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25. Juni 2015 413 RADICAL CHINESE Ein Gespräch mit dem Duo Gonzalez Haase DER RAUM ALS SKELETT OLE SCHEEREN IM INTERVIEW Das Querformat für Architekten

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    RADICAL CHINESE Ein Gesp

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    OLE SCHEEREN IM INTERVIEW

    Das Querformat für Architekten

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    Titel: MahaNakhon von Ole Scheeren © OMA, Foto: Cody

    Oben: Ole Scheeren im CCTV, Foto: © Buro Ole Scheeren

    Redaktion: Jeanette Kunsmann

    Texte: Tim Berge, Nadin Heinich, Sophie Jung,

    Jeanette Kunsmann

    Gestaltung: Toni Kny

    Artdirektion : Markus Hieke

    6 Radical Chinese

    7 Last Analogue Architect

    Ole Scheeren im Interview

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    oche Bilderbuchkarriere: Er hat mit 14 Jahren im Büro seines Vaters angefangen zu entwerfen, mit 21

    das erste Haus gebaut und war mit 31 Partner bei OMA. Dort vor allem für die Großprojekte in China zuständig, trennte sich Ole Scheeren 2010 von Rem Koolhaas, und hat sich in Peking mit seinem eigenen Buro-OS selbständig gemacht. Autorin Nadin Heinich hat mit dem heute 44-jährigen über seine Hochhausplanungen in Asien, die chinesische Baukultur und seinen Antrieb gesprochen. Scheeren möchte „echte, radikale Gedanken umsetzen und damit Realität verändern“.

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    3 Architekturwoche

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    http://www.baunetz.de/newsletter/verwaltung.html

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    Ausgerechnet die Ted Conference! Dieser Kern einer multimedialen Kommunikations-struktur, der aus den Gipfeltreffen der digitalen Eliten in Kalifornien entstanden ist und zudem Hashtags auf jedes soziale Netzwerk wie Taubenfutter verteilt, gibt sich plötzlich anti-digital. Bruno Giussani, Kurator der letztwöchigen Ted-Conference in London, hat alle Smartphones und Tablets aus dem Publikum verbannt. Grund sei der Nachahmungstrieb: Sieht man eines anderen Konterfei vor dem bläulich leuchtenden Bildschirm, muss man kurzerhand wohl selber schauen. Und das gerne rund 285 Mal am Tag, zitiert Andrian Kreye in der Süddeutschen Zeitung eine britische Studie. Die Ted-Besucher befürworteten das neue Geräte-Verbot wohl. Auf Anfrage Giussanis soll das gesamte Publikum die Hand gehoben haben. Ob diese Einstimmigkeit wohl auch mit dem Nachahmungstrieb zu tun hat? sj

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    Foto: Tim Bishop

    http://www.uncubemagazine.com/magazine-33-15508949.html#!/page1

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    NEWS

    In einer gebirgigen Landschaft mit üppiger Vegetation schufen Alventosa Morell Architekten aus Barcelona ein Ferienhaus, das sich gut einfügt, kaum Heizenergie benötigt und eine gelun-gene Mischung von Individual- und Gemeinschaftsräumen darstellt. Nahe des katalanischen Städtchens Santa Ma-ria de Palautordera steht das Ensemble aus sechs eingeschossigen Holzboxen, die um einen gemeinsamen Innenraum gruppiert sind. Sämtliche Bäume und Sträucher auf dem Grundstück blieben erhalten. Errichtet aus vorgefertigten Elementen in Holzbauweise, öffnen sich die Boxen über kleine quadratische Fenster gen Süden, während die ge-meinsame Zone dazwischen verglast ist. www.baunetzwissen.de

    BOXEN IN SANTA MARIA FERIENHAUS IM BAUNETZ WISSEN

    Foto: Amir Fattal, Atara 1, 2015 © BuildingScape Foto: „Art in the City“ von Moreau Kusunoki & Arup

    Mit 1.715 Beiträgen aus 77 Ländern ist es eines der größten internationalen Wettbewerbsverfahren der letzten Jahre – oder vielleicht überhaupt. Am Dienstag wurde entschieden: Das Team Moreau Kusunoki (Paris) und Arup (Berlin) ge-winnt den anonymen Realisierungswett-bewerb für das Guggenheim Helsinki. Der Siegerentwurf „Art in the City“ konnte sich gegen die anderen fünf Fi-nalisten der Shortlist durchsetzen. Marc Wigley begründete die Entscheidung der elfköpfigen Jury unter anderem mit der „extremen Flexibilität“ des Beitrags. Der 45 Meter hohe Turm soll einen neuen Blick über Helsinki bieten. Die Ausstel-lungsräume werden vor allem von oben belichtet. www.baunetz.de

    EINER AUS 1.715GUGGENHEIM HELSINKI ENTSCHIEDEN

    Der BDA Berlin wird 100. Aus Anlass dieses runden Jubiläums erteilt der Bund Deutscher Architekten in einer Filmreihe langjährigen Weggefährten, Mitstreitern für die Baukultur und prägenden Gestaltern der Stadt Berlin das Wort. Interviews mit 17 Zeitzeugen der Geburtsjahrgänge 1912–46 wurden in Kurzfilmen festgehalten und werden nun in einer Ausstellung gezeigt, unter anderem Georg Heinrichs, Bruno Flierl, Jürgen Nottmeyer, Ursulina Schüler-Witte, Hinrich Baller, Helga Schmidt-Thomsen und Wolf R. Eisentraut sowie mit den mit den bereits verstorbenen Architekten Hilde Weström und Hardt-Waltherr Hämer. 25. Juni bis 15. Juli 2015 in der BDA Galerie Berlinwww.bda-berlin.de

