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16
Otto Dix DER KRIEG – DAS DRESDNER TRIPTYCHON

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Otto Dix DER KRIEG – Das DREsDnER TRIpTychOn

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Otto Dix DER KRIEG – Das DREsDnER TRIpTychOn

H e r a u s g e g e b e n v o n d e n s ta at l i c H e n K u n s t s a m m l u n g e n d r e s d e n

b i r g i t da l ba j e w a / s i m o n e F l e i s c H e r / o l a F P e t e r s

s a n d s t e i n v e r l ag

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Inhalt 219

marlies giebe / maria Körber

»…weil Dix hier malt wie ein alter

Meister und dabei doch ganz er

selbst geblieben ist.«

maltechnische studien zum triptychon

»der Krieg« von otto dix

253

birgit Kurz

Der »Grabenkrieg« –

maltechnisch gesehen

259

birgit dalbajewa

Das Triptychon »Der Krieg«

in der DDR

der ankauf für dresden

270

Otto Dix über den Krieg

ausgewählte aussagen des Künstlers

aus den jahren 1947 – 1968

anhang

278

abkürzungen

279

autoren

280

bibliographie

287

bildnachweis

288

impressum

7

vorwort

Hartwig Fischer

11

leihgeber / dank

Im Krieg

14

simone Fleischer

Der Künstler und der Krieg

die Frontstationen von otto dix

im ersten weltkrieg im Kontext

historischer daten und der truppen­

bewegungen des Xii. reservekorps

der 3. (königlich­sächsischen) armee

35

bernd ulrich

»Dann gehts wieder in die schöne

Läuse-schlampagne«

otto dix im ersten weltkrieg

47

olaf Peters

Die Erfahrung des Krieges

1914 ­ 1918

54

otto dix

Zeichnungen und Gouachen

1914 – 1918

nach dem Krieg

71

birgit dalbajewa / olaf Peters

Die auseinandersetzung mit

dem Krieg

1918 ­ 1924

84

otto dix

Zeichnungen, aquarelle

und Gemälde 1920 – 1924

96

bernhard maaz

Otto Dix’ »Kriegsverletzter«

Zu einer neuerwerbung des

dresdner Kupferstich­Kabinetts

98

otto dix

aus dem Radierzyklus

»Der Krieg« 1924

109

Francisco de goya

aus dem Radierzyklus

»Los Desastres de la Guerra«

111

gerd Krumeich

Konjunkturen der Erinnerung

an den Ersten Weltkrieg

in der Weimarer Republik

121

simone Fleischer

»helft uns siegen!«

Plakat­Propaganda während

und nach dem ersten weltkrieg

125

thomas F. schneider

»sie werden auferstehen!«

otto dix’ triptychon »der Krieg« im

Kontext zeitgenössischer visueller

und literarischer repräsentationen

des ersten weltkrieges

Das Dresdner Triptychon

139

olaf Peters

Eine summe des Krieges

otto dix’ triptychon

»der Krieg« (1929 – 1932)

160

otto dix

Vorzeichnungen zum

Triptychon »Der Krieg«

169

olaf simon

Wege zum Bild – die Kartons

174

otto dix

»Der Krieg« – Karton und Gemälde

178

Linker Flügel

186

Mitteltafel

202

Rechter Flügel

210

predella

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14 15

Für die chronologie wurden sowohl die per­sönlichen dokumente von otto dix aus seiner Kriegszeit als auch unterlagen zu den einzel­nen truppenteilen, in denen er stationiert war, ausgewertet. Zum reserve­infanterie­regiment 102 (rir 102) sowie zur 3. (königlich­sächsischen) armee liegen detaillierte veröffentlichungen aus der Zwischenkriegszeit vor, die aus heutiger sicht in ihren jeweiligen Kommentierungen sicher kritisch zu bewerten sind. als wesentliche se­kundärquellen zur truppenbewegung boten sie jedoch die grundlage, daten in dix’ Kriegs bio­graphie zu konkretisieren. gesichtet wurden des weiteren akten zum ersten weltkrieg im säch­sischen Hauptstaatsarchiv dresden (Hstadd, be­stände 10716 – Haus wettin, 11356 – general­kommando Xii. reservekorps, 11359 – in fanterie­divisionen, ­regimenter, ­bataillo ne). der be­stand hat 1945 durch brand große verluste er litten, sodass heute hauptsächlich unterlagen zu den armee­ und reservekorps vorliegen, in denen sich konkrete Hinweise zu otto dix und seinen einheiten finden ließen. die ak ten zu ein­zelnen regimentern sind sehr lücken haft, eigen­ständige akten zum Feld­m.g.­Zug 390 und zum rir 102 sind nicht mehr vorhanden. Für rat­schläge und Hinweise bei der recherche danke ich bernd ulrich, juliane au und gisela Petrasch.

Folgende Quellen wurden verwendet – zum Zwecke der lesbarkeit werden, bis auf angaben zu einzelnen akten in den verschiedenen ar­chiven, alle nachweise durch die unten aufge­schlüsselten buchstaben, bei direkten Zitaten mit seitenzahl, vermerkt.

a stiftung sammlung walther groz, Kriegs­tagebuch von otto dix, 1915/16, galerie albstadt, städtische Kunstsammlungen, inv.­nr. swg 79/206.

B militärpass otto dix, gnm nürnberg, dKa, nachlass otto dix, i, a, 2.

c max trümper­bödemann, das Königl. sächs. reserve­infanterie­regiment nr. 102, chem nitz 1929 (= erinnerungs­ blätter deutscher regimenter. ehemalige Kgl. sächs. armee, Heft 57).

D artur baumgarten­crusius, sachsen in großer Zeit. geschichte der sachsen im weltkrieg, band ii, leipzig 1920.

E artur baumgarten­crusius, sachsen in großer Zeit. geschichte der sachsen im weltkrieg, band iii, leipzig 1921.

F der Feldgraue. leitfaden für den dienst unterricht der maschinengewehr­Forma tionen unter berücksichtigung der Kriegserfahrung. ausgabe für sachsen, oldenburg i. gr. 1917, s. 216.

G gerhard Hirschfeld, gerd Krumeich, irina renz (Hg.), enzyklopädie erster weltkrieg, Paderborn 2009.

Der Künstler und der Krieg

Die Frontstationen von Otto Dix

im Ersten Weltkrieg im Kontext

historischer Daten und der Truppen-

bewegungen des XII. Reservekorps

der 3. (königlich-sächsischen) armee

simone Fleischer

1914

28. Juni

ermordung des österreichischen

thronfolgers Franz Ferdinand und seiner

Frau in sarajevo. (g)

28. Juli

Österreich­ungarn erklärt serbien

den Krieg. (g)

generalmobilmachung in Österreich­ungarn,

russland, belgien und Frankreich. (g)

Kriegserklärung deutschlands an russland

(1. august) und Frankreich (3. august),

großbritanniens an deutschland (4. august),

Österreich­ungarns an russland, serbiens

an deutschland (6. august), Frankreichs

und großbritanniens an Österreich­ungarn

(12. august). (g)

August

die deutschen armeen liegen vor der

belgischen und französischen grenze, die

3. (königlich­sächsische) armee, in der dix

später stationiert ist, steht mit drei Korps

(Xii. und XiX. armeekorps und Xii. reserve­

korps) bei Prüm vor der belgischen grenze.

belgien wird besetzt, brüssel am

19./20. august eingenommen. im august

dringen die deutschen armeen bis an die

französische aisne vor. (d, s. 15, 17)

22. August

Dix wird als Ersatz-Reservist regulär 

zum Militär eingezogen. (B / I / K) 

* Bis in die jüngste Zeit wird in der Dix-

Literatur häufig falsch angegeben, Dix habe

sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet. Laut

Militärpass ist Dix Ersatz-Reservist. Das be-

deutet, dass er vermutlich 1911/12 gemustert 

und der Ersatzreserve überstellt wurde. Im 

Kriegsfall wurden Ersatz-Reservisten schnell 

eingezogen. Vgl. dazu eine Postkarte aus 

Dresden an die Eltern (1911): »Habe mich vom 

Militär zurückstellen lassen« (N, S. 39), sowie 

seine späteren Aussagen: »Aug. 1914 wurde 

ich zum Militär eingezogen.« (handschrift -

h dietrich schubert, otto dix – in selbst ­zeug nissen und bilddokumenten, reinbek 1980.

