palästina israelzeitung · bis 2009). zuletzt veröffentlichte er als herausgeber zusammen mit der...

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MELDUNGEN Schriftsteller gegen Unrecht der Besatzung David Grossmann brachte im Som- mer dreißig israelische Schriftsteller dazu, eine Kampagne gegen „die zy- nische und habsüchtige Besatzung“ zu unterschreiben. Amos Oz und Yoram Kaniuk gehören dazu. Fünf- zig Autoren aus aller Welt schlossen sich an, auch die Nobelpreisträger Herta Müller, Seamus Heaney, Ma- rio Vargas Llosa und Orhan Pamuk. Konkret geht es in der Kampagne um acht Dörfer des südlich von Hebron gelegenen Gebietes Masafer Yatta. Gegen diese liegt ein Räumungsbe- fehl des israelischen Verteidigungs- ministerium von 2012 vor. Durch dieses zu einem militärischen Trup- penübungsplatz erklärte Gebiet („Fi- ring Zone 918“) wird die landwirt- schaftliche Tätigkeit für die Bewoh- ner nahezu unmöglich.Im September ordnete das Oberste Gericht in Jeru- salem ein Mediationsverfahren an, dem die Dörfer, das Verteidigungs- ministerium und die Zivilverwaltung der israelischen Armee im besetzten Westjordanland zustimmten. ck Rim Banna aus Nazareth preisgekrönt Der palästinensischen Sängerin und Komponistin Rim Banna wurde am 15. November in Berlin der Ibn Rushd Preis für Freies Denken in der arabi- schen Welt verliehen. In der Begrün- dung heißt es, Musik sei ihr Mittel für kulturelle Selbstbehauptung, mit der sie Respekt und Würde für ihr Volk fordere. Für ihr Album zum zwei- ten Jahrestag der arabischen Revo- lutionen „Revelation of Ecstasy and Rebellion“ hat sie dem rebellischen Geist in der Dichtung des Orients nachgespürt und ausgewählte Lyrik vertont. Der Preis wurde für Musi- ker ausgeschrieben, die kritisches und kreatives Gedankengut, das für gesellschaftlichen Wandel unabding- bar ist, poetisch kondensieren und deren Liedtexte sich mit dem Streben nach Freiheit, Bürgerrechten und De- mokratie befassen. Ibn Rush Fund Marienikone von Ian Knowles auf der Mauer um Bethlehem Foto: Martha Tonsern Karikatur des palästinensischen Künstlers Naji el-Ali Die Palästina-Israel-Zeitung wird er- möglicht durch Spender und Vereinsmitglieder. Bestellung: [email protected] Leserbriefe: [email protected] Telefon: 030-364 662 69 Von Christian Sterzing I sraels Netanyahu konnte es nicht schnell genug gehen. Unter Mis- sachtung eines ausdrücklichen Be- schlusses des Obersten Gerichtshofes ließ er nach zwei Tagen Bab al-Shams im Morgengrauen räumen, das Zelt- dorf, das etwa 250 palästinensische Aktivisten aus Protest gegen die is- raelische Siedlungspolitik zwischen Jerusalem und Ma’aleh Adumim im Januar 2013 errichtet hatten. Immer- hin hatte es die gewaltfreie Protest- bewegung in den palästinensischen Gebieten damit endlich auch in die Meldungen der internationalen Me- dien geschafft. Die Überwindung der Aufmerk- samkeitsschwelle ist eines der Pro- bleme des zivilen Widerstandes gegen die israelische Besatzung. Es muss Tote geben, damit ein Ereignis be- richtenswert erscheint. Hinzu kommt der Kampf gegen eine in vielen Me- dien vorhandene selektive Wahrneh- mung. Sie ist in der Region vor allem auf gewalttätigen „Aufruhr“ und Selbstmordanschläge, auf islamisti- schen oder palästinensischen Terror geeicht. Palästina und gewaltfreier Widerstand? Ziviler Ungehorsam ge- gen die Besatzung? Das scheint ir- gendwie nicht zusammen zu passen. Aber das Zeltdorf Bab al-Shams („Sonnentor“) blieb kein Einzelfall. Mindestens fünf weitere Zeltdörfer wurden inzwischen errichtet – und meist ebenso schnell vom israeli- schen Militär geräumt. Schon lange vorher hatte es Versuche gegeben, mit der symbolischen Errichtung von Häusern, Zelten oder Wohn- containern gegen die Beschlagnahme der wachsenden jüdischen Einwan- derung zum Generalstreik und zum Boykott der britischen Mandatsver- waltung aufgerufen. Gleichzeitig hat- ten sich Widerstandsgruppen gebil- det, die den bewaffneten Kampf ara- bischer Freischärler gegen Juden und Briten unterstützten. Auch die Erste Intifada war nicht gewaltfrei. Steine gegen Soldaten und militärische Einrichtungen gehörten zu den Mitteln des Protestes. Doch dieser Aufstand war im Kern ein Bürgeraufstand gegen die israelische Herrschaft, geprägt durch vielfäl- tige Formen des gewaltfreien Wider- standes: Streiks, Boykott israelischer Fortsetzung Seite 2 Ziviler Widerstand Neue Perspektiven im Kampf gegen die Besatzung? palästinensischen Bodens zu protes- tieren. Darüber hinaus haben in den letz- ten Jahren auch die Demonstrationen gegen den Mauerbau zugenommen. Die seit Jahren in Bil’in stattfinden- den Freitagsdemonstrationen sind die bekanntesten. Aber auch die pa- lästinensischen Dörfer Ni’lin und Bu- drus, Ma’asara, Nabi Saleh und Kufr Qaddum sind Schauplätze regelmä- ßiger Demonstrationen. Märsche auf checkpoints finden statt, Hun- gerstreiks in Solidarität mit streiken- den palästinensischen Gefangenen, der Wiederaufbau zerstörter Häuser, Kunstaktionen an der Mauer. Viele Möglichkeiten Aktivistinnen und Aktivisten des ge- waltfreien Widerstandes sehen sich heute in der Tradition des Arabi- schen Aufstandes von 1936 bis 1939 und der Ersten Intifada von 1987 bis 1993. In den 30er Jahren hatte das Arabische Hohe Komitee angesichts Waren, Steuerverweigerung, Aufbau alternativer Infrastrukturen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Ver- sorgung und Ernährung, Verweige- rung der Zusammenarbeit mit den Besatzungsbehörden. Bil’in Demonstration Foto Johannes Zang SAND IN DAS UNRECHTSGETRIEBE Liebe Leserin, lieber Leser, im Sinne der Vereinten Nationen sind alle Völker gleich, gleich in ihren Rechten und Pflichten. Nur der Staat Israel und seine Bevölkerung werden leider meist anders gesehen. Deshalb dauert die gewaltbestimmte Besetzung und israelische Kolonisierung des palästinensischen Restlandes nun schon seit fast fünfzig Jahren, ohne dass es begründete Hoffnung auf Beendigung dieses Zustands gibt. In dieser Situation befasst sich diese Ausgabe mit dem Recht und den Formen von palästinensischem Widerstand, wobei die israelische Initialgewalt immer präsent ist. Die Erfahrung von massiver Ge- walt ruft in jedem Fall Widerstand hervor. Schließlich gibt es auch die Widerstandspflicht für jeden, der für eine Familie, für ein Dorf, für eine Stadt, für ein größeres Ge- meinwesen mitverantwortlich ist, wenn diese unter Gewaltherrschaft stehen. Aber selbst gewaltfreier Widerstand ist für das jüdische Staatswesen höchst unerwünscht und führt oft zum Tode von friedlichen Demonstranten. Werden die aktuellen „Friedensver- handlungen“ – im Rahmen eines angeblichen, seit Jahren dahinsie- chenden Friedensprozesses – etwas bringen? Gewiss nicht, denn eine Zwei-Staaten-Lösung ist durch Israel mit aller Macht und großem Geschick praktisch unmöglich gemacht, und eine Ein-Staat-Lö- sung lehnt Israel vehement ab. Was ist dann die Lösung? Es wird weiter geschehen, was schon lange geschieht: Stück für Stück und mit viel Geschick raubt der jüdische Staat weitere Teile vom palästi- nensischen Restgebiet, vor allem in den C-Gebieten des Westjor- danlandes (62 Prozent). Die Paläs- tinenser werden in acht Zentren zusammengedrängt, vergleichbar den Bantustans und Townships in Südafrika. Und Gaza bleibt abge- schnitten und eingeschlossen. Wer gebietet diesem Prozess Einhalt? Unrecht gedeiht lange, aber nicht ewig. Stützen wir die noch schwachen Recht-Schaffenden, die es gibt im Staat Israel, in den palästinensischen Gebieten, in Deutschland und der Welt. Schüt- ten wir Sand in das Unrechtsge- triebe, zwar ohne konkrete, aber mit ausdauernder Hoffnung. Ihr Peter Bingel Palästina Israel Zeitung für Völkerrecht und Menschenrechte herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Völkerrecht und Menschenrechte in Palästina und Israel e. V. Nr. 4 • Dezember 2013 www.palaestina-israel-zeitung.de IN DIESER AUSGABE Völkerrechtler Norman Paech im Interview Seite 3 Verweigerin des Militärdienstes Seite 4 Boykott als friedlicher Widerstand Seite 4 Impressum Seite 4 Gaza ohne Strom Seite 5 Buch und Film Seite 6 Mark Braverman über die Deutschen Seite 7 Veranstaltungen Seite 8

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Page 1: Palästina IsraelZeitung · bis 2009). Zuletzt veröffentlichte er als Herausgeber zusammen mit der Heinrich Böll-Stiftung: „Palästina und die Palästinenser. 60 Jahre nach der

MELDUNGEN

Schriftsteller gegen Unrecht der BesatzungDavid Grossmann brachte im Som­mer dreißig israelische Schriftsteller dazu, eine Kampagne gegen „die zy­nische und habsüchtige Besatzung“ zu unterschreiben. Amos Oz und Yoram Kaniuk gehören dazu. Fünf­zig Autoren aus aller Welt schlossen sich an, auch die Nobelpreisträ ger Herta Müller, Seamus Heaney, Ma­rio Vargas Llosa und Orhan Pamuk. Konkret geht es in der Kampagne um acht Dörfer des südlich von Hebron gelegenen Gebietes Masafer Yatta. Gegen diese liegt ein Räumungsbe­fehl des israelischen Verteidigungs­ministerium von 2012 vor. Durch dieses zu einem militärischen Trup­penübungsplatz erklärte Gebiet („Fi­ring Zone 918“) wird die landwirt­schaftliche Tätigkeit für die Bewoh­ner nahezu unmöglich.Im September ordnete das Oberste Gericht in Jeru­salem ein Mediationsverfahren an, dem die Dörfer, das Verteidigungs­ministerium und die Zivilverwaltung der israelischen Armee im besetzten Westjordanland zustimmten. ck

Rim Banna aus Nazareth preisgekröntDer palästinensischen Sängerin und Komponistin Rim Banna wurde am 15. November in Berlin der Ibn Rushd Preis für Freies Denken in der arabi­schen Welt verliehen. In der Begrün­dung heißt es, Musik sei ihr Mittel für kulturelle Selbstbehauptung, mit der sie Respekt und Würde für ihr Volk fordere. Für ihr Album zum zwei­ten Jahrestag der arabischen Revo­lutionen „Revelation of Ecstasy and Rebellion“ hat sie dem rebellischen Geist in der Dichtung des Orients nachgespürt und ausgewählte Lyrik vertont. Der Preis wurde für Musi­ker ausgeschrieben, die kritisches und kreatives Gedankengut, das für gesellschaftlichen Wandel unabding­bar ist, poetisch kondensieren und deren Liedtexte sich mit dem Streben nach Freiheit, Bürgerrechten und De­mokratie befassen. Ibn Rush Fund

Marienikone von Ian Knowles auf der Mauer um Bethlehem Foto: Martha Tonsern

Karikatur des palästinensischen Künstlers Naji el-Ali

Die Palästina-Israel-Zeitung wird er-möglicht durch Spender und Vereinsmitglieder.Bestellung: [email protected]

Leserbriefe: [email protected]: 030-364 662 69

Von Christian Sterzing

I sraels Netanyahu konnte es nicht schnell genug gehen. Unter Mis­

sachtung eines ausdrücklichen Be­schlusses des Obersten Gerichtshofes ließ er nach zwei Tagen Bab al-Shams im Morgengrauen räumen, das Zelt­dorf, das etwa 250 palästinensische Aktivisten aus Protest gegen die is­raelische Siedlungspolitik zwischen Jerusalem und Ma’aleh Adumim im Januar 2013 errichtet hatten. Immer­hin hatte es die gewaltfreie Protest­bewegung in den palästinensischen Gebieten damit endlich auch in die Meldungen der internationalen Me­dien geschafft.

