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Sandra Pott Poetiken

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Poetry, German, NOvalis

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Sandra PottPoetiken

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Sandra Pott

PoetikenPoetologische Lyrik, Poetik und Ästhetik

von Novalis bis Rilke

≥Walter de Gruyter · Berlin · New York

Page 4: Pott, Sandra - Poetiken

�� Gedruckt auf säurefreiem Papier,das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-017760-9

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliogra-fie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

� Copyright 2004 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertungaußerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlagesunzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in GermanyEinbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin

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Vorwort

‚Ars poetica‘ – so hieß das Wissensgebiet der Poetik in der Antike, imMittelalter und in der Frühneuzeit. Es umfaßte Theorien über Texte,vor allem über literarische. Der Bereich der Dichtungskritik gehörteebenso dazu wie die Lehre vom Umgang mit schriftlichen Zeichen, mitMetrum, Vers, Trope, Figur und Stil. Gleichberechtigt stand die Poetikneben den anderen ‚artes‘ – als ein Gebiet, das es unter den Aspektenvon Technik und Gelehrsamkeit gleichermaßen ernstzunehmen galt.Im 19. Jahrhundert blieb es im Prinzip erhalten und empfing Impulseaus zahlreichen anderen Wissensgebieten, aus Mythologie, Theologie,Philosophie, Medizin und bildender Kunst beispielsweise. Es verengteseinen Bezugsbereich aber zugleich auf die Kanones der Nationallite-raturen, auf das Wissen für den Literatur-Experten. Im Ausgang ausKlassik und Romantik verabschiedete er sich nach und nach vom Idealdes ‚poeta doctus‘, vom Ideal des umfassend Gelehrten, der mehr als‚nur‘ die Künste des Verseschmiedens und der poetischen Darstellungbeherrschte.

Diese Untersuchung will das Wissensgebiet der Poetik wieder- oderbesser: neu entdecken – für das ‚lange 19. Jahrhundert‘ (1790–1920).Denn hier gewinnt Poetik eine besondere Dynamik: als ein Wissensge-biet, das seinem Gegenstand, der Literatur, erstaunlicherweise Mitspra-cherechte für seine wissenschaftliche Beschreibung einräumt. Poetolo-gische Literatur – Literatur, die sich selbst mit Fragen der Poetik be-faßt – spielt dabei eine herausragende Rolle: Nicht selten überbietet siedie wissenschaftliche Darstellung, weil Literatur ihre eigene Poetik ver-anschaulichen und den Anspruch erheben kann, über Literatur selbst‚wahr‘, nämlich authentisch zu sprechen. Sie reagiert auf theoretischePoetiken und Ästhetiken, und diese reagieren wiederum auf sie.

Um dieses Wechselspiel von Literatur, Wissen und Wissenschaft zuermitteln, beginnt die Untersuchung mit der Romantik: mit jener Epo-che, die sich vorgenommen hatte, das überlieferte System der Norm-poetik aus der Literatur heraus gründlich aufzurütteln und Welt poe-tisch zu verklären. Ihr ‚natürliches‘ Ende findet die Darstellung in den

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VorwortVI

1920er Jahren: in der Lyrik Rainer Maria Rilkes, die einer schöpferi-schen All-Einheit zustrebt und poetologische Reflexionen als omniprä-sent betrachtet.

Im Ergebnis dieser Studie steht eine Vielfalt von Poetiken, von Text-theorien im gelehrten, wissenschaftlichen, didaktischen und literari-schen Text, die im Blick auf ihre Leistungen für das Wissensgebiet derPoetik interpretiert werden. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf denkognitiven Erträgen von Literatur: auf den Leistungen, die Literaturfür ihre Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung – also für ihre Poe-tik – sowie für die Wahrnehmung und Darstellung von Welt erbringt.Es geht insofern um textwissenschaftliche Grundlagenforschung. DieUntersuchung will die bewährten Verfahren und Beschreibungsvorha-ben der Literaturwissenschaft zu diesem Zweck im Sinne einer verglei-chenden, denk-, wissens- und mediengeschichtlich orientierten, inter-national und interdisziplinär interessierten Textwissenschaft erweitern,die Literatur einerseits als eine besonders konzentrierte und eigenstän-dige Ausdrucksform betrachtet, andererseits aber auch im Blick aufihre Bedeutung für nicht-literarische Wissens- und Handlungsgebietebeschreibt und beurteilt.

Mein herzlicher Dank gilt all denen, die es mir ermöglichten, einigeder zahlreichen verschlungenen Pfade der Poetik auf der weitläufigenLandkarte des Wissens zu vermessen: in erster Linie der DeutschenForschungsgemeinschaft, die das Projekt „Poetologische Reflexion.Historische Untersuchungen in systematischer Absicht: Poetik undpoetologische Lyrik im Kontext ästhetischer Reflexion“, dem dieseUntersuchung entstammt, seit Oktober 2001 im Rahmen des EmmyNoether-Programms fördert.

Jörg Schönert unterstützte die Studie durch stetige Diskussion undwohlwollende Kritik von Beginn an. Hans-Harald Müller und PeterHühn danke ich für die Diskussion von Thema und Gegenstand derUntersuchung, für Anregungen und konstruktive Kritik. RüdigerGörner gab mir nicht nur immer wieder Gelegenheit, meine Überle-gungen am Institute of Germanic Studies (School of Advanced Study,University of London) auf die Probe zu stellen, sondern beförderte sieseinerseits durch vielfältige Diskussionen. Michel Espagne und der Ar-beitsgruppe „Transferts culturels – Pays germaniques“ am Centre na-tional de la recherche scientifique/École normale supérieure (Paris)danke ich für wertvolle Anregungen und rege Diskussionen. Dem In-stitute of Germanic Studies (School of Advanced Study, University ofLondon) und dem Centre national de la recherche scientifique/École

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Vorwort VII

normale supérieure (Paris) danke ich für hervorragende Arbeitsmög-lichkeiten.

Ohne Lutz Danneberg, Wiebke Freytag, Frank-Rutger Hausmann,Roland Kany und Simone Winko-Jannidis wäre die Arbeit nicht ge-worden, was sie ist. Wilhelm Kühlmann danke ich für einen nach-drücklichen Hinweis auf Annette von Droste-Hülshoff. John Flood,Katrin Kohl und Susanne Schmid zeigten sich stets als interessierte undkritische Gesprächspartner. Die regen Auseinandersetzungen mit Pro-jekt 6 („Zur Theorie und Methodologie narratologischer Analyse vonLyrik: Untersuchungen aus anglistischer und germanistischer Perspek-tive“) der Forschergruppe Narratologie (Hamburg, gefördert von derDeutschen Forschungsgemeinschaft) halfen, terminologische undtheoretische Fragen zu beantworten.

Hella Sieber-Rilke (Rilke-Archiv, Gernsbach) gilt mein ganz beson-derer Dank: für ihre Hilfe bei der Suche nach Lesespuren in BüchernRilkes und für einen ungemein erhellenden Archiv-Aufenthalt. RenateMoering (Freies Deutsches Hochstift) möchte ich für ein informativesGespräch über die Arnim-Philologie danken. Dem Deutschen Litera-turarchiv Marbach verdanke ich einen produktiven Aufenthalt. FürAuskünfte danke ich Stephan Fölske (Berlin-Brandenburgische Aka-demie der Wissenschaften), Viola Geyersbach, Evelyn Liepsch (Stif-tung Weimarer Klassik; Goethe- und Schiller-Archiv), Ernst Schulin(Freiburg) und Peter White (ProQuest Information and Learning, zu-vor Chadwyck-Healey Ltd). Dem hervorragenden Service und den rei-chen Beständen der British Library, der Bibliothèque Nationale deFrance, der Deutschen Bibliothek sowie der Staats- und Universitäts-bibliothek Frankfurt/M. ist es zu verdanken, daß die Arbeit mit demhistorischen Material zügig voranging. Für freundschaftliche Beglei-tung danke ich Eva Jost und Bianca Unverhau; sie beobachteten dieEntstehung der Untersuchung von Anfang an.

Im Sommersemester 2003 wurde der vorliegende Text als Habilita-tionsschrift am Fachbereich „Sprach-, Literatur- und Medienwissen-schaft“ der Universität Hamburg angenommen und für den Druck ge-ringfügig überarbeitet. Der bewährten Zusammenarbeit mit HeikoHartmann ist es zu verdanken, daß er in dieser Form erscheinen konnte.

Sandra PottParis, im Juli 2003

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1. Poetiken und der ‚poetic turn‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32. Poetik – Ästhetik – Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63. Poetologische Reflexion als Merkmal poetologischer Ly-

rik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihreGrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

1. Novalis: orphischer Gesang und Gefühlspoetik . . . . . . . . . 31a) Vergil Georgica, Buch IV (ca. 36–29 v. Chr.): Umdeu-

ten durch Übersetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32b) Orpheus (ca. 1789): romantisierender Gegenentwurf

von Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382. Friedrich Hölderlin: ambivalente Poetik des Idealischen 43

a) Dichterberuf (1800/1801): Poesie der gemäßigten Ver-einigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

b) Der „poëtische Geist“ im „Widerstreit“: ‚harmo-nisch-entgegengesetzter‘ „Mittelzustande“ oder Ein-samkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

3. Achim von Arnim: polyperspektivische und multi-me-diale Poetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55a) Heymars Dichterschule (1804) und der „Zweifelspro-

phet“ Ariel: poetische Läuterung – geselliger Dichter-spaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

b) Ixion, der an seinen Studien verzweifelte Dichter(1808): „Glaubt ich mich Gott!“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

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InhaltX

III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik: Reflexion alsProblem in der Epoche der „Reflexionsbildung“ . . . . . . . . . 105

1. Schwäbische Dichterkreise: Poetik des ‚ganzen Men-schen‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111a) Magnetismus, Sängerkult und meta-reflexive Poesie:

Justinus Kerner, Ludwig Uhland und Eduard Mörikeim Urteil von David Friedrich Strauß und FriedrichTheodor Vischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

b) David Friedrich Strauß, Friedrich Theodor Vischerund Friedrich Gundolf über Eduard Mörike: Modelldes naiven und humanen Dichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Exkurs. David Friedrich Strauß über die Poetik der Wis-senschaftspoesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

2. David Friedrich Strauß Ästhetische Grillen (1847): sech-zehn Thesen gegen die „Poesie der Poesie“, vor allem ge-gen Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck . . . . . . . . . . . . . . . . 148

3. Systembildung im Ausgang aus der spekulativen Philoso-phie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158a) Georg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen über die

Ästhetik (in der Edition Heinrich Gustav Hothos1835/1842): Lyrik – reflexive Subjektivität . . . . . . . . . . 159

b) Friedrich Theodor Vischer Aesthetik (1846–1857): die‚rezeptionsästhetische‘ Lösung des Reflexionspro-blems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden . . . . . . 173

1. „Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“: Weltliteratur alsProzeß oder als Ensemble nationaler Textkanones? . . . . . 178a) Emphatische Vorstellungen und Ironie: Friedrich

Rückert Weltpoesie (1832) und Ludolf Wienbarg Goe-the und die Weltliteratur (1835) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

b) Ablehnende und gemäßigte Vorstellungen: TheodorMundts Begriff der „Unmittelbarkeit“ (1845), GeorgBrandes’ vergleichende Literaturbetrachtung (1872)und Berthold Auerbachs vermittelnde Lösung (1881) 194

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Inhalt XI

2. Britische und deutsche Lyrik: Metaphysik-Kritik, unpo-litische Rezeption und Trivialisierung der Übersetzungs-poetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202a) Ferdinand Freiligrath The Rose, Thistle and Sham-

rock (1853): poetologische Lyrik in der erfolgreich-sten Anthologie für die deutsche Rezeption britischerDichtung im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

b) Alfred Lord Tennyson The Poet’s Song (1842): die Vi-sion des ‚poeta vates‘ – in der deutschen Rezeptionseit Ferdinand Freiligrath (1846) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

3. Französische und deutsche Lyrik: Sozialkritik und diehohe Schule der Übersetzungspoetik. Léon Halévy LaPoésie in Übertragungen von Heinrich Leuthold, Hein-rich Nitschmann und Theodor Vulpinus . . . . . . . . . . . . . . . . 230

Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion? Die Physiko-Poe-tik der Annette von Droste-Hülshoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

1. An die Schriftstellerinnen in Deutschland und Frankreich(1844): weder Hirtinnen noch Hetären, sondern irdischeHeilige. Heroisierende Reflexion über das Dichterinnen-amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

2. Poesie (1844): ‚Physiko-Poetik‘. Spielerische und unkon-ventionelle Reflexion über das Verhältnis von Edelsteinund Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

3. Dichters Naturgefühl (1844): Keuchen, Stelzen, Stap-fen – mit Gummischuhen und Mückenstich gegen dieNaturlyrik. Anti-konventionelle und subjektiv-empiri-sche Reflexion über das Dichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion derReflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

1. Von der subjektiven Reflexion zur Selbstreflexion. Gott-fried Kellers Poetik zwischen Fortschrittsoptimismusund prophetischer Selbstbescheidung: Erwiderung aufJustinus Kerner’s Lied Unter dem Himmel, SubjektivesDichten, Dichter und Denker (alle 1846) . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

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InhaltXII

2. Im Ausgang aus dem Naturalismus: Ende der Lyrik oderbloß ein Vermittlungsproblem? Protestkult der „Charak-tere“ und Otto Julius Bierbaum Ein Gespräch (1895) . . . 277

3. Mystifikation der Poesie. John Keats: der ‚reine Dichter‘als Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291a) Rainer Maria Rilkes Gedichte (1914) zu der Zeich-

nung Keats on his death-bed (1821) nach Joseph Se-vern: Anbetung einer Ikone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

b) Rudolf Kassner Die Mystik, die Künstler und das Le-ben (1900): John Keats als ‚größter‘ englischer Dichterund als Philosoph des Dichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Exkurs. Über die Legende vom Zusammenhang der„poetry of sensation“ mit der psychologischen Ästhe-tik um 1900 und über ihren wahren Kern: die Entste-hung der ‚reinen Poesie‘ aus Physiologie und Moral-philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus (1922): kosmogo-nische Poetik. ‚Poietische‘ Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

1. „Diktat“, „Orkan“, „Ergriffenwerden“: Funktionen derInspirationspoetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

2. Orientierungshilfen und Lebensreform: Zivilisationskri-tik, Weltanschauung, Populär- und Geheimwissenschaftim Umfeld von Oswald Spengler Der Untergang desAbendlandes (I, 1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343a) Walther Rathenau Von kommenden Dingen (1917):

Zeitdiagnose „an der Schöpfungsgrenze“ . . . . . . . . . . . . 346b) Rudolf Kassner Der indische Gedanke (1913): Plä-

doyer für das Prinzip der Individuation . . . . . . . . . . . . . 351c) Hermann Keyserling (31920) vs. Carl Vogl (1917):

Unsterblichkeit – Entpersonalisierung und Kollekti-vismus oder Geheimlehre der Seele? . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

d) Alfred Schulers anti-christliche und anti-semitischeKosmogonie (1915–1922): Ich-Auflösung im All-Ei-nen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

3. Im Ausgang aus der „poésie pure“: Rilkes lebensreforme-rischer Neuentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

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Inhalt XIII

a) Vorbild. Paul Valéry Orphée (1896): dunkler Hymnusund Berufsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

b) Vorläufer. Iwan Goll Die Unterwelt (1919): expressio-nistischer Totentanz und Hoffnung auf Erlösung . . . 377

VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

1. Poetologische Leistungen poetologischer Lyrik . . . . . . . . . 3822. Kontinuität und Wandel der Poetiken im 19. Jahrhun-

dert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

VIII. Abbildungs- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398

1. Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3982. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398

a) Ungedruckte Quellen und Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . 398b) Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399

3. Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

IX. Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463

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I. Einleitung

Noch im 19. Jahrhundert verbergen sich unter dem Namen der PoetikTexttheorien: historische wie aktuelle, normative und deskriptiveTheorien – Theorien vor allem, aber nicht nur über literarische Texte.Texttheorien werden in voraussetzungs- und gedankenreiche Schriftendargeboten. Nicht selten handelt es sich um Texte mit einer bestimmtenpolitischen Tendenz. Aber auch die Literatur hält Poetiken bereit – daszumindest will diese Untersuchung behaupten und belegen. Diese‚Poetiken in der Literatur‘ teilen beinahe alle Merkmale ihrer gelehrten,wissenschaftlichen und didaktischen Gegenstücke: Auch sie erweisensich als voraussetzungs- und gedankenreich, gelegentlich als tenden-ziös, mitunter sogar als gänzlich unverständlich, als hermetisch. Sievermitteln (dennoch) Wissen über Literatur, also in gewisser Weiseüber sich selbst – und mit sich selbst kennen sie sich so gut aus, daß siedieses Wissen bereits spielerisch in Frage stellen können.1 Unter demDeckmantel des Literarischen erscheinen sie einerseits als einfacher, an-dererseits als komplizierter, vergleicht man sie mit gelehrten, wissen-schaftlichen und didaktischen Poetiken. Poetologische Literatur istsich selbst Exempel, spricht ‚authentisch‘ über sich (1. Teil).

Will man sich verläßlich über die poetologischen Leistungen von Li-teratur informieren, dann bedarf diese Vielschichtigkeit der Poetikeneiner systematischen, vergleichenden, denk- und wissensgeschichtli-chen – von Fall zu Fall sogar mediengeschichtlichen Betrachtung.Denn Poetiken siedeln im Grenzgebiet zwischen Literatur und Wis-senschaft: Poetiken nutzen, was die Denk- oder Wissensgeschichte be-reitstellt, um ihren komplexen Gegenstand zu beschreiben (2. Teil).

1 Unter Wissen verstehe ich kognitive Bestände aller Art, also sowohl kurz- als auchmittel- und langfristige Erträge von Gedächtnistätigkeit. Dazu gehören nicht nurdie „Aussagen/Proposition, die die Mitglieder eines räumlich und zeitlich begrenz-ten soziokulturellen Systems [...] für wahr halten“ (Richter, Schönert u. Titzmann1997, S. 12, Hervorhebungen im Original; vgl. auch Titzmann 1989), sondern auchsolche, die sie als falsch erachten. Wissen über Poesie und Poetik zählt ebenso dazuwie Wissen über Einstellungen und Normen, die das Wissensgebiet der Poetik er-zeugt.

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I. Einleitung2

Auch das läßt sich ohne Unterschied der Gattung feststellen, also un-abhängig davon, ob es sich um Literatur oder um ausgewiesene Text-theorie handelt. Es gilt selbst für eine literarische Gattung, die seit ihrenUrsprüngen im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert alsein Ausdruck von Subjektivität betrachtet wird, d. h. als eine Gattung,die sich dem Denken, dem Wissen, dem Ojektiven, der Reflexion ver-weigert. Gemeint ist die Lyrik.

Auf dieses historische Verständnis von Lyrik zielt diese Untersu-chung nicht nur, weil es besonders wirkungsmächtig war und ist, son-dern auch, weil es die These von den Poetiken in der Literatur entschie-den herausfordert. Es erlaubt, sie gründlich zu prüfen – zumal Lyrikselbst das anti-reflexive Verständnis ‚von sich‘ mitprägte oder ihm zuentsprechen suchte. Das gilt gerade auch für solche Lyrik, die sich aus-drücklich mit Poesie oder Literatur befaßt: für poetologische Lyrik, dieim engen Sinne über Lyrik und im weiten Sinne über Literatur handelt.2

Sie gerät deshalb in den Verdacht, sich selbst zu widersprechen: Poe-tologische Lyrik, die sich dem Subjektiven verschreibt, steht zugleichfür das Gegenteil, für Reflexion über ihren eigenen Begriff. Dieser Wi-derspruch läßt sich jedoch auflösen – im Blick auf den Reflexionsdruck,den das Reflexionsdenken der Romantik auch der Lyrik auferlegte.Poetologische Lyrik stellt sich der Anforderung, sich selbst zu reflek-tieren, Poetologisches zu Papier zu bringen – und entlastet sich so-gleich, indem sie sich als subjektiv bestimmt. Trotz dieser einge-schränkten Selbstbestimmung versprechen ihre Reflexionen Literatur-kritisches und Programmatisches – im Gewand des versifizierten Texts,das sich immer wieder neu drapieren läßt. Mitunter wendet sie sich da-bei direkt gegen ihre Beschreibung durch Gelehrsamkeit, Wissenschaftund Didaxe. Gelegentlich will sie aber auch dazu beitragen – oder sie

2 Ich gebrauche den Begriff poetologische Lyrik in Anlehnung an Alfred Weber (1971)und Armin Paul Frank (1977). Sie beschreiben poetologische Lyrik als Lyrik, dieThemen der Poetik behandelt. – Bedauerlicherweise verwendet Weber später fürdenselben Sachverhalt einen – ihm zu diesem Zeitpunkt wohl als zeitgemäßer er-scheinenden – Begriff, nämlich denjenigen der „self-reflexive poetry“: Weber 1997.Bei diesem Beitrag handelt es sich aber um eine Übersetzung des geringfügig verän-derten Texts aus dem Jahr 1971. Weil Weber es dementsprechend auch bei seiner al-ten Definition beläßt und dafür nur einen neuen Begriff wählt, bleibe ich bei demalten, der mir eindeutiger erscheint. – Mit diesem Versuch der Wiederbelebung desalten Begriffs poetologische Lyrik steht vorliegende Untersuchung nicht allein. Fürseinen Studienband zum Thema, der nach Abschluß dieser Untersuchung erschienund dessen Ergebnisse hier nachgetragen sind, gebraucht Olaf Hildebrand (2003;ders. 2003a) denselben Terminus in gleicher Weise.

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1. Poetiken und der ‚poetic turn‘ 3

wirkt auf diese Fremd-Beschreibungen, ohne es vorhersehen zu kön-nen.3 Eine Vielfalt von Poetiken, die sich rege und über die Gattungs-grenzen miteinander austauschen, ist das Ergebnis.

Deshalb entwirft diese Untersuchung ein Gegenbild zu einer litera-turwissenschaftlichen Forschung, die der gelehrten, wissenschaftlichenund didaktischen Texttheorie des 19. Jahrhunderts bislang vorwarf, sichganz von innovativer zeitgenössischer Literatur abzukoppeln, um einen‚goethezeitlichen‘, subjektiven und nicht-innovativen Lyrik-Begriff‚undialektisch‘ festzuschreiben.4 Hier geht es demgegenüber darum, dasWechselspiel von lyrischem und gelehrtem, wissenschaftlichen oder di-daktischem Text für das Wissensgebiet der Poetik darzustellen (3. Teil).

1. Poetiken und der ‚poetic turn‘

Die Frage nach diesem Wechselspiel empfängt Impulse von den gegen-wärtigen Debatten über Poetik, die ich als ‚poetic turn‘ bezeichnenwill.5 Sie gehen von (mindestens) drei ganz unterschiedlichen inter-und transdisziplinären Bewegungen aus: erstens von kultur- undmedienwissenschaftlichen Bestrebungen, die auf eine allgemeine Poe-tik der Kultur zielen. Solche Vorhaben nehmen mentale Phänomenewie die Erinnerung,6 psycho-physische Zustände wie den Drogen-

3 Diese Untersuchung will deshalb zu den Debatten über die Frage beitragen, wieWissen in Literatur eingeht, will die Fragestellung aber auch umkehren: im Blickdarauf, was Literatur selbst für Wissen und Wissenschaft leistet. Fragen wie dieseverbinden sich mit Beschreibungsformeln wie „Dichtung als Form der Erkenntnis“(Gellhaus 1995, S. 11) oder „sinnliche Erkenntnis“ (Lorenz 1996).

4 Almut Todorow (1981) formulierte diese Position paradigmatisch und mit kanoni-sierender Wirkung. Ihre Kritik an der Theoriebildung (Friedrich Theodor Vischers,Moriz Carrieres und Rudolf Gottschalls) bezieht sie aber ausschließlich aus einerPosition, die sie für die Lyrik des 19. Jahrhunderts als die innovativste erachtet: ausder Lyrik Heinrich Heines (ebd., S.243 u. 249), die nicht nur in der Theorie, sonderngerade auch unter den Dichtern der Epoche umstritten war.

5 Pessimisten mögen dafür von einer inflationären Verwendung des Poetik-Begriffssprechen. Durchforstet man nämlich nur die CD-Rom-Fassung des Eppelsheimer-Köttelwesch (1990–2001), dann finden sich unter dem Stichwort Poetik ca. 1300Einträge – zu ganz unterschiedlichen Themen und mit großer methodischer Va-rianz.

6 Wollte ich hier alle Einträge aus dem Eppelsheimer-Köttelwesch anführen, dannwäre die Liste zu lang für eine Anmerkung. Ich beschränke mich deshalb auf Bege-mann 1999. Ein solcher Gebrauch des Poetik-Begriffs entstammt nicht selten Aus-einandersetzungen mit Konzepten des Poststrukturalismus, mit der These von der‚prinzipiellen Reflexivität‘ der (literarischen) Zeichen; kritisch darüber Sparr 1993.

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I. Einleitung4

rausch,7 mediale Objekte8 und – nicht zuletzt – fachwissenschaftlichePraktiken in den Blick: die ‚Poetik des Geschichtsdenkens und-schreibens‘ beispielsweise.9 Eine zweite Verwendungsweise von Poe-tik läßt sich auf die Erzähltheorie zurückführen.10 Zahlreiche Narrato-logen erblicken in der Poetik den historischen und kontextbezogenenFluchtpunkt für die erzähltheoretische Analyse; der Begriff der Poetikschillert hier aber ebenso stark wie im Fall der Kulturpoetiken.11 Diedritte Verwendungsweise erweist sich demgegenüber als vergleichs-weise traditionell: Sie fahndet nach den Poetiken bestimmter Gattun-gen oder nach Autorpoetiken. Eine erhebliche Weiterung erfährt siedurch die gewagte Gleichsetzung von ‚poetics‘ mit Schreiben über-haupt.12

Nimmt man den ersten und den erweiterten dritten Gebrauch vonPoetik in den Blick, dann scheint es, als habe der Literaturbegriff aus-gedient. Der Begriff Poetik erweist sich als deutungsoffener und ver-heißungsvoller als der Verweis auf Buchstabe, Wort und Satz: ‚Poetikder Sinne‘ beispielsweise klingt nicht nur anders als ‚Literatur über diePhänomene sinnlicher Wahrnehmung‘, sondern verspricht auch eineeingängige und vollständige Darbietung eben jener Phänomene. Hinzukommt die Bedeutungsweite des doppelten Genitivs, der sowohl eineMotivation (‚durch etwas veranlaßt‘) als auch ein Besitzverhältnis an-zeigen kann. Ansätze, die sich der Poetik verschreiben, betonen dasSchöpferische, das Gemachte. Ihr Poetik-Begriff lebt nicht selten vomNimbus des Schönen, vom Schein des harmonisch Systematisiertenund der allumfassenden Erklärung.

7 Söring 1993.8 Beispielsweise die Behandlung „nasser Medien“ bei Bickenbach u. Maye 1999.9 Fulda 1999. Wenn Fulda nach der „Poetik modernen historischen Denkens“ fragt,

dann untersucht er Textmodelle, die diesem Denken zugrunde liegen und stellt da-für – mehr oder minder in der Tradition Haydn Whites – die Verwendung literari-scher Muster fest. Als eine besondere Variante dieses Poetik-Ansatzes erweist sichder New Historicism mit seinen zahlreichen Filiationen und Rezeptionen. Er nimmthistorische Dokumente wie literarische Texte wahr, fahndet nach einer Poetik auchdes Nicht-Literarischen; Baßler 1995; kritisch bereits Harth 1990.

10 Mischformen, die sich des Analyseinstrumentariums sowohl der Narratologie alsauch der Psychologie zu bedienen wissen, sind selten. Zu den Ausnahmen zähltWinko 2003.

11 Vgl. beispielsweise in der programmatischen Untersuchung von Bal 2000, die – vordem Hintergrund des „visual turn“ der letzten Jahre – für „visual poetics“ plädiert.

12 Kritisch darüber Earl Miner: „Poetics“, in: Preminger u. Brogan 1993, S. 929–938,bes. S. 929 f.

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1. Poetiken und der ‚poetic turn‘ 5

Um diesen so inspirierenden wie verwirrenden Assoziationsreich-tum zu einem schlüssigen Begriffsbündel zu verschnüren, will ich michmit einer thematischen Bestimmung bescheiden. Als Poetiken bezeich-ne ich Theorien (im Sinne von ‚Anschauungen‘) über literarische undnicht-literarische Texte, und zwar unabhängig von den Gattungen undGenres,13 in denen sie niedergelegt sind: unabhängig davon, ob sie sichin Rhetorik, Ästhetik, gelehrter, wissenschaftlicher und didaktischerPoetik, Stilistik, Essayistik, in Rezensionen, in Briefen oder in literari-schen Gattungen wie der Lyrik finden.14 Dabei öffnet der vage Aus-druck ‚Theorie‘ zwar ein Einfallstor für unkontrollierte Zuschreiben,aber er ist unvermeidbar für einen Begriff von Poetik, der historischund gattungssystematisch variabel einsetzbar sein soll, der normative,aber auch analytische und deskriptive Ansprüche der Darstellung um-faßt.15 Aus dieser Erklärung von Poetik folgt jedoch nicht, daß sichTexttheorie in gleicher Weise und zu vergleichbaren Anteilen auf dieangesprochenen Gattungen und Genres verteilt. Im Gegenteil: Eine derHauptaufgaben dieser Untersuchung soll es sein, die jeweiligen Gradevon Texttheorie am Beispiel literarischer und nicht-literarischer Ein-zeltexte zu bestimmen, auf historische Gattungs- und Genre-Eigen-schaften rückzuschließen, um die Chancen und Grenzen der Beschrei-bung von Poetik als einem gattungsübergreifenden Wissensgebiet zuermitteln.

13 Von Gattung spreche ich, insofern die überlieferte Trias von Lyrik – Prosa – Dramagemeint ist; siehe dazu auch die Diskussion über den Begriff der Lyrik in Anm. 27.Den Begriff des Genres hingegen gebrauche ich, um Textgruppen auszuzeichnen, diesich den Gattungen unterordnen lassen. Es handelt sich um Textgruppen, die mitHilfe eines thematischen und / oder formalen Kriteriums klassifizierbar sind, unddie auf seiten von Produzenten und Rezipienten bestimmte kognitive Schemata aus-bilden (vgl. S. J. Schmidt 1994, S. 164–201); siehe dazu auch die Diskussion von poe-tologischer Lyrik als Genre (Anm. 38). – Ich halte also an den etablierten Gattungs-begriffen fest, versuche aber, diese historisch und systematisch voraussetzungsrei-chen Begriffe zu differenzieren.

14 Insofern Poetiken über die Gattungsgrenzen hinweg verfolgt werden, werden An-regungen für eine „Poetologie“ oder für „Poetologien des Wissens“ aufgenommen;siehe Joseph Vogl 1997 u. 1999. Meine Untersuchung der Poetiken unterscheidetsich von Vogl aber in zweierlei Hinsicht: erstens teilt sie die Vernunftkritik nicht, dieder Untersuchung von „Poetologien“ als Wertprämisse zugrunde liegt (Vogl 1997,S. 117). Zweitens blickt sie zwar – wie die „Poetologien“ – auf Schöpfungsordnun-gen schlechthin und widmet sich Prozessen der „Verfertigung“ (ebd.). Aber sie willnicht jedwedes Wissensgebiet im Blick auf diese Schaffensprozesse untersuchen,sondern sich auf das Wissensgebiet der Texttheorie beschränken. Daher lautet ihr Ti-tel „Poetiken“ und nicht „Poetologien“.

15 Vgl. auch Hildebrand 2003a, S. 6.

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I. Einleitung6

2. Poetik – Ästhetik – Lyrik

Zu diesem Zweck will ich in einem knappen Überblick erörtern, wel-che Wissensanteile dem Wissensgebiet der Poetik angehören. Es um-schließt – kommunikationstheoretisch betrachtet – Wissen darüber,wer (Produktionsästhetik: Autor/Autorenkollektiv) in einem Text zuwem in welcher Absicht (Rezeptionsästhetik: Leser/Rezipient) wie(Darbietungsform: Rhetorik, Stilistik, Gattungstheorie/Generik, Pro-sodik, Rhythmik, Metrik, Tropen, Figuren) über was (Begriff desSchönen, Erhabenen, Häßlichen, Text- bzw. Literaturbegriff, Textwis-sen, Kanon) spricht. Ein Schema soll veranschaulichen, welche Wis-sensanteile das Wissensgebiet der Poetik im 19. Jahrhundert umfaßtund mit welchen nicht-primär ästhetischen Wissensgebieten es sichverbindet.

Noch im 19. Jahrhundert variieren die Wissensanteile der Poetik er-heblich: Beispielsweise ist die Mythologie einmal Teil der Poetik, einander Mal entfällt sie. Im Schema sind unter ‚Poetik‘ deshalb nur dieWissensanteile angesprochen, die zum Kernbestand des Wissensge-biets gehören. Vergleichbares gilt für die Verbindungen, die das Wis-sensgebiet der Poetik im 19. Jahrhundert mit anderen Wissensgebieteneingeht. Diese Verbindungen reichen von direktem Einfluß bis zurbloßen Ähnlichkeit der Wissensbestände, von der Koevolution vonWissen, d. h. der nahezu gleichzeitigen Entwicklung von Wissen in un-terschiedlichen Gattungs- und Wissenssystemen, bis hin zur wechsel-seitigen Ignoranz.16 Verbindungen wie diese sind abhängig vom jewei-ligen Wissenskontext; sie werden deshalb in den Einzelstudien unter-sucht und im Schlußkapitel – soweit als möglich – mit Blick auf diedenkgeschichtlichen Entwicklungen des Zeitalters zusammengefaßt.17

Um einen ersten Überblick zu ermöglichen, will ich nur wenige Be-merkungen voranstellen: Ästhetik, Rhetorik und Literaturgeschichtebeziehen sich zumeist auch auf die Poetik; ihre Wissensanteile sindteilweise identisch. Musik(wissenschaft) und Kunst(wissenschaft) hin-gegen werden der Poetik Quelle, Vorbild und Vergleichsbereich. An-ders verhält es sich mit den nicht – oder allenfalls am Rande – überÄsthetisches handelnden Wissensgebieten (Jurisprudenz, Naturfor-schung etc.). Diese können aber gleichwohl Grundlagenreflexionen

16 Für die Beschreibungsbegriffe siehe Pethes 2003.17 Siehe Kapitel VII. Abschnitt 2.

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2. Poetik – Ästhetik – Lyrik 7

ÄSTHETIK(Theorie desSchönen, Erhabe-nen, Häßlichen undder Künste)

MUSIK(WISSEN- KUNST(WISSEN-SCHAFT) Begriff des Schönen SCHAFT)

Erhabenen, HäßlichenMythologieReligion u.

TheologieAutor/Autorenkollektiv Metaphysik

ErkenntnislehreLeser/Rezipient Anthropologie

Morallehre/Ethik/Text- bzw. Literatur- Bildungspädagogikbegriff (Neuhumanismus)

LITERATUR- Textwissen, Kanon Geschichtsphiloso-GESCHICHTE phie(ab ca. 1830)18 Jurisprudenz

Gattungslehre/Generik Soziologie (undpolitisches sowiewirtschaftlichesWissen)

Prosodik und RhythmikMetrik Naturforschung(Reim, Vers, Strophe) Medizin, bes.

PhysiologieMagnetismusPsychologie

Tropen und FigurenTechnik

STILISTIKPOETIK(Texttheorie)RHETORIK19

(Theorie der Rede)

18 Literaturgeschichte und Rhetorik, denen im Schema ein beträchtlicher Einfluß aufdie Poetik zugewiesen ist, kommen in den historischen Studien nicht ausführlichzum Tragen (vgl. statt dessen Batts 1993; Schlott 1998): Der Grund dafür liegt imSchwerpunkt der historischen Untersuchungen, die sich auf das Verhältnis von Poe-tik und Ästhetik konzentrieren. Diesem Schwerpunkt ist auch die Art und Weise derSchematisierung geschuldet: Es wäre auch denkbar, das Schema von einem Wissens-bestand der Poetik ausgehend ganz anders anzulegen. Als Beispiele gelten mir Pro-sodik und Rhythmik. Hier wären enge Beziehungen nur nicht zur Psychologie, son-dern auch zur Musik zu beschreiben.

19 Vgl. vorhergehende Anm.

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I. Einleitung8

über einen Wissensanteil der Poetik anregen. Auf eine Phase der Aus-einandersetzung mit diesen Wissensgebieten folgt dabei zumeist die to-pische Aufnahme nicht-primär ästhetischen Wissens in das Wissensge-biet der Poetik. Nicht-primär ästhetisches Wissen geht durch dieSelbstthematisierung von Poetik in die Wissensanteile derselben ein,wird poetologisch reformuliert, d. h. an die Anforderungen der Poetikangepaßt.

Diese Bestimmung des Wissensgebiets Poetik erweist sich zum einenals innovativ, weil sie Poetik aus ihrem dynamischen Zusammenspielmit anderen Wissensgebieten und im Blick auf die Gattungen erfaßt,die Poetik ausdrücken. Zum anderen erlaubt es diese Bestimmung, miteiner – vergleichsweise – klaren Vorstellung von Poetik nach ihremVorkommen sowie nach ihrer Entwicklung in gelehrter, wissenschaft-licher und didaktischer Texttheorie und im literarischem Text zu fra-gen. Bislang wurde diese Frage nur für ausgesuchte Beispiele gestellt:für die Zeit um 1900 etwa. Hier gehen Autorpoetik und Literatur nichtselten ineinander über. Im Blick auf die Zeit von 1825/30 bis 1890 han-delte man demgegenüber entweder über die Gattung der Ästhetik, diesich als Theorie des Schönen, Erhabenen, Häßlichen und der Künstedem Text als einem Gegenstand unter anderen widmet,20 über Poetikenin der Literatur selbst,21 nur andeutungsweise aber über poetologischeLiteratur im Kontext von Ästhetik und Poetik.22

Zum Zweck der Darstellung solcher Wechselverhältnisse fehlt einehistorisch angemessene und systematisch befriedigende Darstellungder gelehrten Poetik, die sich bis ca. 1870 als normative Wissenschaftverstand,23 der wissenschaftlichen Poetik, die sich ab 1870 mit analy-tisch-deskriptivem Anspruch aus der experimentellen Ästhetik entfal-tete, und der didaktischen Poetik (bis ca. 1950), die im 19. Jahrhundert

20 Strube 2000; siehe auch Michael Titzmann (1978). Carsten Zelle (1995) erläutertedarüber hinaus die dichotomische Ordnung der Ästhetik: die Behandlung des Schö-nen einerseits, des Häßlichen andererseits. Im Blick auf die problematische Rezep-tion der Ästhetik in Frankreich Décultot 2002a.

21 Für die Literatur selbst wird dabei nach Theorie in der Literatur gefragt; für denKomplex der poetologischen Lyrik bereits A.P. Frank 1977; siehe auch Esterhammer(2000) und Larsen (2000) im 27. Band des „Neohelicon“.

22 Ausnahmen bestätigen die Regel. Die neu gegründeten Zeitschriften „Scientia Poe-tica“ (seit 1997) und „KulturPoetik“ (seit 2001) gehören ebenso dazu wie DieterBurdorfs Untersuchung über die „Poetik der Form“ (2001).

23 Ihre Denk- und Darstellungsmuster bleiben – trotz der Neuordnungen durch dieÄsthetiken des Idealismus – im Prinzip erhalten. Sie werden erst durch Poetiken ab-gelöst, die mit (geistes- oder natur-)wissenschaftlichem Anspruch zu Werke gehen.

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2. Poetik – Ästhetik – Lyrik 9

der literarischen Bildung des Schülers und Studenten diente.24 DieseUntersuchung will dazu betragen, diesen Mangel zu beseitigen. Siekonzentriert sich deshalb auf die Poetiken vor allem lyrischer Texteund blickt von dort ausgehend auf nicht-literarische Poetiken, um dasWissensgebiet der Poetik für einzelne Ausschnitte aus der Literatur-und Denkgeschichte des 19. Jahrhunderts darzustellen.25

Dabei erweist sich nicht nur der Poetik-, sondern auch der Lyrik-Begriff als Herausforderung. Was Lyrik sei, erscheint nämlich als deu-tungsoffen, nimmt man jene Forschungsposition ernst, die die Gat-tung Lyrik als ein bloßes ‚Diskursphänomen‘ des späten 18. und desfrühen 19. Jahrhunderts erachtet.26 Mitterweile hat sie sich als ‚opiniocommunis‘ entpuppt: Sie bezweifelt, daß sich Lyrik überhaupt sy-stematisch begründen läßt und faßt sie als ein Bündel unterschiedli-cher Merkmale auf.27 Ich will an diese Position anküpfen und Lyriksowohl gattungshistorisch als auch pragmatisch als die Summe der alsLyrik ausgezeichneten Texte begreifen.28 Wie Literatur überhaupt be-faßt sich Lyrik seit jeher u. a. mit ‚sich selbst‘, mit dem Poeten, mit sei-nem Werk und seinem Leser.29 Aber nicht jede Lyrik wäre deshalb

24 Partielle Darstellungen der Poetik des 19. Jahrhunderts finden sich in Markwardt1959–1967; Markwardt 1977; Todorow 1981; Weimar 1989; Dolezel 1990. – Das letz-te große literaturgeschichtliche Unternehmen, nämlich „Hansers Sozialgeschichteder Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ (hg. v. Rolf Grimminger) ver-zichtet – abgesehen von Renate Werners umfangreichen Beitrag über die Poetik desMünchner Dichterkreises – auf Beiträge über die Poetik des 19. Jahrhunderts.

25 Die Untersuchung läßt sich dafür von aktuellen Debatten über das Verhältnis von li-terarischer Theorie und Gegenwartsliteratur anregen. Hier scheint diese Frage näm-lich auf der Hand zu liegen – möglicherweise, weil anspruchsvolle Gegenwartslite-ratur nicht selten ‚theorielastig‘ ist. Vgl. die Ergebnisse des 34. Autorprojektes der„Alten Schmiede“ (Wien) in: Eder u. Steinbacher 2000; vgl. die Ergebnisse eines Se-minars der Universität Pennsylvania Wayne 2000.

26 Schon Behrens 1940, S. 180–201; für die Phase von 1830 bis 1860 Ruprecht 1987; ineiner historisch kundigeren und genaueren Fassung des Unternehmens von BehrensTrappen 2001, S. 198–269.

27 Das „Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft“ bestimmt Lyrik nurmehr exnegativo: als „Ordnungsbegriff der Gattungstheorie für Verstexte, die nicht epischoder dramatisch sind.“ Fricke u. Stocker 2000, S.498. Müller-Zettelmann (2000) so-wie Hühn u. Schönert (2003) bemühen sich um Kriterienkataloge für lyrische Texte,die aber bloß pragmatisch als solche ausgewiesen werden können.

28 Vgl. vorhergehende Anm.29 Als ein Beleg dienen mir, weil ein vergleichbares Arbeitsmittel für deutsche Lyrik

fehlt, Stichwort-Suchen mit der digitalen Datenbank „The English Poetry Comple-te“ (Full Text Database. 1995 Chadwyck Healey Ltd. Software Version 4.0; für einAnwendungsbeispiel siehe auch Schmid 1999). Sie erfaßt lyrische Texte von insge-

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I. Einleitung10

schon poetologisch. Sie nimmt unter Umständen bloß poetologischeAspekte auf.

3. Poetologische Reflexionals Merkmal poetologischer Lyrik

Poetologische Lyrik, wie sie in dieser Untersuchung verstanden wer-den soll, zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, daß sie sich aus-drücklich einem poetologischen Thema widmet,30 es möglicherweiseschon im Titel ankündigt, und zwar unmittelbar oder metaphorisch:Weben beispielsweise kann als ein Sprachbild für Dichten stehen.31 MitHilfe lyrischer Bilder und Topoi formuliert poetologische Lyrik, wasim gelehrten, wissenschaftlichen und didaktischen Text ausführlicherSatzgebilde und Argumentationsketten bedarf. Sie bündelt Aussagen,neigt in ihren poetologischen Reflexionen zu normativen Vorstellun-

samt 1350 Dichtern im Zeitraum von 600 bis 1905 n. Chr. Für die Suche wähle ichden Zeitraum von 1603 bis 1900 sowie die Stichworte „poet“, „poetry“ und „poesy“.Es ergibt sich folgende Verteilung (Stichwort pro Gedicht):

„poet“ „poetry“ „poesy“1603–1660 4,93 % 1,47 % 0,01 %1660–1700 9,29 % 4,14 % 0,03 %1700–1750 16,64 % 4,13 % 0,03 %1750–1800 18,40 % 3,07 % 1,30 %1800–1835 12,65 % 2,50 % 2,33 %1835–1870 11,46 % 2,22 % 1,63 %1870–1900 7,33 % 0,82 % 0,05 %

Das Ergebnis bestätigt die Ausgangsüberlegung: daß Literatur immer ein Thema fürLiteratur – in diesem Fall für Lyrik – war. Aber es lassen sich auch historische Kon-junkturen für einzelne Themen nachweisen: Die Thematisierung poetologischer Be-griffe erreicht zwischen 1660 und 1870 ihren Höhepunkt – in der Zeit also, in dersich die alphabetisierte Bevölkerungsschicht nach und nach vergrößert, in der dieKommunikationsstandards der ‚respublica litteraria‘ auf dem Prüfstand stehen, undin der sich (zwischen 1750 und 1800) der Beruf des Belletristen entwickelt. Vorstel-lungen vom Poeten beispielsweise finden – hier entspricht die quantitative Untersu-chung ganz den ‚qualitativen‘ Darstellungen der Literaturgeschichte – in den Jahrenvon 1750 bis 1800 besondere Berücksichtigung.

