich wünsch mir einen Stift‘ beschrieben wird. Dein text soll ein brief an mich werden. erzähl mir ein besonderes erlebnis aus deiner Ferienzeit. erzähle viel über eine kurze Zeitspanne. erzähl mit all deinen Sinnen.1“

Bei diesem Auftrag ging es also darum, eine Erlebniserzählung in Form eines Briefes zu schreiben, was eine zusätzliche Anforderung darstellt. Die Lehrerin hat nach Durch-sicht der Briefe „Autographen“ von Schülern ausgewählt und mit Arbeitsaufträgen in die Lerngruppe wieder eingespielt. Joels erster Satz und der Auftrag dazu: „waren sie schon mal fast fünf tage in einer so dicken Nebelsuppe gehockt, das man fast nicht mal 3 meter weit sieht ich schon.“ (Joel).

Auftrag (L): Warum ist dies ein guter Textanfang? Wie wird Joel der Textsorte Brief gerecht? Findest du weitere Textstellen, die zur Textsorte Brief gehören?

Ein weiteres Beispiel ist ein Satz von Joel, der zeigt, wie er die Stimmung am Hand-lungsort herausgearbeitet hat: „es war kalt und sehr Neblig es hatte so ein kleiner kalter niesel in der Luft. Als hatte sich das wetter gegen uns verschworen.“ (Joel).

Auftrag (L): Wie schafft es Joel, die Stimmung am Handlungsort mit so wenigen Worten so treffend zu beschreiben? Kennst Du Stilmittel, die Joel anwendet? Beschreibe sie.

Die Bearbeitungen der Schüler zeigen, wie fruchtbar diese Methode für den weiteren Unterrichtsverlauf und das Lernen der Kinder in der Verständigung über die Sache ist. Es gelingt ihnen treffend und schlüssig, wichtige Merkmale für eine Erlebniserzäh-lung im Text zu finden und diese auch zu benennen. So schreibt zum Beispiel Orsina: „bei den blauen Abschnitten hat er eine lustige Metaffer verwendet. Als hatte sich das wetter gegen uns verschworen. Ich finde es toll, dass er noch an eine Metaffer gedacht. So kann ich mir die Situation noch besser vorstellen, und darum finde ich diese Satzstel-le/Abschnitt sehr gelungen.“ Auch Luciano, der ein eher schwacher Schüler ist, kann zu Joels Text Stellung beziehen: „Ich finde den abschnitt gut, weil Joel schpannende wörter ferwendet hat. Zum beispiel: niesel und verschworen. er erzählt auch sehr gut wie die situation an dem tag oder an diesen tagen war.“ (Luciano2)

Da jeder Schüler aufgefordert ist, Qualitäten in dem Textausschnitt des Mitschülers zu finden und zu benennen, hat auch jeder die Chance, sich individuell und seinen Fähig-keiten entsprechend an der produktiven Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des Faches im dialogischen Unterricht zu beteiligen. Zugleich liefern Leon, Orsina und Luciano aus diesem Beispiel wertvolle Beiträge, die als Leistung definiert und mit ent-wicklungsorientierten Häklein bewertet werden können. Der Eintrag ins Lernjournal hat für die Kinder die Funktion, den persönlichen Ertrag aus der Besprechung der Au-tographen durch Schreiben im Gedächtnis zu verankern. Für Lehrkräfte liegt der Vorteil darin, kontinuierlich Informationen über den Lern- und Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen zu erhalten und sie auf diesem Weg in ihre je individuelle „Zone der nächsten Entwicklung“ (Wygotski) bringen zu können.

1 Bei der Arbeit mit Autographen schreiben die Schülerinnen und Schüler mit der Hand, der Lehrer mit dem Computer. Das ist wichtig, damit auch eine optische Differenzierung zwischen beiden Produzenten sichtbar ist.

2 Die Texte der Kinder sind mit Rechtschreib- und Grammatikfehlern wie im Original wiedergegeben.

ein BeisPiel Aus deM deuTsCHunTerriCHT in der PriMArsTuFe Von regulA ruF-BräKer (Primarschule wetzikon, schweiz)

literatur

GALLIN, P./RUF, U.: Sprache und Mathematik in der Schule, Bd. 1 und 2, Seelze 2005 (4. Aufl. 2011)

RUF, U./KELLER, S./WINTER, F.: Besser lernen im Dialog, Seelze 2008

Die Tagungsreihe mit dem Expertenteam der Universität Zürich, Prof. Dr. Urs Ruf, Prof. Dr. Peter Gallin und Anita Pfau, hatte Expertinnen und Experten aus den Projek-ten „Kompetenzorientiert Unterrichten“ des Landesschulamtes im Mai dieses Jahres Gelegenheit gegeben, innovative Impulse und Vorschläge für die Unterrichts- und Fortbildungspraxis und zur Unterstützung der Schulen in den Regionen zu erarbeiten und erproben.

inFoKAsTen

Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013 27

Für die einen ist er das ultimative Argument gegen die Gesamt-schule, für die anderen der To-

tengräber der Reformpädagogik: John Hattie, jener Neuseeländer, der mit sei-ner gigantischen Bildungsstudie zum neuen Star der Pädagogik aufgestie-gen ist, wird gern missinterpretiert, sei es aus Unwissen – kaum jemand hatte sein gut 400 Seiten starkes Buch in Händen –, oder weil (scheinbare) Bot-schaften Hatties gut in diverse ideolo-gische Konzepte passen. Ulrich Steffens ist einer der Erziehungswissenschaftler, die sich eingehender mit den Thesen Hatties beschäftigt haben.

1.es kommt auf den lehrer an – nicht falsch, und doch zu einfach Es kommt auf den Lehrer an – so wird John Hattie zuallermeist zitiert. Das ist nicht ganz falsch, und doch zu ein-fach. Nicht nur, weil das den Lehrer, die Lehrerin tendenziell überfordert – denn wenn es um den Lernerfolg geht, gibt es ja auch noch den Schü-ler selbst. Sondern auch, weil viele die Botschaft auf die Lehrerpersönlichkeit münzen. „Bei Hattie geht es aber nicht um die Person des Lehrers“, sagt Ul-rich Steffens. „Es geht darum, was er tut.“ Wie er lehrt, wie er mit den Schü-lern interagiert. „Das ist trainierbar“, betont Steffens – und hier müsse die Politik ansetzen.

2. strukturdebatten sind irrelevant – wenn es eine gesamtschule gibt Ein Punkt, der hierzulande von vie-len mit einer gewissen Genugtuung rezipiert wurde: Hattie zufolge sind Schulstrukturen relativ irrelevant. Hier etwas zu ändern bringt für den Ler-nerfolg wenig. Ergo – so die Lesart in Österreich: Die Gesamtschuldebatte ist überflüssig. „Hattie wird hier kont-rär zu dem interpretiert, was er eigent-lich meint“, sagt Steffens. Die Studien, die Hattie analysiert hat, stammen aus dem angloamerikanischen Raum – und dort gibt es in der Sekundarstufe meist keine Differenzierung. Dass Struktur-veränderungen nichts bringen, bedeu-tet also eigentlich: Es hat wenig Sinn, ein differenziertes Schulsystem – AHS und Hauptschule – einzuführen.