Die Überwindung der Aufmerk­samkeitsschwelle ist eines der Pro­bleme des zivilen Widerstandes gegen die israelische Besatzung. Es muss Tote geben, damit ein Ereignis be­richtenswert erscheint. Hinzu kommt der Kampf gegen eine in vielen Me­dien vorhandene selektive Wahrneh­mung. Sie ist in der Region vor allem auf gewalttätigen „Aufruhr“ und Selbstmordanschläge, auf islamisti­schen oder palästinensischen Terror geeicht. Palästina und gewaltfreier Widerstand? Ziviler Ungehorsam ge­gen die Besatzung? Das scheint ir­gendwie nicht zusammen zu passen.

Aber das Zeltdorf Bab al-Shams („Sonnentor“) blieb kein Einzelfall. Mindestens fünf weitere Zeltdörfer wurden inzwischen errichtet – und meist ebenso schnell vom israeli­schen Militär geräumt. Schon lange vorher hatte es Versuche gegeben, mit der symbolischen Errichtung von Häusern, Zelten oder Wohn­containern gegen die Beschlagnahme

der wachsenden jüdischen Einwan­derung zum Generalstreik und zum Boykott der britischen Mandatsver­waltung aufgerufen. Gleichzeitig hat­ten sich Widerstandsgruppen gebil­det, die den bewaffneten Kampf ara­bischer Freischärler gegen Juden und Briten unterstützten.

Auch die Erste Intifada war nicht gewaltfrei. Steine gegen Soldaten und militärische Einrichtungen gehörten zu den Mitteln des Protestes. Doch dieser Aufstand war im Kern ein Bürgeraufstand gegen die israelische Herrschaft, geprägt durch vielfäl­tige Formen des gewaltfreien Wider­standes: Streiks, Boykott israelischer

Fortsetzung Seite 2

Ziviler WiderstandNeue Perspektiven im Kampf gegen die Besatzung?

palästinensischen Bodens zu protes­tieren.

Darüber hinaus haben in den letz­ten Jahren auch die Demonstrationen gegen den Mauerbau zugenommen. Die seit Jahren in Bil’in stattfinden­den Freitagsdemonstrationen sind die bekanntesten. Aber auch die pa­lästinensischen Dörfer Ni’lin und Bu­drus, Ma’asara, Nabi Saleh und Kufr Qaddum sind Schauplätze regelmä­ßiger Demonstrationen. Märsche auf checkpoints finden statt, Hun­gerstreiks in Solidarität mit streiken­den palästinensischen Gefangenen, der Wiederaufbau zerstörter Häuser, Kunstaktionen an der Mauer.

Viele MöglichkeitenAktivistinnen und Aktivisten des ge­waltfreien Widerstandes sehen sich heute in der Tradition des Arabi­schen Aufstandes von 1936 bis 1939 und der Ersten Intifada von 1987 bis 1993. In den 30er Jahren hatte das Arabische Hohe Komitee angesichts

Waren, Steuerverweigerung, Aufbau alternativer Infrastrukturen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Ver­sorgung und Ernährung, Verweige­rung der Zusammenarbeit mit den Besatzungsbehörden.

Bil’in Demonstration Foto Johannes Zang

SAND IN DAS UNRECHTSGETRIEBE

Liebe Leserin, lieber Leser,

im Sinne der Vereinten Nationen sind alle Völker gleich, gleich in ihren Rechten und Pflichten. Nur der Staat Israel und seine Bevölkerung werden leider meist anders gesehen. Deshalb dauert die gewaltbestimmte Besetzung und israelische Kolonisierung des palästinensischen Restlandes nun schon seit fast fünfzig Jahren, ohne dass es begründete Hoffnung auf Beendigung dieses Zustands gibt. In dieser Situation befasst sich diese Ausgabe mit dem Recht und den Formen von palästinensischem Widerstand, wobei die israelische Initialgewalt immer präsent ist. Die Erfahrung von massiver Ge­walt ruft in jedem Fall Widerstand hervor. Schließlich gibt es auch die Widerstandspflicht für jeden, der für eine Familie, für ein Dorf, für eine Stadt, für ein größeres Ge­meinwesen mitverantwortlich ist, wenn diese unter Gewaltherrschaft stehen. Aber selbst gewaltfreier Widerstand ist für das jüdische Staatswesen höchst unerwünscht und führt oft zum Tode von friedlichen Demonstranten. Werden die aktuellen „Friedensver­handlungen“ – im Rahmen eines angeblichen, seit Jahren dahinsie­chenden Friedensprozesses – etwas bringen? Gewiss nicht, denn eine Zwei­Staaten­Lösung ist durch Israel mit aller Macht und großem Geschick praktisch unmöglich gemacht, und eine Ein­Staat­Lö­sung lehnt Israel vehement ab.

Was ist dann die Lösung? Es wird weiter geschehen, was schon lange geschieht: Stück für Stück und mit viel Geschick raubt der jüdische Staat weitere Teile vom palästi­nensischen Restgebiet, vor allem in den C­Gebieten des Westjor­danlandes (62 Prozent). Die Paläs­tinenser werden in acht Zentren zusammengedrängt, vergleichbar den Bantustans und Townships in Südafrika. Und Gaza bleibt abge­schnitten und eingeschlossen. Wer gebietet diesem Prozess Einhalt?

Unrecht gedeiht lange, aber nicht ewig. Stützen wir die noch schwachen Recht­Schaffenden, die es gibt im Staat Israel, in den palästinensischen Gebieten, in Deutschland und der Welt. Schüt­ten wir Sand in das Unrechtsge­triebe, zwar ohne konkrete, aber mit ausdauernder Hoffnung.

Ihr Peter Bingel

PalästinaIsraelZeitungfür Völkerrecht und Menschenrechte

herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Völkerrecht und Menschenrechte in Palästina und Israel e. V.Nr. 4 • Dezember 2013 www.palaestina-israel-zeitung.de

IN DIESER AUSGABE

Völkerrechtler Norman Paech im Interview Seite 3

Verweigerin des Militärdienstes Seite 4

Boykott als friedlicher Widerstand Seite 4

Impressum Seite 4

Gaza ohne Strom Seite 5

Buch und Film Seite 6

Mark Braverman über die Deutschen Seite 7

Veranstaltungen Seite 8

Page 2: Palästina IsraelZeitung · bis 2009). Zuletzt veröffentlichte er als Herausgeber zusammen mit der Heinrich Böll-Stiftung: „Palästina und die Palästinenser. 60 Jahre nach der

WIDERSTAND

Fortsetzung von Seite 1

Ziviler Widerstand

Gewalt gegen GewaltlosigkeitFreitag für Freitag protestieren Palästinenser und israelische Friedensaktivisten gegen die Mauer

So können die gewaltlosen Wider­standsaktionen der Palästinenser heute an eigene Traditionen anknüp­fen. Es gab immer wieder zivile Akti­onen gegen Besatzung und Annexion wie die Verweigerung israelischer Identitätskarten durch die Drusen auf dem Golan, die Ablehnung der israe­lischen Staatsbürgerschaft durch die Palästinenser in Ost­Jerusalem, De­monstrationen gegen den Mauerbau, den Boykott der Kommunalwah­len im arabischen Teil Jerusalems, die Ablehnung der Zusammenar­beit mit israelischen Organisationen.

Erinnert sei auch an Mubarak Awad, den vergessenen „Vater“ der palästinensischen Gewaltfreiheits­bewegung. 1983 legte er in seiner Schrift Gewaltfreier Widerstand: Eine Strategie für die besetzten Ge-biete zentrale Überlegungen für neue Formen eines effektiven kollektiven Widerstandes nieder. 1985 gründete er das Palästinensische Zentrum zum Studium der Gewaltfreiheit in Jeru­salem. Die wachsenden Aktivitäten des Zentrums wurden offenbar von der israelischen Regierung in der Anfangsphase der Ersten Intifada als so gefährlich eingeschätzt, dass sie Awad, der auch amerikanischer Staatsbürger ist, 1988 auswies.

Gewalt war üblichDie Entwicklung des israelisch­pa­lästinensischen Konflikts wurde in entscheidenden Phasen auch von unverhältnismäßiger und illegitimer Gewalt beeinflusst. In vielen Dar­stellungen wird die nahöstliche Ge­schichte als eine Kette von Krieg und

Gewalttaten nachgezeichnet. Auch die palästinensische Nationalbewe­gung blickt im Allgemeinen mit Stolz auf die unterschiedlichen Phasen ih­res bewaffneten Kampfes zurück.

Über Jahrzehnte hinweg hat Ge­walt das Bild des palästinensischen Widerstandes dominiert: Terroran­schläge, Selbstmordattentate, Ent­führungen, Kommandoaktionen.

Auch wenn die Legitimität von Pro­test und Widerstand gegen eine völ­kerrechtswidrige Besatzung grund­sätzlich kaum bestritten werden kann, so ist zweifellos nicht jede Form des Widerstandes völkerrecht­lich zulässig und legitim. Angriffe auf Zivilisten sind auch in einem asym­metrischen Konflikt nicht zu recht­fertigen.

derartige Domestizierungsbemühun­gen als hilfreich erweisen, um zu ver­hindern, dass sich der zivile Ungehor­sam nicht nur gegen die Besatzung, sondern womöglich auch gegen die eigene palästinensische Führung und autoritären Herrschaftsstrukturen wendet.

Gewaltloser Widerstand bedarf in der Gesellschaft der breiten und dauerhaften Unterstützung und Be­teiligung. Was wir in den palästinen­sischen Gebieten erleben, ist jedoch keine Massenbewegung. Es ist auch keine pazifistische Bewegung. Ge­meinsame politische Zielvorstellun­gen etwa zur Zwei­Staaten­Regelung und strategischer Konsens etwa über Bündnisse mit Juden fehlen. Eine Be­wegung in Bewegung!

Vor allem sind es viele junge Men­schen, die nach dem Scheitern des Friedensprozesses und der Zweiten Intifada aus Enttäuschung über die lähmende Rivalität ihrer politischen Führung und die Untätigkeit der in­ternationalen Gemeinschaft das Po­tential zivilen Widerstands wiede­rentdecken. Sie entwickeln es weiter, um den Palästinensern eine neue Per­spektive des nationalen Befreiungs­kampfes zu eröffnen.

Christian Sterzing ist Publizist, Ju-rist und Sozialpäd-agoge, war Bun-destagsabgeord-neter (1994-2002) und Leiter des Büros der Hein-rich-Böll-Stiftung in Ramallah (2004

bis 2009). Zuletzt veröffentlichte er als Herausgeber zusammen mit der Heinrich Böll-Stiftung: „Palästina und die Palästinenser. 60 Jahre nach der Nakba“, Berlin 2011, 376 S.

Weite Teile der palästinensischen Befreiungsbewegung haben es aus falsch verstandener Solidarität ver­säumt, zwischen legalem Widerstand und illegitimer Gewalt zu unterschei­den. Damit haben sie politische Sym­pathien eingebüßt. Wegen der Do­minanz der Gewalt sah nicht nur die israelische Regierung die Gewalt der Palästinenser als das zentrale Prob­lem des Nahen Ostens und nicht als Folge der andauernden völkerrechts­widrigen Besatzung und der Verwei­gerung des palästinensischen Selbst­bestimmungsrechts an. Doch es hat immer auch die nicht­militärischen Formen des Pro­testes und des Widerstandes gege­ben. Über Jahre hinweg haben ver­schiedene Nichtregierungsorganisa­tionen darauf hingearbeitet. Das hat Früchte getragen. Die Zusammenar­beit zwischen Aktionsgruppen hat zugenommen, die Aktionen sind bes­ser organisiert und koordiniert, Akti­vistinnen und Aktivisten werden auf geplante Aktionen vorbereitet, eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit sorgt für mediale Beachtung. Zum Instrumentarium gehört auch die Boykott­Kampagne BDS. Am wich­tigsten aber: In der palästinensischen Gesellschaft wird vermehrt über die Strategie des zivilen Widerstandes diskutiert: als Alternative oder Er­gänzung zum bewaffneten Kampf oder zur Strategie der Verhand­lung und der Internationalisierung.

Welche Attraktivität dieser Volks­widerstand ausstrahlt, mag man an den vielfältigen Versuchen politischer Akteure wie der Fatah ablesen, sich an die Spitze der Bewegung zu set­zen. Auf diese Weise lässt sich zum einen die eigene friedenspolitische Ratlosigkeit und Strategieunfähigkeit verbergen, zum anderen könnten sich Bil’in – Soldaten verhindern das Pflanzen eines Olivenbaums Foto: Johannes Zang

von Johannes Zang

B il’in, besetztes Palästinensisches Westjordanland, im Jahre 2005.

Kerstin Sodergren, eine Israelin mit schwedischen Wurzeln, nennt die freitägliche Demonstration ohne Um­schweife ein „Versuchslabor für neue Waffen.“. Konkret: Waffen namens Schwamm und Bohnensäckchen ru­fen ihrer Erfahrung nach Hautablö­sungen hervor. Gelegentlich setze die israelische Armee zudem hohe Lärm­frequenzen ein, um Demonstranten zu vertreiben.

