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Download Philosophie Geschichte Philosophiegeschichte Kimmerle... · 6 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Band 1: Einleitung in die Geschichte der Philosophie, hg. von

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  • PhilosophieGeschichtePhilosophiegeschichte

    vonHeinzKimmerle

    EinleitendeberlegungIneinemphilosophischenDiskursberdieGeschichte indemumfassendenSinneinerzeitlichenErfassungallesdessen,wasinderWeltgeschieht,werdenzweiGrenzueinander insVerhltnisgesetzt,nmlichPhilosophieundGeschichte.DieKlrungdiesesVerhltnissesbildeteinwichtigesProblem fr Philosophen undGeschichtswissenschaftler.Dabei hat aberdiePhilosophieselbstaucheineGeschichte. JedenfallskenntsieeineneigenenzeitlichenVerlauf.DiesedritteGre istsomit in ihremVerhltniszudenbeidenanderenzudurchdenken.DasfhrtzudendreifolgendenFragen: (1)WiegehrenPhilosophieundGeschichtezusammen? (2)WieverhltsichdiePhilosophiezuihrereigenenGeschichte?Und(3)WieverhaltensichGeschichteundPhilosophiegeschichtezueinander?UmzueinerKlrungdesVerhltnissesallerdreiGrenzueinanderzugelangen,wirdes in philosophischerHinsicht hilfreich sein zu untersuchen,wie es vonmagebendenPhilosophenbestimmtwordenist.ZugleichwirdjedochdasaufgeworfeneProblemaufdieseWeisenochumeineStufekomplizierter.DieunterschiedlichenBestimmungendesVerhltnissesderdreigenanntenGren zueinander durch verschiedenemagebliche Philosophen habenihrerseitseineGeschichte.EsgehtalsoumdasVerhltnisvonPhilosophie,GeschichteundPhilosophiegeschichtezueinanderundumdieGeschichtediesesVerhltnisses.Wennwirnunmehruntersuchen,wasHegelundNietzsche,Derridaund

    VertreterderinterkulturellenPhilosophiezumVerhltnisvonPhilosophie,GeschichteundPhilosophiegeschichtegesagthaben,entstehteinweiteresProblem, soferneineAuswahlvonPhilosophengetroffenworden ist,diegeschichtlich nacheinander aufgetreten sind, ohne da wir wissen, waseinesolcheAnordnungbedeutet.Es ltsichauch imvorhineinnichtbe

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    grnden,warumgeradediesePhilosophenoderVertreterphilosophischerStrmungenzurKlrungdesangegebenenProblemsausgewhltwordensind,auerderTatsache,dasiechronologisch,imBlickaufdieJahreszahlen ihres Lebens und Denkens, aufeinander folgen. Im brigen ist dieAuswahl zufllig oder intuitiv getroffen.ErstwenndieUntersuchungenerfolgtsind,ltsichsagen,inwelchemSinndamiteinStckPhilosophiegeschichte geschrieben ist undwie dieses zur Philosophie und zur GeschichteinsVerhltniszusetzenist.

    DiePhilosophiederWeltgeschichteunddieeuropischePhilosophiegeschichte

    alsdieinnereStrukturderWeltgeschichtebeiHegelFrHegelheitPhilosophiebetreiben,einSystemderPhilosophiezuentwerfenoderaufzustellen.JedenfallsistdassoseitervomJahr1800anausdrcklichanEntwrfenfreineigenesSystemderPhilosophiearbeitet.IndenfrhestenberlegungenundKonzeptionenzueinemSystemderPhilosophiegehtHegeldavonaus,dadiePhilosophiehnlichwiedieKunstkeineGeschichtehatimSinneinesFortschreitensvonfrherenzuspteren.DiePhilosophieunddieKunsthabenvielmehrzujederZeitdieselbeAufgabezulsen,nmlichihreZeitinGedankenoderinsthetischenFormenauszudrcken.Das istzu jederZeitaufeigeneundgenuineWeisezu leisten. Zusammenfassend hat Hegel diese Auffassung in dem AbschnittGeschichtliche Ansicht philosophischer Systeme in dem ersten unterseinemNamen verffentlichten BuchDifferenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie von 1801 dargelegt.1 Diese Konzeptionwird im letztenParagraphendesvorliegendenTextesnocheinmalaufgegriffenunddorteineentscheidendeRollespielen.ImZugederEntwicklung seinesDenkensvertrittHegel sehrbaldeine

    andereAuffassung. 1805 trgt er in seinen Vorlesungen zum erstenmaleine GeschichtederPhilosophievor, inderdieeuropischePhilosophievor ihmeineArtVorgeschichtezurPhilosophieseinerZeit, letztenEndeszuseinemeigenenSystemderPhilosophiebildet.Indemammeistenaus

    1 G.W.F.Hegel,GesammelteWerke, hg. imAuftrag derDeutschen Forschungs

    gemeinschaft, Band 4: JenaerKritische Schriften, hg. vonH. Buchner undO.Pggeler,Hamburg1968,S.192,s.bes.912.

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    gearbeitetenSystem,wieeres1817,1827und1830 in seinerEnzyklopdieder philosophischenWissenschaften inUmrissenvorgelegthat,hat alles, sowohlimGebietdesreinenDenkens,alsauchinderWeltderNaturundindermenschlichgesellschaftlichenWelt,dieerauchdiegeistigeWeltnennt,seinenbegrndetenOrt.DieGeschichte imallgemeinenoderdieWeltgeschichtegehrt indieDarstellungdermenschlichgesellschaftlichenWelt,dieinHegelsSysteminderPhilosophiedesGeistesdargebotenwird.DiePhilosophiedesGeistesumfatAbschnitteberden subjektiven,objektivenund absolutenGeist.AmEndeder Philosophiedes objektivenGeistes,inderdierechtlichen,moralischen,gesellschaftlichenundpolitischenVerhltnissedergeistigenWeltbehandeltwerden,kommtderenGewordenseinzurSprache.DerobjektiveGeistinderGesamtheitseinerVerhltnisse fatsichzusammen imStaat.Weltgeschichte istdeshalbGeschichtevonStaaten.Damitistauchgesagt,daeskeineGeschichteoderTeilhabeanderWeltgeschichtegibt,wosichdiepolitischeOrganisationsformeinesStaatesnichtherausgebildethat.2AuerderallgemeinenoderWeltgeschichtebehandeltHegel inderen

    zyklopdischen Darstellung seines Systems der Philosophie und in denzugehrigen ergnzenden und konkretisierenden Vorlesungen noch besondere geschichtliche Entwicklungen.Dabei geht es um dieGeschichtederKunst,ReligionundPhilosophie,dasheitdiebesonderengeschichtlichenEntwicklungen,die zudenAbschnittendes letztenTeils seines Systemsgehren,dasdiePhilosophiedesabsolutenGeisteszurDarstellungbringt.VondiesenbesonderengeschichtlichenEntwicklungen ist imZusammenhangdiesesArtikelsdieGeschichtederPhilosophie relevant,aufdieichweiteruntenetwasnhereingehenwerde.InderumriartigenoderenzyklopdischenDarstellung seinesSystems

    derPhilosophiegibtHegelamEndeder PhilosophiedesobjektivenGeistesdieWeltteilean,indenenderWeltgeistStaatsformenhervorgebrachthat,welchedieGrundlageihrerZugehrigkeitzurallgemeinenGeschichteoderWeltgeschichteausmachen.InmehrfachvorgetragenenVorlesungenzur Philosophie derWeltgeschichte hat er dieseDarstellungwesentlichausgebaut und konkretisiert. Bekanntermaen bewegt sich nach dieser

    2 Hegel,EnzyklopdiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrisse(1830),

    hg.vonF.NicolinundO.Pggeler,Hamburg1959,S.426439.(548552.)