3. es ist nicht der klassische Frontalunterricht, der klug macht Nicht nur die „FAZ“ jubelte über ein anderes Ergebnis: „Frontalunterricht macht klug“, titelte sie. Doch was Hattie zufolge zum Lernerfolg bei-trägt, sei nicht jener Unterricht, bei dem der Lehrer den Schülern vom Pult aus sein Wissen diktiert, sondern viel-mehr die häufig als Frontalunterricht missverstandene „direkte Instruktion“, sagt Steffens. Das wiederum ist eine Vorgehensweise, bei der der Lehrer den Unterricht zwar von der ersten bis zur letzten Minute steuert – aber immer aus der Perspektive (und un-ter Einbindung) der Schüler. Es geht also nicht um einen lehrerzentrierten, sondern um einen schülerorientierten Unterricht, bei dem der Lehrer ständig Feedback gibt und auch selbst an-nimmt. Um einen Unterricht, bei dem sich der Lehrer als Lernender versteht.

4. offenes lernen bringt wenig – aber zumindest gleich viel Der Effekt von offenem Unterricht oder freier Arbeit ist laut Hattie äußerst ge-ring – was Kritiker der Reformpädago-gik rasch für sich vereinnahmt haben. Dabei bedeute das nicht, dass die

Methoden nicht wirksam seien oder schlechter als traditioneller Unterricht, sagt Steffens. Sondern nur, dass es zur klassischen Herangehensweise keinen Unterschied gibt. Und auch das nur, was den reinen Lernerfolg betrifft. Was reformpädagogische Konzepte in an-deren Bereichen bringen – etwa für die Selbstständigkeit –, müsse man noch-mals gesondert betrachten, sagt Stef-fens. Klar sei: Es komme Hattie weniger auf die Methodenfrage an, als darauf, wie der Unterricht aussehen soll. Näm-lich kognitiv aktivierend.

5. Hattie hat den gral der Pädagogik entdeckt – für einen Teilbereich John Hattie habe den heiligen Gral der Schulforschung entdeckt, titelte einst die britische „Times“. Seine Stu-die sei die letztgültige Antwort auf schulpädagogische und didaktische Fragen, meinen viele. Das sei sicher-lich übertrieben, so Steffens. Denn im Einzelnen seien die Ergebnisse hinreichend bekannt. Das Besonde-re an Hattie sei die Zusammenschau der großen Anzahl an Befunde. Und: Hattie fokussiert in seiner Arbeit (fast) immer auf den fachlichen Lernerfolg. Selbstständigkeit, Kreativität und So-zialkompetenz sind nicht Gegenstand der Untersuchung.

Trotz dieser Einschränkungen: Aus einer pädagogischen Perspektive fie-len die Befunde positiv aus, sagt Ulrich Steffens. Zentral für den Lernerfolg ist das, was im Unterricht passiert. Die Schlussfolgerungen daraus sind für ihn klar: „Die Bildungspolitik muss viel stärker als bisher in das Personal investieren – in die Lehrer, ihre Ausbil-dung und Weiterbildung.

BernAdeTTe BAyrHAMMer

sCHulForsCHung: wAs uns HATTie (niCHT) sAgen will

Bildung iM BliCK

Für seine studie hat der Erziehungswissen-schaftler John Hattie rund 800 Metastudi-en untersucht, die auf über 50.000 einzel-nen Studien basieren. Ergebnis ist eine Skala von 138 Faktoren für den Lernerfolg. ulrich steffens ist Erziehungswissenschaft-ler und leitet im Landesschulamt Hessen das Sachgebiet Umsetzungskonzepte.

AuF einen BliCK

wiederabdruck aus der österreichi-schen tageszeitung „Die Presse“ (wien) vom 4. Juni 2013; mit freundlicher Ge-nehmigung der Verlags-Gesellschaft.“; Leicht veränderte Fassung

John Hattie, der neue Star der Pädagogik, wird oft missverstan-den. Fünf Fehlinterpretationen auf dem Prüfstand.

28 Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013

inTerAKTiVe wHiTeBoArds iM sCHulunTerriCHT: der stand der Forschung

wenn an den Schulen etwas Neues eingeführt wird, stellt sich vor allem eine Frage: wird die Neue-rung erfolgreich sein und leisten, was man sich von ihr verspricht (UHL 2010, S. 237-252)? Oder wird sie sich, wie das in der Vergangenheit von Fall zu Fall vorgekommen ist, am ende als wirkungslos, überflüssig oder nachteilig erweisen? Außerdem gibt es noch eine weitere Möglichkeit: Die Neu-erung kann zwar hilfreich sein und den für sie vorgesehenen Zweck erfüllen, gleichzeitig aber auch unerwünschte Nebenwirkungen auf anderen Gebieten haben und insgesamt mehr schaden als nützen (UHL 1996, S. 20-21).

die interaktiven Whiteboards sind – wenigstens solange es nur um die möglichen Folgen

ihrer Einführung geht – eine Neuerung wie alle anderen auch: Im Vorhinein lässt sich kaum absehen, wie sie sich in der Schule bewähren und ob sich der Aufwand lohnt. Darüber kann man erst dann etwas Zuverlässiges sagen, wenn ihr Einsatz mit den Mitteln der empirischen Forschung (UHL 2004, S. 41-48) gründlich untersucht worden ist und genügend Erfahrungen aus dem Unterrichtsalltag vorliegen. Das ist im Augenblick noch nicht der Fall. Obwohl es bereits eine beträchtliche Menge an wissenschaftlichen Arbei-ten gibt, sind die entscheidenden Gesichtspunkte nach wie vor unge-klärt. Man ist weitgehend auf Mutma-ßungen, Plausibilitätsannahmen und Entlehnungen aus den benachbarten Feldern der Forschung angewiesen. Die meisten davon haben durchaus ihre einleuchtenden Seiten, sie sind aber bislang nicht oder nur ansatzwei-se überprüft worden und mit entspre-chender Zurückhaltung zu betrachten.

Die Hersteller werben damit, dass sich mit Hilfe der interaktiven White-boards die „Lerninhalte visuell anspre-chend“ aufbereiten und die „Unter-richtsstunden dynamisch, spannend und abwechslungsreich … gestalten“ ließen (SPERLICH 2011, S. 6). Das sei in nahezu jedem Fach möglich – „egal, ob Sprachen, Mathematik oder Musik“

(KORITKE 2011, S. 8). Das interaktive Whiteboard verbinde „in einem Ge-rät“ die neuen elektronischen mit den „‚klassischen‘ Medienformen … Video-rekorder, Overheadprojektor, Kasset-tenspieler und Tafel“ (RÖDER 2011, S. 7) und sei mit ein wenig Übung leicht zu bedienen. Die Lehrkräfte könnten auf die „professionellen Software-Pakete“ und zusätzlich auf zahlreiche Unter-richtshilfen und -materialien zurückgrei-fen, die von gewerblichen und nicht-gewerblichen Anbietern eigens für den Schulgebrauch ausgearbeitet worden seien (SAUERLAND 2011, S. 2-3). Es gibt also eine ganze Reihe von Grün-den, weswegen man von den interak-tiven Whiteboards Verbesserungen im Unterricht und dadurch auch bessere Schülerleistungen erwarten kann.

