nur steuern verleihen wert, interview lietaer, taz

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Page 1: Nur Steuern verleihen Wert, Interview Lietaer, TAZ

WIRTSCHAFT + UMWELT www.taz.de

[email protected] DIENSTAG, 5. JUNI 2012 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 09

dafür inCivicbezahlen.Sowürdeeine soziale Parallelwirtschaft inGang kommen, die nachfrage-orientiert und demokratischstrukturiert wäre.Klingt gut, aber was wird dannaus dem Euro?Der Euro bleibt weiter die Wäh-rung für die Zentralregierungund die kommerzielle Wirt-schaft. Das griechische Budgetwürde jedoch um all jene Dingeentlastet, die mit dem Civic erle-digt werden. Warum sollte mandie Hilfe für alte Menschen aufRhodos für ein Problem der Zen-tralregierung in Athen opfern?Das ist die entscheidende Frage,der Civic würde sie lösen.UndwaspassiertmitdenSchul-den, die in Euro angehäuftwur-den? Kann Griechenland sie je-mals zurückzahlen, oder wirdman gezwungen sein, Konkursanzumelden?Mit einer Zweiwährungsstrate-gie wäre Griechenland in einerwesentlich besseren Position,umdie Euro-Schulden zurückzu-zahlen. Das Land könnte sogardie drohende Zahlungsunfähig-keit vermeiden.DerGrunddafürist, dass die Zentralregierungweiter Steuern in Euro eintrei-ben würde. Jene Unternehmen,die im internationalen Handeltätig sind, würden weiter Steu-ern auf ihre Gewinne in Eurozahlen. Andererseits müsste dieZentralregierung einen Großteildes Budgets nicht mehr in Eurofinanzieren.Aber nicht den gesamten Etat?Eshandelt sichumjenenTeil, derderzeit Probleme bereitet: Bil-dung, öffentliche Verwaltungund alle sozialen Hilfsleistun-

gen. Die harten Kürzungen indiesen Bereichen führen dazu,dass das von Brüssel verordneteSparprogramm zurückgewiesenwird. Mit dem Civic können dieStädte und Regionen diese Pro-gramme in Eigenregie überneh-men, statt sie einzustellen,wie esderzeit geschieht. Außerdemkönnten sie stärker an die wahr-haft demokratischen Wünscheder Bürger angepasst werden.Außerdem würde der Civic einekeynesianisches Konjunktur-programm darstellen: Er schafftneue Nachfrage an der Basis –und das ganz ohne Schulden fürdie Zentralregierung oder dieGemeinden.Derweil geht die Krise immerweiter, nun hat auch SpanienProbleme …

Ja, denn Griechenland ist letzt-lich nur Indikator für ein weitgrößeres, systemisches Problem.Das gesamte auf Schulden ba-sierte Währungssystem ist aufDauer zum Scheitern verurteilt.Unddasgilt nichtnur fürdenEu-ro. Wir haben in den letzten 40Jahren auf der Welt laut Statistikdes Internationalen Währungs-fonds schon 425 Wirtschaftskri-sen gehabt, darunter 72 Schul-denkrisen.Diesmal trifftesEuro-pa, doch auch die USA sind nichtimmun. Wie lange wird der Dol-lar noch bestehen? Ich stelle mirschon lange diese Frage. Wirmüssen endlich die System-Pro-blemeangehen, oderwirwerdenuns eine blutige Nase holen.Wie könnte denn eine systemi-sche Lösung aussehen?Wir brauchen ein neuesmonetä-res Ökosystem, mit kleinen undgroßen Währungen. Wir brau-

„Nur Steuern verleihen Wert“GELD Griechenland braucht eine zweite Währung neben dem Euro, meint der alternativeFinanzexperte Bernard Lietaer. So soll eine soziale Parallelwirtschaft entstehen

