perspektive · 2019-02-13 · vorherrschenden modell solider langfristiger planungen als grundlage...
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perspektiveBeiträge zur Konfliktkultur
ISSN 1814-3695
Deutschland • Österreich • Schweizwww.perspektive-mediation.com
Mut zur Veränderung
1 | 2019 16. Jahrgang
Digitalisierung und Mediation aus der Anwenderperspektive
Mediation: digital versus analog
Was Digitalisierung bewirkt
Mediation und Agilität
Mediation als Profession?!
Dynamic Facilitation
Wenn Eltern unfreiwillig in die Mediation gehen
„Gewaltfreie Kommunikation“ in Unternehmen
Die Verhandlung zwischen Jakob und Laban
ZoffOff umsonst!
11|2019
Mathias Schuster, wenn sie von der Professionalisierung
der Mediation sprechen. Sie geben einen Einblick in die
derzeitige Diskussion des ÖBM, der dazu beitragen will,
Mediation so weiterzuentwickeln, dass sie flexibler auf
Bedürfnisse der Kund/-innen angepasst wird. Dass Me-
diator/-innen mehr leisten als Mediationsverfahren anzu-
bieten, wird deutlich im Artikel zum Thema „Dynamic Faci-
litation“. Mehrere Autor/-innen erläutern, was unter diesem
Begriff zu verstehen ist und wie sie in verschiedenen Pra-
xisfeldern mit diesem Ansatz arbeiten.
In der Rubrik „Weitere Beiträge“ kommen Autor/-in-
nen zu Wort, die nicht als Teilgeber/-innen des BarCamps
beteiligt waren. Tanja Lutz ist erfahren in der Führung von
behördlich angeordneten Familienmediationen. Sie stellt
eine Forschung der Berner Fachhochschule zu dieser
Praxis vor. Peter Riederer zeigt auf, wie er als Führungs-
person „Gewaltfreie Kommunikation“ einfliessen lässt. Tü-
cken der Verhandlungsführung beschreibt Ellen Birkhahn
anhand der in der Bibel dokumentierten Verhandlung zwi-
schen Jakob und Laban. „ZoffOff umsonst!“ ist ein Projekt
für Mediation im Kietz, bei dem neu einsteigende Media-
tor/-innen zusammen mit erfahrenen Mediator/-innen kos-
tenlos Mediation anbieten.
Ich wünsche Ihnen Inspiration und Ermutigung durch die
Lektüre!
Yvonne Hofstetter Rogger
Heftverantwortliche
© Verlag Österreich 2019
Perspektive|Editorial
Herausgeberteam: Benedikta Deym-Soden,
Wolfgang Dietrich, Yvonne Hofstetter Rogger
Liebe Leserinnen und Leser
Das vorliegende Heft bietet einen Rückblick auf den Me-
diationskongress 2018 der deutschen Verbände BAFM,
BM und BMWA1, der in Form eines BarCamps im Juni in
Weimar erfolgreich durchgeführt wurde. Die drei Verbände
haben das Thema „Mediation 4.0 – Mut zur Veränderung!“
gewählt. Die Verantwortlichen der drei Verbände postu-
lieren damit, dass sich Mediator/-innen aktiv an der Ge-
staltung gesellschaftlicher Veränderung beteiligen sollen.
In diesem Heftschwerpunkt sind Beiträge von Autor/-innen
publiziert, die anlässlich des BarCamps ein Referat gehal-
ten oder eine Session geleitet haben.
Schon im Heft 1-2018 ist ein Artikel als Auftakt zum
Kongress erschienen: „Verändern wir die Welt oder ver-
ändert sie uns? Digitalisierung und ihre Konfliktpotenziale“
von Alexandra Bieleke (BM). In diesem Heft kommen nun
auch Vertreterinnen der anderen beteiligten Verbände zu
Wort, nämlich Swetlana v. Bismark (BAFM) mit „Mediation:
digital versus analog“. Sie setzt sich ganz persönlich damit
auseinander, wo ihre bisherigen Präferenzen gut begrün-
det liegen und wo sie Chancen digitaler Kommunikation
für die weitere Entwicklung der Mediation sieht. Dorothea
Faller (BMWA) schreibt zum Thema „Mediation und Agili-
tät: Wie können mediative Ansätze agiles Arbeiten unter-
stützen?“ und bildet damit eine Brücke zum Schwerpunkt-
thema des nächsten Heftes, das sich Veränderungen in
der Arbeitswelt widmen wird.