I ulrike rüdiger, grüße aus dem Krieg. Feldpostkarten der otto­dix­sammlung in der Kunstgalerie gera, gera 1991.

J dietrich schubert, otto dix – der Krieg. 50 radierungen von 1924, marburg 2002.

K ulrike lorenz, »Frontschwein« im ersten weltkrieg 1914 – 1918, in: otto dix. welt & sinnlichkeit, ausst.­Kat. Kunstforum ostdeutsche galerie regensburg, museum zu allerheiligen schaffhausen 2005/06, hg. v. ulrike lorenz, regensburg 2005, s. 30 – 41.

L otto griebel, ich war ein mann der straße. lebenserinnerungen eines dresdner malers, altenburg 1995 (2. auflage).

M otto dix, gemälde, Zeichnungen, druck­graphik. bestandskatalog der Kunstsamm­lung gera, hg. v. ulrike rüdiger, münchen u. a. 1996.

n ulrike lorenz (Hg.), otto dix. briefe, bearb. u. kommentiert von gudrun schmidt, Köln 2013.

abkürzungen in den zitierten Quellen

Batl. bataillon

bayr. bayerisch

Batl. Kdr. bataillons­Kommandeur

Bhf. bahnhof

Div. division

Gen. general

hptm. Hauptmann

I. R. infanterie­regiment

Komp. Kompanie(n)

Laz. lazarett

Lt. leutnant

M.-G. maschinengewehr

R. Res. regiments­reserve

R. stab regimentsstab

Res. I. R. reserve­infanterie­regiment

Res. K. reservekorps

san. Dienst sanitäts­dienst

se. Maj. seine majestät

Utffz. unteroffizier(e)

bedeutung von Hervorhebungen

* erläuterungen

➜ verweise auf blätter aus

dix’ radierzyklus »der Krieg«

(1924), die mit orten,

ereig nissen und erlebnissen

in Zusammenhang stehen

licher Lebenslauf, um 1924, Privatbesitz, hier 

zit. n. K, S. 22); »Im August 1914 wurde ich 

zum Militär einberufen.« (Lebenslauf, 6.3.1950, 

GNM Nürnberg, DKA, Nachlass Otto Dix, I, B, 6)

Ausbildung im 1. Rekruten-Depot, Feld-

artillerie-Regiment 48, Dresden. (B / I / J / K)

5. September

Vereidigung. (B)

18. Oktober

Dix wird in das 3. Rekruten-Depot, Feldartil-

lerie-Regiment 12, in Dresden versetzt. (B / I / K)

Bei der Feldartillerie in Dresden erhält er 

eine Ausbildung an der Schweren Feldhau-

bitze SFH 02. (H)

20. Oktober bis Mitte November

erste Flandern­schlacht; die westfront

erstarrt im stellungskrieg. (g)

8. Dezember bis 17. März 1915

erste champagne­schlacht. (g)

1915

12. Februar

Dix wird zur 2. Ersatz-Batterie 12, Reserve-

Infanterie-Regiment 102, versetzt und 

kommt nach Bautzen. (B / H / I / J / K) 

Ausbildung zum Schützen am Schweren 

Maschinengewehr M.G. 08 (B / H / J), 

daneben Kriegsausbildung an der 

Pistole 08 und dem Gewehr 98. (B)

April / Mai

Zweite Flandern­schlacht; deutscher

einsatz von giftgas. (g)

15. Mai

Versetzung in die 2. Ersatz-Maschinen-

Gewehr-Kompanie XII, Reserve-Infanterie-

Regiment 102 Bautzen. (B / I / K)

9. September

geheime anordnung des Kriegsministe­

riums, dresden, nr. 2334 i m.: »es sind

mit möglichster beschleunigung weitere

Feld­m.g.­Züge aufzustellen und in

das Feld zu senden, und zwar: vom stellv.

generalkommando Xii. a. K.: […] Zug nr. 390

für res. jäger­bataillon nr. 12 […] vom tage

der marschbereitschaft ab gelten die Züge

als mobil. tag der abbeförderung ist zu

drahten (am orte mitzuteilen) an:

[…] bezüglich der Züge nr. 390 und 391

dem generalkommando des Xii. reserve­

korps.« (Hstadd, bestand 11356, 257)

17. September

Dix wird zum etatmäßigen Gefreiten 

ernannt. (B / I / J)

abb. 1

schlachtfeld mit stacheldraht

Photo aus: ernst Friedrich,

Krieg dem Kriege! (bd. 1, 1924)

abb. 1

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16 17

21. September

Dix tritt in den Feld-M.G.-Zug 390 

ein und rückt an die Westfront aus. 

(B / I / K) 

Ob er sich freiwillig meldet oder 

abkommandiert wird, geht aus den 

Quellen und Selbstaussagen nicht 

eindeutig hervor.

* Der Feld-M.G.-Zug 390 war eine neu 

formierte Einheit, die vermutlich relativ 

unabhängig von einzelnen Regimentern 

dem XII. Reservekorps unterstellt war 

und je nach Bedarf eingesetzt wurde.

die 3. (königlich­sächsische) armee

ist weiterhin in der champagne südlich

der aisne stationiert. (d, s. 193)

21. September bis 14. Oktober

Zweite champagne­schlacht

(Herbstschlacht). (g)

beginn des gegnerischen trommelfeuers

am 22. september: »am 22. september

früh 7 uhr begannen plötzlich tausende

von französischen geschützen ihren

eisenhagel auf die deutschen stellungen

zu schleudern, waldstücke vernichtend,

dörfer wegfegend, das gelände auf

30 Kilometern breite buchstäblich

zerpflügend. die deutschen stellungen,

in monatelanger, mühsamer arbeit

geschaffen, verschwanden unter dem

feindlichen massenfeuer. nicht weniger

als 180 000 – 200 000 schuß gingen an

einem tage auf die abschnitte einzelner

divisionen nieder. ein einziger schuß

aus einem französischen 28 cm­mörser

riß trichter von 5 – 6 meter tiefe und

breite.« (d, s. 246)

die französische großoffensive greift

auf der gesamten Front an und beab­

sichtigt, die deutschen truppen kriegsent­

scheidend zu schlagen. die deutschen

können jedoch die stellungen weitest­

gehend halten. (g)

das Xii. reservekorps liegt zwischen Pont

Faverger und somme­Py an der suippe,

die 23. reserve­division westlich, die

24. östlich. (d, s. 242 / vgl. Karte abb. 2)

25. September bis 3. November

Dix kämpft im Feld-M.G.-Zug 390 in der 

Zweiten Champagne-Schlacht. (B / I / J / K)

➜ »Der Krieg« (1924) 

»Relaisposten (Herbstschlacht in der Cham -

pagne)« (Mappe 1, Blatt VIII, Karsch 1970,77) 

»Gefunden beim Grabendurchstich (Aubérive)« 

(Mappe 3, Blatt IX, Karsch 1970,98) 

»Die Irrsinnige von St. Marie-à-Py« 

(Mappe 4, Blatt V, Karsch 1970,104 II)

»Tote vor der Stellung bei Tahure« 

(Mappe 5, Blatt X, Karsch 1970,119)

27. September

»und die schlacht tobte weiter. wie ein

urgewaltiges rollen dröhnte es tag und

nacht, tag und nacht … die erde bebte,

und ein breiter geländestreifen lag

wie lange schon blitzedurchzuckt in Qualm

und staub, in rauch und giftwolken gehüllt.

granaten schlugen ein und warfen erd­

und steinmassen, Holz, eisen und draht –

alles, alles gegen den düsteren Herbst­

himmel der champagne. Überall ein Heulen,

Krachen, schreien – die Hölle war los.«

(c, s. 59)

12. bis 18. Oktober

Der Feld-M.G.-Zug 390, in dem die 

Gefreiten Baumann, Dix und Hein als 

Gewehrführer Dienst tun, beteiligt 

sich am Sturm auf das »Franzosennest«, 

das am 15. Oktober genom men wird. 