    100 JAHRE BDA BERLINAUSSTELLUNG UND FILME

    Am 24. Juni hat BMW MINI in be-merkenswert kleinem Rahmen in Berlin seinen neuen Clubman der Weltöffent-lichkeit vorgestellt. Das neue Auto ist das erste aus einer zukünftig auf fünf Model-le beschränkten Produktfamilie und soll – Maximise the Experience – Focus on the Essentials – eine neue Ära für die Marke einläuten. Dazu gehört, dass es möglich sein wird, seinen privaten MINI, ob gekauft oder geleased, dem Car-Sharing Angebot DriveNow zur Verfügung zu stellen, wenn man ihn nicht braucht. Neben diesem, und vielen anderen Features, sei allerdings zu beachten, dass dieses Auto mit seinen 4,25 Metern Län-ge eins nicht ist: Nämlich mini.www.mini.de

    DEIN AUTO FÜR ALLE!CLUBMAN IN BERLIN VORGESTELLT

    http://www.baunetzwissen.de/objektartikel/Nachhaltig-Bauen-Ferienhaus-in-Santa-Maria-de-Palautordera_3971745.htmlhttp://www.baunetz.de/Wettbewerbsergebnisse_685449.html?source=a-zhttp://www.bda-bund.de/aktuelles/veranstaltungen/artikel/2015/05/13/stadtgestalten.htmlhttp://www.mini.de/mini_concepts/clubman/

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    *Stand: 17. Juni 2015

    In Frankfurt muss man sich in Acht nehmen: Zwar werden die Kleinkrimi-nellen des Bahnhofsviertels nach und nach durch aufstrebendes Hipstertum und die nachfolgenden Banker ver-drängt, doch die richtigen Bösewichte kommen gerade erst, zumindest dem Namen nach. Denn nach Maxie Eisen wurde nun ein weiteres Restaurant nach einem Mitglied der Kosher Nostra benannt: Das Stanley Diamond von den Ardinast-Brüder und Oskar Melzer sieht sich als großer Bruder seines Vorgängers und wirkt auch eine ganze Spur seriöser.mehr…

    SCHWERE JUNGS UNDLEICHTE KÜCHEPROJEKT BEI DESIGNLINES

    Konstruktionszeichnungen für Sojus-Kapseln oder die Weltraumstationen Saljut und Mir: Die Ausstellung über das Werk der russischen Architektin Galina Balaschowa präsentiert eine einzigartige Sammlung von Entwürfen für die sowje-tische Kosmonautik. Als Beraterin wirkte Balaschowa für das Buran-Programm, das sowjetische Pendant zum Space Shuttle. Der hochtechnisierten Welt der Antriebs-raketen, Laboratorien und Geräte zur Le-benserhaltung verlieh Galina Balaschowa mit ihrem Streben nach Harmonie und Schönheit eine emotionale Note. Das Deutsche Architekturmuseum in Frank-furt entführt die Besucher nun in Galina Balaschowas Welt der Architektur, in der Schwerkraft durch Schwerelosigkeit ersetzt ist. 27. Juni bis 15. November im DAM Frankfurt. www.dam-online.de

    DESIGN FÜR DIE SOWJETI-SCHE RAUMFAHRTAUSSTELLUNG IN FRANKFURT

    Foto: Steve Herud

    Auer Weber, Bollinger + Grohmann, Eike Becker, GRAFT, HPP, KSP Jürgen Engel Architekten, LAVA, Nickl & Partner, schneider + schumacher und Staab Architekten: Die aktuelle Ausstel-lung des Netzwerks Architekturexport der Bundesarchitektenkammer ver-eint die Arbeiten von 28 international tätigen deutschen Architekturbüros mit Sitz in Deutschland. Mit drei Themen-feldern konzentriert sich die Wander-ausstellung vor allem auf das Leben und Arbeiten im urbanen Kontext. Über 40 Bauwerke zeigen, wie selbst komplexe Herausforderungen baulicher Art an jedem Ort gemeistert werden können. 25. Juni bis 30. August 2015 im Deutsch-landzentrum (CIDAL), 31 Rue de Condé, 75006 Pariswww.nax.bak.de

    DEUTSCHE ARCHITEKTUR IN PARIS NETZWERK ARCHITEKTUREXPORT

    Foto: © Auer Weber – Learning Center Innovation, Lille Bild: Entwurf für die Platzierung des Namens auf der Raumstation Mir (1980) © Archiv Galina Balaschowa

    Foto: Do We Dream Under The Same Sky, Art Basel 2015, © Art Basel

    „Do we dream under the same sky“ hieß die diesjährige Installation auf dem Messeplatz während der Art Basel. Dahinter steckten der Konzeptkünstler Rirkrit Tiravanija, die deutschen Ar-chitekten Nikolaus Hirsch und Michel Müller sowie der finnischen Chefkoch Antto Melasniemi. Was man auch nicht sieht: Die modulare Konstruktion aus Bambus und Stahl für Kräutergarten, Küche und Aufenthaltsbereich wurden zusammen mit dem Ingenieurbüro Bol-linger + Grohmann geplant. Während der Messetage konnten Besucher in der Solarküche Gerichte mit thailändischer Tradition erhalten – ohne Speisekarte und Preisliste, sondern gegen einen persönlichen Einsatz, indem man beim Kochen oder Spülen half. www.artbasel.com

    KOCHEN AUF DEM MESSE-PLATZ INSTALLATION IN BASEL

    http://www.designlines.de/projekte/Schwere-Jungs-_-leichte-Kueche_15774079.htmlhttp://www.dam-online.dewww.nax.bak.dewww.artbasel.com