Andreas Schmietendorf war einer der Keynote-Spea-
kers am BarCamp. Als Ingenieur trägt er zum technischen
Verständnis der Digitalisierung bei und betrachtet sie
zusammen mit dem Mediator, Walter H. Letzel, aus der
Anwenderperspektive. Thomas Boeger beschreibt Ent-
wicklungsphasen der Digitalisierung und illustriert deren
Auswirkungen auf die Arbeitswelt und mögliche Konflikt-
felder anhand eines fiktiven IT-Konzerns. Mut zur Verände-
rung fordern auch Barbara Günther, Thomas Robrecht und
1) BAFM = Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmedia
tion; BM = Bundesverband Mediation; BMWA = Bundesver
band Mediation in Wirtschaft und Arbeit; ÖBM = Österreichi
scher Bund der Mediatoren.
21|2019
© Verlag Österreich 2019
29 Mediation als
Profession?!
Perspektive|Inhalt
Inhalt
4 Digitalisierung und Mediation aus
der Anwenderperspektive
23 Mediation und Agilität
Perspektive|Schwerpunkt
Perspektive|Weitere BeiträgeEditorial 1
Digitalisierung und Mediation aus der Anwenderperspektive 4
Walter H. Letzel und Andreas Schmietendorf
Mediation: digital versus analog 11
Swetlana von Bismarck
Was Digitalisierung bewirkt 16
Auswirkungen auf Arbeitswelt, Mediation und dann weiter?
Thomas Boeger
Mediation und Agilität 23
Wie können mediative Ansätze agiles Arbeiten unterstützen?
Dorothea Faller
Mediation als Profession?! 29
Barbara Günther, Thomas Robrecht, Matthias Schuster
Dynamic Facilitation 34
Vertrackte Probleme einmütig lösen
Wolfgang Fiebig, Markus Götsch, Kristina Henry,
Günther Kopperger, Astrid Köppel, Tanja Schnetzer
31|2019
© Verlag Österreich 2019
29 Mediation als
Profession?!
Perspektive|Inhalt
42 Wenn Eltern unfreiwillig in die
Mediation gehen
48 „Gewaltfreie Kommunikation“
in Unternehmen
60 ZoffOff umsonst!
Perspektive|Weitere Beiträge Wenn Eltern unfreiwillig in die Mediation gehen 42
Tanja Lutz
„Gewaltfreie Kommunikation“ in Unternehmen 48
Peter Riederer
Die Verhandlung zwischen Jakob und Laban 55
Eine Betrachtung über biblische Zustände
Ellen Birkhahn
ZoffOff umsonst! 60
Kostenlose Kiezmediation – eine Konkurrenz?
Olav Berger
Impressum 10
Zur Zeitschrift 65
Perspektive|Schwerpunkt 231|2019
© Verlag Österreich 2019
Dorothea Faller
Überblick: „Zeiten des Wandels sind Zeiten der Mediation“. Dieses Zitat von Duss-
von Werdt hat auch in Zeiten von Globalisierung und tiefgreifender Veränderungen
hohe Relevanz. Haltung und Methodik der Mediation bieten die Möglichkeit, Vielfalt
zu managen, Potentiale zu nutzen und Schwierigkeiten zu bewältigen. Die agile
Welt stellt auch die Mediation selbst vor die Herausforderung, sich weiter zu entwi-
ckeln und den Bedarfen anzupassen, um handlungsfähig zu sein.
Keywords: Achtsames Führen, Achtsamkeit, Agil, Agiles Manifest, Digitalisierung,
Fehlerkultur, IT, Konsensentscheid, mindful leadership, mindfulness, Musterwech-
sel, Organisationskultur, Scrum, Selbstführung, Soziale Kompetenz, Strategische
Kompetenz, Teamführung, Teamwork.
Mediation und AgilitätWie können mediative Ansätze agiles Arbeiten unterstützen?
1. Ursprünge von Agilität
In Zeiten hoher Unsicherheit und hoher Komplexität müs-
sen Unternehmen und Organisationen schnell auf ver-
änderte Rahmenbedingungen, volatile Märkte und (ge-
sellschafts-) politische Veränderungen reagieren und ihre
Prozesse und Produkte dementsprechend anpassen
können. Dies steht in krassem Gegensatz zu dem lange
vorherrschenden Modell solider langfristiger Planungen
als Grundlage für Zukunftsfähigkeit und Weiterentwick-
lung von Unternehmen und erfordert Veränderungen in
Strukturen, Prozessen und Führungskonzepten.