30 Das Attribut ‚ausdrücklich‘ bleibt interpretationsabhängig; er kann nicht mehr alsGrade von expliziten und impliziten Verweisen bezeichnen; vgl. auch Hildebrand2003 a, S. 4.

31 Über poetologische Metaphern und ihre Theoretisierung am Beispiel des TextilenGreber 2002, S. 1–43.

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3. Poetologische Reflexion als Merkmal poetologischer Lyrik 11

gen von ihrem Gegenstand, kann sich aber auch auf Deskriptives be-schränken.32 Unter ‚poetologische Reflexion‘ fällt dabei zweierlei:33

(1) (kritisches) Nachdenken über poetologische Fragen und Lehren imallgemeinen,

(2) Selbstbespiegelung als ein poetologisches Phänomen, Besinnen aufdie ‚eigenen‘ poetologischen Grundlagen, um vor dem Hintergrunddessen über sich selbst als poetologisches Phänomen nachzuden-ken.34

Die erste Reflexionsvariante kann in Lyrik, in gelehrter, wissenschaftli-cher und didaktischer Poetik sowie in der Ästhetik auftauchen; nur inAusnahmefällen – in Schriften vom Typus der Ars poetica des Horazbeispielsweise – betrachtet sich gelehrte Poetik selbst als ein poetologi-sches Phänomen (zweite Variante von Reflexion).35 Doch erweist sichgerade die zweite Variante von Reflexion als komplexer; sie schließt dieerste ein und ergänzt eine weitere Ebene, nämlich den (kritischen)Selbstbezug.36

32 Vgl. Hildebrand 2003a, S. 6.33 Der Begriff der Reflexion hat Konjunktur; durch die Theoriebildung von Struktura-

lismus, Poststrukturalismus und Systemtheorie wurde er vielfach unterschiedlichbesetzt. Darüber hinaus gilt Reflexion als Kennzeichen der Moderne und damit auchder modernen Literatur. – Eine bestechend klare Diskussion des Begriffs (und desparallelen Begriffs der Selbstreferenz sowie der Frage, ob Dichtung per se selbstre-flexiv sei) legte Michael Scheffel (1997, bes. S. 55) vor. So einsichtig Scheffels Erklä-rung auch ist – ich kann den Begriff der Reflexion hier nicht in seinem Sinne einset-zen, sondern den Begriff nur typologisch und für die historische Interpretation ge-brauchen. Zu diesem Zweck ist es notwendig, ihn für seine jeweilige begriffsge-schichtliche Verwendung offenzuhalten. Scheffels narratologische Klassifikationwäre dafür zu eng (siehe nachstehende Anm.).

34 Scheffel bestimmt das „Sich-Selbst-Bespiegeln“ im Blick auf eine „Wiederholungs-beziehung“. Danach liegt eine „Spiegelung in einem Erzähltext“ dann vor, wenn sichein Teil der Erzählung infolge eines Ebenenwechsels auf einen vorhergehenden be-zieht; ders. 1997, S.71. – Der Aspekt der Wiederholungsbeziehung im Text muß hierwegfallen, weil dieser Gebrauch von Selbstbespiegelung für die begriffsgeschichtli-che Verwendung nicht zutrifft.

35 A. P. Frank 1977; Weber 1979, S. 68.36 Dieser Selbstbezug ist nicht mit dem gleichzusetzen, was zahlreiche Ansätze als Re-

flexivität oder Selbstreflexion des Ich beschreiben: Dorothy Zayatz Baker (dies.: In-troduction, in: dies. 1997, S. 1–7, hier S. 1 f.) und Gerhard Kaiser (1996) geht es näm-lich vor allem um solche Lyrik-Texte, in denen sich ein Ich als Mensch bedenkt. Ent-würfe wie diese entfalten sich vor dem Hintergrund der These von der zunehmendenIndividualisierung des Menschen im ausgehenden 18. Jahrhundert und der Zerstö-rung von Individualität im Gang des 19. (siehe Kaiser 1996, I, S.325–352). In dieserUntersuchung steht demgegenüber das Ich nur insofern im Vordergrund, als es sichals Dichter beschreibt und sich Fragen der Poetik widmet.

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I. Einleitung12

Im folgenden ist deshalb auch von reflexiver Lyrik und von Meta-Lyrik die Rede.37 Weil diese Erklärung aber noch zu allgemein bleibt –eine Einschränkung. Hier interessiert nicht jedwede, sondern vor allemdie lyrische Meta-Literatur, also eine thematische Variante der GattungLyrik und eine (wesentlich) fiktionale Variante der Gattung Poetik, ge-nauer: ein thematisch zuzuordnendes, nämlich meta-literarisches‚Zwittergenre‘ von Lyrik und Poetik, das bestimmte Produktions- undRezeptionserwartungen ausprägt38 – lyrische Poetik oder poetologi-sche Lyrik. Bedingt durch seine Form und durch den Umstand, daßdieses ‚Zwittergenre‘ an Entwicklungen der allgemeinen Lyrik-Ge-schichte teilhat und Texttheorie aus der Sicht und im Rahmen derKommunikationsbedingungen von Lyrik thematisiert, ist es allerdingsin erster Linie dieser Gattung zuzuordnen.39 Deshalb vermeide ich dieRede von lyrischer Poetik und spreche von poetologischer Lyrik.

Die intensionale Erklärung von poetologischer Lyrik folgt aus die-sen Vorüberlegungen: Poetologische Lyrik bezieht sich auf sich zu-rück, indem sie Texttheoretisches anspricht und auf sich selbst anwen-

37 Vgl. Baker: Introduction (wie Anm. 36).38 Wenn es sich bei Lyrik etwa seit Beginn des 19. Jahrhunderts um eine eigenständige

Gattung handelt, dann kann poetologische Lyrik als eine ihr untergeordnete Gruppevon Texten gelten. Diese Gruppe von Texten ist thematisch – nicht jedoch formal –durch das Wissensgebiet der Poetik verbunden und läßt sich im Blick auf diese ‚dif-ferentia specifica‘ als thematisch bestimmtes Genre auszeichnen. Ich folge darin We-ber, der von einem „distinct genre“ der poetologischen Lyrik spricht; ders. 1997, S.9.Günther Ahrends bezweifelte diese Zuordnung – und vergleicht die angesprochenenTexte mit etablierten lyrischen Genres wie der politischen Lyrik oder der Liebesly-rik. Ahrends 1987, S. 77: „Obwohl das Gedicht schon seit Theokrit der Ort der Re-flexion über die Dichtung ist, sind die poetologischen Gedichte nie als eigene Gat-tung innerhalb der Lyrik in Erscheinung getreten.“ Ahrends kategorisches „nie“ läßtsich aber widerlegen. Denn es findet sich – erstens – sogar eine kanonisierungsfreu-dige Anthologie, die poetologische Lyrik nicht nur als eigenständige Abteilung(„Poesy and the Poets“), sondern auch an erster Stelle des Buchs anführt, sie also fürbesonders wichtig und – unter thematischen Aspekt – als eigenständige Textgruppeerachtet. Bei der Anthologie handelt es sich um Ferdinand Freiligrath 1853, sieheAbschnitt IV. 2. a) dieser Untersuchung. Blickt man – zweitens – auf den breitenMarkt der Lyrik-Rezeption, dann läßt sich beispielsweise für das 19. und 20. Jahr-hundert ein Texttypus des Genres poetologischer Lyrik beschreiben, der dieSchreib- und Lese-Erwartungen von Lyrik-Produzenten wie -Rezipienten kontinu-ierlich steuerte: das Dichtergedicht.

39 Ich vernachlässige die Form-Geschichte des Genres aus kognitiven Gründen; im Zu-sammenhang mit der Frage nach dem Wissensgebiet der Poetik interessieren in ersterLinie die ‚materialen‘ Probleme, die das Genre verarbeitet. Sofern die formale Selbst-thematisierung aber für diese materialen Probleme bedeutsam wird, nehmen dienachstehenden Interpretationen sie auf.

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3. Poetologische Reflexion als Merkmal poetologischer Lyrik 13

det.40 Aufgrund dieses Merkmals unterscheidet sich poetologische Ly-rik – Ausnahmen bestätigen die Regel – von der gelehrten, wissen-schaftlichen und didaktischen Poetik sowie von der Ästhetik. Für dasWissensgebiet der Poetik besteht die besondere Leistung poetologi-scher Lyrik in poetologischen Reflexion im zweiten Sinne: Sie be-schreibt sich durch einen Bezug auf sich selbst, der ihr nur als literari-sches Genre möglich ist, und der sie als literarisches Genre auszeichnet.

Dieser Selbstbezug trennt sie auch von einem Genre, das gleichfallszwischen Literatur und Poetik siedelt: von der Autorpoetik, die sich inder Regel mit meta-literarischem Anspruch darstellt. PoetologischeLyrik erweist sich zwar auch als eine Elementarform der Autorpoetik:als ein Typus der Autorpoetik, der auf eine bestimmte literarische Gat-tung (auf Lyrik) festgelegt ist, sich aber – wie nur wenige Autorpoeti-ken – reflexiv auf die eigene Form beziehen kann. Denn die meistenAutorpoetiken sind in den Formen von Essay und Programmschriftverfaßt; ihnen geht es vor allem um Propositionen, um Aussagen überLiteratur. Für poetologische Lyrik hingegen läßt sich zumeist nur ver-mittelt über propositionale Gehalte sprechen.

Sie erschließen sich über die Funktionen, die der Selbstbezug inpoetologischer Lyrik erfüllt, die sich einerseits bloß historisch ermit-teln, sich aber andererseits idealtypisch einzelnen Erscheinungsformenpoetologischer Lyrik zuordnen lassen. Poetologische Lyrik ist näm-lich – wie nahezu alle Ordnungsmuster von Gattung und Genre – eindurch das Prinzip der Familienähnlichkeit zusammengehaltener Bün-delbegriff.41 Seine Extension erklärt sich durch die Erscheinungsfor-men von Lyrik, die ausdrücklich über Lyrik, Poesie oder Literaturhandeln.

Dazu zählen – erstens – die vielfach untersuchte Gruppe derDichtergedichte sowie die Gruppe der poetologischen Widmungsge-

40 Weber formuliert dies ähnlich, schränkt seine Untersuchung aber auf im engerenSinne literarische Kontexte ein; ders. 1971, S.181: „[...] alle Gedichte, die sich entwe-der mit dem Dichter (seiner Aufgabe und Funktion), mit dem Dichten (dem schöp-ferischen Prozeß und seinen Wegen) und mit dem Werk der Dichtung (seiner Formund seinen sprachlichen Mitteln) befassen.“ – Elaborierte Modelle betrachten refle-xive Formen in der Lyrik darüber hinaus auf der Ebene der Kommunikation im Text.Siehe Hühn 1995, I, S.13 f.; ders. 1998; funktionsanalytisch Müller-Zettelmann 2000.Beide Sichtweisen will ich nicht ausblenden, aber gleichwohl dem thematischen Zu-gang folgen.

41 Über Gattungen und Genres als Bündelbegriffe und die Zweckmäßigkeit des Prin-zips der Familienähnlichkeit für ihre Erklärung Strube 1993, S.34.

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I. Einleitung14

dichte.42 Beide Textgruppen wenden sich vor allem der Produktionssei-te von Dichtung zu, beschreiben die Fragen, Nöte und Bedürfnisse desDichters, nehmen poetologische Fragen – explizit und implizit – imKontext der allgemeinen Lyrik- und Poetik-Geschichte auf. Währendpoetologische Widmungsgedichte aber der Ansprache einer bestimm-ten Person dienen, eines Gönners beispielsweise, und zu diesem ZweckFragen der Poetik an ihrem Beispiel erörtern, setzen sich Dichterge-dichte vor allem mit typischen Problemen des Dichters auseinander. Siebehandeln seine Rolle und lassen sich demzufolge als Rollengedichtebestimmen.

Gedichte über Dichtung (auch über Vers- und Strophenformen)hingegen beschäftigen sich – zweitens – mit dem dichterischen Pro-dukt, mit Dichtung, Poesie, Lyrik oder dem literarischen Programm,das ihrer Verfertigung zugrunde liegt.43 Zu diesem Zweck nutzen siebeispielsweise den antiken Topos des Musenanrufs. Gedichte wie diesegehören zur zweiten Text-Gruppe, die unter den Bündelbegriff poeto-logische Lyrik fällt.

Eine dritte Gruppe poetologischer Lyrik befaßt sich mit dem Adres-saten oder Rezipienten von Literatur. ‚An den Leser‘ – so lautet der Ti-tel solcher Texte gewöhnlich. Sie finden sich zumeist in Vor- oderNachworten und anderen Paratexten, formulieren Hypothesen überLeser-Erwartungen, um ein Publikum für sich zu gewinnen.

Was an dieser Stelle einer ersten Bestimmung und Unterscheidungvon Typen poetologischer Lyrik dient, entwickelt das Ergebnis-Kapitelaus den Textbeispielen selbst – mit Blick auf das Wechselverhältnis vonpoetologischer Reflexion in poetologischem Gedicht, in gelehrter, wis-senschaftlicher und didaktischer Poetik und Ästhetik. PoetologischeReflexionen, so die These, die diese Beispiele verbindet, kommen be-sonders angesichts von wissensbezogenen Umbrüchen zum Tragen,und die Arten und Weisen der Thematisierung von Wissen über Litera-tur, Poesie oder Lyrik in poetologischer Lyrik wandeln sich dem Wis-sensmuster folgend, das diese Umbrüche hervorruft.

42 Bereits Muschg (1957, 1. Aufl. 1948) und Rehm (1972, 1. Aufl. 1950) fragten nachdem Bild des Dichters, wie es die Literatur vermittelte. Schlaffer 1966 legte für das19. Jahrhundert eine erste und umfassende Untersuchung von Dichtergedichten vor;später folgten Hinck 1994 u. Selbmann 1994; auch die Beiträge in G. Grimm (1992)berühren das Dichtergedicht, wenn auch nur mittelbar.

43 Vgl. dazu im Gang der Untersuchung; ausführliche Darstellungen der Dichtungüber Dichtung fehlen ganz.

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3. Poetologische Reflexion als Merkmal poetologischer Lyrik 15

Im Blick auf bildende Kunst und Anthropologie setzen romantischePoetiken Muster der Abgrenzung gegen das Normwissen der Aufklä-rungspoetik in Gang. Sie besinnen sich auf sich selbst: auf das „Wissendes Wissens“, auf die „Poesie der Poesie“ (Friedrich Schlegel), auf ihreFähigkeit zur Reflexion (Kapitel II.).44 Solche Strategien der Abgren-zung und Selbstbestimmung haben Tradition. Sie finden ihren Ahnherrnin Klopstock und weisen auf die Genie-Poetiken des Sturm und Drangzurück.45 Aber während diese ‚Vorläufer‘ noch mit der Entdeckung despoetischen Ich befaßt waren, thematisiert die romantische Bewegungdes ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts diese Entdeckung be-reits selbst: Sie reflektiert die Reflexion und schlägt damit – aus dem wis-sens-, denk- und poetik-geschichtlichen Blickwinkel dieser Studie – einneues Kapitel poetologischen Denkens auf. Poetologische Lyrik – undbesonders das Dichtergedicht – wird nicht umsonst vor allem im Aus-gang aus der Romantik als ein eigenständiges Genre wahrgenommen.46

Zwar wurden der Dichter und seine Rolle (als ‚poeta doctus‘ der Früh-neuzeit sowie als professioneller Verfasser ‚schöner Literatur‘ im aus-gehenden 18. Jahrhundert),47 Poesie selbst ebenso wie die Situation desRezipienten von ‚schöner Literatur‘ auch zuvor eindringlich themati-siert.48 Aber ein entscheidender Unterschied liegt in der nicht-literari-schen Zweckbindung dichterischer Selbstreflexion, die die Literatur derFrühneuzeit im Gegensatz zu derjenigen des ausgehenden 18. Jahrhun-derts charakterisiert: Selbstreflexive Strukturen dienten im versgebun-denen Schriftttum der Frühneuzeit vor allem der didaktischen Darstel-lung und der Selbstbesinnung – beispielsweise, um Krankheitserfahrungzu verarbeiten oder um den historischen Ort der eigenen dichterischenTätigkeit zu bestimmen.49 Im ausgehenden 18. Jahrhundert entfallendiese Zweckbindungen weitgehend – allerdings nur vorläufig.

44 Die Periodisierung für den Reflexionsgedanken folgt der Argumentation von Ri-chard Brinkmann (1958), der die Epochengrenze für die Literatur des ausgehenden18. und beginnenden 19. Jahrhunderts zwischen Schiller und Schlegel zieht (ebd.,S. 369 u. passim); vgl. auch Menninghaus 1987. Ich komme in Kapitel II. darauf zu-rück.

45 Darüber Kaiser 1996, I, S. 20 u. passim; Sorg 1999, S. 47–75; Kemper 1987ff., IX–XI.46 Siehe Anm. 38.47 Mit der Autonomisierung des Sozialsystems Literatur wandelt sich auch seine

Selbstbeschreibung; vgl. S. J. Schmidt 1989.48 Auch das Mittelalter kennt Reflexionstexte; vgl. Obermaier 1999, die die Poetik des

Minnesangs mit derjenigehn der Sangspruchdichtung kontrastiert.49 Für die Bewältigung der Pest-Erfahrung im Medium der Humanistenlyrik Kühl-

mann 1992; im Blick auf die ‚selbstbewußte‘ Rezeption des literarischen Vorbilds der

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I. Einleitung16

In der Folge vor allem der romantischen Begeisterung für Reflexions-denken und Reflexionsdichtung entspinnt sich nämlich eine Kontrover-se über das Reflexionsdenken des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahr-hunderts. Literarische Strömungen der 1820er/25er bis 1840/50er Jahre(u. a. das ideenpolitische Junge Deutschland, ästhetisch-philosophischeOrientierungen im Ausgang aus Klassik und Romantik und pädago-gisch-didaktische Orientierungen in der Nachfolge der Aufklärung)50

ebenso wie der (Proto-)Realismus (ca. 1840er/50er Jahre bis in die1880er Jahre)51 nehmen Reflexionsdenken und Reflexionsdichtung alsProbleme wahr. Hegels Diktum von der „Reflexionsbildung“ des Zeit-alters befaßt die Zeitgenossen – und wirkt ein ganzes Jahrhundert hin-durch nicht nur auf Poetik und Ästhetik, sondern auch auf die poeto-logische Lyrik selbst. Dabei gilt Lyrik – geschichtsphilosophisch be-gründet – als Hort des Anti-Reflexiven, als Fluchtpunkt von Subjekti-vität.52

Allen Abweichungen in Rhetoriken, Poetiken, Ästhetiken und ande-ren theoretischen Schriften des 19. Jahrhunderts zum Trotz: Die Fest-legung von Lyrik auf Subjektivität wird zum Topos der Poetiken. Indieser Hinsicht erweisen sich die poetologischen Theorien von Ästhe-tik und Poetik als erstaunlich gleichförmig, allerdings nicht als unbe-weglich. Denn die Festlegung von Lyrik auf Subjektivität wird im Lau-

Antike durch Konrad Celtis Jaumann 1999; vgl. über Selbstbeschreibungsmuster imversgebundenen Schrifttum der Frühneuzeit auch Pott 2004a.

50 Schönert (2002, S. 345) verdeutlicht diese unterschiedlichen Strömungen, die sichwiederum vielfach binnendifferenzieren ließen, in einem Schaubild. – Epochenbe-griffe wie ‚Goethezeit‘, ‚Biedermeier‘ und ‚Gründerzeit‘ vermeide ich, weil sie sichals unklar erwiesen haben; zur Kritik siehe Titzmann 2002a. Ich greife statt dessen –zum einen – den Vorschlag von Michael Titzmann auf, Fragen der Periodisierung fürdie Literaturgeschichte mit Hilfe von Daten zu lösen, die zwar nur „sehr approxi-mative Grenzziehung[en]“ darstellen, aber von den vielfältigen Assoziationen unbe-lastet sind, die die angesprochenen Epochenbegriffe wecken (ebd., S.3). Zum ande-ren benenne ich die jeweiligen literarischen Strömungen (u. a.: Klassik, Romantik,Junges Deutschland, Proto-Realismus und Realismus, Naturalismus), die sich regio-nal oder gruppenspezifisch entfalten, und gebrauche ‚Lyrik um 1900‘ (oder: Fin desiècle) als Sammelbegriff für wiederum unterschiedlichen Strömungen.

51 Für den Begriff des Proto-Realismus Schönert 2002.52 Gerhard Kaisers Lyrik-Geschichte stellt ein spätes, aber paradigmatisches Beispiel

für dieses Lyrik-Verständnis dar; ders. 1996. Mit Hilfe der Subjektivierungsthese ge-lingt es ihm einerseits, die Geschichte der Lyrik-Entwicklung von Goethe bis in dieGegenwart am Beispiel von Veränderungen der (Selbst-)Beschreibungen des ‚lyri-schen Ich‘ festzuhalten. Andererseits mißlingt es ihm, jene Schwierigkeiten auszu-machen, die mit der These verbunden sind, daß Lyrik authentischer Ausdruck desIch sei; siehe dazu die Diskussion über den Begriff der Lyrik (Anm. 27).

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3. Poetologische Reflexion als Merkmal poetologischer Lyrik 17

fe des 19. Jahrhunderts wieder und wieder variiert, und zwar mit Hilfedes jeweiligen Vorverständnisses von Ästhetik. Um diese Bewegungenund Variationen aus der kontroversen Aufnahme romantischer „Poesieder Poesie“ nachzuzeichnen, legen die folgenden Darstellungen ihrenSchwerpunkt auf die 1820er/25er bis 1840er/50er Jahre. Sie stellen dievielschichtigen und voraussetzungsreichen Epochenzuweisungen zu-gunsten der genaueren wissens- und denkgeschichtlichen Beschrei-bung zurück. Ihr geht es vor allem darum, die vielfältigen konkurrie-renden poetologischen Strömungen in der ersten Hälfte des 19. Jahr-hunderts zu erschließen und auf die Wissensbezüge zurückzuführen,die sie jeweils bearbeiten.

Nacheinander werden deshalb drei parallele Strömungen der Lyrik-und Poetik-Geschichte dargestellt: erstens die Debatten schwäbischerDichter und Denker, also ein regional-, gruppen- und personenspezifi-sches Gespräch über die Poetik (Kapitel III.). Zweitens geraten Refle-xionen der Dichter und Theoretiker des Jungen Deutschland in denBlick – Reflexionen nicht nur über die Lyrik anderer Länder, sondernbesonders über eine Weltpoesie, die die Völker vereinigen soll. Welt-poesie bekennt sich zu ihrer Subjektivität. Sie empfängt aber auch aussozialen und politischen Veränderungen Anregungen, erklärt sich zurBannerträgerin der Republik und sträubt sich gegen Theorie überhaupt(Kapitel IV.). Eine dritte parallele Strömung im Feld der nach-romanti-schen Verarbeitung von Poetik betrifft die Lyrik von Frauen – für dieerste Hälfte des 19. Jahrhunderts noch immer ein relativ unentdecktesGebiet. Weil sich Poesie-Reflexionen der Dichterinnen nicht ohne wei-teres in die gängigen Muster der Lyrik- und Poetik-Geschichte einrei-hen lassen, bedarf es hier eines Exkurses.

Veränderungen im jeweiligen Poetik-Verständnis verdanken sich, sozeigt sich im Blick auf diese Parallelbewegungen, zum einen Entwick-lungen in nicht-poetologischen Wissensgebieten, zum anderen der Ly-rik selbst, besonders des Dichtergedichts. Ungezählte gelehrte, wissen-schaftliche oder didaktische Poetiken leiten ihren Lyrik-Begriff näm-lich beispielsweise aus Johann Wolfgang von Goethes Der Sänger her:„Ich singe wie der Vogel singt, / der in den Zweigen wohnet, / das Lied,das aus der Kehle dringt, / ist Lohn, der reichlich lohnet.“53 Goethespoetologisches Gedicht belegt und stiftet die ontologische Auffassung,

53 Zit. n. Carriere 1873, II, S. 569 (siehe auch Werner 1996, S. 325); übernommen vonBorinski 1895, § 62: Der Dichter selbst als Held des lyrischen Gedichts, S. 99; ohneVerweis auf Carriere: Kleinpaul 1873, S. 13; Beyer 1882, I, S. 10–12 u. bes. S. 142.

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I. Einleitung18

daß der Dichter in seiner ‚ganzen Subjektivität‘ selbst „Held des lyri-schen Gedichts“ sei.54 Poetologische Lyrik gibt Poetik und Ästhetik dieStichworte über ‚sich selbst‘ vor, wenn sie es selbst auch anders meint,als die Sekundärliteratur es ihr in den Mund legt. Dringen die Poetikenpoetologischer Lyrik in gelehrte und wissenschaftliche Texttheorie ein,dann entfalten sie dort ein problematisches und langfristiges Wirken.55

Erstaunlicherweise tun sie dies zu einem Zeitpunkt, als Lyrik ‚imhöchsten Sinne‘ verloren gegeben wird. Wenn poetologische Lyrik inden 1840er Jahren beschreibt, was dem subjektiven Poeten zusteht, Lö-sungen für die eigene Existenz sowie für das Problem der Reflexion insich selbst, in heimischen Gefilden, aber auch im Fremden, in der Lyrikund in den Kulturen der ‚Welt‘ sucht, dann kehren bestimmte Musterimmer wieder. Noch in den 1840er Jahren erscheint Lyrik deshalb alsvon jenem „Strudel“ der schnell aufeinander folgenden literarischenBewegungen unberührt,56 in dem Lawrence Marsden Price das 19. Jahr-hundert überhaupt versinken sah. Aber bereits in der zweiten Hälfteder 1840er Jahre verändert sich das Bild. Was die Vorzeit feierte, gerätin Verruf. Poetologische Lyrik nimmt diese Veränderungen, die Mecha-nisierung und Technisierung des ‚Abendlands‘, frühzeitig wahr; Poetikund Ästhetik bemerken sie erst viel später. Zugleich verdächtigt poeto-logische Lyrik Grundannahmen etablierter Poetik, nicht mehr zeitge-mäß zu sein. Neue Muster der Reflexion bilden sich aus. Wenn sich fürdie Zeit nach 1850 auch von einer „Ästhetisierung der Welt“ durch Ly-rik sprechen läßt, die sich im „Ausschluß von Reflexion“ äußere,57 dannwirkt diese Phase der Lyrik-Entwicklung nur wie ein Intermezzo.Neue ‚Revolutionen‘, neue ‚Modernen‘, neue Reflexionen (der ‚über-

54 Borinski 1895, S. 99, vgl. auch Carriere 1873, II, S. 569.55 Nur wenige der zeitgenössischen wissenschaftlichen oder didaktischen Poetiken er-

weisen sich dafür als sensibel. Zu den Ausnahmen zählt Eugen Wolff (1899, S. 18 f.),der – erstens – feststellt, daß neuere Poetiken bei lyrischen „Selbstgeständnisse[n]“der Dichter Rat für die Lösung poetologischer Probleme suchten. Zweitens warnt erdavor, diese „Selbstgeständnisse“ für bare poetologische Münze zu nehmen: Sie sei-en nicht „objektiv beweiskräftig“, „immer bis zu einem gewissen Grade reflexions-los“, hätten „gelegentlichen Charakter“ und „erstrecken sich bald auf diese, bald aufjene zufällige Einzelheit.“ Für diese Kritik legt Wolff allerdings den üblichen undsubjektivistisch gefärbten Begriff von Lyrik auf solche „Selbstgeständnisse“ an. Erschlägt das Phänomen poetologischer Lyrik deshalb poetologisch unter Wert, setztsich auch mit keinem der fraglichen Gedichte (Justinus Kerner „Poesie“, AnastasiusGrün „Der letzte Mensch“) mehr als bloß polemisch auseinander.

56 Price 1962, S. 307.57 Fohrmann 1996, S. 421 [Hervorhebungen im Original].

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3. Poetologische Reflexion als Merkmal poetologischer Lyrik 19

kommenen‘ Reflexionen) folgen rasch aufeinander: Nicht erst Fried-rich Nietzsche bricht (ab 1890) mit dieser „Verflachung“,58 sondern be-reits der frühe Naturalismus wertet um, was der neuhumanistischenDichterethik heilig war: Der Dichter erscheint nicht mehr als ‚ganzerMensch‘, sondern als Volksheld, als Übermensch und als Kritiker einer‚verbürgerlichten‘ Moral (Kapitel V.).

Einer derart ‚innovationsgeplagten‘ poetologischen Lyrik steht einerelativ topische gelehrte und didaktische Poetik gegenüber. Die Ästhe-tik hingegen nimmt (seit den 1870er Jahren) in rascher Folge Anregun-gen von seiten der ‚empirischen Wissenschaften‘ auf. Diese Anregun-gen gehen zum einen in wissenschaftliche Poetik (mit Beginn der spä-ten 70er Jahre des 19. Jahrhunderts), zum anderen – vermittelt über diepopulären Essays literarischer Zeitschriften – um 1900 in poetologi-sche Lyrik und in Autorpoetiken ein. Sie prägen ‚neue‘ Bilder vomDichter und von der Dichtung, wie sie für Lyrik um 1900 typisch wer-den: die Bilder vom ‚poeta magus‘ und vom ‚poeta vates‘, die aus derRomantik bekannt sind und das ganze 19. Jahrhundert hindurch wachgehalten werden. In der zivilisationskritischen, populär-, geheimwis-senschaftlich und lebensreformerisch inspirierten (Re-)Mystifikationvon Poesie aber drückt sich vor allem die geistige und poetologischeObdachlosigkeit der Zeit aus. Der ‚vates‘ hat sich gegen Anfeindungeneiner ‚mechanisierten‘ Welt zur Wehr zu setzen. Lyrik erscheint hier alsso hermetisch und selbstreferentiell, daß sie einerseits immer – wennauch in einem sehr eingeschränkten Sinne – meta-lyrisch und poetolo-gisch zu lesen ist.59 Ihre ‚poietischen‘ (frei gestaltenden, neu schöpfen-den) Reflexionen lösen Reflexion aber andererseits auf, denn es istnicht mehr deutlich, über was reflektiert wird.

Im Ergebnis kennt die Geschichte der Poetiken im 19. Jahrhundertmehrere Phasen der Innovation, die sich aus der Entdeckung neuerWissensgebiete speisen. Sie fallen – nicht zufällig – mit bekannten lite-rarischen Entwicklungen zusammen: mit der Romantik, die bildendeKunst und Anthropologie für sich gewinnt, mit der schwäbischenGruppenkultur, die sich – vom Systemdenken Hegels herkom-mend – einem neuhumanistischen Bildungsideal zuwendet, mit dem

58 Der Blick auf Nietzsche gehört zu den üblichen Zäsuren, die die Lyrik- und Denk-geschichte für ein ‚spießiges‘ 19. Jahrhundert annimmt, wenn sie die 1880er Jahre des19. Jahrhunderts nur vage beschreibt. Vgl. kritisch über reduktive Darstellungen wiediese John A. McCarthy 2000, S. 197.

59 Friedrich 1985 (1. Aufl. Hamburg 1958), S. 15; kritisch zu Friedrich Rey 1978.

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I. Einleitung20

Jungen Deutschland, das sich in den 1830er Jahren politisch interessiertund auf eine ‚Weltliteratur‘ zielt, mit dem (Proto-)Realismus, der sichbereits mit den neuen technischen Entdeckungen auseinandersetzt, mitdem Naturalismus, der – weitaus radikaler und mit der Absicht derUmwertung akzeptierter Werte – daran anknüpft und schließlich mitder Lyrik um und nach 1900, die poetologische Reflexionen als poeto-logische Prophetie betreibt. Im Fall Rilkes mündet sie in eine kosmo-gonischen Poetik, die Reflexion durch Inspiration ersetzt und sich alsein besonders ‚konsequentes‘ poetologisches Modell von Lyrik in den1910er und 20er Jahren herausstellt (Kapitel VI.).

Hier geht es darum, diese Prozesse von Wandel und Kontinuität ausder poetologischen Lyrik nachzuzeichnen, um ihre spezifischen Lei-stungen für das Wissensgebiet der Poetik in einem schwierigen undvielschichtigen 19. Jahrhundert zu entdecken, das mehr ist als eine re-flexionsfeindliche Phase zwischen Romantik und Jahrhundertwende.60

Ein solches Unternehmen erfordert einen Mut zur Lücke, der sich nurim Blick auf das umfangreichere Forschungsprojekt rechtfertigenkann, dem dieser Beitrag entstammt:61 Nachstehende Untersuchungenbieten weder eine vollständige Geschichte poetologischer Lyrik nocheine umfassende Poetik- oder Ästhetik-Geschichte. Vielmehr zeigensie an ausgewählten Beispielen, wo sich diese Wissens- und Darstel-lungsgebiete verbinden und wo sie einander widersprechen.62 Darüberhinaus wollen sie die regionale und internationale Viefalt der Poetikenerschließen, blicken zu diesem Zweck von der deutschen Lyrik undPoetik auf den internationalen Markt der Anthologien und Überset-zungen, bemühen sich aber für das Beispiel Großbritanniens auch umden umgekehrten Blick – von der britischen Lyrik und Poetik zurückauf den deutschen Markt der Dichtungen.63 Inner- und außerhalb der

60 Darüber die Beiträge der vierten Sektion in: Graevenitz 1999.61 Das angesprochene Projekt über „Poetologische Reflexion. Historische Untersu-

chungen in systematischer Absicht: Poetik und poetologische Lyrik im Kontext äs-thetischer Reflexion“ (siehe Vorwort) wird einiges von dem aufnehmen bzw. einlö-sen, was in dieser Untersuchung zu kurz kommt.

62 Gängige Lyrik-Geschichten (z. B. Kaiser 1996; Sorg 1999) beschreiben die Lyrik-Entwicklung demgegenüber aus der Literatur selbst heraus, blicken aber für die Ein-zelinterpretation auf ganz unterschiedliche Kontexte.

63 Weil hier – bei aller Internationalität – die deutsche Literatur im Mittelpunkt steht,behält die Darstellung die Periodisierungsvorschläge für die Epochen oder „Litera-tursysteme“ (siehe Titzmann 2002a) der deutschen Literatur bei, beschreibt aber amEinzelfall, was die jeweiligen Literaturentwicklungen unterscheidet. Siehe über die

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3. Poetologische Reflexion als Merkmal poetologischer Lyrik 21

deutschen Lyrik- und Poetik-Geschichte setzen sie auf den Textver-gleich: auf den Vergleich von deutschen und nicht-deutschen Lyrik-und Poetik-Texten ebenso wie auf den Vergleich der ‚hohen Literatur‘mit dem literarischen ‚mainstream‘ der Lyrik-Anthologien und der li-terarischen Zeitschriften.64

Um dabei nicht zu viel Bekanntes zu wiederholen, sparen sie eineReihe oft behandelter Texte und Autoren aus. Es fehlen, um nur einigeBeispiele zu geben, Ausführungen über Joseph von Eichendorffs na-turlyrische Dichtungsdichtungen sowie Darstellungen des ExempelsHeinrich Heine, an dessen poetologischer Entwicklung vom ironi-schen und subjektiven Buch der Lieder (1827) zum politisch engagier-ten Dichter sich die Lyrik-Entwicklung bis in die 1850er Jahre ablesenund kontrovers diskutieren ließ.65 Auch setze ich mich nicht ausführ-lich mit Emanuel Geibel und mit der Poetik des Münchner Dichter-kreises auseinander,66 verweile nicht bei Theodor Storms kritischen Be-merkungen über eben diesen Dichterkreis und über die Reflexionspoe-sie,67 nehme Conrad Ferdinand Meyers Lyrik nicht auf, weil sie bloßeine implizite Poetik aufweist,68 reserviere das Beispiel des Dichter-Poetikers Rudolf Gottschall für eine spätere Untersuchung im Rahmendes angesprochenen Forschungsprojekts,69 berücksichtige die Gebrü-

Fragen einer komparativen Beschreibung literarischer Epochen die Beiträge inEsterhammer 2002.

64 Die Untersuchung weicht mit beiden Festlegungen von den Lyrik-Geschichten ab,wie Kaiser (1996) und Sorg (1999) sie im Blick auf kanonische Beispiele ‚hoher‘ undbeinahe ausnahmslos deutscher Gedichte schreiben (sieht man von Kaisers Bezügenauf den gleichfalls kanonischen Baudelaire ab). Sie bemüht sich aber, die Lyrik- undPoetik-Geschichte für das 19. fortzusetzen, wie Fohrmann (1996) sie im Blick aufdas ‚weite Feld‘ auch der populären Lyrik schreibt und wie Renate Werner (1996) sieaus der Lektüre von Briefen, Essays, Vorworten und Lyrik-Anthologien exempla-risch für die Poetik des Münchner Dichterkreises entwirft.

65 So beispielsweise Kaiser 1996, I, S.25 f. u. passim, ebd., II, S.21 u. passim; für das Bei-spiel Heines zuletzt Winkler 2003.

66 Die Poetik des Kreises ist ausführlich behandelt und dargestellt in: Werner 1996; spe-ziell zur Übersetzungspoetik Giroday 1978; für die poetologische Lyrik GeibelsFohrmann 1996, S. 443–446.

67 Ich komme darauf am Beginn des Abschnitts über Gottfried Keller zu sprechen; sie-he Kapitel V. 1. dieser Untersuchung.

68 Siehe die Beiträge in Zeller 2000.69 Das Teilprojekt „Historische Texttheorie. Poetik als Typus wissenschaftlicher Refle-

xion über Poesie. 1830–1950“ soll sich im Rahmen des angesprochenen Dachpro-jekts (wie Anm. 61) u. a. mit Autoren befassen, die in Personalunion Schriftstellerund Theoretiker waren. Ziel ist es, die spezifische Leistung der jeweiligen Gattungfür das Wissensgebiet der Poetik am Beispiel solcher Personen zu ermitteln.

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I. Einleitung22

der Hart als Initiatoren des deutschen Naturalismus nur am Rande undwidme mich statt dessen einer naturalistischen Anthologie, die Pro-gramm und Praktik naturalistischer Lyrik ‚in actu‘ vorführt.70 Vor die-sem Hintergrund konzentriere ich mich auf den frühen Arno Holz(und nicht auf den späten des vielbeachteten Phantasus, 1898),71 stelleHugo von Hofmannsthals Chandos-Brief sowie Stefan Georges Ge-dichte über den Dichter zurück und erwähne auch den Expressionis-mus nur knapp.72

Wenn diese Untersuchung gleichwohl mit einem kanonischenText – mit Friedrich Schlegels Gespräch über die Poesie – beginnt, dannerklärt sich dieser Umstand aus der These, die der Untersuchung diedenk- und wissensgeschichtliche Linie gibt: aus dem Bezug auf das Re-flexionsdenken der Romantik. Ich will es im Sinne eines Denkmusters,das eine „longue durée“ von begeisterter Zustimmung (Romantik um1800), Ablehnung (Jean Paul, neuhumanistische Orientierung, JungesDeutschland, Proto-Realismus und Realismus), Trivialisierung (Poeti-ken nach 1860) und Wiederbelebung (Lyrik um 1900 und in den1910er/20er Jahren) aufweist, durch die Geschichte der Poetiken inpoetologischer Lyrik, wissenschaftlicher und didaktischer Poetik, Au-torpoetik und Ästhetik verfolgen.

70 Über die Gebrüder Hart und ihre Bedeutung für den Naturalismus T. Meyer 2000;siehe auch die Bezüge auf die „Kritischen Waffengänge“ der Brüder in Kapitel V. 2.dieser Untersuchung.

71 Die Poetik des späten Holz, die die Ermittlung des ‚Kunstgesetzes‘ („Kunst = Na-tur – x“) aus der Verallgemeinerung und Umdeutung naturwissenschaftlicher Er-kenntnisse – all das ist bekannt und wurde vielfach diskutiert; zusammenfassendWende 1994; Winko 1994, S. 181–183. Gleichwohl fehlen ebenso Darstellungen überdie ‚Schaffenskrise‘, die Holz in den 1880er Jahren durchlebte, wie Interpretationenvon satirischen Texten, etwa der der „Blechschmiede“. Ich will dies in einem Teil-projekt über „Poetik der satirischen Lyrik“ nachholen, das für den Fortgang des an-gesprochenen Dachprojekts (wie Anm. 61) konzipiert ist. Es soll sich mit dem poe-tologischen Ertrag satirischer Lyrik befassen.

72 Für Hofmannsthals Poetik Hildebrand 2003b; im Blick auf ikonographische Ein-flüsse Wiethölter 1990; wissenschaftshistorisch König 2001; für Georges Dichterge-dichte Beßlich 2003.

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II. „Poesie der Poesie“:reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen

Es ist nicht nötig, daß irgend jemand sich bestrebe, etwa durch vernünftigeReden und Lehren die Poesie zu erhalten und fortzupflanzen, oder gar sieerst hervorzubringen, zu erfinden, aufzustellen und ihr strafende Gesetze zugeben, wie es die Theorie der Dichtkunst so gern möchte. Wie der Kern derErde sich von selbst mit Gebilden und Gewächsen bekleidete, wie das Lebenvon selbst aus der Tiefe hervorsprang, und alles voll ward von Wesen, diesich fröhlich vermehrten; so blüht auch Poesie von selbst aus der unsichtba-ren Urkraft der Menschheit hervor, wenn der erwärmende Strahl der göttli-chen Sonne sie trifft und befruchtet. Nur Gestalt und Farbe können es nach-bildend ausdrücken, wie der Mensch gebildet ist; und so läßt sich auch ei-gentlich nicht reden von der Poesie als nur in Poesie.1

Poesie könne, so Friedrich Schlegel, auf zweierlei Weise erfaßt werden,nämlich theoretisch und poetisch. In seinem Gespräch über die Poesie(1800) scheint es, als konkurrierten beide Formen. Jedenfalls schlägtsich Schlegel mit einer gewaltigen rhetorischen Energie auf die Seite derpoetischen Rede über Poesie: „Poesie der Poesie“ gilt ihm als beste allermöglichen Formen der Verständigung über Poesie.2 Mehr noch: „DieAnsicht eines jeden von ihr ist wahr und gut, in so fern sie selbst Poesieist.“3 „Poesie der Poesie“ – und nur sie – rechtfertige sich aus sich selbstheraus; nur sie dürfe und solle sich selbst ‚bespiegeln‘, reflektieren, kri-tisieren.4 Denn über Poesie lasse sich nur poetisch authentisch und

1 F. Schlegel: Gespräch über die Poesie, in: ders. 1967, S.284–362, hier S. 285.2 F. Schlegel: Fragmente [Athenäum], in: ders. 1967, S.165–255, hier [238] S. 204.3 F. Schlegel: Gespräch (wie Anm. II., 1), S. 285.4 F. Schlegel: Kritische Fragmente [Lyceum], in: ders. 1967, S. 147–163, hier [117]

S.162: „Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden.“ Später, im 238. Athenäums-Fragment, das in der Forschung als grundlegend für diese Auffassung von einer tran-szendentalen und reflexiven Poesie gilt, notiert Schlegel allerdings zurückhaltender,nämlich im Konjunktiv: „[...] so sollte wohl auch jene Poesie die in modernen Dich-tern nicht selten transzendentalen Materialien und Vorübungen zu einer poetischenTheorie des Dichtungsvermögens mit der künstlerischen Reflexion und schönenSelbstbespiegelung [...] vereinigen, und in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen24

wahr schreiben, so lautet Schlegels ‚revolutionäre‘ Annahme. Infolge-dessen beurteilt er theoretische Auseinandersetzungen mit Poesie nichtnur als überflüssig, sondern auch als unangemessen, als anti-poetisch.

Der Teufel aber steckt im Detail, nämlich im „auch eigentlich“. Esverweist bereits darauf, daß nicht-poetische Rede über Poesie möglichbleibt – zumal sich Schlegel ihrer selbst bedient. Denn er äußert sichnicht in Poesie über diese, sondern in einem Gespräch,5 traditionell ei-ner rhetorischen und erst vor dem Hintergrund der romantischenTexttheorie auch als literarisch zu verstehenden Gattung.6 Den überlie-ferten Poetiken kündigt er ausgesprochen gewitzt und mehr spielerischals ernst den Kampf an.7 Er steigert jene Versuche, Poesie neu zu ver-stehen, wie sie Friedrich Schiller schon im Ausgang des 18. Jahrhun-derts unter dem Vorzeichen der Autonomieästhetik unternahm.8 GaltPoesie den Schülern von Gottfried Wilhelm Leibniz und ChristianWolff noch als gelehrte Tätigkeit, die festgelegten Normen, dem ‚mi-mesis‘ – oder besser: dem ‚imitatio‘-Gebot und dem ‚prodesse et delec-tare‘ zu folgen und der Moraldidaxe zu dienen hatte, so setzt Schlegeleinen progressiven und transzendentalen Begriff von einer Poesie da-gegen,9 die der Theorie oder der Wissenschaft nicht bedarf, sondern

darstellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie sein.“ F. Schlegel: Frag-mente [Athenäum] (wie Anm. II., 2), [238] S. 204.

5 Schlegels Bemühungen im „Gespräch über die Poesie“ und in seinen sympoetischenFragmenten sowie in seinen Aphorismen gehen zu Lasten des alten, als ‚bloß rheto-risch‘ begriffenen Poesie-Verständnisses. Gleichwohl verzichtet Schlegel nicht aufdie persuasive Rede der Rhetorik, um sein Poesie-Verständnis wirksam zu entfalten.Weil dieser Rückgriff aber „wenig konkret“ bleibt, verständigte sich die Schlegel-Forschung darauf, die frühromantischen Schriften als „poetische Wirkungsmeta-physik“ (Hinrich C. Seeba) zu kennzeichnen; Krause 1999, S. 17.

6 Dazu – mit Blick auf die Plato-Rezeption und auf Wielands Dialoge – Kurz 2002;siehe auch Schnyder 1999; Matuschek 2002; Krause 2002; M. Mayer 2003.