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    VON NADIN HEINICH

    Vielleicht klingt sein Weg im Nachhinein geradliniger als er tatsächlich war. Ole Scheeren wurde 1971 in Karlsruhe geboren. Der Vater war Architekt, schon als Kind baute Scheeren mit ihm seine ersten Häuser. Studiert hat er dann in Karlsruhe, in Lausanne, bei Luigi Snozzi, und an der Architectural Association in London. Mit 21 Jahren war er das erste Mal in China, reiste mit dem Rucksack drei Monate quer durch das Land. Eine intensive, ursprüngliche Erfahrung, die, wie er selbst sagt, sein Verständnis der Welt grundlegend verändert hat, eine Befrei-ung von der rein westlichen Perspektive, Bequemlichkeiten und der gewohnten Geborgenheit. Scheeren ging nach Rotterdam, um für Rem Koolhaas zu arbeiten. Mit einunddreißig Jahren wurde er Partner, verantwortlich für das Asiengeschäft und plante mit CCTV das zweitgrößte Bürogebäude der Welt. 2010 schließlich, nachdem er 15 Jahre für OMA tätig war, gründete er sein eigenes Büro in China mit zwei Niederlassungen in Beijing und Hongkong – China als kreative Basis, „von China aus denken“. Das klingt alles wahnsinnig inspirierend, aber auch nach dem Austesten der eigenen physischen und psychischen Grenzen. Nun plant Scheeren die Eröffnung einer weiteren Dependance in Berlin. Passt das – allein wenn man sinnbildlich an die unendlich langsamen Rolltreppen und Aufzüge am Berliner Hauptbahnhof denkt? Vielleicht ist gerade diese Reibung interessant.

    LAST ANALOGUE ARCHITECTOLE SCHEEREN IM INTERVIEW

    Ole Scheeren, Foto: Bjarne Jonasson

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    Auf Fotos sieht Ole Scheeren meist gleich aus: dunkle Hosen, weißes Hemd, dunkler Blazer. Schwer vorstellbar, dass er jemals T-Shirts mit lustigen Sprüchen oder farbige Socken tragen würde oder, wie andere Kollegen, in einem dreiminütigen Imagefilm mal eben die Welt erklärt. Beim Interview in Amsterdam redet er überraschend langsam, freundlich, ohne Allüren oder diese komische Mischung aus Deutsch und Englisch. Auf den ersten Blick glaubt man gar nicht, dass Scheeren so ein Monstrum wie CCTV geplant hat.

    Kam für Sie je ein anderer Beruf als Architekt in Frage?

    Ich bin als Kind an der Uni aufgewachsen, als ich geboren wurde, waren meine Eltern noch Studenten. Zuerst hat das in die entgegengesetzte Richtung gewirkt, ich habe die Architekturmodelle an der Uni zerstört. Mit 14 Jahren habe ich dann im Büro meines Vaters angefangen zu entwerfen und mit 21 Jahren das erste eigene Haus gebaut. Ich bin also sehr früh mit den Realitäten dieses Berufs konfrontiert worden, den positiven wie den negativen.

    Haben Sie nie den Wunsch verspürt zu rebellieren?

    Doch, natürlich, zwischen sechzehn und achtzehn. Literatur und Musik haben mich auch stark interessiert. Das Schreiben bedeutete für mich aber eher Freiheit als Bindung. In beiden Bereichen habe ich schnell gemerkt, dass ich nicht gut genug bin, Bedeutendes zu schaffen. Und ich war schon so tief drin im räumlichen Denken. Zu Schulzeiten habe ich Architekturmodelle gebaut, um damit Geld zu verdienen. Mich hat es fasziniert, Pläne in Modelle zu übersetzen, von 2D in 3D zu denken.

    Waren Sie manchmal genervt, wenn es schlechte Entwürfe waren, von denen sie Modelle bauen sollten?

    Oh ja! Aber ich habe mich dann auf das Handwerkliche konzentriert. Als Kind habe ich mit meinem Vater zwei Häuser gebaut, in denen wir später auch gelebt haben. Diese intensive handwerkliche Erfahrung hat mich sehr geprägt. Ich glaube, ich bin einer der „last analogue architects“. Das heißt, für mich gibt es eine klare Trennung zwischen den Dingen, die der Computer leistet, und denen, die ich für angebracht halte.

    1500 West Georgia in Vancouver von Ole Scheeren, Bild © Buro-OS

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    CCTV in Peking von Rem Koolhaas und Ole Scheeren, Foto: Iwan Baan

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    Die neue Sendezentrale des chinesischen Staatsfernsehens, nach dem Pentagon das zweitgrößte Bürogebäude der Welt, ist eines der komplexesten Bauprojekte der letz-ten Jahre. Der „dreidimensionale Loop“ beherbergt die Fernsehstation mit ihren Büros, der Sendezentrale, Studios, aber auch Freizeiteinrichtungen, Restaurants, eine Klinik sowie einen öffentlichen Rundgang. Bevor CCTV 2012 eröffnet wurde, haben zeit-weise 400 Architekten und Ingenieure über drei Kontinente hinweg an diesem Projekt gearbeitet sowie 10.000 Bauarbeiter während des Innenausbaus in drei Schichten vierundzwanzig Stunden lang. Technisch befand sich der Entwurf außerhalb aller Bau-vorschriften, statisch war so etwas noch nie zuvor versucht worden: fünfundsiebzig Meter Auskragung von elf Geschossen in einhundertsechzig Metern Höhe. Konzipiert zu einer Zeit in der alle von Fortschritt und Veränderung träumten – China war gerade der Welthandelsorganisation beigetreten und hatte die olympischen Spiele zugespro-chen bekommen – steht CCTV symbolisch für den Aufbruch des Landes.

    CCTV in Peking von Rem Koolhaas und Ole Scheeren, Fotos: Iwan Baan

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    Unsere Werkzeuge bestimmen, wie wir denken. Beim Zeichnen mit dem Computer sieht man immer nur einen Ausschnitt, das ändert sich erst jetzt, wenn Gebäude kom-plett in 3D geplant und gedacht werden. Das Zeichnen per Hand ist immer noch viel intuitiver, unmittelbarer.

