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Performativität und Medialität Populärer Kulturen

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Marcus S. Kleiner • Thomas Wilke (Hrsg.)

Performativität und Medialität Populärer Kulturen

Theorien, Ästhetiken, Praktiken

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ISBN 978-3-531-18357-2 ISBN 978-3-531-19023-5 (eBook)DOI 10.1007/978-3-531-19023-5

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Satz: Satz & Bild Kubicek GmbH, Hofheim-Diedenbergen

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Mediawww.springer-vs.de

HerausgeberMarcus S. KleinerUniversität Siegen, Siegen, Deutschland

Thomas WilkeUniversität Halle, Halle/Saale, Deutschland

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Inhalt

Vorwort .............................................................................................................................................9

EINLEITUNG

Marcus S. KleinerPopuläre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen als missing link im Diskurs zur Performativität von Kulturen und Kulturen des Performativen ...............13

THEORIEN

Jochen VenusDie Erfahrung des Populären. Perspektiven einer kritischen Phänomenologie ............49

Jens SchröterThe Wire: Szenen performativer Mediatisierung ...................................................................75

Susanne Binas-PreisendörferZur Bedeutung von Performativität und Medialität in der Produktion und Aneignung populärer Musikformen: allgemeine und historische Einlassungen ............93

Herbert SchwaabImitation of Life. Theoretische Anmerkungen zum Aspekt der Performanceund Improvisation in der Filmkomödie und der Sitcom .....................................................107

ÄSTHETIKEN

Marcus StigleggerFetisch – Tabu – Performance. Provokative Kulturtechniken in der Performanzund Medialität schwarzromantischer Subkulturen .............................................................127

Christofer Jost & Lisa HuwylerLive-Performance und Staridentität. Am Beispiel der Rockband Muse ..........................149

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6 Inhalt

Olaf SandersAufbruch und Tod im Hamburger Hafen. Über Performativität, Medialität und Bildung am Beispiel zweier ästhetischer Figuren des Darstellers Dschingis Bowakow .....177

Patricia Feise-MahnkoppZwischen ‚Meta-Pop‘, ‚religioider‘ Kunst und Kult: Zur Sozio-Ästhetik der „Matrix“-Filmtrilogie ........................................................................191

Marcus S. KleinerApocalypse (Not) Now? Performative Bildungsprozesse in Populären Medienkulturen –am Beispiel der US-amerikanischen Fernseh-Serie „The Walking Dead“ ....................................225

Stefan Meier‚Das essende Auge‘. Visuelle Stile des Kochens als performative und populär-kulturelle Praxis ......................................................................................................................... 253

Moritz Baßler & Martin Butler Doubt to Stand. Die Stimme von Marcus Wiebusch ........................................................... 277

Rolf Großmann303, MPC, A/D. Popmusik und die Ästhetik digitaler Gestaltung .................................... 299

Benjamin BeilDie Sehnsucht nach dem Pixelklumpen. Retro-Gaming und das populärkulturelle Gedächtnis des Computerspiels ..............................................................................................319

PRAKTIKEN

Ivo RitzerBubblegum and Beer. Zur Inszenierung und Performativität von Neo-Rock’n’Roll ....... 339

Franziska BuhreIm Schauen tanzen. Anmerkungen zur Aushandlung von Performativitätund Medialität in einem populären Tanz .............................................................................. 357

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7

Annemarie Matzke‚Das Theater wird Pop nicht fi nden’ – Medialität und Popkultur am Beispiel des Performance-Kollektivs She She Pop ............................................................................. 373

Malte Pelleter»Chop that record up!« Zum Sampling als performative Medienpraxis ..........................391

Thomas WilkePut the needle on the record! Zur Performativität und Medialität des Scratchens ......415

Ramón ReichertDie Macht der Vielen. Eine performative Perspektivierung der kollaborativen Kommunikationskultur im Web 2.0 ........................................................................................ 435

FAZIT UND AUSBLICK

Thomas WilkeInterdisziplinäre Wege und Grenzen der Forschungen zur Performativität und Medialität Populärer Kulturen......................................................................................... 453

Kurz-Viten .....................................................................................................................................477

Inhalt

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Vorwort

Performativität und Medialität als eine Forschungsperspektive zu betrachten, die das Ei-gensinnige und Grundcharakteristika Populärer Kulturen hervorhebt, war die Idee und schließlich der Gegenstand einer Tagung, die die Herausgeber gemeinsam organisierten und die im Dezember 2010 in Halle/Saale stattfand. Die Tagung liefert einen Beitrag zum formulierten Anliegen der »AG Populärkultur und Medien« in der Gesellschaft für Me-dienwissenschaft (GfM), deren (Mit-)Sprecher Marcus S. Kleiner ist, eine systematische Konturierung und eine grundlegende Verankerung der Populärkulturforschung im Kon-text der Medien- und Kulturwissenschaft en zu leisten.

Das Hallesche Institut für Medien e.V. in Person von Prof. Dr. Reinhold Viehoff und die Fachschaft der Martin-Luther-Universität waren durch ihre fi nanzielle Unterstützung maßgeblich an der Realisierung der Tagung beteiligt gewesen, wofür wir ihnen an dieser Stelle herzlich danken. Ebenso bedanken wir uns bei Jana Horn, Stefanie Sachsenröder, Christiane Rasch für ihre personelle Unterstützung während der Tagung. Schließlich möchten die Herausgeber Henriett Wilke für die redaktionelle Bearbeitung der Beiträge danken.

Der vorliegende Band dokumentiert nun nicht nur die Tagung selbst, sondern zeigt durch eine materialreiche Einarbeitung weiterer Beiträge ein anschlussfähiges und trotzdem heterogenes popkulturelles Forschungsprogramm. Alle Beiträge eint eine Pro-blematisierung ihrer Gegenstände, so dass hier weder der Versuch eines Gesamtbildes unternommen wurde, noch eine additive Reihung populärkultureller Th emen und Ge-genstände.

Auch unserer Lektorin, Frau Barbara Emig-Roller, danken wir ganz herzlich für ihr Vertrauen und ihre Unterstützung bei der Realisierung des vorliegenden Bandes.

Die Herausgeber Marcus S. Kleiner & Th omas Wilke

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„Th ey‘re forming in a straight line | Th ey‘re goin through a tight wind | Th e kids are losing their minds | Blitzkrieg Bop | Th ey‘re piling in the backseat | Th ey‘re generation steam heat | Pulsating to the back seat | Blitzkrieg Bop | Hey Ho Lets Go | Shoot em‘ in the back now | What they want, I don‘t know | Th ey‘re all reved up and ready to go | Hey Ho, Lets Go.“

Th e Ramones – Blitzkrieg Bop. Auf: Ramones. Sire (UK/USA) & Philips (Europa) 1976

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Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen als missing link im Diskurs zur Performativität von Kulturen und Kulturen des Performativen

Einleitung

Marcus S. Kleiner

1. Performativität, Performanz, Performance

Mit dem Ausruf der Ramones Hey! Ho! Let’s go!1 endete meine Einleitung zum Band „Methoden der Populärkulturforschung“ (Kleiner 2012a: 35). An diesem Ende setze ich an, um einen Einstieg in die Auseinandersetzung mit der Performativität und Medialität Populärer Kulturen, von Popkulturen und Populären Medienkulturen zu fi nden. Gleich-wohl, um den forschungslogischen Zusammenhang zwischen beiden Bänden hervorzu-heben.

Bei Ramones-Konzerten wurde aus dieser Auff orderung eine Sprachhandlung, eine Auff ührung und Ausführung zugleich, in der Sprechen und Handeln zusammenfallen. Hiermit kann die sprachtheoretische Herkunft des Performativitätskonzepts angezeigt werden, das auf Austins (1962) Sprechakttheorie zurückgeht. Diese geht davon aus, dass das Sprechen einer Sprache einerseits ein regelgeleitetes Verhalten bedeutet und anderer-seits der Vollzug eines Sprechaktes die Grundeinheit der sprachlichen Kommunikation darstellt, nicht aber das Wort oder der Satz.

1 Bei der japanischen Pop-Punk Band Shonen Knife, die bekennende Ramones-Fans sind, wird daraus im Song „Riding On The Rocket (auf Let’s Knife, 1992, Virgin)“: „Iko, iko everybody let’s go.“ Dieses Zitat überführt, auch in der und gerade durch die spezifische Transformati-on, bei Konzerten der Band, v.a., weil es vom Publikum als Ramones-Zitat erkannt wird, die Performativität des Ramones-Songs und seine Live-Präsentation in die Musik und Konzert-wirklichkeit von Shonen Knife. Hieran lässt sich die spezifische Performativität einer anderen Qualität von Popkulturen anzeigen: die Bedeutung von Zitation bzw. Pop als Zitat-Pop. Für Austin (1962) hingegen sind performative Akte, auch wenn er dies selbst in gewisser Hin-sicht modifiziert, nicht wiederholbar, Wiederholung in Form von Zitation ist parasitär und unernst. Vgl. zur Kritik an Austins Ausschluss der Iterabilität und der These, dass Iterabili-tät die Voraussetzung für gelingende Performativität ist, Derrida (2001: 39f.). In den bishe-rigen Performativitätsforschungen hat keine Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Iterabilität, Zitat und Performativität im Feld von Populären Kulturen, Popkulturen und Populären Medienkulturen stattgefunden. Ebenso wenig im Kontext populär- und popkul-turwissenschaftlich orientierter Studien, obwohl Zitat und Wiederholung Leitbegriffe wissen-schaftlicher Popanalysen, aber auch journalistischer Popbetrachtungen sind.

M. S. Kleiner, T. Wilke (Hrsg.), Performativität und Medialität Populärer Kulturen,DOI 10.1007/978-3-531-19023-5_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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Austin führt den Begriff des Performativen als Neologismus ein – weiterentwickelt wird er u.a. von Searle (1969, 1989, 1995) und Habermas (1971, 1984).2 Austin (1962) unterscheidet zwischen konstativen Äußerungen („Das ist eine Schallplatte.“) und per-formativen Äußerungen („Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau.“).3 Sprachliche Äußerungen dienen für Austin nicht nur dem Zweck, einen Sachverhalt zu beschreiben oder eine Tatsache zu behaupten, sondern mit ihnen werden Handlungen vollzogen. Performatives Sprechen vollzieht das, was es sagt, vorausgesetzt, der Sprecher ist dazu autorisiert – wie etwa Joey Ramone als Musikstar und Frontmann der Band Ramones, also als exklusives, vorbildliches soziales Subjekt, auf das man, etwa als Fan, in Konzert-situationen hört und an dem man sein Verhalten orientiert. Sprache ist „selbstreferentiell, insofern sie das bedeute[t], was sie tu[t], und sie [ist] wirklichkeitskonstituierend, indem sie die soziale Wirklichkeit herstell[t], von der sie sprich[t]“ (Fischer-Lichte 2004: 32). Sprache besitzt hierbei ein transformatorisches Potential. Austin (1962) fokussiert somit nicht den möglichen Sprachgebrauch, sondern das wirkliche Sprechen (vgl. Krämer 2001: 148). Das Performativitätskonzept von Austin übt Kritik am Repräsentationsmodell der Sprache, denn Sprache bezieht sich für ihn „nicht einfach auf die Welt, sondern ist ein Geschehen in der Welt [Hervorhebung im Original – MSK]“ (ebd.: 131). Dieser reprä-sentationskritische Ansatz intendiert, die kategorische Trennung zwischen Zeichen und Bezeichnetem zu subvertieren.4