In der Fachliteratur findet man freilich auch Stimmen, die weniger zu-versichtlich sind: Im Unterrichtsalltag seien die interaktiven Whiteboards schwieriger zu bedienen und anfälli-ger für technische Störungen, als es bei den Vorführungen der Hersteller den Anschein habe. Noch größeren Anlass zur Sorge gibt vom didakti-schen Standpunkt, dass sie die Auf-merksamkeit der Schülerinnen und Schüler möglicherweise vom Inhalt des Unterrichts weglenken auf seine mediale „Verpackung“ (VANDEWYER 2007, S. 16-17). Am meisten fällt wohl die Befürchtung ins Gewicht, sie wür-den das „klassische Stundengeben

im Klassenzimmer mit dem Rücken zu den Kindern“ (ebd. S. 16-17) fördern und andere Unterrichtsverfahren mit mehr Schülerbeteiligung erschweren oder ganz unmöglich machen.

Wie sind die Ansichten einzuschät-zen, die von den Befürwortern und den Zweiflern geäußert werden? Die-se Frage ist mit Blick auf die noch im-mer spärlichen Ergebnisse der erfah-rungswissenschaftlichen Forschung nicht ohne weiteres und mit wenigen Worten zu beantworten. Man kann jedoch sagen, dass sich über die be-reits vorhandenen Untersuchungen hinweg „ein überwiegend positives Bild [ergibt] von den erzieherischen Möglichkeiten der interaktiven White-boards“ (KOEN-RAAD 2008, S. 18). Allerdings mit Einschränkungen.

Schon in den ersten Fallstudien hat sich abgezeichnet, dass sich der Einsatz von interaktiven Whiteboards in erster Linie vorteilhaft auf die Motiviertheit der Schülerinnen und Schüler auswirkt (GLOVER/MILLER 2001, S. 257-276): Sie gehen im Unterricht besser mit, sind auf-merksamer und beteiligen sich häufiger als sonst üblich (BEELAND 2002, o. S.). Der Unterricht wird lebendiger und geht zügiger vonstatten (GILLEN et al. 2007, S. 243-256). Es ist daher kein Wunder, dass die meisten Lehrerinnen und Leh-rer genauso wie die Mehrheit der Schü-lerinnen und Schüler die interaktiven Whiteboards für eine gute Sache halten (HIGGINS et al. 2010, S. 86-101). Die

erForsCHT und enTwiCKelT

Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013 29

Lehrkräfte und ihre Vorgesetzten in der Schulaufsicht versprechen sich wegen der günstigen Wirkung auf den Eifer und die Mitarbeit der Schülerschaft ohne viele Umstände auch einen hö-heren Unterrichtserfolg und bessere Schülerleistungen (HIGGINS et al. 2007, S. 213-225). Die Hauptbeteiligten – die Schülerinnen und Schüler – scheinen dagegen vorsichtiger zu sein und Zwei-fel zu haben, ob sie tatsächlich mehr lernen als im herkömmlichen Unterricht (MANNY-IKAN et al. 2011, S. 249-273).

Die Ergebnisse der erfahrungswis-senschaftlichen Forschung sprechen insgesamt dafür, dass die Erwartungen nicht allzu sehr in den Himmel wach-sen sollten. Es gibt zwar eine recht an-sehnliche Gruppe von Studien, bei de-nen in Schulklassen mit Unterricht am Whiteboard die Leistungen besser wa-ren als in den Vergleichsklassen ohne (MARZANO 2009, S. 80-82). Der Leis-tungsvorsprung tritt aber häufig nur für kurze Zeit auf und geht dann wie-der verloren. In zahlreichen Untersu-chungen haben sich überhaupt keine Leistungsunterschiede zwischen Klas-sen mit und ohne interaktives White-board gezeigt (DIGREGORIO/SOBEL-LOJESKI 2009-2010, S. 255-312). (Bei einigen Studien ist auch die günstige Wirkung auf die Schülermotivation, die üblicherweise zu beobachten ist, entweder ganz ausgeblieben oder nur in geringem Maß aufgetreten [TORFF/TIROTTA 2010, S. 379-383].)

Die einschlägigen Forschungs-arbeiten sind selbst dann schwer zu

deuten, wenn sich die Erwartungen zu erfüllen scheinen und dauerhafte Leistungssteigerungen festgestellt werden. Das liegt an den Erhebungs-verfahren: Als Maß für den Unter-richtserfolg werden oft lediglich die Einschätzungen der Schülerinnen und Schüler über den eigenen Lern-fortschritt und der Eindruck der Lehr-kräfte herangezogen, aber nicht (oder nur ausnahmsweise) das Abschneiden

bei schriftlichen Tests, in Vergleichs- und Abschlussarbeiten (UHL 2006, S. 311-324) oder bei anderen verein-heitlichten Lernstandserhebungen. Die Ansichten der Betroffenen sind nicht ganz ohne Aussagekraft, weil sie im Allgemeinen in die richtige Rich-tung gehen (ATHANASOU 2005, o. S.). Trotzdem ist Vorsicht angebracht: Die Schülerinnen und Schüler (und besonders die schwächeren unter ihnen) überschätzen im Regelfall ihren Lernerfolg und setzen (wie die meisten anderen Menschen auch) die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten höher an, als sie in Wirklichkeit sind (KRUGER/DUNNING 1999, S. 1121-1134). Ihre Angaben sind daher nicht sehr zuverlässig und manchmal sogar irreführend (HEATH et al. 2012, o. S.): Sie geben vermutlich in erster Linie Aufschluss über die „Kompetenzillu-sionen“ (BJORK 1999, S. 435-459) bei einem beträchtlichen Teil der Schüler-schaft und nur in zweiter Linie über das tatsächliche Können. Verlässlich sind sie nur dann, wenn sie aus ande-ren Quellen bestätigt werden können (DUNNING et al. 2004, S. 69-106).

Ähnlich schwer sind auch die Stu-dien zu deuten, bei denen sich keine oder lediglich eine vorübergehende Leistungsverbesserung eingestellt hat. Denn die Datenerhebung erstreckt sich üblicherweise nur über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum, bei-spielsweise ein Jahr (MOSS et al. 2007, o. S.). Das könnte zu wenig sein: Es gibt Untersuchungen, bei denen sich der

Einsatz von interaktiven Whiteboards erst ab dem zweiten Jahr günstig auf die Schülerleistungen ausgewirkt hat (LEWIN et al. 2008, S. 291-303). Mög-licherweise hätten sich bei anderen Unterrichtsversuchen ebenfalls noch Erfolge nachweisen lassen, wenn die Datenerhebung lange genug fortge-führt worden wäre.