Gleich nach dem muslimischen Freitagsgebet zieht sie mit etwa 150 Demonstranten aus dem Dörfchen hinaus, begleitet von einem halben Dutzend Journalisten. Als wir um die Kurve am Ortsausgang biegen, sehen wir auf dem gegenüberliegenden Hü­gel die israelische Armee. Plötzlich knallt es, und augenblicklich ringe ich um Luft.

Was ist das? Tränengas! Das hatte ich schon am Rahelsgrab in Beth­lehem kennengelernt, aber dieses hier scheint aggressiver zu sein. Ich keuche. Meine Lungen scheinen zu brennen. Ich gehe, tief aus­ und ein­atmend, ein paar Schritte in Richtung Dorf zurück. Ein japanischer Korre­spondent wischt sich die tränenden Augen trocken. Andere halten eine Zwiebel oder Zitrone vors Gesicht. Allmählich setzt sich der Pulk doch wieder in Bewegung.

Wir erreichen die Soldaten, ohne weitere Tränen zu vergießen. Zwei Stunden lang demonstriert die Menge, ruft Parolen, verliest eine Erklärung, einige diskutieren friedlich mit

Soldaten. Diese schreiten erst ein, als einige Palästinenser einen Oliven­baum pflanzen wollen. Irgendwann wird plötzlich wieder mit Tränengas geschossen. Angeblich hat jemand einen Stein in Richtung Soldaten ge­worfen.

üblich wie die Ausweisung auslän­discher Friedensaktivisten. Seit 2010 erklären israelische Befehlshaber Ge­biete, in denen Demonstrationen ab­gehalten werden, zu militärischen Sperrgebieten. Hier darf sich nie­mand aufhalten. Außerdem wurde

von gummiummantelten Kugeln und Tränengasgranaten.

Gezielte VerletzungAm 19. Juli traf es Sarit Michaeli in Nabi Saleh. Der Sprecherin von B’Tselem wurde eine gummiumman­telte Kugel in den Oberschenkel ge­schossen, als sie eine freitägliche De­monstration filmte. Aus fünfzehn bis zwanzig Metern, so schätzt sie, schoss ein Grenzpolizist auf sie. Der gesetzliche Mindestabstand beträgt fünfzig Meter.

Michaeli erklärt, dass einige Kin­der Steine in Richtung der Sicher­heitsstreitkräfte geworfen hatten, je­doch nicht aus ihrer unmittelbaren Umgebung. „Um auf mich zu schie­ßen, musste der Grenzpolizist seine Waffe bewusst in meine Richtung oder die eines Sanitäters und zweier palästinensischer Demonstrantinnen in meiner Nähe richten“, schrieb Mi­chaeli in einer Erklärung.

In punkto Waffenanwendung ist ihre Menschenrechtsorganisation längst zu der Überzeugung gelangt: Israelische Sicherheitskräfte wenden umfassende und großflächi ge Maß­nahmen an, um Menschenmassen kontrollieren zu können. Auch bei Demonstrationen auf bewohntem Gebiet, dessen Grenzen nicht über­schritten werden dürfen. B’Tselem sind Fälle bekannt, in denen die Si­cherheitskräfte im Umgang mit De­monstrationen „verstärkt tödliche Waffen einsetzten, statt Mittel zur Kontrolle von Menschenaufläufen.“

Trotz der „Strangulierung des Dor­fes” halten die Freunde von Freiheit und Gerechtigkeit Bil’in an ihrer

gewaltlosen Gesinnung fest: „Zu­sammen können wir Grenzen ab­bauen und Barrieren überqueren. Zusammen können wir Brücken des Vertrauens bauen und Gerechtigkeit erreichen. Durch unsere Freunde können wir eine verheißungsvolle Zukunft erkennen, eine Zukunft, in der alle in Frieden, Sicherheit und Würde leben, eine Zukunft ohne Rassismus, in der alle das Recht auf ein volles und freies Leben haben.“

Infos: www.btselem.org

Aktivistin Kerstin Sodergren bei der Demonstration in Bil’in Fotos: Johannes Zang

„Wir sind nicht Euer Feind“: Plakat einer palästinensischen Demonstrantin in Bil’in

„Der neue Widerstand gegen die (zu) alte Besatzung – Eine aktuelle Analyse aus den besetzten Gebieten“: Vortrag von Dr. Helga Baumgarten, Politikpro-fessorin in Ramallah, und Fadi Quran, palästinensischer Aktivist der Men-schenrechtsorganisation Alhaq im Juli 2013 in Berlin: www.youtube.com/watch?v=kVCHCQ2IePA

Demonstrierende rennen zurück. Auch ich mache mich buchstäblich aus dem Staub. Hinter einem Oli­venbaum suche ich Schutz. Immer wieder wird in unsere Richtung ge­schossen, auch mit Gummigeschos­sen. Dieser Name ist irreführend: Nur außen ist Gummi, innen besteht das Geschoss aus einem Metallkern. Die Demonstration endet leider, wie sie begonnen hat: gewaltsam. Dazwi­schen lagen immerhin hundert Minu­ten friedlichen Protestes.

Immer dasselbeSeit diesen Ereignissen sind acht Jahre vergangen. Nun sind Verhaf­tungen der Organisatoren ebenso

der Befehl Nr. 101 von 1967 bezüg­lich des Verbots der Aufwiegelung und feindseliger Propagandaaktio-nen wiederbelebt. Er schränkt das Recht von Palästinensern, Demonst­rationen zu organisieren oder an ih­nen teilzunehmen, stark ein.

Bis heute hat das 1800­See­len­Dorf Bil’in fast sechzig Prozent seines Landes verloren – aufgrund israelischen Siedlungsbaus und Isra­els „Apartheidmauer“. Bei Protes­ten gegen deren Verlauf auf paläs­tinensischem Boden sind bis heute in Bil’in, Nil’in, Nabi Saleh und an­deren Orten fünfzehn Palästinen­ser von isra elischen Sicherheitskräf­ten getötet worden, darunter je zwei

PalästinaIsraelZeitung2 Nr. 4 / Dezember 2013

Page 3: Palästina IsraelZeitung · bis 2009). Zuletzt veröffentlichte er als Herausgeber zusammen mit der Heinrich Böll-Stiftung: „Palästina und die Palästinenser. 60 Jahre nach der

INTERVIEW

Zur PersonNorman Paech, Jahrgang 1938, ist emeritierter Professor für öffentliches Recht an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik und Experte für Völker-recht. Er war Abgeordneter und von 2005 bis 2009 außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Gegen Krieg und für die Einhaltung der Men-schenrechte weltweit hat er sich sein Leben lang engagiert. Im Mai 2010 war er auf einem der Schiffe der Gaza Flotille, die die Blockade des Landstreifens durch das israelische Militär mit Hilfslieferungen überwinden wollte.

Er wurde Zeuge des brutalen Überfalls der israelischen Marine auf die Schiffe, bei der mit völlig unnötiger Gewalt auf der Mavi Marmara neun Passagiere getötet und vierzig verletzt wurden. Sein völkerrechtliches Gutachten darüber findet sich in dem

„Bericht der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen über den israeli-schen Angriff auf die Gaza-Hilfsflotille“, Melzer Verlag, Neu Isenburg 2011, heute Zambon Verlag, Franfurt am Main. Paech schreibt mit spitzer und engagierter Feder Reden und Artikel, gerade auch zum Thema Nahost. ck

www.norman-paech.de.

Gewalt gegen das Völkerrecht Professor Norman Paech beantwortet Fragen zu Israel und Palästina

Herr Professor Paech, Sie haben sich intensisv mit Palästina und Israel befaßt. Dort erleben wir viel Gewalt von allen Seiten. Wie paßt das mit dem Gewaltverbot der Vereinten Nationen zusammen?Das ist ja nicht nur in Israel so. Wir erleben derzeit eine Welt, die schwer durch militärische Gewalt in Afrika, aber auch in Asien gezeichnet ist. In Israel ist dies allerdings seit der Er­oberung des Westjordanlandes 1967 Alltag geworden. Die andauernde Besatzung palästinensischen Terri­toriums ist permanente Gewalt. Sie verstößt gegen alle Grundsätze der UNO­Charta, wie Interventionsver­bot und Gewaltverbot.

Nun gibt es gewisse Ausnahmen vom Gewaltverbot. Ist die Gewalt auf israelischer Seite durch eine die-ser Ausnahmen gedeckt?Die israelische Regierung beruft sich in der Tat auf das Selbstverteidigungs­recht. Sie sagt, weil sie immer wieder angegriffen werde vom palästinensi­schen Territorium aus, sei sie berech­tigt, Gewalt gegenüber den Palästi­nensern anzuwenden. Es gibt viele Gewaltformen von der täglichen Ge­walt an den zahlreichen Kontrollstel­len bis hin zu gezielten Tötungen und Überfällen durch Siedler. Dieses alles ist durch ein Selbstverteidigungsrecht nicht gedeckt, weil der Grundtatbe­stand die völkerrechtswidrige Besat­zung ist. Wer sich völkerrechtswidrig in einem Gebiet festgesetzt hat, kann sich nicht auf Selbstverteidigung be­rufen, wenn derjenige, der besetzt worden ist, sich wehrt.

Von Israel werden gelegentlich auch Angriffskriege geführt. Könnte man die noch als Selbstverteidigung be-zeichnen?Das ist auch hier die Begründung der Israelis. Sie sagen, sie müßten los­schlagen, weil es für sie unerträglich sei, wenn sie immer wieder mit Ra­keten beschossen werden. Dieses ist juristisch genauso unsinnig, denn der Grundtatbestand ist die völkerrechts­widrige Besatzung, und zwar nicht nur des Westjordanlandes, sondern auch Gazas. Gaza ist zwar von is­raelischen Truppen befreit, wird aber wegen der absoluten Abschnürung

des Territoriums international immer noch als besetzt angesehen.

Wie steht es mit Kriegsdrohungen, zum Beispiel gegenüber dem Iran?Nach Art. 2 Ziffer 4 UNCharta ist nicht nur die Anwendung, sondern schon die Androhung von Gewalt völkerrechtswidrig. Die Beziehun­gen zwischen den Staaten müssen so geordnet sein, dass kein Staat ange­griffen wird noch unter der Drohung steht, angegriffen zu werden. Israel verstößt dagegen fast täglich

Ist die Gewalt von palästinensicher Seite durch die Ausnahmen vom Ge-waltverbot gedeckt?Die Ausnahmen sind ja nur dann ge­geben, wenn man sich selbst vertei­digt (Art. 51 UNCharta) oder wenn man ein Mandat des UNO­Sicher­heitsrats hat (Art. 42 UNCharta). Letzteres ist nicht der Fall, aber hier ist die Frage der Selbstverteidi­gung durchaus relevant. Denn wer rechtswidrig besetzt wird, gegen wen rechtswidrig Gewalt ausgeübt wird, der ist in der Tat zum Widerstand be­fugt. Das ist eine ähnliche Situation, wie wir sie während der Dekolonisie­rung durch die Befreiungsbewegun­gen in Afrika gehabt haben. Auch die Palästinenser sind befugt, Ge­walt auszuüben in einem legalen Wi­derstandsrecht gegen rechtswidrige

Besatzung. Allerdings darf sie sich nicht gegen zivile Einrichtungen und Personen Israels richten. Der Be­schuß israelischen Territoriums mit Raketen ist insofern völkerrechts­widrig, als er nicht auf militärische Einrichtungen begrenzt wird.

Sind die Pastinenser ein Völker-rechtssubjekt?Ja, sie haben eine begrenzte Völker­rechtssubjektivität, weil sie nicht nur über Territorium und Bevölkerung verfügen, sondern auch durch die PLO, durch Mahmoud Abbas und seine Regierung international vertre­ten werden. Die PLO ist bereits 1974 ähnlich wie die Befreiungsbewegun­gen in Afrika als legitime Vertrete­rin des palästinensischen Volkes an­erkannt worden. Insofern hat die PLO auch eine Völkerrechtssubjek­tivität erreicht, die sie handlungsfä­hig macht. Das Problem ist nur die internationale Anerkennung, die bisher noch nicht den Grad erreicht hat, wie bei den übrigen Staaten. Die volle Anerkennung als Staat wird Pa­lästina immer noch vorenthalten.

Ist der berechtigtete Widerstand der Palästinenser gegen die Besatzung gleichzusetzen mit Widerstandbe-wegungen in der Vergangenheit? Er-gäbe sich daraus eine völkerrechtli-che Wirkung?Die völkerrechtliche Wirkung zeigt sich heute darin, dass das Wi ­

wie die staatliche Organisation der dort lebenden Bevölkerung einge­richtet wird. 1947 votierte die UNO für ein Zwei­Staaten­Modell. Das hat Israel dadurch abgelehnt, dass es weitere Landesteile gegen den Wider­stand der arabischen Staaten erobert hat. Dieses ist von der UNO niemals anerkannt worden. Die biblischen oder mythologischen Ansprüche auf ganz Palästina sind völkerrechtlich völlig irrelevant.