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    DarstellungderWeltgeistvondenStaatendesOrients,indeneneinerfreiist, nmlichderdespotischeHerrscher,berdieReicheder griechischenundrmischenAntikemit ihrenaristokratischenGesellschaften, indeneneinige freisind,zummodernenVerfassungsstaat imEuropanrdlichderAlpen,indemallefreisind.DieserGangderWeltgeschichtewirdvonHegel insgesamtalsFortschritt imBewutseinderFreiheitcharakterisiert.IndereigenenGegenwartistnachHegelsAuffassungdasZieldiesesFortschrittsunddamitdasEndederGeschichteerreicht.DerweitereFortgangdesWeltgeschehenswirddannnochdieinnereFestigungunddenuerenAusbau dieses End undVollendungszustandes derGeschichtemit sichbringen.3TatschlichhatHegeldamitdieVorgeschichtedeseuropischenVerfas

    sungsstaatesrekonstruiert,diealseinemglicheLiniegeschichtlichenWerdens in derWelt ernstzunehmen ist. Der Anspruch, damit dieWeltgeschichtealsdieGesamtheitallerrelevantenzeitlichenEntwicklungendargestellt zu haben, lt sich indessen nicht verteidigen.UnddasZieldesFortschritts,die sogenannteFreiheit aller, ist inWahrheitnichts anderes,alsdadieerwachsenenmnnlichenBrger indeneuropischenStaatenbestimmte verfassungsmig garantierte Rechte haben. Da Hegel annimmt,indenenormgroenTeilenderWelt,diedurchihnvonderWeltgeschichteausgeschlossenwerden,habeeskeineStaatenundfolglichkeineGeschichtegegeben,istdurchseinemangelhafteInformiertheitunddieinseinerZeitgngigenVorurteilebedingt.4DiepolitischenSystemederGesellschaftenimInnerenAsiens,indenbeidenAmerikasundinAustralienvor der Kolonisierung und Europisierung, sowie schlielich in AfrikasdlichderSaharawareninWirklichkeituerstvielfltig,habenimLaufderZeitbestimmteVernderungenundEntwicklungendurchlaufenundsind sehr hufigmit den Staatsformen derWeltteile zu vergleichen, dienachHegelsDarstellungdieWeltgeschichteausmachen.Die eigentlicheBegrndung frdieKonstruktionderLiniegeschichtli

    chenWerdens, die Hegel dieWeltgeschichte nennt, liefert indessen imKontext seinesDenkensdieGeschichtederPhilosophie.DiePhilosophie

    3 Hegel,VorlesungenberdiePhilosophiederWeltgeschichte,Band1:DieVer

    nunftinderGeschichte,hg.vonJ.Hoffmeister,Hamburg1966,S.242257.4 Ebenda,S.187241.

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    hat ihreeigeneGeschichte,diedie innereStrukturderWeltgeschichtebildetunddiederenVerlaufbegrndet.DieGeschichtederPhilosophie findetdann ihrerseits ihreBegrndung inderEntfaltungoderbesserSelbstentfaltungdes reinenDenkens,dieHegel indendreiBndenseinerWissenschaftderLogik (1812/13/16)dargestellthatunddie eralsdiegrundlegende Prsentation der dialektischenMethode versteht.Die SelbstentfaltungdesreinenDenkens istzugleichdieDarstellungderabsolutenFreiheit;denndieses istnurderStrengeundderStringenzseinerselbstundkeiner von auen kommendenAutoritt verpflichtet, seidiese nun politisch,religisoderwieauchimmermotiviert.5DieGeschichtederPhilosophieistdieEntfaltungderBestimmungendesreinenDenkensinderZeit.Dabei lassensichaufgrundzuflligerhistorischerBedingtheitennicht immerdiegenauenzeitlichenEntsprechungenzudeninderLogikentwickeltenBegriffen aufzeigen.Die sogefundeneGeschichtederPhilosophie istes,diederinsichdialektischenStrukturderWeltgeschichtezugrundeliegt.ImOrientgibteskeinePhilosophie,sondernallenfalls Vorformender

    Philosophie.Dort gibt esdementsprechend keine Freiheit, auerderdesDespoten. InderKulturdergriechischenAntikebildetsichalsAntithesedazuheraus,dasichdasDenkenaufsichselbststelltunddamitdieabsoluteFreiheitderPhilosophie,genauergesagtderechtenodereigentlichenPhilosophiebegrndet,dieabernochnichtdasPrinzipderSubjektivittkennt.Dementsprichtes,dadierealeFreiheit inderAntike frdie freienBrger schonvorhanden ist;aberbegrenztbleibt,weilesnochdieSklavereigibt.MitDescartesundderPhilosophiederNeuzeitkommteszueinerSynthese, indemdasPrinzipderSubjektivittEinzughlt insreineDenken,dassichsomitseinesTrgersversichertundkeineAutorittauersichmehranerkennt.DadieGeschichtederPhilosophieinHegelseigenem System der Philosophie, insbesondere in der diesem SystemzugrundeliegendenWissenschaftderLogik, ihrEnde findet, indemdergesamtevorherigeGangderGeschichtederPhilosophiesichzusammenfat,hatseineEntsprechung indemerwhntenEndundVollendungszustand

    5 Hegel,WissenschaftderLogik,hg.vonG.Lasson,Hamburg1963,Band1,S.23

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    derWeltgeschichte,derindemmodernenVerfassungsstaatunddendaringegebenenFreiheitsrechtenderBrgererreichtist.6Somit istHegelsPhilosophiebegriffderGrundfrseineKonzeptionder

    Philosophiegeschichte,dieihrerseitsdenGangderWeltgeschichtebegrndet.AlsdereigentlicheGrundderWeltgeschichteundderGeschichtederPhilosophieerweistsichdieSelbstentfaltungdesreinenDenkens,dassichinabsoluterFreiheitvollzieht.DasvonHegelsogenannte reineDenkenbedient sich aberderdeutschenSpracheundder inEuropaverfgbarenDenkmitteldesbeginnenden 19. Jahrhunderts.DiePhilosophiegeschichteistdieDarstellungderSelbstentfaltungdesvermeintlichreinenDenkensinderZeit,vonihrenVorformenimOrientundihreneigentlichenAnfngen indereuropischenAntikebis indieGegenwartEuropasamBeginndes19.Jahrhunderts.DementsprichtdieStrukturderWeltgeschichte,dieeinenuneigentlichen,weilaufdieFreiheiteinereinzelnenPersonbegrenztenAnfangimOrienthat,dereneigentlicheGeschichtesichdanninEuropavollziehtundimEuropaderNeuzeitzurVollendungkommt.DieGeschichtederPhilosophieunddurchderenVermittlungdieWelt

    geschichtesindalso letztlichbeiHegel inderSelbstentfaltungdes reinenDenkensbegrndet.Soferndiesesvermeintlich reineDenkenaber inderSpracheundmitdenDenkmittelnEuropasimbeginnenden19.Jahrhundertausgearbeitetwird,liegtdenKonzeptionenderPhilosophiederGeschichteundderWeltgeschichte ein eurozentrischerPhilosophiebegriff zugrunde.DemgemspielensichPhilosophiegeschichteundauchWeltgeschichteimeigentlichenSinnnur inEuropaab.SofernauereuropischeVerhltnissebercksichtigtwerden,handelt es sichumVorformenoderuneigentlicheFormendereuropischengeschichtlichenEntwicklungen.DieBegrndungdieser eurozentrischenDenkweise steht und fllt alsomit derAnnahmederMglichkeiteinesreinenDenkens,diesichaufgrunddersprachlichenVerfatheitunddergesellschaftlichgeschichtlichenBedingtheitdesDenkensnichtalshaltbarerweist.

    6 Hegel,VorlesungenberdieGeschichtederPhilosophie,Band1:Einleitung in

    dieGeschichtederPhilosophie,hg.von J.Hoffmeister,Hamburg1966,S.223252.