2 Vgl. hierzu Krämer (2001, 2002); Krämer/Stahlhut (2001); Wirth (2002a/b); Hempfer (2011).3 Im Kontext meiner Einleitung, die keine linguistische und sprachphilosophische Diskussion

des Performativitätskonzepts führt, ist die vergleichende Auseinandersetzung zwischen der Dichotomie konstativ/performativ und der Trias lokutionärer/illokutionärer/perlokutionärer Sprechakt bei Austin (1962) nicht relevant (vgl. Hempfer 2011). Ebenso wenig eine vergleichen-de Diskussion des Ansatzes von Austin mit der linguistischen Unterscheidung von Kompe-tenz und Performanz, die Chomsky (1965) eingeführt hat, um die zwei für ihn grundlegenden Dimensionen der Sprache differenziert zu analysieren (vgl. hierzu und zu ihrer Modifikation Lehmann 2007). Mit dem Kompetenzbegriff bezeichnet Chomsky die Kenntnis des Sprecher-Hörers von seiner Sprache, also das Sprachvermögen, wie es allen Personen einer Sprachge-meinschaft zu eigen ist. Performanz meint die Aktualisierung dieses Vermögens in konkreten Sprachhandlungen und Sprechsituationen (vgl. zur Kritik an Chomsky Krämer 2001, 2002; vgl. zur Kritik an der Kritik von Krämer Hempfer 2011). Zudem kann an dieser Stelle auch nicht auf Derridas (2001) Austin-Lektüre und Butlers (1991, 1995, 1998, 2002) von dieser be-einflussten gendertheoretischen Weiterentwicklung, mit dem Fokus auf Macht, Identität und Körper, des Performativitätskonzepts eingegangen werden (vgl. zum Themenfeld Gender, Me-dien, Performativität etwa Seier 2007).

4 Krämer (2009: 3f.) erläutert die repräsentationskritische Bedeutung der Sprechakttheorie von Austin wie folgt: „Wo immer wir Zeichen gebrauchen, diese hervorbringen, umformen, löschen oder deuten, vollzieht sich mehr als ‚nur‘ ein Zeichenprozess. Es gibt keine reinen Zeichenhandlungen. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um die Auswirkungen von Zeichenpro-zessen: Gerade die sprachtheoretische Unterscheidung zwischen der Perlokution, verstanden als den außersprachlichen Wirkungen des Sprechens, und der Illokution, verstanden als eine Wirkungsmacht, die dem Sprechen unmittelbar im Akt seines Vollzuges zukommt, erinnert daran, dass es beim Performativen nicht um ‚Effekte‘ zu tun ist, die eine symbolische Hand-lung nach sich zieht, sondern um eine Kraft, die im Augenblick der Rede wirksam wird. [...] [D]

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15Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen

Performative Aussagen, die weder Beschreibungen oder Feststellungen sind, also kei-ne referentielle Funktion besitzen wie konstative Äußerungen („Joey Ramone war Sänger der Band The Ramones.“), sind, im Unterschied zu diesen, weder wahr noch falsch, sie erlangen ihren Sinn durch die Handlungen, die mit ihnen vollzogen werden, nicht durch ihre Funktion, Aussagen über Sachverhalte zu treff en, die entweder wahr oder falsch sein müssen, um sinnvoll zu sein. Die Beurteilung des Ausrufs Hey! Ho! Let’s go! als wahr oder falsch ist unmöglich und sinnlos. Bei nicht performativen Äußerungen existiert kei-ne strukturelle Kopplung von Sprechen und Handeln. Für sie gilt die Beurteilung ihres Sinngehalts durch die Unterscheidung von wahr und falsch.

Die „Gelingensbedingungen“ für performative Äußerungen sind somit nicht nur „sprachliche, sondern vor allem [...] institutionelle [und] [...] soziale Bedingungen“, d.h. die Kontexte, in denen sie geäußert und vollzogen werden. Performative Äußerungen stehen im Bezug zu diesen institutionellen und sozialen Kontexten: „Die performative Äußerung richtet sich immer an eine Gemeinschaft , die durch die jeweils Anwesenden vertreten wird“ (Fischer-Lichte 2004: 32). Diese Kontexte sind niemals absolut und ge-schlossen, vielmehr stellen sie durchlässige, lose gekoppelte und zeitpunktjustierte Kon-tingenzgemeinschaft en dar – wie etwa bei Konzerten.

Performative Äußerungen können nur glücken oder missglücken. Hiermit zeigt Austin an, dass Sprechen und Handeln immer mit der Möglichkeit des Scheiterns konfrontiert und damit nicht sicher oder defi nitiv kalkulierbar sind, sondern riskant, weil sie, wie Krämer und Stahlhut (2001: 45) betonen, „die Anfälligkeit aller Kriterien und das Aus-gesetztsein aller defi nitiven Begriff e für die Unentscheidbarkeiten, die Unwägbarkeiten und Vieldeutigkeiten, die mit dem wirklichen Leben verbunden sind“, veranschaulichen.5

Die performative Äußerung bedeutet immer die Auf- und Ausführung eines „sozia-len Aktes“ (vgl. ebd.). Die performative Äußerung Hey! Ho! Let’s go erzeugt konstitutiv andere Eff ekte in einer universitären Seminar- oder Vorlesungssituation oder bei einer Bundestagsdebatte (unpassend), als bei einem Ramones-Konzert (passend). Sie würde im universitären und parlamentarischen Kontext missglücken, im Unterschied zur Konzert-situation, weil performative Äußerungen für Austin (1962) immer von den passenden Umständen abhängen und sozial akzeptiert sein müssen.6 „Der Ort der Auff ührung“

ie Kraft der Rede, in der diese sich als mehr erweist, denn bloße Rede zu sein, ist eine den Spre-chern in ihrer sozialen Situierung zukommende Handlungsmacht, auch wenn deren Gelingen jeweils angewiesen bleibt auf das Wechselspiel zwischen historisch sedimentierten Sprachge-bräuchen, kulturellen Kontexten und Anerkennungsverhältnissen. [...] [D]as menschliche Tun genau dann angemessen begriffen ist, wenn es in den Termini des Erzeugens, Machens, Produ-zierens, Hervorbringens beschrieben wird: und eben diese Emphase des Hervorbringens greift nun ü ber auf die Domäne der symbolische Handlungen.“

5 Konsequenterweise bringt Austin (1962) sein dichotomisches Begriffspaar konstativ/perfor-mativ selbst (bedingt) zum Scheitern durch ihre Ersetzung durch die Trias lokutionärer/illo-kutionärer/perlokutionärer Sprechakt.

6 An dieser Stelle ließen sich Austins Überlegungen mit denen von Goffman (vgl. u.a. 1971a/b, 1983) zum Theatermodell bzw. zur Theatralität des Sozialen, zur Bedeutung von Interaktions-ritualen, zu sozialen Situationsdefinitionen usw. konstruktiv verbinden, um der performativen

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weist, wie Fischer-Lichte (2004: 34) am Beispiel einer Performance in einer Kunstgalerie herausstellt, „ausdrücklich auf die Institution“ hin, „die [...] als Rahmen fungiert, inner-halb dessen die Auff ührung von allen Beteiligten vollzogen wird.“ Das Gleiche gilt für Konzerte und alle anderen Orte, an denen Populäre Kulturen, Popkulturen und Popu-läre Medienkulturen aufgeführt werden und performativ wirklichkeitskonstituierend sind. Performativität ist immer räumlich und zeitlich situiert, kann dabei aber konkrete Raum- und Zeitverhältnisse transformieren – wie etwa die Zitation der Ramones durch die japanische Band Shonen Knife.

Performative Äußerungen sind somit keine ausschließlich sprachlichen Ereignisse, sondern vielmehr grundlegend soziale Handlungen.7 Bedeutung erlangen performative Äußerungen durch diese soziale Handlungen, in dem in den „ursprünglichen Performa-tiva [...] nicht einfach gesprochen, sondern im Sprechen etwas inszeniert [wird]“ (ebd.:

Produktion und Reproduktion gesellschaftlicher Wirklichkeit sowie deren Konstruktion und Rekonstruktion in den sowie durch die Medien nachzuspüren. Die Nähe zwischen Austin und Goffman besteht auch darin, dass Austin „den Vollzug performativer Akte als ritualisierte öffentliche Aufführung“ (Fischer-Lichte 2004: 41) aufaßt. Dieser Spur folge ich in meinem Beitrag „Apocalypse (not) now? Performative Bildungsprozesse in Populären Medienkulturen – am Beispiel der US-amerikanischen TV-Serie ,The Walking Dead’“. Darüber hinaus wer-de ich hier fallanalytisch das von Fischer-Lichte (2004: 356ff.) herausgestellte Verhältnis von Performativität, Grenze, Schwelle und Grenzüberschreitung diskutieren. Pilz (2000: 405) hebt hervor, dass künstlerische Performances wesentlich Grenzen und Grenzerfahrungen adres-sieren: „Die P. sucht die Grenzen von Kunst und Leben, Kunst und Politik, Kunst und Natur aufzusprengen und als Grenzen in Erfahrung zu bringen. Solcherart Grenz- und Übergangs-erfahrungen, die mit dem Begriff der Liminalität belegt wurden, sind strukturbildendes Mo-ment aller Performances [...] und [zielen] auf die Reaktivierung existentieller Erfahrungen“. In meinem Beitrag werde ich die Bedeutung der Inszenierung von Grenzen und Grenzerfahrun-gen am Beispiel Populärer Medienkulturen diskutieren.

7 Im Kontext der Popmusik etwa wird immer wieder das Verhältnis von Musik, Sprache und Handeln thematisiert, so etwa im Song Science (1997, auf: Heavy Soul, Island Records) von Paul Weller: „And I‘ve got my thoughts to position | But do I know how to act? [...] And all the study in the world | Doesn‘t make it science [...] Words can‘t do. What action does louder [...].“ Ei-nerseits wird hierbei implizit die Auffassung von Kultur als Text zurückgewiesen, andererseits aber auch der performative Aspekt der Sprache, also das Sprachhandeln, den Austin betont, zugunsten des Primats der vermeintlich sprachfreien Handlungen relativiert. Allerdings ge-schieht dies wiederum in der Sprache des Songtextes, stellt also einen performativen Selbstwi-derspruch dar, kann andererseits aber auch eine Sprachhandlung erzeugen, wenn der Songtext als Appell aufgefasst und umgesetzt wird: „Musik wird Sprache wird Musik. Sprachähnlich-keit der Musik und Musikalisierung der Sprache“ (Brandstätter 2008: 161), kann Handlung werden, müsste man ergänzen. Brandstätter (ebd.) fährt fort, bezieht sich hierbei aber aus-schließlich auf klassische Musik und die Musikalität der Sprache, etwa am Beispiel der Lyrik, wenngleich ihre Aussage auch auf Popmusik angewendet werden kann: „Musik spricht zu uns, sie vermag uns Botschaften zu übermitteln. Der sprachähnliche Charakter ist jedoch nicht in jeder Art von Musik gleich wirksam. Es gibt Musik, die stärker unser körperliches Empfinden aktiviert und andere, die uns geradezu sprachlich fassbare Botschaften zu vermitteln scheint.“ Die Handlungsdimension spielt in ihren Überlegungen zur Ästhetik der Transformation aller-dings keine Rolle, ist aber der für den hier diskutierten Kontexten entscheidende.