7 Siehe Barth 2001.8 Mit Schiller wäre bereits eine erste programmatische Zäsur zur Poetik der Frühneu-

zeit zu setzen, aber Schlegels Programmatik grenzt sich noch entschiedener, nämlichreflexionspoetisch von der metaphysischen und normativen Poetik des 18. Jahrhun-derts ab; siehe Brinkmann 1958. Aus diesem Grund beginne ich hier mit SchlegelsForderung nach einer „Poesie der Poesie“. Gleichwohl ist Vorsicht geboten. Es gilt,solche Positionen zu berücksichtigen, die die „Inszenierung der Epochenschwelle“durch die Romantiker herausarbeiten; Schmitz 1995. Ich komme im Gang der Dar-stellung darauf zurück und bemühe mich um eine differenzierte Sicht von romanti-scher Selbstinszenierung und tatsächlichem Neuentwurf.

9 Vgl. die beiden zentralen Athenäums-Fragmente; F. Schlegel: Fragmente [Athe-näum] (wie Anm. II., 2), [116] S. 182; ebd., [238] S. 204; zur Deutung des 116. Frag-ments Hans Eichner: Einleitung, in: F. Schlegel 1967, S. IX–CXX, hier S.LIX–LXIV.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen 25

sich selbst reflektiert.10 Als Universalpoesie nimmt sie alles Weltge-schehen in sich auf; als Reflexionspoesie spiegelt sie dieses in ‚sichselbst‘, um ‚sich selbst‘ zu spiegeln: Sie schildert nicht einfach etwas au-ßerhalb ihrer selbst, sondern informiert sich immer auch über ihren ei-genen poetologischen Standpunkt, über ihre Form und ihren Inhalt.Oder – mit einem knappen Neologismus: Als ‚reflexive Universalpoe-sie‘ ist sie sich Thema und Kommunikationspartner zugleich; sie re-flektiert Welt und empfielt sich dieser als eine zweckfreie, unabschließ-bare und fortschrittliche Kommunikationsform.11 Dieses doppelteVerständnis von Reflexion soll hier interessieren,12 und zwar im Blickauf seine Herkunft, seinen poetologischen Stellenwert und seine Dar-stellung.

Schlegel gestaltet seine Vorstellungen von einer „Poesie der Poesie“nämlich nicht nur im Roman, der unter diesem Aspekt als fruchtbarsteGattung gilt, sondern auch in jener poetologischen Lyrik, die er im Zu-sammenhang mit seinem Gespräch über die Poesie veröffentlicht. Vonder Dichtkunst berichtet diese poetologische Lyrik aber erstaunlicher-weise ganz topisch, daß sie in den höchsten Regionen des „Geist[es]“siedele,13 von denen der Dichter nicht zurückkehren will oder kann. Erflieht vor der Welt, führt ein Leben im Verborgenen, „verhüllt in sichdie heiligsten Gefühle“ und müßte der Welt dafür Tribut zollen: DasGedichtete soll er bloß „zum Scheine scherzend“ der Welt zurückge-ben;14 er gilt als „Seher“, der sich „göttlich“ berauscht und „Sinnbilder“schaut.15 Dabei korrespondiert der Raumsemantik eine Semantik derZeit (vor und nach der Initiation in den Dichterstand): Der alte Dichterweiht den jungen in die Kunst ein,16 „[d]ie alte Schönheit, eh sie ganz

10 Vgl. F. Schlegel: Gespräch (wie Anm. II., 1), S. 96–105. Siehe dazu auch zahlreicheFragmente, etwa ders.: Kritische Fragmente [Lyceum] (wie Anm. II., 4), [61], S. 154:„Streng genommen ist der Begriff eines wissenschaftlichen Gedichts wohl so wider-sinnig, wie der einer dichterischen Wissenschaft.“ Ders.: Fragmente [Athenäum](wie Anm. II., 2), [9] S. 166: „Zum Glück wartet die Poesie eben so wenig auf dieTheorie, als die Tugend auf die Moral, sonst hätten wir fürs erste keine Hoffnung zueinem Gedicht.“

11 Vgl. Menninghaus 1987.12 Kremer 2001, S. 90–92.13 F. Schlegel: An die Dichterin [1801], in: ders. 1962, S.172, V. 1; ders.: An die Dichter

[1828], in: ders. 1962, S. 297, V. 7: „Treu dienend nun erklimmt der Dichtkunst Hö-hen, [...].“

14 F. Schlegel: An die Dichterin (wie Anm. II., 13), V. 4, 14.15 F. Schlegel: Weise des Dichters [1800/1801], in: ders. 1962, S.151, V. 8, 12.16 F. Schlegel: Weihe des Alten. An einen jungen Dichter, in: ders. 1962, S. 307–310.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen26

verschwunden, / zu retten, fern von allen Eitelkeiten [...].“17 Er richtesich dabei nicht nach dem Werturteil des (theoretisch vorbelasteten)„Kenner[s]“,18 sondern höre ganz auf sich: auf den „Schmerz“, der ihnerst zum Dichten veranlasse.19

Trotz der Reflexionsgewinne in der poetologischen Lyrik des jünge-ren Schlegel ist von der Ironie eines spielerischen und universalreflexi-ven Neuanfangs im Zeichen einer „Poesie der Poesie“ nichts zu spüren.Zwar geht es Friedrich Schlegels poetologischer Lyrik nicht mehrnur – wie derjenigen des älteren Bruders August Wilhelm – um den Ge-gensatz von guter und schlechter Poesie, sondern vielmehr auch um das(Selbst-)Gefühl des Dichters.20 Aber Friedrich Schlegels Sprecher prä-gen neue Topoi und verklammern sie durch eine strenge Raum- undZeitsemantik.

Am Beispiel seiner poetologischen Lyrik läßt sich deshalb zeigen,wie sehr poetologisches Denken von der Gattung abhängt, in der esdargeboten wird. In der Lyrik erfüllt es jene Erwartung nicht, wieSchlegel sie in seinem theoretisierend-poetisierenden Gespräch überdie Poesie weckt. Will man ein umfassendes Bild poetologischen Den-

17 Ebd., V. 12–14.18 F. Schlegel: Das Ideal, in: ders. 1962, S. 317, V. 13.19 F. Schlegel: Abschied von der Poesie [1829], in: ders. 1962, S.502 f., hier S. 503, V. 30

[Hervorhebung im Original].20 August Wilhelm Schlegel greift Topoi über die besondere Rolle der „Poesie“

und – vor allem – über die besondere Rolle des Poeten auf: Weil sich die zarte und‚süßreimende‘ Poesie der rhetorischen Sophistik entziehe, könnten ihr manche Dich-ter nicht genügen. Es gelte, den Unterschied zwischen echten und falschen Dichternzu befestigen (A.W. Schlegel: Dichterlinge und Dichter, in: ders. 1846/47, ZweiterTheil, II, S.12). Schlegel legt aber nicht fest, wen oder was er für ‚echt‘ oder für ‚falsch‘hält, betont nur immer wieder, daß der wahre Dichter, der ‚poeta vates‘, ein „hohesAmt“ erfüllt, daß er nicht um die Lorbeerkrone des ‚poeta doctus‘ wirbt, sondernsich allein an seinem Werk erfreut, das sich selbst Zweck ist (A.W. Schlegel: Dichter-sinn [1788], in: ebd., Erster Theil, I, Erstes Buch, S. 7). Von dieser ‚hohen‘ und hul-digenden Dichtungslyrik hebt sich die satirische Dichtungslyrik desselben Schlegelab: Er gibt Satirisches über den Dichter in epigrammatischer Form zum Besten („Derberittene Dichter“, „Der Satiriker“, „Der heutige Hofpoet“) und schreibt sogar eineSatire auf den Buchmarkt, nämlich einen versifizierten „Bettelbrief“ an seine Sub-skribenten (A.W. Schlegel: Ankündigung der sämmtlichen Werke, in: ders. 1846/47,Zweiter Theil, II, S. 208). – Auch sein Bruder Friedrich spöttelt über eine der ‚höch-sten‘ Ausdrucksweisen der ‚vergangenen‘ Poesie; in seinen „Proben der neuestenPoesie“ (1808) persifliert er den griechischen Göttersang. Darüber hinaus wagt ersich an eine besondere Form der „Poesie der Poesie“: Er schreibt ‚der Dichtkunst‘ ei-nen heiteren Prolog über Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ (F. Schle-gel: Prolog zu Lessings Nathan. Die Dichtkunst [...], in: F. Schlegel 1962, S.286–288).

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen 27

kens – gerade auch für die Romantik – erhalten, dann ist es erforder-lich, ‚hinter‘ die (vergleichsweise) theoretischen Gattungen zurückzu-gehen: Poetologisches Denken der Romantik entwickelt sich nicht nuraus der Autonomieästhetik Immanuel Kants (bzw. ihrer Neugestal-tung durch Schiller) und aus der Reflexionsphilosophie Johann Gott-lieb Fichtes,21 sondern auch aus der Literatur selbst. Jene Vielfalt derSelbst- und Fremdvorstellungen, der Gedanken und (Selbst-)Reflexio-nen, die die philosophische Ästhetik im Ausgang aus dem Systemden-ken zu beschreiben begann,22 gehört zwar prinzipiell zu den Merkma-len von Literatur. Die poetologische Reflexionstheorie der Romantikaber verstärkt, was im literarischen Text schon angelegt ist. Poetologi-sche Reflexion findet ab jetzt auf ‚höherer Stufe‘ statt, weil sich dieZeitgenossen ihrer ‚selbst‘ bewußt werden. Emphatisch entdecken sieihre poetisch-poetologische Tätigkeit als Lösung für poetologischeund anthropologische Fragen.

Diese ‚Entdeckung‘ will ich prüfen, und zwar – erstens – im Blick aufdie poetologische Lyrik im Vorfeld der „Poesie der Poesie“ und – zwei-tens – im Blick auf die Weiterführung romantischer Poetiken im Aus-klang der Frühromantik. Es soll um poetologische Texte gehen, die sichum ein Verständnis von Poesie im Sinne der doppelten Reflexion be-mühen. Ich möchte zeigen, wie sich doppelte Reflexion langsam, ausden überlieferten gelehrten Praktiken der Dichtungsübersetzung undaus dem Wechselspiel von eigenständigem Schaffen und Nachahmungentwickelt.23 Als Beispiele dafür gelten mir die frühen Texte des Nova-lis, die sich mit Orpheus, dem Urbild des Dichters befassen. Sie entwik-keln in der Lyrik eine eigene programmatisch-erneuernde Gefühlspoe-tik. Dabei meint Gefühlspoetik – in Analogie zur Mitleidspoetik derAufklärung und in gewisser Weise sogar in ihrer Tradition – solche An-schauungen von Poesie, die im Gefühl die Motivation für das Dichtenerblicken. Trotz dieser weitreichenden und prägenden poetologischenVorstellungen wurden diese frühen Texte des Novalis von der For-schung beinahe übersehen.24

21 Dieser Komplex ist gut erforscht; vgl. M. Frank 1989; über den Bezug auf FichteRadrizzani 1997; Waibel 2000.

22 Vgl. M. Frank 1989, S. 297 u. passim.23 Darüber am Beispiel von Winckelmann und F. Schlegel Zelle 1995, S. 220 f.; am Bei-

spiel von Winckelmanns Exzerpten Décultot 2002, bes. S. 48 f.24 Siehe auch Knittel (1996, S. 53), die es aber bei wenigen Bemerkungen zu den fragli-

chen Texten beläßt. Siehe auch Margantin (1999, S. 5 f.), der das frühe Orpheus-Ge-

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen28

Gerade die Interpretation dieser Texte hilft aber, den Übergang vonder Aufklärungspoetik zu derjenigen der Romantik zu verstehen. DiePoetik der frühen Poesie des Novalis erweist sich bereits als hochgradigreflexiv und bedient sich zweier Handlungstypen, nämlich sowohl der‚imitatio‘ der ‚Alten‘ als auch des eigenständigen Neu-Schaffens im Sin-ne der Genie-Poetik und im Sinne von Autonomie-Vorstellungen vonLiteratur.25 Hier leistet der literarische Text Beträchtliches für die(Selbst-)Erkenntnis:26 für die Wiedergewinnung der ‚heidnischen‘ An-tike im Sinne der eigenen Wirklichkeitswahrnehmung und Selbstrefle-xion. Dementsprechend trägt auch die bekannte Zuordnung der Dich-tertypen, der Gegensatz von ‚poeta magus‘ und ‚poeta doctus‘, nicht.Der ‚Orpheus‘ des Novalis der ausgehenden 1780er Jahre ist noch nichtmit jenem allmächtigen Magier identisch, der alle Geschöpfe anspricht,die Gesetze von Raum und Zeit außer Kraft setzt und den ‚gefallenenMenschen‘ erlöst.27 Orpheus entpuppt sich zunächst vielmehr als ein‚poeta doctus‘, der allerdings – mit Blick auf ein bestimmtes Orpheus-Bild – Verschiebungen im Gefüge der Poetik vornimmt (1. Teil).

Als Höhepunkte einer Reflexionsdichtung, die sich ihres gelehrtenErbes bewußt ist, gelten Friedrich Hölderlins Dichtergedichte. Sie prä-gen ein Modell von Poesie aus, das auf die „universale Vermittlungslei-stung“ des Dichters setzt28 – und den dichtenden Menschen damit be-reits überfordert. Mit diesem anspruchsvollen Poesie-Modell stehtHölderlin in der Tradition der erhabenen Dichtung, folgt dem „dichte-rische[n] Habitus“29 Klopstocks und steigert diesen Habitus – im Gangdurch die idealistische Ästhetik Schellings und des frühen Hegel, durchdie ‚scientia intuitiva‘ Baruch de Spinozas und durch den Pan(en)theis-

dicht des Novalis zwar erwähnt und kurz einführt, es aber als ein Fragment abtut,das noch unter dem Einfluß bukolischer Poesie steht.

25 Für die Trennung der Epochen (Frühe Neuzeit vs. Sturm und Drang) im Blick aufdie Ablösung von der ‚imitatio‘ und auf die nachdrückliche Aktivierung der ‚poiesis‘Kemper 1987ff., VI/II, S. 4 f.

26 Zur kognitiven Leistung romantischer Poesie – aus der Sicht von Philosophie undTexttheorie – M. Frank 1989. Mit dem Begriff ‚kognitiv‘ beschreibt Frank eine em-phatische Sicht des romantischen Poesie-Verständnisses, das in Poesie per se eine ei-genständige und besondere Form des Gedanken- und Gefühlsausdrucks erblickt.Hier soll die kognitive Leistung von Poesie aber vor allem im Blick auf die tatsäch-lichen poetologischen Leistungen romantischer Literatur untersucht werden. DieErgebnisse weichen schon deshalb von den Darstellungen Franks ab.

27 Über die späteren Orpheus-Konzeptionen des Novalis Knittel 1996; Valk 2003.28 Schmidt 1980–81, S. 112.29 Ebd., S. 100 [Hervorhebung im Original].

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen 29

mus – idealisch.30 Hölderlins ambivalente Poetik des Idealischen zeigtnicht nur, wie das Dichter-Ich die Vielschichtigkeit und Widersprüch-lichkeit von Welt und Selbst entdeckt, sondern auch, wie es sich zuneh-mend unbehaust fühlt, wie es sich von einer optimistischen, systembil-denden und moralischen Tradition der Poetik abgrenzt.31 Vor diesemHintergrund überrascht nicht, daß Reflexionsdichtung auf dem Höhe-punkt der Reflexion weniger reflexiv und selbst-distanziert wirkt alsdiejenige des Novalis oder gar diejenige Ludwig Achim von Arnims.Vielmehr korrespondieren die theoretischen Bemühungen Hölderlinsseiner Lyrik: Sie enden unabgeschlossen. Der ‚ganze Mensch‘, dessenIdeal Hölderlin anthropologisch wie poetologisch vertritt, kann nichthinter seine Selbst- und Fremdsicht zurück. Er ist zugleich Ausgangs-punkt und Grenze von Hölderlins idealischer und universalreflexiverPoetik, wie sich in der Zusammenschau seiner theoretischen und lyri-schen Texte zeigt (2. Teil).32

Arnim weiß um die Schwierigkeiten dieser Poetik, wenn er sie auchnicht unmittelbar auf Hölderlin bezieht. Seine frühe poetologische Ly-rik setzt sich nämlich mit den Anforderungen idealischen Dichtensauseinander. Arnim geht es um das Spannungsverhältnis zwischen demheroisch oder quasi-religiös verstandenen Dienst an einer universalre-flexiven Poesie einerseits und um die Bedürfnisse des geselligen, begeh-renden, spielerisch veranlagten Menschen andererseits. Universalrefle-xives und idealisches Dichten scheitert im Fall Arnims an genau dieserSpannung. Er erprobt die Chancen und Grenzen idealischen Dichtensim Rahmen einer polyperspektivischen und multi-medialen Poetik. Siespielt mit Rollenerwartungen, die eine trivialisierte Form der ideali-schen Poetik an den Dichter richtet. Zu diesem Zweck verbindet Ar-nim Aspekte der historischen Wirklichkeit mit solchen der Mytholo-gie, der Dichtung, der philosophischen Theorie und der Naturfor-schung, nimmt alle denkbaren Kunstformen in Text, Bild und Ton auf,

30 Der Zusammenhang zwischen der Spinoza-Rezeption und Hölderlins Dichterver-ständnis ist bestens untersucht; ebd. u. passim; vgl. für den weiteren philosophischenZusammenhang im Ausgang aus dem Pantheismus-Streit Wollgast 1998.

31 Vgl. zu den vergleichbaren Entwicklungen in der Ästhetik M. Frank 1989, S. 297.32 Siehe vor allem Gaier 1992. Für Hölderlins Texte erweist sich diese Sichtweise nicht

als neu. Wenn bislang aber Detailanalysen der ausgesprochen komplexen theoreti-schen Fragmente oder der poetologischen Gedichte dominierten, dann soll hierdemgegenüber versucht werden, Hölderlins theoretische und lyrische Texte zusam-menzuführen, um den Stellenwert der einzelnen Ausdrucksform für seine idealischePoetik zu ermitteln.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen30

bezeugt die eigenen poetologischen Auffassungen im öffentlich-priva-ten Brief.

Diese ungemein assoziationsreichen Darbietungen könnten dazuverleiten, Arnims poetische Praktiken als Umsetzungen eines Pro-gramms zu verstehen, das Thomas Sternberg als „spontanes Sprechenin Versen“33 und als Praktik eines „genialische[n] Künstlertum[s]“ be-schrieb.34 So einfach ist es nicht. Die variantenreichen Selbsterklärun-gen Arnims bedürfen der genauen Deutung aus ihrem Textumfeld her-aus: Im Blick auf das Text-Bild-Kunstwerk Ariel’s Offenbarungen läßtsich zeigen, wie komplex seine Teile komponiert und wie kunstvoll siezusammengefügt sind. Durch seine Technik der polyperspektivischenReflexion hält Arnim dabei die Spannung zwischen der Orientierungauf ein Ideal einerseits, auf Mensch und Wirklichkeit andererseits auf-recht. Dieser Umstand erlaubt es, Ariel’s Offenbarungen und dasrhythmische Gedicht Ixion nicht nur der Romantik, sondern auch ei-nem bekannten Literaturmodell der Spätaufklärung zuzuordnen, dassich zwischen schwärmerischer, realistisch-kynischer und ironischerWeltwahrnehmung entfaltet (3. Teil).

Die Beispiele des frühen Novalis und des frühen Arnim belegen, daßdie universalreflexive Poesie der Romantik der spätaufklärerischen Li-teratur zahlreiche Impulse verdankt, die aber in charakteristischer Wei-se gesteigert, nämlich reflexiv überboten werden. Darüber hinaus er-schließen die Beispiele Hölderlins und des frühen Arnim, daß die uni-versalreflexive Poesie im spielerisch-schlegelschen und im idealischenGewand schon in der Frühromantik strittig war. Zu diesem Zeitpunktgeht es poetologischer Lyrik immer wieder um die Grenzen eines ex-pansiven Verständnisses von Poesie, das einerseits als innovativ, geistigrege und offen, andererseits aber als zu anspruchsvoll erschien. Um die-se Grenzen zu ermitteln, nutzt poetologische Lyrik nicht-poetologi-sche Wissensgebiete wie Mythologie, Identitätsphilosophie, Medizinund Anthropologie. Im Falle des frühen Arnim explodieren diese Be-züge förmlich. Sie führen den Reiz, aber auch die Überforderung durcheine universalreflexive und idealische Poesie vor. Einer Forschung, diesich dem Verständnis von Reflexionspoesie bloß emphatisch widmete,blieb dieser Grenzgang fremd. Die folgenden Untersuchungen zeigendemgegenüber, daß das Bild von einem unendlichen romantischenUniversum der Poesie der Korrektur bedarf.

33 Sternberg 1986; siehe auch das themengleiche Kapitel in: ders. 1983, S.69–81.34 Sternberg 1986, S. 86.

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1. Novalis: orphischer Gesang und Gefühlspoetik 31

1. Novalis: orphischer Gesang und Gefühlspoetik

In den 1780er Jahren steht eine solche universalreflexive Poesie nochnicht zur Debatte. Der „Jüngling“ Novalis läßt sich vielmehr von Chri-stoph Martin Wieland und Gottfried August Bürger an die Dichtkunstheranführen.35 Mit der Dichtkunst verbindet er – vor diesem Hinter-grund – zweierlei: die Wertschätzung der ‚Alten‘, besonders des Vergilund des Horaz, und „die Gefühle“, die er mit seinen Gedichten auszu-drücken sucht.36 Er wendet sich deshalb nicht den großen heroischenoder religiösen Stoffen, sondern der Orpheus-Legende zu: dem My-thos über den Dichter und Sänger, der sich in den Hades wagt, um dieverstorbene Gattin zu retten.

In seinem populären Mythologischen Lexicon (1766) weiß BenjaminHederich über Orpheus zu berichten, was den jungen Novalis sogleichangezogen haben wird: Orpheus gilt Hederich als erster Dichter, als er-ster Musiker sowie als Erfinder des Gesangs, der mit seiner Leier Un-geheures bewirkt habe.37 Die Tiere, die Bäume, die Felsen, sogar dieWinde seien ihm nachgefolgt.38 Hederich erwähnt dabei zwar, daß dieIdentität des Orpheus nicht klar sei, daß er einmal als ägyptischer „He-xenmeister“,39 ein ander Mal als griechischer Erfinder und Lehrer gel-te,40 der die Bakchosdienste in seinem Land eingeführt habe und späterzu den Argonauten ‚konvertiert‘ sei,41 aber er geht dennoch von einereinzigen ganz und gar kreativen, kenntnisreichen und begabten Personaus. Im Zentrum dieser Darstellung steht der Orpheus- und Euridice-

35 Novalis: An Gottfried August Bürger in Langendorf. Weißenfels, am 18. Mai 1789,in: ders. 1954, S. 35 f., hier S. 35.

36 Ebd. Novalis gibt dem Dichterlob in der Tradition Klopstocks nicht nur eine emo-tionale, sondern auch erotische und private Komponenten, nimmt die Heiligung derDichtung also zurück. So wird die Dichtkunst bereits in dem frühen Text „An dieDichtkunst“ als „Gespielinn“ personifiziert. Novalis: An die Dichtkunst, in: ders.1960/1977, 32., S. 485 f., hier S. 485, V. 1. Durch ihre Reize sporne sie den jungenDichter an, belohne ihn mit „Lust“, nicht mit „Reichtum“. Ebd., V.7. Diesen erwirbtsich der Dichter vermutlich durch eine andere Tätigkeit – durch einen Brotberuf, aufden die Akten und Protokolle der dritten Strophe des Gedichts verweisen. Danachwird das ‚Spiel‘ mit der Angebeteten in die Freizeit verlegt; es erscheint als zweck-freies Vergnügen.

37 Benjamin Hederich: „Orpheus“, in: ders. 1967, Sp. 1809–1820, hier Sp. 1811.38 Ebd.39 Ebd., Sp. 1812.40 Ebd., Sp. 1810f.41 Ebd., Sp. 1811f.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen32

Mythos, den – im 18. Jahrhundert – nicht nur zahlreiche Poeten über-liefern, sondern der auch bereits zum Opernstoff geworden ist. Als ein‚poeta doctus‘ beginnt Novalis vor diesem Hintergrund mit der ‚imita-tio‘ des Vergil (Abschnitt a),42 um sich – als ein ‚poeta magus‘ oder ‚va-tes‘ – einen eigenen romantischen Orpheus zu erfinden (Abschnitt b).

a) Vergil Georgica, Buch IV (ca. 36–29 v. Chr.):Umdeuten durch Übersetzen

Nur wenige antike Texte schildern den Orpheus-Mythos so eindrucks-voll wie Vergils Georgica (Buch IV, 454–558): Orpheus verliert seineGattin Euridice durch den Biß einer Schlange. Er versucht, die Götterder Unterwelt mit seinem Gesang zu erweichen. Sie sollen ihm die Gat-tin zurückgeben:43

Ipse cava solans aegrum testitudine amorem,Te[,] dulcis conjunx, te solo in littore secum,Te veniente die, te decedente canebat.Taenaris etiam fauces, alta ostia Ditis,Et caligantem nigra formidine lucumIngressus, manesque adiit,44 regemque tremendum[.]Nesciaque humanis precibus mansuescere corda.At cantu commotae Erebi de sedibus imisUmbrae ibant tenues, simulacraque luce carentum[.]45

Quam multa in [silvis] avium se millia condunt,46

Vesper ubi[,] aut hibernus agit de montibus imber,Matres[,] atque viri[,] defunctaque corpora vitaMagnanimum hero[r]um, pueri[,] innuptaeque puellae,Impositique rogis iuvenes ante ora parentum,Quos circum limus niger et deformis [h]arundoCocyti[,] tardaque palus in[am]abilis undaAlligat, et novies Styx interfusa coercet.47

42 Es ist unklar, ob es sich dabei um eine Schulaufgabe handelte; Knittel 1996, S.53.43 Das nachstehende Zitat folgt einer Ausgabe, die Novalis selbst genutzt haben könn-

te; Vergil 1760, S. 161 f. Um den Textbestand zu prüfen, vergleiche ich diese Ausgabemit der modernen Edition Vergil 2001, V. 464–480. Neuerungen in der Schreibweise(‚i‘ statt ‚j‘ oder ‚y‘, ‚et‘ statt ‚&‘) werden dabei nicht eigens angemerkt, sondern imZitat übernommen.

44 Fairclough notiert „Manisque“; Vergil 2001, S. 252, V. 569.45 Statt des Punkts setzt Fairclough ein Komma; ebd., V. 472.46 Fairclough schreibt nicht „silvis“, sondern „foliis“, ebd., V. 473.

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1. Novalis: orphischer Gesang und Gefühlspoetik 33

Trauer motiviert den Gesang des Orpheus. Zugleich beflügelt ihndas – aussichtslose – Ziel, die Gattin zurückzugewinnen. Er geht durchdas tänarische Vorgebirge in die Hölle. Die letzten Verse des Vergil-Texts deuten an, daß er sich wider Erwarten erfolgreich um Euridicebemüht und die Unterwelt mit seinem Klagegesang gnädig stimmenkann. Novalis übersetzt den Text nur bis zu dieser Stelle. In drei ver-schiedenen Versionen – vermutlich aus dem Jahr 1789 – vollzieht er dieVerse 464 bis 480 des vierten Buchs der Georgica nach, und zwar relativeng am Original, also ganz im Sinne traditionell gelehrter Überset-zung.48 Im Gang durch die einzelnen Varianten derselben tauscht er nureinzelne Worte aus, und keine der drei Varianten ist als besonders ge-lungen ausgezeichnet. Im Vergleich zeigt sich aber, daß die dritte Va-riante (c) durch die Wahl des Blankverses statt des Hexameters und daßdie zweite Variante (b) durch die Wortwahl von der ersten Variante (a)abweichen. Von poetologischer Bedeutung ist dabei vor allem die zwei-te Variante; sie betont die Gefühle: Im ersten Vers spricht Novalis – ori-ginalgetreu – von „Liebe“, im fünften Vers von einem unerschütterli-chen, heldenhaften Orpheus, im zwölften Vers vom „hohen Mut“ dergefallenen Helden, in Vers vierzehn von „neidischen Flammen“, dieMädchen und Jünglinge verschlingen.49 474849

Novalis’ Übersetzungen des Vergil-Texts stehen im ausgehenden18. Jahrhundert zwar nicht allein, erweisen sich aber als außergewöhn-

47 „Er selbst, auf der hohlen Schildkröte [besser: Laute. Die ältere Lyra, von den Rö-mern ‚Testudo‘ genannt, bestand aus einem mit Ochsenhaut bespannten Schildkrö-tenpanzer; im 15. Jahrhundert ging der Name ‚Testudo‘ auf die Laute über.] seinekranke Liebe tröstend, sang dir, süße Gemahlin, dir am einsamen Strand für sich, dirsein Lied wenn ein Tag aufging, sein Lied, wenn er wieder hinwegschied. Er zog so-gar hin zum Abgrund des Taenarum, zur hohen Pforte des Dis, und trat in den Hain,von schwarzer Angst umdüstert, hin vor die Manen und ihren schaudereinjagendenKönig, vor Herzen, die für menschliches Flehen kein Mitleid kennen. Aber da zie-hen, vom Gesang gerührt, die dünnen Schatten und Gespensterbilder der aus demLeben Hingeschiedenen von des Erebus tiefstem Sitz herbei, wie viele tausend Vö-gel, die der Abendstern oder ein winterlicher Regen aus den Bergen herabtreibt, sichin den Zweigen hinterm Laub verbergen, Mütter und Männer, Leichname hochge-muter Helden, die ihr Leben bestanden haben, Knaben und unvermählte Mädchenund Jünglinge, die man vor Augen ihrer Eltern hat auf den Scheiterhaufen legenmüssen; und rundherum hält sie nur schwarzes Moor, nur das verwilderte Schilf desCocytus und der lieblose Sumpf mit seiner trägen Wallung gebunden und die neun-fach dazwischengeflossene Styx sperrt sie zusammen.“ Vergil 1985, S. 149.

48 Novalis: Freie Übersetzungsversuche, 1. Orpheus, in: Novalis 1960/77, S.552 f.; sie-he über das vermutete Entstehungsjahr den Kommentar, in: ebd., S. 752.

49 Ebd., Variante (b), S. 552.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen34

lich, wie der Blick auf gängige Übertragungen zeigt. Bereits im Jahr1760 erscheint nämlich eine Edition des Originaltexts mit einem deut-schen Kommentar. Der anonyme Kommentator erläutert die mythi-schen Bezüge der angesprochenen Verse, übersetzt aber nur den erstenVers: „Er selbst Orpheus vertrieb sich den Kummer mit einer Laute.“50

Wo Novalis von „Liebe“ spricht, läßt der Kommentator nur „Kum-mer“ gelten. Ähnlich zurückhaltend klingt die Übertragung Orpheusund Eurydice (Nach Vergil), die Friedrich Leopold Graf zu Stolberg imJahr 1778 veröffentlicht. Gleichwohl folgt Novalis Stolberg in gewisserHinsicht, denn schon dieser beginnt seine Übersetzung mit dem464. Vers des vierten Buches:

Orpheus tröstete mit der gewölbten Leier sein Sehnen;Dich, du süsses Weib, dich sang er am einsamen Ufer,Dich mit dem kommenden, dich mit dem niedersinkenden Tage!Durch die Tänarischen Schlünde durch die Pforten des PlutoGing er, hin zu den Manen, hin zu dem schrecklichen König,Herzen, nimmer vordem durch menschliches Flehen erweichet!

Sieh es erregte sein Lied des Erebus nichtige Schatten,Daß sich von ihren Sizen die dunklen Gestalten erhoben,Zahllos, wie der Vögel Tausende, welche der Abend,Oder ein Ungewitter, von Bergen in Büsche verscheuchet.Weiber und Männer erschienen, und abgeschiedene SeelenEdler Helden, noch unverlobter Jungfraun und Knaben,Und der Jünglinge, die dereinst, vor den Augen der ElternAuf dem Scheiterhaufen die Flamme hatte verzehret,Welche nun alle schwarzer Schlamm und scheusliches Schilfrohr,Und der menschenfeindliche träge Sumpf der KocytusEinschleust, und der Styx neunmal umhergossen.51

Stolberg ahmt das Original aber beinahe Wort für Wort im Hexameter-Maß nach – mit weniger emotionaler Neigung als Novalis. Dieser er-borgt dementsprechend nur wenige Begriffe von seinem Vorgänger.52

Ganz wesentlich unterscheidet beide außerdem der Umstand, daß Stol-

50 Vergil 1760, S. 161, l. IV., V. 464.51 Vergil 1778, S. 450 f., V. 464–480.52 In Version (a) entlehnt er: ‚Pforten des Pluto‘, ‚Flehen‘, ‚dunkle Gestalten‘, ‚Schei-

terhaufen‘; in (b): ‚süßes Weib‘, ‚einsames Ufer‘, ‚Pforte[n] des Pluto‘, ‚Flehen‘,‚nichtige Schatten‘, ‚Berge‘, ‚Gebüsch‘, ‚schwarzer Schlamm‘; in (c): ‚süßes Weib‘,‚nichtge Schatten‘, ‚schwarzer Schlamm‘, ‚scheußliches Schilfrohr‘. Rein quantitativsetzen sich ‚süßes Weib‘, ‚Pforte[n] des Pluto‘, ‚nichtge Schatten‘ und ‚schwarzerSchlamm‘ bei Novalis durch.

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1. Novalis: orphischer Gesang und Gefühlspoetik 35

berg die Georgica nicht nur bis Vers 480, sondern bis Vers 527 überträgt.Denn ab Vers 485 endet schrecklich, was hoffnungvoll begann: Orpheusdurfte sich, so wollte es Proserpina, nicht nach Euridice umsehen, und ertat es doch. Deshalb verliert er sie zum zweiten Mal – endgültig: Die Lei-denschaft des liebenden Gatten siegte über die Vernunft. An keiner Stel-le erwähnt Novalis den zweiten Verlust der Euridice; seine frühe Über-tragung des Vergil prägt die nachfolgende Orpheus-Dichtung damitentscheidend vor.53 Sein Orpheus erscheint als der liebende Sänger, derdie Wesen der Unterwelt durch seinen Gesang zu einer ungewöhnlichenTat bewegt. Novalis kappt die ‚düstere‘ Seite des Mythos, wonach dieLiebe des Sängers keine äußeren Bedingungen mehr kennt.

Bei Vergil überwiegt aber gerade diese ‚düstere‘ Seite: ‚als den unbe-dacht Liebenden plötzliches Rasen ergriff, verzeihlich zwar, wenn nurdie Manen zu verzeihen verstünden[]‘ („cum subita incautum dementiacepit amantem / ignoscenda quidem, scirent ignoscere manes[]“),54 sokommentiert Vergils Sprecher den Blick des Orpheus, der Euridice indie Unterwelt zurückverbannte. Die Euridice-Figur selbst spricht vom„furor“, der Orpheus erfaßt habe und klagt über den unvorsichtigenGatten.55 Dieser ist ihr verfallen; er handelt ganz ohne Rücksicht auf dieAußenwelt und das eigene Wohlergehen.56 Es verwundert deshalbnicht, daß Vergil den Orpheus und Euridice-Mythos einem furchterre-genden, mit den Augen rollenden Seher in den Mund legt.57

Der Blick auf den historischen Kontext des Lehrgedichts bestätigtdie negative Wertung der Orpheus-Figur durch Vergil.58 Sein Text er-wuchs auch aus politischen und ‚sozialreformerischen‘ Absichten:

53 Vgl. Knittel 1996, S. 53.54 Vergil 1985, S. 148 f., V. 488 f.55 Ebd., V. 494 f.56 Ebd., S. 150 f., V. 516.57 Ebd., S. 147, V. 450–453.58 Dem Bildungsbürger des ausgehenden 18. Jahrhunderts müßten diese negativen

Wertungen übrigens auch aus Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ (Libretto von Ales-sandro Striggio, Uraufführung 1607) bekannt sein. Striggio erzählt – im typisch ba-rocken Dramenschema – vom Aufstieg des Sängers, auf den der Fall notwendig folg-te. Orpheus erscheint als junger und ganz der Leidenschaft hingegebener Mann, derzu bezaubern, sich aber nicht vernünftig-gemäßigt zu verhalten vermag. Leichtsin-nig verspielt er die ‚Gnade‘ („grazia“) der Hölle, und Apoll schilt ihn dafür, daß ersein Schicksal beklagt: „Perchè a lo sdegno ed al dolor in preda / Così ti doni, o fi-glio? / Non è, non è consiglio / Di generoso petto / Servir al proprio affet-to [...].“/‚Warum ergibst du dich / Der Verzweiflung und dem Schmerz, mein Sohn? /Es ist kein Zeichen / Von großem Herzen, / Der [eigenen] Leidenschaft zu dienen.‘(Striggio 1992, S. 90 u. 96).

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen36

Nach zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzung kehrte das antikeItalien wieder zum Frieden zurück. Vergils Georgica sollte dem Volkeine erstrebenswerte Zukunft weisen und es zum persönlichen Engage-ment für die Landwirtschaft anregen.59 Deshalb förderten die Konsuln,die mit der Landzuweisung in Gallien beauftragt waren, den Autor. Einpolitisches Ereignis kam hinzu: der Sieg Cäsars über Antonius undCleopatra (31. v. Chr.). Vergil soll Cäsar die Georgica im Jahr 29 v. Chr.vorgelesen haben, nachdem dieser aus dem Osten, nämlich von jenersiegreichen Schlacht zurückgekehrt war.60 Aufgrund dessen läßt sichvermuten, daß Vergil den Orpheus und Euridice-Mythos auf Antoniusund Cleopatra überträgt: Antonius konnte dem zeitgenössischen Pu-blikum als Orpheus erscheinen, für den nur die eigene Leidenschaftzählte; Cleopatra fand in Euridice ihre literarische Gestaltung.61 Vergildeutet den Mythos vernunft-ethisch und politisch – ganz anders alsNovalis.62

Durch seine Übersetzung kehrt Novalis die Deutung des Orpheusund Euridice-Mythos durch Vergil um. Novalis kann sich dafür auf einbekanntes Text-, Bild- und Musik-Kunstwerk stützen: auf ChristophWillibald Glucks Oper Orfeo ed Euridice (Pariser Erstaufführung imJahr 1774). Raniero de’ Calzabigi, der das Libretto verfaßte, zeigt nichtnur erstmals die Dynamik zwischen den Liebenden, sondern er läßt dasDrama auch gut enden: Euridice fürchtet, Orpheus liebe sie nicht mehr,weil er sie nicht anschaut und will ihm nicht aus dem Hades ans Lichtfolgen; Orpheus dreht sich daraufhin um, und Euridice stirbt. Weil Or-pheus zu verzweifeln droht, greift Amor rettend ein: Er habe nur dieTreue des Orpheus prüfen wollen, sagt der Liebesgott, und schenkt derverloren geglaubten Gattin das Leben wieder.63 Das Paar kehrt wohlbe-halten in die Menschenwelt zurück. Trotz dieser positiven Darstellungdes Orpheus finden sich in den Übertragungen des Novalis aber keinedirekten Spuren der Gluckschen Oper. Der Vergleich und der Ausblickauf das eigene Orpheus-Gedicht des Novalis zeigen vielmehr, daß er diepositive Sicht Glucks bzw. Calzabigis auf Orpheus noch steigert, in-dem er ihn als „zärtliche[n]“ Sänger vorstellt.

59 Vgl. Erren 1985, S. 17.60 Ebd., S. 10.61 Ebd., S. 22.62 Die vernunft-ethische Deutung ist vermutlich der Grund dafür, daß Vergil in der

Romantik nicht sehr beliebt war; siehe über die Vergil-Rezeption Ziolkowski 1993,S. 77–80.

63 Calzabigi 1993, S. 113.

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1. Novalis: orphischer Gesang und Gefühlspoetik 37

Ein zweiter Vergleich belegt diese Interpretation: Zeitgleich mit No-valis’ Übersetzungen der Verse aus den Georgica veröffentlicht JohannHeinrich Voß unter dem Titel Landbau eine Übertragung des gesamtenTexts.64 Für die Verse 454 bis 558 verwendet er teilweise dieselben Be-griffe wie Novalis.65 Dies allerdings mag nur auf die relative Richtigkeitder Übersetzungsversuche von Novalis schließen lassen und nicht dar-auf, daß Voß diese kannte. Denn während Voß sich bemüht, den gesam-ten Vergil-Texts angemessen zu erfassen, konzentriert sich Novalisnicht nur – mit Stolberg – auf die Orpheus und Euridice-Geschichte,sondern dichtet einen eigenen und neuen Orpheus. Novalis erfüllt da-mit bereits jenes Kriterium, das – folgt man den Blüthenstaub-Frag-menten (1798) – den wahren Übersetzer auszeichnet: Er übersetzt alsKünstler, als „des Dichters Dichter“.66

Aus der gelehrten Übung, aus der ‚translatio‘ und ‚imitatio‘ des anti-ken Vorbilds entsteht zugleich – mehr oder minder in der Deutungs-Tradition der Gluckschen Oper – eine poetologische Figur, ein Symbolfür ein ‚zärtliches‘ Dichtungsverständnis, das von antiken Traditionen,vernunft-ethischen Überzeugungen und politischen Zielen abgetrenntwird. Im Rahmen eines eigenen Orpheus-Gedichts entwirft Novalis ei-nen Dichter-Typus, mit dem er nurmehr vage an Vergil anschließt. No-valis deutet den Orpheus der Antike zu diesem Zweck emotional – zu-

64 Die Georgica-Übertragung von Voß (Vergil 1789) wird in kurzer Zeit bekannt undsehr gelobt; vgl. Art. I, in: The German Museum 2 (1800), S. 551–555.

65 Aus arbeitspragmatischen Gründen werden die oben diskutierten Verse nach einerspäten Auflage zitiert. Vergil 1926, S. 114: „Er nun stillte des Grams Sehnsucht mitgewölbter Leier, / Dich holdseliges Weib, dich bang’ am einsamen Ufer, / Dich mitkommendem Tag’ und dich mit scheidendem singend. / Selbst in des TänarusSchlund tiefab zu den Pforten des Pluto, / Und in den düsteren Hain voll schwarzanstarrenden Grauens / Wagt’ er den Gang, die Manen zu schaun, und den furcht-baren König, / und durch menschliches Flehn noch nie gemilderte Herzen. / Aber esschwebten, gerührt vom Gesang, aus Erebus’ Tiefen / Luftige Schatten daher unddem Leben entschwundne Gestalten, / Zahllos, so wie im Laube sich Tausende ber-gen der Vögel, / Nachtet es, oder verscheucht vom Gebirge sie winternder Regen: /Mütter zugleich, und Männer, und einst großherziger Helden. / Herrliche Riesenge-stalt, und Knaben, und bräutliche Jungfrau’n / Jüngling’ ach, auf die Scheiter ge-streckt vor den Augen der Eltern, / Die dort schwarzer Morast und scheußlichesRohr des Coctys / Ringsumher und des trägen Gesümpfs unfreundliche Wasser /Fesseln und neunfältig die Styx umströmend verkehrt.“ – Auch Novalis spricht vom„Hain“ (Versionen a und c), vom „furchtbaren König“ (Version b, in gewisser Hin-sicht auch a und c), von „Gesang“ (Versionen a, b), vor allem aber von „luftige[n]Schatten“ (Version a), von „Mütter[n]“ (Versionen a, b, c), „Männer[n]“ (Version b)und „Helden“ (Version b) und vom ‚Rohr des Coctys‘ (alle Versionen).

66 Pfefferkorn 1988, S. 48–51, hier S. 49.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen38

gunsten eines positiven Bildes vom Dichter und seiner Tätigkeit. Imfolgenden will ich zeigen, daß Novalis aus der Vergil-Übertragung inseinem eigenen Orpheus-Text eine – teilweise – neue Konzeption vonPoesie gewinnt, die auf ‚starke Gefühle‘ setzt: Orpheus, der liebendeMensch, kämpft nunmehr im Zwischenreich um die Geliebte; seinestärkste Waffe ist die Poesie, die ihn zwischen Welt und Hades wandelnläßt.

b) Orpheus (ca. 1789):romantisierender Gegenentwurf von Poesie

In einem ersten Abschnitt des Orpheus-Gedichts (V. 1–35) mustert derSprecher poetologische Positionen der Vergangenheit, um seine Vor-stellung von Poesie davon abzugrenzen. Er spricht über die früheKriegsdichtung und die wenigen Sieger in Krieg und Lied, über Ho-mers „unerreichbare[] Lieder“ und Vergils „sanfteren Ton“.67 Auf Ver-gil läßt er wiederum die kriegerische Dichtung folgen; sie be-ginnt – nach Novalis – mit Tasso, entwickelt sich in Lodovico AriostosOrlando Furioso (1515) und Richard Glovers Leonidas (1737) weiter.Selbst die „Heilige Poesie“ John Miltons und Klopstocks paßt in diesesBild: Ihr Held, der Messias, stirbt als Erlöser für „den sündigen Men-schen“;68 die Heroen der Kriegsdichtung lassen ihr Leben für das Va-terland – „[...] mit Ruhm und Wunden bedecket.“69 Ganz anders derSprecher des Novalis. Er assoziiert „Vaterland“ mit dem „Vater“, derbei der Geburt des Sohnes „lächelt[]“, der nicht „erhaben[]“ schaut,sondern das Kind „mit lächelndem Scherze / Und den sanfteren Gra-zien“ weiht.70 Aus diesem harten Kontrast von Kriegsdichtung, „Hei-liger Poesie“ und Familien- oder Liebesdichtung im weitesten Sinnegewinnt der Sprecher das eigene Verständnis von Poesie. Fünf Versefassen das poetologische Programm zusammen, das Novalis an seinenOrpheus knüpft:

Sieh drum wählte ich mir auch zu singen den sanfteren OrpheusWelcher die Leyer zuerst mit zärtlichen Tönen begabetUnd mit harmonischen Liedern die Sitten der Hirten gebildet

67 Novalis: Orpheus, in: Novalis 1960/77, S. 547–551, hier S. 548, V. 9 und 11.68 Ebd., V. 17–20.69 Ebd., V. 24.70 Ebd., V. 25–27.