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    NeueinhaltlicheBestimmung,geographischeBegrenzungundZeitperspektivederPhilosophieundderGeschichtebeiNietzsche

    FrHegel istdasZielunddamitauchdasEndederGeschichte,dieVerwirklichungder Freiheit fr alle (erwachsenenmnnlichen europischenBrger)inseinereigenenGegenwarterreicht.DiesistdasErgebnisstndigenFortschrittsimBewutseinderFreiheit.BeiNietzschendertsichdieinhaltlicheBestimmungdessen,worumesinderPhilosophieundderGeschichtegeht,undauchderengeographischeBegrenzungaufEuropasowiedieZeitperspektiveeinesZielsoderEndesderGeschichte inderGegenwart.HegeldenktdieWeltgeschichte alsGeschichteder Staatsverfassungen,

    die vomWeltgeist und letzten Endes vom Vollzug des reinenDenkensgesteuertwird.BeiNietzsche istdas,wasden InhaltdesgeschichtlichenGeschehensausmacht,einKonglomeratvonBeziehungenzwischenMenschen,dasmanKulturnennenkann.DieWertesindmagebend,andenensichdieMenschenorientieren.DabeispielenbestimmtegeistigeoderseelischeKrfte eine entscheidendeRolle,dieaber imKrperverankert sind.Nietzsche sprichtvonder groenVernunftdesLeibesundwendet sichgegendieVerachtungdesLeibesimChristentum.DieantikegriechischeKultur istein tragenderAnfang frdiegesamteweitereeuropischeGeschichte.SiehatihrenMittelpunktinderKunst,dieimmeraucheinesinnlichkrperliche Seite hat, und besonders in der Tragdie. Dabei gilt esnichtnurfrdieGriechen,wasinNietzschesFrhwerkDieGeburtderTragdieausdemGeistderMusikvon1871mehrfachgesagtwird,danuralssthetischesPhnomendasDaseinderWeltgerechtfertigtist.7In der Tragdiewird ein Gleichgewicht der Krfte des Dionysischen,

    Rauschhaften, Dynamischen und des Apollinischen, gedanklich Klaren,Geordneten angestrebt. Dieses Gleichgewicht wird durch die Tragdieimmerwieder inFragegestelltundauch immerwiedererkmpft.Nietzsche sieht zunchst inder tragischenKulturderGriechen imSinnSchopenhauerseinepessimistischeGrundstimmungimBlickaufdasLebenunddieKulturausgedrckt. In seinem15 Jahre spterenVorwortzudemer 7 F.Nietzsche,SmtlicheWerke.KritischeStudienausgabe in15Bnden,hg.von

    G.Colli/M.Montinari,Mnchen/Berlin1980,Band1,S.17.

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    whntenFrhwerkmnzterdiesenGedankenumund fragt,obderPessimismusnicht auch einZeichenderStrke seinkann.Denn inzwischenhatZarathustraimNamenNietzschesdasgroeJazumLebenmitseinenLicht und Schattenseiten verkndet und dieMenschen das Lachen gelehrt.8VonAnfanganistNietzscheberzeugt,dadiegriechischeKulturnicht

    einoriginreuropischesProduktist.DieGriechensindvielmehrunaufhrlichdaraufbedacht,durch regenAustauschmitdemFremdenzu lernen. Sie entwickeln sowohl gegenber der eigenen Vergangenheit, alsauchgyptischen,orientalischenundfernstlichenEinflsseneineberlegeneLebensform.Aberihreberlegenheitliegtdarin,dasieVollender,nichtErfindersind,einVolkvonLernendenschlechthin.SelbstderGottDionysos ist nichtgriechischenUrsprungs.Die dionysischen BarbarenderumgebendenKulturenkennenjedochdiezivilisierendeWirkungnicht,dieausderDuplizittvonDionysischemundApollinischemhervorgeht.9InseinerBewertungnichteuropischerKulturenbleibtNietzschebeiih

    rerCharakterisierungdurchdiealtenGriechen,dadieseKulturenbarbarisch sind und auf einem niedrigenNiveau der Entwicklung stehen. Ermacht indesseneinigeAusnahmenwiebeidenPhniziernundBabyloniern.WasdiePhilosophieundihreGeschichtebetrifft,istIndieneinesolcheAusnahme.Erschreibtanseinen langjhrigenFreund,denIndienforscherPaulDeussen,dieindischeEntwicklungseidieeinzigegroeParallele[]die es zuunserer europischenPhilosophie giebt.10DieseEinschtzungwirdnichtohnedenEinfluSchopenhauersentstanden sein.WrtlichsagterindemzitiertenBrief,daerseinbereuropischesAugevorallemDeussenverdankt.In der Tat berschreitet Nietzsche damit den auf Europa begrenzten

    DenkhorizontvonHegelundMarx.Nietzschebemht sichdarum, Ge

    8 Ebenda,S.12und22,Band4,S.368.9 Ebenda,Band1,S.3134;vgl.E.A.Wachendorff,FriedrichNietzscheDenker

    der Interkulturalitt,Nordhausen2006,S.34undA.Orsucci,OrientOkzident.Nietzsches Versuch einer Loslsung vom europischenWeltbild, Berlin/NewYork1996,S.5und910.

    10Nietzsche,SmtlicheBriefe.KritischeStudienausgabe,hg.vonColli/Montinari,Mnchen/Berlin1986,Band8,S.222.

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    rechtigkeit gegen verschiedene Culturen walten zu lassen und fordertdazu auf, eineumfassende HistorienundVlkerVergleichungdurchzufhren.11Das fhrt ihnunteranderemzureinerBewunderungderIslamCultur,besonders inderForm,diesie inSpanienangenommenhat,dasvondenMauren erobertwordenwar,und zu einerunbefangenerenEinschtzungAfrikas,alssiebeiHegelundinderkolonialistischenIdeologiedes19.Jahrhundertsvorihmblichwar.ErveranschaulichtdasanderFigur derCarmen vonGeorges Bizet, die freilich selbst nicht ausAfrikakam. Sie verkrpert das afrikanischeGlck, die fatalistischeHeiterkeit,miteinemAuge,dasverfhrerisch,tiefundentsetzlichblickt.12ZugleichwirddurchdieKennzeichnungder indischenPhilosophie als

    dereinzigen,dieeinenVergleichmitdereuropischenaushlt,dieGrenzederffnungfrandereKulturendeutlich.Daszeigtsichauchdarin,daNietzscheauchnachderAbkehrvonSchopenhaueranderHochschtzungdes Buddhismus festhlt, diesem aber nur imVergleich zur christlichenReligion bestimmte Vorzge zuerkennt.Deshalb formuliertOrsucci denUntertitelseinesBuchesmitRechtalsNietzschesVersucheinerLoslsungvomeuropischenWeltbild.13ManknnteauchvonerstenSchrittenzurberwindungdesEurozentrismusinderGeschichtsbetrachtungsprechen.DieBetrachtungundBewertungder europischenGeschichte steht in

    dessendeutlich imVordergrund.Die Historie oderGeschichtsbetrachtungwirdnachihremNutzenundNachtheilbewertet,densiefrdasLebenhat,wieNietzscheinderZweitenseinerUnzeitgemenBetrachtungenvon1874ausfhrlichdarstellt.Eskommtdaraufan,dasrechteMabeiden verschiedenen Formen derHistorie zu finden und einzuhalten.Dasgiltfrdiemonumentalische,diedenThtigenundStrebendendient,dieantiquarische,diezudenBewahrendenundVerehrendengehrt,und die kritische, die den Leidenden und der Befreiung BedrftigenhilfreichePerspektivenbietet.BeiallendreiArtenisteinbermaderHistorieschdlich,unddasistauchderFallwenndieHistorieWissenschaftseinsoll.14

    11Nietzsche,SmtlicheWerke,a.a.O.(inAnm.7),Band8,S.373und455.12 Ebenda,Band6,S.1316.13 S.o.inAnm.9.(KursivierungimZitatvonmir,HK.).14Nietzsche,SmtlicheWerke,Band1,S.258und271f.