Hat eine Besatzungsmacht be-stimmte völkerrechtliche Verpflich-tungen gegenüber den Besetzten?Ja, das ist unbestritten seit den Haa­ger Konventionen von 1907, aber auch den Genfer Konventionen von 1949. Eine Besatzungsmacht hat ganz eindeutige Pflichten gegenüber den Besetzten. Eine Besatzung darf völkerrechtlich immer nur auf be­grenzte Zeit bestehen. Deshalb muß die Besatzungsmacht dafür sorgen, dass das betreffende Territorium und seine Bevölkerung in die Unabhän­gigkeit entlassen werden. Zu diesen Pflichten gehört insbesondere, dass man die Basisbedürfnisse der Bevöl­kerung voll erfüllt, was Israel derzeit nicht tut. Es darf auch keine Ver­schiebung der Bevölkerung geben, indem eingesessene Bevölkerung ver­trieben wird oder Bevölkerungsteile der Besatzungsmacht im besetzten Gebiet angesiedelt werden. Das ist verboten.

Kann man die Vorgänge im Westjor-danland als Kolonialismus bezeich-nen?Das ist zweifelsohne eine korrekte Bezeichnung. Dies ist die Kolonisie­rung eines fremden Landes, welches nicht zu Israel gehört und das be­siedelt wird, weil man es auf Dauer behalten will. Die israelische Politik strebt erkennbar die vollständige In­tegration und Annektion dieses Ge­bietes mit Hilfe permanenter Besied­lung an. Das ist völkerrechtswidrig.

Es liegt noch nicht lange zurück, da war alle Welt gegen Kolonien. Die Dekolonisierung wurde gefördert und angeblich abgeschlossen. Müßte man nicht jetzt den Blick nach Pa-lästina richten?Es gibt ja immer noch einen Dekolo­nisierungsausschuss in der UNO, der sich aber nur noch mit wenigen Ter­ritorien beschäftigt. Palästina spielt dort so gut wie keine Rolle, müßte es allerdings, denn hier liegt eine wider­rechtliche Besatzung vor wie bei je­der Kolonisierung. Das ist durchaus vergleichbar mit dem früheren Sied­lerkolonialismus in Afrika, der kein Recht auf ewige Existenz im jeweili­gen Gebiet hat. Dieses bedeutet nicht, das Existenzrecht Israels, wohl aber das Recht auf Besetzung Palästinas zu bestreiten.

Das Interview führte Karl-Otto Körber.

Prof. Norman Paech

Israelischer Friedensplan Zeichnung: Carlos Latuff

Das Gewaltverbot gilt in erster Li-nie zwischen Staaten. Ist Israel ein Staat? Es gibt drei Voraussetzungen für ei­nen Staat: ein Territorium, eine Be­völkerung und eine national wie international souverän handlungs­fähige Regierung. Diese Kriterien werden von Israel erfüllt. Es ist al­lerdings ein nicht nur politisches, sondern auch juristisches Problem, dass sich Israel immer noch weigert, seine 1948 von der UNO festgeleg­ten Grenzen anzuerkennen, die nicht die jetzt besetzten Gebiete umfassen.Ein Staat ohne definierte Grenzen mit expansiven Gebietsansprüchen ist immer ein Problem.

Ist Palästina ein Staat?Eine schwierige Frage. Palästina hat sich als Staat konstituieren wollen. Es hat eine Bevölkerung, es hat ein Territori1um, aber noch keine Regie­rungsorganisation, die in der Lage ist, nach innen und nach außen vollkom­men souverän zu handeln. Man kann das aber auch anders sehen: Mit der Ausrufung eines palästinensischen Staates, die schon 1988 erfolgte, ist dieser Staat konstituiert. Dazu bedarf es nicht der Zustimmung der UNO oder Israels. Politisch ist das zur Zeit allerdings in der Schwebe. Die UNO zögert unter dem Druck der USA und Israels, Palästina anzuerkennen. Es wird wohl noch eine Zeitlang dau­ern, ehe man von einem palästinen­sischen Staat in gefestigten Grenzen sprechen kann.

der standsrecht der Palästinenser ge­gen die Besatzung legitim ist, dass auch ihr Anspruch, einen eigenen Staat zu haben, legitim ist. Die poli­tische Frage stellt sich nur, ob das ein separater Staat sein soll oder ob sich Israel in einer Ein­Staat­Lösung mit den Palästinensern in einem gemein­samen Staat vereinigt. Der Anspruch der Palästinenser, von der Besatzung befreit zu werden, ist aber vorrangig und völkerrechtlich wie politisch völ­lig eindeutig.

Manche Israelis behaupten, es han-dele sich nicht um eine Besatzung, sondern um die Rückkehr in ein an-gestammtes Gebiet.Die Inbesitznahme des Westjordan­landes wird zwar mit biblischen An­sprüchen mythologischer Herkunft begründet, die aber im Völkerrecht überhaupt keine Bedeutung haben. Völkerrechtlich geht es nur darum,

Die Mavi Marmara 2010

PalästinaIsraelZeitung Nr. 4 / Dezember 2013 3

UNO-Charta Artikel 24. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede ge-gen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unverein-bare Androhung oder Anwendung von Gewalt.

IV. Genfer Konvention von 1949, Artikel 49(1) Einzel- oder Massenverschickungen sowie Verschleppungen von geschütz-

ten Personen aus besetztem Gebiet nach dem Gebiet der Besatzungsmacht oder dem irgendeines anderen besetz-ten oder unbesetzten Staates sind ohne Rücksicht auf deren Beweggrund unter-sagt. [relevant wegen tausender palästinen-sischer Gefangener in israelischen Ge-fängnissen – die Redaktion]

(5) Die Besatzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet verschleppen oder verschicken.

Foto: Kevin Neish

Page 4: Palästina IsraelZeitung · bis 2009). Zuletzt veröffentlichte er als Herausgeber zusammen mit der Heinrich Böll-Stiftung: „Palästina und die Palästinenser. 60 Jahre nach der

ENGAGEMENT

IMPRESSUMHerausgeber: Arbeitsgemeinschaft Völ-kerrecht und Menschenrechte in Paläs-tina und Israel e. V. :Redaktion: Dr. Karl-Otto Körber – kö, Christian Kercher – ck (viSdP), Peter Bingel – bgBestellung: Christian Kercher, Christstr. 42, 14059 Berlin, [email protected]: redaktion@palaestina- israel-zeitung.deDie einzelnen Artikel geben nicht not-wendigerweise die Meinung der Redak-tion wieder. Im Fall von offenen Copy-rightfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktion.Druck: Henke Pressedruck, BerlinAuflage: 4500Gefördert durch Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst

Die VerweigerinVom Militärdienst in Israel

Von Eva Baumgärtner

Für die jüdische Israelin Noam Gur ist es eine Autofahrt, die ihr Ge­schichtsbild bröckeln lässt. Vom nor­disraelischen Nahariya, ihrer Hei­matstadt, fährt sie mit ihrem Vater nach Haifa, zu Verwandten. So sitzt sie neben ihm und sieht ihr Land am Autofenster vorbeiziehen. Auf dem Weg nach Haifa tauchen die Ruinen des Dorfes al­Sumayriyya auf. So oft hat sie die schon gesehen, doch an jenem Tag nehmen ihre Augen sie wirklich wahr.

Damals ist Noam 16 Jahre alt. Niemand lebt mehr in dem Dorf, seit 1948 die Bewohner, Palästinenser, vertrieben wurden. „Ich habe nur die halbe Geschichte gelernt“, sagt die heute Zwanzigjährige. Ich treffe die junge Frau mit den kurzen schwar­zen Haaren und den wachen Augen in einem Cafe in Westjerusalem. Sie erzählt mir von ihrer Suche nach Antworten. Sie wollte damals wissen, was man ihr verschweigt – die El­tern, die Lehrer. In Diskussionsforen im Internet findet Noam schließlich Gleichgesinnte, die von einer Beset­zung des Westjordanlandes sprechen.

„Warum sollte ich da mitmachen wollen?“An einem Freitag schwänzt sie die Schule und nimmt an einer Demons­tration gegen die Besetzung in Bil’in teil, nicht weit von Ramallah. Ihren

Eltern verrät sie nichts davon. Die Demonstration verläuft anders, als Noam sich das vorgestellt hat. Sol­daten der israelischen Armee rücken an, die Luft füllt sich mit Tränengas, das Atmen fällt plötzlich schwer.

Es ist die Zeit, in der für Noam die Entscheidung ansteht, in welcher Einheit sie nach der Schule dienen wird. Noam ist in der elften Klasse,

als die Soldaten fast jede Woche in die Schule kommen, um für ihre Ein­heit zu werben. Das Band zwischen Schule und Militär wird eng ge­knüpft in Israel. Das Anrücken der Armee während der Demonstration in Bil’in macht Noam klar: „Ich will nicht zum Militär. Warum sollte ich da mitmachen wollen?“.

Ihre Gründe hält sie schriftlich fest: Sie ist gegen die Besetzung, gegen die Waffen, gegen das Tränengas. Knapp drei Wochen muss sie dafür ins Mi­litärgefängnis Nummer Sechs in At­lit, in der Nähe von Haifa. Das war im Jahr 2012. Juristisch beraten und unterstützt wurde Noam in dieser Zeit von New Profile. Als israelische Nichtregierungsorganisation betreut New Profile Wehrdienstverweigerer, gibt Hilfestellung bei Verhaftungen und prangert die Militarisierung der israelischen Gesellschaft an.

Die Lücke im Lebenslauf Seit der Staatsgründung ist das Mi­litär das Herzstück der israelischen Gesellschaft, welches das Überleben des kleinen Landes stets gesichert hat. Daher gehört der Wehrdienst zum Lebenslauf eines jeden Israeli. Wo die meisten den Namen ihrer Ein­heit eintragen, hat Noam nun eine Lücke. Die Familie tut sich anfangs schwer, die Entscheidung zu verste­hen. Noams Mutter hat den Militär­dienst abgeleistet, der Vater kämpfte im Libanon­Krieg von 1982, die

Schwester war während ihres Wehr­dienstes als Grenzpolizistin am Ga­zastreifen eingesetzt.

Die Mutter will nicht wissen, wo Noam gerade demonstriert, nur, ob alles gut verlaufen ist. Sie macht sich Sorgen um die Tochter. Es ist diese Selbstverständlichkeit, die den Mi­litärdienst in Israel auszeichnet und das Unverständnis, das jenen entge­genschlägt, die sich dagegenstellen. Noam gehört zu den jungen Men­schen, die den Dienst verweigern, als öffentlichen Appell gegen die israeli­sche Besatzungspolitik.

GefängnisstrafeDie Entscheidung, aus politischen Gründen zu verweigern, treffen eine Handvoll Israelis jedes Jahr. Die Konsequenz ist eine Gefängnisstrafe. Natan Blanc, ein Zwanzigjähriger aus Haifa, hat einen traurigen Re­kord aufgestellt: Für mehr als fünf Monate hat ihn seine Verweigerung ins Gefängnis nach Atlit gebracht. Im Juni dieses Jahres kam er schließ­lich frei.

Um den Dienst zu umgehen, wäh­len viele eine einfachere Alternative: Sie geben psychische Probleme an. So macht Noam es am Ende auch. Nach ihrer Zeit im Gefängnis wird sie von einem Militärpsychologen vom Wehrdienst freigestellt. Ihr Ziel, eine Öffentlichkeit zu schaffen, war erreicht. Selbst, wenn es in Israel nur eine kleine Minderheit ist, die davon

Notiz nimmt. Noam hätte auch einen anderen Weg einschlagen können: Den Schulabschluss machen, den Wehrdienst leisten, dann eine Auszeit nehmen, um zu reisen. Viele junge Is­raelis verbringen längere Zeit in In­dien oder Mexiko nach ihren Dienst­jahren, „um zu vergessen, was sie er­lebt haben“, sagt Noam. Stattdessen arbeitet die Zwanzigjährige jetzt für New Profile und steht anderen Wehr­dienstverweigerern zur Seite. Das ist eben Noams Weg.

Eva Baumgärtner studierte Politik-wissenschaft an der Freien Univer-sität in Berlin. Im Frühjahr 2013 nahm sie am Ökumenischen Be-gleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) teil. Drei Monate war sie als Menschenrechtsbeob-achterin in Jerusalem. Die ehemali-gen Teilnehmer dieses Programms des Weltkirchenrates in Genf be-richten nach ihrer Rückkehr über ihre Erfahrungen und können zu Vorträgen eingeladen werden. www.eappi-netzwerk.de

„Produkte aus israelischen Siedlungen? Nein, danke!“Christian Eikenberg von der Bonner BDS-Gruppe über den Aufruf zum Boykott israelischer Waren

Worauf bezieht sich BDS?Es steht für Boykott, Desinvestition, Sanktionen. Palästinensische Orga­nisationen rufen seit 2005 dazu auf, sie auf diesem Weg des gewaltfreien Widerstandes zur Durchsetzung ih­rer Grundrechte zu unterstützen. Die Erfahrung legt nah: Israels Regierung reagiert nur auf Druck.