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17Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen

143). Entscheidend für das Glücken performativer Äußerungen ist die Wiederholung und Aktualisierung der sozialen Kontexte, die sie adressieren, der Handlungen, die sie her-vorrufen, ebenso wie der sozialen Gewohnheiten, die sie repräsentieren bzw. intendieren. Der Ausruf Hey! Ho! Let’s go wurde nur durch seine permanente Wiederholung sowie Aktualisierung bei Konzerten und v.a. durch die Annahme des Publikums, aber auch durch ihre Zitation und Diskussion im Popmusikjournalismus, zu einer ritualisiert per-formativen Sprachhandlung, die kontinuierlich glückt, gerade durch die „Abhängigkeit der Präsenz von der Wiederholung“ (Seier 2007: 61).

Das Publikum verstand, um das Vorausgehende auf das Eingangsbeispiel zu beziehen, den Ausruf des Sängers Joey Ramone entsprechend als unmittelbare Auff orderung, die Arme zu heben, sie der Band entgegen zu strecken und ihre Körper zum Rhythmus der Musik in Bewegung zu setzen – führte diese Auff orderung (zumeist) unmittelbar aus.8 Sprachhandlungen und körperliche Handlungen durchdringen sich hierbei, Sprache wird inkorporiert und schafft Handlungskörper.9 Wahrnehmung und Körper, Medialität und Performativität sind „reziproke Vollzugsformen“ (Arbeitsgruppe „Medien“ 2004: 130). Performative Äußerungen stellen, wie Seier (2007: 42) betont, eine „Übereinstimmung von Welt und Wort“ her. Zudem war die mehrfache Wiederholung dieses Ausrufs ein wiederkehrendes Ritual bei Ramones-Konzerten. Diese Sprachhandlung schafft e eigen-sinnige Konzert-Wirklichkeiten.10

Performativität wurde, ausgehend von diesen linguistischen und sprachphilosophi-schen Grundlegungen, zu einem kulturellen Leitbegriff und zu einem der Schlüsselbe-griff e für alle Disziplinen, für die die Gleichsetzung von Kultur mit Text und von Zeichen mit Repräsentation fraglich geworden ist.

Aber nicht nur Sprechhandeln ließ sich bei ihren Konzerten beobachten, sondern auch die Auff ührung sowie Inszenierung von Popmusik und Popkultur selbst: Pop als Per-formance und Performance-Pop. Hiermit wird die kunst- und theaterwissenschaft liche Herkunft des Performativitätskonzepts adressiert.11 Für Austin (1962) hat Performativität

8 Das Verhältnis von Musik und Körper spielt in der Pomusik eine konstitutive Rolle. Musik ist immer zugleich ein Appell, sich in Bewegung zu setzen, die Musik zu inkorporieren, die ästhetische Distanz beim Hören aufzulösen – so etwa im Song Let’s Dance von David Bowie (1983, auf: Let’s Dance, EMI America Records). Bei Konzerten verdoppelt sich dieser Appell, denn Bowie führt ihn selbst auf bzw. setzt ihn demonstrativ um, fordert damit mit dem Song und mit seiner Inkorporation des Songs, das Publikum auf, zu tanzen, wodurch gleichzeitig eine Sprechhandlung mit aufgeführt wird. „Musik wird Körper wird Musik: Transformation von Musik in Bewegung, körperhafte Musik und musikalisierte Körper“ (Brandstätter 2008: 172ff.).

9 Vgl. hierzu, mit gendertheoretischer Akzentuierung, Butler (1990, 1991). Vgl. Fischer-Lichte (2004: 9-30, 63-126, 129-186).

10 Eine Reflexion und Ausdehnung seiner Überlegungen auf Ton, Laut, Klang, Geräusch, Stim-me, Bild usw. findet bei Austin allerdings nicht statt.

11 Vgl. u.a. Féral (1982); Phelan (1993); Carlson (1996); Fischer-Lichte (1998, 2001, 2004); Mersch (2002). Auch in diesem Kontext ist eine Verbindung zu den Arbeiten von Goffman möglich, denn in beiden Fällen steht die Erforschung der „Inszenierung von Kultur“ (und Gesellschaft)

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mit theatraler Performance nichts zu tun. Aus der Perspektive von Fischer-Lichte (2002: 291) hingegen ist das performative, konkret das postdramatische Th eater, im Gegensatz zum Sprechtheater, die „performative Kunst schlechthin“ (vgl. Lehmann 1999). Sie betont hierbei, mit Bezug auf die Arbeiten von Max Hermann (u.a. 1914, 1981), die zentrale Be-deutung der Auff ührung, bei der die leibliche Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern entscheidend ist, durch die eine Simultaneität von Produktion und Rezeption entsteht, die Zuschauer an der Bedeutungsproduktion beteiligt sind: „Unmittelbare Konsequenz ist die Plurimedialität des Th eaters [...], die eine Handlungs- und Geschehenskonstitution über mehrere ,Medien’, semiotische Systeme und/oder ,Kanäle’ ermöglicht, die jeweils eine Simultaneität von Produktion und Rezeption voraussetzen wie etwa Gestik, Mimik, Bühnenbild und Beleuchtung, Klangeff ekte, Gerüche bis hin zum wechselseitgen ,An-fassen’ von Schauspielern und Publikum als Nutzung des haptischen Kanals“ (Hempfer 2011: 24f.). „Plurimedialität“ ist auch in jeder Konzertsituation gegeben: mit Blick auf die Präsentation der Band, der Musik und des Bühnengeschehens; hinsichtlich der akus-tisch-visuellen Vergemeinschaft ung, also der Interaktion von Band und Zuschauern; hinsichtlich des Photographieren und Filmens mit Handys und Digital Kameras durch die Fans oder die professionelle Bild- und Filmdokumentation durch Medienvertreter; nicht zuletzt durch die Rezeption durch Journalisten. Durch den Auff ührungsbegriff soll, wie Fischer-Lichte (2004: 41ff .) erklärt, eine Ästhetik des Performativen fundiert werden – der vorliegend Band präsentiert zahlreiche Beiträge zu einer Ästhetik des Performati-ven im Feld Populärer Kulturen, von Popkulturen und Populären Medienkulturen, die in Fischer-Lichtes Entwurf einer Ästhetik des Performativen, aber auch in der Konzeption von Mersch (2002), keine Beachtung fi nden. Ausgehend vom Performance-Konzept und dem Fokus auf Th eater sowie Kunst, wird Performativität, als zunächst linguistisches und sprachphilosophisches situiertes Modell, inter- und transmedial generalisiert.

Die Fokussierung des Performance-Modells ist ebenso repräsentationskritisch wie das Performativitätskonzept, weil mit einer Performance nicht intendiert wird, etwas zu re-präsentieren, sondern die Performance und ihre Gegenstände im Status der Präsenz zu präsentieren, auf sich selbst als „ein spezifi sches Raum- und Zeiterlebnis [...] im fl üch-tigen Moment seiner Auff ührung“ (Seier 2007: 59) zu verweisen, dabei den Betrachter aktiv zu involvieren und aus seiner ästhetischen Distanz zu lösen. Darüber hinaus wird mit dem Performance-Modell ein Werkbegriff zurückgewiesen, der das Kunstwerk als geschlossen und abgeschlossen begreift .

und die „Kultur der Inszenierung“ (Fischer-Lichte 1998: 24) im Zentrum des Erkenntnisin-teresses, sowie die Analyse der fließenden Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Be-sonders die Ausweitung des Performance-Konzepts vom Theater und der Kunst auf außer-theatrale und außerkünstlerische Kommunikationen, Interaktionen, Identitätsbildungen, Wirklichkeitskonstruktionen usw. ist durch den Ansatz von Goffman möglich. Die Studien von Goffman spielen bisher im Kontext der Performativitätsforschung allerdings kaum eine Rolle.

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19Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen

Der Modell der Performance, d.h. Kultur als Inszenierung12, ebenso wie der Begriff Performativität, also Sprache als Handlung, zeigen nicht einfach an, dass etwas getan wird, sondern alles Tun aufgeführt und wiederaufgeführt wird, die Herstellung kulturel-ler Bedeutungen und Erfahrungen praktisch erfolgt.13 Die Wiederholung in der Wieder-auff ührung ist immer auch transformatorisch, impliziert ein Anderswerden(-können): „Die Grenzen zwischen avancierter Th eaterkunst und performance art werden fl ießend, so dass also Th eaterauff ü hrungen im jeweils inszenierten Text nicht länger ihren orga-nisierenden Fluchtpunkt und ästhetischen Maßstab fi nden. Worauf es im Ereignis der performance ankommt, ist die Bipolarität von Agieren und Zuschauen, die sich auf der ‚Oberfl äche‘ dessen vollzieht, was sich zeigt, ohne dass dieses Zeigen auf die Tiefenstruk-tur eines jeweils unterzulegenden Skripts zurü ckführbar wäre. Auff ü hren und Wahrneh-men greifen also ineinander und mit diesem Wechselspiel stift et ‚Th eatralität‘ ein auch außerhalb der Kü nste wirksames ‚kulturalistisches‘ Modell, welches nahezu alle mensch-lichen Handlungen grundiert. Der archimedische Punkt hierbei ist die Einsicht in die grundständige Körperlichkeit dessen, was sich zwischen dem Wahrnehmbarmachen durch Akteure und dem Wahrgenommenwerden seitens der Zuschauer vollzieht. Eine Körperlichkeit ü berdies, die nicht nur das Regime des Interpretierens und der Refl exion, sondern auch die Matrix des bloßen Wahrnehmens ü berschreitet und dabei die Dimen-sion eines Übertragungsprozesses annimmt, der nicht zufällig in den Termini der ‚äs-thetischen Ansteckung‘ beschrieben wird, mithin den Charakter eines Geschehens hat, welches dem Zuschauer widerfährt“ (Krämer 2009: 1f.).

Die Performance von Popkultur bedeutete bei Ramomes-Konzerten u.a. die Auff üh-rung von Stil und die „ästhetisch[e] Ansteckung“ mit Stil. Der spezifi sch einheitliche, minimalistische Stil der Ramones, d.h. Röhrenjeans, T-Shirts, Lederjacken, Sneaker und fast identische Frisuren, der die Simplizität ihrer Songs modisch spiegelte, war für die Punk-Rock-, Indie- und Alternative-Szenen äußerst einfl ussreich und ist es bis heute. Bei Konzerten wurde diese ästhetische Prägekraft durch die Bühnensituation exklusiv hervorgehoben und fand zahlreiche performative Nachahmungen bzw. Aneignungen im Publikum, regte Formen der popkulturellen Selbstgestaltung an und (Wieder-)Auff üh-rungen in Clubs oder in der Alltagswelt. Zugleich wurden die Ramones von der Popu-lär- und Popkultur ihrer Zeit nachhaltig geprägt, etwa von Comics oder vom Populären Film, und integrierten diese in ihre Musik und Bandpräsentation. Im Fan-Kontext der Ramones wurden diese wiederum als signifi kante Zeichensysteme angeeignet. Dieser Aspekt verdeutlicht, dass popkulturelle Akteure per se eine performative Lebenshaltung einnehmen, ebenso wie Popkulturen grundsätzlich performativ sind – dies verbindet sie grundlegend mit Populären Kulturen und Populären Medienkulturen, allerdings nicht

12 Vgl. zum Zusammenhang von Gesellschaft, Inszenierung, Theatralisierung Willems/Jurga (1998); Willems (2008a/b); vgl. zur Ästhetik der Inszenierung die Beiträge in Früchtl (2001).