Die ersten Formen agilen Arbeitens entstanden in IT-Un-
ternehmen. Zum Ende des 20. Jahrhunderts scheiterten
viele IT-Projekte, weil die Abarbeitung von Projektplanun-
gen zu lange dauerte, Fachspezialisten sich im Projekt
nicht (ausreichend) vernetzten, Kundenbedarfe sich
schnell veränderten und es wenig Räume gab, die Not-
wendigkeit von Anpassungen zu erkennen, zu diskutie-
ren und Korrekturen vorzunehmen. 2001 entwickelten in
den USA Software-Entwickler das sog. „Agile Manifest“,
das bis heute eine wesentliche Quelle für die Entwick-
lung agiler Organisationsformen ist.
Zentrale Thesen:
„Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen.
Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:
Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung
Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans
Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite
höher ein.“1
Die Prinzipien des Agilen Manifests sind durch die Kon-
kretisierungen im „Scrum“, einer strukturierten Methode
der Zusammenarbeit in IT-Projektteams, bekannt gewor-
den. Mit dem Begriff „agil“ wird heute oft die Methode
Scrum verbunden. Die Ergebnisse bei IT-Projekten ha-
ben sich durch den Einsatz von Scrum und ähnlichen
Methoden deutlich verbessert.
1) http: //agilemanifesto.org/isto/de/manifesto.html.
Perspektive|Schwerpunkt241|2019
© Verlag Österreich 2019
2. Transfer Agilen Arbeitens in andere Bereiche
Inspiriert durch die guten Ergebnisse in IT-Projekten
wurden auch andere Organisationsbereiche auf agile
Arbeitsformen aufmerksam. Interdisziplinäre Zusam-
menarbeit, Flexibilität, schnelle Reaktionsmöglichkeiten,
gute Abstimmungsprozesse sowie die Stärkung der
Eigenverantwortung von Mitarbeitenden sind für alle
Unternehmen und Organisationen attraktiv, denn sie ver-
bessern Ergebnisse und sparen Kosten.
Doch agiles Arbeiten ist nicht nur eine Methode. Damit
sich die im agilen Arbeiten liegenden Potenziale entfal-
ten können, ist eine Veränderung der mentalen Modelle
der Organisation und ihrer Mitglieder notwendig. Men-
tale Modelle sind tief verankerte Annahmen und Verall-
gemeinerungen, die unser Wahrnehmen, Denken und
Handeln bestimmen. „Sehr häufig sind wir uns dieser
mentalen Modelle oder ihrer Auswirkungen auf unser Ver
halten nicht bewusst.“2 Sie zeigen sich in der Organisa-
tionskultur, im Mindset und Handeln der Führungskräfte
sowie in Erwartungen und Verhalten von Mitarbeitenden.
Damit agiles Arbeiten zum Erfolg wird, sind Veränderun-
gen auf den Ebenen Organisation, Führung sowie Mit-
arbeitende/Teams notwendig.
Ebene Organisation
Agil arbeitende Teams benötigen klar definierte Rahmen-
bedingungen, in denen sie eigenverantwortlich agieren
und selbständig Entscheidungen treffen können, ohne
jeden Schritt absichern zu müssen. Sie brauchen die
Einladung und die Erlaubnis, außerhalb des Regulären
zu denken und zu handeln, um durch kreative Ideen
Neues zu entwickeln. Voraussetzung dafür ist ein positi-
ves Konfliktverständnis, denn agiles Arbeiten provoziert
Konflikte, geht es doch darum, die Vielfalt unterschied-
licher (Fach)-Interessen und -Meinungen im Sinne des
besten Ergebnisses zu erstreiten.
Agile Teams brauchen die Freiheit, Fehler machen zu
dürfen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Ein
Wandel der Konflikt- und Fehlerkultur wirkt sich auf die
gesamte Organisationskultur aus und erfordert eine an-
dere Führungskultur.