    Aber zurück zu den Architekturmodellen. Von dem Geld habe ich mir ein gebrauchtes Auto gekauft und bin damit durch Europa gefahren, um mir Gebäude in echt anzuse-hen, unmanipuliert. Fotos haben mir nicht gereicht. Architektur eröffnet im besten Fall einen emotionalen Raum – es gibt einige Gebäude, da passiert etwas, wenn man sie betritt.

    Sind Sie allein gereist? Welche Gebäude haben Sie am meisten beeindruckt?

    Natürlich allein! Nachhaltig beeindruckt hat mich zum Beispiel die Casa Barragán, das Haus und Atelier des Architekten Luis Barragán in einem Vorort von Mexiko-Stadt. In Europa, im Tessin, die Gebäude von Luigi Snozzi. Bei einem seiner Wohnhäuser bin ich um die Gärten herumgeschlichen, bis schließlich eine Frau herauskam und mich fragte, was ich hier eigentlich machte. Dann saß ich acht Stunden bei ihr in der Wohnung und sie erzählte mir, wie dieser Architekt, dieses Haus ihr Leben komplett verändert hatte. Dabei wollte sie ursprünglich nur eine urige Hütte.

    „Mit vierzehn Jahren habe ich dann im Büro meines Vaters angefangen zu entwerfen und mit einundzwanzig Jahren das erste eigene Haus gebaut.“

    Sie waren sehr jung, als Sie Partner bei OMA wurden und das Asiengeschäft übernommen haben. Wie sind Sie mit dieser enormen Verantwortung, diesem Druck umgegangen?

    Mit achtundzwanzig Jahren habe ich die Prada-Projekte geleitet, mit 31 Jahren das Asiengeschäft. Dann kam gleich CCTV: die neue Sendezentrale des chinesischen Staatsfernsehens – ein absolutes Ausnahmeprojekt. Ich habe CCTV extrem ernst genommen, um zu verstehen, was vor mir ist. Ich bin durch die USA gereist, um Leute direkt für mein Team oder als Berater zu gewinnen. Aber es gab zu diesem Zeitpunkt kein Gebäude, das annähernd so groß war, und schon gar nicht eines, das in China errichtet worden wäre. Es gab also niemanden, der ähnliche Erfahrungen gemacht hatte. Das war eine Befreiung für mich, ich konnte nun mit einer offenen Systematik an das Projekt herangehen. Sehr schnell habe ich erkannt, dass intuitive Wachsamkeit und strategisches Manövrieren sehr viel wichtiger sind als traditionelles Wissen,

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    Guardian Art Center in Peking von Ole Scheeren, Bild © Buro-OS

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    Guardian ist eines der wichtigsten chinesischen Auktionshäuser, das Guardian Art Center der erste Neubau für ein Auktionshaus überhaupt. Weder Christie’s noch Sotheby’s haben sich bisher neue Zentralen errichten lassen. Der Neubau befindet sich im Zentrum Pekings, nahe der Verbotenen Stadt. Direkt nebenan grenzen mit den Hutongs, den alten, ein- oder eineinhalbgeschossigen Hofhäusern, historische Stadt-strukturen, aber auch das moderne Peking. Dieser Gegensatz zwischen alt und neu, den unterschiedlichen Maßstäben, wird in das Auktionshaus übertragen. Im unteren Gebäudeteil schichten sich kleinteilige Kuben auf- und aneinander. Darüber schwebt ein großer Ring, der den Maßstab der modernen Stadt aufgreift.

    Programmatisch ist das Guardian Art Center ein Hybrid zwischen Kunst, Leben und Kommerz: für das Ausstellen sowie das Handeln mit Kunst, ein Boutique-Hotel und Restaurants sind ebenfalls integriert. Im Zentrum liegt ein musealer Raum, 1.700 Quadratmeter, stützenfrei, über das Jahr hinweg öffentlich, nur während der Auktions-zeiten er für die zu versteigernden Objekte vorgesehen. Mit einigen einfachen Mitteln soll dieser Raum umgestaltet und für Veranstaltungen genutzt werden können. Die Eröffnung des Guardian Art Center ist für 2016 geplant.

    Guardian Art Center in Peking von Ole Scheeren, Bild © Buro-OS

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    Dass die Menschen dort etwas wollen. Die Frage nach der Zukunft stellt sich in China viel radikaler. Es ist eine Gesellschaft, die explizit auf die Zukunft fokussiert ist. Der Westen ist da viel risikoscheuer – und hat auch mehr zu verlieren. Bei einem Ge-bäude jenseits aller Bauvorschriften, wie das bei CCTV der Fall war, bedeutet das in Deutschland sehr wahrscheinlich das Ende des Projektes. In China haben wir uns mit den Behörden zusammengesetzt, ein Expertengremium mit den dreizehn erfahren-sten Statikern des Landes gebildet und in zwei Jahren intensiver Zusammenarbeit ein baubares und sicheres Gebäude entwickelt. Ich bin aber ein klarer Gegner von der Idee des „wilden Ostens“, in dem sich Architek-ten austoben können. Wir haben eine große gesellschaftliche Verantwortung. Es ist essenziell, sich auf Gegebenheiten vor Ort einzulassen. Mich interessiert der kulturelle Spagat, zu fragen, was kann ich mitbringen, das für den Ort relevant ist, wie kann ich der Kultur neue Aspekte hinzufügen, das nach vorn Gewandte, und gleichzeitig die Vergan-genheit nicht vergessen. Bei einem unserer aktuellen Projekte, dem Guardian Art Center in Peking, geht es genau darum, Zukunft und Vergangenheit, die beiden Extreme, zu verbinden.

    Sie brauchen nicht viel Schlaf, oder?