(C, S. 62)

* Das sogenannte »Franzosennest« 

befand sich östlich von Aubérive. 

Hier gelang es den französischen Truppen, 

sich durch einen Angriff in den deutschen 

Linien festzusetzen (vgl. HStADD, 

Bestand 11359, Akten 4133 u. 4135, 

sowie »Letzte Kriegsnachrichten«, 

Liller Kriegszeitung, Nr. 318, 17. 10. 1915).

Aufgrund dieser und früherer Taten werden 

die drei Gefreiten für das Eiserne Kreuz 

2. Klasse vorgeschlagen: »Die Gefreiten 

Baumann, Dix, Hein, haben infolge 

der Erkrankung der 3 Unteroffiziere des 

Zuges seit dem 28. 9. 15 als Gewehrführer 

Dienst gethan und sich mit großem Fleiße 

die Fähigkeiten eines tüchtigen [?] 

Gewehrführers angeeignet. In den Gefechts-

tagen vom 30. 9 – 4. 10. bei der 24. Res. Div. 

brachten sie mit großem Geschick unge-

achtet starken Artilleriefeuers ihre Gewehre 

in Stellung. In der Zeit vom 12. – 18. X. 

zeichneten sie sich dadurch aus, daß sie 

bei dem Angriffe auf das Franzosennest 

unter schwierigen Verhältnissen die 

Gewehre in Stellung brachten, um einen 

feindlichen Gegenstoß abzuweisen.  

Frhr. von Friesen, Leutnant und Zugführer«. 

(Ordensvorschläge des Feld-M.G.-Zuges 

390, ohne Datum, HStADD, Bestand 11356, 191)

1. November

Dix wird zum etatmäßigen Unteroffizier 

ernannt. (A / B / I / J / K) 

Die Ernennung findet sich auch in den Akten 

des HStADD (Bestand 11356, 227), dort heißt 

es: »Unteroffizier Ersatz-Reservist«.

November 1915 bis Ende Juli 1916

das Xii. reservekorps bleibt in der

champagne stationiert. mitte november

wechseln die 23. und 24. reserve­division

des Xii. reservekorps die stellungen, sodass

die 23. reserve­division nun östlich der

suippe liegt. (d, s. 261 / vgl. auch c, s. 64)

Dix’ Militärpass verzeichnet Stellungs-

kämpfe in der Champagne zwischen dem 

4. November 1915 und dem 17. Juli 1916. 

(B / I / K) Seine Einheit ist zwischen Aubérive, 

Bétheniville, St. Souplet und St. Martin 

an der Suippe, südlich der Aisne stationiert. 

(vgl. Karte Abb. 2)

7. November

Otto Dix vermerkt in seinem Kriegstagebuch 

einen Einsatz: »Mit 2 Mann an vord.[erer] 

Sappe« sowie die Maße eines wahrscheinlich 

ausgehobenen Tunnels: »8 – 10 mtr. tief 

60 – 70 m lang«. Für 8 Uhr früh notiert er 

die Ankunft in Bétheniville. (A, S. 10)

* Als Sappe werden die oberirdischen An-

näherungsgräben an die feindliche Front 

bezeichnet. Sie werden aus dem eigenen 

Graben vorgetrieben, der Endpunkt heißt 

Sappenkopf. (F)

9. November

Dix vermerkt im Kriegstagebuch: »Mühle 

Souplet / Reg. Reserve / am 9. Nov. […?] / alte 

Stellung / links Aubérive«. (A, S. 11)

11. November

»Liebe Lili!

Tausend Dank für das Päckchen. Wir liegen 

zwischen St. Souplet u. Aubérive vorläufig 

noch in Regimentsreserve. Die Zigaretten 

sind sehr gut! Heute am 11. soll doch Frieden 

sein? Wir merken hier nichts davon. […] 

Mit den Leuten bin ich selbstverständlich 

›nett‹ solange sie unbedingt gehorchen.

Ich grüße Sie herzlich Ihr Dix«.

(Feldpostkarte an Lili Schultz, 11. 11. 1915, 

Otto Dix Stiftung, Vaduz / Otto-Dix-Archiv, 

Bevaix)

12. November

Dem Vorschlag zur Ordensverleihung wird 

stattgegeben und Dix mit dem Eisernen 

Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet. (A / B / I / J / K / 

vgl. dazu auch Ordensvorschläge des 

Feld-M.G.-Zuges 390, ohne Datum, HStADD, 

Bestand 11356, 191).

* Das Eiserne Kreuz wurde 1813 vom preußi-

schen König Friedrich Wilhelm III. gestiftet. 

Kaiser Wilhelm II. erneuerte die Stiftung im 

August 1914. Durch zahlreiche Verleihungen 

wurde aus der eigentlich preußischen eine 

deutsche Auszeichnung.

17. November

Dix vermerkt den Erhalt dieser Auszeichnung 

in seinem Kriegstagebuch: »am 17. Nov. das / 

Eiserne II. Kl. / erhalten. Verleihung / am 

12. Nov.« (A, S. 13)

der König von sachsen besucht die Front und

trifft in bétheniville vertreter der 23. reserve­

division, unter anderem eine abordnung des

102. reserve­infanterie­regiments. in seiner

ansprache dankt er den truppen: »nach den

schweren Kämpfen der letzten wochen ist es

mir eine große Freude, […] abordnungen der

[…] truppenteile der 23. reserve­division zu

begrüßen. wir haben in diesen tagen der

furchtbarsten Kämpfe unserer armeegeschich­

te mit stolz von den Heldentaten unserer

armee gehört […], die das Xii. reservekorps

durchgefochten hat. deshalb freue ich mich

abb. 2 abb. 3

abb. 2

Frontlinie in der champagne

september 1915 / Karte aus: F. w. Putzgers

Historischer schul­atlas zur alten,

mittleren und neuen geschichte (1917)

abb. 3

Deutsche artillerie in den Kämpfen

in der champagne / vermutlich aufnahme

einer Übung / 1917 / stiftung deutsches

Historisches museum, berlin,

inv.­nr. do 75­289i (1915)

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18 19

außerordentlich, die leute […] vor mir zu

sehen, die das Franzosennest aufgehoben

haben […]. um meinen dank auch äußerlich

auszudrücken, habe ich einige auszeichnungen

verliehen.« (ansprache an die 23. reserve­

division, 17. 11. 1915 in bétheniville, Kriegs­

tagebuch Friedrich august von sachsen, s. 52,

Hstadd, bestand 10716, 611 / vgl. c, s. 65)

21. – 23. November

Dix vermerkt in seinem Kriegstagebuch: 

»am 21 – 23. Nov. in Hilaire«. (A, S. 13)

24. November bis 7. Dezember

Wegen einer Erkrankung wird Dix nach 

Bétheniville in das Reserve-Feldlazarett 4 

überwiesen. (B / I / K)

Dix notiert im Kriegstagebuch: 

»am 25. im Lazarett«. Anschließend 

notiert er den ersten Teil von Soldaten-

begriffen und deren Bedeutung. Der 

»Nachttopfschwenker« ist demnach der 

Sanitäter. Nach einer Auflistung der 

Einsatzmöglichkeiten von Aspirin und 

Rizinusöl vermerkt er als Entlassungs-

datum den 7. Dezember. (A, S. 14, 15)

* Im Etappendorf Bétheniville waren das 

Stabsquartier und das Lazarett eingerichtet, 

in dem zur Zeit der Einlieferung von Dix das 

Reserve-Feldlazarett 4 untergebracht war. 