Ebene Führung
Ein oberflächliches Verständnis rückt die Eigenständig-
keit agiler Arbeitsformen in die Nähe von Basisdemo-
kratie und erweckt damit den Eindruck, dass Führung
in diesem Modell überflüssig sei. Das Gegenteil ist der
Fall. Agiles Arbeiten braucht Führung, aber die Anforde-
rungen unterscheiden sich von den althergebrachten
Führungsmustern. Führungskräfte sind gefordert, Rah-
menbedingungen zu schaffen, damit Teams in Ruhe
arbeiten können. Sie müssen der Fachkompetenz ihrer
Mitarbeitenden vertrauen und ihnen Eigenständigkeit
bei fachlichen Entscheidungen zugestehen. Dieser An-
spruch kollidiert mit dem vorherrschenden Führungs-
denken und postuliert eine Veränderung der bisherigen
Denkschemata und Verhaltensmuster. Klaus Doppler
beschreibt schon 2002 ein Anforderungsprofil für Füh-
rung, das im agilen Arbeiten umso wichtiger wird: „Wäh
rend es früher genügte, ein guter Fachmann zu sein, die
administrativen Vorgänge sauber abzuwickeln und eine
gewisse Amtsautorität auszustrahlen, braucht es heute
●strategische Kompetenz, um mit Unsicherheit und
Komplexität umgehen zu können
●soziale Kompetenz, um in wirtschaftlichen Turbulen
zen, betrieblichen Spannungsfeldern und Konflikten
sicher agieren zu können
●Persönlichkeit, um Sinn für Veränderungen vermitteln
und Mitarbeitende überzeugen zu können.“3
Dies wird heute in vielen Unternehmen diskutiert und
auch umgesetzt. Dennoch ist zu beobachten, dass ins-
besondere in stressigen Situationen die alten Führungs-
muster wieder Oberhand gewinnen bzw. die Organisa-
tion sich doppeldeutig zeigt: „sei modern und innovativ,
aber verändere nichts“. So werden auch die Führungs-
kräfte, die versuchen, sich anders zu verhalten, immer
wieder mit den alten mentalen Modellen, die in der Orga-
nisationskultur weiterhin wirken, konfrontiert.
Es sind vor allem 7 Muster, die die Realität des Füh-
rungsalltags in weiten Bereichen nach wie vor bestim-
men. Diese Muster werden im Folgenden benannt, in
der Unterzeile sind kursiv die Anforderungen an Führung
im agilen Arbeiten aufgezeigt.
(1) Der Kult der Einzelverantwortung
Jeder trägt mit seinen Kompetenzen zur Entwicklung
tragfähiger Lösungen bei.
Eine gelebte Fehlerkultur ist für agiles Arbeiten uner-
lässlich, denn die Entwicklung von Neuem findet
nicht in der sicheren Komfortzone statt.
»
2) Senge 2001: 17.
3) Doppler 2002: 65ff.
Perspektive|Schwerpunkt 251|2019
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(2) Die Angst vor Kontrollverlust
Führung schafft Rahmenbedingungen und Prozesse,
damit Teams in Ruhe arbeiten und ihr Potenzial im
Sinne der Aufgabe einsetzen können. Sie kontrolliert
Ergebnisse, nicht Personen.
(3) Das Denken in Positionen und Status
Entscheidend sind Kompetenzen, Erfolge sind ge
meinsame Erfolge.
(4) Die Dominanz des Sachlichen
Die soft facts sind die entscheidenden Faktoren.
(5) Das Festhalten am Dogma des Informationsvor-
sprunges
Nur wenn alle ihr Wissen zusammentragen, kann die
Aufgabe erfolgreich bewältigt werden.
(6) Die Konzentration auf den kurzfristigen Erfolg
Erfolge sind in das Gesamte eingebettet und stellen
Nachhaltigkeit sicher.
(7) Die Abwehr von Fehlern und Konflikten
Fehler und Konflikte sind für Weiterentwicklung und
Veränderung notwendig, entscheidend ist ein kon
struktiver Umgang.
Ebene Mitarbeitende / Teams
Agile Teams sind interdisziplinär besetzt. Schon die ver-
schiedenen Fachlogiken und ihre Herangehensweisen
können Konflikte auslösen. Für die ersten Ansätze agilen
Arbeitens werden in der Regel Personen ausgewählt, die
in ihrer Fachdisziplin besonders gute Leistungen erbrin-
gen. Diese haben oft sehr klare Vorstellungen, wie Ar-
beitsprozesse und Zusammenarbeit zu gestalten sind,
um (aus Sicht dieser Profession) zu guten Resultaten zu
kommen. Erfolge agiler Teams entstehen jedoch nicht
durch Einzelleistungen, sondern nur durch die Zusam-
menarbeit der Disziplinen.