    Nein, vier bis fünf Stunden reichen aus.

    Was fasziniert Sie an China?

    „Es ist eine Gesellschaft, die explizit auf die Zukunft fokussiert ist. Der Westen ist da viel risikoscheuer – und hat auch mehr zu verlieren.“

    Bekannte, etablierte Systeme funktionieren in China oft nicht. Es war eine ungeheuer intensive Erfahrung, zeitlich und physisch. Sich auf diesen Prozess einzulassen, nicht mit vorgefertigten Ideen zu kommen, wie alles abzulaufen hat, sondern genug Zeit in China zu verbringen, um zu verstehen, wie die Dinge funktionieren.

    DUO in Singapur von Ole Scheeren, Bild: © Buro-OS

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    MahaNakhon in Bangkok von Ole Scheeren, Bild © OMA

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    Mit seiner Fertigstellung 2016 wird MahaNakhon mit seinen 77 Etagen das höchste Hochhaus Thailands sein. Im Geschäftsviertel von Bangkok gelegen, versammelt dieser Turm überwiegend Wohnungen, ein Boutique-Hotel, Geschäfte sowie Bar und Restau-rant in der obersten Etage. Interessant ist, dass sich das Gebäude nach unten wie nach oben in eine pixelhafte Struktur aufzulösen scheint. Terrassen und Wohnbereiche treten nach außen und machen so die Kleinteiligkeit der Behausungen sichtbar.

    MahaNakhon in Bangkokvon Ole Scheeren, Bilder © OMA

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    Inzwischen leben über fünfzig Prozent der Menschen in Städten. Das können wir nicht mehr in der horizontalen Dimension lösen. Die Bausubstanz Asiens wird von Hoch-häusern bestimmt. Dieser Gebäudetyp ist in Asien viel positiver besetzt, in Europa wird er viel kritischer gesehen. Für mich ist die Frage, was bedeutet das Hochhaus, welche Potentiale, Möglichkeiten – und welche Probleme beinhaltet es? Zwei Charakteristika halte ich für überdenkenswert: Der Maßstab der sehr großen Gebäude, der sich dem Maßstab der Menschen entzieht, und die Trennung von Gebäude und öffentlichem Raum, die Isolation des vertikalen Turms. In meinen Entwürfen geht es unter anderem darum, Hochhäuser wieder an den öffentlichen Raum anzubinden und das Leben, das in ihnen stattfindet, nach außen sichtbar zu machen.

    Sie wollen in diesem Jahr nach Deutschland zurückkehren und ein Büro in Berlin eröffnen. Nach Ihren Erfahrungen in China – ist Deutschland nicht ein bisschen zu langsam für Sie?

    Das ist keine „Rückkehr“ oder „Heimkehr“! Für mich bedeutet dieser Schritt ein Weit-erentwickeln, eine Internationalisierung unserer Arbeit. Die letzten zehn Jahre habe ich mich komplett auf Asien konzentriert. Es war wichtig, sich einige Zeit intensiv auf diese Kultur einzulassen, wir haben von China aus für ganz Asien geplant. Aber das Interes-sante für mich ist das Leben zwischen den Kulturen, diese Vielschichtigkeit. Ich kenne beide Welten intimer als viele andere. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, weiter nach vorn zu denken, die Erfahrungen aus Asien mitzunehmen, zu sehen, welche Potentiale auf Eu-ropa oder Asien übertragen werden können. Vielleicht planen wir von Asien für Europa, vielleicht kommt noch ein Büro in den USA dazu. Dieses Spielfeld ist mir wichtig, zu entscheiden, wo welche Sensibilitäten am besten eingesetzt werden können.

    Sie haben bisher sehr viele Hochhäuser – viele davon stark dekonstruiert – realisiert. Was reizt Sie an dieser Typologie?

    Was treibt Sie an?

    Mich interessieren neue Möglichkeiten, das emotionale Spektrum der Architektur zu öffnen. Der pure Gedanke, das Konzept und die Realität. Echte, radikale Gedanken umzusetzen und damit die Realität zu verändern.

    „Ich bin aber ein klarer Gegner von der Idee des ,wilden Ostens‘, in dem sich Architekten austoben können.“

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    The Interlace in Singapur von OMA/Ole Scheeren, Foto: Iwan Baan

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    Mit maximal 24 Geschossen handelt es sich bei The Interface, technisch betrachtet, immer noch um ein Hochhaus, jedoch dominiert hier, am Stadtrand von Singapur, nicht die Vertikale. Die Türme wurden „umgekippt“ und dann so aufeinandergestapelt, dass hexagonale Innenhöfe entstehen. 31 Wohnblöcke, jeweils sechs Geschosse hoch, ergeben 1040 Wohnungen insgesamt, die sich im mittleren Preissegment bewegen. Dazwischen (halb-)öffentliche (Dach-)Gärten, Balkone, Swimmingpools, ein Open-Air-Theater sowie eine Joggingstrecke. The Interlace in Singapur von OMA/Ole Scheeren, Fotos: Iwan Baan

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    DEKONSTRUKTION, REKONSTRUKION ART BASEL UNLIMITED

    VON JEANETTE KUNSMANN

    Eine Ausstellung, in der Künstler wie Ai Weiwei und Olafur Eliasson am Rand stehen? Gibt es selten. Anders auf der Kunstmesse Art Basel. Hier kann man sich in der Sektion Unlimi-ted in Gregor Schneiders Liebeslaube den Kopf stoßen, während Julius von Bismarck sechs Tage lang in seinem Egocentric System im Kreis rotiert, und Kader Attia mit Steinen auf leere Glasvitrinen wirft. Die Besucher lau-fen durch Scherben.