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    FrdieBewertungdereuropischenGeschichteistnebenderLebensbejahungderGriechendieRolledesChristentumsvon entscheidenderBedeutung.Nietzsche sieht inderForderungnach einem allgemeinenSndenbewutsein, inderHinwendungzudenSchwachen, inderLeibfeindlichkeitundimMitleideineVerleugnungdesUrtriebsderMenschen,denerWillezurMachtnennt.AufdieseWeisewirdeinerSklavenmoralstattder ursprnglicheren Werte des Herrschenwollens allgemeine Geltungverschafft.Esgeht indessennichtprimrumeinerVerleugnungdesWillenszurMacht,sondernumdessenPervertierung.DiePriesterfhrendieSklavenmoraleinundbenutzensie,umsoaufindirektemWegihreeigeneHerrschaftzubegrndenundzufestigen.DerBuddhismushatmitseinerTendenz,dasLeidenzuvermindernundzuberwinden,unddenSelbstbetrugderMoralbegriffedesGutenunddesBsenhintersichzu lassen,einen Vorteil gegenber dem Christentum. Aber letztlich gehrt erwiediesesdernihilistischenBewegungderGeschichtean.15ErgibtdemNihilismusindesseneinegewissebereuropischeBedeutung.Durch den Einflu des Christentums auf die europische Geschichte

    wirddiesenihilistisch,weildieWertederLebensbejahungunddesWillenszurMacht indieserGeschichtevonderMassederMenschenverleugnetunddamitweitgehendzunichtegemachtwerden.SofernderBuddhismus,derdiesenWertenrelativbetrachtetnhersteht,sieebenfallsnichtwirklichanerkennt,giltdieKennzeichnungderGeschichtealsnihilistischauchberEuropahinaus.IndereigenenGegenwartNietzsches imausgehenden19.JahrhundertkommteszueinemallgemeinenWerteverfall,der inderumsich greifenden dcadence zutage tritt.RichardWagner ist frNietzsche,nachdemersichvonihmabgewendethat,derKnstlerderdcadence,dersogardieMusikkrankgemachthat.16DadiechristlichenWerte ihrebindendeKraftverlieren,diagnostiziertNietzschemitderberhmtenThese,da Gott tot ist.Damit isteineZuspitzungdesNihilismusgegeben,dersichnochweitersteigernundaufdieseWeisefr jedermannoffenkundigwerdenwird.DieGeschichteistalsoehereineVerfallsgeschichte,alsdasichinihrim

    SinnHegelseinimmerweitergehenderFortschrittereignet.Indereigenen

    15 Ebenda,Band13,S.267.16 Ebenda,Band6,S.21.

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    Gegenwartkommt es zu einerZuspitzungdernegativenTriebkrftederGeschichte.UndaufgrunddieserZuspitzungdesNegativenwirdeinUmschlag insPositiveerwartet.Der japanischeNietzscheforscherKeijiNishitani formuliert zutreffend,dadieserUmschlag als eine SelbstberwindungdesNihilismusvor sichgehenwird.17Das siehtNietzschevoraus,auchwennesnoch langedauernkann,biseszudiesemUmschlagkommenwird.DerVergleichderGeschichtenundKulturen,vondemobendieRedewar, befhigtNietzsche,wie er sagt, den Inhaltvon ganzen Jahrhundertenvorauszufhlen.18InhaltlichgesehengehtesumeineWiedergeburtGriechenlandsausder

    Erneuerung, dem Umschaffen derberzeugungen der deutschen undeuropischen Kultur, eine Umkehrung der darin herrschenden nihilistischenBewegung.WiedieantikegriechischeKulturfrNietzschedensonstnirgendwo erreichten Hhepunkt der Kulturentwicklung auf europischemBodenbildet,sowirdauchderUniversalmenschderZukunft,derdurch eineWiedergeburtGriechenlands erwartetwerdenkann, europischsein.19DiesePerspektivegehtzusammenmiteinerEinschtzungderpolitischen

    GeschichteDeutschlandsundEuropas,die im spten 19.Jahrhundert zunchstaufeinemTiefpunktangekommenist.NietzscheverachtetdasStrebennachDemokratie,diealleMenschengleichermaen,auchdieniederenSchichtendesVolkesanderpolitischenMachtbeteiligenwill.SeineBeurteilungdes Sozialismus istnicht eindeutig.DasBeste,wasber ihngesagtwerdenkann, ist,daerindieniederstenSchichteneineArtvonpraktischphilosophischemGesprchbringt.DaspatzuNietzschesZiel,eineArtvonBildungsschule frdasganzeVolkzu fordern.MankanndieArbeiterclasseindessennicht,wieMarxunddieMarxistenesversuchen,ausihrerLagebefreien;ihreLageverbessernheit:sieleidensfhigermachen.WerinihrdasBedrfnisunddieVerfeinerunghhererBildungweckt,bewirktdamit,dasieihreabstumpfendeArbeitnichtmehrtunkann,ohneunverhltnismigsehrzuleiden.20

    17 K.Nishitani,TheSelfOvercomingofNihilism,NewYork1949.18Nietzsche,SmtlicheWerke,Band11,S.697.19 Ebenda,Band8,S.44und305.20 Ebenda,S.383und481483.

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    ImBlickaufdieZukunftimneuen Jahrhundert,dem20., trifftNietzschedanndurchaushellsichtigeVoraussagen,auchwennsiehnlichwiediezitiertenAussagenberdieDemokratie,denSozialismusunddieArbeiterklasseauseinerheutenichtmehrnachvollziehbarenSichtdesdamaligen Bildungsbrgertums formuliert werden. In diesem Jahrhundertwird dieMenschheit, insbesondere in Europa, schon vielmehrKraftdurch die Beherrschung derNatur erworben haben als sie verbrauchenkannunddannwirdetwasvomLuxushaftenunterdieMenschenkommen[] Allein die Luftschifffahrt wirft alle unsere Culturbegriffe ber denHaufenDurchsie,abernichtnurdurchsiewirdsoetwaswieTourismusineineverschnerteNaturentstehen.UndmanwirddiezurckgebliebenenVlkerschaftenAsiensAfrikasusw. alsArbeiter verwenden,dieBevlkerungendesErdbodenswerdenanfangensichzuvermischen.21PolitischeVerhltnisse sind indessennichtNietzschesprimresThema,

    sondernnur,sofernsiedieKulturmitbestimmen.Dabeibetrachtetersichselbst als Philosoph und als Knstler, als kreativ Schaffender. SeineHochachtungfrdieGeschichtedereuropischenundwieobengesagtindischenPhilosophie ist indessennichtungeteilt.AmAnfangderSchriftJenseitsvonGutundBsevon1886findetsichfolgendezusammenfassendeKritikdereuropischenPhilosophie,sofernsiedogmatischverfhrt:Vorausgesetzt,dadieWahrheit einWeib ist ,wie? istderVerdachtnichtgegrndet, da alle Philosophen, sofern sie Dogmatiker waren, sichschlechtaufdieWeiberverstanden?daderschauerlicheErnst,die linkischeZudringlichkeit,mitdersiebisheraufdieWahrheitzuzugehenpflegten,ungeschickteundunschicklicheMittelwaren,umgeradeeinFrauenzimmer fr sich einzunehmen? Sokrateswird unterschiedlich beurteilt.AlsFragenderunterdenMenschenaufdemMarktplatzundalsgeheimnisvollerIronikerspielterfrNietzscheeinepositiveRolle.AberalsVorbereiterderplatonischenPhilosophiebringterdenschlimmsten,langwierigsten,gefhrlichstenallerIrrthmeraufdenWeg,derreineGeistseidas Gute an sich.DerPlatonismusmit seinerLeibfeindlichkeit,besondersinseinerVerbindungmitdemChristentum,aberauchdieVedantaLehreinAsienverstrkendiesenIrrtum.DasPerspektivische,dieeinzig