13 Den Zusammenhang von Performance und Performativität beschreibt Wirth (2002b: 39) wie folgt: „Die kulturwissenschaftliche ,Entdeckung des Performativen’ liegt demnach darin, dass sich alle Äußerungen immer auch als Inszenierung, das heißt als Performances betrachten lassen [Hervorhebung im Original – MSK]“.

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zwingend auf der Akteursebene, weil Popkulturen eine stärkere lebensweltlich-demonst-rative Identifi kation fordern, v.a. hinsichtlich des Lebensstils, als Populäre Kulturen und Populäre Medienkulturen (vgl. u.a. Kleiner 2009).

Die besonderen medialen Bedingungen von Konzerten, die leibliche Ko-Präsenz von Musikern und Zuschauern, die Unmittelbarkeit und Ereignishaft igkeit der Konzertsitua-tion, ihre Liveness (vgl. Auslander 1999: 51ff .), sind zu unterscheiden von der Medialisie-rung der hier stattfi ndenden Sprechhandlung und Performance durch die Aufzeichnung des Konzerts und ihre reproduzierte bzw. konservierte Präsentation im Medium DVD: „Musik wird Bild wird Musik. Bildhaft e Musik [...]“ (Brandstätter 2008: 168ff .).14 Als Bei-spiel von Ramones-Konzerten auf DVD können etwa „It’s Alive 1974-1996“ (2007) oder „Ramones – Live in Argentina 1996“ (2011) genannt werden.15 Die Unterscheidung zwi-schen dem wirklichen Konzert, dem wirklichen Raum, dem wirklichen Körper einerseits und seiner (technisch-elektronisch) medialisierten Form andererseits, verbunden mit de-nen dadurch veränderten Auff ührungs- und Rezeptionssituationen, gibt, wie Auslander (ebd.) betont, der Rede von Live-Performances allererst einen Sinn. Sie ist Resultat einer spezifi schen medientechnischen Entwicklung, durch die Produktion und Rezeption ge-trennt werden und die feedback-Schleife außer Kraft gesetzt wird16.

Die Medialisierung des Konzerts im Medium DVD eröff net, neben den linguistischen und sprachphilosophischen sowie kunst- und theaterwissenschaft lichen Dimensionen

14 Die Zitation des Ramones-Stils, als Stil deviant-widerständig-selbstbestimmter Jugendlichkeit und als Distinktionsmittel gegenüber allen Formen der Normierung durch die bürgerliche Gesellschaft oder die Eltern, findet sich prominent im Film „Wassup Rockers“ (USA 2005) von Larry Clark.

15 Diesen unterscheide ich u.a. vom ‚Autorenfilm‘ (vgl. Grob 2002) und ‚Avantgardefilm/ Ex-perimentalfilm/Undergroundfilm‘ (vgl. Fuchs 2002). Populärer Film ist, als Bestandteil der Unterhaltungsindustrie, an ein Massenpublikum gerichtet, weil er populäre bzw. alltagsnahe Themen zumeist unmittelbar anschlussfähig vermittelt, ohne dabei banal oder ausschließ-lich stereotyp sein zu mü ssen, und wird hauptsächlich in Multiplex-Kinos vorgefü hrt. Die ge-bräuchliche Bezeichnung dieser Art von Film als Mainstreamfilm (vgl. hierzu Kiefer/Stigleg-ger 2003) ist nicht differenziert genug, weil sie klassisch Filmkanon-fokussiert ist (vgl. Kleiner 2008, 2012b). Weiterhin adressiert der Begriff Mainstreamfilm eine binäre Unterscheidung zwischen mehr oder weniger anspruchslosen Filmen und Filmen mit Anspruch, zwischen Un-terhaltungskultur und Hochkultur, die fü r mich zu eingeschränkt ist (vgl. ebd.).

16 Im Populären Kino seit den 1950er Jahren wird die Performance von popkulturellem Stil und popkulturellen Stilgemeinschaften eindrucksvoll aufgeführt: etwa 1953 in The Wild One (USA, Regie: László Benedek) die frühe Rocker- und Motorradkultur; 1979 in Quadrophenia (GB, Regie: Franc Roddam) die Mod- und Rockerszene sowie deren musikalischen, ideologi-schen und stilistischen Differenzen; 1986 die Punkkultur am Beispiel der Sex Pistols in Sid & Nancy (GB, Regie: Alex Cox); 1991 die Hippie- und Psychodelickultur in The Doors (USA, Regie: Oliver Stone) am Beispiel der gleichnamigen Band und ihres Umfeldes bzw. ihrer Zeit-geschichte; 2006 in This Is England die britische Skinhead-, Mod- und Brit-Pop-Szene (GB, Regie: Shane Meadows). Vgl. zum Thema Pop und Kino grundsätzlich Kiefer/Stiglegger (2004) sowie die Beiträge der seit September 2011 halbjährlich erscheinenden Zeitschrift „Rock and Pop in the Movies“ (www.rockpopmovies.de). Hinzu kommen etwa Dokumenationen über Festivals, Konzertfilme, Banddokumentationen oder Musikerportraits.

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des Performativitätskonzepts, eine medienkulturwissenschaft liche Perspektive, die sich auf das Spannungsfeld der Performance in den Medien und der Performativität der Medi-en fokussiert – hinsichtlich ihrer Ästhetiken, Technologien, Inhalte sowie ihrer Sozialität, Kulturalität und Fragen der Identität und Körperlichkeit.

In diesem Kontext kann Luhmanns Th ese (1996, 1997), dass Medien zur Selbstbe-obachtung und Selbstbeschreibung der Gesellschaft beitragen, aus der Perspektive des Performativen und der Performance problematisiert werden, weil die Bedeutung und Funktion von Medien hier v.a., abgesehen von ihrem Gebrauch, nicht die Beschreibung von Gesellschaft und Kultur ist, also letztlich ein semiotischer Prozess, sondern vielmehr die Auff ührung von Gesellschaft und Kultur, ihre theatrale Inszenierung, die sich ei-ner Bewertung von wahr und falsch entzieht, ebenso so wie der Rede von der manipu-lativen Kraft der Medien, wohingegen Selbstbeobachtungen und Selbstbeschreibungen letztlich immer ein Wahrheitsverlangen artikulieren bzw. dieses in ihnen latent enthalten ist. Insofern wird auch fraglich, ob Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung geeignete Analysekategorien sind, um das Performative und die Performance von Gesellschaft und Kultur in den Medien und durch die Medien, adäquat zu beschreiben. Das Gleiche gilt für die inszenierte Re-Inszenierung gesellschaft licher und kultureller Inszenierungen in Populären Medienkulturen und ihren unterschiedlichen Medien sowie Medialisierungs-formen.

Alle drei zuvor kurz skizzierten Bedeutungsdimensionen des Zusammenhangs von Performativität und Medialität, Sprachhandlung, Performance und medialisierte Liven-ess, als Beispiel für die Medialität sowie Technizität des Performativen und die Performa-tivität des Medialen sowie Technischen bzw. die Performance in den Medien sowie der Technik und die Performance der Medien sowie der Technik, aber auch ihre Binnendif-ferenzierungen und Interpenetrationen, diskutiert der vorliegende Band.17

Performativität, Medialität, Populäre Kulturen, Popkulturen und Populären Medi-enkulturen sind einerseits Begriff e mit eigenen Diskurstraditionen, die häufi g in Bezug aufeinander verwendet werden, dabei aber in den Relationen zumeist hinreichend unklar bleiben. Andererseits ist im Feld populär-, pop- und medienkulturwissenschaft licher Forschung kaum systematisch ü ber die Performativität und Medialität Populärer Kultu-ren, von Popkulturen und Populären Medienkulturen nachgedacht worden – bedingt mit Ausnahme der vielfältigen Ansätze der Cultural Studies.

Die fü r die Medien- und Kulturwissenschaft en in den 1990er Jahren nachhaltige Dia-gnose eines performative turn (vgl. Bachmann-Medick 2009: 104-141), hat in der wissen-schaft lichen Auseinandersetzung mit Populären Kulturen, Popkulturen und Populären Medienkulturen nur wenig Resonanz gefunden, wie etwa ein Blick in das Handbuch Po-puläre Kultur (Hü gel 2003a) verdeutlicht. Hier fi ndet sich kein eigenständiger Eintrag zu den Stichworten Performativität und Medialität; ebenso wenig wird im Artikel „Me-dien“ (Ernst 2003b) das Performative Populärer Kulturen, von Popkulturen und Popu-

17 Vgl. zur Performativität und Performance von Bildern u.a. die Beiträge in Janecke (2004) und Wulf/Zirfas (2005).

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lären Medienkulturen als eigensinnige Kategorie heraus gestellt. Das Gleiche gilt auch fü r die Bände „Mediale Performanzen: Historische Konzepte und Perspektiven“ (Eming/Lehmann/Maasen 2002) und „Performativität und Medialität“ (Krämer 2004), die zwar das Verhältnis von Performativität und Medialität in systematischer wie in historischer Absicht systematisch untersuchen, einen Zusammenhang zu Populären Kulturen, Pop-kulturen und Populären Medienkulturen jedoch kaum herstellen.

Im Kontext umfassender Forschungsprojekte, wie z.B. dem SFB Kulturen des Perfor-mativen (FU Berlin)18, und den aus ihnen resultierenden Publikationen (vgl. aktuell etwa Hempfer/Volbers 2011)19, spielt eine grundlegende Refl exion auf Populäre Kulturen, Pop-kulturen und Populäre Medienkulturen ebenfalls keine (bedeutende) Rolle.

Die Ursprungsszenen für die Erforschung von Performativität und Medialität sind hier v.a. Kunst und Th eater. Die performative Wende in der Kunst seit den 1960er Jah-ren wendet sich, wie Fischer-Lichte (2004) herausstellt, gegen alle Formen semiotischer und hermeneutischer Ästhetik. Erfahrung und Ereignishaft igkeit werden hier wichtiger als Verstehen, Interpretation und der Werkcharakter der Kunst – das Gleiche gilt, ohne das Fischer-Lichte dies perspektiviert, für Populäre Kulturen, Popkulturen und Popu-läre Medienkulturen. Kunst wird nicht mehr ausschließlich als ein System von Zeichen verstanden, das es zu deuten gilt. Im Zentrum künstlerischen Schaff ens steht vielmehr der Versuch, Kunst zu erfahren und, etwa in der Performance-Kunst, die Betrachter bzw. Zuschauer an ihr mitwirken zu lassen.

Entscheidend für Populäre Kulturen, Popkulturen und Populäre Medienkulturen ist ihr Gegenwartsbezug. Dieser Gegenwartsbezug bedeutet Alltagsbezug und macht aus Populären Kulturen, Popkulturen und Populären Medienkulturen Alltagskulturen und daher gerade keine Kunst bzw. ausschließlich künstlerische Phänomene. Vielmehr han-

18 Für Phelan (1993: 146) stellt diese Medialisierung der Konzert-Performance keine Performance dar, Performances können nicht technisch-apparativ archiviert, gespeichert, wiederholt oder reproduziert werden: „Performance’s only life is the present. Performance cannot be saved, recorded, documented, or otherwise participate in the circulation of representations of repre-sentations: once it does so, it becomes something other than performance. [...] Performance’s being, like the ontology of subjectivity proposed here, becomes itself through disappeareance [Hervorhebung im Original – MSK]“.