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1. Novalis: orphischer Gesang und Gefühlspoetik 39

Singend zum schrecklichen Orkus hinabstieg, welchen noch niemalsSterbliche Füsse berührt, von klagender Liebe getrieben [...].71

Das Attribut „sanfter[]“, das Orpheus hier zugesprochen wird, weistauf Vergil und die Grazien zurück. Vergils Ton wird selbst als „sanf-ter[]“ beschrieben, für die Grazien und Orpheus gelte dieselbe Eigen-schaft; die Töne des Orpheus aber seien auch „zärtlich“,72 seine Liederwirkten „harmonisch[]“. Anders als Vergil, der als berühmter Dichterder ‚Alten‘ abstrakt bleibt, schildert der Sprecher Orpheus als empfin-dendes Individuum, trifft Aussagen über seinen Charakter. Bezeich-nenderweise ist aber selbst in bezug auf ihn immer nur von „sanfteren“die Rede; der Sprecher wählt den Komparativ. Orpheus steht als Chif-fre für die erstrebte neue Dichterrolle, gegen die etablierten Traditionender Heldendichtung und der ‚Heiligen Poesie‘. Gegen diese will sichder Sprecher des Novalis wenden, um – mit Orpheus – für ein irdischesFühlen und Leben in der Tradition der anakreontischen Liebeslyrik zuplädieren: Orpheus’ Gesang für Euridice ist „von klagender Liebe“ ge-trieben – von einem konkreten Gefühl für einen einzigen Menschen,nicht von abstrakten Idealen. Während Orpheus aber Euridice besingt,singt das Ich über Orpheus. Novalis steigert die Konstellationen derDarstellung reflexiv: Der Sprecher, selbst ein Dichter, dichtet über ei-nen Dichter, der für jenes poetologische Konzept steht, das er selbstvertreten will. Doch Novalis beläßt es nicht nur bei dieser reflexivenSteigerung, sondern überbietet sie noch, indem er ‚Ich‘ und Orpheus ineinem Vers vorübergehend identisch werden läßt. Dort geht es um„[...] die Lieder die ich jetzt singe der rosigen Freundinn.“73

Gleich im nächsten Vers treten Ich und Orpheus auseinander. Derzweite Abschnitt von Orpheus beginnt als eine auktoriale Erzählung inVersen (V. 36–127). Sie handelt von Orpheus’ und Euridices Flucht ausTessalien, von Euridices Tod durch den Schlangenbiß, vor allem abervon den Gefühlen des Orpheus für die (verstorbene) Gattin. Die„Schrecken des Todes“ lähmen ihn;74 er steht in „stummer Verzweif-lung“ und trauert75 – bis ihm Venus im Traum erscheint und ihn auffor-

71 Ebd. S. 548, V. 28–32.72 Dies verweist auf die Übersetzungsvariante (a), V. 1 zurück.73 Novalis: Orpheus (wie Anm. II., 67), V. 35, S. 550, V. 98. Unklar bleibt dabei, ob es

sich bei der „Freundinn“ um Euridice handelt, wofür das Attribut „rosig[]“ spre-chen würde, das für Euridice, aber auch für Venus verwendet wird (ebd., V. 38).

74 Ebd., S. 549, V. 66.75 Ebd., V. 79, S. 550, V. 93.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen40

dert, in den Orkus zu steigen, um Pluto mit seinen Klageliedern zu er-weichen. Zugleich verschmelzen die Göttin der Liebe und die geliebteGattin aufgrund der Farbattribute (‚goldene Locken‘, ‚rosig Haut‘) zueiner Figur. Diese Doppelfigur der Liebe fordert Orpheus zu einemmutigen Gang auf. Anders als die Helden des Homer wird ihm der Er-folg nicht durch Waffen und Kampf, anders als den Helden Miltonsund Klopstocks nicht durch Glauben und Opferbereitschaft gewährt;Orpheus siegt durch seine Klagelieder, durch den poetischen Ausdruckseines Gefühls.

Er greift zur „Leyer“ – und an dieser Stelle integriert Novalis jenenAbschnitt aus Vergils Georgica, den er übersetzte. Doch deutet Novalisihn um: Orpheus begräbt die Gattin; in den Hades geht er nicht.76 Viel-mehr singt er – anders als Vergils Orpheus, aber vergleichbar dem Or-pheus Ovids – „ein Lied des Todes der Gattin“.77 Es handelt von Euri-dice, von ihrem Tod durch den „Neide“ der Unterwelt,78 von einemPlan, sich in die Unterwelt zu wagen. Zu seinen Adressaten zählen dieMusen auf dem Parnaß, Luna und die „Nympfen des Haynes“79 – nichtaber Pluto und die Gestalten der Unterwelt.80 „Und vom Mitleid ver-sank ihr himmlisches Schimmern in Dämmrung,“81 so heißt es über dieerlesenen Zuhörer der Dichtung des Orpheus.

Anders als Vergils Georgica endet Novalis’ Orpheus offen. Einerseitsromantisiert Novalis den Orpheus-Mythos, wie er ihn bei Vergil vor-findet: Er versetzt ihn in den Wald, unter die mythischen Lichtgestal-ten, blendet nicht nur den neuerlichen Verlust der Euridice und denTod des Orpheus aus, sondern auch den Hades-Gang selbst. Anderer-seits greift er zu diesem Zweck auf den poetologischen Mitleidstoposder christlichen und moralischen Aufklärung zurück.82 Ob die „zärtli-

76 Ebd., Einschub, S. 550 f., hier S. 551, 7, V. 25.77 Ebd., S. 550, V. 122. – Vergil und Ovid weichen in ihrer Orpheus-Darstellung von-

einander ab, denn Ovids Orpheus singt. Vgl. dazu Putnam 1979, S.294 u. 301.78 Novalis: Orpheus (wie Anm. II., 67), Einschub, S. 551, 5, V. 12; die Anspielung auf

den „Neid“ der Unterwelt ist aus der Übersetzungsvariante (b), V. 14 bekannt.79 Novalis: Orpheus (wie Anm. II., 67), S. 551, V. 128–130.80 Schon deshalb stimmt die knappe Interpretation des „Orpheus“-Gedichts von Walter

A. Strauss nicht; vgl. ders. 1971, S. 17 u. passim. Vor einem weiten ideengeschichtli-chen Kontext versucht Strauss zu zeigen, daß Novalis einen (gnosischen) Dualismusvon ‚hell‘ und ‚dunkel‘, von einem Reich des Lichts und einem Reich der Finsternis alszentral erachtet. Novalis stellt jedoch weniger einen solchen Gegensatz (von Hadesund Erdenleben) heraus; vielmehr ‚schickt‘ er die orphischen Gesänge auf den Parnaß.

81 Novalis: Orpheus (wie Anm. II., 67), V. 131.82 Dazu Schings 1980.

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1. Novalis: orphischer Gesang und Gefühlspoetik 41

chen Töne“ des Orpheus siegen, bleibt dabei offen. Im Blick auf dieWirkung des neuen, „zärtlichen“ und „sanfteren“ poetologischen Pro-gramms bleibt es beim Alten: Hier wird die Mitleidspoetik reformu-liert. Novalis’ Orpheus gelangt unter wirklungspoetologischemAspekt nicht über den bloßen Versuch hinaus, mit Orpheus eine neuepoetologische und poetische Richtung anzukündigen.83

Dies gilt jedoch nicht für die Darstellung seiner Erlebnisse und Ta-ten. Ein tragisches Ereignis, der Verlust der Geliebten, löst den Gesangdes Dichters aus. Den orphischen Gesang motivieren weder Mitleidnoch Nächstenliebe; er entspringt der (geschlechtlichen) Liebe und derVerlusterfahrung. Anders als in der Mythologie verbleibt der Dichterdabei auf Erden, im Hain und wirkt auf den Parnaß. Darüber hinaus er-zählt nicht der Dichter Orpheus selbst, sondern ein Sprecher dichtet imlyrischen Text über die Dichtung des Orpheus. Er berichtet Überliefer-tes und reflektiert es in der eigenen Poesie-Auffassung. Der Ursprungmenschlicher und zärtlicher Dichtung ist also nicht mehr zugänglich,sondern speist sich aus den mythisch gestützten Phantasien des ausge-henden 18. Jahrhunderts.

Was Novalis dem Poesie-Verständnis seiner Zeit wünscht, deutet erin ein Poesie-Verständnis und in eine Dichterrolle hinein, die er mit‚Orpheus‘ überschreibt. Orpheus wird Novalis zum poetischen Messi-as,84 zum Sänger der Musen, zum Propheten einer Poetik, die im Zei-chen von Magie und Gefühl steht.85 Sie widmet sich der „Darstellung

83 Mit gutem Grund formuliert W. A. Strauss seine Überlegung, daß die typisch apol-linische Sicht auf den Hellenismus in der Romantik von einer orphisch-dionysischenersetzt worden sei, mit Vorsicht; ders. 1971, S.9. Zwar gab es Stimmen, die sich – wieWilhelm Heinse – ‚der dionysischen Seite‘ zuwandten, aber im Fall von Novalis„Orpheus“ wäre es nicht nur sehr gewagt, sondern im Kern falsch, von einem ‚or-phisch-dionysischen‘ Blick zu sprechen. Novalis schreibt das Orpheus-Thema viel-mehr romantisch um – und verklärt dabei den ‚dionysischen‘ Mythos des Sängers,der sich tapfer in die Unterwelt wagt, um gegen die Mächte des Bösen für seine Ge-liebte zu streiten.

84 Siehe Valk 2003.85 Dabei wird vor allem das Attribut ‚zart‘ die Poetik des Novalis weiterhin auszeich-

nen; es findet sich schließlich auch in „Heinrich von Ofterdingen“, und zwar in Zu-sammenhang mit einem Vergleich, der die besonderen Eigenschaften von Spracheverdeutlichen soll (H.-G. Pott 1987, S.72). Im Blick auf das Attribut ‚zart‘ begründetNovalis hier eine Auffassung von einer autonomen Sprache – mit Vokabeln, die auchSchiller nutzt, um seinen „ästhetischen Staat“ zu beschreiben (Schiller 1962, XX,27. Brief, S. 404–412, hier S. 410 [Hervorhebung im Original]). Bei Novalis spielt dieSprache mit sich selbst, löst sich auf diese Weise von allen äußerlichen Bestimmun-gen und wird als freies Element der Natur zu einem ‚zarten‘ Maßstab aller Dinge.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen42

des Gemüthes“, der „Äußerung eines inneren Zustandes“.86 Orpheus,das Gedicht über den „zärtlichere[n]“ Dichter, erscheint nicht nur alsVorläufer, sondern bereits als Dokument solcher Auffassungen. Wassich beim frühen Novalis dabei noch aus den Poetiken und Praktikender Aufklärung, aus der ‚imitatio‘ des antiken Texts und aus der Mit-leidspoetik speist, das entwickelt der Novalis der späten 1790er Jahreweiter.87 Mit Friedrich Schlegel wird er seine Dichtung darüber hinausals Meta-Theorie begreifen, weil sie Theorie erst umsetzt und fühlbarmacht.88

„Poesie der Poesie“ ist in den Formen des Novalis sowie in denjeni-gen der Brüder Schlegel im Ausgang aus der Literatur und aus derNormpoetik der Aufklärung ‚en vogue‘. Als Beispiele für vergleichbareReflexionsformen gelten mir die Poetik-Entwürfe ehemaliger Studen-ten des Tübinger Wilhelmsstifts: Hegel, Schelling und Hölderlin schrei-ben der Poesie einen ‚höchsten‘ Zweck zu. Im Ältesten Systempro-gramm des deutschen Idealismus (1796 oder 1797) erweist sich die Poe-sie – anders als die Philosophie – als „Lehrerin der Menschheit“, als derWeg zu einer „neue[n] Mythologie“.89 Poesie verbindet, was die Refle-xionsphilosophie Kants trennt: Hölderlin interpretiert das Begreifender Systemphilosophien – später gegen Hegel – als ein Beherrschen, alsUnterwerfung des Objekts unter das Subjekt.90 Dichtung hingegen sollvereinigen, so Hölderlin, und zwar durch Schönheit, Liebe und Reli-gion.91 Poetologische Reflexion meint hier also Synthese. ‚Hölderlin‘wurde – als Person wie als Autor – zur Ikone dieser idealischen undsynthetischen Poesie-Auffassung, zur „Allegorie der Poesie“.92

Das poetologische Schlagwort vom ‚zärtlicheren Singen‘ aus „Orpheus“ ist im„Heinrich“ sprachpoetologisch zu verstehen: Bezieht sich das ‚zärtlichere Singen‘aus „Orpheus“ noch auf den sehnsüchtigen Trauergesang des Liebenden, so kenn-zeichnet ‚zart‘ hier die Eigenschaft einer vollkommen zu sich gekommenen Sprache.An einer solchen Sprache muß sich die Welt messen lassen.

86 Für Nachweise und Interpretation siehe M. Frank 1989, S. 271 f. u. 278 f.87 Für „Heinrich von Ofterdingen“, besonders für Klingsohrs Weinlied: Hartmann

1996, bes. S. 55 f.88 Hörisch 1976, S. 108; Schmaus 2000, S. 45.89 Hegel 1986, I, S. 235 f. [Hervorhebungen im Original]; über die Versuche, den oder

die Autoren des „Systemprogramms“ zu ermitteln, Franz 1975–77.90 Kurz 1975, S. 13.91 Ebd.92 Bothe 1992, S. 28.

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2. Friedrich Hölderlin: ambivalente Poetik des Idealischen 43

2. Friedrich Hölderlin:ambivalente Poetik des Idealischen

Aber auch unabhängig von solch biographisch-psychologisierendenDeutungen gilt Hölderlin als der Dichter, dessen Werk wie kein zweites„aus dieser spezifischen Idealität [lebt], die sich mit dem Pathos des Er-habenen und Feierlichen umkleidet[.]“93 Mit der folgenden Interpreta-tion der alkäischen Ode Dichterberuf (1800/1801, gedruckt 1802)94 solldemgegenüber gezeigt werden, daß sich Hölderlin kritisch mit derIdealisierung von Dichtung auseinandersetzt (Abschnitt a). Der Wegdorthin führt über seine ambivalente Deutung des Topos von der Ein-samkeit des Dichters. Hölderlins poetologische Lyrik und seine theo-retischen Auseinandersetzungen mit Dichtung erhellen sich in diesemPunkt wechselseitig. Doch gehen die poetologischen Gedichte über dietheoretischen Überlegungen hinaus: Sie reflektieren diese und bildenab, wo erhebliche Schwierigkeiten im Dichtungsverständnis Hölderlinsliegen. Die Interpretation von Dichterberuf im Blick auf die anthropo-logischen und poetologischen Fragmente Reflexionen und Über dieVerfahrungsweise des poëtischen Geistes erschließt, in welche Schwie-rigkeiten der Dichter geriet, der sich seiner selbst bewußt wurde, derdem Reflexionsgebot und dem eigenen Dichtungs- und Dichterver-ständnis gehorchte: Es findet am Menschen seine Grenze. Anthropolo-gie und Poetik ergänzen sich im Fall Hölderlins also bloß vordergrün-dig; sie stehen in letzter Konsequenz gegeneinander (Abschnitt b).

93 Schmidt 1980–81, S. 100.94 Hölderlin 1992–94, I, Kommentar, S. 778. Anhand der Interpretationen von „Dich-

terberuf“ ließe sich eine Methodengeschichte der Literaturwissenschaft schreiben.Um einige Eckdaten aus dieser Geschichte zu nennen: rein formalanalytisch unter-suchte Beißner (1951) „Dichterberuf“; Schmidlin (1958) legte eine geistesgeschicht-liche Deutung vor, die auf die Deutung des Dichters als ‚Seher‘ abstellt; gegen solcheVersuche wendet sich Müller-Seidel (1983) mit einer sozialgeschichtlichen Kon-textualisierung des Texts. Er erscheint hier als Dokument der Revolutionskriege; sie-he auch Kaiser 1996, I, S. 477–488. Gegenwärtige Bemühungen um „Dichterberuf“interessieren sich vor allem für seine ästhetische und poetologische Dimension, zu-meist im Blick auf ein ausgreifendes philosophisches oder literaturgeschichtlichesTableau (Vieillard-Baron 1992; Selbmann 1994). Interpretationen wie diese förder-ten eine Fülle von text-immanenten und möglichen text-externen Bezügen zu Tage,aber eine Deutung des Texts vor seinem unmittelbaren poetologischen Kontext liegtnoch nicht vor.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen44

a) Dichterberuf (1800/1801):Poesie der gemäßigten Vereinigung?

Gleich im Eingang von Dichterberuf, der erweiterten und verändertenFassung der Kurzode An unsre großen Dichter (1798),95 ist von zweientgegengesetzten Mächten die Rede: von Bakchos und von einem„Meister“, von Apoll, der mit dem Dichter verbunden wird.96 Gleich-wohl bleibt diese Verbindung vage;97 deutlich ist nur, daß beide Götter,Bakchos und Apoll, für die Dichtkunst stehen. Bakchos kommt – derMythologie entsprechend – aus dem fernen Indien und führt „heilge[n]Weine“ mit sich.98 Von Apoll – oder dem Dichter, „des Tages En-gel“ – hingegen fordert der Sprecher, daß er die Gesetze bringe, mehrnoch: daß er „siege[n]“ solle.99 Letzteres legt eine Parteinahme für denSonnengott (und damit für den Dichter) nahe, für den Tag, für das Ge-setz, für das Klare, für das Helle und Regelbare. Der „heilge[] Wein“des Bakchos erscheint als bedrohlich, obwohl sich Bakchos und Apollin ähnlicher Weise legitimieren können: Beiden kommt „der EroberungRecht“ zu,100 aber nur Bakchos macht bereits davon Gebrauch. Doch

95 Als vollkommen identisch erweisen sich nur die jeweils ersten Strophen der beidenGedichte. Die zweite Strophe von „Dichterberuf“ weicht entscheidend von demvorhergehenden Text ab. Ich komme später darauf zurück. Für die Formanalyse von„Dichterberuf“ siehe Beißner 1951.

96 Hölderlin 1992–94, I, Kommentar, S. 779.97 Über die vielfältigen Entgegensetzungen, aber auch über die Verbindungen der bei-

den Götter durch Hölderlin vgl. Pfotenhauer 1988–89, bes. S.53; Behre 1990–91.98 Hölderlin: Dichterberuf, in: ders. 1992–94, I, S. 305–307, hier S. 305, V. 4 f. Es liegt

nahe, hier an den Prolog des Dionysos und an das Einzugslied der Bakchen aus Eu-ripides’ gleichnamigem Drama zu denken; Hölderlin übersetzte die ersten Verse desEuripides-Texts im Jahr 1799; Schmidlin 1958, S.31. Vgl. zur Herkunft des BakchosSchmidt 1970, S. 31.

99 Hölderlin: Dichterberuf (wie Anm. II., 98), V. 5–8.100 Ebd., V. 8. Müller-Seidel deutet diese Worte rechtspolitisch, nämlich im Blick auf die

Revolutionskriege und im Blick auf die Frage, ob diese zu Eroberungsfeldzügen um-gedeutet werden dürften. Er beschreibt zu diesem Zweck, wie sich die politischenEinstellungen Hölderlins wandelten: aus der Begeisterung für die Revolution wurdeEnttäuschung. Müller-Seidel 1983, S. 196–198. Entsprechend folgert Müller-Seidel,daß die Kurzode „An unsre großen Dichter“ das Recht auf Eroberung begründe; für„Dichterberuf“ hingegen stellt er fest, daß die politische dort in eine religiöse Di-mension umgewidmet werde, daß etwa an die Stelle der Heroen der Meister treteusf.; ebd., S.198 f. Diese Deutung widerspricht der poetologischen nicht – im Gegen-teil: Sie regt an, den zeithistorischen Kontext für die poetologische Interpretationmitzubedenken, selbst wenn die Bezüge auf die Revolutionskriege bloß an einigewenige Vokabeln geknüpft werden können.

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2. Friedrich Hölderlin: ambivalente Poetik des Idealischen 45

auch Apoll soll erobern, die „Völker“ vom „Schlafe“ nicht nur – wieBakchos – „wecke[n]“,101 sondern sie „erweck[en]“.102

Bakchos und Apoll bleiben nicht die einzigen Figuren in Dichterbe-ruf. Der Dichter, „der Mann“, „der Gott“, „der Vater“, der schöpferi-sche und göttliche „Genius“, die „Himmlischen“ und die belebte Naturkommen hinzu. Dabei rahmen die Erwähnungen des Mannes und desGottes, rein quantitativ betrachtet, erhebliche Teile des Texts. In derletzten Strophe verbleiben nur sie; die übrigen Figuren sind verschwun-den. Mann und Gott bedeuten demzufolge Besonderes. Will der Inter-pret aber der Frage nachgehen, was genau sie bedeuten, dann stößt erauf Grenzen des Interpretierbaren.

Diese Grenzen ergeben sich, weil sich in Dichterberuf – erstens – Fi-guren ununterscheidbar überlagern und weil sich deshalb – zwei-tens – die Frage, wer zu wem spricht, nicht immer beantworten läßt. Siemuß für jede Strophe neu geprüft werden: In der ersten Strophe gibt einauktorialer Erzähler über das Geschehen am Ganges Auskunft (Bak-chos erobert und weckt). In Strophe drei, dann aber erst zum Abschlußdes Gedichts (Strophen fünfzehn und sechzehn) greift wiederum derauktoriale Erzähler ein. Seine Aussagen und Wertungen rahmen dasAuftauchen ‚des Mannes‘. Die Strophen zwei und vier bis vierzehn sinddemgegenüber in direkter Rede gehalten: Es spricht ein ganz unter-schiedlich besetztes ‚Wir‘, das sich an verschiedene Du- und Ihr-Figuren wendet. Das ‚Du‘ bezieht sich ebenso auf den Dichter wie auf„de[n] Höchsten“.103 Mit ‚ihr‘ hingegen werden die „Himmlischen“und die „Quellen“, die „Ufer und Hain’ und Höhn“, die „ruhelosen Ta-ten in weiter Welt“ und die „Schicksalstag’“ angerufen.104

Auf diese Weise vermittelt der Text den Eindruck, als sehe sich der Au-tor um, als mustere er sowohl die wirkliche und belebte als auch die er-dichtete und die mythische Welt. Eine dreifach gestufte Fragebewegung,die Jochen Schmidt bereits erschöpfend beschrieb, steht im Kern dieserUmschau: Sie geht von der Feststellung aus, daß die Dichter dem Höch-sten geeignet sind, thematisiert den Mißbrauch der Dichtung, nimmtaber auch eine ‚eigentliche‘ Aufgabe von Dichtung in den Blick.105 Ge-

101 Hölderlin: Dichterberuf (wie Anm. II., 98), V. 4.102 Ebd., V. 5.103 Für den Bezug auf den Dichter ebd., S. 306, V. 34; für den Bezug auf „de[n] Höch-

sten“ Hölderlin 1992–94, I, Kommentar, S. 780.104 Hölderlin: Dichterberuf (wie Anm. II., 98), S. 305, V. 17 f., S. 306, V. 25 f.105 Hölderlin 1992–94, I, Kommentar, S. 779 f.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen46

meint ist – vorläufig – der poetische Ausdruck des Göttlichen. JochenSchmidt zufolge erweist sich Dichterberuf deshalb als ein Gedicht überden heldenhaften Dichter, der sich – schon entmenscht – als Sprachrohrdes Göttlichen zu betrachten hätte, weil im Ausgang des Gedichts, näm-lich mit dem Auftreten des Mannes in der letzten Strophe, „das He-roische des Dichters in seiner Einsamkeit pointiert“ werde.106

Doch das Bild des Mannes, das Hölderlin entwirft, steht der Vereini-gung von Mann und Dichter entgegen. Vielmehr rückt es den Mann indie Nähe der „Völker“, die Bakchos und Apoll (er)wecken sollen. Dennder Mann teilt das Geschick des primitiven Menschen, der zwar „edler[] denn das Wild“,107 doch nicht – wie der Dichter – zum Höchsten be-rufen ist. Der Mann bleibt „furchtlos“, „einsam“, aber auch rein bzw.einfältig.108 Mehr noch: Die Einfalt schütze ihn vor Gott;109 er verharrein der „heilge[n] Nacht“, mit der ihm „der Vater“ die Augen zudecke.110

Der Mann ist blind; er kann – wie ein Vergleich mit mit der vermutlichkurz nach Dichterberuf entstandenen Ode Der blinde Sänger (1801)zeigt – nicht dichten. Galt die Blindheit an anderer Stelle als positivesAttribut des Sehers,111 so fehlt ihm hier das Licht (möglicherweise über-setzbar mit Idealismus oder Aufklärung)112 – und mit dem Licht verlierter die Sprache.113 Während der Mann also im Vorsprachlichen verharrt,verbindet sich der Dichter graduell mit Apoll. Hier liegt eine gestaffelteRedesituation vor: Über den Dichter und Apoll geben nur diejenenStrophen Auskunft, die nicht auktorial vermittelt sind. Auktorial wirdbloß über ‚den Mann‘ gesprochen; über Apoll und den Dichter aber be-richtet die Figurenrede ganz unmittelbar im ‚Wir‘.114

Dichterberuf, das zeigen schon diese narrativen Verfahren von Ein-schluß und Abgrenzung, begreift den Poeten nicht länger als Helden.

106 Ebd., S. 783.107 Hölderlin: Dichterberuf (wie Anm. II., 98), S. 305, V. 11.108 Ebd., S. 307, V. 61 f.109 Ebd.110 Ebd., V. 53 f.111 Vgl. Kurz 1992, S. 131.112 Schmidt setzt ‚Licht‘ – im Blick auf Schellings Vorlesungen über die „Philosophie

der Kunst“ – mit Idealismus gleich. Hölderlin 1992–94, I, Kommentar, S. 787.113 Hölderlin: Der blinde Sänger, in: Hölderlin 1992–94, I, S. 307–309, hier S. 309,

V. 41–52; Hölderlin 1992–94, I, Kommentar, S. 784–787.114 Eine handschriftliche Fassung der Ode sah noch Anderes vor: Sie schilderte einen

idealen Zustand der Harmonie zwischen Dichter, Natur und Gott; Hinck 1994,S. 111.

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2. Friedrich Hölderlin: ambivalente Poetik des Idealischen 47

Ein Vergleich mit An unsre großen Dichter bestätigt diese These:115 Dortgibt nicht – wie in Dichterberuf – der immer auch als bedrohlich emp-fundene „Meister“ Apoll, die Gesetze,116 sondern die Dichter erweisensich selbst als Gesetzgeber. Sie „weck[en]“ „die Völker“: „[...] gebt /Uns Leben, siegt, Heroën!“, so klingt es weiter.117 Der Ausdruck „He-roën“ entfällt in der zweiten Strophe von Dichterberuf. Auch wird nurnoch dem „Meister“ „der Eroberung Recht“ zugesprochen.118

Für das poetologischen Denken Hölderlins kurz vor seiner psychi-schen Zerrüttung (spätestens seit 1802)119 läßt sich aus diesem Gedicht-vergleich also – trotz der erwähnten Grenzen des interpretatorischenZugriffs – auf einen skeptischen Wandel schließen:120 Der ‚Dichterbe-ruf‘ ist nunmehr weniger groß und heilig. Zwar steht der Dichter inKontakt mit den Göttern, ist Engel und Götterbote, verbindet sich mitApoll, aber er bewegt sich vom Göttlichen weg. Im Ergebnis erscheintHölderlins Dichter nicht als der große Einsame, als der von der göttli-chen Natur eingesetzte Held auf Erden, sondern als eine Existenz zwi-schen dem ‚gewöhnlichen Volk‘ und den Göttern. Als eine solche Exi-stenz fürchtet er die Extreme beider Seiten: die vorsprachliche Einge-bundenheit in die primitive Natur und die Überforderung durch dasHelle, Lichte, Göttliche. Letzteres ist gleichwohl positiv besetzt, wie esdie Nähe zu Apoll zeigt. Aber sein Licht kann blenden.

Im Blick auf diese Konstellation läge die Vermutung nahe, daß ‚dasapollinische Prinzip‘ einen Gegenpol, ‚das bakchische Prinzip‘, benö-tigte. Doch dies wäre bloß spekulativ und ließe sich am Text nur unzu-reichend belegen, nämlich allenfalls über die Nähe, die zwischen Apoll

115 Müller-Seidel kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis, entwickelt es allerdings nurteilweise aus der Abfolge der Dichter-Oden und stärker aus einem sozialgeschicht-lichen Verständnis von Leben und Werk Hölderlins überhaupt. Ihm gilt Hölderlinim Prinzip als geselliger Dichter, wenn er das eigene Dichteramt auch immer mehreinsam erfahre. Müller-Seidel 1983, S. 194. Er schließt deshalb: „Sie [die Ode ‚Dich-terberuf‘] hat nicht mehr viel zu tun mit jenem ‚modernen‘ Klassizismus, der im Bildvon Dichter als Führer, Seher und Verkünder kulminiert, der über seine Zeit hinaus-schaut, die Zukunft verkündet und heraufbeschwört.“ Ebd., S.208.

116 Kurz 1992, S. 125.117 Hölderlin: An unsre großen Dichter, in: Hölderlin 1992–94, S. 206, V. 5–7.118 Ob dies, wie Müller-Seidel (1983, S. 196–198) nahelegt, politische Gründe hat, bleibt

allerdings fraglich.119 Vgl. Burdorf 1993, S. 84–121.120 Dieser Auffassung sind bereits zahlreiche Interpreten: noch vorsichtig „vielleicht

war es die Überschattung durch den Dämon des Zweifels“ Pongs 1966, S. 92; ent-schlossen Hinck 1994, S. 105; Selbmann 1994, S. 69; Kaiser 1996, I, S. 479 f.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen48

und dem Dichter einerseits, zwischen Bakchos und den Völkern ande-rerseits besteht: Der Erzähler berichtet zunächst über Bakchos, der ‚dieVölker weckt‘; er gibt später auch über den einsamen Mann Auskunft.Im Gegensatz dazu verbinden sich Dichter, Apoll und ‚wir‘. Zwei Fi-gurengruppen stehen einander gegenüber, allerdings besetzen sie nichteinfach zwei Pole. Vielmehr teilen sich beide Götter die Aufga-ben – und der Dichter steht dazwischen. Andere Texte, vor allem diezweite und ungefähr zeitgleich mit Dichterberuf entstandene Fassungvon Dichtermut (ca. 1801),121 ruhen nicht auf einer derart doppelt ange-legten Götterwelt. In Dichtermut bekennt sich das ‚Wir‘ zum „Son-nengott“,122 zu Apoll. Der Sprecher beschreibt ihn als Ahnen der „Sän-ger des Volks“.123 In der ersten, wohl um die Jahrhundertwende ent-standenen Fassung der Ode ist sogar ‚ketzerisch‘ davon die Rede, daßdie Dichter „jedem den eignen Gott“ singen.124 Apoll taucht dort garnicht auf.

Für die erste Fassung des Gedichts ist der Titel von Dichtermut Pro-gramm: Der Dichter erscheint als Held, der „freudig starb“, und überden „die Einsamen“ klagen.125 Zitate wie diese entstammen der vorletz-ten Strophe der ersten Fassung von Dichtermut; für die zweite Fassungist sie vollständig geändert: Dort „kömmt“ „die Stunde“; der Dichtererscheint als passiv, als seinem Schicksal hilflos ausgeliefert.126 Nochmehr gilt dies für Dichterberuf, in dem Apoll jene tragende Rolle über-nimmt, die schon in der zweiten Fassung von Dichtermut angekündigtist. Der Titel von Dichterberuf klingt nicht zufällig verhaltener, ernster.Auch singt der Dichter nicht einfach jedem ‚den eigenen Gott‘, sonderngeht einem ‚Beruf‘ nach, folgt einer ‚Berufung‘, die eng an den „Mei-ster“ Apoll geknüpft ist. Dichterberuf überführt den Todesmut desDichters aus Dichtermut in ein ambivalentes und passives Verhältnisdes ‚Wir‘ zur ‚idealischen Poesie‘. ‚Wir‘, der Dichter und der Mann er-scheinen als den göttlichen Mächten ausgeliefert.

Hölderlin setzt sich in Dichterberuf in ungewöhnlich kritischer Wei-se mit der antikisch-heiligenden Dichtung auseinander. Dabei schlägt

121 Hölderlin 1992–94, I, Kommentar, S. 768.122 Hölderlin: Dichtermut. Zweite Fassung, in: Hölderlin 1992–94, I, S.303 f., hier S.304,

V. 16.123 Ebd., V. 13.124 Hölderlin: Dichtermut. Erste Fassung, in: Hölderlin 1992–94, I, S.302 f., hier S. 303,

V. 16.125 Ebd., S. 303, V. 21.126 Hölderlin: Dichtermut. Zweite Fassung (wie Anm.II., 122), S. 304, V. 21.

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2. Friedrich Hölderlin: ambivalente Poetik des Idealischen 49

die Distanz zur Götterwelt in Passivität und in den bloßen Wunschnach Distanz um. Im Ergebnis steht die Ambivalenz der idealischenPoesie. Der Dichter in Dichterberuf sehnt sich nach dem Heiligen undweiß doch, daß es ihm nicht zugänglich ist. Es gelingt ihm nicht, jeneNüchternheit zu praktizieren, die Hölderlin – mit Longin – als ‚sobriaebrietas‘ beschreibt und die Schiller von ihm forderte.127 In Dichterbe-ruf mißlingt die „heilignüchterne[]“128 Vereinigung von Gott und Volk,von ‚Ich‘ und ‚Wir‘.129

Auf die Frage, warum die Vereinigung nicht glückt, kennen die theo-retischen Dichtungsfragmente Hölderlins die Antwort. Sie veran-schaulichen eine poetologische und anthropologische Ethik, die sichum die Vereinigung der Extreme, um die Vereinigung von Fremdemund Eigenem, von Einzelheit und Vielheit bemüht. Vor dem Hinter-grund dieser Fragmente zeigt sich, daß Dichterberuf am eigenen Bei-spiel reflexiv vorführt, wie das Bemühen um eine gemäßigte Vereini-gung scheitert. Der Forschung über Dichterberuf ebenso wie derjeni-gen über die theoretischen Fragmente ist dies bisher entgangen; siewar – verständlicherweise – mit Interpretationen der komplexen Ein-zeltexte beschäftigt.130

b) Der „poëtische Geist“ im „Widerstreit“:‚harmonisch-entgegengesetzter‘

„Mittelzustande“ oder Einsamkeit?

Zwar läßt sich für Hölderlin nicht von einer systematischen Dich-tungstheorie sprechen, aber er hinterließ eine Fülle von poetologischen(und anthropologischen) Fragmenten. Sie sind um 1799 – also kurz vorDichterberuf – entstanden, doch im einzelnen schwer datierbar.131 Zuihren Quellen zählen platonische, naturrechtliche und idealistische

127 Schmidt 1982/83.128 Über das Oxymoron „heilignüchtern“ Kopetzki 1994/95.129 Diese Konstellation setzt sich in den späten Gedichtfragmenten Hölderlins fort, wie

Dieter Burdorfs eindrucksvolle Darstellung derselben zeigt; Burdorf 1993, S. 553.130 Für die theoretischen Schriften Hölderlins sind die exzellenten Untersuchungen von

Lönker (1989) und Waibel (2000, bes. S. 287–353) hervorzuheben, die die philoso-phischen Kontexte des schwierigsten Fragments, nämlich der „Verfahrungsweise“ inmühevoller Kleinbarbeit erschließen. Vorliegende Darstellung hat das Privileg, sichauf beide Untersuchungen stützen zu können.

131 Hölderlin 1992–94, II, Kommentar, S. 1205.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen50

Traditionen des Denkens,132 vor allem aber die ReflexionsphilosophieFichtes.133 Hölderlins Fragmente verbinden anthropologisches undpoetologisches Wissen. Das eine geht – für eine „Poetik einer Ganzheitder Menschen und ihrer Lebenssphären“134 – in das andere über. DieserUmstand fällt besonders im Blick auf das Problem der Einsamkeit auf,das sich wie ein roter Faden durch die Fragmente zieht. Es kehrt inDichterberuf sowie in Der blinde Sänger wieder, und das Bild von ei-nem ‚harmonisch-entgegengesetzten‘ „Mittelzustand“ steht ihm entge-gen. Einsamkeit und Mittelzustand – diese beiden Einstellungen stellendie Extreme dar, zwischen denen sich Hölderlins anthropologischePoetik bewegt. Ein Abschnitt aus Reflexionen erschließt die Bedeutungdes Problems der Einsamkeit:

Es kommt alles darauf an, daß die Vortrefflichen das Inferieure, die Schönerndas Barbarische nicht zu sehr von sich ausschließen, sich aber auch nicht zusehr damit vermischen, daß sie die Distanz, die zwischen ihnen und den an-dern ist, bestimmt und leidenschaftslos erkennen, und aus dieser Erkenntniswirken, und dulden. Isolieren sie sich zu sehr, so ist die Wirksamkeit verlo-ren, und sie gehen in ihrer Einsamkeit unter. Vermischen sie sich zu sehr, soist auch wieder keine rechte Wirksamkeit möglich [...].135

Hölderlin fordert die „Vortrefflichen“ und die „Schönern“ auf, ihr Ge-genstück nicht zu weit von sich zu weisen, sich diesem vielmehr zu nä-hern, ohne aber darin aufzugehen. Zwar solle der besondere Menschzwischen den Extremen vermitteln, sich aber nicht – distanzlos – vermi-schen. Er stehe auf der Seite des ‚Vortrefflichen‘ und ‚Schönen‘, kennegleichwohl dessen Gegenüber, eigne es sich sogar bis zu einem gewißenGrad an. Anders gesagt: Er suche seine Mitte.136

Hölderlin begründet diese Forderung doppelt. Um seiner ForderungGewicht zu verleihen, beschwört er einerseits den Topos der ‚constan-tia‘, der neo-stoischen Tugend schlechthin. Diese erläutert er aber an-dererseits mit Hilfe des angesprochenen Nutzenkalküls: Wirken könnedie besondere Persönlichkeit nur, wenn sie gerade nicht die idealischeEinsamkeit, sondern das weniger Vortreffliche, ja „das Barbarische“ inden Blick nehme und zu ertragen lerne, das weniger Vollkommene dul-

132 Gaier 1992.133 Für die „Verfahrungsweise“ Waibel 2000, S. 287–353.134 Gaier 1992, S. 746.135 Friedrich Hölderlin: Reflexionen, in: Hölderlin 1992–94, II, S. 519–522, hier S. 522

[Hervorhebungen im Original].136 Görner 1993.

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2. Friedrich Hölderlin: ambivalente Poetik des Idealischen 51

de. Im anderen Fall drohe dem ‚Vortrefflichen‘ eine furchtbare undganz unidealische Einsamkeit.

Auch der Dichter zählt zu diesen besonderen Menschen. Aus Überdie Verfahrungsweise erschließt sich deshalb, wie sich die Vermittlungzwischen den Extremen von Einsamkeit und Mittelzustand denkenlassen könnte. Sie wird als „Widerstreit“ und in der Form eines um-fangreichen Konditionals beschrieben:137 Im ‚Wenn-Satz‘ dieses Kon-ditionals stehen Aspekte, die der Dichter ‚eingesehen‘ haben soll.138 DieFolgerung, die mit „so“ eingeleitet wird,139 enthält eine knappe dich-tungstheoretische Anweisung, welche die Eigenschaften des poeti-schen Stoffes betrifft.140 Für die Frage nach der Vermittlung von Beson-derem und Schönerem mit dem Inferioren und Barbarischen interes-siert aber vor allem ein einzelnes Moment des ‚Wenn-Satzes‘, nämlichder „Widerstreit“ zwischen Geist und Fortstreben.141

Der ideale Dichter vollzieht – folgt man nur dem Anfang des Kondi-tionals – ganz unterschiedliche Bewegungen: Er bemächtigt sich des„Geistes“ und fühlt die „gemeinschaftliche Seele“, hält sie fest und ver-sichert sich ihrer. Zugleich hat er aber an Geist und Seele immer schonAnteil, denn beide sind in unterschiedlichen Hinsichten „allem gemeinund jedem eigen“. Trotz dieser (monistischen) Grundannahme erwei-sen sich „Geist“ und „gemeinschaftliche Seele“ nicht als identisch. Viel-mehr stellt sich die „gemeinschaftliche Seele“ als eine Erscheinungs-form des „Geistes“ dar, und zwar als eine solche, die sich nicht erken-nen, sondern nur fühlen läßt.142

Diese Vermutung wird durch eine Forderung an den Dichter unter-stützt: Er soll sich einer anderen Hinsicht des „Geistes“ gewiß werden,der „freien Bewegung, des harmonischen Wechsels und Fortstrebens“,der Neigung des „Geistes“ zur Reproduktion seiner selbst.143 Hier wird

137 Friedrich Hölderlin: Über die Verfahrungsweise des poëtischen Geistes, in: Hölder-lin 1992–94, II, S. 527–547, hier S. 527–529.

138 Das Konditional beginnt gleich im ersten Satz des Texts; ebd., S. 527, Z. 3. Aufgrundder komplizierten syntaktischen Struktur galt „Über die Verfahrungsweise“ als na-hezu nicht interpretierbar; vgl. Lönker 1989, S.17 u. passim.

139 Hölderlin: Über die Verfahrungsweise (wie Anm. II., 137), S. 529, Z. 20.140 Dieser Stoff nämlich soll besonders „rezeptiv“ sein, um Idealisches auszudrücken:

vgl. ebd.141 Ebd., S. 527.142 Vgl. Lönker 1989, S. 33 f.143 Zur strukturellen Analogie, die diese Denkfigur mit Fichtes Theorie des Geistes auf-

weist, Waibel 2000, S. 291–300 u. passim.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen52

etwas geschaffen, und zwar aus dem „Geist“ heraus – und zugleich liegtes nicht im „Geist“ allein; vielmehr ist diese progressive und poetischeSeite des „Geistes“ in seinem Ideal gegründet, also in etwas, was nochüber dem „Geist“ steht. Der „Geist“ (und sein Ideal) aber umfassen al-les, auch die Natur des Menschen – und dazu gehört der „Widerstreit“.Denn „der Mensch“ lebt in seinem „Alleinsein“ beständig im „Wider-spruch“ mit sich selbst, in einem sich „widersprechenden Mittelzustan-de.“144 Mensch und Dichter haben an zwei entgegengesetzten WeltenAnteil, nämlich an einer natürlichen Welt, der sie qua Natur und ohneRücksicht auf seinen Willen angehören, und an einer gleichfalls natür-lichen, aber frei gewählten Welt. Hölderlins Lebensregel lautet daher:

Setze dich mit freier Wahl in harmonische Entgegensetzung mit einer äuße-ren Sphäre, so wie du in dir selber in harmonischer Entgegensetzungbist [...].145

So sehr diese Regel und Hölderlins Denken auf Gegensätzen ruhen, sosehr sucht er diese miteinander zu verbinden – allerdings in einer Weise,daß keine vollendete Verbindung, keine Vermischung, keine in sich ge-schlossene und für die Außenwelt verschlossene Monade entsteht. DerMensch hat also – streng genommen – keine Wahl; so lange er existiert,wird er sich im Kampf mit seiner Doppelnatur befinden. Der besonde-re Mensch gewinnt diesen Kampf, wenn er – zugunsten der ‚höheren‘,nicht zugunsten der natürlichen Welt – auf ‚die Menge‘ wirkt. Zu die-sem Zweck muß er sich selbst – mehr als der gewöhnliche Mensch – dis-ziplinieren: Er muß seinen Geselligkeitstrieb zügeln. Zugleich darf ersich aber auch nicht isolieren. Er lebt den Konflikt eines jeden Men-schen in besonderer Weise vor, in einem Wechselspiel zwischen „Mit-telzustande“ und Einsamkeit – geleitet durch eine anthropologischeund poetologische Forderung, die der geselligen Natur des Menschenzuwiderläuft, wie sie die Morallehre des 18. Jahrhunderts beschrieb.146

In anderen poetologischen Texten Hölderlins findet sich dieser zen-trale Konflikt des (besonderen) Menschen immer wieder: in Reflexio-nen, in Über die Verfahrungsweise, aber auch in den fast zeitgleich ent-standenen poetologischen Gedichten. Nimmt man Hölderlins anthro-pologischen Bemerkungen ernst, übersetzt sie in Poetik und überträgt

144 Hölderlin: Über die Verfahrungsweise (wie Anm. II., 137), S. 542 [Hervorhebungenim Original].

145 Ebd., S. 543 [Hervorhebungen im Original].146 Siehe Vollhardt 2001.

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2. Friedrich Hölderlin: ambivalente Poetik des Idealischen 53

sie auf den Dichter, dann können sowohl An unsre Dichter, Dichterbe-ruf als auch Der blinde Sänger als Umsetzungen der Fragment geblie-benen poetologischen Theorie Hölderlins gelten. Allerdings bedient ersich in seinen Gedichten nicht der theoretischen Sprache von Geist undWiderstreit, sondern lyrischer Bilder. Er spricht von Apoll und Bak-chos, von zwei Göttern, die ganz verschieden sind, sich aber minde-stens in ihren göttlichen Eigenschaften ähneln, also Teil desselben Prin-zips ebenso wie des „Geistes“ sind, um den monistischen Anspruchvon Über die Verfahrungsweise auf Dichterberuf anzuwenden.