    21 Ebenda,Band9,S.135.

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    adquate Haltung der Wahrheit gegenber und die GrundbedingungallenLebenswirddamitaufdenKopfgestellt.22ZarathustraverkndetimNamenNietzschesnocheineganzandereBe

    trachtungsweiseallerGeschichte,seisienunpolitisch,philosophisch,kulturelloderpersnlich.WieNietzschekommtZarathustranachlangerEinsamkeitwiederunterdieMenschenundsagtderMassederkleinenLeute,vorallemaberdenSchaffenden,denhherenMenschen,nachdemGottgestorbenist,dasKommeneinesneuenMenschentypsvoraus,dener als bermenschenbezeichnet. Gott starb:nunwollenwir,daderbermenschlebe.AberdassindfeineferneDinge,die jetztnochnichtbegriffenwerden.23MitderWiedergeburtdesGriechentums inDeutschlandundEuropawirdsichnichtnurdasEndeunddieSelbstberwindungdesNihilismusvollziehen.DasistaucheinZeichendafr,wasZarathustradieewigeWiederkehrdesGleichennennt.Mit diesemGedankenwird eine uersteweitreichende geschichtliche

    Perspektive erffnet.AmMittag,dieser heimlichen feierlichen Stunde,wird frZarathustra dieWelt vollkommen, rund und reif.DieZeitsteht still, sie fliegt davon, der MittagsAbgrund wird Brunnen derEwigkeit.24Das ist auchdieGeburtsstundevonZarathustras abgrndlichstemGedanken.SeineTiere:derAffe,derAdlerunddieSchlange,vorallemdieletztere,diesichzumKreisrundenkann,wissenes:ZarathustraistderLehrerderewigenWiederkunft.DasbedeutetfrdenMenschen,auch den kleinenMenschen derGegenwart, da er in Zukunft sagenkann:Ichkommewieder[]nichtzueinemneuenLebenoderbesserenLebenoderhnlichenLeben:ichkommeewigwiederzudiesemgleichenundselbigenLeben,imGrsstenundauchimKleinsten.FrZarathustraselbst heit das: er kommtwieder, damit er wieder allerDinge ewigeWiederkunftlehre.25Zudiesem schwerzu fassendenGedankenberdenGeschichtsverlauf,

    mit demNietzsche seine bildungsbrgerlicheHerkunft, aber auch seineteilspositive,teilskritischeSichtaufdieGeschichtedereuropischenPhi

    22 Ebenda,Band5,S.1113,Band1,S.13.23 Ebenda,Band4,S.356362.24 Ebenda,S.342345.25 Ebenda,S.270277.

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    losophieweithintersich lt,gehrteineGeschichtsbetrachtung,diesichaufdenprhistorischenUrsprungderMoralbegrifferichtet,dieinhistorischerZeitdieLebensbejahungunddenWillenzurMachtsosehrverflschtund geschwcht haben. In seiner 1878 erschienenen SchriftMenschliches,AllzumenschlicheswendetersichgegendenErbfehlerderPhilosophen, ihrenMangelanhistorischemSinn.Damitmeinter,dasiehistorischvielzukurzgreifen,wennsieaufdieGriechenoderdieumEinigesltereindischeTraditionzurckgehen.SiebeschftigensichdabeinurmitderallerjngstenGestaltung.NachNietzscheistallesWesentlicheindermenschlichenEntwicklunginUrzeitenvorsichgegangen,langevorjenenviertausend Jahren,diewirungefhrkennen.26 InderStreitschriftvon1887ZurGenealogiederMoralrichtetersichdannaufdieseUrzeiten,umdieEntstehungsgeschichtedermoralischenBegriffedesGutenunddesBsenaufzudecken.GillesDeleuzeundMichelFoucaultweisendaraufhin,daessichdabeinichtumeinenUrsprungdieserBegriffehandelt,sondernwieNietzschesagt,um ihrenEntstehungsheerd.Damitistnach ihrerDarstellungeinegegebeneKonstellationgemeint.NietzschesuchtnacheinemdifferentiellenElement zurbekanntenGeschichte,dasheitnach etwas,dasirgendwann einmal anderswar.Auerdem kann eine genealogische BetrachtungsweiseimUnterschiedzurblichenMethodikderGeschichtswissenschaften und der Geschichtsphilosophie ungeprfte metaphysischeAnnahmen vermeiden wie die der Kontinuitt und Linearitt des Geschichtsverlaufs.27Auchwenn er keine nhere zeitliche Bestimmung angibt, spricht sich

    NietzscheinhaltlichsehrdeutlichberdieHerkunftsfrageaus.EssinddieGuten selber gewesen,das heit dieVornehmen,Mchtigen,HhergestelltenundHochgesinnten,welchesichselbstundihrThunalsgut,nmlich als erstenRanges empfandenund ansetzten, imGegensatz zu allemNiedrigen,NiedrigGesinnten, Gemeinen und Pbelhaften. Sie besaen

    26 Ebenda,Band2,S.2425.27G.Deleuze,NietzscheunddiePhilosophie,Mnchen1976,S.57;M.Foucault,

    Nietzsche, die Genealogie, die Geschichte, in: ders., Von der Subversion desWissens,Mnchen1974,S.83110;vgl.MartinSaar,GenealogiealsKritik.GeschichteundTheoriedes SubjektsnachNietzscheundFoucault,Frankfurt/M.2007.

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    ein Pathos derDistanz, ein GesammtundGrundgefhl einerhherenherrschendenArtimVerhltniszueinerniederenArt,einemUntendasist der Ursprung des Gegensatzes von gut und schlecht.Historischgesehen, greiftNietzsche damit auf den Ursprung der Sprache selbstzurck,die er als eine MachtuerungderHerrschenden interpretiert,als ihrRecht,Namenzugeben.DieseThesewirdvonNietzscheuntersttztdurchdenHinweisaufeineetymologischeBesonderheitinderdeutschenSprache,nachderdasWortschlechtmitschlicht identisch ist,und ursprnglich den schlichten, den gemeinenMann [] einfach imGegensatzzumVornehmenbezeichnete.28DieObenUntenTopologie,dieNietzschehierbeibehlt, ist freilichun

    angemessen.DeleuzeundFoucaultverweisen indiesemZusammenhangauf die Begriffe Kraft und Intensitt des Lebens, die ebenfalls frNietzschesDenken charakteristisch sind,unddengemeintenSachverhaltinadquatererWeiseausdrcken.DafrfindensieinNietzschesText,undzwar in der ein Jahr vorher verffentlichten Schrift Jenseits vonGut undBse, deutliche Anhaltpunkte. Von den Vornehmen und Herrschendenheit es: Im Vordergrunde steht das Gefhl der Flle, derMacht, dieberstrmenwill,dasGlckderhohenSpannung,dasBewusstseineinesReichthums, der schenken und abgeben mchte. Umgekehrt wird derNiedrigeundNiedrigGesinntebeschriebenalsderFeige,derngstliche,derKleinliche,derandieengeNtzlichkeitDenkende []derMitrauischemit seinem unfreien Blicke, der SichErniedrigende, dieHundeArtvonMensch,welchesichmihandeln lt,derbettelndeSchmeichler,vorAllemderLgner.29DerobenerwhnteGedankeeinestragendenAnfangs,dernichtwiebei

    Hegel ineiner linearen, immermehrFortschrittmitsichbringendenEntwicklungausgebautwird, sondern einenMglichkeitsspielraum erffnet,deraufverschiedenenWeisedurchgespieltwird,scheintmirsehr fruchtbar. Der griechische Anfang war in diesem Sinn fr die europischwestlichePhilosophievonPlatonundAristotelesbiszuHegelundNietzschetatschlicheintragenderAnfang.DadieserAnfanginseineninhaltlichenBestimmungenwiederholtwerdenkannodersoll,findeichweniger

    28Nietzsche,SmtlicheWerke,Band5,S.258260.29 Ebenda,S.209.