19 Der Konzert-DVD-Markt gehört mittlerweile zu einem äußerst erfolgreichen Segment der Popmusikkulturindustrie. Die Bewertung der Unterscheidung zwischen Liveness und mediali-sierter Liveness erfolgt zumeist ideologisch und pendelt zwischen der Kritik am vermeintlichen Aura- und Authentizitätsverlust der medialisierten Liveness als Produkt der Kulturindustrie (vgl. u.a. Phelan 1993) und dem Lob der wirklichkeitsverändernden Eigensinnigkeit der neuen Reproduktionsmedien (vgl. etwa Auslander 1999). Auslander (ebd.: 158) führt darüber hinaus aber einen Aspekt an, der bei vielen Konzerten der letzten Jahren von großer Bedeutung ist, die Medialisierung der Konzert-Liveness selbst: „[...] the live event itself is shaped to the demands of mediatization. [...] To the extent that live performances now emulate mediatized represen-tations, they have become second-hand recreations of themselves as refracted through medi-atization. [...] Almost all live performances now incorporate the technology of reproduction, at the very least in the use of electric amplification, and sometimes to the point where they are hardly live at all.“

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delt es sich bei ihnen um aisthetische Alltagskulturen, die kontinuierliche Sinn(es)bil-dungen betreiben, Gesellschaft , Kultur und Individuen medienästhetisch in Form brin-gen (in-formieren). Auf diese Bedeutung alltäglicher Sinn(es)bildungen im Kontext der Einführung und Popularisierung historisch neuer Medien bzw. von populären Medien hat bereits Benjamin (2002: 378) am Beispiel der „Chockwirkung des Films“ hingewie-sen, durch den, dem Beispiel von Benjamin folgend, (neue) Stadtbewohner bildend in das Stadtleben und -erleben eingeführt werden könnten. Dieser produktiv bildenden Funk-tion neuer bzw. populärer Medien steht Benjamin allerdings grundlegend ambivalent gegenüber.

Im Unterschied zur Kunst sind Populäre Kulturen, v.a aber Popkulturen und Populäre Medienkulturen seit den 1950er Jahren grundlegend performative Kulturen bzw. Kul-turen der Performance. Sie brauchten keine Befreiungskämpfe, wie die künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts, um performativ bzw. Kulturen der Performance zu werden. Sie stellen unmittelbare Beispiele für neue Relationen zwischen Subjekt/Objekt, Zuschauer/Darsteller und der Körper-/Material-/Zeichenhaft igkeit kultureller Artefakte dar.

Diesem Mangel der Vernachlässigung der Erforschung von Populären Kulturen, Pop-kulturen und Populären Medienkulturen im Forschungsfeld Performativität und Media-lität von Kulturen zu begegnen, ist Zielsetzung des vorliegenden Bandes. Ausgangspunkt hierbei ist die Th ese, dass die Bedeutung von Populären Kulturen, Popkulturen und Populären Medienkulturen nicht ohne einen Bezug auf Performativität und Medialität begriff en werden kann. Populäre Kulturen und Popkulturen sind konstitutiv performa-tive Medienkulturen. Mit diesem Bezug zum Populären und zu Pop bilden sich zugleich eigensinnige Kulturen des Performativen und Medialen heraus.20 Hierbei diskutiert der Band auch die Frage, ob Populäre Kulturen, Popkulturen und Populäre Medienkulturen von sich aus performativ sind, es sich also um eine Zustandsbeschreibung von Kulturen und ihrer Auff ührungspraktiken handelt, oder der Fokus auf Performativität und Medi-alität lediglich eine performative Perspektive auf Populäre Kulturen, Popkulturen und Populäre Medienkulturen darstellt, diese Kulturen von sich aus nicht performativ sind.21

20 Hiermit teilen wir die Forschungsperspektive auf Performativität und Medialität mit der „Ar-beitsgruppe ,Medien’“ (2004: 129) aus dem SFB Kulturen des Performativen (FU Berlin), liefern in den unterschiedlichen Beiträgen unseres Bandes eine vergleichbare „,Doppelbelichtung’“: „Sachverhalte also, die ein Licht werfen zugleich auf die Frage nach Rolle und Wirkungswei-se von Medien wie auch auf die Frage nach Bedeutung und Reichweite des Performativen.“ Ebenso liefert der vorliegende Band keine Antwort auf die Frage, was Medien sind, sondern fokussiert die Funktionen und den Gebrauch von Medien im Feld Populärer Kulturen, von Popkulturen und Populären Medienkulturen.

21 Seier (2007: 14) wählt in ihrer (theoretischen und fallanalytischen) Auseinandersetzung mit der performativen Konstitution von Gender und Geschlecht am Beispiel des Films, etwa mit Blick auf das Populäre Kino und den Film Jackie Brown (USA 1997) von Quentin Tarantino, eine dezi-diert andere Perspektive ein: „Mit dem hier vorgeschlagenen Einsatz des Performativitätsbegriffs geht zugleich eine Öffnung und Verengung einher. Die Öffnung liegt darin, die Konzeption der Performativität nicht nur im Hinblick auf den erprobten Bereich der Gender-Problematik, son-

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Im vorliegenden Band wird Performativität einerseits als Basisphänomen aufgefasst und andererseits als Beschreibungs- und Analysekategorie für konkrete Phänomene.

Mit dem vorliegenden Band soll darüber hinaus ein Beitrag zur weiteren systemati-schen Konturierung und grundlegenden Verankerung der Populär- und Popkulturkul-turforschungen im Kontext der Medien- und Kulturwissenschaft en geleistet werden. Dies stellt auch eines der grundlegenden Arbeitsziele der GfM-AG „Populärkultur und Medien“22 dar. Die Ergebnisse des vorliegenden Bandes gehen auf eine mit der AG as-soziierten Tagung zum Th ema „Performativität und Medialität Populärer Kulturen“ zu-rück, die am 03./04.12.2010 an der Universität Halle/Saale stattfand und von Th omas Wilke und mir konzipiert sowie organisiert wurde.

2. Populäre Kultur, Popkultur, Populäre Medienkultur

Die Begriff e Pop und Popkultur sowie die mit ihnen assoziierten Diskurs- und Lebens-wirklichkeiten nehmen spätestens seit Ende der 1960er Jahre einen konstitutiven Einfl uss auf gesellschaft liche Selbstverständigungsdiskurse und Selbstbeschreibungen.23 Grund-sätzlich wird die Auseinandersetzung mit Pop und Popkultur von zwei Perspektiven bestimmt, in denen sich die grundlegende Ambivalenz aller Popkultur bzw. popkul-turindustrieller Güter, in Diskursen und als lebensweltliches Phänomen, widerspiegelt: Pop als Rebellion und Pop als Markt. Aus dieser Perspektive lassen sich zwei semantische Felder, mit denen das Phänomen Pop belegt wird, unterscheiden: Einerseits wird Pop als authentisch, grenzüberschreitend, umstürzlerisch, subkulturell, provokant, sozial- und sprachkritisch bezeichnet und ist in diesem Sinne ein Medium der Rebellion, der Revo-lution, des Widerstandes und des Protests. Letztlich gelebte Aufk lärung und autonome Selbstkonstitution, ein programmatisches Konzept für kulturellen Wandel sowie ein Ein-spruch gegen die Ordnungs- und Ausschlusssysteme der Dominanzkultur. Andererseits wird Pop mit Konsum, Party, Profi t, Unterhaltung, Lifestyle, Mainstream assoziiert und

dern auch im Hinblick auf Medien zum Einsatz zu bringen. Um eine Verengung der Perspektive geht es dabei wiederum, insofern davon Abstand genommen wird, den Begriff der Performati-vität als eine Zustandsbeschreibung der Kultur im Allgemeinen oder als Charakterisierung be-stimmter Aufführungspraktiken zu verwenden. Mit dem Begriff der Performativität wird in der vorliegenden Arbeit nicht etwas beschrieben, das Medien charakterisiert. Medien sind demnach ebenso wenig performativ wie Geschlechter. Sie geraten lediglich aus einer performativen Pers-pektive auf eine spezifische Weise in den Blick [Hervorhebung im Original – MSK].“

22 Vgl. http://www.gfmedienwissenschaft.de/gfm/ag_populaerkultur_und_medien/index.html [abgerufen am 08.03.2012].

23 Eine heuristische Eingrenzung der Begriffe Populär, Pop, Popkultur und Populäre Kultur kann ich an dieser Stelle nicht leisten. Ich verweise exemplarisch auf die folgenden Arbeiten: Hügel (2003a; 2007); Blaseio/Pompe/Ruchatz (2005); Kleiner (2008); Jacke (2009) und v.a. auf die aus meiner Perspektive bedeutendste (deutsche) Studie zur Begriffsbestimmung und zur Unterscheidung der unterschiedlichen Konzepte von Populär, Pop, Popkultur und Populärer Kultur, die Hecken (2009) vorgelegt hat (vgl. auch Hecken 2007).

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als Marken- bzw. Warenartikel deklariert. Pop wird in diesem Verständnis als Affi rma-tion aufgefasst.

Die Selbstbeschreibung von Pop im Spannungsfeld von Affirmation und Subversion ist bereits in der Wortbedeutung von Pop enthalten: In der Herkunft des Wortes Pop aus dem Englischen bedeutet Pop einerseits populär und könnte im Sinne dieser binären Opposition auf seine konsumistischen, affi rmativen Tendenzen verweisen. Andererseits bedeutet Pop Stoß und Knall, womit seine subversiven Tendenzen angedeutet werden könnten.

Pop, Popkultur und Populäre Kultur dürfen nicht synonym verwendet werden, eben so wenig, wie Populäre Kultur mit der Gesamtkultur gleichgesetzt werden kann. Pop und Popkultur sind Bestandteile Populärer Kultur. Unter Pop verstehe ich im Wesentlichen einen weit gefassten musikzentrierten Traditionsbegriff: „Als Pop soll hier also schlicht gesagt einfach alles das gelten, was sich aus dem ursprünglichen Pop, dessen Wiege als Jugendkultur irgendwo in den frühen 50er Jahren stand, genetisch herleiten lässt“ (Ull-maier 1995: 9; vgl. u.a. auch Cohn 1969; Büsser 2000: 12ff .; Büsser 2004; Büscher 2005: 7) […].“ Hiervon ausgehend kann Pop als off enes Feld bzw. als spezifi sche kulturelle For-mation beschrieben werden, „die ein labiles Konglomerat aus Musik, Kleidung, Filmen, Medien, Konzernen, Ideologien, Politiken, Szenebildungen usw. darstellt. Und so diff use Inhalte wie Jungsein, Marginalisiertsein, alltägliche Machtkämpfe […], schließlich die ganze Palette von Pubertäts-, Jugend- und Lebensbewältigung bearbeitet“ (Höller 1996: 56f.).24 Mit Popkultur bezeichne ich ausgehend hiervon alle Formen der Vergemeinschaf-tung, die von diesem Pop-Verständnis ausgehen. Programmatisch formuliert: Als es Pop und Popkultur noch nicht gab, gab es schon die Populäre Kultur. Populäre Kultur kann, um eine Überlegung von Jacke (2004: 21) aufzugreifen, „insgesamt als der kommerzia-lisierte, gesellschaft liche Bereich verstanden werden, der Th emen industriell produziert, massenmedial vermittelt und durch zahlenmäßig überwiegende Bevölkerungsgruppen mit Vergnügen (als Informations- und Unterhaltungsangebote) genutzt und weiterver-arbeitet wird.“