Was tun Sie konkret?Wir sammeln Unterschriften für un­seren Aufruf an Geschäfte und Kunden, auf den Ver­trieb und Kauf von Pro­dukten aus israelischen Siedlungen in den besetz­ten Gebieten zu verzichten, wie zum Beispiel auf Kos­metika von AHAVA, Was­sersprudler von Soda­Club, Obst und Gemüse der Exportfirmen Agrexco und Mehadrin. Wir ma­chen regelmäßig einen Infostand im Stadtzentrum und bitten um Unter­schriften. Unser Ziel ist eine fünf­stellige Zahl, die auch im Bundes­tag nicht überhört werden kann.

Wie reagieren denn die Passanten?Insgesamt positiv: „Endlich tut mal wer was“, hören wir oft.

Geht es nur um Produkte aus den völkerrechtswidrigen Siedlungen?Teilweise läßt sich die Herkunft der Produkte auf unserer Boykottliste nicht genau ermitteln. Die israeli­schen Firmen verschleiern sie syste­matisch. Der Boykottaufruf gilt für alle mit „Made in Israel“ gekenn­zeichneten Produkte, die auch in den Siedlungen hergestellt sein könnten. Die Beweislast dafür, dass solche Produkte nicht aus den Siedlungen kommen, liegt bei Israel.

Ist nicht ganz Israel für die Sied-lungspolitik verantwortlich, nicht nur die Siedler?Sicherlich, aber in Deutschland müs­sen wir Rücksicht auf die Lasten der Erinnerung an das Dritte Reich neh­men. Es wäre taktisch unklug, den Boykott auszudehnen. Das würde die Antisemitismuskeule nur beflü­geln.

Argumentativ haben wir Schützen­hilfe aus Brüssel: Die EU­Leitlinien

bei der Beantragung von Fördergeldern verlangen von Israel ab 2014 die Zu­sage, dass sie nicht außer­halb des israelischen Kern­landes verwendet werden, also nicht in den völker­rechtswidrigen Siedlungen. Und was für öffentliche

Gelder gilt, sollte das nicht erst recht für den noch gewichtigeren Handel gelten?

Kritiker werfen Ihnen vor, Ihr En-gagement verbiete sich angesichts der Nazi-Propaganda der 1930er Jahre: „Kauft nicht bei Juden“?Was haben eigentlich die beiden Dinge miteinander zu tun? Es gibt einen Unterschied zwischen der BDS­ Kampagne zur Isolierung des Staates Israel wegen seiner ständigen Men­schenrechtsverletzungen und wegen seines fortgesetzten Landraubs einer­seits und der Ausgrenzung der Juden in der Nazizeit bis hin zum Völker­mord andererseits.

Welche Prominenten unterstützen die internationale BDS-Bewegung?Die amerikanische Philosophin Ju­dith Butler, der Regisseur Ken Loach, Desmond Tutu aus Südafrika. Stevie Wonder hat Konzerte abgesagt. Der britische Physiker Stephen Hawking hat sich in diesem Jahr geweigert, Vorträge in Israel zu halten.

Gibt es Erfolge?Gerade hat Vitens, eine niederländi­sche Wasserfirma, die Zusammenar­beit mit Israel deswegen abgelehnt,

besetztes Gebiet führt. Israelische Politiker zeigen sich nervös beim Thema Boykott. Es geht vor allem um die internationale Isolierung wie damals bei der Apartheid in Südaf­rika. Die Fragen stellte Christian Kercher

Zur Unterschriftenaktion: www.bds-kampagne.de

weil es einen großen Teil seines Was­sers aus Quellen in den Palästinen­sergebieten bezieht. Eine Tochter­firma der Deutschen Bahn hat sich nach Protesten über ihre Beteiligung am Bau der Bahnlinie Tel Aviv – Je­rusalem zurückgezogen, die durch Sit-in auf dem Bonner Münsterplatz Fotos: privat

Protest vor dem Bonner Kaufhof

PalästinaIsraelZeitung4 Nr. 4 / Dezember 2013

„Kauft bei Juden, aber keine Pro­

dukte aus Israel!“

Iris Hefets, Jüdische Stimme für einen ge-

rechten Frieden

Noam Gur in Bil‘in vor Mauer und Siedlung

Foto: Moheeb Barghouti

Page 5: Palästina IsraelZeitung · bis 2009). Zuletzt veröffentlichte er als Herausgeber zusammen mit der Heinrich Böll-Stiftung: „Palästina und die Palästinenser. 60 Jahre nach der

DOKUMENTATION

Gaza versinkt in Abfall und AbwasserAus dem Wochenbericht der Vereinten Nationen zum Schutz von Zivilisten vom 19. bis 25. November 2013

G aza ist in Energienot. Es fehlt an Sprit, an Strom, an Gas. Der

Bericht des United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UNOCHA) für die Woche vom 19. bis zum 25. November 2013 macht deutlich, welches Ausmaß die Krise angenommen hat. Am 1. No­vember musste das einzige Kraftwerk seinen Betrieb fast vollständig ein­stellen. Es brauchte täglich 650.000 Liter Diesel für den vollen Betrieb.

Seitdem reicht die Energieversor­gung für die 1,7 Millionen Palästi­nenser nur noch für maximal acht Stunden am Tag. Bisher galt der Nachbar Ägypten als Aushilfsliefe­rant. Dreißig Prozent des Bedarfs hat Ägypten mit seinen Brennstoff­lieferungen gedeckt. Erreichten Gaza bis Juni 2013 noch eine Million Liter Diesel täglich, so kamen im Novem­ber nur noch geschätzte 20.000 Liter pro Woche an – und das unterirdisch.

Seit Israel den Landstreifen an der Mittelmeerküste nun schon sechs Jahre lang von allen Seiten blockiert, hat ein Tunnelsystem die Beschaffung von Waren ermöglicht. Ob Nah­rungsmittel, Kleidung, Waffen, Ben­zin oder Gas – die Tunnel im Süden Gazas sind das wirtschaftliche Herz der palästinensischen Enklave. Meh­rere hundert unterirdische Gänge sollen die beiden Nachbarn verbun­den haben. Doch kam die Tunnel­wirtschaft in den letzten Monaten zum Erliegen. Nur wenige Gänge

subventionierte Energie aus Ägypten die Haushaltskasse aufgebessert.

Denn die Tunnel versorgen nicht nur die Bevölkerung, sie sind auch die wirtschaftliche Lebensader der Regierung. Für jeden unterirdischen Gang verkauft die Hamas eine eigene

Lizenz an private Tunnelbetreiber. Dazu kassiert sie Zollgebühren für alle Waren, die in Gaza eintreffen, so auch für die Diesellieferungen. Je günstiger die Energie, umso höher der finanzielle Gewinn für die Ha­mas.

Ohne Strom für die Pumpen überfluten die Straßen in Gaza, wie hier am 5.Dezember 2013

2012 in Ägypten für Gaza lagern sol­len. Der Lieferstopp macht den abge­riegelten Gazastreifen nahezu hand­lungsunfähig – mit lebensbedrohli­chen Folgen.

Fällt der Strom aus, trifft das die Krankenhäuser besonders hart. Dia­lyse­Maschinen und Beatmungsge­räte stehen still. Die Generatoren, die für die Stromausfälle in Gaza in je­dem Haushalt wie auch in den Kran­

kenhäusern stehen, bleiben stumm. Seit Juni kommen keine neuen Medikamen­tenlieferungen in Gaza an. Mit einer Ausnahme: Im No­vember gaben die ägyptischen Behör­den ihre Erlaub­nis, hundert Ton­nen medizinischer Hilfsgüter ins Land zu transportieren. Eine ausreichende medizinische Ver­sorgung ist damit lange nicht sicher­gestellt.

Sichtbar ist die Strom­ und Benzin­krise auch in den Straßen von Gaza. Der Landstrich ist übersäht mit Müll­bergen. Laut dem UNOCHA­Report kommen täglich rund achthundert Tonnen dazu. Die Müllabfuhr musste ihre Arbeit mangels Treibstoff auf das Nötigste reduzieren. In man­chen Gegenden dienen nun Esel als Transportmittel, um die Abfälle weg­zukarren. Überlaufende Kläranlagen, deren Pumpsystem ohne Strom nicht funktioniert, setzen zudem ganze Straßenzüge unter Wasser.

Streit um Geld Im Konflikt mit Ägypten soll auch der Streit um Geld eine bedeutende Rolle spielen. Bisher hat Kairo seinen Nachbarn mit verbilligtem Treibstoff versorgt. Das soll sich nun ändern. Zu internationalen Marktpreisen will Ägypten in Zukunft liefern. Eine Erhöhung des Preises will die Hamas nicht hinnehmen, schließlich hat die

Foto: AFP auf alhayat.com

Ein- und Ausfuhr von Waren (Kerem-Shalom-Übergang)

Ein- und Ausreisen am Rafah-Übergang

Importe (in Tonnen) Exporte

1.13519.-25. November 2013Wochen-

durchschnitt 2013 1.277

2.807

2

Jan-Mai 2007 (vor der Blockade)

19.-25. November 2013Wochen-

durchschnitt 2013 5

240Jan-Mai 2007

(vor der Blockade)

19.-25. November2013 Ausreisen

Einreisen

Wochendurchschnitt

Januar-Juni 2013 Ausreisen

Einreisen

318

363

4.2964.242

I S R A E L

Ä g y p t e n

Erez

Karni

Rafah

Kerem Shalom

Nahal Oz

Sufa

Khan Yunis

Jabalia

Gaza City

Beit Hanoun

Al Bureij

Deir al Balah

Beit Lahiya

0 4 82Km

United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs

Gazastreifen: Zugang und Sperrzonen

Mitt

elmeer

6-Meilen-Zone

Wohngebiete

Maritime Sperrzone

Gebiet mit hohem Risiko

Sperrzone der isr. Armee (0,5 km)

Geschlossener Grenzübergang

GrenzübergangWaffenstillstandslinie (Grüne Linie)

Von der israelischen Armee getötete Palästinenser im Gazastreifen

Von der israelischen Armee verwundete Palästinenser im Gazastreifen

diese Woche: 0In 2013 (bis jetzt): 9

Gleicher Zeitraum 2012: 253

2

1.82960 2012, gesamt2013, gesamt

2012

diese WocheWochen-

durchschnitt 1

34

sind übrig geblieben, seit das ägyp­tische Militär die Tunnel flutete oder die Eingänge mit Erde verschloss.

Der Grund dafür: die Sicherheit. Militante Palästinenser aus Gaza seien durch die Schächte auf die ägyptische Seite gelangt. Auf dem Si­nai hätten sie die andauernden Un­ruhen befeuert. Bereits unter Präsi­dent Mohammed Mursi begann die Grenzpolizei mit der Zerstörung der Tunnel. Seit seiner Amtsenthebung geht das ägyptische Militär noch ri­goroser gegen die unterirdischen Ver­bindungen vor. Damit versiegt Gazas wichtigste Quelle zur Energie und zur Außenwelt.

Folgen für die GesundheitAuch befreundete Staaten wie bei­ spielsweise Katar nutzen die Schäch­ te, um Gaza mit Brennstoff zu ver ­ sorgen. Aus dem UNOCHA­Bericht geht hervor, dass zwanzig Millio­nen Liter Diesel aus dem Emirat seit

Ein- und Ausfuhr von Waren (Kerem-Shalom-Übergang)

Ein- und Ausreisen am Rafah-Übergang

Importe (in Tonnen) Exporte

1.13519.-25. November 2013Wochen-

durchschnitt 2013 1.277

2.807

2

Jan-Mai 2007 (vor der Blockade)

19.-25. November 2013Wochen-

durchschnitt 2013 5

240Jan-Mai 2007

(vor der Blockade)

19.-25. November2013 Ausreisen

Einreisen

Wochendurchschnitt

Januar-Juni 2013 Ausreisen

Einreisen

318

363

4.2964.242

Ohne Strom keine Arbeit Energie bekommt Gaza auch auf of­fiziellem Weg aus Israel. Die kostet rund doppelt so viel wie die ägypti­sche. Die Arbeitslosigkeit steigt, seit die kleinen Unternehmen nur noch unregelmäßig produzieren können. Von der Keksfabrik bis zur Nähstube stehen die Maschinen in Gaza die meiste Zeit still. Dabei spielt keine Rolle, wann der Strom fließt. Wenn er nachts plötzlich wiederkommt, dann wird nachts gearbeitet.

Seit die meisten Tunnel verschlos­sen sind, kommen auch keine Bau­materialien mehr ins Land. Weder über­ noch unterirdisch. Die Bau­stellen liegen brach. Gemäß dem UN­Report hält Israel die Grenzen dafür seit sieben Wochen ununter­brochen geschlossen. Auch für in­ternationale Bauvorhaben werden weder Zement noch Stahl ins Land gelassen. Die Lage in Gaza spitzt sich zu. Die Blockade von beiden Seiten, von israelischer und ägypti­scher, hungert den Landstrich immer weiter aus. Und solange in den Häu­sern Gazas nachts die Kerzen bren­nen, ist auch die Energiekrise nicht überwunden.

