politische erwachsenenbildung im ländlichen raum oder · schlechtere infrastruktur, „digitale...

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1 Politische Erwachsenenbildung im ländlichen Raum oder: Die Frage nach der „Idiotie des Landlebens“? 29. September 2015 Bundesplanungstagung Politik-Umwelt-Gesellschaft VHS Leipzig Prof. Dr. Ulrich Klemm Sächsischer Volkshochschulverband

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Page 1: Politische Erwachsenenbildung im ländlichen Raum oder · schlechtere Infrastruktur, „digitale Kluft“, höhere Pro- ... durch aufsuchende Bildungsformate durch Identifikationsmöglichkeiten

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Politische Erwachsenenbildung

im ländlichen Raum – oder:

Die Frage nach der „Idiotie des Landlebens“?

29. September 2015

Bundesplanungstagung Politik-Umwelt-Gesellschaft

VHS Leipzig

Prof. Dr. Ulrich Klemm

Sächsischer Volkshochschulverband

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Agenda

Themen

Ländlicher Raum

Herausforderungen für die VHS-Arbeit

Erste These: VHS-Arbeit als Daseinsvorsorge

Exkurs: Traditionslinien

Zweite These: Eigenständige Regionalentwicklung

Dritte These: Bürgerschaftliche Bildungsarbeit

Innovationsstrategien

Fazit

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Ländlicher Raum

Aktuelle Herausforderungen ländlicher Räume

Demografische Entwicklung

Abwanderung, Überalterung etc.

Wirtschaftliche Entwicklung

geringere Kaufkraft, geringeres Bruttosozialprodukt

Strukturelle Entwicklung

schlechtere Infrastruktur, „digitale Kluft“, höhere Pro-

Kopf-Kosten etc.

Politische Entwicklung

stabile rechtspopulistische und -radikale Milieus,

schwache zivilgesellschaftliche Strukturen etc.

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Ländlicher Raum

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Ländlicher Raum

„In Sachsen wächst die digitale Kluft zwischen Stadt und Land“ Freie Presse, 08.09.2015

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Herausforderungen für die VHS-Arbeit

Aktuelle Situation der Erwachsenenbildung im ländlichen Raum

Einerseits

verfügt die VHS-Arbeit im ländlichen Raum über

eine dichte und flächendeckende Infrastruktur

und erreicht alle ländlichen Regionen

ist sie inhaltlich breit und tief aufgestellt, d.h.

alle Bildungsbereiche werden in den VHS-

Programmen abgebildet

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Herausforderungen für die VHS-Arbeit

Andererseits stehen die Einrichtungen angesichts der strukturellen und

demografischen Entwicklungen vor neuen Herausforderungen:

Gesellschaftliche Trends: wir werden älter, weniger, digitaler,

multikultureller, orientierungsloser, anspruchsvoller

Finanz- und Strukturunsicherheit nehmen zu

Stabile Dauerstrukturen und mittelfristige Planungen werden die

Ausnahme

Quantitative Entwicklungen/Steigerungen sind kaum noch möglich

Qualitative Entwicklungen gewinnen an Bedeutung: Neue

Zielgruppen, Bildungsarmut gegensteuern, digitales Lernen,

bürgerschaftliche Bildung

Das zahlungsbereite Mittelschichtpublikum nimmt ab

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VHS-Arbeit als Daseinsvorsorge

Erste These

Erwachsenenbildung als Daseinsvorsorge und

Revitalisierungsstrategie für ländliche Räume:

Bildung – Beratung - Begegnung

Angesichts der aktuellen und zukünftigen demografischen und

strukturellen Entwicklung erhält die Erwachsenenbildung bei der

Revitalisierung ländlicher Räume eine (neue) strategische Rolle

in der kommunalen und öffentlichen Daseinsvorsorge.

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VHS-Arbeit als Daseinsvorsorge

Welche Instrumente benötigen wir dafür:

Differenzierte Bewertung ländlicher Räumen mit

flexiblen Förderstrukturen und dem Instrument einer

Eigenständigen Regionalentwicklung

Stärkung interkommunaler Strukturen und Initiativen

zur Förderung regionaler Infrastrukturnetzwerke

Stärkung einer zivilgesellschaftlichen Kultur

Stärkung und Motivation der Menschen vor Ort

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VHS-Arbeit als Daseinsvorsorge

Was heißt das für die Erwachsenenbildung:

bürgerschaftliche Orientierung ausbauen,

aufsuchende Bildungs- und Marketingkonzepte

umsetzen,

als kommunaler Partner und Dienstleister Aufgaben

der Daseinsvorsorge übernehmen,

als Vernetzungsagentur für regionale Kooperations-

und Dialogstrukturen

Erwachsenenbildung benötigt dazu eine differenzierte

Grund- und Strukturförderung, die den

unterschiedlichen ländlichen Räumen gerecht wird

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Exkurs: Traditionslinien

Entwicklungen und Impulse im ländlichen Raum

1970er Jahre

Die Krise der ländlichen Erwachsenenbildung

1970 und 1980er

Neue gesellschaftliche Entwicklungen und Bewegungen

1980 und 1990er

Eigenständige Regionalentwicklung und neue Dorfkulturen

1990er ff.

Lernende Regionen

21. Jahrhundert

Neue Demografische und Strukturelle Herausforderungen

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Eigenständige Regionalentwicklung

Zweite These

Erwachsenenbildung im ländlichen Raum

benötigt eine neue Governance:

Eigenständige Regionalentwicklung

die Verlagerung von Entscheidungsfindungen auf die

regionale Ebene (keine zentrale Steuerung)

Förderung von sogenannten endogenen Potentialen, d.h.