    Kader Attia: „Arab Spring“, 2014, Galleria Continua, Unlimited in Basel 2015, Foto: © Art Basel

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    Marlene Dumas, Paul Gauguin und Tobias Rehberger warten in der Fonda-tion Beyerle, das Vitra Design Museum zeigt Making Africa. Depot, Liste oder die Buchmesse I Never Read – es gibt unzäh-lige Veranstaltungen, die alljährlich den Trubel rund um die Art Basel begleiten. Ein Highlight in diesem Jahr findet sich direkt in den Messehallen: der Sektor Unlimited in Halle 1. Seit 15 Jahren gibt es dieses Format parallel zur Kunstmes-se, um Galerien die Gelegenheit zu bie-ten, auch überdimensionale Skulpturen, Videoprojektionen, Installationen oder Performance-Kunst auszustellen, die in einem Messestand nicht gezeigt werden können. Entsprechend dieser Übergrö-ße ist auch der Raum dimensioniert, entsprechend der wilden Mischung ist die Lautstärke. 74 Kunstprojekte auf 17.000 Quadratmetern – Messe en mas-se. Wiederkehrendes Element sind die Grundformen Kreis und Quadrat. Das Rad muss nicht neu erfunden werden – es muss sich nur anders drehen.

    Live-Performance schlägt die Malerei, sobald dieser die richtige Hängung fehlt. Pedro Reyes hat für seine Arbeit Disarm, Mechanized II (2014) konfiszi-erte Maschinengewehre und andere Schusswaffen gesammelt und aus deren Einzelteilen selbsterfundene Musikin-strumente gebaut. Das klingt zunächst gewohnt, sorgt aber als Konzert mit

    unsichtbaren Musikern für eine eher unheimliche Atmosphäre. Das Bild der zerschlagenen Vitrinen von Arab Spring ist weitaus direkter: Hier griff der Künst-ler selbst zu den Steinen. Der in Paris geborene Künstler algerischer Herkunft Kader Attia spielt mit dieser Arbeit auf die Plünderung des Ägyptischen Muse-ums in Kairo an und reflektiert so den Misserfolg der politischen Aufstände im Mittleren Osten Anfang des Jahres 2011.

    Stiller hingegen ist es bei Franz Erhard Walthers Textilskulptur Wallformation Gelbmodellierung (1980/81). In einen gelben Mantel gekleidet, verschwindet der Künstler in der ebenso gelben Wand und wird selbst zum bildhauerischen Material. Diese seit 1989 nicht mehr ausgestellte Arbeit kann man als Bild, Skulptur oder auch als Aktionsraum verstehen. Bei David Shrigleys Life Model (2012) werden nicht die Künstler, sondern die Zuschauer zum Teil der Performance, wenn sie sich um die drei Meter große, comichafte Aktfigur im Kreis gruppieren, um sich im Freihand-zeichnen zu üben.

    Julius von Bismarck versteht sich selbst als Material und lässt sich (und einen Künstlerkollegen) sechs Tage lang in einer Swimmingpool-großen Schüssel im Uhrzeigersinn rotieren – und das mit vier Sekunden pro Umdrehung in einem

    Oben: Julius von Bismarck: „Egocentric system“, 2015, Marlborough Fine Art, Unlimited in Basel 2015, Foto: © Art Basel;unten: Pedro Reyes: „Disarm Mechanized II“, 2014, Lisson Gallery, Unlimited in Basel 2015, Foto: © Art Basel

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    Tempo, bei dem den meisten schon vom Zuschauen schwindelig wird. Ausgestat-tet mit Stuhl, Tisch und Matratze, blei-ben Handy und iPad die einzige Verbin-dung zur Außenwelt. Ein Experiment. Seinem drehenden Paraboloid ist der junge Berliner gewachsen, schließlich hat er ähnliches nur wenige Tage zuvor auf der Momentum-Biennale mit einem VW Polo gemacht. „Irgendwann stabilisiert man sich“, sagt von Bismarck in einem Interview mit Monopol. „Man glaubt selber stillzustehen, während sich die Welt um einen dreht.“ Ein Bild, das ebenso gut auf den aktuellen Kunst-markt zutrifft.

    Die Umstrukturierung von Hierarchien und die Neuerfindung von gewohnten Ordnungen findet sich auch in anderen Arbeiten wieder. Hans-Peter Feldmann reiht alte Werke der Landschaftsmalerei in Öl an ihrem Horizont aneinander und kreiert so ein neues Bild. Ähnlich, aber wesentlich reduzierter ist Marcia Hafifs An Extended Gray Scale (1973): eine an drei Wänden gehängte Abfolge von Weiß- und Grautönen. Robert Irwin ordnet in seiner Installation ebenfalls Schwarz und Weiß auf eigene Weise und spannt dabei einen Raum auf. Wer in Black3 (2008) durch die engen Reihen

    zwischen den durchscheinenden Panee-len geht, wird ein anderes Bild haben, als derjenige, der das schwarze Quadrat frontal betrachtet.

    Es gibt auch Wiedersehen: Der New Yorker Galerist David Zwirner hat Dan Flavins leuchtende Farbspiele aus Euro-pean Couples, 1966–1971 in einer der weißen Kabinen installieren lassen. Auch Günther Ueckers Sandmühle/Sand Mill aus dem Jahr 1969 wurde 2014 neu „auf-gelegt“. Und Gianni Colombos Architet-tura cacogoniometrica. Ambiente, 1984 ist eine Rekonstruktion seines Beitrags zur Kunstbiennale in Venedig vor 31 Jahren. Die Säulenkomposition auf schrägen Böden spielt mit der eigenen Stabilität und provoziert Schwanken und Schwin-delgefühle. Jeppe Heins 360° Illusion III (2007) hingegen schwebt still über den Köpfen der Besucher. Der verspiegelte, abstrakte Riesen-Bumerang rotiert nur langsam, gibt den Besuchern dabei aber ein andere Perspektive, ein neues Selbst-bild. Und anders als von unten, sieht von schräg oben jeder gut aus – solange man aufmerksam bleibt, und zwischen all den Exponaten und Installationen den Blick auch in die Höhe hebt. Grenzen kennt Kunst bekanntlich nicht, schon gar nicht in einer Messehalle.