In Dichterberuf tendiert der Dichter zwar – in diesem Sinne – zurSeite Apolls, in Richtung auf das Helle und Idealische, doch ist er zu-gleich von ihm unterschieden. Er verfehlt – zwischenzeitlich – sogarseine Bestimmung. Das Volk hingegen läßt sich von Bakchos mit Wein‚wecken‘, verhält sich also primitiver. Jener Mann aber, der im Eingangund Ausgang des Gedichts auftaucht und in der Interpretation auf dieSeite des Volkes gestellt wurde, ist einsam. Im Blick auf Reflexionen, ister auf die Seite des ‚Höheren‘, also auf die Seite des Dichters zu verset-zen, weil dort nur der Besondere als von Einsamkeit bedroht beschrie-ben wird: Der Mann erscheint als Dichter, dem das verträgliche Maßeiner Distanz zum Volk abhanden gekommen, der ganz auf sich, aufseinen natürlichen Zustand zurückgeworfen ist. Er kann nicht mehrwirken, seine höhere Bestimmung nicht mehr ausführen. Den „Wider-streit“ beendet er in einer Weise, daß er mit sich vereinigt, aber nichtmehr ‚harmonisch-entgegengesetzt‘ ist. Auf diese Weise entfernt er sichvom Göttlichen, Schönen und Heiligen und verliert den Status des be-sonderen Menschen, des Dichters.

Wie die Verfahrungsweise Fragment bleibt, so scheitert der Dichterin Dichterberuf am eigenen poetologischen Anspruch. Er ruht auf ei-ner – oft beschriebenen – Vorstellung von der Annäherung an ‚dasHöchste‘, ‚Göttliche‘, die allerdings weniger heroisch als vielmehr ineinem übermenschlichen Maß sozial-disziplinierend wirkt. Der einzel-ne ist notwendigerweise im eigenen „Widerspruch“ zerrissen; er wirdzum Märtyrer seiner Natur. Ein Entkommen aus diesem „Wider-spruch“ ist nicht gestattet.

Vergleicht man Dichterberuf mit An unsre großen Dichter, dann fälltauf, daß sich der Sprecher des früheren Texts nicht so entschieden vomGöttlichen löste. Nach dem Bemühen um den dichtungstheoretischenEntwurf von Über die Verfahrungsweise wandelten sich HölderlinsEinstellungen: möglicherweise aufgrund theorie-immanenter Proble-me, wahrscheinlich aber auch aufgrund der Einsicht in die Überforde-

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen54

rung des Menschen durch den Anspruch der Poetik. Dichterberuf er-weist sich als Kehrseite dieser Poetik; sie erlaubt einen skeptischenBlick auf das so quälend und unmenschlich wirkende, auf das märty-rerhafte Menschen- und Dichterbild. Die idealische Poesie, die Höl-derlin in seinen theoretischen Schriften preist, erscheint in seiner poe-tologischen Lyrik des beginnenden 19. Jahrhunderts als problematisch.Er setzt sich dort kritisch mit ihr auseinander, gerät in „Widerstreit“mit den eigenen Forderungen; die Mittlerrolle im Zeichen der ‚sobriaebrietas‘ wird ihm zum Problem.

Hölderlins autobiographische Schriften dokumentieren vergleichba-re Konflikte und erlauben es, die These von einer aufkommendenSkepsis im Blick auf das Menschen- und Dichterbild Hölderlins zu be-stärken. In einem Brief an die Mutter vom Januar 1799 spricht er vonseiner „vielleicht unglückliche[n] Neigung zur Poësie“, die ihm jedenBrotberuf verleide, ihm sogar die Beschäftigung mit der Philosophieerschwere.147 Mehr noch (aus einem Brief an den Bruder): Brotberufund Außenwelt erscheinen dem Dichter als feindlich; er sieht sich von„Barbaren“ umgeben.148 Infolgedessen sucht er die Gemeinschaft der‚besonderen Geister‘ gegen „das Rohe, Schiefe, Ungestalte“ zugunstender von eben jenen Barbaren bedrohten „besten Kräfte“.149

Selbstaussagen wie diese veranschaulichen die biographische undtheoretische Ausweglosigkeit, in die Hölderlin nicht zuletzt sein eigenesDichtungs- und Dichterverständnis trieb. Der Umstand, daß die Nähe-rung an die idealische Welt (der Götter) im lyrischen Text in Passivitätdes Sprechers umschlägt, erweist sich als Gegenstück zu diesen Selbst-aussagen. Nimmt man diese Beobachtungen zusammen, so ließe sich die‚Schizophrenie‘ oder die ‚Schizophase‘ Hölderlins nicht nur psycholo-gisch-biographisch oder politisch erklären,150 sondern auch mit seinenpoetologischen Überlegungen in theoretischen Fragmenten und in derLyrik zwischen 1799 und 1801 parallelisieren, wenn nicht deuten.151 Der

147 Hölderlin, Friedrich: 174. An die Mutter, Homburg. im Jan. 1799, in: Hölderlin1992–94, III, S. 335–342, hier S. 338.

148 Hölderlin: 180. An den Bruder, Homburg. d. 4. Jun. 1799, in: Hölderlin 1992–94, III,S. 354–360, hier S. 355.

149 Ebd.150 Zur Erklärung von ‚Hölderlins Umnachtung‘ aus dem komplizierten Mutter-Sohn-

Verhältnis und der Unterdrückung des Familienmitglieds ‚Hölderlin‘ Franz1980–81; zur Erklärung aus den zeitgeschichtlichen Ereignissen, aber auch aus demZerwürfnis mit seinem Freund Sinclair Dietrich Uffhausen 1984–85, bes. S. 313 f.

151 Solche Versuche liegen vor, und zwar in bezug auf Hölderlins ‚ursprüngliches‘ Ver-

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3. Achim von Arnim: polyperspektivische und multi-mediale Poetik 55

ewige „Widerstreit“ reizt und überfordert den Autor und die PersonHölderlin zugleich: den Dichter als Menschen und den Menschen alsDichter.

Auch Achim von Arnims frühe poetologische Lyrik behandelt dieseAmbivalenz der idealischen Poesie. Es verwundert deshalb nicht, daß erund Bettina von Arnim zu den ersten Autoren gehören, die sich intensivmit Hölderlin befassen. Arnim versetzt den Poeten aber selbst schon aufden Olymp: Sein Dichter glaubt sich Gott – und scheitert kläglich, wennauch spielerischer als Hölderlins Sprecher. Dafür ist aber nicht allein dasMenschsein von Arnims Dichter die Ursache; er geht auch an den so-zialen Verhältnisse von ‚Himmel und Erde‘ zugrunde: am Gegensatzvon eingespielter Rollenerwartung und menschlichem Bedürfnis.

3. Achim von Arnim:polyperspektivische und multi-mediale Poetik

Nur wenige nicht-poetische Schriften geben Aufschluß über Arnimsspielerische und doch erstaunlich moralische Poetik. Zu den raren Aus-nahmen zählt die Rede über Das Wandern der Künste und Wissenschaf-ten (1798). Dort entfaltet Arnim ein Modell der Läuterung für die„Menschheit“.152 Es ruht auf der starken geschichtsphilosophischenAnnahme, die „Menschheit“ schreite zu ihrem „erhabensten Ziele“,zur „Vervollkommnung“ fort.153 Der Redner zeichnet eine aufsteigen-de Linie für eine Moralisierung der Menschheit – von der „Zerstörung“der Antike bis in die jüngste Geschichte.154 Als wichtigstes Mittel derMoralisierung gilt ihm die Poesie.155 Mit ihrem „Stoff“, ihrem „Ge-

ständnis des Tragischen und in bezug auf den Begriff des Zorns; siehe Schmidt1967/68; Schadewaldt 1957; Müller-Seidel 1981.

152 Achim von Arnim: Das Wandern der Künste und Wissenschaften. Rede, gehaltenden 28ten März 1798 im Hörsaal des Königl. Joach: Gymna: von Lund: [...], in: ders.1989–94, VI, S. 20–36, bes. S. 24: „[...] so läuterte Wechsel und Veränderung endlichwohltätig die Menschheit[.]“

153 Ebd., S. 23.154 Ebd., S. 22 [Hervorhebungen im Original]: „Wahrlich, wir wandern auf einer Welt

der Zerstörung, unser Fuß tritt menschlicher Weisheit Denkmale, die Denkmaleganzer Menschenalter, die auch des glücklichsten Erfolgs sich rühmen; der Rauschentfliehet, der Nebel fällt, wir blicken umher und finden Vernichtung nicht bloß inden Erschütterungen unsrer Zeiten, unsrer Staaten, Vernichtungen schon in Grie-chenland wie in Indien.“

155 Ebd., S. 34.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen56

schmack“, ihrem „kritischen“ „Originalgeist“ wende sie sich gegen die„Nachahmungssucht“, gegen die „Feindin“ der Dichtkunst.156 Dabeiorientiere sich die wohlverstandene Poesie an den Mustern der Alten –jedoch nicht bloß, um es diesen gleich zu tun, sondern um diese fürNeues zu gewinnen. Arnim hebt sich also nicht radikal gegen die ‚An-ciens‘ ab, sondern er versucht, Altes und Neues zu verbinden. Roman-tische Poesie-Reflexion kommt hier vergleichweise traditionell daher.Mehr noch: Sie ruft neo-stoische Topoi auf. Wie im Fall des Novalisführen nur graduelle Verschiebungen in den dichterischen Praktikenvon der Spätaufklärung zur Romantik.

Denn der ‚wahre Schriftsteller‘ mäßige, schreibt Arnim, seine Begier-den zugunsten höherer Ziele.157 Er ist der ideale Bürger – oder gar derideale „Weltbürger“.158 Anders als der Kosmopolit Christoph MartinWielands glaubt Arnims „Weltbürger“-Poet allerdings an einen „Über-gang“ zu ewiger Wahrheit oder Weisheit. Sein geschichtsphilosophi-sches Läuterungsmodell kennt dafür zwei Wege: einen moralisch-ethi-schen, der auf die Bildung des Selbst zielt, um Welt als eine „Werkstätteder Kunst“ zu verstehen,159 und einen heldischen, der – im Zweifeldurch Blutvergießen – auf die Vernichtung des Unwesentlichen oderVerdorbenen setzt. Dieses doppelte moralisch-aufklärerische und ge-schichtsphilosophisch-romantische Läuterungsmodell wirkt in derfrühen poetologischen Lyrik Arnims nach.

Im Jahr 1802 beginnt Arnim mit einem umfangreichen literarischenProjekt, für das er sich einen „Zweifelsprophet[en]“ erfindet: ArielWunderkind’s Offenbarungen, so heißt es vorläufig.160 Es trägt den Na-men des „zärtliche[n]“ Luftgeistes, der aus Shakespeares The Tempest(1611)/Der Sturm (deutsche Aufführung von Wieland im Jahr 1761)bekannt ist.161 Dort spukt Ariel als „Diener des Schiksals“ so erfolg-reich für seinen Gebieter Prospero,162 daß dieser ihm die Freiheitschenkt. Auf seinen Reisen durch Europa verfertigt der junge Arnim

156 Ebd., S. 34 f.157 Ebd., S. 25 u. 33. Arnim gelten Genie, Charakter und Manier bloß als liebenswert.

Vgl. den satirischen Aufsatz Achim v.Arnim: Ueber Manier und Charakter [entstan-den um 1801], in: ders. 1989–94, VI, S. 115–118.

158 Arnim: Das Wandern (wie Anm. II., 152), S. 36.159 Ebd., S. 23 f.160 Achim v. Arnim an Clemens Brentano, Zürich den 9 July 1802, in: Arnim u. Brenta-

no 1998, Brief 9, S. 16–23, hier S. 16 f.161 Shakespeare 1993, I,3, S. 24; vgl. Sternberg 1983, S. 129.162 Shakespeare 1993, III,4, S. 82.

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3. Achim von Arnim: polyperspektivische und multi-mediale Poetik 57

Beiträge für ein Buchprojekt, das er dem treuen Luftgeist widmet.Ariel’s Offenbarungen (1804), so nennt er es für die Publikation; sichselbst führt er als Herausgeber an (Abschnitt a).163 Dabei erinnert derBegriff „Offenbarungen“ an das Läuterungsmodell für die „Mensch-heit“ aus Arnims Rede. Offenbart der „Zweifelsprophet“ oder das„Wunderkind“ die Lehren der Rede in literarischer Form? Prophezeiter künftige Zustände auf der Erde oder zweifelt er vielmehr daran?Schon der paradoxe Titel „Zweifelsprophet“ gibt Rätsel auf und führtvon Ariel’s Offenbarungen zu einem anderen poetologischen Text, zuArnims Gedicht über Ixion, dem ‚verzweifelnden‘ Dichter (Ab-schnitt b).

a) Heymars Dichterschule (1804) und der „Zweifelsprophet“ Ariel:poetische Läuterung – geselliger Dichterspaß

Um die poetologischen ‚Offenbarungen‘ Ariels zu ermitteln, konzen-triere ich mich auf den zweiten Teil des Gesamttexts, auf die Dichter-schule des geheimnisvollen mythischen Helden Heymar.164 Er wird alsLehrer zahlreicher Dichterschüler eingeführt, zu denen auch eine Figurnamens Ariel gehört. Heymars Dichterschule besteht ihrerseits auszwei Teilen bzw. aus zwei Gesängen.165 Heymar, der Meisterdichter,verantwortet den ersten Gesang, den „Unterricht nach Gemählden undErzählungen“; im zweiten Gesang nehmen die Schüler seine Lehrenganz eigenständig auf, wenn der Titel auch nur von „Anwendungen“

163 Der genaue Titel lautet: Achim v. Arnim (Hg.): Ariel’s Offenbarungen. Roman. Er-stes Buch (siehe Arnim 1912). Ein zweites Buch ist nicht erschienen.

164 Der Lehrer, so schreibt ‚Schüler Ariel‘ in seinen nachgelassenen Schriften über Hey-mar, habe nach dem Tod des Odingeschlechtes das einzige aus diesem Geschlechtverbliebene Kind Aslauga in der Zither gerettet und ein neues Zeitalter der Kunsteingeleitet. Arnim spielt mit seiner Legende über das Odingeschlecht auf die „Sagavon Ragnard Lodbrock und seinen Söhnen“ an, eine Übersetzung französischerTexte über einen ‚isländischen Mythos‘; Karl Viktor von Bonstetten 2000; siehe Ar-nim 1912, Kommentar, S. 315. Die Thematik erinnert auch an eine berühmte Fäl-schung, nämlich an die Gesänge des vermeintlichen gälischen Dichters Ossian, dieJames Macpherson erfand, und die auch in Deutschland mit Begeisterung aufgenom-men wurden; siehe ebd. „The War of Caros“ etwa beginnt mit folgender Szenerie;Macpherson 1783, Vol. II, S. 15: „Bring daughter Toscar, bring the harp; the light ofthe song rises in Ossian’s soul. It is like the field, when darkness covers the hillsaround, and the shadow grows slowly on the plain of the sun.“ Aber die Ähnlich-keiten zwischen beiden Texten bleiben vage.

165 Ricklefs 1990, S. 52.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen58

spricht. Im Blick auf beide Textteile ergibt sich folgendes Kommunika-tionsmodell:

Heymars Dichterschule

1. Ebene. Herausgeberfiktion: ‚Achim von Arnim‘2. Ebene. Prophet/Autor zweiter Ordnung:166 Ariel3. Ebene. Quellen: Bilder, Mythen und Geschichten

Erster Gesang

4. Ebene. Autor dritter Ordnung: Heymar

Zweiter Gesang

5. Ebene. Autoren vierter Ordnung: Dichterschüler – u. a. Ariel2

6. Ebene. Autoren fünfter Ordnung: die Malerin Kryoline(teils nach Hinterlassenschaften von Ariel2)

Beide Texttteile schließen eng aneinander an und sind durch intertextu-elle Bezüge verknüpft. Entsprechend bauen ihre Kommunikationsebe-nen so aufeinander auf, daß sich ein Schichtenmodell ergibt. Dieseskann aber nicht einfach hierarchisch gelesen werden; vielmehr entstehtein polyperspektivisch vermitteltes lyrisches Drama;167 die arabischenZiffern geben über die Reihenfolge seiner Texte Auskunft:

Erster Gesang Zweiter Gesang.Unterricht nach Gemählden und Anwendungen zu Gemählden undErzählungen Erzählungen von seinen SchülernZueignung an die Sänger der Nacht. Zueignung. Die Dichterschüler

an Heymar. [Verf. Treubold]Die Dichter(I.) Die beyden Lautenspieler aus der

italienischen Malerschule1. Von Anton Caracci.2. Von Prete Genoese(II.) 3. Der Sackpfeifer von Franz

Mieris d. J.4. Dichterglück und Unglück 1. Dichterglück und Unglück.

[Erzählung von Louis Camoëns] Die zweyte Hochzeit.[I. Ausgang: Verf. Ariel][II. Ausgang: Verf. Adolf]

166 Bei den Autoren höherer Ordnung handelt es sich im Prinzip um Figuren. Im Textfungieren sie aber als Autoren, d. h. sie zeichnen mit ihrem Namen für bestimmteAbschnitte, für einzelne Gedichte oder Textfragmente verantwortlich.

167 Die hilfreiche Beschreibung ‚lyrisches Drama‘ führte Roger Paulin ein; ders. 1986,S. 112–119.

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5. Dichterleben 4. DichterlebenHerkules beym Spinnen von den [Verf. Der Jude Rabuni]Weibern ausgelacht.(Gemählde von Dominichino [...].)

6. Dichterwohnung.Der Klarenberg an den Wanderer.(Zeichnung eines Ungenannten.)

7. Dichterwahn.Drei Gemählde von Augustin Caracci.

8. Dichterruhe. 5. Dichterruhe.Archimedes und der römische Soldat. Der Dichter als Geschäfts-Gemählde von Grätsch. mann. Das Pflugmesser.

[Verf. Treubold]9. Dichterschmerz. 6. Dichterschmerz.

Achilles. (Gemählde von Füger, [...].) Der Dichter in der Fremde.[Verf. Der Grieche Iliades]

10. Dichterliebe. 9. Dichterliebe.Io von Correzzio. [Vogelgedicht III]

[Verf. Adolf]11. Dichterlohn. Dichterlohn.

Ganymed von Correzzio. 7. Die Sängerinn und ihrekleinen Lieder. Die klei-nen Nachtigallen im Nest.

8. Die Sängerinn, die Nachti-gallen.

[Verf. Pauline]Dichteraussicht 10. Dichteraussicht.12. Das Paradies der Erde. Der alte Dichter.

(Gemählde von Breughel [...].) [Verf. Der Grieche Iliades]13. Das Paradies des Himmels.

(Ein heiliges Haus, Gemähldevon Carl Maratti [...].)

14. Wahre und falsche Sänger. 11. Wahre und falsche Sänger.Eunom und Arist. Pendellied.

[Verf. Ariel]15. Dichtertod. 3. Dichtertod.

Phaeton. Der Ertrunkene bei Mölk.[Verf. Adolf]

2. Das Schicksal als Dichter.[Verf. Der Jude Rabuni][Brief der Kryoline an Kyanemit einem Auszug aus denSchriften des Ariel und Nach-schriften] Das Sängerfest aufWartburg.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen60

Der erste Teil von Heymars Dichterschule enthält fünfzehn Gedichte;ihnen stehen im zweiten Teil elf Gedichte entgegen. Zehn (also fast alle)Gedichte des zweiten Teils tragen dieselben Titel wie Gedichte des er-sten Teils; sie bilden kleine Zyklen, die sich über beide Gesänge erstrek-ken und inter- und transtextuelle Gebilde darstellen. Dabei referierendrei Gedichte des ersten Teils auf geschriebene Geschichte: auf den por-tugiesischen Dichter Louis Camões (1524–1579), auf die Mythen überEunom und Arist sowie über Phaëton. Doch bei der größten Zahl derGedichte des ersten Teils handelt es sich um Bildgedichte,168 und zwarausnahmslos um Gedichte auf Gemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts.

Ulfert Ricklefs machte darauf aufmerksam, daß diese Gedichte „einPanorama der Dichterexistenz“ bieten, ein Panorama einer „neuartigenassoziativ allegorisierenden Art“.169 Ich will mich diesen komplexenText-Bild-Verknüpfungen widmen, die bisher nur in Ausschnitten er-schlossen sind. Es wird sich zeigen, daß es sich bei diesen Gebilden – er-stens – um Rollengedichte handelt, die nicht nur über die Dichterexi-stenz, sondern auch über Kunst, über den künstlerischen Schöpfungs-prozeß und über seine Grenzen Auskunft geben, daß die Schüler –zweitens – heftig von Heymar und seinen Rollenzuweisungen für denDichter abweichen und daß – drittens – die Position des Autors (ersterOrdnung) nur im Gang durch diese Abweichungen und Verschiebun-gen zu ermitteln ist.170

Arnim erhebt, so meine These, Kunst und Dichtung zu den Exi-stenzformen schlechthin, steht demzufolge noch in der romantischenTradition einer reflexiven Universalpoesie, nimmt diese aber insofernzurück, als er bewußt nach den Grenzen dieser alles umgreifenden Poe-sie fahndet. Er wird diese Grenzen, wie ich zu zeigen versuche, dortsetzen, wo Poesie den Dichter als Menschen überfordert. Arnims Zy-klus steht damit – wie schon für Das Wandern in den Künsten und Wis-senschaften angedeutet – in einer Traditionslinie der Poetik, die sichweniger auf idealische als vielmehr auf spätaufklärerische Muster beru-fen kann. In Ariel’s Offenbarungen geht es Arnim – so viel läßt sichvorwegnehmen – einerseits um ein Modell für Poesie, das er demchristlichen Denkmuster einer Läuterung des Menschen aus Das Wan-

168 Über die besondere Bedeutung des Bildgedichts in der Romantik Pestalozzi 1995.169 Ricklefs 1990, S. 52.170 Sternberg betont, wie brüchig der Zusammenhalt von „Ariel’s Offenbarungen“ sei,

bemüht sich aber auch nicht, diese Brüche genau zu erläutern oder die Bruchstückeinterpretatorisch zusammenzufügen; vgl. ders. 1983, S.46 f.

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3. Achim von Arnim: polyperspektivische und multi-mediale Poetik 61

dern der Künste und Wissenschaften entlehnt und auf die Kunst über-trägt. Andererseits führt er – im zweiten Teil der Dichterschule – einfreudvolles Beisammensein in einer Gesellschaft von Dichterfreundenvor, die sich wahllos mit all den Wissensbereichen vertraut machen, diedem gebildeten Individuum im Ausgang des 18. Jahrhunderts zu Gebo-te stehen und das poetologische Läuterungsmodell herausfordern.

Berücksichtigt man das Läuterungsmodell, dann ist es kein Zufall,daß Arnim für den – tendenziell idealischeren – ersten Teil der Dichter-schule vierzehn Bilder angibt, auf die sich seine Gedichte beziehen: Bildund Text ahmen nicht nur die vierzehn Stationen eines Kreuzwegsnach, sondern gehen im Ausgang des ersten Teils der Dichterschule so-gar in die christliche Thematik über. Die Stationen des Dichters bildenseinen ‚Dienst an der Kunst‘ ab und fordern von ihm, sich und sein (oh-nehin nur illusionäres) Leben für die Kunst zu opfern. Konsequenter-weise stirbt der idealische Dichter Heymars am Schluß seines Marty-riums einen ruhmvollen Tod. Seine geselligen Schüler wehren sich ge-gen diese unmenschliche Lehre – spielerisch und mit Argumenten, dieden Arnim der Rede Das Wandern der Künste und Wissenschaften be-eindruckt haben müßten. Doch schließt der zweite Teil nicht mit einemGegenstück zu Dichtertod, sondern mit dem karnevalesken Sängerfestauf Wartburg. Das Ergebnis bleibt offen; Arnims Poetik läßt sich we-der als christlich noch als moralisch beschreiben. Handelt es sich beiden ‚Offenbarungen‘ des Ariel also tatsächlich um Arnims „poetologi-sches Glaubensbekenntnis“?171

Die Antwort auf diese Frage liegt in den komplexen Text-Bild-Ver-bindungen des ersten Gesangs, die die Themen für den zweiten Gesangvorgeben: Heymar dichtet über Rollenbilder für den Dichter, wenigerüber das Bild oder die Erzählung, von dem das jeweilige Gedicht aus-geht. Seine Gedichte erweisen sich gleichwohl nicht als bloß assoziativ,sondern vielmehr als sorgsam konzipiert. Sie sind auf den Zusammen-hang von Heymars Dichterschule hin angelegt. Aus dem Wechselspielvon Text und Bild entwickeln sich die Aussagen, die Heymar veran-schaulichen will. Seine Text-Bild-Verbindungen wirken intermedial,erfüllen damit eine der Forderungen romantischer Kunsttheorie, wiesie von August Wilhelm und Friedrich Schlegel her bekannt ist:172 Sietragen zur Erinnerung und Wiederherstellung der ‚Ursprache‘ bei, dieein Neben- und Miteinander aller Zeichensysteme gekannt habe und

171 Den Begriff entlehne ich R. Paulin 1986, S. 114.172 Zusammenfassend Becker 1998, S. 191.

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empfehlen sich durch diese Gattungsmischung für den romantischenKanon ‚hoher Kunst‘.173

Vor dem Hintergrund dieser mythischen Vorstellungen über das Zu-sammenwirken und Zusammenfallen unterschiedlicher Kunstformennutzt und unterwandert Arnim das ‚ut pictura poesis‘-Gebot, das sichals eine moralische Interpretation aus der Ars poetica des Horaz ent-wickelt hatte.174 Der Horaz-Rezeption zufolge galten Malerei undDichtung als Schwesternkünste, wobei die Poesie der Malerei zu folgenhatte. Es lag deshalb – auch – an diesem Gebot, daß die Malerei derFrühneuzeit wesentlich allegorisch und daß Dichtkunst vor allem Be-schreibungsliteratur war. Embleme hatten Hochkonjunktur. Arnimhingegen kehrt die Emblem-Struktur um: Zwar weisen die Gedichteaus dem ersten Teil von Heymars Dichterschule die klassische Dreitei-lung des Emblems in lemma, pictura und subscriptio auf.175 Aber Ar-nim bedient sich der Malerei, präsentiert sie als integralen Bestandteilseiner Bildgedichte, deutet sie – in einem Verfahren der doppelten Al-legorese – seinerseits allegorisch: Alle Gemälde bezieht er auf poetolo-gische Themen, über die sie nur mittelbar Auskunft geben. Im bestenFall sprechen sie über Arten und Weisen der Schöpfung in einem wei-ten Sinne. Der junge Dichter, der die Galerien und Museen seiner Rei-seorte besuchte, betrachtet das Museum in der Tat als einen „Tempelder Kunst“:176 als einen Tempel, in dem er einen ausgesprochen eigen-willigen Gottesdienst feiert. Mittelpunkt desselben ist eine poetologi-sche Grundfrage, nämlich diejenige nach der Orientierung des Dichtersentweder auf ein Ideal oder auf Wirklichkeit.

173 F. Schlegel: Fragmente [Athenäum] (wie Anm. II., 2), [372] S. 233: „In den Werkender grössten Dichter atmet nicht selten der Geist einer andern Kunst. Sollte diesnicht auch bei Malern der Fall sein; malt nicht Michelangelo in gewissem Sinn wieein Bildhauer, Raffael wie ein Architekt, Correggio wie ein Musiker? Und gewisswürden sie darum nicht weniger Maler sein als Tizian, weil dieser bloss Maler war.“

174 In der „Ars poetica“ leiten die Worte „ut pictura poesis“ bloß Überlegungen überdie Rezeption von Kunst ein; ein Gebot läßt sich dem Text nicht entnehmen. Vgl.Horaz 1972, V. 361–365: „[...] eine Dichtung ist wie ein Gemälde: es gibt solche, diedich, wenn du näher stehst, mehr fesseln, und solche, wenn du weiter entfernt stehst,dieses liebt das Dunkel, dies will bei Lichte beschaut sein und fürchtet nicht denScharfsinn des Richters; dieses hat einmal gefallen, doch dieses wird, noch zehnmalbetrachtet, gefallen.“ Siehe auch Arburg 1998.

175 Auf die emblematische Struktur wies schon Nienhaus (2000, S.185 u. 188) hin – al-lerdings dergestalt, daß er in ihr ein Verfahren „religiöser Reflexionspoesie“ und ei-nen Ausdruck quasi-barocken Lebensgefühls erblickt (ebd., S. 188). – Ich kommespäter auf die religiöse Deutung von Nienhaus zurück.

176 Vgl. Ziolkowski 1992, S. 417.

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Diese Grundfrage wird bereits im ersten Teil der Dichterschule ein-geführt: Unter dem Titel Die Dichter versammelt Heymar drei Gedich-te.177 Es handelt sich um die einzigen Bildgedichte ohne Entsprechun-gen in Teil zwei.178 Denn die Dichter, allesamt Musiker,179 widerlegenund kommentieren sich nicht nur wechselseitig, sondern prägen auchjene Vielfalt der Positionen aus, wie sie sich im Zusammenspiel beiderTeile der Dichterschule ergeben: Heymars erster Lautenspieler steht fürden heldenhaften Sänger heiliger Poesie, der zweite stellt einen Liebes-dichter dar. Demgegenüber erweist sich der Sackpfeifer als schlechterund erfolgloser Sänger. Sein Schicksal überführt die idealischen Dich-tungsauffassungen des Heldendichters und des Liebesdichters in ihrGegenteil. Zusammengenommen repräsentieren die drei Poeten die‚Urformen‘ oder die Grundtypen des Dichters, von denen Arnims Texthandelt.

Antonio Carraccis (1583–1618) Lautenspieler dient als Vorlage fürdas erste Dichter-Gedicht und damit für den ersten Dichter-Typus. DasBild zeigt einen aufmerksam schauenden, dunkel gekleideten Sängermit Bart, Mütze und Knickhalslaute. Mit der linken Hand greift er ei-nen komplizierten Akkord, einen Barréegriff, der seine Kunstfertigkeitdemonstriert. Carracci hält den Hintergrund des Bildes sehr schlicht;bloß der Schatten des Meistersängers ist zu erkennen, denn das Lichtfällt von vorn auf sein Gesicht, um ihn zu erleuchten. Sein Bild ist spar-sam, aber eindrucksvoll gestaltet.

Heymars Sonett fängt die puristische Vorlage einerseits ein, anderer-seits begabt er seinen Sprecher mit mehr Emphase, als sie dem SängerCarraccis zuzutrauen wäre. Gleich das erste Quartett versetzt seineVorlage in Bewegung: „Die Laute tönt, mit vollen Segeln rauscht Ge-

177 Arnims Dichtungen werden zitiert nach ders. 1912 und ders. 1989–94, V; textkritischzu Ricklefs Edition (Arnim 1989–94, V) Moering 1995. – Die historisch-kritischeLudwig Achim von Arnim-Ausgabe (Weimarer Arnim-Ausgabe) sieht eine Neu-Edition der Gedichte vor, die in Kürze erscheinen wird, hier aber noch nicht genutztwerden konnte.

178 In Arnim 1912 sind die Bezugsbilder aus der „k.k. Galerie“ genau nachgewiesen. AlsQuelle dient Rosa 1796. Joseph Rosas Katalog der Galerie enthält knappe Bildbe-schreibungen und -bewertungen, von denen sich Arnim während seiner Besichtungder Galerie möglicherweise zwar leiten läßt, die er aber mit keinem Wort über-nimmt. – Den Titel des Katalogs (und andere Nachweise) erfragte der HerausgeberJacob Minor bei Th. v. Frimmel, einem Kenner der Wiener Galerien; vgl. Arnim1912, Kommentar, S. 307.

179 Mit dem „Sängerfest auf Wartburg“ im zweiten Teil schließt sich der Themenkreisvon Musik und Poesie.

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Antonio Carracci Lautenspieler.Kunsthistorisches Museum, Wien, Inv. Nr. GG 269; Rosa 1796, I, S. 173, 10.

sang.“180 Das Bild der Seefahrt und sein Gebrauch in den folgendenVersen legen den Text auf ein ernstes Thema fest: auf den Existenz-kampf im bedrohlichen Element. Es geht um einen „Sinn“, den das blo-ße Wort nicht erfassen kann, und der erst im „tiefen Melodienklang“ zu

180 Arnim: Der Dichter, in: ders. 1912, S. 152, 1. Strophe.

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Tage tritt.181 Musik gestaltet, was Poesie nicht auszudrücken vermag.Die zweite Strophe enthüllt den religiösen Hintergrund dieser Sinnsu-che, und die Bildlichkeit des Sonetts wandelt sich. Das Sänger-Ichspricht von seiner „Andacht Strömung“, die anschwillt und „brau-send“ einen „kühnen Plan“ ‚gebirt‘.182 Es will das heilige Grab retten:„Der Himmel hat zum Ritter mich erkoren, / Das Heidenthum soll un-tergehen, / Ein Engel wird an meiner Seite stehen.“183 Der Sänger hörtseine religiöse Berufung, in die er sich jedoch selbst ‚hineinsang‘. Erschwört, bis zum Untergang zu kämpfen – und weiß sich seines Nach-ruhms sicher. Sein Kreuzweg beginnt mit der Erwählung. Auf dieseWeise prägt die Rolle des Heldendichters der Dichterschule ihre Wahr-nehmungs- und Deutungsmuster auf. An dieser Rolle müssen sich Leh-rer und Schüler messen lassen.

Aber schon Heymars Auffassungen erweisen sich nie als ganz mitder jeweiligen Rolle identisch, die er schildert. Er sucht immer auchnach ihrem Gegenstück – obwohl er, wie sich zeigen wird, die Dich-ter- und Dichtungsauffassung von Carraccis Sänger bevorzugt. WennHeymars Gedicht auf Bernardo Strozzis (gen. Prete Genovese, 1581–1644) Lautenspieler nicht minder temperamentvoll klingt als dasjenigeauf Carraccis Barden, dann relativiert es dieses aber gleichwohl. DennStrozzis Sänger weiht sich einem anderen Kult. Der junge Mann trägtedle Kleidung: ein weißes Hemd, blaue und braune Gewänder sowieeinen roten Hut, in den zwei weiße und eine schwarze Feder gestecktsind. Das Rot des Huts stimmt mit dem auffälligen Rot-Ton desvollen Gesichts überein. Möglicherweise spielt der Lautenist schonlange und angestrengt; jedenfalls stimmt er sein Instrument gerade(nach).

Heymar deutet die Aufregung von Strozzis Lautenspieler als „Lie-besgluth“.184 Um diese in Worte zu fassen, weicht er aber erstaunlicher-weise von der Sonett-Form ab, die doch als typisches Genre für amou-röse Themen gilt. Er wählt eine offene Form, die vor allem durch dieStruktur des Endreims auffällt (a a a a b b / c c c c d d / e e e e f g g f h h).Auf diese Weise verleiht er dem Text Tempo, und das ist auch schonsein wesentlicher Inhalt: Der ‚Liebeswütige‘ rast. „Im Rausche schwei-gen Gefahren“, notiert der Sprecher kritisch, und das Leben ‚verbren-

181 Ebd.182 Ebd., 2. Strophe.183 Ebd., 3. Strophe.184 Arnim: Der Dichter, in: ders. 1912, S. 153, 1. Strophe.

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Bernardo Strozzi Lautenspieler. Kunsthistorisches Museum, Wien; Inv. Nr. GG 1612;Rosa 1796, I, S. 183. 25.

ne‘ „rasch“.185 Heymar interpretiert Strozzis Lautenspieler als wage-mutigen Liebesdichter und distanziert sich von dieser Dichterrolle.

185 Ebd. u. 2. Strophe.

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Denn für den Liebesdichter zähle allein die Gegenwart; er denke nichtan die Zukunft oder – wie der Heldendichter – an eine höhere Beru-fung.186

Daß beide Dichterrollen Probleme hervorrufen, zeigt Heymars Ver-sifikation des „Sackpfeifers von Franz Mieris dem Jüngeren“, einemGemälde, das Arnim noch in der „k. k. Galerie“ besichtigen konnte,187

das aber mittlerweile verschollen ist. Nur die Beschreibung aus demKatalog Joseph Rosas ist noch erhalten:

Ein Sackpfeifer, der sein Instrument in einer lachenden Mine mit beydenHänden hält. Ueber dem Tische ist ein Krug, ein Gefäß mit Feuerkohlen,und eine Tobackspfeife zu sehen. Im Kleinen; auf Holz.188

Rosa schildert einen burschikosen Handwerker-Sänger in entsprechen-der Umgebung. Heymar nimmt das Bild ganz anders wahr: „Ein rechtgemeines Lied durchkreischt mit eklem Grinsen [...]“,189 schreibter – von Volksnähe und Verehrung des Handwerks keine Spur. DerSackpfeifer wird ihm zum Exempel des schlechten Dichters, der mitblauen Lippen, freudlos, heiser und mit „Begeistrung ohne Geist“singt.190 Ihm ist der Weg zur Liebesdichtung ebenso verwehrt wie der-jenige zur religiös inspirierten Heldendichtung. Als Poet scheitert er aninneren Grenzen, an mangelndem Talent. Diese Grenzen werden zumGeneralbaß der Dichterschule. Er zeigt an, daß die Rollen des Dichtersbrüchig sind.

In diesem Sinne steht der portugiesische Dichter und Seefahrer Ca-mões wiederum für einen Heldendichter. Anders als der erste Lauten-spieler geht er an äußeren Existenzbedingungen zugrunde, zerbricht ander gesellschaftlichen Hierarchie und stirbt in Armut.191 Camões war,schreibt Heymar in Dichterglück und Unglück, ein „Krieger“, der „füruns verdarb.“192 „Doch trauert nicht, die Dichtung gab ihm Schätze,“193

besänftigt er und verdeutlicht ein weiteres Mal sein idealisches Bild

186 Ebd., 3. Strophe: „Drum laut ihr Saiten erklinget, / Bis ihr noch tönend zerspringet, /Rauscht Feuerlieder hin, in Wechselmelodie, / Lebt in der Gegenwart, die Zukunftsah ich nie.“

187 Ebd., S. 154.188 Rosa 1796, II, S. 141, 34.189 Arnim: Der Dichter (wie Anm. II, 184), S. 154.190 Ebd.191 Vgl. R. Paulin 1986.192 Arnim: Dichterglück und Unglück, in: ders. 1912, S.155.193 Ebd.

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vom Heldendichter, dem der historische Camões entsprach: Wegen sei-ner Liebe zu einer Dame des Palastes wurde er verbannt, verfaßte in ei-ner Grotte ein Heldengedicht; als er nach Portugal zurückkehren durf-te, sank sein Schiff. Er rettete sein Werk.194 Um die besondere Leistungdes Camões zu betonen, kehrt Heymar die Allegorie von des DichtersSeefahrt um: Heymars Dichter leitet keine Ausfahrt in das Land der Se-ligen – wie der Dichter aus Dantes „Paradiso“ (Göttliche Komödie) –,195

sondern er erleidet Schiffbruch. Heymar stilisiert den Portugiesen zumverunglückten Dichterhelden, aber die Schüler korrigieren Heymar, in-dem sie den Minnedienst des Camões würdigen: In der zweiten Fas-sung von Dichterglück und Unglück. Die zweyte Hochzeit preist einoptimistischer Ariel2 die Liebe,196 die keine Standesschranken kennt197 –ein Thema, das in Heymars Dichterlohn (nach Ganymed von Correg-gio) wiederkehrt und die Grenzen der Heldendichtung aus einer ande-ren Perspektive vorführt. Der menschliche Dichterheld versagt an derLiebe zum ‚Höheren‘, am Unerreichbaren, am idealischen Götterhim-mel. Erster und zweiter Gesang reagieren also aufeinander: einmal be-tont der eine, ein ander Mal der andere die Grenzen der Poesie. Dabeiliegen die Positionen über Dichter und Dichtung zu den beiden Teilender Dichterschule quer. Sie spielen die Chancen und Grenzen der Dich-terrollen wechselseitig durch, wie ich an ausgewählten Beispielen ver-anschaulichen will.

Dichterleben nimmt das Thema vom Scheitern an der Poesie auf, undzwar als ein Scheitern sowohl an den inneren als auch äußeren Bedin-gungen der poetischen Existenz. Es wird auf ein Bild bezogen, das„Herkules beim Spinnen von den Weibern ausgelacht. Gemälde vonDominichino in der Sammlung zu München“ betitelt ist. Von Domeni-co Zampieri (gen. Domenichino, 1581–1641) läßt sich in der Tat ein Ge-mälde ermitteln, das diese Episode des Herkules-Mythos themati-siert.198 Aber es ist nicht mehr aufzufinden.199 Bleibt nur der Mythos von

194 Rosenkranz 1855, S. 618 f.; siehe auch R. Paulin 1986.195 Vgl. über die vielschichtige poetologische Allegorie der Dichter-Schiffahrt Drux

1979; Häfner 2002.196 Ariel taucht hier als eine Figur im Text auf; ich nenne ihn deshalb Ariel2.197 Adolf, ein Mitschüler, widerspricht Ariel2 aber in seiner Version von „Dichterglück

und Unglück. Die zweyte Hochzeit“; das Mißtrauen gegenüber der Liebesdichtungdrücken auch die Vogelliedern und Heymars „Dichterliebe“ (nach „Jo“ von Correg-gio) aus.

198 Darüber hinaus werden ein Kupferstich und eine Schabung des Gemäldes erwähnt.Der Kupferstich stammt von Carlo Faucci (1729–um 1784), die Schabung von Jo-

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Herkules bei Omphale. Danach tötete Herkules einen kleinen Jungen,schien infolgedessen geistig umnachtet und erhielt von der Priesterindes Delphischen Orakels den Rat, sich in Sklaverei zu begeben. Hermesverkaufte Herkules an Omphale, für die er nicht nur spinnen und Frau-enkleider tragen mußte, sondern auch viele Heldentaten vollbrachte,nämlich u. a. ihre Feinde, die Itoner, vernichtete. Als er Omphale ver-ließ, war er geheilt. Für sein Sonett konzentriert sich Heymar auf dieEmpfindungen des spinnenden Herkules, also auf die Empfindungendes wahnsinnigen Helden im Heilungsprozeß. Die beiden Quartettedeuten diese Empfindungen aus: „Der hohe Geist“ der besonderen Exi-stenz fühlt sich auf Erden oft aus unbekannten Gründen unwohl.200 Erwird melancholisch, klagt selbst über so „leichte[] Müh’“ wie diejenigedes Spinnens. Größere Auseinandersetzungen gewohnt, darf er „in derErbärmlichkeit sich nicht zu zeigen wagen.“201 Das einfache Leben mußer zugunsten seiner Berufung fliehen. Heymar schafft eine ganz neueKonstellation für die Legende ‚Herkules und Omphale‘: aus Herkuleswird Orpheus, aus Omphale eine Parze, möglicherweise die Schicksal-göttin Klotho, die Spinnerin, die den Schicksalfaden flicht und darausden Text des Gedichts webt.202 Der „Orphische[] Gesang“ aber lenkt sievon ihrem Handwerk ab: Herkules gewinnt ewiges Leben,203 dasHauptthema des Gedichts. Bilder von Helligkeit, Glut, Strom und Feu-er bekräftigen die besondere Bedeutung dieses hohen Ziels.

hann Peter Pichler (1765–1807); Pigler 1974, II, zu dem vielbearbeiteten Thema„Herkules und Omphale“ ebd., S. 119–124, hier S. 120.

199 Hier irrt Ricklefs, der das Bild in der Alten Pinakothek München vermutet; vgl. Ar-nim 1989–94, V, Kommentar, S. 1060. Zwar verfügt die Pinakothek über ein Bild, dasHerkules beim Spinnen zeigt. Es handelt sich aber um Charles Antoine Coypels(1694–1752) monumentales Gemälde „Herkules und Omphale“ (1731) (München,Alte Pinakothek, [Blauel/Gnamm] Bildnr. 4572, Inv. Nr. 1168; Pl. Nr. 78/22; Öl/Lwd. 180 x 133 cm.). Coypels Schriftzug ist auf dem Bild so deutlich zu erkennen,daß Arnim es nicht für ein Gemälde Domenichinos gehalten haben kann. Darüberhinaus weichen der Inhalt von Heymars Gedicht und das Gemälde Coypels starkvoneinander ab. Beispielsweise spricht Heymar davon, daß Herkules „von den Wei-bern ausgelacht“ werde; Coypel zeigt aber nur Omphale im intimen Blick-Kontaktmit Herkules und bildet keine weiteren Frauen ab. Es bleibt bei der Themengleich-heit, nämlich bei der Legende über Herkules und Omphale.

200 Arnim: Dichterleben, in: Arnim 1989–94, V, S. 45, V. 1 u. 3: „Er fühlet schwereWeh’n, und weiß es nicht zu sagen[.]“

201 Ebd., V. 8.202 Vgl. über das Weben als Dichtungsmetapher Graevenitz 1992; Arnim 1989–94, V,

Kommentar, S. 1060; Greber 2002.203 Arnim 1989–94, V, Kommentar, S. 1060.