Im Dezember 1915 wurden in Bétheniville 

laut Korpsarzt 682 Patienten behandelt. 

(vgl. Sanitätsbericht des Korpsarztes 

des XII. Reserverkorps, 8. 1. 1916, HStADD, 

Bestand 11356, 439). Die in der Literatur (H) 

zuweilen ausgewiesene Stationierung in 

Bétheniville am 1. Dezember 1915 muss als 

Aufenthalt im Lazarett gewertet werden.

1. Dezember

»Blick auf die Kirche von Bétheniville aus 

dem Fenster der Station B. Gruß Dix«. (Feld- 

postkarte an Helene Jakob, 1. 12. 1915, Abb. 4)

* Dix hat der Dresdner Freundin Helene 

Jakob, der Tochter des Hausverwalters der 

Kunstgewerbeschule, etwa 300 Feldpost-

karten und -briefe geschrieben. Viele davon 

sind in der Kunstsprache Esperanto verfasst, 

eine Leidenschaft, die beide schon in der 

Dresdner Zeit verband. Karten in Esperanto 

werden im Folgenden mit der einleitenden 

Formel »Kara Samideanino« – »Liebe Gleich-

gesinnte« markiert. Die wiedergegebenen 

Übersetzungen folgen den Transkriptionen 

bei Ulrike Lorenz (I).

1916

Beginn 1916

das jahr beginnt für das reserve­infanterie­

regiment 102 in seiner stellung in der cham­

pagne verhältnismäßig ruhig. in den erinne­

rungsblättern des regiments (c, s. 65 – 70)

werden seit mitte oktober 1915 keine größe­

ren Kampfhandlungen, sondern routinierte

stellungswechsel der einzelnen bataillone

zwischen Frontlinie und ruhelager verzeich­

net. unter geringem beschuss konnten

weihnachten und jahreswechsel begangen

werden. (c, s. 69)

3. Januar [?]

Dix schreibt in sein Kriegstagebuch: 

»In Stellung (Märchenwald)«. (A, S. 26)

* Als Märchenwald wurde das Waldgebiet 

nördlich von Aubérive bezeichnet, noch 

weiter nördlich, zwischen Aubérive und 

St. Souplet, schloss sich der sogenannte 

Kommandeurwald an. Am 3. Januar lag dort 

das Reserve-Infanterie-Regiment 104 in 

Stellung. (vgl. D, S. 242)

6. Januar [?]

Dix vermerkt: »am 6. Jan [?] 23 Uhr [?] / 

franz. Trommel- / feuer«. (A, S. 27)

19. Januar

»i. batl. hat an diesem und den folgenden

tagen den üblichen wach­, schanz­ und

arbeitsdienst, wird entlaust und badet, geht

ins Kino.« (c, s. 71)

Frühjahr

ab dem 21. Februar Kämpfe um verdun, öst­

lich der stellung der 23. reserve­division, die

noch immer zwischen aubérive, bétheniville,

st. souplet und st. martin liegt. dort ist die

lage weiterhin verhältnismäßig ruhig. von

Zeit zu Zeit kommt es zu Feuerüberfällen und

feindlichem artilleriefeuer. ansonsten ver­

harrt man in den stellungen. (e, s. 83)

➜ »Der Krieg« (1924)

»Verschüttete (Januar 1916, Champagne)« 

(Mappe 1, Blatt II, Karsch 1970,71) 

»Trichterfeld bei Dontrien von Leuchtkugeln 

erhellt« (Mappe 1, Blatt IV, Karsch 1970,73, 

Abb. S. 98) 

»Toter (St. Clément)« (Mappe 5, Blatt II, 

Karsch 1970,111 II, Abb. S. 102) 

18. Februar

»Kara Samideanino! 

Sehr großen Dank für Ihre freundliche 

Sendung. Bei uns regnet und regnet es 

immerzu. Das Feuer der Artillerie ist 

von Zeit zu Zeit sehr stark. Unsere Unter-

künfte sind rechts des Dorfes Aubérive. 

Auf dieser Karte sehen Sie ›Trümmer‹. 

In den [»Kellern« ?] des Dorfes befinden 

sich die Küchen mit dicken Zementwänden 

gegen Feuerschutz. Da nun beim Kochen 

[Rauch?] entsteht, denkt der Franzmann, 

daß wir im Dorf liegen und nimmt das 

Dorf sehr stark ›unter Feuer‹. Das ist 

sehr belustigend! Nachts entzündet man 

ebenfalls Scheinfeuer, auf die der 

Franzmann schrecklich ›funkt‹. 

Im übrigen geht mirs gut! Nochmals 

herzlichen Dank, ich grüße Sie Dix«

(Feldpostkarten an Helene Jakob, 

18. 2. 1916, Abb. 5)

»Keine besonderen ereignisse.« (c, s. 73)

29. Februar

»3. Komp. hatte bisher, nicht wenig bestaunt,

die neuen stahlhelme getragen und auspro­

biert. bei den akten befindet sich ein ausführ­

licher bericht des Hptm. v. lossow, der sich

günstig über den Helm, weniger günstig über

den dazu gehörigen stirnschild ausspricht.«

(c, s. 73 f.)

18. Mai

Dix notiert in sein Kriegstagebuch: 

»von Friesen zurück«. (A, S. 84)

* Leutnant und Zugführer Freiherr von Frie-

sen hatte Dix und andere im November 1915 

für das Eiserne Kreuz 2. Klasse vorgeschlagen. 

Er wurde am 19. April 1917 mit dem Komman-

do des Reserve-Infanterie-Regiments 104 

beliehen. (vgl. HStADD, Bestand 11359, 4138)

19. Mai

missglücktes gasablassen an der Front des

Xii. reservekorps. »Plötzliche windstille hielt

das gas im eigenen graben zurück und verur­

sachte bei der 23. reserve division verluste.«

(e, s. 84)

➜ »Der Krieg« (1924)

»Die Schlafenden von Fort Vaux (Gas-Tote)« 

(Mappe 5, Blatt VI, Karsch 1970,60 G) 

28./29. Mai

verlegung des regiments in die nähe von

reims, Fort de la Pompelle: »mittags fahren

batl.­Kdr. i. nebst Komp.­Führern und eini­

gen utffz. im lastauto nach vitry­les­reims.

[…] i. batl. 3 uhr morgens in st. Hilaire ver­

laden. 4.30 in caurel. marsch nach vitry.[…]

ii. batl. wird 8.45 in bétheniville verladen.

11 uhr caurel.« (c, s. 78 f.)

30. Mai

Dix notiert in sein Kriegstagebuch den ge-

nauen Aufenthaltsort: »Am 30. Mai in Cernay 

vor Reims«. Weiter hält er fest: »Eigentlich 

wird im letzten Grunde bloß aller Krieg um 

und wegen der Vulva geführt.« Darunter 

ist das Bekenntnis zu lesen: »Der Künstler: 

Einer der den Mut hat Ja zu sagen.« 

(A, S. 86 f. / Abb. 7)

4. Juni

»Kara samideanino!

Das ist Fort de la pombelle [eigentlich Pom-

pelle – d. V.] bei Reims, ein Sperrfort und ist 

noch in französischer Hand. Vorn ist unser 

Kampfgraben. Er ist sauber betoniert und 

wird jeden Tag 2 × ausgefegt. Echt deutsch, 

nicht wahr? Für das Päckchen mit Zigaretten 

und Briefpapier und Ihren Brief danke ich 

bestens. Vorhin war ein schweres aber kurzes 

Gewitter. Die Gewitter sind hier außer-

ordentlich schwer, der Donner ist eher 

lächerlich geringfügig im Verhältniß [sic!] zu 

einer Kanonade. Jetzt ist wieder blauer 

Himmel. Wir sitzen den ganzen Tag im 

Kampfgraben auf dem Schützenstand. Wir 

sind nun 4 Tage hier, es ist tatsächlich wie in 

der Sommerfrische. Die Kadethralen [sic!] 

leuchten herüber, […] auch die Essen 

rauchen, es wird feste gearbeitet in Reims. 