    Franz Erhard Walther: „Wallformation Gelbmodellierung”, 1980/81, Peter Freeman, Inc., Skopia P.-H. Jaccaud, Galerie Jocelyn Wolff, Unlimited in Basel 2015, Foto: © Art Basel

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    DER RAUM ALS SKELETT

    Pierre Jorge Gonzalez und Judith Haase, Foto: Casper Sejersen

    Wer in der Kunst- und Kulturwelt Berlins unterwegs ist, der wird um Gonzalez Haase nicht herumkommen, zumindest nicht um ihre Räume: Kaum jemand hat so viele Galerien, Concept Stores und Modegeschäfte gestaltet wie das deutsch-französische Duo. Judith Haase und Pierre Jorge Gonzalez sind eines der spannendsten Architekturbüros der Hauptstadt, und wir haben mit ihnen über Gestaltung ohne Geflunker, die Watermill-Connection und die Farben von Katastrophen gesprochen.

    VON TIM BERGE

    EIN INTERVIEW MIT GONZALEZ HAASE

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    JH: Das war 1997 im Watermill Center von Robert Wilson. Pierre Jorge war eingela-den, und ich war es auch. Ich arbeitete dort seit 1992 an der Entwicklung des Ortes als Teil meiner Diplomarbeit.

    PJG: Ich war über einen meiner Pariser Professoren dorthin gekommen, denn ich studierte zu dem Zeitpunkt noch Bühnenbild. Weil ich kaum Englisch sprach, war meine einzige Chance, mit den anderen zu kommunizieren, durch meine Arbeit. Das machte nicht nur Robert Wilson auf mich aufmerksam, sondern auch Judith. Für uns war es von Anfang an etwas sehr natürliches, miteinander zu arbeiten, da sich unsere Fähigkeiten sehr gut ergänzten. Wilson bat uns dann, auf Dauer zu bleiben und die Entwicklung des Watermill Center voranzutreiben.

    Wo und wie habt ihr euch kennengelernt?

    JH: Das war 1999. Wir hatten die Planungen für das Center beendet, und Wilson musste erstmal das Geld auftreiben, um mit dem Bau starten zu können.

    PJG: Wir hatten zu diesem Zeitpunkt auch beide etwas Heimweh: Und so kam alles zusammen, und wir entschlossen uns dazu, unser eigenes Büro zu gründen. Am Anfang saßen wir noch in Berlin und Paris, aber die Tendenz ging klar in Richtung Berlin, weil viele unserer Freunde und Bekannten hierher zogen. Die Stadt war zum Anziehungspunkt für Künstler aus aller Welt geworden. Und so war unser erstes Pro-jekt auch die Galerie Nordenhake.

    Wie kam es dann zu eurem Zusammenschluss als Gonzalez Haase?

    JH: Ja, aber es war auch unsere Sozialisierung als Architekten, die uns für die Konzep-tion von Ausstellungsorten begeisterte. Wir haben beide für Richard Gluckman gear-beitet, der neben dem Watermill Center auch eine Reihe anderer Kunstorte entworfen hat. Das hat uns für diese spezielle Raumtypologie sensibilisiert und auch eine Menge Erfahrungen verschafft: Das Wissen haben wir aus New York mit nach Berlin gebracht.

    Ihr habt zu Beginn eurer Karriere fast ausschließlich Galerien geplant: War das die Watermill-Connection?

    Watermill Center von Robert Wilson

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    PJG: Wir versuchen zuerst, eine größere Distanz zu unseren „Objekten“ zu wahren und betrachten den Raum als pure architektonische Struktur, fast wie ein Skelett. Natürlich spielen auch die Realitäten unserer Zeit eine Rolle: Wir wollen, dass sich unsere Arbeit weiterentwickelt, genau wie es bei zeitgenössischen Künstlern oder der gerade sehr präsenten neuen Generation junger Köche wahrzunehmen ist. Unser Gestaltungsansatz basiert nicht auf einer Idee oder der Ansammlung von Ideen. Er entspricht vielmehr einem Apparat, in dem sich sehr viele Ebenen überlagern, jede einzeln aber erkennbar bleibt, ohne eine Hierarchie.

    JH: Unsere Annäherungsweise an Projekte ist immer zuerst konzeptioneller Art. Der Raum und seine Lichtverhältnisse: natürlich und künstlich. Dann denken wir im nächsten Schritt über Materialität und Farbe nach und wie sich die Elemente zusam-menfügen sollen.

    Wie würdet ihr euren Designansatz beschreiben?

    JH: Das immer gleiche Design zu wiederholen, wäre zu langweilig für uns: Wir stecken in einem permanenten Prozess, und das ist sehr herausfordernd. Wir entwickeln die Entwürfe gemeinsam, werfen unsere Ideen in einen Topf, und dann kommt es auf die jeweilige Tagesform an, wer sein Konzept besser verteidigen und am Ende durchsetzen kann. Der bessere Ansatz gewinnt! Da geht es nicht um persönliche Eitelkeiten – es geht darum, die beste Lösung für das Projekt zu finden. Wir kommen aus unter-schiedlichen Kulturen, und wir sprechen verschiedene Sprachen: Das verleiht unserem Gestaltungsprozess eine gewisse Spannung. Ich glaube, dass es uns nicht in erster Linie um Schönheit oder Harmonie geht, sondern auch um das Spiel mit Gegensätzlichkei-ten. In jedem unserer Projekte findet sich ein etwas verstörendes Element.