INTERVIEW ERIC BONSE

taz: Herr Lietaer, was denkenSie über die Eurokrise, kommtsie für Sie überraschend?Bernard Lietaer: Ich fürchte, siewar absehbar. Denn der Eurowurde zwar technisch gut vorbe-reitet, doch man hat sich niewirklichGedankenüberdieGou-vernance, also eine gemeinsameWirtschafts- und Finanzpolitik,gemacht. Das hat man 30 Jahreschleifen lassen. Das lässt sichnicht mal eben mitten in einerKrise improvisieren.Das Hauptproblem ist derzeitGriechenland.Müssen die Grie-chen raus aus dem Euro?Aber nein, warumdenn? Es wäresogar einegroßeDummheit, denEuro ausgerechnet jetzt zu ver-lassen! Schließlich ist Griechen-land schon seit einiger Zeit zah-lungsunfähig. Der Ernstfall hatlängst stattgefunden, spätestensmit dem Schuldenschnitt imFrühjahr, trotzdem hat Grie-chenland immer noch den Euro.Außerdemwollen ihn80ProzentderGriechenbehalten.Nein,wasdas Land jetzt braucht, ist einezweite Währung!Denken Sie an den „Geuro“, dender Chefvolkswirt der Deut-schen Bank, Thomas Mayer,vorgeschlagen hat? Also eineArt Parallelwährung?Ja, genau. Mayers Ansatz ist rich-tig, denn er hat als erster Bankiererkannt, dass es nicht mehr aus-reicht, an den Symptomen her-umzukurieren. Wir brauchen ei-nenneuensystemischenAnsatz.Wie könnte der aussehen?So ähnlich wie Mayers Geuro,aber mit einem entscheidendenUnterschied: Mit der Parallel-währung müssen auch Steuerneingetrieben und bezahlt wer-den.DennnurdieSteuernverlei-hen einer Währung ihrenWert.Wie kann man sich das prak-tisch vorstellen?Nun, nennen wir die neue Wäh-rung Civic, das klingt besser alsGeuro und deutet an, worum esmir geht – nämlich um Bürger-engagement. Die griechischenStädte und Gemeinden könntendasRechterhalten,einenur inCi-vic bezahlbare Abgabe einzuzie-hen, also eine Art kommunaleSteuer. Um diese neue Währungzu erhalten, müssten die Bürgersich überlegen, was sie an sinn-vollen Arbeiten für die Gemein-de tun können. Neue Bäumepflanzen, arbeitslosen Jugendli-chen helfen, Fahrräder reparie-ren – alles ist möglich. Vereineund andere Nichtregierungsor-ganisationen könnten nützlicheJobs vorschlagen und die Leute

Euro-Maschine ausgebrannt: Geldautomat in Athen Foto: Hannelore Foerster/ecopix

die tageszeitung|Rudi-Dutschke-Str. 23|10969 [email protected] |www.taz.de/Zeitung

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.

Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

LESERINNENBRIEFE

Verbietet Muslimen Gardinen!■ betr.: „Nur Reformierte gehören zu Deutschland“, taz vom 2. 6. 12

Der Bundespastor sieht den Islamdoch irgendwie nicht als sowirk-lich zuDeutschland gehörig. Geschenkt! Übel wirdmir aber, wennschonwieder Religion undAufklärung als sich bedingend genanntwerden. Diese Geschichtsklitterungwird so oft wiederholt, bis esdann alle für dieWahrheit halten. Super-Gauck setzt dann noch ei-nen drauf, wenn er den Islamdepotenziert, da dieser keine Reforma-tion gehabt habe.Wiemeint der das? AnDiskriminierungenAnders-gläubiger, Glaubenskriegenund frauenverachtendenGesetzen fehltes dem Islameher nicht. Vielleichtmeint Gauck das protestantischeGardinenverbot, das jedes sündigeVerhalten vor demNachbarn ent-blößt. Reformiert den Islam! Verbietet denMuslimen die Gardinen!KAI BEIDERWELLEN, Speyer

Volle Souveränität des Parteitags■ betr.: „Linke vorerst wiedervereinigt“, taz vom 4. 6. 12

Was imBlätterwald landauf, landab als Chaos gesehenwird, ist inWirklichkeit etwas imnormierten Parteibetrieb Unbekanntes: De-mokratie.Diesmalwurdenicht schonvordemParteitag vondenPar-teioberen vorgegeben, was die Parteibasis dann aus Gründen der„Geschlossenheit“mitmöglichst 99 Prozent zu beschließen ge-wohnt ist, sonderndieVersammlunghatte die volle Souveränität alsdas „oberste Parteiorgan“. Was soll übrigens so schlimmdaran sein,wenn es viele Bewerber umein Parteiamt gibt?ALFREDMAYER,München

Ein bisschen Moral gibt es nicht■ betr.: „Obama bestimmt Drohnenziele selbst“, taz vom 30. 5. 12