Populäre Kultur wird hierbei wesentlich als Unterhaltungskultur aufgefasst, wobei zwischen Unterhaltung als Kommunikationsweise, als Funktion der Massenmedien, als soziale Institution und als ästhetische Kategorie unterschieden werden kann (vgl. Hügel 2003b). Die Epoche des Populären beginnt ab Mitte des 19. Jahrhunderts, ist ein kulturel-ler Zusammenhang moderner Gesellschaft en und wird durch die Verbürgerlichung der Unterhaltung bestimmt: „Generell hatte die traditionale, die vormoderne Gesellschaft keine Möglichkeit, Populäre Kultur auszubilden. Solange feste soziale, kirchliche und

24 Poschardt (2001: 51) erklärt die Entstehung der Popkultur in den 1950er Jahren aus einer so-zialstrukturell-ökonomischen Perspektive: „Pop-Kultur entstand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, weil in den fünfziger Jahren arbeitende junge Menschen so kaufkräftig wurden, dass sie als Zielgruppe für die Industrie wichtig waren. Gleichzeitig wollten die Jugendlichen eine andere Form des Konsums, als sie ihn von ihren Eltern kannten. […] Pop-Musik soziali-siert seine Konsumenten zwangsläufig in der Kontinuität eines kapitalistischen Realitäts- und Warenverhältnisses […].“

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ständische Ordnungen vorherrschen, geht den kulturellen Phänomenen jener Deutungs-spielraum ab, der für Populäre Kultur charakteristisch ist. […] Ohne Rezeptionsfreiheit, verstanden sowohl als Freiheit, das zu Rezipierende auszuwählen, als auch den Bedeu-tungs- und Anwendungsprozess mitzubestimmen – also ohne ein bestimmtes Maß an bürgerlichen Freiheiten –, gibt es keine Populäre Kultur“ (ebd.: 3, 6). An anderer Stelle ergänzt Hügel: „Historizität der Unterhaltung bedeutet […] aber nicht nur, dass sie über andere soziale Institutionen (vor allem solche der Medien) am geschichtlichen Prozess beteiligt ist, sondern dass sie selbst eine eigene institutionelle Tradition ausbildet. Und es ist die von dieser Tradition gestift ete Kultur, die wir als populär bezeichnen“ (Hügel 2003c: 81).

Bis heute gibt es, so Hügel (2003a: 1) weiter, „weder eine allgemein anerkannte Th eorie Populärer Kultur […] noch ist verbindlich geklärt, welche Gegenstände und/oder welche Aktivitäten zur Populären Kultur gehören.“ Aufgabe einer wissenschaft lichen Auseinan-dersetzung ist es daher, die vielfältigen Erscheinungsweisen und Diskurse zur Populären Kultur und zur Popkultur zunächst zu systematisieren, ein originäres Forschungsfeld mit eigenen Fragestellungen und operationalen Begriffl ichkeiten zu erarbeiten, um die Ge-schichte der Populären Kulturen und Popkulturen aus sich selbst heraus beschreibbar zu machen (vgl. ebd.: 18).

Populäre Medienkulturen sind Medialisierungen von materiellen, körperlichen sowie diskursiven Phänomenen Populärer Kulturen und von Popkulturen. Populäre Kulturen und Popkulturen sind keine Wesenheiten, d.h. nichts ist an sich Populär und/oder Pop, sondern erst in medienkulturellen Bildungsprozessen entstehen eigensinnige kulturel-le Gegenstände und Wirklichkeiten. Mit Wittgenstein (1995: 262) kann man in diesem Kontext behaupten: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ Der Fokus auf den Gebrauch der Sprache und ihre Handlungsdimensionen steht im Zentrum der unterschiedlichen Performativitätskonzepte.

3. Medium, Medien, Medialität

Medien sind, wie Leschke (2003: 10) betont, „sprachlich ein Pluraletantum. Der Singular, also der Begriff ,das Medium’, meinte zumindest traditionell etwas anderes als der Plural ,die Medien’ nämlich – wenigstens sofern der keiner Wissenschaft sdisziplin zugeordnet war – schlicht etwas Vermittelndes.“ Man spricht von Massenmedien, Medialisierung, Medienaufsicht/-regulierung, Medienästhetik, Media Design, Medienethik, Mediene-vents, Medienfreiheit, Mediengeschichte, Mediengesellschaft , Medieninformatik, Me-dienjournalismus, Medienkompetenz, Medienkontrolle, Medienkritik, Medienkultur, Medienspektakeln, Medienökonomie, Medienpädagogik, Medienpolitik, Medienpsy-chologie, Medienrecht, Mediensprache, Medienstars, Mediensystem, Medientechnik, Medientheorie, Medienumbrüchen, Medienwirklichkeit, Medienwirkungen, Medien-wissenschaft und vielem mehr. Zudem wird über Medien in Medien mit Medien durch Medien und über Medien in Medien gesprochen. Entsprechend hebt Mersch (2006: 10)

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hervor, „dass das Mediale selber nicht ,Eines’ ist, das eine bestimmte Identität aufweise, sondern sich als Pluralismus entpuppt, der von Fall zu Fall dechiff riert werden muss.“

Mit Blick auf die medientheoretischen Konzepte von Parsons, Luhmann und Haber-mas, weist Künzler (1989: 1) auf die vieldeutigen und heterogenen Möglichkeiten hin, den Medienbegriff zu verwenden bzw. auf Verallgemeinerungen von Eigenschaft en konkreter Medien. Medien sind für diese Autoren: „Sprachen, symbolische Bedeutung, Defi niti-on der Situation, Aff ekt, Intelligenz, ,Performance capacity’, Wertverbindung, Einfl uss, Macht, Geld, Recht, Wahrheit, Liebe, Freude, Kunst, Glaube, Reputation, transzendentale Ordnungsbildung, Gesundheit, empirische Ordnungsbildung […].“ Aber auch Waff en, Kleidung oder Uhren (vgl. McLuhan 1992); die Straße (vgl. Baudrillard 1978); Fahrzeuge (vgl. Virilio 1997); oder Licht, Luft und Wasser (vgl. Heider 2005) werden als Medien aufgefasst. Es drängt sich bei diesen Aufzählungen der Verdacht auf, „wenn schlicht Al-les Medium wäre, dann wäre Medium nichts“ (Engell 1999: 127). Diff erenzierung erge-ben sich allerdings immer aus Perspektivierungen, die wiederum, etwa disziplinäre oder theoretische, Vereinseitigungen erzeugen, und von denen ausgehend es niemals zu einer allgemein verbindlichen sowie konsensfähigen Mediendefi nition kommen kann.

Je nachdem, ob man von Medien (ohne Artikel), den Medien (als universalem Phäno-men), oder einem (bestimmten) Medium spricht, jedes Mal wird dem Ausdruck andere Bedeutungsdimensionen zugeschrieben – ebenfalls dadurch, in welcher wissenschaft li-chen er verwendet wird oder aus welcher philosophischen sowie theoretischen Hinsicht.

Dieser inflationäre Gebrauch des Begriff s Medien bzw. die Vielfalt von Sachverhalten und Hinsichten, die unter dem Medienbegriff verhandelt werden, deuten auf seine be-deutungsgeladene Diff usität hin sowie auf das begriffl iche Chaos, das dieser Begriff aus-löst. Ein allgemeiner und tragfähiger Medienbegriff steht bis heute nicht zur Verfügung. Medien lassen keine Eindeutigkeiten zu, sie sind grundsätzlich mehrdeutig, ubiquitär und äquivok. Mediendefi nitionen können hierbei nur verschiedene Aspekte der Medien akzentuieren, nicht aber eine verbindliche, transdisziplinär akzeptierte Defi nition an-bieten (vgl. Leschke 2003: 15). Die Gründe hierfür sind einerseits die Mehrdimensio-nalität sowie Komplexität der Gegenstandsbereiche, die als medial bezeichnet werden, und andererseits die verschiedenen Hinsichtnahmen auf den Begriff , die es im Alltag, der Medienpraxis und in den Wissenschaft en gibt. So bestimmen bei bisherigen wis-senschaft lichen Auseinandersetzungen mit den Medien zumeist bereits etablierte the-oretische und/oder semantische Referenzsysteme, die Defi nitionsversuche, Medienbe-griff sbestimmungen und -theorien besitzen somit wesentlich eine subsidiäre Funktion im Rahmen vorgegebener theoretischer Intentionen. Dies führt zu der Konsequenz, dass auf die spezifi sche Medialität bzw. Technizität der Medien einerseits kaum eingegangen wird oder andererseits gerade diese Aspekte ins Zentrum der Defi nitionsversuche gestellt werden, um die Auseinandersetzung mit den Medien auf der Grundlage einer grund-begriffl ich eigenständigen Th eorie der Medien zu führen.25 Th olen (2002: 8) formuliert

25 Die Beiträge im vorliegenden Band adressieren unterschiedliche Medienbegriffe bzw. -kon-zepte, die hier nicht vereinheitlicht werden sollen – der Schwerpunkt des Bandes liegt auf der Analyse von Massenmedien, wie etwa Film und Fernsehen. Die Heterogenität der Medien-

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aus diesem infl ationärem Gebrauch des Medienbegriff s und seiner Defi nitionsfl uten die Konsequenz, dass sich Medien nur noch metaphorisch beschreiben lassen und entwickelt im Anschluss daran Bausteine für eine „Metaphorologie der Medien“ (vgl. ebd.: 19-60).26

Im Folgenden wird eine heuristische Bestimmung des Medien-Begriff s präsentiert, die die vielfältigen Überlegungen des vorliegenden Bandes rahmt. Das lateinische Wort me-dium bedeutet Mitte, in der Mitte Befi ndliches und erhält ab etwa dem 17. Jahrhundert die neulateinische Bedeutung Mittel bzw. vermittelndes Element. Es wird abgeleitet vom griechischen Begriff méson, dessen Bedeutungsgehalt, neben der Mittlerfunktion, auch u.a. Öff entlichkeit, Gemeinwohl und öff entlicher Weg umfasst (vgl. zum Medienbegriff Hoff mann 2000).

In diesen Facetten der Wortbedeutung von Medium und Medien sind fünf Funkti-onsbereiche und Gebrauchsweisen latent enthalten: Boten27, Transport, Alterität, Ge-sellschaft und Nutzen. Medien als Boten vermitteln zwischen Mensch und Welt, physi-kalisch, semantisch, kommunikativ und materiell.28 Hierbei sind sie Welt stift end, Welt erschließend und Welt konstituierend – stellen das, was sie stift en, erschließen, konsti-tuieren und vermitteln unter die Bedingungen, die sie selbst geschaff en haben.29 Medien machen sichtbar, hörbar, lesbar, erfahrbar, erlebbar, verstehbar und vieles mehr. „Me-dien ,vermitteln’“ daher, wie Mersch (2006: 219) betont, „ohne selbst ,unmittelbar’ zu sein.“ Diese Mittel nehmen einen entscheidenden Einfl uss auf die Wahrnehmung und

begriffe bzw. -konzepte, die Spannung zwischen dem Fokus auf einem hauptsächlich sozial-anthropologischen und einen primär technisch-apparativen Medienbegriff, ist konstruktiv. Münker (2008: 337) bemerkt hierzu: „Sinn und Bedeutung sind uns nur medial gegeben – vermittelt über technische Artefakte, deren medialer Eigensinn unserer Kontrolle entzogen bleibt. Das heißt auch: Ohne dass wir Medien verwenden, die wir nie ganz verstehen werden, könnten wir am Ende nicht einmal uns selbst verstehen. Allerdings gilt zugleich: Ohne uns und die Art und Weise, wie wir Medien verwenden, macht die Rede vom Sinn keinen Sinn. Auch nicht die vom Begriff ,Medium’.“ Wilke wird in seinem abschließenden Beitrag diese Spannung mit Blick auf das Leitthema dieses Bandes, die Performativität und Medialität Po-pulärer Kulturen, von Popkulturen und Populären Medienkulturen, in einen möglichen Dialog bringen, also gerade nicht, wie es häufig der Fall ist, diese Vermittlung ausschließen. Vielmehr wird hier ein relativ allgemeiner Rahmen zum Verständnis von Medien und Medialität ent-worfen, in dem sich die Medien- und Medialitätsbegriffe der Beiträge wiederfinden können bzw. der für diese auf allgemeiner Ebene (mehr oder weniger) repräsentativ ist.