Eine weitere Unwägbarkeit ergibt sich daraus, dass die günstige Wirkung

des Einsatzes der interaktiven White-boards häufig von zusätzlichen Be-dingungen abhängt. In einer Untersu-chung im Staat Ohio mit Schülerinnen und Schülern von der dritten bis zur achten Klasse wurde in den Fächern Mathematik und Englisch nur dann ein hoher Leistungsstand erreicht, wenn der Unterricht „schülerzentriert“ durchgeführt wurde und das Problem-lösen und die Veranschaulichung des Lehrstoffs mittels der neuen Medien im Vordergrund standen. Wenn der Unterricht dagegen „lehrerzentriert“ war und das interaktive Whiteboard nicht viel anders als eine herkömm-liche Wandtafel verwendet wurde, lagen die Schülerleistungen eher im staatsweiten Durchschnitt (SWAN et al. 2008, S. 3290-3297). Bei dieser und vielen ähnlichen Forschungsarbei-ten lässt sich wegen des Ineinander-fließens (oder der „Konfundierung“ [NACHTIGALL et al. 2000, o. S.]) der möglichen Ursachen kaum abschät-zen, worauf der Unterrichtserfolg be-ruht. Er könnte den neuartigen media-len Arbeitshilfen und der Interaktivität des Whiteboards zu verdanken sein, ebenso gut aber auch der Einhaltung einiger allgemeiner Grundsätze für den guten Unterricht (MEYER 1995, o. S.), die, wie die Schülerorientie-rung, schon lange bekannt sind und mit den Whiteboards an sich nichts zu tun haben. Selbst wenn die besseren Leistungen mit genügender Sicher-heit auf die technischen Geräte und nicht oder nur in zweiter Linie auf be-stimmte Unterrichtsverfahren zurück-zuführen sind, ist die Angelegenheit immer noch nicht zugunsten der in-teraktiven Whiteboards entschieden. Denn möglicherweise hätte sich die gleiche Wirkung auch mit einem ein-fachen Laptop und einem Projektor erreichen lassen, also mit geringeren Kosten und weniger Aufwand (SLAY et al. 2008, S. 1321-1341).

Abwägungsschwierigkeiten gibt es ebenso bei der Frage, ob sich die in-teraktiven Whiteboards im Unterricht auf die Mädchen anders auswirken als auf die Jungen und ob sie die Unter-schiede zwischen den Geschlechtern abschwächen oder vergrößern. Die Geschlechterunterschiede beim Schu-lerfolg haben in den letzten Jahren in der Fachliteratur wie in der breiteren Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit gefunden, hauptsächlich wegen der großen internationalen Untersuchun-gen zu den Schülerleistungen (UHL 2007, o. S.) (Stichwort: PISA). In der Forschung hat sich immer wieder

Die ergebnisse der erfahrungswissenschaftlichen Forschung sprechen insgesamt dafür, dass die erwartungen nicht allzu sehr in den Himmel wachsen sollten. es gibt zwar eine recht ansehnliche Gruppe von Studien, bei denen in Schulklassen mit Unterricht am whiteboard die Leistungen besser waren als in den Vergleichsklassen ohne (MARZANO 2009, S. 80-82). Der Leistungsvorsprung tritt aber häufig nur für kurze Zeit auf und geht dann wieder verloren.

erForsCHT und enTwiCKelT

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erForsCHT und enTwiCKelT

gezeigt, dass das schulische Arbeits-verhalten und als Folge davon auch die Lernergebnisse in erheblichem Umfang vom Geschlecht abhängen (DEBUS 2012, S. 137-148). Fast über-all auf der Welt sind die Mädchen fleißiger und im Unterricht aufmerk-samer; sie haben in den meisten Fä-chern bessere Noten und erreichen im Schnitt häufiger als die Jungen gute Schulabschlüsse. Der Abstand ist so groß, dass die Jungen in der Presse schon als „Verlierer“ des Schulwesens bezeichnet wurden und sogar von einer „Jungenkatastrophe“ die Rede ist (LÜCKING-MICHEL 2009, o. S.). Das ist zwar übertrieben, aber nicht ganz aus der Luft gegriffen. Auch die meisten Schulfachleute sehen das schwächere Abschneiden der Jungen mit Besorg-nis und empfehlen, möglichst rasch etwas dagegen zu unternehmen. Es ist verständlich, wenn dabei häufig an die interaktiven Whiteboards gedacht wird. Man erwartet von ihnen, dass sie beson-ders die Jungen anziehen und sie im Unterricht mehr als die herkömmlichen Lehrbücher bei der Sache halten.

Diese Annahme hat ihre einleuch-tenden Seiten. Jungen und Mädchen nutzen heutzutage die elektronischen Medien, Computer und Internet als „selbstverständliche Werkzeuge für das schulische Lernen“ (MEDIENPÄ-DAGOGISCHER FORSCHUNGSVER-BUND SÜDWEST 2012, S. 36). Die Jungen tun das üblicherweise mit viel Selbstvertrauen und großer Zuver-sicht, die Mädchen schätzen die eige-nen Erfolgsaussichten weniger güns-tig ein (HON KEUNG YAU/ALISON LAI FONG CHENG 2012, o. S.). Es gibt auch einige Hinweise darauf, dass sich die Jungen – sogar in den sprachli-chen Fächern – beim Unterricht am interaktiven Whiteboard besser betei-ligen als sonst üblich (BIRCH o. J., o. S.). Entsprechend müsste gerade bei den Jungen ein höherer Lernerfolg zu erwarten sein, wenn im Unterricht mit interaktiven Whiteboards und ande-ren elektronischen Geräten gearbeitet wird (KAINO 2008, S. 263).

Mehrere Studien deuten darauf hin, dass diese Wirkung tatsächlich eintreten könnte. So hat sich bei einer Untersuchung mit Elftklässlern in Brunei ergeben, dass beim Einsatz von in-teraktiven Whiteboards im Chemie-unterricht die sonst im Durchschnitt leistungsschwächeren Jungen gleich gute Ergebnisse erreichen wie die Mädchen (DHINDSA/EMRAN 2011, S. 393-414). Der Haken an der Sache: Die Variable „Verwendung von inter-

aktiven Whiteboards“ ist auch hier mit einer anderen Variablen konfundiert, nämlich mit dem „konstruktivistischen Lehrverfahren“ (DHINDSA/EMRAN 2010, S. 1-24). Deswegen kann man kaum sagen, worauf die Leistungsver-besserung zurückgeht und ob sie mehr der technischen Ausstattung oder der Unterrichtsmethode oder der Verbin-dung von beidem zuzuschreiben ist.