Hier hielt ich den Krieg ab und wenn er noch 

einige Jahre dauert, aber wir werden 

wahrscheinlich garnicht lange hier sein. 

Dann gehts wieder in die schöne Läuse-

Schlampagne.« (Feldpostkarte an Helene 

Jakob, 4. 6. 1916, Abb. 6)

abb. 4

abb. 5

abb. 6

abb. 4

Blick auf die Kirche von Bétheniville

Feldpostkarte an Helene jakob / 1. 12. 1915

(von fremder Hand) / Kohle / 89 × 141 mm /

Kunstsammlung gera, inv.­nr. d/Z 5

abb. 5

Trümmer

Feldpostkarte an Helene jakob / 18. 2. 1916 /

tusche über graphit / 145 × 94 mm / Kunst­

sammlung gera, inv.­nr. d/Z 16

abb. 6

Fort de la pompelle bei Reims

Feldpostkarte an Helene jakob / 4. 6. 1916

(von fremder Hand) / graphit / 92 × 138 mm /

Kunstsammlung gera, inv.­nr. d/Z 27

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35

abb. 1

Unteroffizier Otto Dix mit stahlhelm 1916/17 / Photo aus dem nachlass marga Kummer

(slub dresden)

»Dann gehts wieder in die schöne

Läuse-schlampagne«1.

Otto Dix im Ersten Weltkrieg

otto dix wurde laut militärpass am 22. august 1914, einem samstag, als »ersatz­reservist«

in dresden eingezogen.2 Hinter diesem lapidaren eintrag verbirgt sich die komplexe

rekrutierungspraxis des deutschen Kaiserreichs, die auch dix erfasste. wahrscheinlich

hatte er sich ende 1911 oder anfang 1912, nach seinem 20. geburtstag am 2. dezember 1911,

mithin mit erreichen des im Kaiserreich geltenden »wehrpflichtigen alters« und inner­

halb einer vorgeschriebenen Frist bei seiner ortsbehörde, wohl in gera, zu melden. dort

erfolgte die eintragung in die sogenannte rekrutierungsstammrolle.

diese gut durchorganisierte erfassung der wehrpflichtigen bedeutete allerdings nicht,

dass sie auch eingezogen wurden und aktiv ihre dienstzeit absolvieren mussten. das

vorhandene Potenzial von wehrpflichtigen im Kaiserreich wurde auch noch in den

jahren unmittelbar vor dem ersten weltkrieg nur zu circa 47 Prozent ausgeschöpft – im

vergleich: in Frankreich waren es kurz vor dem Krieg circa 80 Prozent aller wehrpflich­

tigen –, und selbst die noch im juli 1913 im Zeichen des drohenden und teils auch

herbeigewünschten Krieges beschlossene Heeresvermehrung, das heißt, die aufsto­

ckung des vorhandenen Friedensheeres von gut 640 000 auf über 800 000 mann, än­

derte daran wenig.3

Über die eigentliche verwendung der so registrierten entschieden jeweils die 24

ersatzbehörden des reiches; im Falle von dix war dies die ersatzbehörde innerhalb des

Xii. stellvertretenden generalkommandos in dresden, das wiederum über musterungs­

bezirke verfügte, bei deren behörden sich die registrierten und zur musterung bestimm­

ten jungen männer vorzustellen hatten.4 angesichts des Überangebots von voll­taug­

lichen bestimmte schließlich ein losverfahren, wer von ihnen tatsächlich eingezogen

wurde. jene wehrpflichtigen mit einer höheren losnummer, zu denen auch dix gehört

haben dürfte, kamen dann zur ersatz­reserve (und nicht zum landsturm).5 die ersatz­

reservisten waren zwar gemeinhin von Übungen im Frieden befreit, doch zum schnellen

Personalersatz des Heeres im Kriegsfall bestimmt. dieses schicksal ereilte auch otto dix

im august 1914.

die Kerndaten im militärpass, mithin in jenem militärischen dokument, das dix für die

dauer seiner dienstzeit begleiten sollte, sind in der üblichen, verknappten Form abge­

fasst und lauten: wilhelm Heinrich otto dix, geboren am 2. dezember 1891 zu gera­un­

termhaus im verwaltungsbezirk gera, im bundesstaat reuss jüngere linie, 171 cm groß,

seines Zeichens »Kunst akademiker«, ledig und evangelisch­lutherischen glaubens.

Zugeteilt wurde er zunächst dem 1. rekruten­depot des Feldartillerie­regiments 48 in

dresden, knapp zwei monate später, am 18. oktober, dem 3. rekruten­depot des Feld­

artillerie­regiments 12 in dresden, also zu einheiten, die den bald dringend an der

Front benötigten Personal­ersatz zu liefern hatten. am 5. september 1914 kam es zur

vereidigung, vier tage später erfolgten die impfungen, vermutlich – ohne dass dies im

militärpass vermerkt wäre – die damals im deutschen Heer üblichen gegen scharlach,

cholera und typhus.

am tag des eintritts von dix in die Königlich sächsische armee am 22. august 1914

dauerte der weltkrieg schon über drei wochen an und bewegte die menschen an den

Fronten und in der Heimat. doch dix haben offensichtlich weder die »siege« der ersten

tage noch die früh zu verzeichnenden rückschläge animiert, sich freiwillig zu melden.6

das ist umso erstaunlicher, als sich der gesellschaftliche druck zur freiwilligen meldung

gerade in den augusttagen beständig erhöhte. Zwar war die Zahl der Kriegsfreiwilligen

in den ersten wochen des Krieges wesentlich geringer, als es die propagandistischen

aufblähungen – von einer oder gar von zwei millionen war in deutschland die rede

– vermuten ließen. aber zugleich verkörperte sich in ihnen im sprichwörtlichen sinne

der Krieg als nationales und gemeinschaftliches Projekt in einer gesellschaft, die sich

bernd ulrich

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36 37

gerade – nicht zuletzt in Künstlerkreisen – als eine ambitionierte verbrüderung »gegen

eine welt von Feinden« inszenierte.7 doch die Kriegsbegeisterung konzentrierte sich

auf zentrale, symbolisch aufgeladene städtische orte, sie wurde vornehmlich von bil­

dungsbürgerlichen eliten propagiert und keineswegs nur getragen von hehren natio­

nalen gefühlen.

diese sind auch bei dix vorderhand nicht zu finden. Zwar wissen wir bis heute wenig

über seine eigentliche mentale verfassung bei Kriegsbeginn. doch das bild, das sich von

ihm im august 1914 ergibt – zusammengesetzt aus einer vielzahl zeitgenössischer und

späterer selbst­Äußerungen in briefen, auf Postkarten und in gesprächen sowie nicht

zuletzt aus seinem bis dahin vorgelegten zeichnerischen und malerischen werk –, ist

relativ scharf konturiert. es ist das bild eines selbstbewussten, stilerprobten, die alten

meister ebenso wie die zeitgenössische malerei studierenden und nach ruhm streben­

den jungen Künstlers, der vor allem eins will: »auf den arsch setzen und malen, und

wenn der Kaiser kommt.«8

diese bedingungslosigkeit im »malen wollen« und die damit verbundene wahrneh­

mung seiner selbst und der ihn umgebenden welt als motivreservoir spielten vermut­

lich auch in seiner einstellung zum beginnenden Krieg die zentrale rolle, in den er zwar

nicht kriegsfreiwillig, aber skeptisch entschlossen zog. »man muß ja sagen können, ja

zu den menschlichen Äußerungen, die da sind und immer sein werden«, äußerte dix in

einem gespräch mit Fritz löffler im august 1957.9 die dafür notwendige empathie mag

ihm – wie vielen seiner Zeitgenossen – ein teil der Philosophie von Friedrich nietzsche

gegeben haben, mit der er sich seit 1911 und bis an sein lebensende auseinandersetzte.10

die willensstarke bejahung des lebens und seiner anforderungen, die virile neugier

auch auf das Hässliche und entsetzliche und die kreative umsetzung des dabei ge­

sehenen – das sind die grundpfeiler der dixschen Ästhetik im august 1914. auch in einer

seiner bekanntesten, jedenfalls immer wieder zitierten Äußerungen zum Kriegsbeginn

ist der einfluss seiner nietzsche­lektüre unverkennbar; sie lautet in ihren Kernsätzen:

»der Krieg war eine scheußliche sache, aber trotzdem etwas gewaltiges. das durfte ich

auf keinen Fall versäumen!«11

allerdings geschieht genau das – dix »versäumt« zunächst den Krieg, jedenfalls den an

der Front! denn nach seinem eintritt in die armee verbleibt er fast auf den tag genau 13

monate lang in der Heimat zur wechselnden ausbildung. diese über ein jahr andauernde

ausbildung ist erklärungsbedürftig und – vor dem Hintergrund der massiven verluste

vor allem in der kurzen Phase des bewegungskrieges im westen zwischen august und

november 1914 und der daraus resultierenden desolaten ersatzlage des deutschen

Heeres – zumindest erstaunlich. gewiss, es hat in manchen Fällen für bis dahin unaus­

gebildete reservisten längere ausbildungszeiten gegeben, aber doch eher als ausnahme

und keinesfalls solche, die während des Krieges länger als sechs monate dauerten.

dix’ überlange ausbildungszeit lässt den betrachter ebenso ratlos zurück wie die

tatsache, dass er in dieser Zeit in erstaunlicher Quantität in der lage war, nicht nur zu

zeichnen, sondern auch in Öl zu malen. Hatte er während seiner ausbildung in dresden

weiterhin Zugang zu einem atelier, etwa in der Kunstgewerbeschule, oder konnte er in

seiner »hübschen großen bude« in der dresdner johannstadt, elisenstraße 45, arbei­

ten?12 es könnte so gewesen sein, denn es ist recht unwahrscheinlich, dass man ihm in

der Kaserne einen raum zur verfügung gestellt oder ihm, dem einfachen soldaten und

zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten maler, überhaupt erlaubt hat, innerhalb der

Kasernenmauern künstlerisch tätig zu sein.

vor diesem Hintergrund gewinnt das »Porträt bruno alexander roscher« an bedeutung,

das dix vermutlich anfang 1915 in dresden malte. roscher ist bereits 1912 im adressbuch

dresdens nachgewiesen und hatte seine wohnung im nordwesten der stadt, in der

Kronenstraße 21, wo er auch noch nach dem Krieg – nun aber in der nr. 12 ii – lebte, und

zwar als oberwachtmeister der Polizei. vor dem Krieg findet sich für roscher auch die

berufsbezeichnung »stadtgendarm«, er war mithin so etwas wie ein streifenpolizist.

wenn das mittlerweile eruierte geburtsdatum stimmt, war roscher im jahre 1914 ein

47­jähriger Polizist im mittleren dienst, der vermutlich aufgrund seiner weit zurücklie­

genden militärzeit bei Kriegsbeginn im range eines Feldwebels – das zeigt jedenfalls

seine uniform auf dem Porträt – reaktiviert und als ausbilder und/oder Kompaniefeld­

webel in der ersatzabteilung des Feldartillerie­regiments nr. 12, in das dix am 18. okto­

ber 1914 kam, seinen dienst verrichtete.13

Dix »versäumt« den Krieg

abb. 2

Maschinengewehrzug geht vor (somme, november 1916) aus dem radierzyklus »der Krieg« / 1924 /

mappe 5, blatt i / radierung / 245 × 300 mm /

Karsch 1970,110 b / exemplar 61/70 / Kupferstich­

Kabinett, staatliche Kunstsammlungen dresden,

inv.­nr. 1949­2

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54 55

Bauernhofum 1916 / bezeichnet rechts unten: dX /

schwarze Kreide auf gelblichem Papier /

291 × 285 mm / lorenz 2003, wK 5.3.27 /

Kunstmuseum stuttgart, inv.­nr. Z­1833

schlamm1916 / bezeichnet links oben: diX /

schwarze Kreide auf gelblichem Papier /

410 × 395 mm / lorenz 2003, wK 6.4.1 /

Kunstmuseum stuttgart, inv.­nr. Z­1903

Zerschossene Bäume1916 / bezeichnet links oben: dix / graphit

und Kreide auf Zeichenpapier / 288 × 287 mm /

lorenz 2003, wK 5.5.6 / Zeppelin museum

Friedrichshafen ­ technik und Kunst, leihgabe

der ZF Friedrichshafen ag, inv.­nr. Zm 1989/95/lZ

schützengraben (aubérive)1916 / bezeichnet rechts unten: aubérive 16

diX, und nochmals (verwischt): aubérive 16 /

graphit auf bräunlichem Papier / 283 × 284 mm /

lorenz 2003, wK 5.4.33 / Kupferstich­Kabinett,

staatliche Kunstsammlungen dresden,

inv.­nr. c 1983­638

otto dixZeichnungen und Gouachen 1914 – 1918

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57

√ Kämpfende soldatenwohl 1914 / bezeichnet rechts unten: diX / Pinsel

in tusche über lithokreide / 657 × 489 mm / lorenz

2003, Fw 8.0.2 / Kupferstich­Kabinett, staatliche

Kunstsammlungen dresden, inv.­nr. c 1950­3

Beobachtungsstand im Westerwaldum 1916/17 / bezeichnet rechts unten: diX /

verso bezeichnet: beobachtungsstand im wester­

wald / schwarze Kreide auf braunem Papier /

285 × 290 mm / lorenz 2003, wK 5.4.31 / Kupferstich­

Kabinett, staatliche Kunstsammlungen dresden,

inv.­nr. c 1968­377

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169

»Überraschender Fund beim meisterschüler: nach 40 jahren tauchten vier skizzen zum

triptychon ›der Krieg‹ von otto dix auf« – so lautete die schlagzeile in einer ausgabe

der Zeitschrift »stern« aus dem jahr 1975.1 tatsächlich handelte es sich bei den »vier

skizzen« um die lange verschollen geglaubten Kartons zu einem der bedeutendsten

gemälde von dix.2

die wertschätzung von Kartonentwürfen ist in der Kunstgeschichte starken schwan­

kungen unterworfen gewesen. als arbeitsbehelf stellen sie im allgemeinen nur ein

durch gangsstadium auf dem weg zum eigentlichen Kunstwerk dar. während in der

renaissancezeit der Karton als eigenständige künstlerische aussage verstanden wurde,

ging das interesse in der barockzeit zurück, um im Historismus erneut aufzuleben. be­

sondere bedeutung erhalten Kartons dann, wenn das eigentliche Kunstwerk nicht mehr

existiert, wie zum beispiel die entwürfe von otto dix zu einem wandbild im deutschen

Hygiene­museum dresden, das kurz nach der machtergreifung der nationalsozialisten

zerstört wurde. die bedeutung, die der Künstler selbst dem medium Karton zumaß, zeigt

sich an einem Porträt von Franz Fiedler, für das er vor dem entwurf des gemäldes

»triumph des todes« posiert (abb. 1).