Ein Friedensnobelpreisträger arbeitet seine persönliche Todeslisteab – und keiner regt sich darüber auf. ImGegenteil, beimAbschussvonBinLadenhat ihmdieWelt auchnochzugejubelt.Unddie sound-sovielteNummer auf der Liste bekommt gerademal eine kleineMel-dung amRande. Ja, ja, ich höre schon den Chor: Aber Bin Laden hatdoch auch so vieleMenschen getötet. Ja allerdings, das hat er, genaudeshalbmöchte ichmich auch nichtmit ihm auf eine Stufe stellen.Und ein Friedensnobelpreisträger sollte sich erst recht nicht auf dasNiveau einesMassenmörders herabbegeben. Aber genau das tut er,wenn er zudenselbenMethoden greift. Eine solche Tötung ohne Pro-zess undohneVerurteilung ist ganz einfach alsMord zu bezeichnen.Wobei eine Tötungmit Prozess undVerurteilungmeinerMeinungnach genauso unrecht ist. Da darfman keine Einschränkungen dul-den, ein bisschenMoral kann es eben nicht geben,mit ein bisschenTodesstrafe oder ein bisschen Folter. SABINEGENAU, Konstanz

Viele Kinder wickeln■ betr.: „Wer Kinder betreut, braucht Kenntnisse“, taz vom 31. 5. 12

Ichbinmit zweiAussagenvonHerrnDiederichnicht einverstanden:1. Ermeint, dass eine ErzieherInmaximal 10–12 Kinder unter dreiJahren betreuen dürfe. Diese Zahl ist viel zu hoch gegriffen. Eine Er-zieherIn sollte etwa 6Kinder betreuen, so sieht es zumindest der Be-treuungsschlüssel der Stadt Hamburg vor. 2. „Siemüssenmancheauch nochwindeln und sie aufs Töpfchen setzen.“Manche? Natür-lichmüssen sie die großeMehrzahl derKinder nochwickeln.Wohater seine Zahlen her? Etwas veraltet?REBECCA SELLO, Hamburg

Sehr reale Therapieprobleme■ betr.: „Bloß nicht zu viel um sich selbst kreisen“, taz v. 19. 5. 2012

Die Probleme, die Barbara Dribbusch beschreibt, sind sehr real. Einwesentlicher Teil davon ist freilich im jeweiligen Therapieverfahrenbegründet. Verhaltenstherapie ist, wie der Name sagt, eine Therapiefür StörungendesVerhaltens. Sie kannnur die gewünschteWirkunghaben,wenndas Problemgenaudefiniert ist. Für eigentliche psychi-scheProbleme ist sienur ausnahmsweise geeignet, ganz sichernichtfür Traumatisierungen. Tiefenpsychologie kannmehr erreichen.Aber deren Problem ist, dass sie den Therapeuten legitimiert, seineDeutung für richtig zu erklären, unabhängig davon, ob der Klientsich darinwiedererkennt. Personenzentrierte Therapeuten sind da-rin geschult, diesen Fehler zu vermeiden. Leider wird die personen-zentrierte Gesprächstherapie vomGemeinsamenBundesausschussnicht für die Kassenzulassung anerkannt.Ein Problem jedoch besteht für jedes Therapieverfahren:MancheMenschenmachen eine Therapie, umnotwendige Schritte oder Ent-scheidungenzuumgehen. Ein erfahrenerTherapeut verweigert sichda; aber hiermuss auch der Klient selber auf sich achthaben.WILFRIEDHASSELBERG-WEYANDT, Chemnitz

Zu aufwendig, zu gefährlich■ betr.: „Fässer dürften noch lang in der Asse lagern“, taz v. 2. 6. 12

EswarvonAnfanganklar,dasseskeineRückholungderFässergebenwird – viel zu aufwendig, viel zu gefährlich, nicht genehmigungsfä-hig. Alles andere ist politische Propaganda, die nur dazu dient, denWeiterbetrieb zu sichern. Eswar auch vonAnfang an klar, dass es nieeine gesicherte Endlagerung inDeutschland gebenwird. Es gibt kei-nen geeignetenOrt dafür. Was lernenwir daraus? Dass jetzt so lang-samdie Zeit kommt, wowir für unser verantwortungsloses Verhal-ten bezahlenmüssen. Ausbadenmüssen es dann unsere Nachkom-men. Na prima!HOLGERAUGUSTIN, Tübingen