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    berzeugend.Was sich im Sinn der FormelNietzsches von der ewigenWiederkehrdesGleichenwiederholenkannundsoll,beschrnktsichdarauf,daeinneuertragenderAnfanggefundenwird,deraberunterneueneigenenBedingungen steht.Das ist schwierig genugund nicht in einemtechnischenSinnmachbar.Aber eskannvorbereitetwerden, eineBereitschaftdazukanneingenommenwerden.

    DekonstruktionendereuropischenPhilosophiegeschichteundderAufruf

    andieKosmopolitenallerLnderbeiDerridaDerridaliestbeiHeidegger,dadieGeschichtedereuropischenPhilosophie, die Heidegger auch die Geschichte der Metaphysik genannt hat,durch Seinsvergessenheit gekennzeichnet ist. Sie erscheint also wie beiNietzsche,wennauchausanderenGrnden,ineinemnegativenLicht.Sienimmt das Seiende als ein letztesGegebenes und fragt nicht,warum esberhauptistundnichtNichts.DeswegensolldieseGeschichtedestruiertwerden.DestruktionderGeschichtederMetaphysik bedeutet aber nichtderenZerstrung, sonderndieFreilegung ihresGrundes. InundmitderDestruktiongeschiehtalsozugleichetwasKonstruktives.DiesKonstruktive ist indessen imKontextdesHeideggerschenDenkensalssolchesnichtfabar. IndemDerridavieleDekonstruktionenwestlicherphilosophischerTextevornimmt,wird jeweilsdereninnereInkonsistenzaufgewiesen.AufdieseWeisewirddaskonkreteVonwoherderDekonstruktionenangenhert.EsltsichgewissermaenalseindrittergeometrischerOrterschlieenausdenRichtungen,diesichbeidenDekonstruktionenergeben.DerridabeginntmitHusserl,underwundert sichberdieHochscht

    zungderStimme,desgesprochenenWorts frdieErfassungderPhnomene. Das SichsprechenHren ist nachHusserl dem Ich und seineridealenbedeutungsstiftendenFunktionamnchsten.DemgegenberbleibtdieSchriftKrper,dervomSprechenbelebtundvergeistigtwerdenmu.Sie ist nur ein Supplement, eineHinzufgung zum gesprochenenWort,paradoxerweise aber ein notwendiges Supplement, um der SelbstprsenzdesSprechensDauerzuverleihen.30

    30Derrida,Die Stimme und das Phnomen, bers. von J.Hrisch, Frankfurt/M.

    1979,126,135und144.

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    hnlichesweistDerridabeiPlaton,RousseauundHegelnach.So sagtPlaton im SiebentenBrief,dadieWahrheit nicht aufgeschriebenwerdenkann,sondern sich imVollzugdesDialogsereignet.DergyptischeGottTheutbringtdieSchriftalsPharmakonzudenMenschen,alsergnzendeGabezumgesprochenenWort,diedessenFlchtigkeitundVieldeutigkeitheilensoll.DasPharmakonkannabernachPlatonsDarstellungimPhaidrosinsGegenteilumschlagen:dasbelverschlimmernstatteszuheilen.31BeiRousseauwird die Schrift als bloeGedchtnissttze betrachtet, umnicht zuvergessen,was indermndlichenKonversationgesagtwordenist.DabeikannJeanJacques,derAutorderConfessiones,diesesSupplementkeinesfalls entbehren, um festzuhalten, was in ihm selbst vorgeht.32Schlielich luft die Hegelsche Semiologie darauf hinaus, da das gesprocheneWort der Idee nher ist,weil eswenigermaterielles SubstratenthltalsdieSchrift.DieseThesestehtfreilichinmerkwrdigemKontrastzudervonHegelentworfenenFortschrittsgeschichtederSchriftvonihrenAnfngen berHieroglyphen,Runen, chinesischeCharaktere bis zur alphabetischenSchrift.33VondiesenEinzelanalysenauskonstatiertDerridavielleichteinwenig

    voreilig den Phonozentrismus der europischen Philosophie.Diesenstellt erdem Logozentrismus andie Seite,derdie zentraleBedeutungdesLogos,derVernunft,des logischbegrifflichenDenkensannimmt,diebeiPlatonundAristotelesbeginntundbeiHegelihrevolleEntfaltungbekommt. Es zeigt sich, da Derrida diese Dekonstruktionen vornehmenkann,weilervoneinemganzneuenSchriftbegriffausdenkt.ErrehabilitiertdieSchriftgegenberdemgesprochenenWortunddamitgegenberdemalsIdeegedachtenLogos.Dabei interpretierterdieSchriftnicht lngerimRahmeneinerZeichentheoriealsdasZeichendesZeichensderSacheindergesprochenenSprache,sondernalslesbareSpur.DanngeltennichtnuralphabetischeSchriftoderderenVorformenimHegelschenSinn

    31Derrida,PlatonsPharmazie, in:Dissmination,bers.vonH.P.Gondek,Wien

    1995,69190,s.bes.109.32Derrida,Grammatologie,bers.vonH.J.Rheinberger/H.Zischler,Frankfurt/M.

    1974,244541.33Derrida,DerSchachtunddiePyramide.Einfhrung indieHegelscheSemiolo

    gie,in:RandgngederPhilosophie,hg.vonP.Engelmann,Wien1988,93132.

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    alsSchrift,sondernauchFuspurenimSandodereingebrochenerAst,derspterKommendendieRichtungweist.DasbringtDerridaabernichtzueinerUmkehrungderHierarchie:dieSchriftstehtnunnichthheralsdasgesprocheneWort.Beidesindgleichwertigundgleichursprnglich.Dieinsich widersprchliche hhere Einschtzung der gesprochenen SprachegegenberderSchriftindereuropischwestlichenphilosophischenTraditionverrtdenEthnozentrismusdiesesDenkens.Dennsiegehtparadoxerweise gepaart mit einer Geringschtzung der Kulturen, die primrmndlichkommunizieren.34Gesprochene Sprache und Schrift lassen sich so bis in die Epoche der

    MenschwerdungdesMenschen zurckverfolgen.Das ist einBeispiel genealogischerGeschichtsbetrachtung,wiesiedurchNietzscheinitiiertworden ist.Dabei gehtDerrida fr die Entstehungsgeschichte heutigerVerhltnissenochweiteralsNietzschebisindieUrzeitenderMenschheitzurck.UndergreiftentschiedenerberdenHorizonteuropischwestlichenDenkenshinaus.AnderSchreibstundeausLviStraussTraurigenTropen(bers.vonE.Moldenhauer,Frankfurt/M.1978)wirdentgegenderAuffassungdiesesAutorsgezeigt,daauchdieNambikwarainSdamerikawiealleVlkerSchrifthabenimSinndesDerridaschenSchriftbegriffs.Dieszunegieren, ist imFallvonLviStrausseinweitererBelegethnozentrischenDenkens.35In einem allgemeinen Sinn erweist sich alsderOrt,vondemDerridas

    Dekonstruktionenausgehen, seinBegriffderAnwesenheit.DieSchrift istnicht ein fraglos Gegebenes, sondern eine Spur, die sich jeweils anderslesenlt.DementsprechendistimUnterschiedzureuropischenphilosophischen Tradition Anwesenheit nicht als feststehende Gegebenheit zudenken.ImAnwesendenistimmerauchAbwesendeswirksam.DieBedeutungdesAnwesendAbwesendenbleibt letztlichunscharfundverschiebtsichstndig.DiesenfortgesetztenAufschubnenntDerridadiffrance,eineBewegung die immerwiederVerschiedenes hervorbringt, und zwar sowohl im zeitlichen als auch im rumlichen Sinn. Frdie diffrance beanspruchtDerridaeinenochweitergehendeoder tiefergreifendeBedeutungalsfrHeideggersontologischeDifferenz,mitderbereitseineDimension

    34Grammatologie,a.a.O.(inAnm.32),173177und190193.35 Ebenda,178243.