Das erfordert ein hohes Maß an Meta-Kommunikation,
Teamfähigkeit und Bereitschaft, Verantwortung zu über-
nehmen. Es versteht sich von selbst, dass diese Arbeits-
form nicht für jede/n Mitarbeitende/n geeignet ist und
dies auch nicht das Ziel sein kann.
3. Unterstützung durch mediative Ansätze
Ausgehend von der Hypothese, dass agiles Arbeiten
als Arbeitsform selbst Konflikte auslöst und gleichzeitig
konstruktive Auseinandersetzungen braucht, um gute
Ergebnisse zu erzielen, liegt der Gedanke an Media-
tion nahe. Entscheidend ist ein organisationsorientierter
Mediationsansatz, der Konflikte und ihre Wirkungen tria-
disch aus den Blickwinkeln Organisation, Einzelne und
Zusammenarbeit betrachtet und Unternehmen in der
Weiterentwicklung ihrer Konfliktfestigkeit – die Fähigkeit
des Unternehmens, mit Konflikten konstruktiv umzuge-
hen – unterstützt. MediatorInnen müssen sich auf die
Damit dies gelingt, müssen Mitarbeitende bereit und
in der Lage sein, ihre eigene Arbeitsweise transpa-
rent zu machen, die Hintergründe und Vorgehens-
weisen anderer Fachdisziplinen zu verstehen und
sich dementsprechend abzustimmen.
»
Perspektive|Schwerpunkt261|2019
© Verlag Österreich 2019
Bedarfe und Besonderheiten agilen Arbeitens einstellen
und dementsprechende Angebote machen. Im Folgen-
den werden zu den unter Punkt 2 genannten Ebenen An-
sätze mediativer Unterstützung aufgezeigt.
Ebene der Organisation
Agiles Arbeiten hat Auswirkungen auf die gesamte Or-
ganisation, auch wenn es zunächst nur in einzelnen Zel-
len oder Bereichen eingeführt wird und sollte sorgsam
gestaltet werden. Die Scheinwerfer der Aufmerksamkeit
richten sich auf das „Experiment“, möglicherweise ge-
speist von (überhöhten) Erfolgserwartungen oder skepti-
schem Misstrauen („das kann doch nichts werden“ oder
„hoffentlich wird das nicht auch bei uns eingeführt“), so
dass Misserfolge, Konflikte oder Schwierigkeiten beson-
ders beachtet und bewertet werden. Die Organisation
muss sich mit Zielen, Möglichkeiten und Grenzen agilen
Arbeitens in bestimmten Arbeits- oder Themenberei-
chen auseinandersetzen und diese kommunizieren, um
unrealistischen Erwartungen und einer Überforderung
der beteiligten Personen entgegenzuwirken.
Die bisherige Organisationskultur beeinflusst die Ein-
führung und die Erfolgschancen agilen Arbeitens maß-
geblich. In hierarchischen oder stark durch Gesetze und
Vorgaben reglementierten Unternehmen muss die Imple-
mentierung agiler Arbeitsformen anders gestaltet werden
als in eher flachen Hierarchien. Damit agiles Arbeiten
nicht durch unflexible, bürokratische oder hierarchische
Schnittstellen und Kommunikationswege behindert wird
und vermeidbare Konflikte gar nicht erst entstehen, ist
eine achtsame Gestaltung der Kooperation an Schnitt-
stellen und der Regelkommunikation notwendig.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Entwicklung einer
gelebten Konflikt- und Fehlerkultur. Dies wird in vielen
Unternehmen diskutiert und auch propagiert, doch in
der Praxis werden Fehler weiterhin häufig sanktioniert,
Schuldige gesucht und Konflikte als Versagen von Ein-
zelnen interpretiert.
Dies hilft dem Unternehmen, einen positiven Konflikt-
begriff zu entwickeln und die in Fehlern und Konflikten
liegenden Chancen zu nutzen.
Damit agiles Arbeiten erfolgreich werden kann, muss
die Organisation entsprechende Rahmenbedingungen
schaffen, bisherige Strukturen überprüfen und ggf. an-
passen, Ressourcen zum Aufbau von Kompetenzen bei
Fach- und Führungskräften zur Verfügung stellen, eben-
so Begleitung für agile Arbeitsformen.