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Demnach erweist sich die Aussage von Dichterleben als eindeutig:Der besonders Begabte, der „hohe“, aber dem Wahn anheimgefalleneGeist leidet am einfachen Leben, wird ausgelacht (so der Untertitel) undsucht sich von diesem Leid durch sein Schaffen zu befreien. Nähert ersich auf diese Weise dem Transzendenten und Idealen, so erreicht er ewi-ges Leben; er wird unsterblich. ‚Per aspera ad astra‘ – so könnte dasMotto von Dichterleben lauten. Heymar hält für seine Schüler eine harteLehre bereit. Danach muß der Dichter nicht nur ‚herkulische‘ Taten imSinne eines menschenverachtenden Geistes vollbringen, sondern auchSpott ertragen können, an sich und am Leben selbst zugrunde gehen –oder, um es mit der Legende zu sagen: am Leben ‚wahnsinnig‘ werden.204

Daß die Lehre Heymars aber nur ein Extrem für die Poetik von Hey-mars Dichterschule darstellen kann, zeigt der Blick auf das zweite Dich-terleben-Gedicht. Hier reagiert ein Schüler, „der Jude Rabuni“, ausge-sprochen nüchtern und ablehnend auf die idealischen Vorstellungendes Lehrers. Rabuni wendet sich entschlossen dem gegenteiligen Ex-trem zu: Was zählt und sich als schwierig und herausfordernd erweist,sind Taten, nicht Worte oder Gesang. Der letzte Vers zeigt die traurigeFolge dieser Auffassung vom ‚Dichterleben‘. Nimmt man sie ernst unddenkt sie zuende, so kann nur das Sterben als höchste und einmalige Tatdes Menschen gelten.205 Entsprechend kurz und schlicht ist das Elabo-rat des Schülers. Es muß sich an dem ausgefeilten Sonett Heymars mes-sen lassen – und wirkt vergleichsweise kläglich. Vermutlich soll Rabunialso nur eine – schwache – Stimme im Lehrer-Schüler-Polylog darstel-len. Er vertritt eine Dichtungs-Auffassung, die unter den Dichter-Figu-ren Arnims nicht üblich ist; sie kann vielmehr als eine Parodie roman-tizistischer Positionen aufgefaßt werden, wie sie im Zuge des Werther-Fiebers aufkamen.

Es verwundert deshalb nicht, daß Heymars Dichterwohnung, die imzweiten Teil der Dichterschule wiederum kein Gegenstück hat, das An-liegen Rabunis poetologisch aufgreift und es didaktisch wendet: DerTodestrieb, den Rabuni dem Dichter zuschreibt, stellt sich hier als Ab-kehr von der „eitelen“ Welt dar.206 Heymars Dichter gibt sich dem

204 Die Widmung „An L.“ unterstützt diese Interpretation. Denn gemeint ist LouiseCaroline Gräfin Schlitz (1773–1832), Arnims Tante, von der es heißt, sie sei gebildetaber langweilig, voll ‚falscher Imagination‘ (ebd., S. 1060 f.). Arnim mag sie vor Au-gen gehabt haben, als er die Figur des Heymar über das irdische Weh des Dichtersschreiben ließ.

205 Arnim: Dichterleben, in: Arnim 1912, S. 190.206 „Zueignung an die Sänger der Nacht“, in: Arnim 1912, S.145–151, hier S. 157.

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„schönern Leben / Der ewigen Natur“ hin.207 Er entflieht der Stadt undzieht – wie Arnim im Jahr 1802 – auf den Kahlenberg bei Wien (alsBriefadresse „Klarenberg“ genannt).208 Für Heymar ist der „Klaren-berg“ ganz und gar positiv besetzt; er steht für ein harmonisches Lebenin der Natur, in dem nur die Naturschönheit zählt. Der Text erinnert andie Zueignung von Heymars Dichterschule:

Und singt ihr [die Sänger der Nacht] auch nicht kunstreich, so singt ihr dochwie der Vogel im Morgenglanz. [...] O warum waren es nur Augenblick, die-ses leichte, herrliche Leben, wo alles erfreuet und nichts störet [...].209

Die anonyme Zueignung an die Sänger der Nacht, die dem Autor Arielund den Positionen des Schülers Ariel2 entsprechen könnte, umklam-mert die idealische Dichtung Heymars und versieht sie mit naturästhe-tischem Vorzeichen. Naturschönheit allerdings ist vergänglich, und mitihr stirbt auch das „Lebensglück“.210 Deshalb wendet sich HeymarsDichter der Ewigkeit zu, deren Vorschein und Abglanz die irdischeWelt (im Abendrot) darstellt.

Erwartungsgemäß kehrt Dichterwahn, der nachstehende Text, dasNatur-Ideal wieder ins Negative. Hier findet Poesie an unerlaubtenGefühlen ihre Grenze. Heymar bezieht diese Aussage wie in einemKommentar auf drei ‚anstößige‘ Gemälde von Agostino Carracci,211 dienicht mehr aufgefunden werden können. Aus diesem Grund wird dieAuswertung von Dichterwahn hier ebenso zurückgestellt wie diejenigeder Gedichte von Dichterruhe und Dichterschmerz. So viel nur sei ge-sagt: All diese Texte sind durch das Thema des leidenden Dichters(Dichterruhe; zuvor: Dichterglück und Unglück, Dichterleben),212 der

207 Ebd.208 Arnim 1989–94, V, Kommentar, S. 1061. Die Zeichnung „Der Klarenberg an den

Wanderer“, auf die Arnim anspielt, erweist sich als Fiktion, um die Reihe der Bild-gedichte zu vervollständigen; vgl. ebd.

209 Zueignung an die Sänger der Nacht (wie Anm.II., 206), S. 146.210 Ebd., S. 150.211 Rosa 1796, I, S. 168, 2.3.: „Zwey Gemälde dieses vortrefflichen Künstlers, die aber

um der unanständigen Vorstellungen willen gedeckt sind. Die Kupferstiche davon,von Augustin selbst verfertigt, kann man in der k. k. Hofbibliothek nachsehen.“Ebd., S. 184, 26.[27.]: „Zwey Gemälde, die jenen N.2. und 3. ähnlich, und als Gegen-stücke derselben anzusehen sind; gleichfalls von ihm selbst als Kupfer gestochen.“

212 Arnim: Dichterruhe, in: ders. 1912, S. 159: „Der Künstler labt der Sphären schöneWeise, / Leicht kann er alles Pöbels Spott ertragen, / Für heil’ge Kunst so Glück alsLeben wagen“, so lautet die Kernaussage des Texts, die schon aus den vorhergehen-den Gedichten Heymars bekannt ist. Er entwickelt den Text im Blick auf „Archime-des und der römische Soldat“, ein Gemälde des klassizistischen Zeichenlehrers

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unerfüllten und unerlaubten Gefühle (Dichterschmerz) mit anderenTexten aus Heymars Dichterschule verbunden.213

Das erste Dichterliebe-Gedicht führt das Thema der unerlaubtenGefühle, die der Poesie eine Grenze setzen, in differenzierter Weiseweiter, und zwar am heiklen Beispiel der Liebe des Menschen zu denGöttern. Dichterliebe ermöglicht prinzipiell zwei Sichtweisen auf ihrenGegenstand: erstens kann der Dichter mit ‚den Menschen‘, zwei-tens – als ‚alter deus‘ – mit ‚den Göttern‘ identifiziert werden. Wie sichim Blick auf das zugehörige Bild erschließen wird, wäre er im erstenFall der Verführte,214 im zweiten Fall der Verführer: Er wäre Jo oder Ju-piter (Zeus), denn Arnim widmet sich Correggios (d. i. Antonio Alle-gri, 1489–1534) Gemälde Jupiter und Jo (ca. 1531–1534). Es zeigt dienackte Jo, die jungfräuliche Hera-Priesterin, wie sie von einer über-mächtigen und sehr bewegten grau-blauen Wolke umfangen wird, ausder ein Männergesicht hervorscheint: das Gesicht des Zeus. Die Hera-Priesterin, so wird deutlich, gibt sich dem Gatten ihrer Göttin hin, dereigentümlich verborgen bleibt, der sich ihr – wirklich oder bloß als eineTäuschung – in der Wolke vorstellt.

Correggio entwarf sein Bild für einen Zyklus der Liebschaften desZeus.215 Heymar wird es Anlaß zu einem Gedicht über verbotene Lie-be. Der lyrische Text geht deshalb zeitlich wie räumlich weit über dieMomentaufnahme des Bildes hinaus. Das erste Quartett führt in das

J. Grätsch, der an der Berliner Akademie tätig war und die Berliner Akademie Aus-stellung in den Jahren 1789 bis 1804 mit Historienbildern beschickte. „Archimedesund der römische Soldat“ konnte jedoch nicht gefunden werden.

213 Auch Heinrich Friedrich Fügers (1751–1818) Gemälde „Achilles an der Leiche desPatroklus“ war nicht zu ermitteln. Vgl. eines der raren Dokumente über Füger, näm-lich den Ausstellungskatalog (Füger 1968), der ein ausführliches Bilderverzeichnisenthält. Arnim sah das Bild nach eigenen Angaben in der Sammlung der Maleraka-demie zu Prag; Arnim 1912, S. 160. Th. v. Frimmel zufolge kann es sich bei diesemBild nur um eine Schabung von Vincenz Georg Kininger (1767–1851) handeln, derseit 1802 nach den Bildern Fügers arbeitete; Arnim 1912, Kommentar [von Frim-mel], S. 309. Auch die Schabung ist nicht aufzufinden. – Mit Füger zeichnet Heymarein Bild der Ilias, das Leidenschaften, Leiden, Freundschaft, aber auch Haß und Ver-blendung ahnen läßt. Die Kampfeslust des ‚viehischen‘ Kämpfers Achill wird da-bei – wiederum ‚psychologisch‘ – aus einem unglücklichen Schicksal abgeleitet: Lie-be und Freundschaft waren ihm nicht vergönnt; ihm blieb nur das Schlachtfeld. SeinHandeln erscheint vor diesem Hintergrund als verstehbar; Heymar gilt Achill sogarals Dichter-Held, als Vorbild für seine Schüler.

214 Ricklefs interpretiert in dieser Weise; Arnim 1989–94, V, Kommentar, S. 1062 f.215 Vgl. Arnim 1989–94, V, Kommentar, S. 1062 f.: Der Auftraggeber war Herzog Fede-

rico Gonzaga, der Kaiser Karl V. den Zyklus schenken wollte.

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Corrreggio(d. i. Antonio Allegri)Jupiter und Jo(ca. 1531–1534)KunsthistorischesMuseum, Wien;Inv. Nr. GG 274,Lwd. 163,5 x 74 cm;1601 in der Kunst-kammerKaiser Rudolphs II.;Rosa 1796, I, S.170 f., 7.

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Thema ein: „Muß Liebe sich in Traumgestalt verhüllen, / Wenn Schran-ken süße Gegenliebe trennen“216 – diese Verse verweisen auf äußere Be-dingungen, die den Partnern eine offene Liebe versagen, sie zu Heim-lichkeiten nötigen. Gerade das Verbot facht die Liebe aber noch hefti-ger an als die gewöhnliche, so Heymar, und er setzt diese Ansicht mitBildern von „Feuer“ und „Glut“ in Szene.217

Doch bedenkt er die Früchte dieser Liebe. Im zweiten Quartett löster die innige Verbindung abrupt und stellt Jo gegen Jupiter. Erwacht sie,so wird sie „Verrat des Traumes Bilder“ nennen,218 sich betrogen fühlen.Das nachfolgende Terzett veranschaulicht die Trauer der Jo, die jedochim abschließenden Quintett von der Sehnsucht eines „Wir“ überbotenwird: Es lechzt umsonst nach Jo, die zu einem idealischen Bild erstarrtist.219 Aufgrund der Kommunikationssituation liegt es nahe, das ‚Wir‘ indie Nähe des Zeus zu rücken. Zwar kann es nicht mit ihm identifiziertwerden, denn Zeus hat seinen ‚Durst‘ an Jo schon gestillt. Aber das‚Wir‘ begehrt Jo – wie zuvor Zeus. Wie Zeus, wenn auch aus anderenGründen, erreicht es Jo nicht: Es ‚verarmt‘ „in der eig’nen Lust“.220

Steht das ‚Wir‘ für den Dichter oder die Dichter, dann verbindet essich mit Zeus. Die Dichterliebe ist göttlicher Natur. Auch sie greiftnach verbotenen Früchten, stärkt die eigene Liebe daran – und wirdenttäuscht. ‚Dichterliebe‘ spielt Illusionen vor, verführt den Menschen,den Leser, die Angebetete. Dennoch fällt eine letztgültige Aussage überDichterliebe schwer – zumal Arnim das Gedicht erst nachträglich sonennt und in den Zyklus der Bildgedichte aus Heymars Dichterschuleeinfügt.221 Denn den vollständigen Text des Gedichts schickte er Cle-mens Brentano bereits am 17. April 1802. Ursprünglich heißt es – wieder spätere Untertitel – Io von Corregio:

Zum Schluß muß ich dir noch eine hiesige lustige Produktion von mir mit-theilen, wenn du die verbalia auf io in der Grammatick ansiehest, so findestdu auch pollutio, wenn du hier in der Gemäldegalerie in das sechste Zimmerkommst, so findest du ein wunderschönes Bild von Corregio, Io wie Jupitersie in der Gestalt einer Wolke umarmt [...].222

216 Arnim: Dichterliebe, in: ders. 1912, S. 47, V. 1 f.217 Ebd., V. 3 f.218 Ebd., V. 5 u. 8.219 Ebd., V. 12 f.220 Ebd., V. 17.221 Bereits erwähnt in: Arnim 1989–94, V, Kommentar, S. 1063.222 Achim v. Arnim an Clemens Brentano, Kahlenberg bey Wien den 17. April 1802, in:

Arnim u. Brentano 1998, Bd. I, Brief 6, S. 9–11, hier S. 9 f.

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Io von Corregio gilt ihm also zunächst nur als eine „lustige Produk-tion“, als amüsanter Zeitvertreib ohne tieferen Sinn. Das Sprachspielvon Io und „pollutio“ (Besudelung, Verunreinigung) deutet aber diepolemische Absicht an. Arnim wendet sich gegen ein moralisches Ur-teil über die ‚heidnische‘ Antike, und er zielt damit nicht zuletzt auf sei-nen unmittelbaren Vorläufer unter den Bilderdichtern: auf August Wil-helm Schlegel, der das Genre des Bildgedichts in den 1790er Jahren neubelebte. Wenige Jahre vor Arnim veröffentlichte auch er ein Sonett überIo von Correggio. Wenn Brentano die Bildgedichte Schlegels in Godwi(1801/1802) persiflierte223 und Arnim selbst Mißfallen über die poeti-schen Werke des literarischen „Bilderstürmer[s]“ Schlegel äußerte,224

dann begleitete Schlegels Io Arnim aber möglicherweise gerade deshalbbei seinem ‚Spaziergang‘ durch die Gemäldegalerie des Wiener Belve-dere.

Während Heymar das Thema der verbotenen Liebe sogleich vorgibt,beschreibt Schlegels Sprecher in den ersten beiden Quartetten bloß dasBild.225 Er dichtet die Momentaufnahme des Aktes zu einer Liebesge-schichte um.226 Erst die beiden Terzette deuten das Bildgeschehen, undim letzten Terzett heißt es:227 „Doch Io’s Reiz hat andern Trug gelehret /Dass eine Wolk’ in liebendem Verlangen, / Und in der Wolk’ ein Gott siemuss umarmen.“228 Das ‚muß‘ des Schlußverses klingt im ersten VersHeymars noch nach. Bei Schlegel deutet es auf die Anziehungskraft hin,die von einer attraktiven Frau ausgeht. Heymar aber geht weiter: Fürihn ist es die verbotene Liebe, die Jo und Zeus zusammenführt. Ent-sprechend erweist sich Heymars Dichterliebe als Gegenstück zu Schle-

223 Vgl. – das allerdings tendenziöse und ausgesprochen romantik-kritische – Urteil vonHellmut Rosenfeld (1935, S. 151).

224 Arnim: August Wilhelm Schlegel’s Poetische Werke [1811]. Erster u. zweyter Theil.Heidelberg, bey Mohr und Zimmer, 1811, in: ders. 1989–94, VI, S. 388–398, hierS. 391. Das Bilderstürmer-Zitat entstammt Achim v. Arnim: Friedrich Schlegels Ge-dichte [1810]. Berlin, bey Julius Eduard Hitzig, 1809. Der sämtlichen Werke ersterBand, in: ders. 1989–94, VI, S.301–309, hier S.301: Die Schlegels sind „Bilderstürmer,die nichts geringeres als eine Revolution in der Literatur anstiften wollten.“

225 Für den Vergleich der Schlegelschen Bildgedichte mit denjenigen Arnims sieheS. Pott 2004: Arnim bezieht zahlreiche Impulse aus Schlegels „Leda von Michelan-gelo“, dem ersten poetologischen Bildgedicht der deutschen Romantiker, und spitztdas Schlegelsche Verfahren allegorisch zu.

226 A.W. Schlegel: Io von Correggio, in: ders. 1846/47, I, Buch 3, S. 330, 1. Quartett, bes.V. 1.

227 Auf das vorletzte komme ich erst in dem Kapitel über Arnims „Ixion“ zu sprechen.228 Schlegel: Io von Correggio (wie Anm. II., 226), 2. Terzett.

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gels Sonett. Wo dieser von „liebende[m] Verlangen“ spricht, sagt Hey-mar brennende „Liebe“. Beschreibt Schlegels Sprecher den „Trug“ desZeus, so wählt Heymar den härteren Begriff „Verrat“. Bleibt Schlegel‚Dolmetscher‘ des Bildes,229 so wendet Heymar seine Interpretation re-flexiv: auf der Ebene der Kommunikation im Gedicht, indem er die Wir-Form nutzt, sich selbst in das Bild hineinversetzt und das Bild mit einemneuen Titel versieht. Heymar spiegelt ‚den Dichter‘ im Bild, in seinenFiguren, in seiner Handlung und in seinem Thema. Das Bildgedicht er-weist sich als poetologisches Gedicht und als Rollengedicht zugleich.

Das zweite Dichterliebe-Gedicht – es entstammt der Schule Hey-mars – entwickelt dieses negative Urteil über die Liebe unter Unglei-chen weiter.230 Erst Dichterlohn zeichnet für diese Liebe ein optimisti-scheres Bild. Danach nähern sich Menschen- und Götterwelt an. Umdiese Annäherung zu veranschaulichen, bezieht sich Arnim auf einCorreggio-Gemälde aus der Serie der Jupiter-Liebschaften, diesmal aufdie Entführung des Ganymed (ca. 1531–1534): Die Götter raubten denschönen Jüngling Ganymed, den Sohn des Gründers von Troja, damiter unter ihnen lebte und Zeus als Mundschenk diente. Correggio zeigt,wie ein Adler, vermutlich Zeus selbst, den Knaben emporhebt.

229 Über Schlegels Verständnis der Bilddichtkunst als eines „Dolmetschens“ von derBild- in die Schriftsprache Pestalozzi 1995, bes. S.591.

230 Es zählt – neben „Dichterlohn“/„Die Sängerin und ihre kleinen Lieder“/„Die klei-nen Nachtigallen im Nest, Die Sängerin, die Nachtigallen“, „Der Vogelmord am Jo-sephstage“ – zu den Gedichten über Vögel, die sich einer Überlegung zum Verhältnisvon Poesie und Musik verdanken; Arnim an Brentano, Zürich den 9 July 1802,Brief 9, in: Arnim u. Brentano 1998, S. 16–23, hier S. 22 f.: „Dichtkunst und Musicksind die beiden allgemeinsten, genau auf einander gepfropften Reiser des PoetischenBaumes, er trägt hier in der Dichtkunst rothe Rosen mit vielen Rosenkönigen, in derMusick weiße Rosen. Unsere Arbeit sey diese Rosen zu erziehen, KotzebuischenMehltau und Lafontainischen Honigthau von ihnen abzuhalten, ebenso sorgfältigdie kalte Schlegelsche Kritikluft und den warmen brennenden Samumwind aus Böh-me’s Morgenröthe. Die Sprache der Worte, die Sprache der Noten stärker und wohl-gefälliger zu machen um dem Dichter und dem Musiker die innere Sprache der Naturverständliger und hörbarer zu machen, dies ist klar als erster Standpunkt unsrer Be-mühungen anzusehen. Also eine Sprache und eine Singschule der Poesie.“ Arnim no-tiert diese Gedanken in jenem Brief an Brentano, in den er auch das zweite Dichter-liebe-Gedicht aufnimmt (ebd., S.18). Der Vogel aus „Dichterliebe“ repräsentiert da-nach zweierlei, nämlich die Natur, um deren „innere Sprache“ es Arnim (und Bren-tano) geht, und die Musik, den Gesang selbst. Doch stirbt dieser Vogel von der Handdes Knaben, seines wohlmeinenden Befreiers. Richtet die Liebe zu Zeus und die Be-gierde des Zeus Jo zugrunde, so tötet die Liebe des Knaben den Vogel. Im SinneAriels allegorisch gedeutet: Die Liebe zum ‚Höheren‘ oder die durch den ‚Höheren‘erwiesene Liebe zerstört den Dichter; er kann ihr – als Mensch – nicht standhalten.

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Correggio Ganymed(ca. 1531–1534).KunsthistorischesMuseum, Wien;Inv. Nr. GG 276,Lwd. 163,5 x70,5 cm;1603/04 in der Kunst-kammerKaiser Rudolph II.;Rosa 1796, I, S. 169, 5.

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Mit seinen Schwingen ist das dunkle Tier gerade so groß wie Ganymedselbst; es ergreift den Knaben mit den Krallen, und der Knabe hält sichan dem Adler fest. Ganymed lächelt leicht und furchtlos; noch schauter seinem Hund, dem treuen irdischen Gefährten, nach.

Heymar knüpft an Correggios positive Darstellung des lächelndenGanymed an und erklärt den Jüngling zum Vorbild für den Dichterbzw. den Künstler. Ganymed versinnbildlicht Heymars Auffassung,daß der Dichter nicht auf irdischen Lohn, sondern auf ‚Göttliches‘ aussein soll.231 Denn dann „[...] wird [der Dichter] zünden“, produktivschaffen und nicht am Göttlichen zugrunde gehen.232 Correggios Ga-nymed steht für den Dichter-Helden, der nur seiner Kunst lebt. Ihmsetzt selbst die verbotene Liebe keine Grenzen – im Gegenteil: Sie gibtseiner Dichtung wertvolle Impulse.

Der zweite Gesang widerspricht und spitzt die Lehrer-Schüler-Kon-troversen zu. Mit zwei Gedichten über den Dichterlohn, über dieNachtigall („Die Sängerinn“) und ihre Jungen verdeutlicht die Dichter-schülerin Pauline die Schattenseiten einer idealischen Dichtungs- undDichtervorstellung, die Heymar mit Ganymed verbindet. Ganymed,der Dichter, dem das Irdische nichts bedeutet, verursacht Leid: SeineKinder klagen über starke Hungergefühle und fordern ihre Vogel-Mut-ter deshalb auf, sie zu töten.233 Die Mutter ihrerseits bereut ihr Tun:„Ach hätt’ ich nie geliebet, / Ach hätt’ ich nie gebrütet!“234 Nur an we-nigen Stellen weichen die Auffassungen Heymars und seiner Schüler soweit voneinander ab wie hier. Dabei vertreten die Schüler gegen ihrenLehrer eine moralische Position; sie konzentrieren sich auf das Leid inder Wirklichkeit. Ihnen geht es um die materiellen und physischenGrenzen idealischer Poesie. Die idealische Kunst- und Götterwelt giltihnen weniger als das irdische Wohlergehen.

Es liegt in der Logik der Dichterschule, daß auf die Empörung derSchüler zwei Gedichte folgen, die die strittigen Konstellationen vonIdeal und Wirklichkeit, Mensch, Gesellschaft und Dichter ganz auflö-sen. In Dichteraussicht 1. Das Paradies der Erde und Dichteraussicht 2.Das Paradies des Himmels geht es dabei bezeichnenderweise nicht

231 Arnim: Dichterlohn. Ganymed von Correzzio, in: Arnim 1912, S.162, V. 8 u. 13.232 Ebd., letztes Terzett.233 Arnim: Dichterlohn. Die Sängerinn und ihre kleinen Lieder. Die kleinen Nachtigal-

len im Nest, in: Arnim 1912, S. 192 f., V. 11 f.: „Ach Mutter! Drücke uns doch todt, /Denn Klage ward der Lebensgruß.“

234 Ebd., S. 193 f., hier S. 194, Refrain, V. 1 f. u. 16 f.

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mehr um die griechische Mythologie, sondern um die christliche, umdas Paradies, den Sündenfall und um Christi Geburt: um „Das Paradiesder Erde“ von „Breughel“, das Arnim in der Sammlung des Diploma-ten François Louis de Pesme, Seigneur de Saint-Saphorin (Wien) gese-hen haben will, und um „Das Paradies des Himmels“ von Carlo Marat-ta „in derselben Sammlung“.235 Bestandskataloge der Sammlung Sa-phorin sind nicht aufzufinden, so daß fraglich bleibt, welche Bilder Ar-nim genau betrachten konnte. Im Falle Brueghels ist zu vermuten, daßArnim jenes Gemälde sah, das zwischen 1795 und 1815 im Louvre aus-gestellt war, nämlich Das irdische Paradies mit dem Sündenfall vonAdam und Eva, gemalt um 1615, und zwar als eine Gemeinschaftsar-beit von Jan Brueghel d. Ä. (1568–1625) und Peter Paul Rubens(1577–1640).236 Marattas Gemälde aber läßt sich nicht identifizieren.237

Für beide Dichteraussicht-Gedichte ebenso wie für das dritte Dich-teraussicht-Gedicht liegt bereits eine ausführliche Interpretation vonStefan Nienhaus vor.238 Nienhaus zufolge versenke sich Arnim so sehrund so distanzlos in seine Bildvorlagen, daß er mit seinen Gedichteneine „christliche[] Glaubenshaltung“ ausspreche, die auch der Oberti-tel Dichteraussicht „nicht zu einer kunstreligiösen säkularisierenkann.“239 Demgegenüber meine ich, daß die drei Dichteraussicht-Ge-dichte christliche Topoi ebenso wie die griechische Mythologie zwarernstnehmen, sie aber in erster Linie nutzen, um der Heymar-FigurAspekte eines Evangeliums der Schönheit in den Mund zu legen, das alseine der möglichen idealischen Dichter-Positionen gilt. Nienhaus’ In-

235 Arnim: Dichteraussicht, in: ders. 1912, S. 163 f.236 Für den Standortnachweis Arnim 1989–94, V, Kommentar, S.1063; Broos 1993, S.88.237 Ricklefs und Nienhaus nehmen an, daß sich Arnim auf ein Bild Marattas bezieht, das

sie als „Ein heiliges Haus“ betiteln, und das sich in der kleinen Kirche S. Giuseppedei Falegnami (am Forum Romanum, unterhalb des Capitolinischen Hügels) befin-den soll. Für den Standortnachweis Arnim 1989–94, V, Kommentar, S. 1063; sieheauch die Deutung von Nienhaus 2000, S.187. In S. Giuseppe hängt in der Tat ein Ma-ratta, nämlich „Presepe. Opera prima 1650“. Es handelt sich um ein Bild auf einemSeitenaltar, das fest in die Ordnung desselben eingefügt ist und aufgrund seiner Formnicht transportabel gewesen sein kann. Es erweist demnach als unwahrscheinlich,daß Arnim dieses Bild in der Sammlung Saphorin gesehen hat. Nienhaus’ Beschrei-bung weist darüber hinaus auf starke Abweichung von Gedicht und Bild hin (ders.2000, S. 187). Bleibt man in S. Giuseppe, dann hätte allenfalls die „Sacra Famiglia“Giuseppe Ghezzis (16. Jahrhundert) als Vorbild dienen könne, die den gegenüberlie-genden Altar ziert. Sie ist motivgleich und zeigt jenen blauen Himmel, der bei Ma-ratta fehlt.

238 Nienhaus 2000.239 Ebd., S. 188.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen80

terpretation läßt sich mit dieser Überlegung verbinden, denn er geht –trotz seines Votums gegen ein kunstreligiöses Verständnis der Arnim-Texte – davon aus, daß Arnim sein „Ausgangsmaterial[]“ konzentriertneu-komponiert und nicht einfach in Worte übersetzt.240 Wie dies imeinzelnen geschieht, soll im folgenden gezeigt werden.

Der gelehrten Welt ist Das Paradies der Erde von Brueghel und Ru-bens bereits durch den bibliophilen Ratsherren Zacharias Conrad vonUffenbach (1683–1734) bekannt, der es im Jahr 1711 im Haus des Lei-dener Tuchhändlers Pieter de la Court van der Voort betrachten konn-te.241 Uffenbach war begeistert; sollte Arnim dasselbe Gemälde gesehenhaben, so war er es vermutlich nicht minder. Denn in seiner ungeheurenVielfalt hält es nicht nur – vor allem auf der rechten Bildhälfte – dasnoch intakte Paradiesleben, sondern zugleich schon – auf der linkenHälfte – den Sündenfall fest. Es bildet also die Ursünde ab, und zwar ineiner besonders pikanten Interpretation. Ihr zufolge ist Adam am Sün-denfall nicht unschuldig.242

Nienhaus weist darauf hin, daß sich Arnim von seiner Vorlage ent-fernt: So ist auf dem Brueghel-Rubens-Bild weder ein „Ar“, im Ge-dicht eine Metapher für den Dichter, zu sehen noch ‚bäumen‘ sich ihmRosse ‚wiehernd‘ zu.243 Vielmehr finden sich zahlreiche seltene Tiere,

240 Ebd.241 Beaujan 1996.242 Anders als in der Heiligen Schrift hält Eva hier in jeder Hand einen Apfel. Die

Schlange windet sich um einen Ast des Baumes der verbotenen Früchte; der Blick ei-nes Pfaus kommentiert Evas Handeln symbolisch als lasterhaft. Adam aber ähneltden barocken Satyr-Darstellungen: Er hat einen Buckel, Hörner, spitz zulaufendeOhren, zwar keinen Pferdefuß, aber dafür steht hinter ihm ein Pferd mit schwarzerMähne, dessen Fell braun-schwarz schimmert. Sollte es tatsächlich ein Rappe sein,so läßt sich in ihm der Teufel selbst erkennen; Rubens, der (nicht nur) für die Figurendes Gemäldes verantwortlich zeichnete, arbeitete also mit einer doppelten Symbolikdes Bösen, die aber nicht auf seiten Evas, sondern auf seiten Adams angesiedelt ist.Zwei weitere Tiersymbole bestätigen diese Interpretation: zu Adam Füßen sitzt einHase – in der Profanikonographie ein Symbol der Unkeuschheit (‚luxuria‘), in derchristlichen Ikonographie das Symbol der Heiden und Sünder. Demgegenüber stehtein junger Hirsch versetzt hinter Eva. In Paradiesbildern gilt er als der Überwältigerder Schlange, als Christus selbst, der die große Schlange (den Teufel) mit himmli-schen Wassern tötet. Außerdem sitzt Adam lasziv auf einem Erdwall oder einem be-wachsenen Felsen, und es ist nicht deutlich, ob er den Apfel aus Evas Hand empfängtoder als ob er ihn ihr reicht.

243 Nienhaus 2000, S. 186. – Möglicherweise hat Arnim mehrere Paradies-Darstellunggesehen und über diese aus der Erinnerung geschrieben. Beispielsweise bildet Roe-lant Savery (1575–1639) in seinem „Paradies“ (1618; um 1800 Slg. Nostitz, Prag; heu-te Nationalgalerie Prag) einen mächtigen und ungelenk wirkenden Aar ab. Seine Pa-

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wie sie in den Menagerien der Zeit gehalten und von den Malern dorteifrig ‚conterfayet‘ wurden: Papageien, Enten, ein Kranich, ein Löwe,ein Tiger, ein Leopard, Dromedare, ein Strauß (Sinnbild der Heuchler;Symbol der Gleichgültigkeit; Klagelieder Jeremia 4,3), Fische im Was-ser (Sinnbild des Neophyten, der in der Taufgnade verharrt) usw. Hey-mar läßt sich von dem Gemälde bloß inspirieren, wobei unklar bleibt,welchen Stellenwert er dem Sündenfall zuerkennt. Denn gleich in denbeiden ersten Versen des Gedichts spricht er von „neugebor’nen Räu-men“, in denen die Erde „urkräftig treibt“, und von „neuer SonneStrahlen“.244 Bezieht sich das Attribut ‚neu‘ auf das Paradies vor demSündenfall? Wenn ja, was besagt das, wenn der Mensch schon im Be-griff ist, diesen zeitlosen Raum zu verlassen?245

radiesdarstellung folgt ansonsten dem Vorbild Jan Brueghel d.Ä.; vgl. Härting 2000,Katalog, S. 182 f. Andere, Jan Brueghel d. Ä. „Paradiso terrestre e peccato original“(Galleria Doria Pamphilj) und Peter Wenzel „Adamo ed Eva nel Paradiso Terrestre“(Musei Vaticani), nehmen die Darstellungen von Flora und Fauna aus Brueghel undRubens’ Gemälde auf, stellen den Sündenfall aber konventionell dar.

244 Arnim: Dichteraussicht 1. Das Paradies der Erde, in: ders. 1989–94, V, S. 48, V. 1 f.245 Über die Zeitlosigkeit in Arnims Gedicht Nienhaus 2000, S.186.

Jan Brueghel d. Ä. u. Peter Paul Rubens Das irdische Paradies mit dem Sündenfallvon Adam und Eva (um 1615). Mauritshuis, Den Haag, Inv.Nr.253, Lwd.74,3x114,7cm.

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Heymars Botschaft im letzten Terzett klärt die Verhältnisse von Zeitund Raum, wenn auch nicht endgültig: Das Paradies ist verloren; „un-ter Mühen“ wird die Frau nun Kinder gebären (1. Mose, 3,16), derMensch ist „Erde“ und soll „zu Erde werden“ (1. Mose, 3,19).246 Vonder Sehnsucht, das Paradies zurückzugewinnen läßt sich das „wir“ lei-ten – und möglicherweise zu diesem Gedicht motivieren. Doch wasverspricht es sich von einer Rückkehr in dieses Paradies? Heymar deu-tet zwei Themenbereiche an: Geburt und Tod. Das Todes-Themataucht in seinen Dichtergedichten wieder und wieder auf, und zwar alsFurcht vor dem Sterben. Anders verhält es sich mit dem ‚Gebären‘. DieGeburt könnte eine Metapher für die Schöpfung überhaupt sein, die, sowünscht es sich das „wir“, von Schmerz und Angst frei sein soll. In die-sem Zusammenhang fällt auf, daß sich Arnim – wie in Io von Coreg-gio – auf eine Frau konzentriert, die im Gedicht zum ‚Weib‘ schlechthinwird. Läßt sich die Eva des Gemäldes – so sie sich noch im Paradies be-findet und Gottes Willen gehorcht – als Gegenbild zu Jo deuten? Be-zeichnenderweise kappt Heymar die zweite Hälfte des Titels von Brue-ghel und Rubens: Es heißt – nach Heymar – nurmehr Das Paradies derErde; [...] mit dem Sündenfall von Adam und Eva entfällt ebenso wieder Name Rubens’, der ja laut Bildsignatur für die prekäre Figurendar-stellung des Sündenfalls verantwortlich zeichnete.247 Mißfiel Heymardie Darstellung eines teuflischen Adam? Oder teilte er Friedrich Schle-gels Abneigung gegen die ‚trägen und verschwommenen‘ Rubens-Fi-guren?248

Hatte Arnim für Dichteraussicht 1. das Gemälde von Brueghel undRubens vor Augen, so verengt er die Sicht auf das Gemälde jedenfallserheblich. Heymars ‚Dichteraussicht‘ kann vielmehr als ureigene‚Dichteransicht‘ beschrieben werden, setzt man die Auffassung des„wir“ mit derjenigen Arnims gleich. Verglichen mit der hochkomple-xen Bildvorlage wäre Arnims Interpretation derselben in diesem Fall in

246 Arnim: Dichteraussicht 1. Das Paradies der Erde (wie Anm. II., 244), V. 12–14: „Okönnten wir dies Paradies gewinnen, / Wo frei von Schmerz und Angst das Weib ge-bärt / Und keine Zeiten uns zum Tode tragen!“

247 Nienhaus bemerkt ebenfalls, daß die Sündenfall-Darstellung in Arnims Gedicht kei-nen Platz findet; ders. 2000, S. 187.

248 F. Schlegel: Fragmente [Athenäum] (wie Anm.II., 2), [181] S. 193: „Rubens’ Anord-nung ist oft dithyrambisch, während die Gestalten träge und auseinander ge-schwommen bleiben. Das Feuer seines Geistes kämpft mit der klimatischen Schwer-fälligkeit. Wenn in seinen Gemälden mehr innre Harmonie sein sollte, müßte er we-niger Schwungkraft haben, oder kein Flamänder sein.“

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einem naiven Sinne sehnsüchtig und weniger christlich zu nennen. Erblendet nämlich nicht nur erhebliche Bestandteile des Bildes aus, son-dern nimmt darüber hinaus nur selektiv auf jene Debatten Bezug, diezum historischen Kontext des Brueghel-Rubens-Bildes gehören.

Als ein Beispiel für eine solche Rezeption gilt mir die Konzeptionvom Garten als ‚locus amoenus‘ – ein heiß umkämpftes Thema der hu-manistischen Debatte in den südlichen Niederlanden (Flandern). Siereagierte auf die Bestrebungen der Höfe und der wohlhabenden Bür-ger, reich ausgestattete Gärten anzulegen.249 Rubens’ Lehrer beispiels-weise, der neo-stoische Rechtsgelehrte Justus Lipsius (1574–1606), hät-te die Darstellung seines ehemaligen Zöglings mit Argwohn betrachtenmüssen. Denn Lipsius galt der Garten als Erholungsort für Geist undSeele, als „Rückzugsort“ für die „Muße“, als Stätte einer „gemäßigtenLust“, nicht als Ort von Laster und Sünde.250 „In den Gärten sollt ihrPoeten auf Dauer eure Lieder dichten“,251 so läßt er seinen Freund KarlLangius in De Constantia/Von der Standhaftigkeit (1584) sagen. Arnimübernimmt die neo-stoische Ansicht vom Garten, wie Langius sie äu-ßerte. Den Garten hatte Arnim zum Ort der Muße für den seelenvollenDichter auserkoren – zu einem Ort, in dem es kein körperliches Leidgibt, sondern in dem das Gemüt Ruhe finden soll.252

Das Paradies des Himmels bestätigt diese kontemplative Einstellung,verweist aber bereits darauf, daß vollkommene Ruhe und Erlösung erstim Jenseits möglich sind. Heymars Schüler aber, „de[r] Grieche[] Ilia-des“, macht diese Hoffnung auf Erlösung ganz zunichte. Sein Dichter-aussicht-Gedicht aus dem zweiten Teil der Dichterschule schildert ei-nen alten Dichter, der melancholisch auf seine früheren Fähigkeiten zu-rückschaut.253 Er hadert mit seinem irdischen Schicksal. Von Erleuch-

249 Vgl. dazu die Beiträge in Härting 2000. Die Darstellung des Paradiesgartens ist, ganztypisch für Jan Brueghel d. Ä., offen, denn er bricht mit der mittelalterlichen Tradi-tion des ‚hortus conclusus‘, des von Mauern oder Zäunen eingefriedeten irdischenParadieses. Der Betrachter des „Irdischen Paradieses“ erkennt keine Grenzen des-selben, vielmehr kann er bis zum Horizont schauen.

250 Lipsius 1998, II. Buch, 3. Kap., S. 187; vgl. auch Seifertova 2000, S. 28 f.251 Lipsius 1998, II. Buch, 3. Kap., S. 191.252 In diesem Sinne Thomas Sternberg (1983, S.260, Anm. 21) über Arnims Auffassung

des Gartens.253 Arnim: Dichteraussicht. Der alte Dichter, in: Arnim 1912, S.196, V. 8: „Mein Blut ist

eingedickt.“, dürfte für Melancholie stehen. Einstmals konnte er über das Meer flie-gen, doch nun ist sein Schiff kaputt (ebd., V. 13–16.): „Es spotten mein die Wellen, /Es spottet mein der Wind, / Ich muß mich ruhig stellen, / Doch wein’ ich wie einKind.“

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tung oder Erweckung ist er weit entfernt. Vielmehr trauert er seinen in-nerweltlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten nach. Ein christliches Be-kentnnis läßt sich aus dieser Kombination der Dichteraussicht-Tex-te – anders als Nienhaus meint – nicht entnehmen. Wieder stehen inHeymars Dichterschule Positionen gegeneinander – in Gestalt derchristlichen Antike und der ‚heidnischen‘ Weltauffassung des ‚Grie-chen Iliades‘. Auch Dichteraussicht läßt sich deshalb nur im Kontextder Rollenspiele und in der Abfolge der Text-Bildwerke von HeymarsDichterschule verstehen: Der christliche Dichter findet im gescheiter-ten Heldendichter der Antike sein Gegenstück. Beide heben sich ge-genseitig auf; sie finden nicht zu einer gemeinsamen Lösung, sondernnur zu Modellen für eine Dichterexistenz, die sich all dieser Rollenent-würfe bewußt ist.

Vor diesem Hintergrund stellt Eunom aus Wahre und falsche Sänger.Eunom und Arist eine weitere Variation des Themas dar. Es handeltsich bei Eunom um jenen Knaben, der Herkules mit Wein befleckte,und den der ‚Held‘ deshalb tötete. Aber anders als im Mythos weihtHeymar das Mordopfer der „Sängerkunst“:254 Der Sänger Eunom erin-nert an Ganymed, der zu den Göttern aufsteigt; die Wahren und fal-schen Sänger nehmen das Thema von Dichterlohn auf. Durch seine rei-ne Kunstliebe gelangt der Dichter aber hier nicht nur in den Himmel,sondern „verkündet“ „als Gott“ den Weg dorthin.255

Einerseits treibt Heymar die Apotheose des Dichters weiter. An-dererseits scheint der Kreuzweg an sein Ende gekommen zu sein.Dichtertod. Phaeton beschließt den Gesang des Heymar; hier geht esum den (unbeabsichtigen) Selbstmord des Dichters, der zu viel ris-kierte. Phaëton, dem Mythos nach der Sohn des Sonnengottes, darffür einen Tag den Sonnenwagen über den Himmel lenken. Indem derDichter – wie Phaëton – Gott spielt, bringt er nicht nur die gesamteSchöpfung in Gefahr, sondern schöpft auch selbst neu. Die Milchstra-ße nämlich gilt als Ergebnis seiner zerstörerischen Fahrt mit dem Wa-gen, für die Zeus den Jüngling umbringt. Heymar nutzt die Phaëton-Geschichte in diesem Sinne als ein Vehikel, um das Schicksal desDichters zu demonstrieren, der am Göttlichen teilhaben will.256 Ersteht als Konsequenz aus den Gedichten über die Lautenspieler, über

254 Arnim: Wahre und falsche Sänger. Eunom und Arist, in: Arnim 1912, S.165–167, hierS. 165, 1. u. 2.

255 Ebd.256 Arnim: Dichtertod. Phaeton, in: Arnim 1912, S.169–174, hier S. 171, 7.

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Camões, über Herkules, über Archimedes, über Achill und über Ga-nymed:

So mag des Dichters Hoffnung ihn betrügen,Das Leben hin zur dunklen Erde ziehen,Die heil’ge Ahndung, Phantasie ihm lügen,Was ihn erhebt, wird nicht im Tode fliehen:Ein Hochzeitskleid war ihm sein Erdenleben,Das Brautbett wird der Todestraum ihm weben.257

Der idealische Dichter des Heymar hat zu viel gewagt, aber genau dieswar seine Berufung. Heymar baut die Phaëton-Geschichte deshalb inseine Märtyrerlegende ein, die er den Schülern als Lehre auf den Weggibt: Erst der Tod stellt das „Brautbett“ des Dichters dar; erst im Todvervollkommnet er seine Existenz. Heymars Dichtertod. Phaeton stehtdamit sinnbildlich für Arnims Ansicht aus Das Wandern der Künsteund Wissenschaften, Zerstörung sei notwendig, um Kunst zu schaffenund um zur Vervollkommnung zu gelangen. Phaëton schuf, was dieSchöpfung zerstörte und ließ dafür sein Leben.

Der Dichter Heymars hat sein Marytrium durchlitten, doch seineDichterschüler zeigen – mit unterschiedlichen Schwerpunkten und inAbstufungen – wie schwer es ihnen fällt, dieses idealische und märty-rerhafte Ideal für die eigene poetische Praxis zu akzeptieren. Dabeimarkiert Rabuni einen Extrempol. In Das Schicksal als Dichter zeichneter ein zynisches Bild der Dichterexistenz; in Dichterleben fordert erden Tod als letzte Konsequenz dichterischen Schaffens. Seine Sichtwei-se wird von den drei wirklichkeitskritischen Mitschülern Adolf, Pauli-ne und Iliades gemildert. Treubold hingegen – nomen est omen – mühtsich, es dem Lehrer nachzutun, verteidigt aber das eigene Scheitern anHeymars Ideal (Zueignung. Die Dichterschüler an Heymar, Dichterru-he II). Viel komplizierter steht es um den Dichterschüler Ariel2, dersich gleichermaßen idealisch, melancholisch und lebensbejahend gibt(Wahre und falsche Sänger).

Erst die paratextuellen Einschübe im Ausgang des zweiten Gesangsder Dichterschule geben vergleichsweise verbindlich über diesen eigen-sinnigen Schüler Auskunft. Sie handeln von den Vorhaben eines ehe-maligen Mieters auf dem Kahlenberg. Kryoline, eine Malerin undZeichnerin, bewohnte dasselbe Etablissement wie der angesprocheneMieter, der dichtende Tänzer Ariel2, der sich mit „lustigen Trinkbrü-

257 Ebd., 15.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen86

dern“ umgebe.258 In einem Brief und mehreren Nachschriften an ihreFreundin Kyane beklagt die Malerin das Verschwinden Ariels2 undsendet zugleich einige nachgelassene Schriften des Tänzers. Ariel2 warKryolinens „Genius“ und „Dämon“; allein die Stimme ihres ehemali-gen Obermieters inspirierte sie so sehr, daß sie – nunmehr ohneihn – „an den Sinnen krank“ sei.259 Ariel2 erscheint ihr als der „Zwei-felsprophet“, der den Offenbarungen den Titel gibt,260 als immaterieller„Geist“,261 der sich zweifelnd um die Menschen sorgt und dennoch mitden Kameraden scherzt, dessen Stimme „so rein, so wechselnd, so tief,so hell“ zugleich ist.262 Dabei springt die Inspiration aber von einer Fi-gur auf die andere über, denn Ariels2 hinterlassene

Gedichte auf Gemählde sind nach Zeichnungen von mir, die ich in meinerMappe führte, mir sind sie wahr! Der zweyte Gesang ist von mehreren Hän-den geschrieben, von seinen Freunden[,]263

erläutert Kryoline. Ariel2 sei durch eine offene Seitentür in das Zimmerder Malerin gekommen und habe dort ihre Bilder erblickt. Danachhandelte es sich bei Heymars Dichterschule in der Tat um ‚Offenbarun-gen‘ des Ariel2, allerdings um solche, die er den Zeichnungen seinerMit-Mieterin verdankt. Sie wären Anlaß und Ursache seiner Äußerun-gen. Heymars idealisches Dichter-Verständnis und die zahlreichenDichterrollen, für die die Mitschüler einstehen, müßten sich auf das zu-rückführen lassen, was Ariel2 aus den Zeichnungen ‚empfing‘. Nimmtman die Figurenrede ernst, die wie ein Paratext an die Dichterschule an-

258 [Brief der Kryoline an Kyane; mit Einschüben Ariels und Nachschriften Kryoli-nens], in: Arnim 1912, S. 198–217, hier S. 199.