Eva Baumgärtner

Informationen: www.ochaopt.org

PalästinaIsraelZeitung Nr. 4 / Dezember 2013 5

Page 6: Palästina IsraelZeitung · bis 2009). Zuletzt veröffentlichte er als Herausgeber zusammen mit der Heinrich Böll-Stiftung: „Palästina und die Palästinenser. 60 Jahre nach der

BUCH UND FILM

Katalog des UnrechtsIsrael wird zunehmend als Kolonialstaat erkannt

G egen Ende des 19. Jahrhunderts wanderten die ersten vom po­

litischen Zionismus geprägten Ju­den in Palästina ein. Sie erwarben Land, um es selbst zu bewirtschaf­ten. Schon in dieser frühen Phase kam es zur Verdrängung eingesesse­ner palästinensischer Bauern. Heute erstreckt sich die zionistische Kolo­nisierung Palästinas bis zum Jordan. Sie umfaßt allein im Westjordanland fast eine halbe Million Siedler in etwa 150 Siedlungen und rund hun­dert Außenposten.

Im Windschatten der gefeierten Befreiung vor allem afrikanischer

Völker von ihren Ko­lonialher­ren gedieh neuer Ko­l o n i a l i s ­mus. Die­ser wurde bisher in D e u t s c h ­land nicht zur Kennt­

nis genommen. Deshalb wird das von der deutschen Arabistin Petra Wild vorgelegte Buch über den Sied­lerkolonialismus in Palästina drin­gend gebraucht. Die Autorin sieht im Kolonialismus den tieferen Grund für Apartheid und ethnische Säuberung.

Wild stützt sich auf die vorhandene ausländische Literatur, arbeitet wis­senschaftlich und überzeugt mit ih­ren Argumenten. Dazu gehören Ver­gleiche mit der europäischen Besied­lung Nordamerikas, Neuseelands und Australiens mit den bekannten grausamen Begleiterscheinungen und Folgen für die einheimische Bevölke­rung.

Vor diesem Hintergrund befaßt sich die Autorin im einzelnen mit verschiedenen Politikfeldern und weist überall das unheilvolle Wir­ken des Siedlerkolonialismus nach. Es zeigt sich besonders deutlich im Westjordanland, wo die einheimi­sche Bevölkerung unter Enteignung und Vertreibung leidet. Das von Ag­rarunternehmen intensiv landwirt­schaftllich genutzte Jordantal weist Wild als besonderen Fall ethnischer Säuberung aus.

Auch innerhalb des israelischen Staates sieht die Autorin den Koloni­alismus am Werk. Die Folgen reichen von der Diskriminierung des palästi­nensischen Bevölkerungsteils über den Rassismus jüdischer Israelis bis zur Vertreibung von Beduinen aus ih­ren angestammten Gebieten im Ne­gev. Apartheid, ethnischer Säuberung und agressiver Judaisierung des alten Jerusalems einschließlich umfangrei­cher Zerstörungen palästinensischer

Häuser seit den Eroberungen 1948 und 1967 sowie der Annektion 1980 ist ein besonderes Kapitel gewidmet. Der Katalog des Unrechts endet mit einem Blick auf die Blockade des Ga­zastreifens.

Das Buch ist gut lesbar geschrie­ben und in allen Einzelheiten belegt. Die Literaturliste umfaßt etwa acht­zig Bücher und Vorträge, ebenfalls achtzig Berichte und Studien von UNO­ und Nichtregierungsorgani­sationen, dazu zahlreiche Hinweise auf Beiträge in den Medien. Fünf vom Verlag beigegebene Landkarten sind leider älteren Datums, in den Anhang verbannt und nicht gut les­bar. Im Hinblick auf die Wahrneh­mungsblockade in Deutschland ist dem Buch eine weite Verbreitung zu wünschen.

Karl-Otto Körber

Petra Wild: Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionis-tische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat, 238 Seiten, br., Kar-ten, Promedia Druck- und Ver-lagsgesellschaft m.b.H., Wien 2013, 15,90 €

Petra Wild

Gaza – ganz fern?Gaza ist für die allermeisten ganz fern, weil unerreichbar. Selbst Jour­nalisten gelingt es nur unter Mühen, gelegentlich in den schmalen Ga­za­Streifen zu gelangen. Johannes Zang nimmt seit vielen Jahren diese Mühen auf sich und verfolgt so das Schicksal vieler Menschen in dem großen Gefängnis, das so klein wie Bremen ist, aber inzwischen von 1,7 Millionen Menschen bevölkert wird. Nicht mal bei dringend nötiger me­dizinischer Behandlung haben die meisten eine Chance, das Land, das keines ist, zu verlassen.

Zang berichtet aus eigenem Er­leben vor allem von den vergange­nen Jahren. Und er lässt Menschen zu Wort kommen, die dort gearbeitet haben oder leben. Allen voran Abed Schokry, der 2007 in seine Heimat zurückkehrte. Und so die israelischen Militäraktionen 2008/2009 und 2012 erlebte, die Machtübernahme der Hamas und das Versagen der Fatah. Im Fokus die Nöte der Men­schen, auch der wenigen Christen und Ausländer, die nach wie vor dort leben. Grundsätzliche Fakten der ge­schichtlichen Entwicklung kommen dabei nicht zu kurz.

Die Kernbotschaft: „Gaza ist der Inbegriff des Mangels.“ Mangel an Reisefreiheit, an Waren, an Wasser. Ein Leben unter Besatzern, die sich hinter einen Zaun zurückgezogen ha­ben und doch in vieler Hinsicht die Kontrolle behalten haben und jeder­zeit zuschlagen können. So kommt der harte palästinensische Alltag in Gaza dem Leser sehr nah.

Christoph Gocke

Johannes Zang: Gaza – Ganz nah, ganz fern ... Mit Augenzeugenbe-richten von Abed Schokry. AphorismA Verlag, Berlin 2013. 147 Seiten. € 15

Entfremdung Der Politologe Peter Beinart liefert mit diesem Buch differenzierte In­formationen über die Haltung in den USA lebender Juden: zum Judentum als Wertegemeinschaft und als reli­giöser Gemeinschaft, ihre Haltung zum Staat Israel, zu den einfluss­reichsten jüdischen Organisationen und zu den amerikanischen Parteien.

Indem er die Gewichtsverschie­bungen zwischen den wichtigsten Strömungen des amerikanischen Ju­dentums sowie den Wandel ihrer Bindungen gegenüber der Politik Is­raels nachzeichnet, macht der Ver­fasser deutlich, welche politischen Lösungen im Nahen Osten dadurch begünstigt oder tendenziell blockiert werden.

Illustriert wird dies anhand der Unterstützung der Nahost­Politik von Präsident Obama, insbesondere dessen Eintreten für eine Zwei­Staa­ten­Lösung.

Das Buch ist der eindringliche Ap­pell eines liberalen, demokratischen, sich in der zionistischen Tradition verstehenden amerikanischen Juden zur Besinnung auf die politischen Grundsätze, die zur Gründung Isra­els als des ersten jüdischen Staates formuliert worden waren. Mit die­sen ist seine Politik unvereinbar, die Millionen Palästinensern jegliche Bürgerrechte vorenthält. An der Hal­tung zu den Palästinensern entschei­det sich nach Ansicht des Verfassers nicht zuletzt die moralische Legitimi­tät der Politik des Staates Israel.

Eckart Strohmaier

Peter Bei-nart: Die amerikani-schen Juden und Israel. Was falsch läuft., Ver-lag C.H. Beck, Mün-chen 2013, 320 Seiten, 24,95 €

„5 Kaputte Kameras“ Oscarnominierung für Dokumentarfilm

D er im Februar diesen Jahres für einen Oscar nominierte und im

November mit einem Emmi ausge­zeichnete Film „5 Broken Cameras“ erzählt auf sehr persönliche Art die Geschichte des friedlichen Protests des Dorfes Bil’in im Westjordanland unweit von Ramallah gegen den Bau und Verlauf der Mauer und die isra­elische Besatzung.

Der palästinensische Olivenbauer Burnat avanciert im Jahr 2005 mit seiner ersten Kamera zum Dorf­Chronisten. Er filmt fröhli­che Ereignisse im Dorf und die ers­ten Schritte seines jüngsten Sohnes Gibreel. Er filmt auch dann wei­ter, als israelische Bulldozer die Olivenbäume der Bauern zerstö­ren und über die Hälfte des Landes der Dorfbewohner enteignet wird.

Er filmt gewalttätige israeli­sche Siedler und wie die sich dahin schlängelnde Mauer hochgezogen und Siedlungen expandiert werden. Sein familiäres Umfeld verknüpft sich in den Bildern eng mit dem von zweien seiner Freunde angeführten

gewaltfreien Widerstandes der Dorf­gemeinschaft, auf den von Seiten der israelischen Soldaten brutal reagiert wird.

Die Bilder des Films lassen den Zuschauer sprachlos zurück. Burnat besticht durch seinen unaufgeregten, beinahe beiläufigen Erzählstil ebenso wie durch die Subjektivität seiner Bilder. Genau die ist es, die in al­ler Deutlichkeit die Auswirkungen der israelischen Besatzung auf die palästinensische Zivilbevölkerung zeigt. Sie veranschaulicht schmer­zhaft, wie systematisch von Seiten der israelischen Armee versucht wird, die friedlichen Protestmärsche des Dorfes zu unterbinden: Durch Ver­haftungen von Erwachsenen, so von Burnat und seinen Brüdern, und von Kindern, durch maßlose Gewaltan­wendung der israelischen Soldaten während der friedlichen Demonstra­tionen bis hin zur Ermordung von Bassem Ibrahim Abu Rahma, der im April 2009 während der freitaglichen Demonstration von einer Tränen­gasgranate in die Brust getroffen wird und stirbt.

Auch Burnats erste Kamera wird von solch einer Granate getrof­fen. Vier weitere Kameras gehen im Laufe der Jahre ähnlich zu Bruch. Aber aus über 500 Stunden Material macht Burnat mit dem israelischen Co­Regisseur Guy Davidi dieses berührende Filmdokument.

Martha Tonsern, Öffentlichkeits-beauftragte von Kairos Palästina,

Bethlehem

5 Broken Cameras, ein Film von Emad Burnat u. Guy Davidi, Frank-reich, Israel, Palästina 2011, 90 Min., arab. und hebr. mit engli-schen Untertitlen DVD, 21, 99 €

Hoffen auf WunderErst seit drei Jahren beschäftigt sich der gerade pensionierte Politik­ und Sportlehrer Ekkehart Drost intensiv mit dem Leben in Palästina und Is­rael. Und hat in dieser kurzen Zeit einen tiefen Einblick gewonnen in das alltägliche Leiden der Menschen vor Ort. Mehrfach hat er sich als „Ökumenischer Begleiter“ des Welt­kirchenrats monatelang im Westjor­danland aufgehalten und eine be­drückende Fülle an Schikanen, De­mütigungen, Gewalt miterlebt.

Durch seine Erlebnisse mit Paläs­tinensern und Israelis dringt er zu zentralen Konflikt­Themen durch: militärische Willkür, juristische Will­kür, Siedlergewalt, Landraub. In den besetzten Gebieten genauso wie bei Palästinensern und Beduinen im isra­elischen Kernland. Drost diskutiert, dreht und wendet entscheidende Fragen und schöpft dabei häufig aus persönlichen Begegnungen mit prägenden Vordenkern: Ist Israel ein Apartheidsstaat? Sollte die Boy­cott­Divestment­Sanctions­Kampa­gne unterstützt werden? Kann es eine Zwei­ oder nur eine Ein­Staaten­Lö­sung geben?

In seinen Begegnungen vor Ort und auf seinen Vortragsreisen in Deutsch­land sucht er nach Spuren von Hoff­nung. Auf ein Wunder. Drost ist überzeugt, dass die Besatzung enden wird, dass sich die öffentliche Mei­nung in Deutschland wandelt, dass Israel sich von seiner „Sicherheits­hysterie“ eines Tages abwendet. Er ist so klug, dafür keinen Zeitraum zu nennen. Ekkehart Drost vermittelt ein aktuelles, persönliches, vielfälti­ges Bild der Menschen und der Lage vor Ort. Ein lebendiges Buch, das tief eindringt in die fast undurchdringli­che Materie und in das Empfinden der Leserinnen und Leser.

Christoph Gocke

Ekkehart Drost: Hoffen auf das Wunder. Meine Begegnungen mit Palästinensern, Israelis und Deut-schen. Beiträge zur Internationalen Politik, Bd. 4. 250 Seiten. Gabriele Schäfer Verlag, Herne 2013. € 21.