    Ihr habt, ähnlich wie in der Mode- oder der Kunstwelt, eine eigene Handschrift entwickelt, die zwar einen roten Faden erkennen lässt, sich aber trotzdem stetig verändert und der jeweiligen Situation anpasst: Woher kommt das?

    Woher kommt euer Faible für Licht?

    PJG: In der Architektur wird Beleuchtung oft als technisches Hilfsmittel betrachtet und spielt selten eine Rolle in der Strukturierung von Raum: Für uns ist Licht

    Rechts: Jarla Partilager Galerie, Berlin;unten: Galerie Thomas Schulte, Berlin

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    PJG: Das Objekt an sich ist für uns erstmal nicht so wichtig – nur als Teil des Rau-mes. Wir entwerfen keine Einbauten, die man beliebig hin- und herschieben oder an verschiedenen Orten aufstellen könnte: Das ist nicht unsere Idee von einem Objekt. Aber wenn Vitra uns fragen würde, einen Stuhl für sie zu entwerfen, würden wir natürlich nicht Nein sagen.

    Es gibt auch Möbel von euch. Könntet ihr euch vorstellen, mal einen Stuhl für ein großes Möbelunternehmen zu entwerfen?

    genauso wichtig wie die Stützen, die ein Haus tragen. Das Gebäude wird mit ihm geboren! Es geht um die Reduktion der Oberflächen: Wir wollen der Substanz der Ge-bäude, in denen wir bauen, auf den Grund gehen. Und gleichzeitig räumen wir damit auf. Das Licht, egal ob natürlich oder künstlich, definiert, was Raum ist und was nicht.

    PJG: Das Buch entstand für die Ausstellung How Soon Is Now, an der eine Menge großartiger Architekten und Designer aus Berlin teilgenommen haben. Es ist ein Ver-such, den Farben ihre anheftende Poesie zu entziehen und sie in einen neuen, symbo-lischen Kontext zu transferieren. Farben, wie sie in der Architektur angewandt werden, sind ein menschliches Konstrukt, genau wie die meisten Katastrophen: Deshalb woll-ten wir sie verknüpfen. Die Medien sind voller Nachrichten von Unglücken, und was am Ende in unserer Erinnerung übrig bleibt, sind schwammige Bilder – die sich leicht auf eine Farbe reduzieren lassen. So besitzt jede Katastrophe ihre eigene Farbe. Und was wäre, wenn man die Farbe für sein Wohnzimmer nach ihrer Herkunft, ihrer Geschich-te auswählen würde. Genau wie wir es mit Essen und Kleidung immer mehr tun.

    Nächstes Thema: Farbe! Ihr habt das Buch The Catastrophe Colours herausgege-ben. Was steckt hinter diesem Werk?

    Ihr habt einen sehr exklusiven Kundenkreis: Andreas Murkudis, Vitra, die Deut-sche Guggenheim und Manufactum. Wie passt die Modekette Weekday in diese Aufzählung?

    PJG: Weekday war ein wichtiger Entwicklungsschritt für uns, um zu zeigen, dass wir nicht nur Galerien und Shops für exklusive Mode planen können. Wir haben einenPrototypen entwickelt, der mehr oder weniger horizontal in zwei Hälften geteilt ist: Ausstellung Assembling, Berlin

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    unten Plattformen voller Ware, oben vertikale Monitore wie auf einem Flughafen. Kommunikation über Konsum! Keine Schummelei, alles echt. Wir glauben, dass der Kunde das heutzutage verlangt. Und auf eine bestimmte Art und Weise ist es genau das gleiche, was wir auch für Andreas Murkudis machen, nur dass es sich dort um Luxusware handelt.

    JH: Durch Andreas sind wir dazu gekommen, Modeläden zu gestalten.

    PJG: Ja, und wir sind glücklich, dass er unser Einstieg in diesen Bereich war. Es ist eine wichtige Referenz für uns, und wir werden oft deswegen kontaktiert.

    JH: Wir sollten sein erstes Geschäft wie eine Galerie entwerfen, alle technischen Ele-mente sollten versteckt sein: keine Schalter, keine Steckdosen, keine Leuchten. Der Raum war klar lesbar, und das aus dem Verborgenen kommende Licht unter-strich seine Schönheit. Die Kollektion wirkte ausgestellt wie Kunst! Das war 2003, und seitdem entwickeln wir gemeinsam mit ihm alle seine Projekte.

    PJG: Zusammen mit Andreas haben wir einen Gestaltungsansatz entwickelt, bei dem es um die Qualität des Produkts geht und nicht um die Marke. Es geht nicht um den Preis, sondern um das erhabene Gefühl, ein gutes Objekt erstanden zu haben: ein bisschen so, wie wenn man neu gekaufte Handschuhe das erste Mal anzieht und sie perfekt passen.

    Welche Rolle spielt denn Andreas Murkudis für euch?

    Wie steht es mit der Architektur: Wollt ihr richtige Häuser bauen?

    JH: Wir haben gerade ein erstes Wohnhaus in Berlin-Mitte fertiggestellt, und es wird bald weitere Projekte geben. Aber einer unserer größten Wünsche ist es, mal ein Mu-seum oder ein Haus für eine Sammlung zu bauen.

    Oben: Buch Catastrophe Colours;unten: C/O Galerie Galerie, Berlin

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    CLOUDSCAPES IN KARLSRUHE

    Die Globale hat begonnen. Das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM zeigt in seinen vier Lichthöfen zwei Installationen – neben Ryoji Ikedas Werkse-rien sind dies die Wolkenlandschaften von Transsolar & Tetsuo, die 2010 zum ersten Mal auf der Biennale zu bestaunen waren. jk // Transsolar + Tetsuo Kondo. Cloudscapes 2015, Foto: Harald Völkl © ZKM Karlsruhe // www.zkm.de/globale

    http://www.zkm.de/globale