Werden diese Aspekte im Vorfeld agilen Arbeitens oder
im Rahmen einer Konfliktbearbeitung mit einer/m orga-
nisationsorientierten MediatorIn diskutiert, unterstützt
diese/r neben der Bearbeitung des konkreten Konflik-
tes die Weiterentwicklung der Organisation im Aufbau
einer Fehler- und Konfliktkultur. Dazu brauchen Media-
torInnen neben Mediationskompetenz Verständnis für
die Arbeitsprozesse in Organisationen und durch agiles
Arbeiten ausgelöste Veränderungen.
Ebene Führung
Wie schon beschrieben stellt agiles Arbeiten hohe An-
forderungen an Führungskräfte. Es ist nicht einfach,
die vertrauten, Halt und Sicherheit gebenden Muster zu
verändern, während die Widersprüche und Beharrungs-
tendenzen der Organisation weiterhin wirksam sind. Ein
Musterwechsel ist kein kognitiver Akt, vielmehr sind zur
Veränderung von Verhaltensmustern Instrumente und
praktische Werkzeuge notwendig. Es gibt kein absolu-
tes Konzept für diesen Musterwechsel, die Wege sind
sehr individuell. Führungskräfte, die eine Mediations-
ausbildung absolviert haben, beschreiben den Einsatz
mediativer Elemente in ihrem Führungsalltag als gro-
ße Bereicherung. Aus unserer langjährigen Arbeit mit
Führungskräften haben mein Mann, Kurt Faller, und ich
unser Konzept „Mindful Leadership“ entwickelt, in dem
mediative Ansätze mit Achtsamkeit verbunden werden.4
Das Konzept fokussiert auf drei Ebenen
● leading self – Selbstführung
● leading others – Teamführung
● leading organisations – Führung über Strukturen
und „weiche“ Managementsysteme
Es ist notwendig, dass eine Konfliktdefinition zwi-
schen personellen, strukturellen und / oder materi-
ellen Anteilen von Konflikten unterscheidet und dem-
entsprechende Bearbeitungsformen anbietet.
»
4) Faller, Faller 2018.
Perspektive|Schwerpunkt 271|2019
© Verlag Österreich 2019
Diese Ebenen müssen einzeln bedacht und bearbeitet,
aber gleichzeitig auch immer wieder verbunden werden.
Bei der „Selbstführung“ geht es um die persönliche
Haltung im Führungshandeln. Eine Führungskraft muss
zunächst sich selbst steuern, bevor sie andere Men-
schen aktiv und effektiv beeinflussen und führen kann.
Dazu benötigt sie gut entwickelte Selbstwahrnehmung
(Selbstempathie), sowie eine reflektierte Sichtweise auf
ihre Person und ihr Handeln. Auf dieser Grundlage ist
sie in der Lage, bei der Erreichung von Zielen die Auf-
merksamkeit nicht nur auf die faktischen Bedingungen
zu richten, sondern vor allem auf das „Wie“.
Für die „Teamführung“ entwickelt eine Führungskraft
konkrete Fähigkeiten für eine werteorientierte und acht-
same Personalführung. Schwerpunkte sind Kompe-
tenzen und Instrumente, mit Komplexität umzugehen,
Sensibilität für Abläufe und Beziehungen zu entwickeln,
Mitarbeitende zu fördern und mit Leitplanken zu führen.
Bei „Führung durch Strukturen und organisationale
Achtsamkeit“ steht die Veränderung von Verfahren und
Strukturen bei verschiedenen Kernthemen der Perso-
nalführung im Mittelpunkt. Schwerpunkte sind die Ent-
wicklung von Dialog-, Feedback- und Fehlerkultur und
entsprechenden Verfahren, sowie die Implementierung
von Konfliktmanagementsystemen.
In der Unternehmenswelt gelten Autorität, Souveränität,
Sicherheit und Durchsetzungsstärke immer noch als
zentrale Führungskompetenzen. Zweifellos sind diese
wichtig, doch eine einseitige Dominanz dieser Aspekte
bewirkt, dass die Kehrseiten – Unsicherheiten, die Last
der Verantwortung, das Spannungsfeld widersprüch-
licher Erwartungen, Ängste vor Fehlentscheidungen
u.ä. – nicht gesellschaftsfähig sind und eher tabuisiert
werden. Als Folge spalten etliche Führungskräfte diese
Aspekte ab, wodurch sie den Kontakt zu sich selbst ver-
lieren.