Ebenfalls offen ist die Frage, ob sich die Jungen im Unterricht mit dem in-teraktiven Whiteboard geistig wirklich mehr anstrengen und ob sich das dann auch in besseren Leistungen nieder-schlägt. In einer englischen Forschungs-arbeit mit Fünft- und Sechstklässlern hat sich im ersten Jahr nach Einführung der interaktiven Whiteboards zwar die Geschwindigkeit des Unterrichts er-höht, der Anteil der Geschlechter am Unterrichtsgespräch (in diesem Fall mit leichten Vorteilen für die Jungen) ist aber im Vergleich zum herkömmlichen Unterricht gleichgeblieben (SMITH et al. 2006, S. 443-457). Erst im zweiten Jahr wurden die Jungen öfter als schon zuvor aufgerufen und haben das Ge-schehen im Klassenzimmer weitgehend bestimmt. Allerdings nur bei einfachen Wissensfragen. „Es gab [hingegen] keine Anhaltspunkte, dass die Jungen (mehr als die Mädchen) in solche Ge-sprächsteile einbezogen wurden, die Denkleistungen höheren Ranges anre-gen (zum Beispiel Fragen der Lehrkraft nach Begründungen und Erklärungen, Ergänzungsfragen [zur Fortführung ei-nes Gedankengangs], Beiträge zum Un-terricht [seitens der Schülerinnen und Schüler] aus eigenem Antrieb)“ (SMITH et al. 2007, S. 455-469). Einfacher aus-gedrückt: Die Jungen kamen zwar öfter zu Wort, aber nicht unbedingt mit den anspruchsvolleren Redebeiträgen.

Dazu passen die Ergebnisse einer Studie mit Sechstklässlern in Taiwan. Darin waren die interaktiven White-boards mit Programmen versehen worden, mit deren Hilfe vornehmlich die formalen mathematischen Kom-petenzen (UHL 2010, S. 85-129) geför-dert werden sollten. Obwohl die tech-nischen Möglichkeiten den Jungen hätten besonders entgegenkommen müssen, ergab sich bei der Auswer-

tung das gewohnte Bild: Die Mädchen übertrafen die Jungen beim Prob-lemlösen und beim mathematischen Argumentieren und Kommunizieren, also in den sprachnahen Aufgaben-feldern (WU-YUIN HWANG et al. 2006, S. 105-121). Der Grund ist vermutlich, dass in den Lernprogrammen von den Schülerinnen und Schülern vor allem mündliche Äußerungen, Erläu-

terungen und Rechtfertigungen für ihr Vorgehen bei der Lösung mathemati-scher Aufgaben verlangt wurden. Hier tun die Mädchen sich üblicherweise leichter, und die Jungen konnten auch mit den interaktiven Whiteboards ih-ren Rückstand nicht oder wenigstens nicht in vollem Umfang aufholen.

Man kann als Gesamteinschätzung des Forschungsstands festhalten, dass es durchaus Anlass zur Zuversicht gibt. Allerdings sind die interaktiven White-boards nur eine von zahlreichen Ein-flussgrößen, die sich auf die Qualität des Unterrichts und den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler auswir-ken. Wie alle elektronischen Hilfsmittel richten sie, für sich allein genommen, im Regelfall wenig aus: „Schlechter Unterricht wird durch neue Medien nicht besser, Unterricht mit neuen Me-dien muss nicht zwangsläufig gut sein“ (AUFENANGER 2012, S. 38). In der Hand einer geübten Lehrkraft und mit den passenden Unterrichtsverfahren können sie jedoch eine zeitgemäße Ergänzung des schulischen Angebots sein, deren Vorzüge vor allem auf zwei Gebieten liegen: Sie machen ers-tens den Unterricht eingängiger und zügiger und verbessern zweitens die Motivation der Schülerschaft. Das ist selbst dann schon ein Gewinn, wenn das höhere Schülerinteresse, die Freude am Unterricht und die bessere Beteiligung nicht unmittelbar zu ei-nem Anstieg der Leistungen führen sollten.

dr. siegFried uHl

literatur

Die Literaturangaben finden Sie unter: www.lsa.hessen.de

Abwägungsschwierigkeiten gibt es ebenso bei der Frage, ob sich die interaktiven whiteboards im Unterricht auf die Mädchen anders auswirken als auf die Jungen und ob sie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern abschwächen oder vergrößern.

Bildung beweGt NR. 21 AUG/2013 31

„dialogisches lernen ist nicht entde-ckendes lernen. die lehrperson ist nicht dazu da, ostereier zu verstecken, die es durch die lernenden zu entde-cken gilt. die lehrperson offeriert da-für eine reichhaltige landschaft, in der zwar entdeckungen möglich sind, in der es aber primär darum geht, sich auf eigenen wegen überhaupt bewegen zu können. die lehrperson lässt sich überraschen von dem, was die lernen-den denken und fühlen. sie ist nicht ent-täuscht, wenn ihre erwartungen nicht erfüllt werden. ziel einer Ausbildung in dialogischem unterricht ist es, die erwartungen niedrig zu halten und für überraschungen offen zu sein.“ (Prof. Peter Gallin, Weilburg 2013)

leistungsmessung im dialogischen unterricht Im eher traditionellen Mathematikun-terricht steht in der Regel eine Aufgabe mit einer Frage im Zentrum, die von den Schülerinnen und Schülern zu lösen und zu beantworten ist. Das Interesse gilt im Besonderen dem zu benutzenden Algo-rithmus oder der anzuwendenden For-mel, wie sie in Abb. 1 dargestellt ist.

Bei diesem Vorgehen wird auf das Regelhafte, auf die „Dimension des Regulären“, fokussiert. In dieser Di-mension bewegt sich für Peter Gallin1 die traditionelle Notenpraxis in Form der summativen Lernstandsfeststel-lung und damit auch eine Bewer-tungsnorm, die an Kriterien orientiert ist. Die Begründer des Dialogischen Lernens – Urs Ruf und Peter Gallin – erweitern diesen Ablauf um die „Dimension des Singulären“. Sie füh-ren damit eine Entwicklungsperspek-tive für Lernende ein (vgl. Abb. 2). Eingefordert werden die persönliche Begegnung sowie die persönliche

Auseinandersetzung des Lernen-den mit dem Unterrichtsgegenstand. Dadurch werden der individuelle Lernprozess und der Lernweg, der damit verbunden ist, hervorgehoben.

Eine Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand erfolgt vom „Ich“ über das „Du“ zum „Wir“. Die Leitaussage bei der persönlichen Begegnung lautet: „Ich mache das so!“. Der Austausch mit anderen Lernenden, also mit dem „Du“, fußt auf der Frage „Wie machst du es?“ Dieser Austausch kann im Gespräch mit dem Lernpartner beziehungsweise der Lernpartnerin oder in Kleingrup-pen erfolgen, in dem Mitschülerinnen und -schüler ihre Rückmeldung geben oder kommentierte Rückmeldungen zu eigenen Texten oder Produkten erhal-ten. Auf diese Weise wird die Ausein-andersetzung mit dem Lerngegenstand vertieft und mit Hilfe der Rückmeldun-gen angereichert und vorangetrieben. Die abschließende Auseinanderset-zung im Sinne einer regularisierenden Bilanz geschieht im Plenum. Sie folgt der Aussage „Das machen wir ab.“ Im

dialogischen Lernen wird mit der „Di-mension des Singulären“ die formative Leistungsfeststellung verbunden.