die Kartons zum Kriegstriptychon lagerten während des Zweiten weltkriegs im dresd­

ner atelier von dix in der Kesselsdorfer straße 11. betreut wurde dieses atelier, nachdem

dix seit 1936 in Hemmenhofen wohnte und nur noch einmal jährlich nach dresden

kam,3 von ernst bursche, einem schüler des Künstlers aus seiner dresdner akademie­

zeit. auf nicht ganz geklärte art und weise sind die Kartons in den besitz bursches über­

gegangen und wurden von diesem dann 1975 an die galerie brockstedt in Hamburg

verkauft.4 Über den erhaltungszustand äußerte sich ernst bursche in einem brief an

Fritz löffler, in dem er den verkauf rechtfertigte, folgendermaßen: »der erhaltungszu­

stand sowohl der entwürfe zum Kriegsbild als auch derjenigen zum wandbild im Hy­

gienemuseum, dessen mittelteil nur zur Hälfte vorhanden ist, war sehr schlecht. sie

mussten dringend restauriert werden. den erheblichen betrag, der dafür verlangt wur­

de, konnte ich aber nicht aufbringen. so habe ich den carton zum wandbild vor einer

reihe von jahren und den zum Kriegs­triptychon im letzten jahr verkaufen müssen.« 5

die galerie brockstedt veranlasste nach dem erwerb die restaurierungsmaßnahme, die

vom atelier Klein in Köln durchgeführt wurde, und präsentierte die Kartons anschlie­

ßend auf der baseler Kunstmesse 1975.6 bevor die Hamburger Kunsthalle 1978 die Kar­

tons für eine summe von 220 000 dm erwarb, stellte sie die galerie 1977 in einer aus­

stellung des Kunstvereins in Hamburg einem größeren Publikum vor.7

mit dem »Fund« der Kartons schloss sich eine lücke im wissen um den entstehungs­

prozess des gemäldes, der darüber hinaus mit zwölf studien­ und skizzenblättern, in

denen dix verschiedene Kompositionsideen formuliert hatte, und mit der vermutlich ein­

zigen farbigen entwurfszeichnung zum gemälde dokumentiert ist (abb. s. 160 – 167).

nimmt man seine schriftlichen selbstaussagen bezüglich der maltechnik hinzu, lässt sich

seine vorgehensweise nun auch in kunsttechnologischer Hinsicht rekonstruieren. in einer

1958 für die »washington school of art« ausgearbeiteten lehreinheit beschreibt dix den

ersten arbeitsschritt folgendermaßen: »bei anwendung unserer besonderen maltechnik

muss man sich über die Komposition vollkommen klar sein. […] Fangen sie mit kleinen

groben bleistiftskizzen an. machen sie viele davon, halten sie sich daran, bis die Kompo­

sition in ihrer vorstellung unmissverständlich klar ist.« 8 mit »besonderer mal technik«

bezieht sich dix auf die von ihm seit mitte der 1920er jahre angewandte lasurmalerei, ein

verfahren der Frührenaissance, zu dessen voraussetzung die Festlegung der Komposition

des bildes schon vor dem eigentlichen malprozess gehört, da später durchge führte ver­

änderungen durch die transparenz des malmittels immer sicht bar bleiben würden.

olaf simon

Wege zum Bild – die Kartons

abb. 1

Franz Fiedler

Bildnis Otto Dix vor dem Karton zum Gemälde »Triumph des Todes« (ausschnitt)

1933 / brauner bromöldruck / 370 × 270 mm /

Kupferstich­Kabinett, staatliche Kunstsammlungen

dresden, inv.­nr. d 1933­8

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del oder einem rädchen. anschließend wird der Karton auf der präparierten leinwand

oder Holztafel platziert. durch das aufdrücken eines dünnen stoffbeutels, der mit Holz­

kohle oder Papierasche gefüllt ist, werden diese Pigmente durch die kleinen löcher

gestoßen und die umrisszeichnung auf dem malgrund markiert.11 Für das Kriegstripty­

chon bevorzugte dix die andere technik, die so ge nannte calcho­methode (italienisch:

durchpausen/durchdrücken), die er auch in sei ner lektion den studenten nahebrachte:

»Fahren sie die umrisse ihrer Zeichnung mit einem harten bleistift oder griffel nach.

drücken sie ordentlich auf, aber seien sie vor sichtig, dass sie nicht das Papier zerreißen

oder den Kreidegrund zerkratzen. Ziehen sie alle umrisse nach und deuten sie die

ausdehnung der schattierungen und schatten mittels schraffuren an.« 12 damit sich die

umrisslinien deutlich abzeichnen, muss bei diesem verfahren entweder die rückseite

des Kartons mit Kohle oder rötel eingestrichen oder, als variante, ein auf einer seite

bestäubtes Zwischenlagepapier verwendet werden. obwohl beim Kriegstriptychon die

rückseiten der Kartons durch die doublierung mit leinwand nicht mehr sichtbar sind,

kann man ein durchdringen des rötels zur vorderseite durch Knicke und Falten beob­

achten sowie einen flach auf der oberfläche aufliegenden rötelstaub, der sich ver­

mutlich durch ein späteres Übereinanderlegen oder aufrollen der Kartons abgesetzt

hat (abb. 2 und 3). deutlich zu erkennen ist das setzen der Konturen mit Kohle in meh­

reren arbeitsschritten, wobei dix der einsatz von Kreuz­ und Parallelschraffuren zur

licht­ und schattenmodulierung diente. eine malerische wirkung erzielte er durch

verwischen der Kohle.

entsprechend entwickelte er die Komposition des Kriegstriptychons in zahlreichen, mit

bleistift und rötel ausgeführten skizzen auf Papier. drei davon zeigen das gesamte

triptychon (abb. s. 160/161, 162/163 und 166/167), auf einer ist allerdings die Predella noch

nicht konzipiert (abb. s. 162/163). auf den anderen Zeichnungen setzt sich dix mit den

beiden Flügeln (abb. s. 179, 200 und 201) und dem mittelteil (abb. s. 187) auseinander.

mit dem großformatigen aquarell (abb. s. 164/165) scheint er schließlich die endgültige

Komposition fixiert zu haben. neben einem ersten Farbeindruck geht es hier schon um

die Festlegung der exakten größe des gemäldes. die zahlreichen maßangaben, Zahlen

und deren Korrekturen sowie die Festlegung des rahmenformates durch die blei­

stifteinfassung legen diesen schluss nahe. Über den nächsten schritt, die anfertigung

der das gemälde maßstabsgetreu vor bereitenden Kartons, äußert er sich wie folgt:

»wenn sie mit ihrer kleinen skizze zufrieden sind, beginnen sie mit der studie in vol­

ler größe, die sie in den realen maßen des bildes anlegen. Zweck dieser studie ist es,

das bild in so vielen details wie nur mög lich vorauszuplanen und weitere entschei­

dungen über Formen, Konturen, valeurs usw. zu treffen.« 9 Zur Übertragung des Kar­

tons auf die Holztafel rät er: »bringen sie einen bogen tonpapier auf ihrer tafel an,

indem sie ihn an den Kanten sicher mit Klam mern befestigen. das Papier kann eine

beliebige Farbe haben, sollte aber einen mittleren ton haben, keinen hellen. Zeichnen

sie das sujet sorgfältig in Kohle.«10 grundsätzlich kann ein entwurf durch zwei metho­

den auf den malgrund übertragen werden. bei der spolvero­methode (italienisch: be­

stäuben/abstauben) perforiert man die umrisslinien der Zeichnung mit einer Pausna­

abb. 3

Karton zum Triptychon »Der Krieg«1928 – 1930 / linker Flügel / Panzer am Horizont,

mit aufliegendem rötelstaub

abb. 2

Karton zum Triptychon »Der Krieg«1928 – 1930 / mitteltafel / skelett mit

ausgestrecktem arm im oberen bilddrittel,

rötelspuren an den Knicken

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neben Kohle verwendete dix weiße Kreide, die sowohl trocken als auch wässrig ge­

bunden eingesetzt wurde. sie diente zur akzentuierung in Form von weißhöhungen,

zum beispiel im Himmelsbereich oder in den stahlhelmen der soldaten des linken Flü­

gels. den im farblichen erscheinungsbild grauen, glänzenden graphitstift benutzte dix

lediglich als griffelstift zum durchdrücken auf den bildträger, wobei er die wichtigsten

Konturen mit gleichmäßigem druck exakt linear nachzog (abb. 5).

dass otto dix ungewöhnlich lange um die Kompositionsform seines Kriegstriptychons

gerungen hat, ist bereits an den vorbereitenden Kartons ersichtlich. so existiert zum

rechten Flügel neben dem ausgeführten noch ein sogenannter verworfener Karton

(abb. s. 203). im rahmen des ausstellungsprojektes erstmalig angefertigte röntgen­

aufnahmen des gemäldes zeigen, dass er zunächst den verworfenen Karton auf den

bildträger übertrug, bevor er sich doch für eine andere variante entschied. auch im

linken Flügel sind mithilfe der durchleuchtung wesentliche Änderungen nachweisbar.