Ideales Geschenk

Ein Standardwerk für Reisende und alle, die mehr über Palästina erfah­ren möchtenAlternative Tourism Group, Paläs-tina Reisehandbuch: Geschichte, Po-litik, Kultur. Meschen, Städte, Land-schaften, 664 Seiten, gebunden, 800 Fotos, 60 Karten und Stadtpläne, Palmyra Verlag, Heidelberg 2013, 29,90 €

Verhaftete Kinder

Gesammelte Augenzeugenberichte, Interviews und Berichte von UNICEF und der Organisation für Kinder­rechte Defense for Children Inter­national vertiefen das skandalöse Thema unserer vorigen Zeitungsaus­gabe:

FrauenWegeNahost (hg.), Palästi-nensische Kinder und Jugendliche in den Fängen der israelischen Militärjustiz, 2.Aufl., 72 Sei-ten, Sept. 2013, 5 € plus Versand-kosten. Zu bestellen bei Sabine Werner: [email protected]

PalästinaIsraelZeitung6 Nr. 4 / Dezember 2013

Page 7: Palästina IsraelZeitung · bis 2009). Zuletzt veröffentlichte er als Herausgeber zusammen mit der Heinrich Böll-Stiftung: „Palästina und die Palästinenser. 60 Jahre nach der

MENSCHEN

Kein Recht aufzugeben

Als erster Palästinenser erhielt Raji Sourani aus Gaza dieses

Jahr den Alternativen Nobelpreis. Seit fast vierzig Jahren setzt sich der palästinensische Anwalt und Bürger­rechtler für die Menschenrechte ein. Vor israelischen Militärgerichten hat er zahlreiche Opfer erfolgreich ver­treten.

Seine Arbeit stellte Sourani unter die Leitlinie: „Als Repräsentanten von Opfern haben wir kein Recht aufzugeben.“ Seine Hoffnung setzt er auf den Internationalen Gerichts­hof für Menschenrechte

Der Sechzigjährige lebt mit seiner Frau und zwei Kindern im Gazastrei­fen. Sein Einsatz brachte ihm sechs Mal Haft in israelischen, aber auch in palästinensischen Gefängnissen ein. Zwischen 1977 und 1990 verbot ihm Israel die Ausreise aus den pa­lästinensischen Gebieten. Dutzende Male wurden seine Kanzlei und sein Haus durchsucht. Auch die Hamas verfolgte ihn. Und die Fatah: Als er öffentlich die Palästinensische Auto­nomiebehörde dafür kritisierte, dass der Osloer Friedensvertrag von 1993 kein Wort über Menschenrechte enthielt, kam er ins Gefängnis. Er hatte stets den Mut, auch sein eige­nes Land offen zu kritisieren. „Ich dachte, dass der Kampf gegen die

RAJI SOURANI

Freiheitspreis für BarenboimDer Dirigent und Pianist Daniel Ba­renboim wurde am 23. Oktober mit dem Freiheitspreis der Freien Uni­versität Berlin ausgezeichnet. Mit der Ehrung wurde das Engagement des Musikers für einen Dialog im Nahen Osten gewürdigt. Barenboim hatte 1999 gemeinsam mit dem pa­lästinenischen Literaturwissenschaft­ler Edward Said das „West­Eastern Divan Orchestra“ gegründet. Es ver­eint junge Musiker aus Israel, den palästinensischen Gebieten und ara­bischen Ländern und soll den Dialog und das gegenseitige Zuhören durch das gemeinsame Musizieren för­dern. FU Berlin

Katholisches Wohnhaus zerstörtAm 28. Oktober wurde vom isra­elischen Militar ein kircheneigenes Wohnhaus in Ostjerusalem zerstört. Der Lateinische Patriarch, Fouad Twal, verurteilte diesen „Akt des Van­dalismus“. Laut des Uno­Büros zur Koordinierung humanitärer Angele­genheiten (OCHA) zerstörte das isra­elische Militär in diesem Jahr bis zum 9. Dezember 506 Häuser in Ostjeru­salem und den C­Gebieten des West­jordanlandes. 715 Personen wur­den dadurch obdachlos. Kipa/apic

MELDUNGEN

Mark Braverman Foto: Liva Haensel

Besatzung das Schwierigste sei, aber ich fand heraus, dass das naiv war. Der Kampf gegen die eigene Regie­rung um die Anerkennung von De­

mokratie, Rechts­staatlichkeit und Menschenrechten ist viel komplizier­ter und schwieri­ger“, sagte Sourani einmal.

Als Weltbürger ist Sourani nationa­listisches Denken fremd. Trotz erheb­licher Mobilitätseinschränkungen aus politischen Gründen gelang es ihm, viele Länder zu bereisen und junge, gleichgesinnte Bürgerrechtler über notwendige Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte zu informieren. Als Präsident der Arabischen Orga­nisation für Menschenrechte wirkt er durch Vorbild und konkrete Pro­gramme weit über Palästina hinaus.

Neben Ehrungen durch Frankreich und Österreich erhielt Raji Sourani bereits den Robert F. Kennedy Preis für Menschenrechte. Am 26. Sep­tember verlieh ihm die schwedische Right Livelihood Stiftung als erstem Palästinenser den diesjährigen Right Livelihood Award, den Alternativen Nobelpreis, „weil er unter außeror­dentlich schwierigen Umständen un­erschütterlich für die Herrschaft des Rechts und der Menschenrechte ein­tritt“. Aref Hajjaj

www.rightlivelihoodaward.orgwww.pchrgaza.org

Braverman spricht am 17.1.14 in Bonn: siehe S. 8

PalästinaIsraelZeitung für Völkerrecht und Menschenrechte

Die Palästina-Israel-Zeitung ist nicht Partei für Israel oder die Palästinenser, sondern für Menschlichkeit im Sinne der Menschenrechte und des Völker-rechts. Solange Unrecht herrscht, kann es keinen Frieden geben, sondern nur fortgesetztes Leid von Millionen Men-schen. Die Palästina-Israel-Zeitung will Verständnis für die komplizierte Realität des Nahostkonflikts vermitteln. Konkre-tes Unrecht muss benannt und bekannt werden, auch gegen den Willen der Ver-antwortlichen.

Zumal von keiner offiziellen Seite Förde-rung zu erwarten ist, ist die Palästina- Israel-Zeitung auf den Einsatz engagier-ter Gruppen und Einzelner für die Ver-breitung und auf die Hilfe vieler Spender angewiesen. Sie kann für eine gezielte Weitergabe in mehreren Exemplaren bestellt werden. Damit ist die Bitte ver-bunden, nach Möglichkeit mindestens 1 € je Exemplar zuzüglich Versandkosten zu spenden.

Arbeitsgemeinschaft Völkerrecht und Men-schenrechte in Palästina und Israel e.V.

Die gemeinnützige AG sammelt und ver-öffentlicht zuverlässige Informationen über die menschen- und völkerrechtliche Situation und Entwicklung in Palästina und Israel. Auf dieser Grundlage gibt sie die Palästina-Israel-Zeitung heraus. Sie sucht die Zusammenarbeit mit Frie-dens- und Menschenrechtsgruppen in Deutschland, Israel und Palästina.

Wir laden ein, Mitglied in der AG zu wer-den, um ihre Arbeit zu unterstützen und in ihr mitzuwirken. Der Jahresbeitrag be-trägt für Gruppen 50 € und für Einzelper-sonen 30 €. Auf Wunsch senden wir die Satzung der AG zu.

Konto: AG Völker- und Menschenrechte Pal./Isr. e.V. Nr. 705 800 014, BLZ 380 601 86 (Volksbank Bonn Rhein-Sieg) IBAN: DE45 3806 0186 0705 8000 14 BIC: GENODED1BRS

Wenn bei Überweisungen eine steuer liche Zuwendungsbestätigung gewünscht wird, ist die Angabe der Postadresse erforderlich.

Palästina-Israel-Zeitung

Hiermit bestelle ich je Exemplare der Palästina-Israel-Zeitung mit drei Ausga-ben bis zum Frühjahr 2015. Wir bitten um eine Spende von mindestens 1 € zuzüg-lich Versandkosten je Exemplar und Ausgabe.

Arbeitsgemeinschaft Völkerrecht und Menschenrechte in Palästina und Israel e. V.

Ich beantrage die Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft. ja nein

Name: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Straße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

PLZ/Ort: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wenn Sie Kontakt wünschen oder den Antrag auf Mitgliedschaft stellen, tragen Sie bitte Ihre Telefon- und E-Mail-Verbindung ein.

E-Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Telefon: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Senden Sie diesen Abschnitt bitte an: Zeitungsbestellung: Christian Kercher, Christstraße 42, 14059 Berlin E-Mail: [email protected] Antrag auf Mitgliedschaft: Peter Bingel, Am Ordensgut 2, 53639 Königswinter, E-Mail; [email protected]

PalästinaIsraelZeitung Nr. 4 / Dezember 2013 7

Alternativer Nobelpreisträger Raji Sourani aus Gaza in Stockholm

Foto: Wolfgang Schmidt

Mauern durchbrechenWorum es mir in Deutschland ging

Von Mark Bravermann

An Deutschland gefällt mir beson­ders die Eisenbahn und das Bier.

Langsam verbessere ich auch mein Deutsch. Zuhause in Philadelphia haben wir schließlich Jiddisch ge­sprochen. Aber mich fasziniert hier, dass sich mein Feindbild auflöst, mit dem ich aufgewachsen bin: Mein Jü­dischsein war eine Bunker­ und Op­fermentalität. Unsere beiden Haupt­feinde waren die Deutschen und die Araber, die einen in der Vergangen­heit, die anderen in der Gegenwart. Und deshalb brauchen wir den Staat Israel.

In Deutschland überwinde ich in mir diese psychologische Mauer so wie ich 2006 die Mauer zu den Pa­lästinensern durchbrochen habe. Da­mals bin ich zum ersten Mal in das Westjordanland gefahren, um Pa­lästinensern zu begegnen. Wichtige Schritte in Richtung Heilung.

Hier kristallisieren sich meine The­men. Ich sehe in den Deutschen mein Spiegelbild. Bei ihnen habe ich das tiefe Bedürfnis gespürt, von ihren Mauern befreit zu werden. In Stutt­gart, vor meinem ersten Vortrag in Deutschland letztes Jahr, sagte mir der Veranstalter: „Sagen Sie nichts zum Boykott! Das ist hier hochsensi­bel!“. Ich nahm seine Bitte ernst, aber ich spürte später den Hunger bei den Zuhörern, dass das ausgesprochen wird, was sie als richtig empfinden, aber nicht sagen dürfen.

Ich fragte sie: „Wer unter Ihnen verwechselt eigentlich die juden­feindliche Gesetzgebung des Drit­ten Reichs in den 1930er Jahren mit der internationalen Bewegung heute, den Staat Israel wegen des Unrechts an den Palästinensern zu sanktionie­ren?“ Ich bat nicht um Handzeichen, aber empfand deutlich die non­ver­bale Antwort: Es war Erleichterung, ja Dankbarkeit. Ich sagte weiter:

„Ich mache mit Ihnen einen Deal: Wenn Ihr als Deutsche aufhört, Euch als die schlimmsten Verbrecher der Weltgeschichte zu sehen, werde ich als Jude aufhören, das größte Opfer der Weltgeschichte zu sein. Es ist an der Zeit für uns alle, loszulassen und die Zukunft zu gestalten.“

Bücher: Braverman. Verhängnisvolle Scham. Israels Politik und das Schwei-gen der Christen, Gütersloher Verlags-haus, 2011 – ders., A wall in Jerusa-lem: Hope, Healing and the Struggle for Justice in the Holy Land, Jericho Books 2013

Abgesehen davon, dass er den Staat Israel mit den Juden gleichsetzt, ist es problematisch dass er beide, Deut­sche und Juden, in ihrem Trauma ge­fangen hält, wenn er so selbstbezogen in seiner Rolle als Täter bleibt, der sühnen muß. Ich sagte ihm, dass ich die „deutsche Besonderheit“ nicht

akzeptiere, aber selbst wenn, solle er die palästinensische Sache zu seiner machen, den Staat Israel mit seinen Menschenrechtsvergehen konfrontie­ren und ihn von seiner Rolle als Un­terdrücker befreien.

Was ich dem Bischof nicht sagte, aber für wesentlich halte, ist, dass es ihm als Vertreter der Institution im Grunde darum geht, seine Kirche, sich selbst und seine Position vor der Zensur durch das jüdische Establish­ment zu schützen.

Jesus, der beste JudeDagegen waren die Menschen zwi­schen Ulm und Hannover, die zu meinen Vorträgen kamen, nicht mehr bereit, sich abspeisen zu lassen mit „Es muß aber ausgewogen sein.“ oder „Wir müssen doch unsere Ver­bindung mit der Wurzel, dem Juden­tum, ehren“. Das ist ja richtig, aber da fehlt der Jesus der Evangelien, der vor dem Tempel stand und sagte, der wird zerstört und durch meinen Leib ersetzt werden, was bedeutet: An­stelle des Systems von Gier und Un­terdrückung wird eine auf Gleichheit und tätigem Mitgefühl beruhende universale Gemeinschaft treten. Je­sus war der beste Jude – er stand für die grundlegenden Prinzipien der To­rah, gegen die das damalige jüdische Establishment durch Kollaboration mit dem Römischen Reich verstieß. Er forderte die Mächtigen heraus und stand für die Armen und Un­terdrückten auf. Matthäus, Kapitel 25! Ich bete für den Tag, an dem die Christen nicht die Erlaubnis eines Juden brauchen, um Jesus wirklich nachzufolgen, aber für den Moment sehe ich das als meine Aufgabe.