Um bei der persönlichen Begeg-nung des „Ich“ mit dem Lerngegenstand sichtbar zu machen, was in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler passiert, wird eine Aufgabe zu einem Auftrag (Infokasten 1) erweitert. Ein Auftrag soll individuelle Entwicklungsprozesse aus-lösen. Er hat deswegen drei Merkmale zu erfüllen: „Er muss erfüllbar für alle Schülerinnen und Schüler sein, unab-hängig vom Stand ihres Vorwissens und ihrer Begabungen, er muss eine Rampe für Könner enthalten, bei der auch die Stärksten und Schnellsten an ihre Gren-zen geraten, und er muss offen sein: Die Schülerinnen und Schüler müssen in ihrer singulären Standortbestimmung darlegen können, was sie tatsächlich wissen und können, was sie freut und ärgert und wo sie an ihre Grenzen stoßen.“ (RUF/WINTER 2012).

CHrisToPH MAiTzen

„die leHrPerson isT niCHT dAzu dA, osTereier zu VersTeCKen, die der lernende enTdeCKen soll“ – dialogisches lernen im Mathematikunterricht

Algorithmus Aufgabe/Frage lösung/Antwort

Formel

ABB. 1: eHer TrAdiTionelles unTerriCHTssCHeMA Für MATHeMATiK

ABB. 2: zweidiMensionAles unTerriCHTssCHeMA des diAlogisCHen lernens

„dimension des regulären“Instruktionskonzept / Noten

„dimension des singulären“Dialogisches Konzept / Häklein

du

Aufgabe/Frage wir lösung/Antwort ich

„In jeder von fünf Schachteln befinden sich gleich viele Spielfiguren. Nachdem man aus jeder Schachtel 18 Figuren herausgenommen hat, verbleiben in den fünf Schachteln im Ganzen so viele Spielfiguren, wie vorher in zwei Schachteln enthalten waren.

Aufgabe (Defizitperspektive)• Wie viele Figuren befanden sich am Anfang in jeder Schachtel?

Auftrag (Entwicklungsperspektive)• Achte beim Lesen dieses Textes auf deine Gedanken und Gefühle. Schreibe alles auf, was dir durch den Kopf geht.• Zeichne die fünf Schachteln mit deren Inhalt und beschreibe, welche Teile du kennst.“

Im ersten Schritt schildern die Schülerinnen und Schüler ihre Gedanken und Gefühle zu dem Lerngegenstand. Sie schreiben das, was ihnen einfällt und durch den Kopf geht, nieder. Sie nähern sich dem Lerngegenstand und beobachten sich dabei. Sie beschreiben ihr Vorgehen. Im zweiten Schritt lösen sie die Aufgabe und beschreiben ihren Rechenweg. Durch den Grad der Offenheit besteht die Möglichkeit, von den Lernenden unterschiedliche Lösungswege zu erhalten. Was sich in den Köpfen der Lernenden abspielt, wird dadurch sichtbar und zugänglich. Und es wird produktiv für den weiteren Lernprozess nutzbar gemacht und verwendet.Die Qualität der Texte (Lösungen, Überlegungen, Beschreibungen), die die Lernenden produziert haben, wird von der Lehrkraft durch soge-nannte „Häklein“ rückgemeldet (vgl. Infokasten 2). Diese Rückmeldung ist an der Individualnorm orientiert. Sie fließt in die mündliche Note ein.

inFoKAsTen 1: BeisPiel Für die unTersCHeidung Von AuFgABe und AuFTrAg (GALLIN 2012, S. 6)

PinBoArd

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inFoKAsTen 2: VierwerTige sKAlA zur suCHe und einsCHäTzung Von QuAliTäTen Bei ProzessleisTungen Von sCHülerinnen und sCHülern (SACHER/WINTER/SCHREINER 2011, S. 237)

erfüllt

nochmals

produktiver zugriff

wurf

Die Person befasst sich lange intensiv genug mit der Sache und dokumentiert nachvollziehbar, dass sie dem Unterricht folgen kann (Mindestkompetenz). Eine genauere Analyse lohnt sich nicht.

Es ist nicht ersichtlich, ob sich die Person lange und intensiv genug mit der Sache befasst hat. Sie erhält eine zweite Chance.

Die Person bringt sich in der Auseinandersetzung mit der Sache als handelndes Subjekt ins Spiel und nutzt das Lernangebot produktiv. In mindestens einem Abschnitt ihrer Arbeit ist eine besondere Qualität erkennbar.

Die Person macht aus ihren Möglichkeiten das Beste. Sie handelt an entscheidender Stelle konsequent und erschließt sich einen relevanten oder unerwarteten Zugang zur Sache.

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literatur

GALLIN, P: Die Praxis des Dialogischen Mathe-matikunterrichts in der Grundschule. IPN-Ver-lag, www.sinus-an-grundschulen.de/fileadmin/uploads/Material_aus_SGS/Handreichung_Gallin_final.pdf (2012)

RUF, U/WINTER, F.: Dialogisches Lernen: die gemeinsame Suche nach Qualitäten, In: Zeit-schrift für Inklusion, Nr. 1-2 (2012)

SACHER, W./WINTER, F. (HRSG.)/SCHREINER, C.: Professionswissen für Lehrerinnen und Lehrer. 4. Diagnose und Beurteilung von Schü-lerleistungen – Grundlagen und Reformansät-ze, Baltmannsweiler 2011

erläuterung1 In seinem zweitägigen Workshop anlässlich der

Tagungsreihe zum Dialogischen Lernen gab Prof. Gallin einen Einblick in das System des Dialogischen Lernens, insbesondere in die Art und Weise, wie Produkte und Leistungen der Schülerinnen und Schüler gewürdigt, gemes-sen, beurteilt und bewertet werden können.

Anita Pfau, Fachdidaktikerin am institut für erziehungswissenschaften der universität zürich, sieht eine we-sentliche Herausforderung für eine lehrkraft darin, die Potenziale ihrer schülerinnen und schüler in deren Ar-beitsprodukten zu entdecken und sie für die schöpferische und analytische Arbeit zu nutzen. in ihrem workshop im rahmen der Tagung „leistungs-messung im dialogischen unterricht“ zeigte die Fachdidaktikerin an Bei-spielen, wie dies gelingen kann.