259 Ebd., S. 198.260 Ariel und Ariel2 werden hier also identisch, schenkt man der Figurenrede Glauben.261 Ebd., S. 200: „[...], er ist ganz Idee und wunderschön, sein dunkles Haar in ringeln-

den Locken, er scheint ein leichter Geist, der über das Schicksal des Menschen zwei-felnd besorgt ist. Wenn er anders aussähe, als ich ihn gemahlt, könnte ich ihn nichtlieben, aber er sieht sicher eben so aus [...].“

262 [Brief der Kryoline] (wie Anm. II., 258), S. 201.263 Ebd., S.205. Die Arnim-Forschung vermutete, daß diese Aussage der Figur Kryoline

autobiographisch auf Arnim zu übertragen sei. Danach hätte der Autor seine Bild-gedichte nach eigenen Zeichnungen angefertigt, vgl. Arnim 1989–94, V, Kommentar,S. 1059; Nienhaus 2000, S. 183. Zwar hat Arnim auch gezeichnet, aber es läßt sichnicht belegen, daß er nach eigenen Kopien gedichtet hätte. In den Arnim-Archiva-lien jedenfalls sind keine Zeichnungen erhalten, die als Vorlagen zu den Gedichtenhätten dienen können (freundliche Information von Renate Moering, Freies Deut-sches Hochstift; Evelyn Liepsch, Goethe- und Schiller-Archiv; Viola Geyersbach,Stiftung Weimarer Klassik).

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3. Achim von Arnim: polyperspektivische und multi-mediale Poetik 87

gehängt ist, dann muß die dritte Kommunikationsebene für HeymarsDichterschule noch einmal verändert werden: Quelle wären in ersterLinie Kryolines Bilder (3. Ebene [a]), dann erst wäre auf jene Bilder,Mythen und Geschichten zu verweisen, die im ersten Teil derselben an-geführt werden (3. Ebene [b]).

Aber nicht nur das: Um zu zeigen, „daß der leichte Tänzer auch ei-nige derbe Gelehrsamkeit sich angeschafft hatte,“ schickt KryolineKyane einige hinterlassene Blätter des Ariel.264 Die naive Kryolineglaubt an die Gelehrsamkeit des Tänzers. Ariels2 ‚Kommentar‘ auf sei-ne eigenen Gedichte aber persifliert bloß die Tradition und die Gattungdes gelehrten Dichterkommentars; er hilft nicht, seine ‚Offenbarungen‘zu erklären oder sie auf bestimmte Quellen zurückzuführen. Außer-dem schreibt Ariel2 über allerlei Projekte, Interessen und poetologischeAnsichten, die nicht unmittelbar mit der Dichterschule zu tun haben.Beispielsweise wollen er und die „Gesellschaft der Alethurgen“ „vater-ländische[] Papierschätze“ herausgeben, um über die Geschichte unddie „Sitten“ und die Poesie der vaterländischen Urbewohner Freya undHerrmann forschen.265 Form und Gefühl, so seine ironisch-distanzierteÜberlegung, entwickelten sich in ihrem Fall zugleich:

Eins dem andern wilkührlich vorsetzen, würde eben so sicher beyde ver-nichten, wie jene Frage über Gall’s Schedellehre: Ob der Witz seine Hirn-knochen, oder die Hirnknochen den Witz bilden?266

Am Beginn des 19. Jahrhunderts verdächtigte man den HirnforscherFranz Joseph Gall (1758–1828) der Scharlatanerie und Pseudowissen-schaft. Der Grund dafür lag in einem Teil seines wissenschaftlichenProgramms, das er in Wielands Teutschem Merkur veröffentlichte, inder sogenannten Phrenologie.267 Hier sollte aus dem Bau des Gehirnsauf die Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen ge-

264 [Brief der Kryoline] (wie Anm. II., 258), S. 205.265 Aus „Unwissenheit“ konnte man damals Laster begehen, so notiert Ariel2 fasziniert-

ironisch über dieselben Ureinwohner, und solche Sitten seien heute nurmehr „beyden Bewohnern der Bayerischen Hochlande wieder zu finden.“ Ebd., S.206 f. Er fin-giert zum Beweis einen Brief des Heiligen Bonifaz: „Die meisten Geistlichen habenvon Jugend auf in Ehebruch und Unzucht gelebt und setzen es fort. Doch lesen siedas Evangelium und werden endlich Erzbischöfe.“ – Es wundert nicht, daß Minordiese Passage in keinem Brief des Bonifaz auffinden konnte; vgl. Arnim 1912, Kom-mentar, S. 316 f.; vgl. auch R. Paulin 1986, S. 115.

266 Ariel: [Nachgelassene Schriften], in: Arnim 1912, S.211–215, hier S. 211.267 Über Gall, sein Programm, die Abwertung desselben und die Vorläuferschaft zur

Lokalisationstheorie des Gehirns siehe Hagner 1997, S.89–124 u. passim.

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schlossen werden – ganz ähnlich, wie es Lavater in seiner Physiogno-mik für das Gesicht erdachte. Mit dem (übrigens ausgesprochen frü-hen) Verweis auf die Phrenologie nimmt Ariel2 ironisch von einer Auf-fassung Abstand, die die Forschung erstaunlicherweise als Beleg fürArnims subjektives und spontanes Dichtungsverständnis gedeutethat.268 Darüber hinaus plädiert derselbe Ariel2 für die Einhaltung derForm:

Silbenmaß und Reim sind nicht bloß für das Ohr, sie sind die nothwendigenBegränzungen, die Pole, ohne welche alle Rede der Empfindung ins Unbe-stimmte, oder in Stummheit sich verliert; ich glaube keinen zur Darstellungberechtigt, der sich nicht gezwungen fühlt, jedes in seiner gewissen, be-stimmten Form mitzutheilen.269

Schon Ariel2 pendelt immer wieder zwischen verschiedenen Poetiken:zwischen einer subjektiven und einer formal-versierten. Doch damitnicht genug: Der „Zweifelsprophet“ setzt auf einen höheren „Plan“,der auch die Malerin Kryoline ergreifen soll.270 Ariel2 spricht dunkelund zitiert aus der Offenbarung des Johannes.271 Von der Prophetie desJohannes inspiriert sucht er nach einem Ort, wo Kunst und Natur, Ver-gangenheit, Zukunft und Unendlichkeit zusammenfallen.272 Er nenntdiese Fiktion einen „ewigen blauen Tempel“, zu dem er strebt.273 Kryo-line beeindrucken diese romantische Visionen Ariels2 so sehr, daß sieihn ihrerseits suchen will. Sie teilt das Schicksal all der Frauen undMänner, die sich mit Göttern oder Göttinnen eingelassen haben; ihrName wird in üblen Nachreden untergehen – und mit Blick auf Jo

268 Siehe beispielsweise die unkritische Deutung von Sternberg 1986, S.71 f.269 Ariel: [Nachgelassene Schriften] (wie Anm. II., 266), S. 211 f.270 Ebd., S. 214: „[...] ich finde mein Daseyn wieder, wenn ich dich [die Malerin Kryoli-

ne] wieder finde und dich sehen kann, die ich jetzt nur höre, und hören kann, den ichjetzt nur sehe, den Geist deiner Schöpfungen; dann sehen wir, dann hören wir wieJohannes in seinen Offenbarungen: Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen, derschrie mit großer Stimme und sprach zu allen Vögeln, die mitten durch den Himmelflogen: Kommet und versammelt euch zu dem großen Abendmahle, denn ich kenneeuren Glauben und eure Liebe.“

271 Offenbarung Joh. 19.,18. – Minor bemerkt, daß der letzte Halbsatz in Luthers Bibelfehlt. Arnim 1912, Kommentar, S. 321.

272 Ariel: [Nachgelassene Schriften] (wie Anm. II., 266), S. 215: „[...] und wo die Kunsteine einige Natur wird, da ist mein Reich, da treibe ich Wurzeln bis in die Unend-lichkeit, in die Vergangenheit bis zum Ursprunge, in die Zukunft bis zur Erneuerungder Welt, da ist mein Vaterland, da reichen ruhig einander die Steine zu dem ewigenblauen Tempel alle die wechselnden Geschlechter der Erde [...].“

273 Ebd.

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schließt sich auch dieser Bild-Text-Komplex, und zwar mit einer Kritikan der romantischen Kunstreligion.274

Heymars Dichterschule endet mit dem karnevalesken MaskenspielSängerfest auf Wartburg, teilweise einer Persiflage auf Oper und Popu-larliteratur, auf Mozarts Zauberflöte (Uraufführung 1791) und auf Au-gust von Kotzebues Menschenhaß und Reue (1789).275 Was einstmalsein ernster Wettbewerb um die Meisterschaft im Gesang und um Liebewar, gerät Arnim hier zur Komödie des Dichters „Guckuk“ und seinerreisenden Vogelgilde. Der Liederwettstreit auf der Wartburg hat mitdem Ausgang des zweiten Gesangs nichts zu tun. Er komplettiert nurdie doppelte, sich selbst aufhebende Ordnung von Heymars Dichter-schule, denn er dient als Gegenstück zu den Briefen der Kryoline undden hinterlassenen Schriften Ariels2. Der Liederwettstreit wendet sichgegen die ‚hohen‘, inspirierten und – seitens der Kryoline – naiven Ein-stellungen über Ariel2 und die Dichtkunst. „Poesie der Poesie“ voll-zieht sich nurmehr als eine Persiflage von Poesie-Typen. Intertextuelleund mediale Bezüge verbinden sich in derart vielfältiger Weise, daß esüberhaupt schwerfällt, ihnen ein spezifisches Kunstverständnis zu un-terlegen. Es bleibt bei einer polyperspektivischen Bestandsaufnahmeund Kritik vorliegender Poetiken.

Heymars Dichterschule bewegt sich deshalb nicht „zwischen den Po-len von prophetischer Erfüllung und selbstopfernder Entbehrung“,276

sondern vielmehr zwischen den Polen von poetischem Martyrium undfarcenhaftem Unfug. Während der erste Gesang noch durch die zupoetologischem Zweck säkularisierte Kreuzweg-Motivik zusammen-gehalten ist, eine klare und differenzierende Aussage zugunsten einesidealischen Dichterbildes formuliert, zerfällt der zweite Gesang innüchterne und wirklichkeits-orientierte Aperçues der kritischen Dich-terschüler einerseits, in geselligen Spaß und überzogene Persiflage an-dererseits. Die Dichterschüler halten Gegenmittel für die Lehre Hey-mars bereit und argumentieren menschlich, poesie- und sozialkritisch,was dem Arnim der Rede Das Wandern der Künste und Wissenschaftenentgegenkommen müßte. Aber sie gelangen nicht zu einer eigenen Leh-re; in der Kunst suchen sie ‚Wahrheit‘. Nur zu oft geben sich die„Trinkbrüder“ dabei mit dem Scherz zufrieden.

274 Kryoline: [Nachschriften], in: Arnim 1912, S. 216.275 Arnim 1912, Kommentar, S. 322–324.276 R. Paulin 1986, S. 117.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen90

Bei Heymars Dichterschule handelt es sich deshalb weder um Stofffür das Volk noch um eine neue Mythologie.277 Es ist aber auch keinspontaner Text, der das Dichten aus gesteigertem Gefühl feierte und ei-nige „willkürliche[] und subjektive[]“ Bildgedichte einstreute.278 Viel-mehr zelebriert Arnim das Dichten und die Kunst schlechthin – als ex-perimentelle Praktiken einer intimen Gesellschaft junger Dichter, dieum eine eigene durchaus idealische und formenreiche, aber zugleichmoralische, wirklichkeitsnahe, spielerische und natürliche Poetik rin-gen. Sie tasten die Grenzen der „Poesie der Poesie“ ab.

Es liegt in der Logik dieses Poesie-Modells, daß Heymar mit seinenEmblemen Sinn stiftet und daß die Schüler diesen durch zahllose undteilweise sinn-entleerte Assoziationen in Frage stellen. Vergegenwär-tigt man sich aber die Kommunikationsebenen von Ariel’s Offenba-rungen, dann ist darüber hinaus nach einer ‚Ariel-Instanz‘ zu suchen,die die Lehrer- und Schüler-Perspektiven gleichermaßen umschließt:Ganz wie Ariel in The Tempest für Prospero zaubert, so müßte dieseInstanz, der Prophet Ariel, für Arnim dichten. Zu fragen wäre, inwie-fern diese Ariel-Instanz Arnims Auffassungen vertreten könnte,nimmt man Das Wandern der Künste und Wissenschaften – also Arnimserweitertes Verständnis von einer reflexiven und moralischen ‚imitatio‘bekannter poetischer Muster – zum Maßstab.

Heymars poetologisch-idealische ‚Schwärmerey‘ und die ‚realisti-sche‘ Poetik seiner Schüler repräsentieren – folgt man dem Kommuni-kationsmodell am Beginn dieses Kapitels – nur Aspekte der PoetikAriels. Die enge Verbindung einzelner Bilder und Gedichte (über diebeiden Gesänge hinweg) unterstützt diese These: Arnims „Zweifels-prophet“ webt ein komplexes und engmaschiges Netz von Text-, Bild-und Lied-Verbindungen, das sich aber gleichwohl nicht in sich ver-fängt, sondern – wie durch Zauberhand – in eine Richtung führt: inRichtung auf eine wirklichkeitsnahe Poetik, die sich unaufhörlich mitidealischen Vorstellungen vom Dichter und von der Dichtung ausein-andersetzt, weil sie diese nicht aufgeben will. Ihre Lehre besteht im Ge-

277 Ich wende mich hier gegen R. Paulin 1986, S. 119.278 So noch Rosenfeld 1935, S.153. In seiner quellenreichen Pionierarbeit über das Bild-

gedicht geht er vor der Annahme aus, daß jedes Bild eine „Bildobjektivität“ aus-weist, die der Dichter ‚abbilden‘ kann. Arnim hält sich nicht an diese – überausschlichte und gerade für die komplexen Gemälde der Frühneuzeit unzutreffen-de – Wertprämisse. Weil Arnim derart von der eigenen Setzung abweicht, bevorzugtRosenfeld die „ernster[en]“ Bildgedichte August Wilhelm Schlegels oder SophieMereaus.

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3. Achim von Arnim: polyperspektivische und multi-mediale Poetik 91

gensatz, genauer: im Lernen aus Gegensätzen, die keine Synthese ken-nen.

Arnims bzw. Ariels Poesie-Modell erinnert damit nicht nur an dasReflexionspostulat Schlegels, sondern auch an Wielands Romane: andie Texte des spätaufklärerischen Autors, der Shakespeares The Tem-pest übersetzte und selbst über einen Luftgeist (Oberon) dichtete. WieWielands Romane zeichnen sich Ariel’s Offenbarungen – er-stens – durch ein polyperspektivisches,279 aber im Prinzip (und mit gra-duellen Abstufungen) dualistisch zugespitztes Poesie-Modell aus. ImFalle Wielands entfaltet es sich zwischen ‚Schwärmerey‘ und ‚Kynis-mus‘,280 im Falle Arnims – zweitens – zwischen idealischen und ‚reali-stischen‘ Poesie-Vorstellungen. Schon deshalb sind beide Modelle nichtvollends deckungsgleich.

Sie unterscheiden sich aber auch in zwei anderen Hinsichten: erstenserweitern Ariel’s Offenbarungen die spätaufklärerische Poetik Wie-lands multi-medial im Sinne eines Bild-Text-Kunstwerks. Kann Wie-lands Goldner Spiegel (1772) bereits nicht-linear und als polyperspek-tivisches Wechselspiel gelesen werden, so steigert Arnim diese Kommu-nikationssituation: Zyklen zu einzelnen poetologischen Themen (Dich-terrolle, Liebe und Dichtung, Leben und Dichtung, Entlohnung desDichters, Tod des Dichters, Begriff von Kunst, besonders von Poesie)verweisen ebenso aufeinander wie die Mythen und Bilder, auf die sie sichbeziehen. Zweitens deutet Arnim Wielands Textmodell in Das Wandernder Künste und Wissenschaften geschichtsphilosophisch – im Blick aufdie stetige ‚Besserung‘ der Menschheit durch Poesie.281 Ariel’s Offenba-rungen allerdings machen diese Hoffnung zunichte und belassen es ingewisser Weise bei Wielands Entgegensetzung der Perspektiven.

Das später entstandene Ixion-Gedicht Arnims hilft, Adaptation undVeränderung des spätaufklärerischen Roman-Modells durch das lyri-sche Drama Ariel’s Offenbarungen zu verdeutlichen. Ixion variiert dieThemen des „Zweifelsprophet[en]“, vor allem hinsichtlich des Zwei-fels, zugunsten der düsteren Seiten aus Heymars Dichterschule undstellt die moralischen und optimistischen Ziele, wie sie Arnim in DasWandern der Künste und Wissenschaften vertrat, entschieden in Frage.

279 Schönert 1970; J.-D. Müller 1971; vgl. auch Budde 2000.280 S. Pott 2002a, Kap.V.281 Damit geht Arnim über Wieland hinaus, der sich der Geschichtsphilosophie verwei-

gert.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen92

b) Ixion, der an seinen Studien verzweifelte Dichter (1808):„Glaubt ich mich Gott!“

Mit dem Ixion-Thema nimmt Arnim zahlreiche poetologische Fädenauf, die sich durch Ariel’s Offenbarungen ziehen: Es geht um Liebe,Täuschung und nicht zuletzt um das Verhältnis von Gott, Mythos,Mensch, Wirklichkeit und Poesie. Ixion entwirrt diese Fäden: Andersals in ‚Heymars‘ Dichter-Gedichten, die den Poeten idealisch und gött-lich darstellen, klagt Ixion die Götter an. Das späte Dichtergedicht ad-aptiert den brutalen Ixion-Stoff nicht nur satirisch, sondern ahmt lied-haft nach, was Ixion wiederfährt, läßt dessen Handlungen nachvollzieh-bar werden und bringt dem Leser so die Verzweiflung ‚des Dichters‘Ixion nahe.282

Worum geht es im Ixion-Mythos? Hederich informiert in knappenWorten und urteilt hart über die mythische Figur: Ixion, König undGemahl der Dia, habe dem Schwiegervater die Brautgeschenke verwei-gert und ihn in eine Grube mit glühenden Kohlen gestürzt.283 Mehrnoch: Er habe sich nicht mit Dia begnügt, sondern auch Juno (Hera)begehrt – ein Frevel, den Jupiter (Zeus) bitter zu rächen wußte. Er bil-dete Hera als Wolke nach, täuschte Ixion und überführte ihn des Ehe-bruchs. Mit der vermeintlichen Hera zeugte Ixion die Kentauren, dieWesen zwischen Gott und Mensch; zur Strafe für seine Begierde wurdeer von Zeus auf ein Rad gebunden. Es laufe im Hades unaufhörlich mitihm fort. Für Hederich war die Schuld Ixions bewiesen; sein Fehlver-halten ließ sich allegorisch auf die Zeitgenossen übertragen: auf die, die„nach nichtiger Ehre streben“, auf Undankbare, auf „Großsprecher“und Ehebrecher.284

Ganz anders Arnim. Ihm werden die Erlebnisse des Ixion zu Studien –zu Studien über eine ganz und gar verderbte Götterwelt, der der Dich-ter-Mensch hilflos ausgeliefert ist. Sein Ixion-Gedicht besteht aus einereinzigen Strophe, einer Suada aus 176 Versen, die den Gang des Radesimitiert. Der Form nach wird sie nur durch die Interpunktion und durch

282 Bezeichnenderweise handelt es sich bei „Ixion“ um eines der spätesten Dichter-Ge-dichte Arnims; es erscheint in der „Zeitung für Einsiedler“ (1808), findet sich aberbereits in einem Brief an Clemens Brentano aus dem Jahr 1804. Dort trägt es nochden Untertitel „[...] der verzweifelte Academicus.“ Arnim an Brentano, [London,Ende März bis Mitte April 1804], in: Arnim u. Brentano 1998, Brief 38, S. 224–229,hier S. 227 f.

283 Vgl. Hederich 1967, Sp. 1145f., hier Sp. 1145.284 Ebd., Sp. 1146.

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3. Achim von Arnim: polyperspektivische und multi-mediale Poetik 93

den Refrain „Glaubt ich mich Gott!“,285 durch den leitmotivischen Ver-weis auf das „Rad[e] der Zeiten“,286 auf den Dichter, den „gemeinen Ker-rel [Kerl]“,287 und auf das „Göttliche“ strukturiert.288 Ixion schildert seinLeiden auf dem Folterinstrument, schilt seine eigene Dummheit und diehinterlistigen Götter. Er blickt kritisch zurück und analysiert, was ihmwiderfahren ist. Dabei behandelt der erste Abschnitt des Texts IxionsSchicksal auf dem Rad (V. 1–11),289 der zweite deutet seine ‚Untaten‘ an(V. 12–46), der dritte beschreibt die Verlockungen durch die Götter undIxions Annäherung an die Wolke Juno (V. 47–85), der vierte stellt seineBestrafung durch die Götter dar (V. 86–139) und der letzte nimmt auf dieSehnsucht der irdischen „Gespielen“ nach dem ‚Göttlichen‘ Bezug, daser selbst so bitter schmeckte (V. 140–176).

Hier interessiert vor allem die Technik der (Selbst-)Analyse. WieNovalis wendet sich Arnim der – im Mythos nicht in dieser Weise vor-geführten – ‚Psychologie‘ antiker Figuren zu. Novalis allerdings hattees mit der Figur des Orpheus leichter als Arnim mit Ixion: Orpheus er-weckt (trotz der negativen Deutung Vergils) Sympathie (vor allem die-jenige der Romantiker) – Ixion hingegen nicht. Arnim muß deshalb er-läutern, weshalb Ixion nicht einfach zu verdammen ist. Er löst dies Pro-blem, indem er Ixion klagen läßt.

Arnims Ixion beschreibt zweierlei: zum einen die eigenen Disposi-tionen, die ihn nach „Genuß“ und „Besitz [...] ewiger Schönheit“ imReich der Götter streben ließen,290 zum anderen die Götter, die diesesStreben schamlos ausnutzten, um ihr Spiel mit dem Menschen zu trei-ben. Er wirft sich vor, der eigenen Hybris erlegen zu sein, die Brosamender Götter gierig aufgesogen und – vor allem – sich ihnen ebenbürtig ge-fühlt zu haben („Glaubt ich mich Gott!“). Eine besondere Rolle spieltedabei der göttliche Nektar, der physisch und mental beflügelnd wirkte,und dem Ixion in hohem Maße zusprach.291 Auf diese Weise habe er, Ixi-

285 Arnim: Ixion, der an seinen Studien verzweifelte Dichter, in: Arnim 1989–94, V,S. 577–581, hier V. 23, 28.

286 Ebd., V. 2, 144.287 Ebd., V. 12 f., 136 f.288 Ebd., V. 14, 28, 40.289 Alle Abschnitte enden mit einem Punkt; Apostrophen kennzeichnen, was besonders

betont werden soll, und Gedankenstriche kündigen in der Regel die Selbstanalysean.

290 Arnim: Ixion (wie Anm. II., 285), V. 17 f.291 Vgl. ebd., V. 24: „Als mir der Nektar / Kitzelt die Nase, / Enget den Hals und / Flü-

gelt das Blut, [...].“, V. 48–51.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen94

on, die Selbst- und Fremdwahrnehmung verloren, gar nicht gemerkt,wie er zum Spielball der Götter wurde, wie sie sich über ihn lustig mach-ten und ihn schließlich hinters Licht führten.292 Sie spotteten über denErdensohn und verbannten ihn aus ihren Gefilden, nachdem sie sich anseiner menschlichen Schwäche ergötzt hatten.293 Ixion wird ebensoschnell fallengelassen, wie man ihn in den Himmel gehoben hatte. DieGötter spielen „Glücksspiel[e]“ mit den „sterblichen Menschen“.294

Ixion, der Dichter, versuchte, ins „Rad der Zeiten“ zu greifen – undwurde dafür bestraft. Er selbst leidet nun an eben jenem Rad, und ihmsteht der Sinn nicht mehr nach ‚Göttlichem‘:

Habe nach Ewgem / Nimmer Gelüsten / Kannst du nicht greifen ins / Radder Zeiten, es / Halten im Sinken, / Tragen das Endende / Gleichen Gemütsund / Freundlicher Seele! –295

Dem Dichter bleibt der Eingriff in den Gang der Welt verwehrt. Ohn-mächtig ist er auf sein Rad gebunden; verständnislos schaut er nunmehrdem irdischen Treiben zu. Dort streben die naiven Menschen noch im-mer danach, von den Göttern erhört zu werden. Diese Menschen habennicht erkannt, daß sich das „Rad der Zeiten“ weiter drehen wird, daß eskeine Veränderung gibt, daß sie ihr Schicksal ebenso ertragen müssenwie er selbst. Ixion schließt mit einer lakonischen Inversion, mit einemVerweis auf die ‚ewige Wiederkehr des Unbeeinflußbaren‘: „Treibt siedie Zeit / Nennen sie’s Zeitvertreib.“296

Ixion teilt die Welt in zwei Sphären. Im Himmel führen die Götterein paradiesisches Leben und spielen bloß mit den Sterblichen, die ‚un-ten‘ auf ihre Erwählung, auf die „Blicke Kroniens“ hoffen und naivmeinen, sie selbst könnten ihr Schicksal beeinflussen.297 Der ‚an seinenStudien verzweifelte‘ Dichter Ixion entfaltet ein statisches Geschichts-und Weltbild, das er selbst wagemutig zu dynamisieren suchte. AlsDichter erprobte er nämlich genau das, was von ihm – dem Typus desOrpheus folgend – erwartet wurde: das Wandern zwischen beiden Wel-ten. Doch ‚glaubte er sich bloß Gott‘; er hält die ‚orphische‘ Dichter-

292 Ebd., V. 59–63: „Stille einander / winkten die Götter / (Wie ich erfahren / Als es zuspät.) [...].“

293 Ebd., V. 80–85: „Schon mich erweckte / Schluchzend Begehren / Donnergerassel, /Lachen und Grinsen / Aller der andern / Lieblinge Jupiters.“

294 Ebd., V. 125 f.295 Ebd., V. 141–148.296 Ebd., V. 175 f. [Hervorhebungen im Original].297 Ebd., V. 158.

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rolle, die ihn in letzter Konsequenz auf das Rad trieb, nunmehr für naiv,verzweifelt aber zugleich an dieser Erkenntnis.

Ganz anders als in der Mythologie wird Ixion bei Arnim zum Dich-ter-Menschen, der an eine herrliche idealische Götterwelt ebenso wie andas orphische Dichter-Ideal glaubte und dafür exemplarisch angepran-gert wird. Ixions Analyse seines eigenen Schicksals zerstört sowohl dieLegitimität der göttlichen Willkürherrschaft als auch das orphischeDichter- und Dichtungsideal. Doch Ixion kann die Menschen nicht vonihrem Glauben an Orpheus und an den idealischen Götter-Himmel er-lösen; er ist an sein Rad gebunden. Es liegt in der Hand Arnims und derzeitgenössischen Leser, Konsequenzen aus ‚dem Fall Ixion‘ zu ziehen.

Arnim kehrt mit seinem Ixion nicht nur den Mythos um, sondernschreibt auch gegen ein Antikebild an, wie es wenige Jahrzehnte zuvorherrschte. Wie ist eine so radikale Umdeutung möglich? Was waren Ar-nims Quellen? Novalis schildert die Götterwelt begeistert. Hölderlinhingegen läßt bereits dunkle Seiten erahnen, bemüht sich aber, zwi-schen Göttern und Welt zu vermitteln. Ihm war das Schicksal Ixionsbekannt – und er parallelisierte es mit demjenigen Christi.298 Für seineIxion-Rezeption bezieht er sich in erster Linie auf Pindar, den Vertreterder „Tradition des Traditionsbruch“299 und des „zarte[n] Styl[s]“,300

und zwar auf dessen zweite Pythische Ode. Sie ist einer der wenigenTexte, der ausführlich über das Schicksal Ixions Auskunft gibt; Hölder-lin übersetzte die zweite Pythie vermutlich in der ersten Hälfte des Jah-res 1800.301 Seine Übersetzung kommt dem Original sehr nahe,302 dasIxions Handeln beinahe schon psychologisch erklärt:

Er [Ixion] lernte es deutlich. Bei den wohlgesinnten / Nämlich den Kroni-den / Süss empfangend ein Leben, / Den weiten konnt er nicht tragen denReichtum, / Mit rasendem Sinne / Hera weil er liebte, die Jupiters Betten /Empfangen haben, die vielerfreuten. / Aber ihn der Übermut zu Irre über-schwenglicher / Ausnehmende Müh empfing. [...]303

298 Dem Leben Ixions unter den Göttern entspricht die menschliche Teilhabe an derGegenwart Christi, der Hybris Ixion „das Wilde“ und „Freche“ am „heiligen Ort“.Ixion symbolisiert die Entfernung vom Göttlichen, möglicherweise aber auch dieSehnsucht, sie zu überwinden; vgl. Seifert 1982, S.579 f.

299 Schmidt 1980–81, S. 109.300 F. Schlegel: Fragmente [Athenäum] (wie Anm. II., 2), [193] S. 195.301 Hölderlin 1992–94, III, Kommentar, S. 1288 f.302 Vgl. für das Verhältnis von Original und Übertragung Friedrich Hölderlin: Zweite

Pythische Ode, in: ders. 1988, S. 152–167, hier S. 156 f.303 Pindar: Zweite Pythische Ode, in: Hölderlin 1992–94, III, S.719–724, hier V. 44–53.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen96

Den „Heros“ Ixion, der ‚menschliches Blut‘ und ‚Götterblut‘ vermi-schen wollte,304 plagt der „Übermut“; er ‚rast‘ und droht ‚irre‘ zu wer-den. Ihm steht Jupiter gegenüber – nicht gerade ein Vertreter der Tu-gend, was Pindar hintersinnig anmerkt: Er spricht – wie Hölderlinkongenial übersetzt – von den „vielerfreuten“ („polugaqée~“) Bettendes Jupiter.305 Die zweite Pythie aber zeichnet – in der ÜbersetzungHölderlins – ein vergleichsweise differenziertes Ixion-Bild. Ixion wirdnicht abgeurteilt, sondern vielmehr als Mensch behandelt, der im Göt-terhimmel notwendig der Hybris verfällt. Pindars Ode läßt – wie Ar-nims Ixion – darauf schließen, daß die Götter an Ixions Schicksal nichtunschuldig waren. Pindar deutet dies nur an – und Hölderlin spitzt dieAndeutung in seiner Übersetzung zu.

Allerdings ist ungewiß, ob Arnim die Hölderlin-Übersetzungenkannte. Ixion weist keine Spuren davon auf.306 Mit Hölderlins Werkkam Arnim außerdem erst ab 1805 in Berührung – um Hölderlin (mitdem Gestus Heymars) als einen ‚herrlichen‘, an einer ‚entfremdeten‘Wirklichkeit leidenden Geist zu verehren.307 Ein bekanntes Themakehrt dabei wieder: das Problem des ‚reinen‘ und ‚vergeistigten‘ Dich-ters, dem die Bedingungen des täglichen Lebens (Erwerbsarbeit etc.)Seelenpein bereiten (wie in Herkules und Omphale). Ixion aber stehtnoch für anderes, nämlich für die kritische Auseinandersetzung desDichter mit dem ‚Idealischen‘ selbst, mit dem Höchsten und ‚Göttli-chen‘, mit jener Sphäre, auf die sich die ‚reine Seele‘ des Dichters so er-wartungsfroh richtet. Hölderlin bezieht sich – gerade in seinem Spät-werk und nach Dichterberuf – immer wieder auf diese Sphäre; er setztdafür auf Mittlerfiguren zwischen Gott und Mensch: auf die Titanenund auf die Kentauren,308 die Ixion mit der Wolke zeugte.309 ArnimsIxion hingegen entlarvt die Götterwelt und ihre Mittlerfiguren, Kro-nien etwa. Arnims Sprecher gilt der Götterhimmel als verderbt. Für sei-

304 Ebd., V. 56 f.305 Ebd., V. 51.306 Arnim wählt ganz andere Vokabeln als Hölderlin. So spricht er – anders als der Pin-

dar-Übersetzer – nicht von einem „rasende[n] Sinne“, von der Vermischung des„Blut[es]“, von „Lüge“ oder von „Trug“.

307 Über den Kontakt Arnims mit Hölderlins Texten Kaspers 1990–91, S. 161.308 Siehe dazu Bennholdt-Thomsen 1986–87, bes. S. 253 f.309 Dem Kentauren Chiron widmet Hölderlin eine eigene Ode; Hölderlin: Chiron

[1803, veröffentlicht 1805], in: ders., 1992–94, I, S. 314 f.; vgl. dazu ausführlich ebd.,Kommentar, S. 795–818. Chiron lehrt den Achill die Musik und die Dichtkunst, istalso zugleich einer der ersten Dichter; Pindar: Das Belebende, in: Hölderlin 1992–94,III, S. 772 f., hier S. 773.

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ne Darstellung des Ixion kann sich Arnim zwar auf Pindar beziehen:auf Pindars doppelte Beschreibung des Geschehens um Ixion, in derPindar einmal die problematische Götterwelt, ein ander Mal den in derNatur des Menschen Ixion selbst angelegten dramatischen Fall der Fi-gur darstellt. Aber dennoch bleibt dieser Bezug vage.

Es befriedigt nicht, Arnims Ixion mit der Pindar-Hölderlin-Tradi-tion zu verbinden – zumal eine andere Ixion-Darstellung damit kon-kurriert. Sie war – durch zahlreiche Übersetzungen bekannt gemacht –im ausgehenden 18. und im beginnenden 19. Jahrhunderts ‚en vogue‘.Gemeint sind die Ixion-Bezüge des Lukian von Samosata, des Spöttersunter den ‚Alten‘, der die griechische Mythologie energisch kritisier-te.310 Lukians satirische Morallehre wurde im Laufe der Aufklärung po-pulär; schon Johann Christoph Gottsched veröffentlichte eine Lukian-Übertragung (1745), und Johann Heinrich Waser übersetzte eine Viel-zahl lukianischer Schriften (1769ff.).311 Johann Christoph Bremer gabLukians Göttergespräche im Jahr 1790 in einer kritischen Edition her-aus; Christoph Martin Wieland publizierte seine Übersetzung derSämtlichen Werke Lukians im Jahr 1788/1789.312 Im Blick auf diese regeRezeptionstätigkeit im Zeichen einer moralisch verstandenen Aufklä-rung will ich der idealischen Pindar-Hölderlin-Linie eine satirische Lu-kian-Wieland-Linie für Arnims Ixion entgegenstellen.

Ixion taucht in zahlreichen Dialogen und Essays Lukians auf. SeinSchicksal gilt Lukian – wie Arnim – als exemplarisch. Auf der Oberflä-che liest sich das ‚Exempel Ixion‘ ganz einfach: Ein Mensch wagte sichin den Götterhimmel, benahm sich dort schlecht und wird seitdem vonden Göttern gequält. Diese treffen eine für die Menschen bedauerliche,wenn auch verständliche Entscheidung: „[...] seitdem [seit Ixions Fehl-verhalten] ist der Himmel dem Menschengeschlechte verschlossen undverbothen.“313

310 Das Ixion-Thema erfreute sich übrigens auch in der Renaissance großer Beliebtheit.Pietro Bembo und Pontus de Tyard beispielsweise sind bestens damit vertraut; sieheMarek 1999. Belege für eine Rezeption dieses Umgangs mit Ixion durch Arnim gibtes aber nicht. – Irmgard Osols-Wehden danke ich für den Hinweis auf Marek.

311 Vgl. darüber, daß die Aufklärung das Interesse an Lukian wiederbelebte, nachdem erim 17. Jahrhundert beinah in Vergessenheit geraten war; Baumbach 2002, S. 65–98.

312 Zu dieser Übersetzung Baumbach 2002, S. 99–113.313 Lukian: Von den Opfern, in: Lukian 1813, S. 201–229, hier S. 210. Wieland übersetzt

den Text hier – wie auch sonst – vergleichsweise genau; vgl. Lukian: On Sacrifices[PERI QUEION], in: ders. 1995, III., S. 153–171, hier S. 165 [9]: „Ábato~ dè tŒ qnh-tŒ génei kaì @pórrhto~ ô oÿranó~.“

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen98

Auch in der fiktiven Korrespondenz des Kronos [Saturn] mit denReichen nimmt Lukian auf das Ixion-Beispiel Bezug. Kronos erscheintdort als Anwalt der Armen. Er fordert die Reichen auf, seine ‚Mandan-ten‘ an ihren Tisch zu lassen. Die Reichen, die in der Korrespondenzübrigens das letzte Wort haben, lehnen gelangweilt ab. Kronos wissedoch – wie Zeus –, daß sich die Armen nicht angemessen verhaltenkönnten. Kaum biete man ihnen Alkohol an, seien sie schon betrunken:

Nicht zufrieden, sich den Wanst so voll zu stopfen, bis nichts mehr hineinwollte, schämten sie sich nicht, so bald sie über die Gebühr getrunken hatten,bald einem schönen Knaben, der ihnen den Becher, reichte, die Hand zustreicheln, bald sich mit der Geliebten oder auch wohl gar mit der Gemah-linn des Herrn vom Hause Freyheiten herauszunehmen; und wenn sie dannzuletzt den Speisesaal vollgespien hatten, zogen sie noch den folgenden Tagüber uns los, und erzählten, wie sie an unserer Tafel hätten hungern und dür-sten müssen. Solltest du etwa glauben, daß wir ihnen dieß zur ungebührnachsagen; so erinnere dich nur euers ehemaligen Parasiten Ixion, den dieEhre an eurer Tafel zu sitzen auf gleichem Fuße mit euch zu seyn, so über-mütig machte, daß der saubere Gast sich in trunknem Munde sogar an derJuno [Hera] selbst vergreifen wollte.314

Die Reichen vergleichen sich nicht nur mir den Göttern, sie bestimmenlängst unabhängig von göttlichem Willen, was sie zu tun und zu lassenwünschen. ‚Göttlicher Idealismus‘ ist ihnen ebenso fremd wie den Göt-tern selbst – den menschenfreundlichen Kronos möglicherweise ausge-nommen. Die Reichen achten – so legt es der Dialog nahe – erfolgreichnur auf eines, nämlich auf ihren Besitzstand. Daß sie und die Götterstrategisch handeln, bloß ihre Eitelkeiten befriedigt wissen wollen, ent-hüllen Lukians Dialoge zwischen Hera und Zeus. Sie erhellen dasSchicksal des leidenden Ixion. In den Göttergesprächen läßt es sich auszwei ineinander verwobenen Eifersuchtsgeschichten erklären:315 SeitZeus den Knaben Ganymed in den Himmel erhoben hat, fühlt sichHera nicht mehr hinreichend beachtet. Sie gewinnt die Aufmerksam-keit des Gatten durch ihre Erzählungen über Ixion zurück.316 Dieser

314 Lukian: Saturnalische Verhandlungen, in: Lukian 1813, S. 5–45, bes. „Saturn an dieReichen“, S.36–42 u. „Die Reichen an Saturn“, S.42–45, hier S.44, vgl. auch Lukian:Saturnalia, in: ders. 1990, IV, [OI PAOUEIOI], S. 87–140, hier S. 134–139, bes. 139[38].

315 Siehe Lukian: Sechs und zwanzig Göttergespräche, in: Lukian 1813, V. Ein ehelicherWortwechsel zwischen Jupiter und seiner Gemahlinn, S.45–48. u. VI. Ixion, S.48–52.

316 Das betreffende sechste Göttergespräch ist in der Wieland-Übersetzung sogar mit„Ixion“ überschrieben.

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werbe um sie, weiß Hera zu berichten. Zeus reagiert prompt, und zwarverständnisvoll:

Ey, der verruchte Kerl! Was! Mich selbst anzutasten, und auf der empfind-lichsten Seite! Ist’s möglich, daß ihn der Nektar bis auf diesen Grad trunkenmachen konnte? – Aber freylich sind wir selbst schuld daran, und treiben dieMenschenliebe offenbar zu weit, da wir sie mit uns essen und trinken lassen.Wahrlich, es ist ihnen zu verzeihen, wenn sie bey einem Weine, wie der uns-rige, über dem Anschauen himmlischer Schönheiten, dergleichen ihnen aufder Erde nie vorgekommen sind, vor Liebe den Verstand verlieren, und ihrerzu genießen begehren. Denn Amor ist ein gewaltthätiger Tirann, der nichtnur über die Menschen, sondern zuweilen über uns Götter selbst den Mei-ster spielt.317

Hera kommentiert nüchtern: „Von dir ist er [Amor] in der That unum-schränkter Herr [...]“318 – und erinnert Zeus an seine Liaison mit IxionsGattin Dia, unterstellt ihm also heimliche ‚Kumpanei‘ mit dem Erden-sohn. Um seine Ehre zu retten, schlägt Zeus vor, Hera als Wolke nach-zubilden. Der Nebenbuhler soll überführt werden. Doch damit nichtgenug. Hera fordert, Ixion dürfe nicht auf die Erde zurückkehren, woer Schändliches über sie und den Himmel verbreiten könnte:

Gleichwohl, wie die Menschen undelicate Geschöpfe sind,319 ist er [Ixion] imStande, wenn er wieder auf die Erde kommt, sich groß damit zu machen, undallen Leuten zu erzählen, er habe bey der Juno geschlafen [...].320

Lukian spricht aus, was bei Pindar (Hölderlin) vorsichtig anklingt: DieGötter erscheinen als verderbt, heimtückisch und eigensüchtig; selbstder Herrscher auf dem Olymp betrügt seine Gattin. Anders als Ixionsind sie mächtig genug, all ihre Egoismen zu befriedigen – und Ixionwird ihr Opfer. Aus Rache, vor allem aber, um sich selbst von HerasVorwurf der Komplizenschaft reinzuwaschen, führt Zeus Ixion vor.Indem er Ixion auf das Rad knüpft, beweist er, daß er sich selbst vonder ‚Buhlerei‘ lossagt. Anders als Lukian, der Hera als geheime Draht-zieherin hinter dem vermutet, was ihr Gatte schließlich ausführt, moti-viert Arnim die Tat aber nicht aus der Eifersucht der Göttin. In Ixionschildert er vielmehr die Herrschaftsstrukturen des Himmels: Die

317 Lukian: Ixion (wie Anm. II., 315), S. 50; vgl. Lukian: Dialogues of the Gods [QEONDIALOGOI], in: ders. 1998, VII, S. 239–353, hier S. 216–219 [6].

318 Ebd.319 Lukian läßt Hera hier von den „Ánqropoi @peirókaloí“, von den ‚rohen‘ oder ‚ge-

schmacklosen Menschen‘ sprechen; ebd., S. 219 [6].320 Lukian: Ixion (wie Anm. II., 315), S. 51.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen100

Lieblinge des Jupiter begrüßen Ixions Fall; für ihn teilt sich die Welt ineingeweihte Götter und unterlegene Menschen. Aber wie Lukiandreht Arnim die Mythologie entschlossen um: Der Mensch erscheintals den Göttern strukturell unterlegen; er sieht sich ihrer Willkür undihren Egoismen ausgesetzt. Wie Lukian nimmt Arnim das Ixion-The-ma satirisch auf; auch ihm gilt das Schicksal Ixions als exemplarisch.Doch nicht nur als Mensch wagt sich der Ixion Arnims in die Götter-welt; für Arnim unternimmt er dort als Dichter Studien und verzwei-felt.

Eine so satirisch gefärbte Klage, wie Arnim sie über den verzweifel-ten Dichter Ixion schreibt, kann sich also auf die Vorlagen Lukiansstützen.321 Für Lukian wie für Arnim geht es dabei vor allem darum,daß die Götter den Menschen nach Belieben täuschen und mißhandelnkönnen. Arnim setzt sich immer wieder mit diesem Thema auseinan-der;322 es ist schon durch das erste Dichterliebe-Gedicht bekannt: Jo er-ging es im Prinzip nicht anders als Ixion. Sie wurde Opfer von Heraund Zeus. Untersucht man jedoch den eingangs erwähnten Brief Ar-nims an Brentano, dann erschließt sich eine etwas andere Deutungnicht nur des Ixion, sondern auch der Io. Denn Arnim begleitet seineAbschrift des Ixion für den Freund mit folgenden Worten:

Ich komme mir zuweilen vor wie ein gemeiner Kerl, ich kann so vieles nichtwas ich will und will auch nicht immer was ich kann. Umkehren will undkann ich nicht, aber ich scheue es auch nicht am Schlusse des Ariel zu sagen,wie einer der Weltkinder ohne besondere Anlage oder Studium blos weil erfrey die Welt ansah, Wunder in seinem Gemüthe that. Wunder ist Ueber-gang, jeder Uebergang ist ein Wunder wie er sey vom Hellen zum Dunkelvom Dunkel zum Hellen.