Mark Braverman, jüdischer Tabu-brecher, Psychologe und Autor, war im Frühjahr auf Vortragsreise durch Deutschland, eingeladen vom christ-lichen „Netzwerk Kairos Palästina“.

Textdokumentation und Übersetzung: Christian Kercher; autorisiert durch Mark Braverman, Portland, Oregon

Kirchenvolk gegen LeitungEtwas Besonderes bei der diesjähri­gen Tour war, dass ich Vertreter der Kirchenleitung traf, zum Beispiel ei­nen ehemaligen evangelischen Lan­desbischof in Bayern. Er drückte die offizielle Haltung der Kirche so aus, dass die Deutschen eine besondere Verantwortung gegenüber Israel ha­ben. Deswegen könne man den Boy­kott nicht unterstützen und müsse immer im Dialog mit dem jüdischen Volk bleiben.

Page 8: Palästina IsraelZeitung · bis 2009). Zuletzt veröffentlichte er als Herausgeber zusammen mit der Heinrich Böll-Stiftung: „Palästina und die Palästinenser. 60 Jahre nach der

PalästinaIsraelZeitung8 Nr. 4 / Dezember 2013 BASAR

PRESSESTIMMEN VERANSTALTUNGEN

Bad Boll4. bis 6. Juli in der Evangelischen Akademie Tagung über „Jugend in Israel und Palästina“

Bamberg3.5. Priesterseminar: Lesung von Jo­hannes Zang Informationen: www.jerusalam.info

Bern/Schweiz27.12.13, 17­19 Uhr Bundesplatz: 1.400 Kerzen für die Toten von 2008/9. Fünf Jahre nach dem mörde­rischem Angriff auf Gaza

Celle22.5. Ev. Freikirchliche Gemeinde, Hannoversche Straße 51, 20 Uhr: Vortrag von Ekkehart Drost „Paläs­tinensisches Leben unter israelischer Besatzung“

Freiburg (Breisgau)19.1. Café Palestine, 16 Uhr: Vortrag von Ekkehart Drost „Palästinensi­sches Leben unter israelischer Besat­zung“16.2. Café Palestine: Johannes Zang liest aus seinem Buch „Unter der Oberfläche – Erlebtes aus Israel und Palästina“ Informationen: www.je­rusalam.info

Heidelberg21. 1. Palästina/Nahost­Initiative in der Weststadt, 19:30 Uhr: Vortrag von Ekkehart Drost „Palästinensi­sches Leben unter israelischer Besat­zung“

Königswinter-Oberdollendorf8.2. Evangelisches Gemeindezent­rum, Friedensstraße 29, 10:30 Uhr: Ekkehart Drost „Kim Wessel als OP­Schwester in Gaza – Buchpräsen­tation ‚Hoffen auf ein Wunder’“

Mainz3.5. Ökumenische Versammlung, 10:30 Uhr: Vortrag von Ekkehart Drost „Palästinensisches Leben un­ter israelischer Besatzung“

Münchenjeden 2. und 4. Freitag im Monat 13 bis 14 Uhr in der Fußgängerzone:

Mahnwache der FRAUEN IN SCHWARZ „Für einen gerechten Frieden im Nahen Osten – Schluss mit der Besatzung“

Osnabrück6.2. VHS, Bergstraße 8, 19 Uhr: Vor­trag von Ekkehart Drost „Palästi­nensisches Leben unter israelischer Besatzung“

Rottweil22. 1. Evangelisches Gemeindehaus, 20 Uhr: Vortrag von Ekkehart Drost „Palästinensisches Leben unter israe­lischer Besatzung“

Stadthagen11.6. Alte Polizei, Obernstraße 29, 19.30 Uhr: Ekkehart Drost liest aus seinem Buch „Hoffen auf ein Wun­der“

Straubing19.3. Karmelitenkloster, 19.30 Uhr: Sumaya Farhat­Naser stellt ihr neues Buch „Im Schatten des Feigenbaums“ vor, Informationen:www.straubing.de/de/kultur­sport­und­freizeit/ver­anstaltungen/Kalender

Reisen in das Heilige Land 19. bis 29. Mai sowie 25. August bis 4. Sepember: Pilger­ und Solidaritätsrei­sen mit Pater Rainer Fielenbach, In­formation: www.karmelitenorden.de

6. bis 16. Oktober – Begegnungsreise Palästina und IsraelInformationen: [email protected]

Daoud Nassar (Zelt der Völker) spricht während seiner nächsten Deutschlandreise in folgenden Or­ten: 22.3. Freiburg, 23.3. Huefin­gen, 24.3. Herrieden, 25.3. Bamberg, Gymnasium, und in Würzburg, 26.3. Wuppertal­Ronsdorf, 27.3. Dort­mund, 28.3. Münster und Schwerte, Haus Villigst, 29.3. Ibbenbüren und Löhne, 30.3. Emden

Aktuelle Termine unter: www.palaestina­heute.de/Veranstal­tungen/veranstaltungen.html und www.friedenskooperative.de/nahost.html

RaufboldDie Süddeutsche Zeitung kommen­tierte am 7. November: „... der Freispruch für Ex­Außenminister Avigdor Lieberman führt das Land geradewegs nach vorn in die Vergan­genheit. Aller Voraussicht nach wird der russophile Raufbold nun ins Amt des Außenministers zurückkehren. Dort hatte er von 2009/ 2012 bereits beträchtlichen Schaden angerichtet und selbst beste Freunde verstört. ... Israel kannn sich einen Chefdiploma­ten vom Schlage Liebermans heute noch viel weniger leisten als früher.“

EntscheidungsunfähigDie Frankfurter Allgemeine am 11. November in einem Kommentar zum Iran: „Eine Entschärfung der Iran­Frage würde unweigerlich die Bli­cke wieder auf die Verhandlungen mit den Palästinensern richten. Und da ist Netanjahus Koalition schlicht entscheidungsunfähig.“

UnwilligAm 14. November kommentierte die Frankfurter Allgemeine den Streit zwischen Israel und den USA über den Siedlungsbau: „Netanjahus Bau­ minister will keinen Palästinenserstaat, und einen Unterschied zwischen ei­nem Bauprojekt an der Mittelmeer­küste und im Westjordanland sieht er nicht. Der Siedlungsbau wird weiter­gehen, unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen um Irans Atompro­gramm. Damit bleibt die Siedlungs­politik eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einem Frieden zwi­schen Israel und den Palästinensern.“

EntsetzenDie Neue Zürcher Zeitung am Sonn­tag wies am 24. November in ih­rem Kommentar vom zu den Gen­fer Atomgesprächen auf eine mög­liche Folge für Israel hin: „Aber auch bei der Lösungssuche für den israelisch­palästinensischen Konf­likt dürfte Teheran künftig über ein Mitspracherecht verfügen. Diese Per­spektive ist es, die in Israel Entsetzen auslöst und zum einmaligen Schaus­piel führt, dass Premier Netanjahu in aller Öffentlichkeit seinem ‚Freund’ Barack Obama in den Rücken zu fallen versucht.“

MELDUNG

In Mandelas GefängniszelleAm 27. Oktober 2013 begann eine südafrikanische Solidaritätsaktion für die Freilassung Marwan Bar­ghoutis. Die Eröffnungszeremonie fand auf Robben Island in der ehe­maligen Gefängniszelle von Nelson Mandela statt. Mitträger dieser Ak­tion ist die Ahmed­Kathrada­Stif­tung, deren Namensgeber ebenfalls langjährig auf der Gefängnisinsel in­haftiert war. Der palästinensische Po­litiker Marwan Barghouti war 2002 in Ramallah verhaftet und in Israel unter völkerrechtswidrigen Umstän­den wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Ahmed-Kathrada-Stiftung

Dicke Bretter „... danke ich für die Überlassung der Palästina­Israel­Zeitung, die gut gemachte lesenswerte Beiträge zur Meinungsbildung enthält. Das Boh­ren dicker Bretter vor den Köpfen ist verdienstvoll.“

Rudolf Herrmann, Bad Honnef

VerbissenSo wichtig ich das Anliegen finde, dem deutschen Leser die Hinter­gründe des Nahostkonflikts verständ­licher zu machen: Von der Weise, in der Ihre Zeitung dies versucht, bin ich zunehmend weniger überzeugt. Das fängt schon beim Namen der Zeitung an. In der aktuellen Ausgabe verteidigen Sie ja ausdrücklich Ihren „einäugigen“ Fokus. Name und Un­tertitel der Zeitung lassen aber etwas anderesvermuten. Ein anderer Punkt, an dem Ihre Zeitung zunehmend

„verbissen“ rüberkommt: In der al­lerersten Ausgabe war Kulturelles er­freulich stark vertreten. In der aktu­ellen Ausgabe finde ich davon kaum noch etwas. Das ist schade.

Judith Bader, Berlin

ErkenntnisPersönlich danken möchte ich Sa­bine Werner, die auf S.7 „Bekennt­nisse eines Kriegskindes“ schrieb.

LESERBRIEFE

Siedler in Hebron und palästinensischer Junge mit Wachturm der israelischen Armee Foto: Sarah Milena Jochwed

BauerEin Bauer,Sohn eines Bauern,Habe ich die Arglosigkeit einer Mutter,Und die GerissenheitEines Fischverkäufers.Ich höre nicht auf zu mahlen,Solang im Hals meiner MühleNoch ein einziges Korn steckt.Ich höre nicht auf zu säen,Solange in meinem SackNoch eine HandvollVon Korn ist.

Taha Muhammad Ali (1941 – 2008)

GEDICHT

Taha Muhammad Ali gilt als der be­deutendste palästinensische Dichter mit israelischem Pass. Sein Heimat­dorf Saffoura in Galiläa wurde 1948 zerstört. Als Fremder im eigenen Land, als Bürger zweiter Klasse, kam er nach Nazareth. Dort betrieb er ei­nen Souvenirladen, las und schrieb nachts. „Ich werde fortbestehen / Als ein Fleck Blut / Von der Größe einer Wolke / Auf der weißen Weste dieser Welt.“ In diesen Zeilen eines Gedichts von 1973 ist alles enthalten, was ein geplagtes Volk wie das pa­lästinensische der Welt zu sagen hat, schrieb Harald Hartung in der ZEIT.

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Ähnlich verlief auch mein Weg zum Begreifen, wer für die Errichtung des Staates Israel weichen mußte, und ich kenne etliche Menschen meiner Altersklasse (geb.1943), die es ge­nauso erlebt haben. Bei mir war es der Gebetstag der Frauen 1993 oder 1994, der das beschämte Erwachen brachte! ... Ich wünsche Ihnen Kraft und langen Atem bei der Gestaltung der Zeitung und Erfolg mit der Ar­beitsgemeinschaft „Völkerrecht und Menschenrechte in Palästina und Is­rael“ – es ist weiterhin dringend nö­tig.

Gertrud Zeckau, Holzkirchen

ErschütterndDie Berichte über das Verhalten vom israelischen Militär gegenüber Kin­dern in den besetzten Gebieten sind erschütternd. Es ist – auch um Isra­els willen – wichtig, dass diese Dinge bekannt gemacht werden, damit sie endlich – zusammen mit der Besat­zung – aufhören! Ich bin auch dank­bar dafür, dass in Ihrer Zeitung die Stimmen der israelischen Gruppen zu Wort kommen, die für die Menschen­rechte und den Frieden eintreten. Die internationale Solidarität mit den Menschen, die unter der israelischen Besatzung zu leiden haben, kann nur in Zusammenarbeit mit Kräften aus Israel selbst etwas bewirken.

Rudolf Hinz, Groß-Kummerfeld

Warum funktioniert der Friedensprozess nicht? Erstens weil Israel keinen souveränen Staat Palästina will und zweitens weil die USA kein ehrlicher Makler, sondern Israels Bankier und Rechtsanwalt sind. Das Wort ‚Nah-ostkonflikt‘ gaukelt vor, dass es sich um zwei gleichrangige Konfliktpart-ner handelt. Aber des Übels Wurzel ist die fortgesetzte Enteignung von Palästinensern und ihre ethnische Säuberung. Wir haben das in Südaf-rika nicht akzeptiert und wir können das hier auch nicht akzeptieren

Mark Braverman

ZITIERT

aus: Taha M. Ali, An den Ufern der Dunkelheit. Gedichte aus Palästina, übersetzt v. Stefan Weidner, Fischer Tb, Frankfurt am Main, 2013, Seite 75

Was bleibt uns? Gemälde des palästinensischen Malers Ibrahim Hazimeh

Nelson Mandela18. Juli 1918 –

5. Dezember 2013

Herausgeber und Redaktion der Palästina­

Israel­Zeitung sind dankbar für das Le­

ben dieses Kämpfers gegen Apartheid

und für Gerechtigkeit in Südafrika. Möge

sein beispielhafter Einsatz in anderen

Regionen der Welt Nachahmer finden.