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    des Denkens angezeigt wird, die ber die Geschichte der europischwestlichen Philosophie hinaus, nach rckwrts und nach vorwrts gewandt,NeuesundAnderesthematisiert.36Die Erwartungen, die dabei im Spiel sind, formuliert Derrida im Zu

    sammenhangmitMarxunddemMarxismus (wasnichtdasselbe ist).DieAbwesenheitinderAnwesenheitwirdfhlbarundgreifbar,als1989nachdemFallderMauer inBerlinunddemZusammenbruchderSowjetunionTexteundDiskussionenvonundberMarxunddenMarxismusquasivonheute aufmorgen ausderWeltffentlichkeitverschwinden. InMarxGespenster beschreibtDerrida diese abwesendeAnwesenheit als gespenstische,geisterhafteDimensionderWirklichkeit.Under leitetausdemuneingelsten Versprechen des Marxismus, das Emanzipation der Unterdrckten,mehr Freiheit fr alle inAussicht stellt, seineKonzeption desMessianischen ab.Dabei geht es um eine ganz undogmatische undvonallermetaphysischreligisenBestimmungfreizuhaltendeKonzeption,einenMessianismusohneMessias.DieVerwirklichungdieserZukunftsperspektive bertrgt er einer neuen Internationale, die an dieStelledertraditionellensozialistischenInternationaletretensoll.37IneinemVortragvorderUNESCOvon1991,derabererst1997verf

    fentlichtwird,knpftDerridaanbeiseinemgroenWerkDudroitlaPhilosophie (Paris 1990), in dem vom Recht auf Philosophie bereits gesagtwird,daeseinGrundrechtdesMenschenist.IndemgenanntenVortraggibt er diesemGedanken eine kosmopolitischeWendung.DieUNESCOerscheintihmalsderprivilegierteOrtdasRechtaufPhilosophiefralleundjedenweltweitzuvertreten.SiewrdeaufdieseWeiseselbstzueinemphilosophischenProjekt.38DadieKosmopoliten, Intellektuelle,die ineinem weltweiten Horizont denken und handeln, nach Derrida die neueInternationalebilden,dieberall frdasRechtaufPhilosophieeintreten,zeigtsichinderkleinenSchrift:Cosmopolitesdetouslespays,encoreuneffort

    36Derrida,Diediffrance,in:RandgngederPhilosophie,a.a.O.(inAnm.33),31

    56.37Derrida,SpectresdeMarx.Ltatde ladette, le travaildudeuilet lanouvelle

    Internationale,Paris1993,145148.38Derrida,Ledroitlaphilosophiedupointdevuecosmopolitique,Paris1997,11,

    1315.

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    (Paris1997).AndieStellederProletarierallerLnderinderaltensozialistischen Formel sind die Kosmopoliten aller Lnder getreten. Statt desVereinigteuchheitesnun:nocheinVersuch.ZumKosmopolitismusgehrtunbedingteGastfreundschaft.Sieistder

    Kern jederEthik. InkonkretenVerhltnissenwie im zwischenstaatlichenVerkehr sind gewisse Bedingungen jedoch unumgnglich, die aber einangemessenerAusdruckderunbedingtenGastfreundschaftseinmssen.39Kanthat bereits ein Besuchsrecht,das fr jeden gilt,der in friedlicherAbsicht kommt, unterschieden von dem Gastrecht oder Bleiberecht,dasvonderZustimmungdesempfangendenStaatesabhngig ist.40DieseVerhltnissegeltennachKantzwischenrepublikanischverfatenStaaten,wiesiesichimEuropaseinerZeitentwickelthaben.DiesreferiertDerridamitZustimmung.DadieseStaatsform imKantischenSinn fralleTeilederErdealsVorbilddienensollundsichdereinstberdiegesamteWeltausbreitenwerde,kritisierterindessenalseurozentrisch.DemgegenberpldiertDerrida frdemokratischeVerhltnisse,abernicht so,wie sie indenwestlichenDemokratienderzeitbestehen,sondernimSinneinerIdeederDemokratie,dieimKommenistundbleibt.SieerforderteinneueseuropischesDenken,eineganzneueZielsetzungundVerantwortlichkeitEuropas.DieseVerantwortlichkeitkonkretisiert sich in jeweils singulren Zusammenhngen als respektvolle Aufmerksamkeit, dieman derSingularittschuldet,die freilichnicht leichtzuverwirklichen ist,dasieerfordert,sichohnedeterminierendeRegelkenntnisgleichwohlzuorientieren.41

    PhilosophieninallenKulturenundihreGeschichtenalsdasAusfllenanfnglicherffneterMglichkeitsspielrume

    inderinterkulturellenPhilosophieDiebesondereLeistungHegels liegt imZusammenhangderhier zuklrenden Problematik darin, da er eindeutlichesVerhltnis von Philoso

    39Derrida,VonderGastfreundschaft,bers.vonM.Sedlaczek,Wien2001,6265.40 I.Kant,ZumewigenFrieden (1796), in:KantsWerke.AkademieTextausgabe,

    Berlin1968,BandVIII,Abhandlungennach1781,357359.41Derrida, Schurken.ZweiEssays berdieVernunft, bers. vonH.Brhmann,

    Frankfurt/M.2003,214.

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    phie,WeltgeschichtealspolitischerGeschichteundPhilosophiegeschichteaufgezeigthat.DadiePhilosophiegeschichteundletztlichdasreineDenkenderPhilosophie frdenGangderWeltgeschichte als Fortschritt imBewutsein der Freiheitmagebend sind, bezeichnet den idealistischenAusgangspunkt seinerPosition.DieBegrenzung seinerVerhltnisbestimmungderdreiinRedestehendenGrenseheichdarin,daallegeschichtlichenEntwicklungslinien inderPhilosophieundWeltgeschichteaufdiegriechischeAntikezulaufen,vondortauszumEuropaseinerZeithinfhrenunddarinkulminieren.FrNietzsche istdieRealgeschichtenicht in ersterLiniepolitischeGe

    schichte,sondernKulturgeschichte,dasheitAufweisderGesamtheitderBedingungenmenschlichenLebensinihremzeitlichenVerlauf.ErbetrachtetdiegriechischeAntikealseineMischkultur,dieabergeradedarin ihreGre als tragenderAnfang der europischenGeschichte hat.DieseGeschichtewirdjedochdurchdenEinfludesChristentumsuerstambivalent; sie ist insgesamt eine nihilistische Bewegung, das heit eineVerfallsgeschichteundnichteinFortschrittzumBesseren.DurchseinInteressefrdie indischePhilosophieundKulturschrftersein bereuropischesAuge, das freilich eine einseitige Blickrichtung auf sogenannte hochstehendeKulturenhat.DurchdieAussichtaufeineSelbstberwindungdesNihilismuserffnet sich frNietzscheeinepositiveZukunftsperspektive.DiesegehtmiteinerprinzipiellenLebensbejahungundeinerWiederholungpositiverurzeitlicherUrsprngedermoralischenGrundlagenderKulturzusammen.Derrida geht auf einem von Heidegger eingeschlagenenWeg weiter,

    wennerdasKonstruktive,positivneuEinzubringendeindenDekonstruktionen der europischen Philosophie sichtbar zumachen sucht. Dekonstruktionen des phonozentrischen Denkens bei Platon, Rousseau,HegelundHusserlfhrenDerridazurKonzeptualisierungeinesneuenSchriftbegriffsalslesbareSpur.DaSchrift indiesemSinnmitgesprochenerSprachegleichwertigundgleichursprnglichist,lassensichdieAnfngebeidernichtnurbis inderUrzeitenderGeschichtewiedie GenealogiederMoralbegriffebeiNietzsche,sondernbis indenProzederMenschwerdungzurckverfolgen.DerPhonozentrismus,denDerridademLogozentrismusdergesamteneuropischenPhilosophiezurSeite stellt,bildeteinenKontrastzurGeringschtzungprimrmndlichkommunizierenderKulturen.