26 Meyrowitz (1999) unterscheidet drei Medien-Kernmetaphern, die zumeist ohne Bezug auf-einander verwendet werden: „medium-as-vessel/conduit, medium-as-language; medium-as-enviromment“.

27 Mein Verständnis von Medien als Boten weicht von Krämer (2008: 103-121) ab.28 Vgl. Wirth (2008) zur Vermittlungsfunktion der Medien – mein Vermittlungsverständnis

weicht von diesem ab.29 Dabei ist den Medien, wie Münker (2008: 327) betont, „ein Bedeutungs- und Effektüberschuss

eigen [...], der dazu führt, dass Medien zumeist mehr sind, als sie zunächst scheinen; dass sie meist (auch) anderes tun, als sie eigentlich sollen – und dass sie das tun, was sie tun, immer anders tun, als wir es zunächst erwarten. Medien sind Dinge, die in ihrer Dinglichkeit nicht aufgehen; ihre mediale Idee transzendiert immer wieder die eigenen Gegenständlichkeit – und überrascht, enttäuscht oder übertrifft die Erwartungen ihrer Nutzer.“

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29Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen

Formung von Wirklichkeit, prägen das zu Vermittelnde, sie stift en Beziehungen bzw. lassen in ihren Vermittlungen und als Mittel der Vermittlung das zu Vermittelnde mit-einander in Beziehung treten.30 Die Vermittlungsleistung31 erfordert eigensinnige und vielfältige mediale Mittel, spezifi sche mediale (ästhetische) Eigenschaft en, die im Begriff der Medialität zusammengefasst werden, und den Blick auf die unterschiedlichen Kul-turtechniken und Technologien dieser vermittelnden Medialitäten.32 Mittel sind zugleich immer Werkzeuge, die zu Vermittlungen verwendet werden – Werkzeuge der Erfahrung, Produktion und Transformation von sozialen, kulturellen sowie individuellen (Um-)Welten. Alle Vermittlungen sind nicht nur indiff erente, technische Mittel, sondern die Vermittlungsleistungen sind von den soziokulturellen Informationen und Kommunika-tionen, die sie vermitteln, mitbestimmt, ebenso so wie diese durch jene. Zur vermittelten Vermittlung gehört auch die Übertragung, der Transport von Informationen und Daten, also die Übermittlung.33 Die Alterität der Medien bedeutet für Mersch (2006: 9): „Es gibt

30 Zum Verhältnis von Wahrnehmung und Medien betont Mersch (2002: 53f.): „Alles Wahrneh-mungsgeschehen wurzelt in Aisthesis. Aisthesis bezeichnet die Empfänglichkeit für Anderes, deren Struktur nicht intentional, sondern responsiv bestimmt ist. Das Responsive er-gibt sich nicht im Medialen; das Mediale ergibt sich erst von ihm her. Das Verhältnis von Wahrnehmung und Medialität wird dadurch neu geordnet. Zwar beruhen Visualisierungen und akustische Phänomene in hohem Maße auf Strategien der Mediatisierung, doch kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass alle Wahrnehmung mediatisiert oder gar die Wahrnehmung selbst ein Medium sei – ein Umstand, der schon deswegen unmöglich ist, weil er selbst wahrge-nommen werden müsste. Das Mediale steht deshalb nicht schon vor der Wahrnehmung, in-dem es diese bedingt, sondern umgekehrt erfordert das Medium die Wahrnehmung, so dass diese wiederum vor dem Medium kommt, ihm buchstäblich ,zuvorkommt’. Auffindbar im Begriff von Aisthesis, der gegenüber den Techniken der Sensibilisierung, der Schärfung und Überschärfung der Sinne sowie den Inszenierungen und Gestaltungen von Sichtbarkeit und Hörbarkeit abzugrenzen ist, hebt das Zuvorkommende gerade das Nichtvermittelte wie Un-vermittelbare oder Plötzliche hervor – mit einem Wort: die Amedialität von Wahrnehmungen [Hervorhebung im Orignal – MSK].“ Medien selbst können nicht wahrnehmen und erkennen.

31 Die Betonung der Vermittlungsfunktion markiert als den grundlegenden Ort der Medien das Dazwischen, versteht sie als „Dazwischenkunft der Medialität“, von dem bzw. der „ein Spekt-rum von Differenzen“ eröffnet wird (Tholen 2005: 153; vgl. Tholen 2002: 169-203; vgl. Roesler 2003: 39). „Medien sind“, wie Tholen (ebd.) weiter betont, Unterscheidungen, die einen Un-terschied machen. Wo es Medien gibt, muss es Distanz geben.“ Das Dazwischen der Medien, verstanden als „eine in den Medienumbrüchen sich markierende und doch unverfügbare Da-zwischenkunft der Medialität“, weist „den alten und neuen Medien intermedial sich verkreu-zende“ (ebd.) Plätze zuweisen.

32 Mit Schanze (2002: 1999) verstehe ich unter Medialisierung „Prozesse des Übergangs von Formen direkter Kommunikation in Formen indirekter Kommunikation über Medien. Zu unterscheiden sind Prozesse der Entzeitlichung, Enträumlichung und Vervielfältigung von Kommunikation einerseits und basalen Typen der M., wie Verschriftlichung, Verbildlichung, Vertonung und andererseits von technischen Formen der M. in darstellenden Medien, wie Theatralisierung und Verfilmung. Da der Übergang stets vom gewählten Medium abhängt und dieses [...] in die ,Invention selber’ eingreift, ist M. nie ein unidirektionaler Prozess.“

33 Tholen (2005: 166) bemerkt zum Zusammenhang von Medien, Vermittlung und Transport: „Medien übertragen Botschaften, Sichtweisen, Ästhetiken, sind aber definitionsgemäß – als

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Medien, weil es Alterität gibt. Alterität meint ein ,Anderes’, das sich dem Zugriff zunächst verweigert, das eines Dritten bedarf, um seine Vermittlung, seine Symbolisierung, Auf-bewahrung, Übertragung oder Kommunizierung zu garantieren. Das, was derart weder Zeichen noch Erfahrung, weder Wahrnehmung noch Repräsentation ist, muss als solches erst vorgestellt und ausgedrückt oder interpretiert werden, so dass Medien buchstäblich ,dazwischen’ treten und Instanzen der Übermittlung, Darstellung, Verbreitung, des Aus-tausches“ (vgl. Schröter 2004). Medien produzieren bzw. formen öff entlich Öffentlichkeit, also Gesellschaft im Weitesten Sinne (mit), d.h. Medien können niemals ohne einen Be-zug auf Gesellschaft und damit auf Kultur, ihren Gebrauch in der Gesellschaft und die mit dem Gebrauch einhergehende Institutionalisierung innerhalb der Gesellschaft , ge-dacht und analysiert werden. Der Gebraucht stift et einen (gesellschaft lichen, kulturel-len, individuellen) Nutzen bzw. einen Mehrwert, der zwar nicht notwendig Gemeinwohl erzeugt und auch manipulativ oder hegemonial instrumentalisiert werden kann, aber in der Fokussierung der Positivität der Medien bzw. ihres produktiven Beitrags zur For-mung gesellschaft licher, kultureller und individueller Wirklichkeit gründet bzw. in einer so orientierten Erwartungshaltung.34

Diese fünf Facetten des Medienbegriff s entfalten sich im Spannungsfeld von Sichtbar-keit und Unsichtbarkeit, Anwesenheit und Abwesenheit, Entbergung und Verbergung, Akzentuierung und Neutralisierung, Selbstbekenntnis und Selbstverleugnung, Auft ritt und Rücktritt. Medien sind immer beides zugleich und zugleich nichts von beidem.

Eine technischere Defi nition von Medien bietet u.a. Hiebel (1998: 12): „Unter Medi-en werden [...] materiell-mechanische oder energetische (elektrische, elektromagneti-sche, elektronische, opto-elektronische) Träger und Übermittler von Daten bzw. Infor-mationseinheiten und mechanische sowie elektronische Mittel der Datenverarbeitung verstanden“. Hierbei lassen sich generell sechs medienlogische Grundphänomene bzw.

Bote und Bedeutungsträger – nicht die Botschaft selbst. Eben diese ,Eigenschaft’ der Medien wiederum, nämlich Botschaften übertragen zu können, ohne ihren Sinn zu beeinflussen oder zu bestimmen, markiert den Ansatzpunkt einer Metaphorologie der Medien, die in diesem Sinnvorbehalt und Sinnaufschub der Medien eine grundlegende Bestimmung von Medialität als Mit-Teilbarkeit situiert.“

34 Eine Auseinandersetzung mit Medien erfordert prinzipiell auch eine differenzierende Diskussi-on des Verhältnisses von Medien, Information und Kommunikation: Medien und Kommunika-tion sind ein spannungsreiches Interdependenzgeflecht, die jeweils erst durch ihre konstitutive Wechselseitigkeit eine originäre Form erhalten. Kommunikation ist stets medienvermittelt –zunächst und zumeist durch Sprache (Wort), Schrift (Text), nicht-verbale Kommunikati-onsmedien (Mimik, Gestik, Gebärdensprache usw.) und Bilder bzw. bildliche Darstellungen (Fernsehen, Film, Malerei, Graffiti etc.). Medien sind die Formen bzw. der Rahmen, in de-nen und durch die sich Kommunikationen, als ihre Inhalte, verbreiten, äußern, darstellen. Im Wechselspiel zwischen Medien und Kommunikation, die jeweils konstitutiv an den Menschen rückgebunden sind, entstehen Sinn und Bedeutung sowie gesellschaftliche, kulturelle, medi-ale und individuelle Wirklichkeit(en) sowie Welterschließungen. Die Art und Weise, in der mit, durch und über Medien gesprochen sowie geschrieben wird, kann als Kommunikation beschrieben werden. Die Inhalte der Medien sind hingegen Informationen, gleich welcher Art, ob als Unterhaltung, Wissen, Irritation usw.

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31Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen

Medienfunktionen unterscheiden: „1. Aufnahme, 2. Speicherung, 3. Übertragung, 4. Vervielfachung und Reproduktion, 5. Wiedergabe und 6. Ver- bzw. Bearbeitung“ (ebd.: 17). Medien bzw. ein Medium werden in dieser Defi nition wesentlich als der Ort be-zeichnet, an dem Daten in kodierter Form kanalisiert, übertragen, ver- bzw. bearbeitet und gespeichert werden. Sie sind zunächst indiff erent gegenüber dem semantischen oder qualitativen Inhalt seiner Botschaft .