In der Unterrichtseinheit zur Gattung Lyrik erhalten Lernende den vermeint-lich lapidaren Arbeitsauftrag „Schrei-ben Sie ein Gedicht“. Der angehende Abiturient Roman notiert nach Erledi-gung des Auftrages, im Stile Ungaret-tis ein Gedicht ohne Reime, aber „mit einer interessanten und sinnträchtigen Struktur“ zu verfassen, in sein Lernjour-nal: „Das erste Mal war es ein bisschen ungewohnt, ein Gedicht zu schreiben, aber mit all den Beispielen, die man anschauen kann, ging es nun leichter. […] Es geht gut, mit den uns bekann-ten Strukturen zu schreiben, falls ich aber mit Reimen arbeiten wollte, säße ich wahrscheinlich ein ganzes Weilchen daran.“ In den Rückmeldungen, die Ro-man zu seinem Gedicht „La caduta/Der Fall“ von seinen Mitschülerinnen und Mitschülern erhält, zeigen diese sich überrascht und beeindruckt von Gehalt,

Tiefe und auch der sprachlichen Ausge-staltung seines Textes. Roman hat das „assessment“ und die Instruktion seiner Lehrerin genutzt, um strukturelle und sprachliche Werkzeuge für das Verfas-sen von Gedichten zu entwickeln. Und er hat wertschätzende und hilfreiche Rückmeldungen seiner Mitschülerinnen und Mitschüler erhalten.

Das enorme sprachliche und ge-nerische Vorwissen, das in den Arbei-ten von Schülerinnen und Schülern zum Ausdruck kommt, beeindruckt. Schreibprodukte von Lernenden er-möglichen es der Lehrperson, indi-viduelle Qualitäten festzustellen und rückzumelden. Eine Lehrperson kann aus gelungenen Beispielen auswählen und auf der Grundlage dieser „Au-tographen“ beispielhafte Regularitä-ten der Gattung (rhetorische Figuren, Reim- und Versformen) vermitteln. Sie kann einen Folgeauftrag formulie-ren, mit dem neu erworbenes Wissen produktiv werden kann. Und sie kann schließlich mit den Schülerinnen und Schülern darüber reflektieren, welche Rückmeldungen für ihre Weiterarbeit hilfreich waren.

Um individuelle Qualitäten sichtbar machen und für den Kompetenzerwerb aller Lernenden nutzen zu können, muss beim Fremdspracherwerb aber eine Voraussetzung erfüllt sein: Es muss eine Rückmeldekultur etabliert sein, in-

nerhalb derer die Lehrperson die Qua-lität der Arbeiten der Schülerinnen und Schüler rückmeldet und in der Lernen-de als Lernpartner durch Rückmeldung im Dialog voneinander lernen.

„Den eigenen Blick zu schär-fen für das enorme Potenzial, das in Schülerarbeiten steckt, war für mich ein entscheidender Wendepunkt in meiner Lehrtätigkeit“, so Referentin Pfau. Ganz im Sinne dieser „profes-sio“ formulierte eine Teilnehmerin des Workshops: „Mir ist klar geworden, dass die konsequente Erstellung von Produkten in Verbindung mit dem Instrument der formativen Rückmel-dung ein tragfähiges Konzept auch für meinen Englischunterricht sein kann. Gerade das kreative Arbeiten kann mir helfen, die bei meinen Schülerin-nen und Schülern bereits entwickelten individuellen sprachlichen Kompeten-zen besser zu erkennen. Auf dieser Grundlage kann ich sie viel passge-nauer fördern und auch angemessener beurteilen.“

THilo KArger, dr. gABriele sCHreder

den eigenen BliCK sCHärFen – schreibprodukte im Fremdsprachenunterricht nutzen, um lernenden eine fördernde rückmeldung zu geben

literatur

RUF, U./KELLER, S./WINTER, F.: Besser lernen im Dialog – Dialogisches Lernen in der Unter-richtspraxis (2008), Seelze: Kallmeyersche Ver-lagsbuchhandlung, S. 45 ff.

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Bildungsstandards, Kerncurricula und Kompetenzorientierung – diese Begriffe stehen stellvertretend für grundlegende Veränderungen, die in den letzten Jahren in der Schule angekommen sind. Jedoch herrscht noch immer große Unsi-cherheit unter den Lehrpersonen, welche Konsequenzen für den Unterricht sich aus dieser Neu-orientierung ergeben.

Das Landesschulamt und Lehrkräfteakademie Hessen hat für die Fremdsprachen einen umfang-reichen Band mit Beiträgen und Materialien herausgebracht, die beispielhaft zeigen, wie die Erwar-tungen an die Förderung des Kompetenzerwerbs in den verschiedenen Bereichen des Fremdspra-chenunterrichts erfüllt werden können.

17 Autorinnen und Autoren aus allen Phasen der Lehrerausbildung erklären, warum wir eine neue Lern- und Aufgabenkultur brauchen (Prof. Daniela Elsner) und widmen sich den aktuellen und brennenden Fragen des kompetenzorientierten Unterrichts (Wolfgang Biederstädt).

Vier Beiträge befassen sich mit der mündlichen Sprachkompetenz: Wie kann ich das Sprechen fördern (Otto-Michael Blume)? Wie gelange ich mit mehr Mündlichkeit zu mehr Sprachkompetenz (Rita Feick)? Wie bringe ich Schüler zum Sprechen (Roswitha Henseler)? Wie beurteile ich Sprech-kompetenzen (Kathrin Bormann)?

Sanja Wagner stellt vor, wie man Leseverstehen konkret fördern und beurteilen kann. Mar-lies Winkelmann-Steinert gibt wertvolle Hinweise für den Umgang mit Lese- und Rechtschreib-schwierigkeiten. Die Frage nach literarischen Texten im kompetenzorientierten Unterricht behan-deln Prof. Daniela Elsner und Dr. Britta Freitag-Hild in ihren Beiträgen.

Dr. Frank Haß gibt konkrete Hinweise für den Umgang mit Heterogenität, Prof. Engelbert Thaler erklärt das Konzept des Balanced Teaching, Prof. Michael Legutke und Achim Schröder befassen sich mit der Gestaltung von Lernaufgaben, Matthew George erläutert Beispiele für Ko-operatives Lernen, Dr. Werner Kieweg stellt die Entwicklungsstufen einer Schreibaufgabe vor.

Auch Themen, die nicht genügend im Blickpunkt stehen, wie Sprachmittlung bzw. Medi-ation (Ilona Aumann) und Transkulturelle Kompetenzen (Maik Böing) werden in diesem Band berücksichtigt.

neue VeröFFenTliCHung

neue lern- und AuFgABenKulTur in englisCH und FrAnzösisCHBeiträge und Materialien

eure enTsCHeidung!

es hat schon viele Bestrebungen gege-ben, den unterricht angemessen ge-schlechterreflexiv durchzuführen. die geschichte ist lang, wie die diskussion um Monoedukation oder der Kampf um die Teilnahme von Mädchen am studi-um zeigen. Der heutige Genderdiskurs folgt im Grunde zwei großen Ansätzen: Der eine hat die Differenz und Unter-schiedlichkeit der Geschlechter zum An-satz und leitet daraus ab, dass für beide Geschlechter unterschiedliche Angebo-te notwendig seien. Der andere Ansatz geht von Differenzierung und zugleich vielen Übereinstimmungen zwischen den Geschlechtern aus, weswegen es reiche, eher Differenzierungen inner-halb der Geschlechtergruppen vorzu-nehmen. Unabhängig davon, welcher Theorie man folgt, die Genderthematik ist heute Mainstreamthema. Sie findet beinahe täglich ihren Niederschlag in den Medien, beobachtet Geschlech-terforscher Prof. Jürgen Budde. Sie wird von Comedians aufgegriffen, füllt die Sparten großer Zeitungen. Sogar Marketingabteilungen differenzieren zwischen den Geschlechtern, wie das jüngst herausgebrachte Überraschungs-Ei für Mädchen und Jungen zeigt.