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    Darin siehtDerrida einen EthnozentrismusdieserPhilosophie.AmBeispielderVerdrngungvonMarxunddemMarxismus ausdemffentlichenBewutseinnach1989zeigtDerridadiegespenstischeundgeisterhafteDimensionderWirklichkeitalsdasAbwesendeimAnwesendenauf.Ersieht darin auch ein uneingelstes Versprechen, die Unterdrckten zuemanzipieren und fr allemehr Freiheit zu ermglichen.Darauf beruhtseineAnnahme des Messianischen in derGeschichte.DieAufgabe, andessenVerwirklichungweiterzuarbeiten,erteiltDerridaderneuenInternationalederKosmopoliten,dasheitder Intellektuellen aus allenLndern,die ineinemweltweitenHorizontdenken.Sogelangterauchzueiner positiven Zukunftsperspektive, die ein neues europischesDenken,eine ganz neueZielsetzung undVerantwortlichkeit Europas notwendigmacht,ohnedadamitderGedankeeinesUmschlagsodereinerWiederholungwiebeiNietzscheverbundenwird.Manknntedenken,daeseinkleinerSchrittwre,umvonNietzsches

    bereuropischem Auge, Derridas Kritik am europischen Ethnozentrismusund seinemAufruf andie Kosmopoliten allerLnder aus zurkonkretenEinbeziehungdernichtwestlichenKulturenmit ihrenPhilosophien,Geschichten und Philosophiegeschichtenweiter zu gehen. In derPraxiserweistsichdieserSchritt jedochimKontextdereuropischenakademischenPhilosophiealsuerstmhsam.Manknnteauchvermuten,dadieGlobalisierungaufdenGebietenderWirtschaft,Politik,Technologie,WissenschaftundKunst,geradewennsiemiteinerrechtverstandenenRegionalisierungzusammengeht,inderPhilosophieundvonderPhilosophiemitvollzogenwrde.Aber auch in dieserHinsicht finden sich nureinigePioniere,diesichdendamitgegebenenAufgabenstellen.SeitdenerstenbersetzungenvonTextenausderindischenundchinesi

    schenPhilosophieim18.undbeginnenden19.JahrhundertgibtesbemerkenswerteArbeitenderVergleichendenPhilosophie,dievonEuropaunddemWestenaus,seitdem20. JahrhundertzunehmendauchvomFernenOstenauseuropischeundfernstlichePhilosophieaufeinanderbeziehen.Dabei isteswichtig,dadie indischenundchinesischenphilosophischenTraditioneneinewesentlich lngerePhilosophiegeschichtemitbedeutendlterenphilosophischenTextenaufweisenknnenalsdieeuropische.DiegenanntenArbeitenbleiben indessenvielfachaufdieAbteilungen fr Indologie, Sinologie und Japanologie oder Vergleichende Religionswissen

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    schaftenbegrenztundwirkensichnichtaufdieForschungsundLehrprogrammederPhilosophieAbteilungenaus.NachdeminderzweitenHlftedes20.JahrhundertszudemdasInteresseeinerbreiterenffentlichkeitander fernstlichen Philosophie entsteht,wird die Resonanz der akademischenVergleichendenPhilosophieauchverstrkt.UlrichLibbrechthatmitseinemmehrbndigenWerkzurInleidingComparatieveFilosofie(Assen1995ff),indemereinvergleichendesModellallenPhilosophierensausarbeitet,weithingroesInteressegefunden.AufderGrundlagedieserArbeiten,diegewinichtabgeschlossensind,

    kann aufgebaut und derweitere Schritt gewagtwerden, allenKulturen,auchdenendieprimrmndlicheFormenderKommunikationundberlieferung benutzen, Philosophie zuzuerkennen. Da sich die philosophischenStileweltweit jedocherheblichunterscheiden,istdieenormschwierigeAufgabe zu lsen, den Philosophiebegriff zu erweitern und neu zuprzisieren, so da er die europischwestlichen, fernstlichen, islamischen,sdamerikanischenundauchdieindigenenKulturen,ihrePhilosophien, Geschichten und Philosophiegeschichten umfat. Ich habe dazueinenerstenVorschlagvorgelegt.NichtnurlogischbegrifflichesystematischeDiskurse,auchanderedenallgemeinenSprachgebrauchaufbestimmteFormelnbringende,komprimierteSprechweisen,mehrnarrativeDarlegungen,mitKunstundReligionverschwisterteAusdrucksformenknnenwichtigephilosophischeGedankenenthalten.DasbereinstimmendeKriteriumdafrsollsein,dasieaussichselbstberzeugendsindundsichauf keine andereAutoritt auerhalb ihrer selbst berufen, sei diese nunreligis,politischoderwieauchimmerbegrndet.42Einem solchen neu gefaten Philosophiebegriff entspricht eine neue

    Konzeption der Philosophiegeschichten der verschiedenen Kulturen, diemitderenGeschichten engzusammenhngt.Erstaunlicherweisekann ichmichhierfraufHegelberufen,undzwaraufdenobenerwhnteAuffassungHegelsausdenJahren1801/02.Hegelsagt indersogenanntenDifferenzschriftvon1801,dadieAufgabederPhilosophie[]zuallenZeitendieselbe ist.WeildiePhilosophiedieVernunft,diesichselbsterkennt,esnurmitsichselbstzu thunhat,so liegt in ihrselbst ihrganzesWerkwie

    42H.Kimmerle,DerPhilosophiebegriffderinterkulturellenPhilosophie,Nordhau

    sen2009,6366;s.zumFolgenden6786.

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    ihreThtigkeitundinRcksichtaufsinnereWesenderPhilosophiegibteswederVorgngernochNachgnger.43DieseThesehabeichingeographischerHinsichterweitert,indemichsage,dadiesoumschriebeneAufgabederPhilosophienichtnur zuallenZeiten,sondernauch anallenOrtenundinallenKulturendieselbeist.44Einedurchgehende lineareEntwicklungderPhilosophienderverschie

    denenKulturenimSinndesspterenHegelkannesvondieserVoraussetzungausnichtgeben.FrdieGeschichtenderPhilosophienindenjeweiligenKulturenund ihrewechselseitigenBeeinflussungenerscheintmirdasModelldestragendenAnfangsamehestengeeignet,dessenMglichkeitenimLaufderZeit inverschiedenenRichtungendurchgespieltwerden.DerGedankederWiederholungbeinhaltet,daesneuetragendeAnfngegebenkann,dieabervondenneuenBedingungenderjeweiligenZeitauszubegrnden sind. Dieses Denkmodell ist meines Erachtens auch auf dieGeschichtenderverschiedenenKulturen anwendbar.Dabei ist es gegenwrtiggewinichtso,dadiePhilosophieindemgeschichtlichenDoppelprozevonGlobalisierungundRegionalisierungtonangebendwre.AberwiebeiNietzscheinderzuknftigenEntwicklungeinUmschlagzumBesseren angenommenwird, ist auchdieAnnahmenichtunbegrndet,dadieRelevanzderinterkulturellenPhilosophieeinmalschlagartigdurchbrechenwird.

    Literaturangabe:Kimmerle,Heinz:Philosophie Geschichte Philosophiegeschichte, in:WegezurGeschichte:Konvergenzen Divergenzen InterdisziplinreDimensionen, hrsg. v. Hamid Reza Yousefi, HermannJosef Scheidgen, KlausFischerundHeinzKimmerle,Nordhausen2010(3962).

    43Hegel,DifferenzdesFichteschenundSchellingschenSystemsderPhilosophie,

    a.a.O.(inAnm.1),10.44 Kimmerle,DasVerhltnisvonPhilosophieundGeschichteamAnfangderJena

    erPeriodedesHegelschenDenkensunddessen aktuelleBedeutung, in:ders.,(Hg),DieEigenbedeutungder JenaerSystemkonzeptionenHegels,Berlin2004,1124;s.bes.22.

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