So präzise diese Defi nition von Hiebel im technisch-apparativen Sinne auch sein mag, so wenig ist sie in der Lage, die soziale Wirklichkeit der Massenmedien, gerade im Hin-blick auf ihre Nutzung und Aneignung zu beschreiben. Erst durch den Bezug zum Medi-ennutzer und seiner Medien-Vereinnahmung, also der Aneignung von Medien und deren Sendungen, erlangt die Auseinandersetzung mit Medien einen konkreten sozialen Sinn und eine konkrete soziale Bedeutung.

Diese defi nitorische Einseitigkeit fi ndet sich auch in dem, aus technisch-apparativer Per-spektive äußerst instruktiven Bestimmung der Begriff e Medium und Medien, Konzept des Medien-Werdens, das Engell und Vogl (1999: 10) vorgeschlagen haben, um anzuzeigen, dass es keine Medien an sich, also „in einem substanziellen und historisch stabilen Sinn“ gibt: „Medien sind nicht auf Repräsentationsformen wie Th eater und Film, nicht auf Techniken wie Buchdruck oder Fernmeldewesen, nicht auf Symboliken wie Schrift , Bild oder Zahl re-duzierbar und doch in all dem virulent. Weder materielle Träger noch Symbolsysteme oder Techniken der Distribution reichen hin, für sich allein den Begriff Medium zu absorbieren. [...] [I]n den Medien [muss man] nicht bloß Verfahren zur Speicherung und Verarbeitung von Information, zur räumlichen und zeitlichen Übertragung von Daten erkennen; sie ge-winnen ihren Status als wissenschaft liches, d.h. systematisierbares Objekt gerade dadurch, dass sie das, was sie speichern, verarbeiten und vermitteln, jeweils unter Bedingungen stel-len, die sie selbst schaff en und sind.“ Diese Th ese übersieht aber den Aspekt, dass Medien-Werden konstitutiv Resultat sozialen Handelns, Medientechnik das Ergebnis von Diskur-sen ist. Nur wenn man diesen Primat von Diskurs und Handlung, ohne dabei allerdings die Medialität und Technizität von Medien sowie die Eigenlogik ihrer spezifi schen Kom-munikations- und Wahrnehmungspotenzen außer Acht lässt, ist man in der Lage, diese Defi nition von Medium und Medien produktiv zu nutzen.

Die Defi nition der Begriff e Medium und Medien ergibt sich daher an der Schnittstelle von Medium bzw. Medien und Menschen, d.h. die Bedeutung eines Mediums bzw. von Medien ist ihr historisch und kulturell variierender Gebrauch in der Gesellschaft . Die Beantwortung der Frage, was ein Medium ist bzw. was Medien sind, muss zur Frage re-formuliert werden, wie Medien gebraucht werden und welche ästhetischen sowie aisthe-tischen Formen hierbei was für Eff ekte erzeugen und Nutzungsweisen adressieren bzw. (mit-)formen. Dieses Verständnis von Medium und Medien verweist unmittelbar auf das zentrale Untersuchungsfeld des vorliegenden Bandes, die Analyse der Performance in den Medien und der Performativität sowie Performance der Medien – diskutiert am Beispiel Populärer Kulturen, von Popkulturen und Populären Medienkulturen.

In diesem Spannungsfeld wird der Fokus auf die Intermedialität der Medien kons-titutiv, zur der sich zahlreiche Beispiel in diesem Band fi nden, denn Medien verweisen

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immer auf andere Medien, sind in ihrer Medialität mit anderen Medien und deren Medi-alität verbunden, historisch jeweils neue Medien besitzen in sich die Spur historisch älte-rer Medien und sind zugleich die Vorboten zukünft iger Medienentwicklungen. Krämer (2003: 82) betont daher zurecht, dass „Intermedialität [...] eine epistemische Bedingung der Medienerkenntnis“ ist.35

Die AG Medien (2004: 130f.) stellt in ihrer Auseinandersetzung mit dem Zusammen-hang von Performativität und Medialität die Gebrauchsfunktion bzw. die Bedeutung der kulturellen Praxis der Mediennutzung ins Zentrum ihrer Mediendefi nition: „Ein Me-dium ist, was als Medium gebraucht wird. [...] Es sind also die Praktiken, in denen (und nicht: durch die) Medien entstehen und wirksam werden. [...] ,Gebrauch’ sei hier im An-schluss an Michel de Certeau verstanden. Etwas zu ,gebrauchen’ heisst: mit etwas, das wir nicht selbst erzeugt haben, so umzugehen, dass es in diesem Umgang zugleich verändert wird. Wiederholung und Veränderung gehen im Gebrauch Hand in Hand. Praktiken eig-net die Kraft , Programmen, Mustern, Regeln, Skripten dadurch zu ,folgen’, dass diese im Tun zugleich modifi ziert werden. Im Vollzug ereignet sich immer auch ein ,Überschuss’ gegenüber demjenigen, was dabei vollzogen wird. [...] Im alltäglichen Umgang bleiben die Medien unterhalb der Schwelle unseres (bewussten) Wahrnehmens: In ihrem reibungslo-sen Funktionieren scheint das Medium hinter die Botschaft zurückzutreten. Der Vollzug von Medien realisiert sich als ihr Entzug. In den Künsten allerdings werden die Medien dann selbst zum Th ema. [Hervorhebung im Original – MSK] (vgl. Münker 2008: 335)“ –auch in diesem Kontext liegt der Gegenstandsfokus ausschließlich auf der Kunst bzw. künstlerischen Medien, Populäre Kulturen, Popkulturen und Populäre Medienkulturen spielen keine Rolle.

Ein grundsätzliche Kritik der Analyse von Medien mit dem Primat auf ihrem Ge-brauch, übt Ernst, der v.a. die sozialwissenschaft liche Medienforschung hierbei im Blick hat, die keine Medien-, sondern Massenmedienforschung betreiben (vgl. Ernst 2004: 23; Ernst 2003a: 6f., 9f.). Hierbei lenkt die vorschnelle Frage nach der gesellschaft lichen Verwendung der Medien bzw. ihre umgehende Einbettung der Medienanalysen in ge-samtgesellschaft liche Diskurse, sowie ihre Diskussion der Medien in Kategorien, wie z.B. Sinn, Wirkung, Identität oder Manipulation, den Blick ab von der Analyse der Eigensin-nigkeiten sowie der Medialität bzw. Technizität von Medien, ihrer Prozesshaft igkeit und tatsächlichen Operativität. Andererseits liegt eine der Grenzen dieser Kritik wiederum darin, dass sie keine Einbettung ihrer Medienanalysen in gesellschaft liche Diskurse leis-ten kann bzw. will. Eine für Ernst (2002: 155) adäquate Mediendefi nition endet dort, „wo Techniken zu Massenmedien werden, sprich: sich technisch nicht mehr wesentlich ändern, dafür aber so genannte Inhalte zu transportieren beginnen.“

Ausgehend von dieser nach außen gerichteten Grenzziehung kartographiert Ernst programmatisch das Territorium einer wohldefinierten Medienbegriffsdefinition. „Ein

35 Vgl. zum Thema Intermedialität aus medienwissenschaftlicher Perspektive grundlegend die Beiträge in Paech/Schröter (2007); zum Zusammenhang von Performativität, Medialität und Intermedialität die AG Medien (2004); aktuell zum Zusammenhang von Performance und Intermedialität die Beiträge in Bay-Cheng/Kattenbelt/Lavender (2011).

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33Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen

,Medium’ bezeichnet den Ort, an dem Daten in kodierter Form kanalisiert, übertragen, verarbeitet und gespeichert werden. Es ist zunächst indiff erent gegenüber dem seman-tischen oder qualitativen Inhalt seiner Botschaft en“ (Ernst 2003b: 305). In seiner An-trittsvorlesung diff erenziert Ernst (2003a: 5f.) diese Defi nition aus: „Medien meinen so-wohl physische wie logische Artefakte, doch damit gerinnt nicht schon jede Form der Wirklichkeitserzeugung zu einer medialen Performanz. Medien sind der Ort, wo sich Technologien, Operativität und kulturelle Semantik treff en. Kultur sei hier defi niert als negentropische Operation, die mit hohem Energieaufwand unwahrscheinliche Ordnun-gen aufrechterhält oder baut. Medientheorie ist der Ort, Defi nitionen des Mediums und der Medialität, konkret die drei kulturpoetischen Wellen von Symbolerfi ndung, ihre me-chanischen Reproduzierbarkeit und ihrer mathematisch augmentierte universale Bere-chenbarkeit zu refl ektieren; nicht, um in Angleichung an die Objekte selbst technoid zu werden, sondern um die Analyse medialer Übertragungsprozesse [...] um die Dimension einer kulturtechnischen Epistemologie zu erweitern [...].“ Das kulturbestimmende (Leit)Medium dieser Mediendefi nition, durch das eine bisher nicht da gewesene Medienzäsur bewirkt wurde, ist der Computer (vgl. u.a. Ernst 2000: 17; Ernst 2003a: 3; Ernst 2004: 27).

Zentral ist hierbei der nicht-inhaltistische, nicht-diskursive bzw. nicht-narrative Zu-griff auf ihre Gegenstände. Medien sind daher nicht immer schon diskursive Eff ekte. Es kommt auf die Erarbeitung von Wissen technischer, apparativer, historischer, mathema-tischer, kybernetischer oder ingenieurswissenschaft licher Art. So interessiert am Medi-um Fernsehen z.B. nicht die Unterhaltungsinhalte, Erzähl- und Darstellungsweisen in Spielfi lmen oder eine Kritik an der Informationsvermittlung in Nachrichtensendungen, sondern vielmehr etwa das Zeilenschreiben des Kathodenstrahls. Ein anderes Beispiel, das Ernst (2003c: 3) nennt, ist die DDR-Ostalgie-Welle im deutschen Fernsehen 2003, die v.a. durch den Film Good Bye, Lenin! (D 2003, Regie: Wolfgang Becker) hervorgerufen wurde. Das Zeigen von Archivmaterial aus den Zeiten des DDR-Fernsehens war in diesen Kontexten nur möglich, weil die Sendungen auf Magnetband aufzeichenbar waren und nach der Wende von 1989/90 an das Deutsche Rundfunkarchiv gefallen sind. Interessant sind für Ernst bei der Ostalgie-Welle, die medientechnischen Bedingungen des Ostalgie-Diskurses.

Ein instruktives Argument gegen eine ausschließlich inhalts- und sinnzentrierte Aus-einandersetzung mit den Medien nennt Ernst (2004: 27f.; vgl. Ernst 2003a: 18) in Bezug auf ein Buchprojekt des Medien- und Kulturwissenschaft lers Claus Pias (2011), das den Titel Kulturfreie Bilder trägt. Es geht Pias hierbei um das Phänomen, dass es immer mehr Computer und nicht Menschen sind, die die Bilder von Satelliten oder Überwachungska-meras, die permanent unsere Erde oder unsere Erdoberfl äche zeigen, interpretieren: „Die Radikalität, mit der Bilder, elektronische Bilder, durch elektronische Medien selbst inter-pretiert werden, macht uns darauf aufmerksam, dass wir uns daran gewöhnen müssen, dass neben unserer immer nach Sinn suchenden und interpretierenden Betrachtungs-weise und unseren Beobachtungstechniken längst eine andere Realität von Beobachtung existiert, die frei davon ist, die anderen Gesetzen unterliegt – Gesetzen, die wir mit ge-macht haben. Wir haben diese Maschinen gebaut, keine Frage; es sind immer noch Men-