Doch obgleich inzwischen viele Veranstaltungen zur Genderthema-tik existieren, nimmt Budde eine Un-wucht in der Bedeutsamkeit wahr, die er auch an der fehlenden finanziellen Unterfütterung vieler Programme fest-macht. „Betrachtet man Aktivitäten zur Genderthematik in Schulen, könnte man deren Bedeutung unter mone-tären Aspekten als Niedriglohnsektor mit prekären Arbeitsbedingungen be-schreiben“, so der Forscher. Er beob-achtet zudem eine paradoxe Haltung beim Umgang mit Genderaspekten und Männlichkeit: „Ja, es müsste et-was für Jungen geben, aber bitte lasst sie in Ruhe. Bitte macht bloß nichts, das die Jungen irgendwohin führt, was nicht jungengemäß sein könnte.“

In der Gesellschaft sei ein Trend er-kennbar, den der Redner als Verlage-rung der Verantwortlichkeit in die Indi-viduen selbst kennzeichnet. Nach dem Motto: „Ihr seid doch freie Individuen, könnt eure Zukunft selber gestalten. Es ist alleine eure Entscheidung, was ihr beruflich macht – ob ihr Grund-schullehrerin oder Manager werdet.“ Eine solche Verlagerung der Gesamt-verantwortung auf das Individuum hin

blendet allerdings gesellschaftliche Zuschreibungsprozesse aus. Diese Sichtweise ist daher nicht unproble-matisch. Budde diskutiert schließlich die grundsätzliche Frage, ob nicht die Unterteilung in Geschlechter viele Pro-blematiken erst selbst hervorrufe. So sehen zum Beispiel viele Bestellformu-lare im Internet zwingend ein Feld vor, in dem Bestellkunden ihr Geschlecht angeben müssen. Im Alltag werden Menschen demnach häufig aufgefor-dert, manchmal sogar gezwungen, eine binäre Geschlechtercodierung zu unterstützen. Ob sie wollen oder nicht.Sicher ist sich der Flensburger Professor auf jeden Fall in einem: Die Koordinaten der Macht verschieben sich aktuell, die Patriarchatsgesellschaft endet.

sABine sTAHl

Prof. Dr. Jürgen Budde referierte beim Gen-der-Schule Symposium III „Es lebe der (klei-ne) Unterschied!?“ zum Thema „Gender in der Krise – oder eine unterschätzte Ressour-ce?“ Das Symposium fand am 14. Juni 2013 in Marburg statt.

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Adressen & AnsPreCHPArTner

landesschulamt und lehrkräfteakademieHauptsitz: Kirchgasse 2, 65185 [email protected] Tel.: +49 (0) 611 368 2657

Präsident des lsAJörg Meyer-ScholtenTel. + 49 (0) 611 368 2657

Abteilung zZentrale Dienste und ServiceleistungenJoachim Schmidt Tel. +49 (0) 611 368 2659

Abteilung iSchulaufsicht und SchulberatungDr. Marion Steudel Tel. +49 (0) 611 368 2204

Abteilung iiAkademie für Lehrerbildung und PersonalentwicklungFrank SauerlandTel. +49 (0) 69 38989 300

Abteilung iiiQualitätsentwicklung und EvaluationBernd SchreierTel. +49 (0) 611 5827 400

die Tagungseinrichtungen rhein-Main-gebietErwin-Stein-HausStuttgarter Straße 18 – 2460329 FrankfurtTel. + 49 (0) 69 38989 330

nordhessen/reinhardswaldschule Rothwestener Straße 2 – 1434233 FuldatalTel. + 49 (0) 561 8101 0

Mittelhessen/weilburgFrankfurter Straße 20 – 2235781 WeilburgTel. + 49 (0) 6471 3281 00

iMPressuM

Herausgeber: Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

gesamtverantwortung: Sabine Stahl

redaktion: Sandra Buschmüller, Sabine Stahl

lektorat: Ingrid Walther, KonTeXt Textgestaltung und Lektorat

layout und gestaltung: www.sixfeetone.de, Frankfurt/Main

druck und Verarbeitung: Druckerei Hesse, Fuldabrück

Mediadaten und Anzeigenannahme: Kerstin Rheingans

erscheinungsweise: vierteljährlich

Auflage: 4000

redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 15. Oktober 2013

landesschulamt und lehrkräfteakademiestuttgarter straße 18 – 2460329 Frankfurt

[email protected]

1. Auflage 2013, 152 seiten, Bestell-nr.: 10005Preis: 9,80 € (zuzügl. Porto- und Versandkosten)

Bestelladresse: Landesschulamt und LehrkräfteakademieRothwestener Str. 2-14 , 34233 Fuldatal Fax: 0561 8101-180, E-Mail: [email protected]

TerMinHinweise

Veranstaltungen im August 2013

27. reale und virtuelle welt – und wir mittendrin ort: Otto-Hahn-Schule, Hanau nähere informationen: [email protected]

Veranstaltungen im september 2013

04.– was wissen wir über unterricht?06. eine Bestandsaufnahme des ertrags

der empirischen unterrichtsforschung ort: Goethe-Universität, Frankfurt am Main nähere informationen: www.dgfe.de/

tagungen-workshops.html

05. Mnu landesversammlung ort: Hochschule Fulda nähere informationen: www.lv-hessen.

mnu.de/index.php/landestagungen

18. CoMenius und eTwinning - workshop für lehrkräfte

ort: Max-Eyth-Schule, Alsfeld nähere informationen: www.kmk-pad.org/

aktuelles/termine/t/comenius-und-etwinning-workshop-fuer-lehrkraefte-885.html

24. MedienBildungsMesse 2013 ort: Hörsaalzentrum Campus Westend

der Goethe-Universität Frankfurt nähere informationen: www.veranstaltung.

bildung.hessen.de/mbm13/index.html

Veranstaltungen im oktober 2013

09.- Frankfurter Buchmesse 201313. ort: Messe Frankfurt nähere informationen: www.book-fair.com

Veranstaltungen im november 2013

12. Verleihung des Polytechnik-Preises ort: Senckenbergmuseum, Frankfurt nähere informationen:

www.polytechnik-preis.de

14.- Mued Jahrestagung17. ort: Reinhardswaldschule Fuldatal nähere informationen: www.mued.de

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HessischesKultusministerium

landesschulamt und lehrkräfteakademie

Kirchgasse 265185 Wiesbaden

www.lsa.hessen.de