Menschenförderprogramme statt Strukturförderung

ländliche Regionen werden als eigenständige und

alternative Lebens- und Kulturräume gegenüber urbanen

Metropolen gesehen

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Eigenständige Regionalentwicklung

Eigenständige Regionalentwicklung bedeutet methodisch-didaktisch

eine regionale Erwachsenenbildung, d.h. das Dorf, die

Kleinstadt, die Region werden zur didaktischen

Handlungsebene

Lernen wird als ein antizipatorischer und

partizipatorischer Prozess verstanden; d.h. Lernen soll mit

einem zeitlichen und räumlichen Zugehörigkeitsgefühl in der

Region verbunden werden

Lernen wird als Alltag verstanden:

Gemeinwesenorientierung, d.h. Erwachsenenbildung wird zu

einer aufsuchenden Bildungsarbeit

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Eigenständige Regionalentwicklung

Eigenständige Regionalentwicklung bedeutet inhaltlich

Erwachsenenbildung wird politisch(er) und setzt an

regionalen Problemfeldern an, d.h. sie wird zum

Entwicklungsfaktor muss sich „einmischen“

der gesellschaftliche Wandel wird zum Ausgangspunkt von

Bildungs- und Kulturarbeit wird

das Individuum und das Gemeinwesen werden als die

wichtigsten endogenen Potentiale zur Förderung von

Entwicklung gesehen

Erwachsenenbildung ist nicht nur defizitorientiert, sondern

muss proaktiv individuelle und gesellschaftliche Ressourcen

nutzen

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Eigenständige Regionalentwicklung

Eigenständige Regionalentwicklung heißt: neue Steuerungsmodelle

für (neue) Kooperationen zwischen unterschiedlichen Trägern der

Erwachsenenbildung, zwischen Erwachsenenbildung und Kommune,

zwischen Erwachsenenbildung und zivilgesellschaftlichen Initiativen etc.

für Innovationen, d.h. niederschwellige Struktur- und

Menschenförderprogramme, die die endogenen Potentiale einer Region

anregen und motivieren

für eine differenzierte Analyse und Betrachtung regionaler

Entwicklungsprozesse. Es finden sich in den aktuellen

Erwachsenenbildungsgesetzen der Bundesländer nur ungenügende

Ansätze einer differenzierten Betrachtung ländlicher Weiterbildungsmilieus

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Bürgerschaftliche Bildungsarbeit

Dritte These

Erwachsenenbildung als Ganzes muss politischer

werden im Sinne einer bürgerschaftlichen

Bildungsarbeit

Erwachsenenbildung als Partner der Politik

Erwachsenenbildung als Moderator von Netzwerken

Erwachsenenbildung als Initiator von Lernmilieus

Erwachsenenbildung als Motivator von Engagement

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Bürgerschaftliche Bildungsarbeit

Erwachsenenbildung muss politischer werden im Sinne

einer bürgerschaftlichen Bildungsarbeit

Teilhabe an öffentlichen Entscheidungen

„Einmischung erwünscht!“

Anschlussfähigkeit an die Lebenswelt

„ Der Alltag ist politisch“

Bildungseinrichtungen werden zu Ermöglichungsorten

„learning by doing“

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Bürgerschaftliche Bildungsarbeit

Herausforderungen an bürgerschaftliche Bildungsarbeit

Stellenweise ausgeprägte rechtspopulistische und -radikale

Gesinnung

Zivilgesellschaftliche Netzwerke sind selten und dünn

Vereinzelung kritischer Positionen

Die etablierte politische Kultur ist vorwiegend konservativ

Dominante politische Einzelpersönlichkeiten setzen

Maßstäbe (z.B. Landräte)

Es fehlt eine öffentliche politische Streitkultur und eine Kultur

der öffentlichen Teilhabe

Bürgerschaftliches Engagement findet in klassischen

Vereinen statt (Garten, Sport, Musik etc.)

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Innovationsstrategien

Vernetzungen/Kooperationen aufbauen

zwischen Volkshochschulen in einer Region

zwischen Stadt und Land

zwischen verschiedenen Bildungsträgern und

Bildungsbereichen

zwischen verschiedenen EB-Trägern

zwischen Politik/Verwaltung und Bildungsträgern

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Innovationsstrategien

Beteiligung/Teilhabe ermöglichen

durch aufsuchende Bildungsformate

durch Identifikationsmöglichkeiten mit dem

Lebensraum

durch die Verbindung von Politik, Bildung und

Kultur

durch einen zivilgesellschaftlichen öffentlichen

Raum

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Innovationsstrategien

Neue Marketingstrategien/Öffentlichkeitsarbeit

Politische Bildung benötigt eine eigene

Öffentlichkeitsarbeit

Aktivierende Formen z.B. „aktivierende Befragungen“

Neue Didaktikformate

Nutzung der neuen Medien/Web 2.0

MOOCs

Barcamp

Kooperationsformate verschiedener Träger

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Innovationsstrategien

Differenzierte Förderstruktur

Interministerielle Vernetzung/Bündelung von

Landesmitteln für die Bildungsarbeit im

ländlichen Raum

Differenziertes Weiterbildungsgesetz:

Grundförderung + Projektförderung +

Strukturförderung

Ziel: vom quantitativen Förderparadigma zum

qualitativen Förderparadigma

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Fazit

Strategie zur Stärkung der (politischen)

Erwachsenenbildung im ländlichen Raum

1. Eigenständige Regionalentwicklung als

Revitalisierungsstrategie

2. (Makro-) Didaktische Neuorientierung

3. Demografie- und strukturorientierte Förder-

und Steuerungspolitik