Foto: Kris Krüg

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........................................................................................................................................................................................................Bernard Lietaer

■ Seit dem Beginn der Eurokrisediskutieren Experten wieder mehrüber die Einführung von Parallel-währungen. Bisher stand meist dieSpaltung in einen harten „Nord-Euro“ und einen weicheren „Süd-Euro“ für die Krisenländer zur De-batte. Im Mai schlug der Chefvolks-wirt der Deutschen Bank, ThomasMayer, vor, Griechenland solleSchuldscheine ausgeben und soeine Parallelwährung namens„Geuro“ schaffen. Allerdings ließMayer offen, wie und in welchenBereichen der „Geuro“ eingesetztwerden soll. Hier setzt nun der bel-gische Währungsexperte BernardLietaer ein. Er schlägt vor, kommu-nale Dienstleistungen vom Euroabzukoppeln und durch eine Paral-lelwährung namens Civic zu finan-zieren. Im Gegensatz zum „Geuro“und den meisten anderen Wäh-rungen soll der Civic nicht durchSchulden, sondern durch die Nach-

frage der Bürgernach zivilen

Diensten be-gründet wer-den.

Bislang teilen sich in einemHaushalt meist alle Geräte eineeinzige IP-Adresse, die dem DSL-Router oder Kabelmodem zuge-wiesen wird. Der neue StandardIPv6 ermöglicht es, jedes Gerätmit einer eigenen IP-Adresse zuversehen– etwaumgezielt ange-wählt zuwerden.Das ist sinnvoll,wennderNutzerunterwegsübersein Handy die Temperatur inseiner Wohnung regulierenmöchte. Der alte Standard IPv4bietet dafür zu wenig Adressen.Was ändert sich für den Ver-braucher?Im besten Fall ändert sich für dieInternetnutzer nichts. Aktuelle

Geräte und Betriebssysteme ver-stehen bereits IPv6. Schwierigkann es für veraltete Geräte oderBetriebssysteme werden. Undmanche Software hat ein er-staunlichhohesAlter–dakönnteunter Umständen ein versteck-ter Fehler zutage treten.Was tut die IT-Branche, damitdie Umstellung klappt?Bereits im vergangenen Jahr lie-fen einige Websites und Dienste24 Stundenparallel unter beidenProtokollen. Am Mittwoch ist„Launch Day“: Die Anbieter las-sen IPv6 dann eingeschaltet.Bleibt mit IPv6 die Anonymitätim Internet auf der Strecke?

Neue Postleitzahlen für das InternetIP-ADRESSEN AbMittwoch aktivieren Provider, Webseitenbetreiber und Hersteller vonInternetgeräten weltweit den neuen Onlinestandard IPv6. Was heißt das für den User?

BERLIN dapd/taz | An diesemMittwoch ändert sich die Archi-tektur des Internets: Provider,Betreiber von Webseiten undHersteller von Internetgerätenaktivieren weltweit den neuenAdressstandard IPv6. Die neuenOnline-Postleitzahlen gelten alsWegbereiter fürdas „InternetderDinge“ und sollen die Knappheitan IP-Adressen für den An-schluss von PCs und Handys andas Datennetz aufbrechen. Statt4 Milliarden sind künftig 340Sextillionen Adressen möglichsein.Washeißt das für denUser?Welche Vorteile bringt IPv6 fürdie Nutzer?

Grundsätzlich funktioniert dieArt der Kommunikation von In-ternetgeräten in beiden Proto-kollen gleich: So etwas wie dieRufnummernunterdrückungbeimTelefongibtesonlinenicht.Bei IPv6 bieten sogenannte Pri-vacy Extensions angeblich Si-cherheit: JedesGerät kannnebender fest zugewiesenen AdresseauchimmerwiederneueOnline-adressenbeziehen, die nur einenTag lang gültig sind. Damit kön-nen Nutzer etwa beim Surfen imNetz nicht langfristig erfasstwerden. Das ist heute bereitsStandard in den meisten Be-triebssystemen.

chen lokale, nationale, europäi-sche und weltweite Zahlungs-mittel.BisherhabenwireineMo-nokultur. Sobald ein kleines Pro-blem auftaucht, geht alles ka-putt, wie wir derzeit am Euro se-hen. Es wird daher höchste Zeit,dass die Verantwortlichen übereine systemische Lösung nach-denken.