Für den vordergrund plante er in der vorzeichnung zunächst einen Pflug, im aquarell

ein gestürztes oder totes Pferd, das er dann auf dem Karton zugunsten der Figur eines

Hundes wieder aufgegeben hat. dieser wurde zunächst auch auf die tafel übertragen,

aber zuletzt schließlich durch ein großes wagenrad ersetzt – eine bildidee, die dix,

kombiniert mit dem gestürzten Pferd, bereits auf der albstädter skizze ausprobierte

(abb. s. 162/163).

dass die in seiner vorlesung für die »washington art school« lehrbuchmäßige be­

schreibung eines idealen arbeitsvorgangs bei der Herstellung einer »figürlichen Kompo­

sition« sich in der künstlerischen Praxis indessen schwieriger gestaltet, lässt sich nicht

nur beim betrachten der Zeichnungen und Kartons konstatieren, sondern findet seine

Fortsetzung auch in der malerischen umsetzung von inhalt und Form im gemälde.

anmerkungen1 Überraschender Fund beim meisterschüler, in: stern 28 (1975), Heft 28 (3. 7. 1975), s. 118. Für wichtige Hinweise

danke ich christine casper von der galerie brockstedt, Hamburg. 2 unter einem Karton versteht man eine

Zeichnung im maßstab von 1 : 1 auf einem meist groben, starken Papier, die zur Übertragung eines entwurfs auf

den malgrund oder auf ein anderes medium verwendet wird. Kartons wurden sowohl für wand­ und decken­

malereien als auch für tafelbilder, glasfenster und tapisserien hergestellt. 3 von 1943 bis 1949 musste dix seine

jährlichen reisen nach dresden einstellen. 4 vgl. slub dresden, nachlass Fritz löffler, mscr. dresd. app. 2535.

laut diesen unterlagen befanden sich die Kartons zu folgenden dix­gemälden seit 1949 im besitz von ernst

bursche: »der Krieg« (abb. s. 174/175), »die sieben todsünden«, 1933, Kohle, 1790 × 1200 mm (lorenz 2003, ie

5. 1.4); »wandbild im Hygiene­museum dresden«, 1930, bleistift, Kohle, Kreide und deckweiß, linker teil

2200 × 1230 mm (lorenz 2003, nsk 10. 2. 9), mittelteil 2200 × 2460 mm (lorenz 2003, nsk 10.2. 10), rechter teil

2200 × 1230 mm (lorenz 2003, 10. 2. 11); »melancholie«, 1930, Kohle, weiße und braune Kreide, rötel, 1200 × 900

mm (lorenz 2003, nsk 11. 1.13); »liegender akt«, 1930, Pastell und Kohle, 445 × 630 mm (lorenz 2003, nsk

10.4. 10). 5 ernst bursche an Fritz löffler, 27. 2. 1976, slub dresden, nachlass Fritz löffler, mscr. dresd. app. 2535,

nr. 2536. 6 in einem handschriftlichen Zustandsbericht aus dem jahr 1991, angefertigt von der damaligen Pa­

pierrestauratorin der Hamburger Kunsthalle, gerlinde römer, findet sich der vermerk: »der Karton wurde vor

der erwerbung von der werkstatt Klein, Köln, restauriert.« vermutlich handelt es sich um die gemälderestau­

rierungswerkstatt von otto Klein (1904 – 1994), der seine lehrjahre in dresden verbrachte und u. a. assistent von

Kurt wehlte, maltechnischer leiter an der dresdner Kunstakademie von 1925 bis 1930, war. 7 vgl. Hamburg 1977.

8 Für die »washington school of art« (new York), die eine art Fernstudium im künstlerischen bereich anbot,

verfasste otto dix 1958 zwei lektionen zu seiner maltechnik. im ersten teil referierte er über »Painting and

composition« (lesson 19) und im zweiten teil über »Painting a Figurative composition in tempera and oils«

(lesson 20) – eine deutsche Fassung beider texte (malerei und Komposition/das malen einer figürlichen Kom­

position in tempera und Öl) ist in schmidt 1981, s. 229 – 250, abgedruckt, hier zit. s. 244 f. vgl. weitergehend zu

otto dix und seiner Zusammenarbeit mit der »washington school of art«: catherine wermester, otto dix –

comment je peins un tableau, deux lecons de peinture, Paris 2011. 9 schmidt 1981, s. 245. 10 ebd. 11 im werk

von otto dix finden sich auch beispiele dieser methode, so z. b. die Kartons zum wandbild »orpheus und die

tiere« (u. a. »schwan«, 1938, Kohle, 928/931 × 978 mm (lorenz 2003, ie 6. 6. 13). 12 schmidt 1981, s. 247.

abb. 4

Verworfener Karton zum Triptychon »Der Krieg« (rechter Flügel)

1928 – 1930 / Hand des Kriechenden am unteren

bildrand, Kontur der Hand mit graphitstift

durchgegriffelt

abb. 5 ®

Karton zum Triptychon »Der Krieg«1928 – 1930 / linker Flügel / streiflichtaufnahme /

Zwei soldaten, Kontur der gesichter mit

graphitstift durchgegriffelt

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Karton zum Triptychon »Der Krieg« 1928 – 1930 / linker Flügel bezeichnet rechts unten:

dix 30, mitteltafel bezeichnet rechts oben:

dix 30 / Kohle, rötel, weiße Kreide und graphit

auf Papier auf leinwand / linker Flügel

2040 × 1020 mm, mitteltafel 2040 × 2040 mm,

rechter Flügel 2040 × 1020 mm, Predella

600 × 2040 mm / lorenz 2003, nsk 7.3.10 (linker

Flügel), nsk 7.3.11 (mitteltafel), nsk 7.3.12 (rechter

Flügel), nsk 7.3.14 (Predella) / Hamburger Kunsthalle,

Kupferstichkabinett, inv.­nr. 1978/60 a­d

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Der Krieg (triptychon)

1929 – 1932 / galerie neue meister, staatliche

Kunstsammlungen dresden, gal.­nr. 3754

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nDas Triptychon »Der Krieg« (1929 – 1932) von Otto Dix aus dem Bestand

der Galerie Neue Meister in Dresden zählt zu den Schlüsselwerken

deutscher realistischer Malerei im 20. Jahrhundert. Kaum ein anderer

Künstler hat sich so intensiv mit dem Ersten Weltkrieg auseinander-

gesetzt wie Otto Dix. Der Band erschließt das vierteilige Gemälde in

faszinierenden Detailaufnahmen. Die Vorzeichnungen und Kartons

ermöglichen einen Einblick in den jahrelangen Entstehungsprozess

des Triptychons. Bislang unveröffentlichtes Quellenmaterial zum

Fronteinsatz des Künstlers sowie Reflexionen zur Verarbeitung des

Erlebten nach Kriegsende beleuchten den zeithistorischen Kontext.

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