Sie sind Indikatoren für das Handeln von Führungskräf-
ten, insbesondere in komplexen und unsicheren Um-
welten. Andere Führungskräfte tragen unerwünschte
Empfindungen mit sich selbst aus, was enorme innere
Belastungen erzeugt. Dies ist ein Hintergrund, weshalb
viele Führungskräfte (oft ohne Wissen des Unterneh-
mens) Coaching in Anspruch nehmen; dort können sie
im geschützten Rahmen Unsicherheiten thematisieren
und die – energetisch hoch aufwändige – Fassade von
Souveränität und Unangreifbarkeit ablegen.
Die Chancen für Veränderungen der Führungsmuster
sind am größten, wenn der Musterwechsel als Organisa-
tionsaufgabe zur Weiterentwicklung der Führungskultur
verstanden wird und nicht als individuelles Thema der
einzelnen Führungskraft. In Inhouse-Fortbildungen zu
mediativer und achtsamer Führung erleben Führungs-
kräfte, dass andere ähnliche Themen haben und dass
Professionalität bedeutet, einen guten Umgang damit
zu finden.
Es hat sich bewährt, Führungskräfte in diesen Semi-
naren gleichzeitig auch in Kollegialer Fallberatung zu
schulen und regelmäßige Treffen in den Arbeitsalltag zu
integrieren, um einander dauerhaft in der Führungstätig-
keit zu unterstützen.
In Inhouse-Seminaren können außerdem gemeinsam
Strukturen entwickelt und Schnittstellenprobleme be-
sprochen werden, um die nötigen Rahmenbedingungen
für agiles Arbeiten zu schaffen.
Ebene Mitarbeitende / Teams
Agiles Arbeiten erfordert von Teams ein hohes Maß an
Eigenverantwortung, intensive Kommunikation, Trans-
parenz und konstruktive Auseinandersetzungen. Neben
fachlichen Qualifikationen sind bei der Zusammenstel-
lung von Teams auch diese soft skills relevant.
Vor der Aufnahme der operativen Arbeit empfiehlt sich
ein Teambuildingprozess, in dem die Grundlagen der in-
terdisziplinären Zusammenarbeit sowie die Ausrichtung
auf das gemeinsame Ziel erarbeitet werden. Verständnis
des Ziels und Commitment der Teammitglieder mit dem
Ziel werden im Laufe der Zusammenarbeit immer wieder
aktualisiert; bei Differenzen und Auseinandersetzungen
stellt es den Bezugsrahmen dar, dem Einzelinteressen
untergeordnet werden.
Im Rahmen der Teamentwicklung werden die unter-
schiedlichen Herangehensweisen verschiedener Profes-
sionen und das daraus resultierende Konfliktpotenzial
thematisiert sowie Wege des Umgangs entwickelt. Sind
Teams darauf vorbereitet, dass agiles Arbeiten Konflikte
provoziert und dies sogar gewollt ist, reduziert sich die
Schwere und die häufig primär persönliche Konnotation
von Konflikten:
Wer keinen Kontakt zu sich selbst hat, kann auch
nicht wirklich mit anderen im Kontakt sein. Dabei ist
auch die Wahrnehmung von Ängsten und Unsicher-
heiten wichtig und ernst zu nehmen.
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Perspektive|Schwerpunkt281|2019
© Verlag Österreich 2019
Viele Konflikte im Berufsleben liegen in differierenden
Vorstellungen von guter Arbeit, in unterschiedlichen Her-
angehensweisen oder in unausgesprochenen Erwartun-
gen z.B. an Zusammenarbeit begründet. Wenn sie auf
dieser – noch vorwiegend sachlichen – Ebene frühzeitig
geklärt werden können, treten persönliche Aspekte wie
Sympathien und Antipathien in den Hintergrund und die
Arbeitsfähigkeit bleibt erhalten.
Die beste Prävention in Bezug auf Konflikte ist regel-
mäßiges Feedback. Agiles Arbeiten sieht regelmäßige
und häufige Feedbackschleifen vor. Dahinter steht der
Gedanke, dass Fehlentwicklungen und sich anbahnen-
de Konflikte gut justiert oder bearbeitet werden können,
wenn sie frühzeitig erkannt und thematisiert werden.
Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit der Meetings sind
entscheidend, um im fachlichen und persönlichen Kon-
takt die eigene Arbeit mit den KollegInnen zu synchroni-
sieren. Damit die Besprechungszeit als ebenso wichtig
erlebt wird wie die „eigentliche“ Arbeit, müssen ihr Sinn
und Struktur gegeben werden. Im agilen Arbeiten ha-
ben sich zwei Formen bewährt: häufige kurze Meetings
(von 3 Mal wöchentlich bis täglich) und längere Mee-
tings (z.B. 14-täglich oder monatlich), in denen einzel-
ne Punkte und auch die Qualität der Zusammenarbeit
intensiver besprochen werden. Die Erarbeitung pas-
sender Besprechungsstrukturen, ihre Gestaltung sowie
das Erlernen und Einüben von Feedback sind wichtige
Schwerpunkte der Teamentwicklung.
Agiles Arbeiten erfordert Mut, sicheres Terrain zu ver-
lassen und Neues zu wagen. Dabei kann man nicht auf
Erfahrungen und Sicherheiten zurückgreifen. Wirkun-
gen des Neuen können nicht immer antizipiert werden.
Teams müssen Risiken eingehen und einen Umgang
mit Bedenken, Hindernissen und Widerständen finden,
um handlungsfähig zu sein. Findet ein Team bzgl. strit-
tiger Punkte keinen Konsens, werden im agilen Arbei-
ten Konsens-Entscheidungen getroffen, d.h. etwas wird
umgesetzt, sofern es keine begründeten Einwände gibt.
Diese Entscheidungen werden nach der Umsetzung
überprüft und ggf. modifiziert. Auf diese Form der Ent-
scheidungsfindung muss sich ein Team vorbereiteten.
Agile Teams brauchen externe Unterstützung in der
Teamentwicklung, kontinuierliche Begleitung während
der Arbeitsphase und natürlich bei akuten Konflikten.
Schulungen zu Kommunikation und Konfliktkompetenz
runden das Bild ab. Diese Investitionen sind ein wichti-
ger Erfolgsfaktor agilen Arbeitens.
Fazit: Was kann Mediation, was können MediatorIn-
nen tun?
Auf den Beratermarkt strömen zunehmend „Agile Coa-
ches“, die als Interne oder Externe auch die Bearbeitung
von Konflikten anbieten. In der Praxis agieren diese
jedoch häufig als Fachberater. Insofern sind die Kom-
petenzen von MediatorInnen bei den Themen Konflikt-
kompetenz, Führen mit mediativer Kompetenz, Konflikt-
bearbeitung, Konfliktprävention und Entwicklung von
Strukturen zur Konfliktbearbeitung hochaktuell für agile
Organisationsformen. Maßgeblich ist, dass MediatorIn-
nen ihre Kernkompetenz um Organisationskenntnisse,
Grundlagen agiler Arbeitsprozesse, Erfahrungen in der
Arbeit mit Gruppen und Teams sowie Coachingkompe-
tenzen erweitern und ihre Arbeitsansätze mit den Pro-
zessen der Organisationen verbinden. Nur so werden
Unternehmen Mediation und MediatorInnen als Unter-
stützung wahrnehmen und anfragen.
Literatur
Ballreich, R./Breuninger-Ballreich, S. (2018): Selbststeue-rung und Empathie. DVD, Stuttgart.
Doppler, K./ Lauterbach Ch. (2002): Change Management. Frankfurt a.M.
Faller, D./ Faller K. (2018): Achtsames Management. Frank-furt a.M.
Faller, K. (2014): Konfliktfest durch Systemdesign. Stuttgart.Senge, P. (2001, 5. Auflage): Die fünfte Disziplin. Stuttgart.
Nicht „er ist schwierig oder unmöglich“, sondern „sie
verhält sich aufgrund ihrer Berufsbiografie anders
als ich“.
»
Kontakt
Dorothea Faller ist Lehrmediatorin BMWA®, Superviso-rin und Coach DGSv, Organisationsberaterin, Trainerin für Mindfulness in Organisationen und seit 2016 Vor-standsmitglied des BMWA®. Als Gesellschafterin der Medius GmbH – Konfliktma-nagement und Organisationsentwicklung – in Münster/Westfalen sind ihre Arbeitsschwerpunkte Konfliktbe-arbeitungen, Prozessbegleitungen, Ausbildung von Mediatorinnen und Trainings für Führungskräfte. Die Verbindung von Achtsamkeit mit Organisations- und Führungsprozessen ist ihr ein besonders Anliegen. [email protected]