Denn was das höchste der Liebe istDas läst sich nur einmal fühlen,Und was das Höchste des Lebens ist,Nur gegen das Höchste verspielen.

Das ist das Wesen der Schönheit daß sie dem Auge verschwindet um demGeist gegenwärtig zu bleiben.323

321 Arnim fehlt in Manuel Baumbachs umfangreicher Studie über die Lukian-Rezep-tion; Vgl. Baumbach 2002. Dieser Umstand verwundert nicht. Arnim wurde zu sehrals ein enthusiastischer Sammler von Volksliedern wahrgenommen, als daß manSpuren der lukianschen Schriften in seinen Texten vermuten würde.

322 Über die Täuschung vgl. Arnim 1989–94, Kommentar, V, S. 1361.323 Arnim an Brentano, in: Arnim u. Brentano 1998, Brief 38, S. 229 [Hervorhebung im

Original].

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3. Achim von Arnim: polyperspektivische und multi-mediale Poetik 101

Beziehen sich diese Sätze auf Ixion, dann zeigen sie erstens, daß Arnimmit dem Gedicht Zweifel an seinem eigenen Wollen und Können ver-anschaulicht. Diese Zweifel tauchen auch an anderer Stelle auf: SeinAriel gilt Arnim als „Zweifelsprophet“.324 Auf seinen Reisen – undnicht zuletzt durch die Trennung von Brentano – will Arnim die „Ge-wohnheit“ zu arbeiten verloren haben.325 Brentano erging es – nach ei-genem Bekunden – ebenso.326 Ixion steht also auch für eine einsame,unproduktive und zweiflerische Zeit. Zweitens geben die Sätze Arnimsüber seine Wahrnehmung des eigenen – möglicherweise ganz unbegab-ten, aber freien – Tuns Aufschluß: darauf, daß er es als „Wunder in sei-nem Gemüthe“ ansehe, also als etwas, das ausschließlich auf die eigenenEmpfindungen zielt und es mit einem geheimnisvollen „Uebergang“ zutun hat. Er verbindet diesen Aspekt – drittens – mit Aussagen über Lie-be und Schönheit. In all diesen Fällen geht es um Grenzerfahrungen:Liebe erscheint als einmalig; das „Höchste des Lebens“ läßt sich nurdem ‚Höchsten‘ abringen – und die Schönheit scheint diese beiden Er-fahrungen zu umschließen. Im Schriftbild des Briefs ist die abschlie-ßende Bemerkung über die Schönheit gegen die beiden vorhergehen-den abgesetzt – so als handele es sich um eine Bilanz: Als „Wesen derSchönheit“ erweise sich zum einen, daß sie nicht mehr gesehen, also mitdem Auge wahrgenommen werde; zum anderen, daß nur noch der„Geist“ sie vergegenwärtige. Schönheit muß verschwinden, um als sol-che zu gelten.

Die Gedichte über Ixion und Jo erscheinen gleichermaßen in einemneuen Licht, nimmt man diese Selbstaussage als poetologische Äuße-rung ernst. Ixion jagt – motiviert durch Liebe, gereizt durch den Glau-ben, er sei Gott – der göttlichen Schönheit nach, die sich aber nicht fas-sen läßt. Umgekehrt hat Zeus ein Auge auf Jo geworfen, der er sichaber – wie Ixion der Hera – nicht nähern darf. Im Blick auf diese gedop-pelte Konstellation erscheint die Götterwelt in Ixion doch nicht so ne-gativ wie beschrieben. Denn Arnim verbindet Mensch und Gott untereinem Aspekt: Die Schönheit erhaschen sie gleichermaßen nicht; siesteht sowohl über den Göttern als auch über den Menschen. Schönheit

324 Arnim an Brentano, Zürich den 9 July 1802, in: Arnim u. Brentano 1998, Brief 9,S. 16–23, hier S. 16 f.

325 Arnim an Brentano, [London (?), Mitte April 1912], in: Arnim u. Brentano 1998,Brief 39, S. 229–232, hier S. 230.

326 Brentano an Arnim, Marb[urg] 3 April 1804, in: Arnim u. Brentano 1998, Brief 37,S. 220–223, hier S. 221.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen102

bleibt notwendigerweise unerreicht. Daß sie allerdings in den poetolo-gischen (Rollen-)Gedichten verschwindet, liegt nicht an ihrem ‚Wesen‘,sondern an der unüberwindlichen Grenze zwischen Götter- und Men-schenwelt. Einerseits kritisiert Arnim also die (poetologische) Annah-me von den zwei Welten, von einer idealisch-himmlischen und einerirdischen Sphäre aus anthropologischer und moralischer Sicht; ande-rerseits betrachtet er die Geschichte des Ixion (ebenso wie diejenige derJo) als Allegorie der Schönheit.

Vermittelt durch Wieland konnte sich Arnim mit einer ganz und garvom Menschen ausgehenden Kritik des Götterhimmels vertraut ma-chen, die das privilegierte Leben höherer Wesen anzweifelt. Damitsteht Arnim aber noch sehr viel unmittelbarer als mit Ariel’s Offenba-rungen in jener Tradition spätaufklärerischer Poetik, wie sie im Aus-gang des 18. Jahrhunderts durch Wieland veranschaulicht wurde. InIxion geht es – mit Lukian – um die satirische und moralische Anklageder Mächtigen: der Götter wie ‚der Reichen‘, zugleich aber auch dar-um, ein umfassendes Bild vom Menschen und vom Dichter zu entwik-keln, das Tugenden und Laster gleichermaßen berücksichtigt. Mit sei-nem Ixion verändert Arnim die polyperspektivische Form Lukiansbzw. Wielands zugunsten der Perspektive des Dichters Ixion. Dierhythmisierte Gedichtform veranschaulicht die Leiden des Dichter-In-dividuums und stellt das Geschehen im Götterhimmel bzw. im Hadeseinprägsam dar. Was bei Wieland und Lukian distanziert klingt, über-führt Arnim hier in eine ‚unmittelbare‘ Form; er entscheidet sich zu-gunsten Ixions. Den Leser läßt er mit dem verzweifelten Dichter leiden,der zu viel wagte, der Sklave seiner Hybris wurde. Damit stellt er nocheinmal das Thema Phaëtons heraus, wendet es aber skeptisch: Ixionweist kein Komplementärgedicht auf; es steht allein und zeigt den anGötterhimmel und Menschenerde gescheiterten Dichter.

Arnims lukianische Ixion-Sicht findet noch im Ausgang des 19. Jahr-hunderts einen Nachahmer, nämlich Oscar Linke, der Ixion naturali-stisch umdeutet und sich formal an Arnims Gedicht anlehnt: LinkesIxion aber erscheint nunmehr als Held, Hera als die betrogene Gattindes Zeus, die der titanenhafte ‚Dichter-Charakter‘ liebt und begehrt.327

Diese ungebrochene und heldische Sicht Ixions erlaubt sich Arnimnicht. Gleichwohl weist sein Ixion heldenhafte Züge auf: Er riskiert et-was. Anders als Hölderlin, dessen Dichter in seinen 1800/1801 entstan-denen Texten noch zwischen Wirklichkeit und Götterwelt schwankt;

327 Siehe dazu Kapitel V. 2. dieser Untersuchung.

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3. Achim von Arnim: polyperspektivische und multi-mediale Poetik 103

anders als der Orpheus des Novalis, der sich nicht in die Unterwelt,sondern nur in den Musentempel wagt, stürmt der dichtende MenschArnims den Götterhimmel. Arnims Ixion trotzt der Gefühlspoetik desNovalis ebenso wie dem orphischen Bild vom Dichter, der zwischenden Welten wandelt: Sein Ixion aber droht am eigenen Mut zugrundezu gehen. Zahlreiche Impulse empfängt Arnim zu diesem Zweck zwarvon Schlegels reflexiver Universalpoetik, aber immer wieder führt erdie Grenzen poetologischer Reflexion vor. Arnims polyperspektivi-sches Poesie-Modell geht davon aus, daß der Dichter zwischen ver-schiedenen Rollen wählen muß und die eigene Reflexionsfähigkeitnicht überschätzen darf. Glauben und Handeln des Dichters sollten umdie Grenzen des Poetischen wissen, denn das Reich der Poesie erstrecktsich nicht unendlich. In den Texten des frühen Arnim findet die refle-xive Universalpoetik deshalb einerseits ihre Umsetzung, andererseitsaber auch ihr Gegenstück; sie wird ad absurdum geführt.

In seinen poetologischen Gedichten greift Arnim ganz unterschied-liche Poetiken auf: Poetiken der Antike, der Aufklärung und der Ro-mantik. Entnimmt er letzteren den Problemhorizont für seine Texte, soerweist sich die Art und Weise der Reflexion über diese Poetiken als tra-ditionell, vergleicht man sie mit den romantischen Dichtungslehren derJenaer und Berliner Kreise. Arnim spielt Ideal und Wirklichkeit gegen-einander aus und kommt zu einer spannungsvollen Lösung im Sinnedes spätaufklärerischen Romans:328 Er gestaltet in Figuren, Positionenund Bild-Text-Spielen, was ihm die überlieferten Poetiken und Ästhe-tiken überantworten. Wenn er auch mit seiner Rede über Das Wandernder Künste und Wissenschaften Neigungen zu einem religiös gefärbtengeschichtsphilosophischen Poesie-Modell erkennen ließ, dann formu-liert er doch keine neue poetologische Lehre. Vielmehr eröffnet er demLeser Perspektiven auf unterschiedliche Poetiken. Arnim stößt ihn da-bei immer wieder auf einen zentralen Konflikt: auf den Gegensatz zwi-schen idealischer oder ‚schwärmerischer‘ und ‚realistischer‘ oder kriti-scher Poetik. Wie Wieland variiert er diesen Dualismus, indem er ihnam Beispiel der unterschiedlichen Rollen des Dichters darbietet und andem mißt, was er für ‚menschlich‘ hält. Poetik ist hier nach wie vor zueinem erheblichen Teil Anthropologie; im Falle des Novalis und Höl-derlins war sie es auch, wenn auch unter den Vorzeichen von Gefühlund Ideal. Von Grenzen der Poesie ließ Novalis, der den normativenPoesie-Begriff der Aufklärung überhaupt erst erweiterte, noch nichts

328 Siehe dazu die Schlußbemerkungen im vorherigen Abschnitt.

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II. „Poesie der Poesie“: reflexive Universalpoesie und ihre Grenzen104

ahnen; Hölderlin hingegen steht nach seiner ‚skeptischen Wende‘ be-reits für die Grenzen einer „Poesie der Poesie“ ein. Arnim treibt diesenoch weiter, spielt Poesie so lange universalreflexiv durch, bis sie sinn-los wird. Seine frühe romantische Lyrik erweist sich deshalb erstaunli-cherweise auch als anti-romantisch.

Die schwäbische Romantik teilt zahlreiche Vorlieben mit der eigen-sinnigen und vielschichtigen Poetik Arnims: diejenige für eine natürli-che und diejenige für eine wirklichkeitsnahe Poetik beispielsweise. AmBeginn des 19. Jahrhunderts setzt sie diese noch vergleichsweise tradi-tionell um; im Laufe der 1820er und 30er Jahre wird ihr erst recht zumProblem, was in den Jenaer, Berliner und anderen romantischen Dich-terkreisen angelegt ist: Die Reflexion befriedigt nicht mehr. Ihre Erklä-rungs- und Spiegelungsleistungen dienen zwar der Selbst- und Fremd-kritik, der Wahrheit und dem historischen Verstehen, aber Reflexionallein vermittelt keine Orientierung. Sie wirkt unproduktiv – als ver-hindere ausgerechnet sie jene ‚humane‘ Poesie, nach der sich die Zeit-genossen sehnten.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik:Reflexion als Problem in der Epoche

der „Reflexionsbildung“

Die schönen Tage der griechischen Kunst wie die goldene Zeit des späterenMittelalters sind vorüber. Die Reflexionsbildung unseres heutigen Lebensmacht es uns, sowohl in Beziehung auf den Willen als auch auf das Urteil,zum Bedürfnis, allgemeine Gesichtspunkte festzuhalten und danach das Be-sondere zu regeln, so daß allgemeine Formen, Gesetze, Pflichten Rechte,Maximen als Bestimmungsgründe gelten und das hauptsächlich Regierendesind. Für das Kunstinteresse aber wie für die Kunstproduktion fordern wirim allgemeinen mehr eine Lebendigkeit, in welcher das Allgemeine nicht alsGesetz und Maxime vorhanden sei, sondern als mit dem Gemüte und derEmpfindung identisch wirke, wie auch in der Phantasie das Allgemeine undVernünftige als mit einer konkreten sinnlichen Erscheinung in Einheit ge-bracht enthalten ist. Deshalb ist unsere Gegenwart ihrem allgemeinen Zu-stande nach der Kunst nicht günstig. [...] In allen diesen Beziehungen ist undbleibt die Kunst nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung für uns ein Ver-gangenes.1

Hegel beginnt seine Vorlesungen über die Ästhetik (1817/18–1828/29) –in der stark bearbeiteten Druckfassung von Heinrich Gustav Hotho(1835/1842)2 – mit einem harten Urteil: Ihm gilt die Kunst der Epocheals minderwertig. Sie entspreche ihrer „höchsten Bestimmung“ nicht

1 Hegel 1986, XIII, I., S. 25.2 In ihrer Edition der Nachschrift, die der Hegel-Editor Hotho von Hegels Berliner

Ästhetik-Vorlesung (1823) anfertigte, zeigte Annemarie Gethmann-Siefert, daßHotho die Ästhetik Hegels stark verändert, dem streckenweise unsystematischenund undogmatischen Vortrag jene systematische Ordnung erst verleiht, die ihn imUrteil der Rezeption des 19. und 20. Jahrhunderts auszeichnet; dies.: Einleitung, in:Hegel 1998, S. XV–CCXXIV, bes. S. XC f. Weil es mir hier weniger auf Hegels Aus-sagen selbst, als vielmehr auf ihre Rezeption ankommt, die sich an der HothoschenAusgabe orientiert, zitiere ich nach der Edition Hothos, vergleiche den Text aber ansystematisch wichtigen Stellen mit der Nachschrift. – Für die Zitate aus der Hotho-Edition wäre korrekter von einem Autor- und Editor-Duo Hegel-Hotho zu spre-chen; ich unterlasse dieses um der besseren Lesbarkeit des Texts willen und sprecheschlicht von Hegel.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik106

mehr, reiche nicht an die ‚wahre‘ Kunst der Griechen und des spätenMittelalters heran. Denn diese habe im sinnlichen Ausdruck noch dasAllgemeine (Formen, Gesetze, Pflichten, Rechte, Maximen) mit demBesonderen (Empfindung) verbunden. Kunstproduktion und -rezep-tion erwiesen sich aber nunmehr als gehemmt; sie neigten zu sehr demAllgemeinen zu, mehr noch: Sie erschienen als durch Formeln und Ge-setze beherrscht, weil sie ihren Ursprung verloren hätten. Weil derKunstbetrachter deshalb nicht mehr bloß genießen könne, was ihmdargeboten werde, sondern es immer zugleich beurteilen wolle, folgertHegel, daß die ‚neue‘ Kunst in besonderer Weise der Wissenschaft be-dürfe, und zwar der philosophischen Ästhetik. Nur sie werde dieserKunst und der neuen Form der Kunstbetrachtung gerecht, weil erst siedie Bedeutung der Reflexionskunst erkennen könne.

Das harte Urteil Hegels erfüllt gleich zwei Aufgaben: einerseits be-nennt es ein epochales Problem der Kunst, nämlich dasjenige der „Re-flexionsbildung“. Andererseits dient es dazu, Ästhetik selbst ge-schichtsphilosophisch zu begründen. Schon deshalb wäre es falsch zubehaupten, Hegel hätte mit seinem Urteil die These vom Ende derKunst vorweggenommen.3 Vielmehr beschreibt er einen Verlust, denVerlust der Kunst „nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung“ undwill mit seiner Ästhetik auf genau diesen Verlust reagieren, um Kunst-produktion und -rezeption im Zeitalter der „Reflexionsbildung“ insrechte Licht zu setzen. Aus diesem Grund ergänzt er seine Diagnoseum genaue Beobachtungen im Detail. Unter „Reflexion“ versteht erdabei „die allgemeine Gewohnheit des Meinens und Urteilens über dieKunst“,4 die Kunsterfahrung und Kunstproduktion belasteten. Selbstder Künstler könne sich von dieser Reflexion nicht befreien und zu ei-nem vorreflexiven Zustand zurückkehren; er laufe deshalb Gefahr,„mehr Gedanken“ in sein Werk „hineinzubringen“ als diesem gut täte.5

Hegels Urteil über den Zustand der Kunst bewegt schwäbischeDichter und Denker, die in den 1830er und 40er Jahren seine Schriftenstudieren, durch Hegel ihre philosophische Erweckung erleben und die

3 Über die These, am Beginn der Moderne sei die Kunst an ihr Ende gekommen undüber seine Rezeption Gethmann-Siefert: Einleitung (wie Anm. III., 2), S. XXII f.Gethmann-Siefert zeigt, daß es sich dabei nicht um eine Erfindung Hothos handelt,sondern daß Hegel diese Auffassungen in seiner Vorlesung von 1823 selbst formu-liert. Über das Fortleben der These als ‚Gerücht‘ in der Ästhetik des 20. JahrhundertsGeulen 2002.

4 Hegel 1986, XIII, I., S. 25.5 Ebd.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik 107

Dialektik als einzig wahre Denkmethode betrachten. Im Schwaben die-ser Jahre treffen Welten aufeinander: der spekulative Gedankenhori-zont der Hegelianer, der schwäbische Protestantismus einer erstarrtenOrthodoxie, der Zweifel am Christentum und der Verlust des eigenenGlaubens, mystische Lehren in der Nachfolge Jacob Böhmes, die poli-tischen Forderungen des ‚Jungen Deutschland‘ und – nicht zuletzt – ei-ne Poesie, die das Unmögliche versucht, die ‚hinter‘ die Reflexion (imSinne Hegels) zurückgehen will. In einer derartigen geistigen wie poli-tischen Gemengelage wird die mentale Orientierung des Individuumszur existentiellen Frage. Es muß sich zwischen überkommenen Tradi-tionen und neuen Orientierungen zurechtfinden, die Zündstoff bergenund die eigene bürgerliche Existenz gefährden könnten.

Die Briefe und Schriften Eduard Mörikes (1804–1875), FriedrichTheodor Vischers (1807–1887) und David Friedrich Straußens(1808–1874) bezeugen es. Alle drei werden in Ludwigsburg geboren,kennen sich seit Kindertagen, studieren gemeinsam in Blaubeuren undTübingen Theologie, u. a. bei dem „erste[n] quellenmäßig und metho-disch arbeitenden Religionsgeschichtler seiner Zeit“, bei FerdinandChristian Baur (1792–1860).6 Man pflegt nicht nur die Freundschaft, fei-ert Goethes und Hegels Geburtstag, ‚kneipt‘ gern und reichlich, son-dern schickt sich auch Texte, wissenschaftliche ebenso wie literarische,kritisiert und rezensiert sich wechselseitig, stiftet Kontakte. Dies rege‚commercium litterarium‘ ruht aber nicht nur auf Freundschaft; viel-mehr wissen sich Mörike, Vischer und Strauß durch eine gemeinsame –anti-orthodoxe – Überzeugung verbunden: Ihnen kommt es – im Sinnedes ‚liberalen‘ Vorbilds Schiller – auf den ‚ganzen Menschen‘ an. Philo-sophie, Theologie, Ästhetik und Literatur sollen nunmehr dazu dienen,die Bedürfnisse des Menschen besser zu erfassen, zu beschreiben und hi-storisch zu ordnen. Anders gesagt: Die Reflexion hat – im Prinzip – vor‚dem Menschen‘ zurückzustehen. Er gilt als das Maß aller Dinge.

In der Poetik der drei finden sich diese Überzeugungen wieder – miterheblichen Unterschieden allerdings, was ihre genaue Ausgestaltunganbelangt. Auch wandeln sich die Anschauungen der Freunde im Laufeder Zeit: Wenn sie den Menschen am Beginn ihrer Laufbahnen als einschon vollkommenes Wesen preisen, wie Jungdeutsche in den 1830erJahren mit dem Zweifel am Religiösen ebenso wie an der Gesellschaftkämpfen, dann setzen sie im Ausgang dieser Kämpfe immer mehr auf

6 Das Zitat stammt von Ernst Barnikol; Scholder 1980, S.354.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik108

ein neuhumanistisches Bildungskonzept, das sich im Ausgang vonGoethe, Schiller und Wilhelm von Humboldt entwickelt. Es be-steht – in zahlreichen Varianten des 19. Jahrhunderts – aus zwei Grund-merkmalen:7 erstens verfolgt es als höchsten Wert und Zweck die Bil-dung des Individuums, des ‚ganzen Menschen‘. Ihn gilt es, zu Autono-mie (nicht zu „gemeiner Brodkenntnis“)8 und zur (politischen) Teilha-be an der ‚societas‘ zu erziehen. Zweitens betrachtet dieses Bildungs-konzept das Studium vor allem der griechischen Antike als Weg dort-hin, weil sie dieses Bildungsideal bereits verwirklicht, Wahres, Gutesund Schönes in „classische[r] Form“ ausgebildet habe.9 Im Mythos vonder Wahlverwandtschaft der deutschen und der griechischen Nationerklärt sich der Neuhumanismus darüber hinaus zum nationalen Bil-dungsauftrag.

Das Vertrauen auf den künstlerisch-unmittelbaren oder sogar „nai-ven“ (im Sinne von ‚ursprünglichen‘) Ausdruck,10 der mehr gilt als derreflektierte und theoretisch vermittelte, ist das erste entscheidende poe-tologische Ergebnis dieses Neuhumanismus. Das zweite betrifft jeneLiteraturvorstellungen, die sich am ‚Klassischen‘ orientieren und eineästhetische Orientierung von Literatur befördern. Vor dem Hinter-grund und mit Hilfe des neuhumanistischen Bildungskonzepts (beson-ders seiner poetologischen Aspekte) lernen reflexionsgeplagte Gelehrtewie Vischer und Strauß nach und nach, mit ihren Zweifeln umzugehen.Im Ausgang aus dem mühevollen Lernprozeß kehren Hegels Schülersein Urteil über die „Reflexionsbildung“ ‚in praxi‘ um: Die geläutertenschwäbischen Meisterdenker bekennen, selbst am liebsten Dichteroder – im Falle Vischers – auch Maler geworden zu sein. Aber als Dich-ter fühlen sie sich dem Genius Mörikes unterlegen. Er erscheint ihnenals der ‚wahre Dichter‘, als der ‚menschliche Poet‘, als der ‚poetische‘bzw. ‚poetisierende Mensch‘ – eine Sichtweise, die im Jahr 1930 er-staunlicherweise durch Friedrich Gundolf neue Aufmerksamkeit er-fährt (1. Teil).

Aufgrund ihres Mißtrauens gegenüber der Reflexion und aufgrundihres neuhumanistischen Dichter-Bilds sehen sich die Schwaben in ent-

7 Die Darstellung folgt Landfester 2000, S. 93–95; siehe auch Cancik 1998.8 So formuliert es der einflußreiche Schulpolitiker Friedrich Immanuel Niethammer

(1766–1848) in seinem bildungspädadogischen Programm aus dem Jahr 1808; Can-cik 1998, S. 321.

9 Ebd.10 Vischer spricht vom „naiven“ Dichter Mörike; ders. 1975, S.7 u. passim.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik 109

schlossener Gegnerschaft zur Jenaer und Berliner Romantik, aber auchzu Aspekten der Romantik im schwäbischen Umfeld. Unter Romantikverstehen sie dabei vielerlei: einen Hang zum Phantastischen und Sub-jektiven, aber auch eine unproduktive Neigung zur Selbstbespiegelungdes Künstlers (Reflexion im zweiten Sinne).11 Eine derartige, eine bloßsich selbst bespiegelnde Kunst, wie Friedrich Schlegel sie verhieß, voll-bringt – nach Strauß, Vischer und Mörike – keine menschlich wertvol-len Taten, sondern verherrlicht sich bloß selbst (2. Teil). Gegnerschaf-ten wie diese gehen aber nur in differenzierter Weise in das ästhetischeDenken ‚nach Hegel‘ ein: Nicht jede Form der Reflexion erweistsich – nach Vischer – als problematisch. Auf Reflexion – im Sinne vonMeinen und Urteilen – läßt sich in der Literatur also doch nicht ver-zichten. Vischer sieht sich deshalb genötigt, „Reflexionsbildung“ undkünstlerische Naivität in Einklang zu bringen (3. Teil).

Vorliegender Versuch, das poetologischen Denken des schwäbischen‚Triumvirats‘ Mörike, Strauß und Vischer vor dem Hintergrund derSchlegel- und der Hegel-Rezeption zu ermitteln, kann sich auf zahlrei-che Studien stützen: Strauß und Vischer sind als Jung-Hegelianer so be-rühmt wie berüchtigt.12 Wenn sie Hegels Grundgedanken weiterspin-nen, dann lösen sie sich allerdings von ihrem Meister. Sie suchen nachLösungen – nicht zuletzt für das Problem der „Reflexionsbildung“.Für Mörike wurde der Bezug auf dieses Problem bislang nicht wahrge-nommen. Ein Einfluß Hegels läßt sich für Mörike auch nur mittelbarnachweisen, nämlich über Vischer, dem Mörike sein Interesse an He-gels System bekundet und von dem sich Mörike darüber unterrichtenläßt. Zwar stellte man für Mörikes Lyrik eine Tendenz zur Subjektivie-rung fest und sah in ihr den Beginn des Denkmusters einer Subjektivie-rung der Lyrik, das sich durch das 19. Jahrhundert (bis hin zu Lilien-cron) ziehe.13 Aber es ließ sich bislang nicht erklären, weshalb dieseTendenz der Subjektivierung ausgerechnet bei Mörike einsetzte. DerBlick auf die Hegel-Rezeption hilft hier weiter. Denn erstens kann Mö-rike Hegels Kritik an der „Reflexionsbildung“ aufnehmen und sich

11 Über diese begriffliche Unterscheidung Abschnitt I. 3. dieser Untersuchung.12 Der kritische Bezug auf Hegel wurde für Vischer wie für Strauß oft herausgestellt.

Für letzteren siehe Sandberger 1972 und Graf 1982; für Vischer: Glockner 1931,S. 72–110; Oelmüller 1959, S. 183–213; Göbel 1983, S. 50–77. Sofern Vischers „Aes-thetik“ mit der hegelschen verglichen wird, steht in der Forschung die Metaphysikim Vordergrund. Poetologische Fragen im engeren Sinne werden nicht behandelt;zur Gattungspoetik nur Willems 1981.

13 Schlaffer 1984.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik110

zweitens von Vischer darüber informieren lassen, daß Lyrik – mit He-gel – Subjektivität ausdrückt. Dieser poetologische Zusammenhangvon Reflexionskritik, emphatischer Subjektivität und der Ablehnungeiner bloß sich selbst bespiegelnden Romantik wurde bisher übersehenund wird hier erstmals nachgezeichnet.14

Doch ist es nicht allein die Hegel-Rezeption, die Mörike, Vischerund Strauß beeinflußt, sondern auch die Poesie selbst: Wie bedeutsamdie Auseinandersetzung mit der ersten schwäbischen Dichter- undDenkergeneration, mit Ludwig Uhland und dem Magnetiseur JustinusKerner für die Poetik der ‚späteren Schwaben‘ ist – all das deuten nurwenige Studien an.15 Die nachstehende Untersuchung hingegen beginntmit Kerner und erblickt in ihm einen wirkungsmächtigen Poetiker desfrühen 19. Jahrhunderts, begnügt sich aber zunächst mit einem kontro-versen Aspekt der Lyrik Kerners und kommt an anderer Stelle auf seineTexte zurück.16 Darüber hinaus hebt sie einen unentdeckten poetologi-schen Schatz: das poetologische Denken von David Friedrich Strauß.Es verwundert nicht, daß die germanistische Wissenschaftsgeschichtevon dessen Existenz bislang nichts ahnte: Die Nachwelt sah in Straußeinen ‚frühreifen‘ Religionskritiker, der das Neue Testament in Ge-schichten zerlegte und damit an den Grundfesten des Glaubens rüttel-te. Hier wird er erstmals als ein Poetiker entdeckt, der dem populärenanti-romantischen Urteil Vorschub leistete – und zwar durch seine Kri-tik an der Reflexionspoesie Friedrich Schlegels und Ludwig Tiecks.Gemeinsam mit Vischer und Mörike sucht Strauß nach dem verlorenenUrsprung, nach Naivität und Harmonie – nach Gegenbildern zu einererstarrten Sebstbespiegelung, zu einem strengen Systemdenken und zueiner religiös wie politisch ausgesprochen kontroversen Zeit.

14 Todorow hat diesen Zusammenhang im Prinzip erkannt, aber sie verschenkt dasdenk- und wissensgeschichtliche Potential, das in ihm liegt, indem sie die Theorie-bildung der Ästhetiken und Poetiken künstlich von der Lyrik trennt und gegenein-anderstellt; dies. 1981, S. 242 f.

15 Vorbildlich ist hier der Marbacher Katalog über Kerner, Uhland und Mörike; Berg-old, Salchow u. Scheffler 1992.

16 Siehe Abschnitt V. 1.

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1. Schwäbische Dichterkreise: Poetik des ‚ganzen Menschen‘ 111

1. Schwäbische Dichterkreise:Poetik des ‚ganzen Menschen‘

Der schwäbische Dichterstande treibt gern dreiblättrig. Uhland, Kerner,Schwab in älterer, Mörike, Waiblinger und unser Ludwig Bauer [...] in jün-gerer Generation.17

Zur ersten Generation schwäbischer Dichter, die gemeinsam in Tübin-gen studiert und sich gegen die Romantik der Schlegels und Tiecks ab-setzen will, gehören – nach dem Bonmot von Strauß – der dichtende‚Zwangsjurist‘ Ludwig Uhland (1787–1862), Politiker und Germanistin Personalunion,18 Justinus Kerner (1786–1862), Physiologe, Nerven-arzt und ‚Geisterseher‘ aus Weinsberg, und Gustav Schwab (1792–1850).19 Vischer, Strauß und Mörike spotten über ihn als bloßes An-hängsel Uhlands. Die zweite Dichtergeneration (die „Orplid-Gruppe“)umfaßt Mörike selbst, Wilhelm Waiblinger (1804–1830) und LudwigBauer (1803–1846).20 Erstaunlicherweise verschweigt Strauß in seinerAufzählung des schwäbischen Dichterstands aber, daß er und Vischergleichfalls dichteten und somit in gewisser Weise zur zweiten Poeten-Gruppe zählten. Daß Strauß die Literatur der Gelehrten nicht viel galt,belegt aber bereits, wie sehr er als ein Vertreter des Jung-Hegelianismusversuchte, Reflexion und Kunstschaffen nicht nur zu trennen, sonderndie Reflexion zugunsten ‚unverfälschten‘ Ausdrucks aus dem Kunst-schaffen auszublenden.

Strauß konnte diese Sehnsucht nach einem unmittelbaren Ausdruckder poetologischen Lyrik Kerners, Uhlands und Mörikes entnehmen:der Begeisterung für die Natur, dem Sängerkult und der poetische Me-ta-Reflexion (Abschnitt a). Seit den Standardwerken von Heinz Schlaf-fer (1966), Renate von Heydebrand (1972) und Gerhart von Graevenitz(1978) gelten Mörikes Gedichte nicht mehr nur als biedermeierlicheZeugnisse eines harmonischen Lebens, sondern als Zeugnisse für eine

17 D. F. Strauß 1847a, S. 489.18 Uhland nahm an der sog. ersten Germanisten-Versammlung im Jahr 1846 teil und

widmete sich vor allem der Mittelalterphilologie; siehe dazu Schweikle 1988, bes.S.149. – Er gab seine Professur an der Universität Tübingen aber bereits im Jahr 1833auf und lehnte seine Einsetzung als Honorarprofessor im Jahr 1848 ab; Meves 1999,S. 102, Anm. 84.

19 Seit Heinz Otto Burger (1928) wird dieser Kreis auch als „schwäbische Romantik“beschrieben; Borst 1988, S. 39 f.

20 Siehe über die literarische Gruppenbildung der zweiten schwäbischen Dichtergene-ration Graevenitz 1978, S. 87–151.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik112

lebensnahe Autonomieästhetik,21 als Produkte eines ebenso subjekti-ven wie geselligen und politischen Dichtens,22 das sich bis zu den Klop-stockschen Gruppenbildungen zurückverfolgen läßt.23 Aber einessparten diese Mörike-Interpretationen weitgehend aus: den Kontextder Romantik. Hier wird er als Anschauungsbereich für den zentralenpoetologischen Konflikt dichtender und denkender Zeitgenossen der1830er und 40er Jahren aufgefaßt – als Anschauungsbereich für dasProblem der „Reflexionsbildung“, das ein ‚ursprüngliches‘ Dichten indem Sinne, wie Hegel es für die Antike und das späte Mittelalter be-schreibt, unmöglich macht. Dabei sind Jenaer, Berliner und schwäbi-sche Romantik streng zu unterscheiden: erstere erweist sich – nach Mö-rike, Vischer und Strauß – als bloßes Symptom der historischen Pro-blemlage. Letztere hingegen ist nicht nur Teil der Regionalkultur, son-dern bildet ihre Landeskinder, indem sie ihnen den Stempel der Refle-xionskritik aufprägt. In der Folge dieser Kritik schließen Mörikes Ge-dichte an poetologische Tendenzen an, wie sie im ersten schwäbischenDichterkreis angelegt sind. Sie suchen nach Lösungen für das Problemder „Reflexionsbildung“ (Abschnitt b).

a) Magnetismus, Sängerkult und meta-reflexive Poesie:Justinus Kerner, Ludwig Uhland und Eduard Mörike im Urteil

von David Friedrich Strauß und Friedrich Theodor Vischer

„[...] ihr Meister heißt – Natur!“, so formuliert Kerners Sprecher imletzten Vers seines Gedichts Die schwäbische Dichterschule emphatischüber diesen Poetenkreis.24 Er greift damit aber nicht einfach das über-lieferte ‚mimesis‘-Gebot auf, sondern überbietet es bereits: Die schwä-bische Dichterschule ahmt nicht nur Natur nach, sondern will Poesieganz in ihr aufgehen lassen. Dieser Kult des Natürlichen, der mit derNovalis-Verehrung Uhlands und Kerners einhergeht und sich der Na-turphilosophie Schellings sowie (im Falle Kerners) der Rezeption JacobBöhmes verdankt,25 kennzeichnet aber nur einen Aspekt der reichen

21 Heydebrand 1972.22 Über den politischen Mörike F. Meyer 2001.23 Für das subjektive Dichten Schlaffer 1984, S. 17–70; für das gesellige Graevenitz

1978.24 Kerner: Die schwäbische Dichterschule, in: Kerner 1914, S.22.25 Vgl. Borst 1988, S. 48 u. passim.

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poetologischen Programmatik schwäbischer Dichter, und zwar denje-nigen, der unter ihnen unstrittig ist. Von einem Gedicht, das Die schwä-bische Dichterschule betitelt ist, läßt sich auch kaum anderes erwarten.Hier geht es um den kleinsten gemeinsamen Nenner.26

Ganz anders verhält es sich mit dem poetisch-poetologischen Den-ken einer geheimnisvollen und dunklen Innerlichkeit. Sein poetologi-sches Gedicht Poesie drückt es aus:

Poesie ist tiefes Schmerzen,Und es kommt das echte LiedEinzig aus dem Menschenherzen,Das ein tiefes Leid durchglüht.

Doch die höchsten PoesienSchweigen wie der höchste Schmerz,Nur wie Geisterschatten ziehenStumm sie durchs gebrochne Herz.27

Poesie taucht in zahlreichen Übersetzungsanthologien des 19. Jahrhun-derts auf, und zwar beinah genauso oft wie Goethes Der Sänger.28 Dar-über hinaus wird Poesie zum Aphorismus über ihren Gegenstand ge-adelt.29 Diese ungewöhnliche Karriere der acht Verse erklärt sich aus ih-rer Schlichtheit. Was Poesie sei, das erschließt sich hier ohne ange-strengtes Nachdenken: Poesie ist „Schmerzen“ – ein Schmerzen, dasder Dichter selbst „tief[]“ empfindet und festhält.30 Als „echte[s] Lied“entsteht sie nur aus Leid. Aber diese Auffassung kennt noch eine Stei-gerung: „Höchste[] Poesie[]“ und „höchste[r] Schmerz“ schweigen. Esist kein Zufall, daß hier nicht mehr von ‚echter‘, sondern von ‚höchster‘

26 Zur Natur-Bildlichkeit in Kerners Lyrik Klenner 2002, S. 81 f.27 Justinus Kerner: Poesie, in: ders. 1914, S. 23.28 In Übersetzungsanthologien (vgl. Abschnitt IV. 2.) kommt „Der Sänger“ insgesamt

neunmal, „Poesie“ immerhin sechsmal vor. Hoch im Kurs stehen außerdem Anasta-sius Grün „Der letzte Dichter“ (fünf Erwähnungen), Schiller „Das Ideal“ (vier Er-wähnungen) und Uhland „Des Sängers Fluch“ (drei Erwähnungen). Das ist das Er-gebnis der Auswertung von: Baskerville 1845; Beresford u. Mellich 1822; Bernays1829; Broicher 1912; Brooks 1846; Buchheim 1875; Burt 1856; Galletly 1897; Hat-field 1901; Mac Donald 1897; Mangan 1845; Oppen 1866.

29 In diesem Sinne zitieren Eugen Wolff (1899, S. 18 f.) und Richard Zoozmann (1915,S.954) die ersten vier Verse des Gedichts. Während Wolff die Verse Kerners bloß po-lemisch gebraucht, um auf den begrenzten Wert dichterischer „Selbstgeständnisse“hinzuweisen, nimmt Zoozmann sie kommentarlos auf.

30 Die poetologische Begeisterung für den Schmerz kommt bereits aus Friedrich Schle-gels Gedichten bekannt vor; siehe die Einleitung zu Kapitel II. dieser Untersuchung.

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Poesie die Rede ist. Kerner zielt mit Poesie nämlich zum einen auf eineBestimmung von Poesie. Zum anderen stellt er sich einer kontroversenpoetologischen Frage: Er läßt seinen Sprecher die Grenzen zwischenpoetischem Genie und Wahn erkunden.31

Der ‚Patient Hölderlin‘ begleitet ihn dabei. Kerner betreute denDichter der ‚höchsten Poesie‘ in Autenrieths Klinikum, erfand in sei-nen Reiseschatten (1811) einen wahnsinnigen Dichter namens „Hol-der“ und besuchte Hölderlin kurz nach seiner Entlassung aus dem Kli-nikum (4. Mai 1807) im Tübinger Turm.32 Hölderlin muß den Medizi-ner-Dichter Kerner beeindruckt haben; offenkundig bestimmte seinePerson Kerners poetologische Lyrik – wenn auch nicht in Hölderlinshochreflektiertem und hochreflexivem Sinne. Denn Kerner spielt inPoesie mit keinem Wort auf einen Hölderlin-Text an; die Form vonPoesie kann allenfalls als Gegenstück zu Hölderlins komplexen Hym-nen und Oden gesehen werden, als Antwort auf eine formal und inhalt-lich potenzierte Dichtung, die sich jedem einfachen Verständnis ver-weigert. Während sie an ihren eigenen Anforderungen scheitert und –wie die „höchsten Poesien“ – zu verstummen riskiert, verhilft KernersSprecher seiner Diagnose – betont kunstlos – im schlichten Kreuzreimzu Klang und Sprache. Kerner spitzt die eigene Wahrnehmung der Per-son Hölderlins zu zwei schlichten Sätzen zu. Sie handeln über ‚echte‘(leb- und schreibbare) und ‚höchste‘ (gebrochene, nicht leb- undschreibbare) Poesie; die Diagnose des Sprechers von Poesie läßt keinenInterpretationsspielraum zu, was die Bewertung beider Typen vonPoesie betrifft. Allerdings irritiert das Attribut ‚höchste‘, das er dernicht leb- und schreibbaren Poesie verleiht. Schätzt er ‚höchste‘ Poesietatsächlich als besonders ein, oder soll der Begriff bloß eine extremeExistenz beschreiben? Für den genialischen Patienten jedenfalls, dersich für die „höchsten Poesien“ ‚entschied‘, hält Kerners Sprecher keinRezept bereit.33

31 In seiner Interpretation von „Poesie“ vernachlässigt Andreas Klenner (2001, S.87 f.)den Kontext des Magnetismus vollständig. Ihm erscheint der Text daher als trivial,theorielos und als Ausdruck von Kerners ‚Hypersensibilität‘.

32 Uffhausen 1984–85, S. 357 u. passim. Widerwillig half Kerner Leutnant HeinrichDiest, der Kerner auf Anraten von Achim von Arnim schrieb, die erste Sammlungvon Hölderlins Gedichten zu verfertigen. Denn Diest und Arnim galten ihm als„Ausländer“, die sich der heimischen Dichtung bemächtigten; Scheuffelen 1990,S. 71.

33 Waiblinger spinnt das Thema des genialischen Wahns in einem Roman fort: „Phaë-ton“ (1823), so heißt er in Anspielung auf den tollkühnen Sohn des Sonnengottes. Er

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Als Arzt und Magnetiseur widmet sich Kerner in der Seherin vonPrevorst (1829) psychogenen Erkrankungen, Somnambulie, Seherin-nen, kurz: magnetischen Phänomenen.34 Unter poetologischem Aspektgeht es ihm dabei um das „innere[] Leben[]“ des Menschen, um den„magnetischen Schlaf“, im eigentlichen Sinne kein Schlaf, sondern„eine Empfindung unmittelbarer Gewißheit, eine Ansicht des wahr-haftesten, eigensten Lebens und der Natur“, die den Menschen in sei-nen ursprünglichen Zustand zurückversetzt und dem kreativen Indivi-duum zu Poesie verhilft.35 Kerner schildert den „magnetischen Schlaf“mit mystischen Begriffen: als besonders helles Licht und als Wachzu-stand, der aber inhaltsleer bleibt.36 Der Weinsberger Magnetiseur be-müht sich um ein Wissensgebiet zwischen Mystik, Magie und Medizin,das im Ausgang aus der Physiologie der Aufklärung, aus der romanti-schen Naturphilosophie und aus dem Mesmerismus populär war,37 undvertritt eine passivische Mystik, die das Individuum seiner inneren Na-tur anheimgibt.38 Ihn fasziniert das besondere, das magnetische Indivi-duum, das sich qua Naturanlage auf sich selbst, auf das eigene dunkle,unerkennbare und ‚ursprüngliche‘ Ich beziehen muß.

Gleichwohl bleibt die genaue poetologische Bedeutung des Magne-tismus im Dunkeln und gibt Anlaß zu Spekulationen. Der RedakteurWolfgang Menzel (*1798) nimmt die Gelegenheit dazu wahr. Er vertritt

handelt von ‚einem Hölderlin‘, der durch das Streben nach den Göttern und nachGöttlichkeit verrückt wird. Vgl. dazu Abschnitt 3. b) über Arnims „Phaëton“-Ge-dicht. Über Waiblingers „Phaëton“ Graevenitz 1978, S. 53–84; über das Verhältnisder „Orplid-Gruppe“ – und speziell Waiblingers – zu Hölderlin ebd., S. 145.

34 Vgl. über den Komplex des Magnetismus im ausgehenden 18. und beginnenden19. Jahrhundert Fara 1996; über Kerner in diesem Zusammenhang Gruber 2000.

35 Kerner 1958, S. 21 f.; vgl. auch Kerner 1831.36 Strauß schildert diesen Zustand kritisch – und übrigens poetologisch; ders.: Justinus

Kerner [I], in: Strauß 1876–1878, I, S.119–174, hier S.148: „Das vom Dichter ersehn-te Jenseits ist an sich ein Leeres; es bekommt Inhalt nur durch die Gestalten des Dies-seits, welche in dasselbe verflüchtigt werden, ein Inhalt, der, indem er nur im Ver-schwinden entsteht, ein sich selbst aufhebender ist, im leeren Unendlichen ist aber sowenig als im Endlichen Befriedigung [...].“

37 Vgl. dazu Strautmann 1928; Grüsser 1987, bes. Kap.XII; vgl. – wenn auch ohne Ver-weis auf Kerner – Dürbeck 1998, S. 139 f. u. 240–252.

38 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß der christliche und gemäßigte Ar-nim der 1820er und 1830er Jahre mit Kerner in einen Streit über den „Geist der Men-schen“ gerät: Kerner betrachtet den „Geist der Menschen“ als mystisch durch dieNatur bewegt; Arnim hält dagegen, daß erst der menschliche Geist der Natur „Le-ben & Sprache“ verleihe. Arnim, Ludwig Achim v. an Kerner, Justinus 1820–1830,4 Bl., Bl. 2 f.

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die Position, daß ‚Geistersehen‘ und Dichten prinzipiell und auch imFall Kerners nichts miteinander zu tun hätten. Denn je achtbarer ihmder Dichter Kerner erscheint desto weniger schätzt er den ‚Geister-kundler‘.39 Indem sich Kerner gegen den Kritiker des Magnetismus ver-teidigt, stimmt er ihm erstaunlicherweise selbst zu. Denn im Vorwortzu Eine Erscheinung aus dem Nachtgebiet der Natur (1836) zieht Ker-ner selbst eine scharfe Trennlinie zwischen der Tätigkeit des Poetenund derjenigen des Naturforschers:

Sind sie [die ‚Geister‘] nun auch ganz gegen meine eigene Phantasie und Na-tur (was sie wirklich sind, und was ja auch Herr Dr. Menzel mit bezeugt), sokann ich sie nicht anders machen: denn der Naturforscher darf kein Dichtersein, er muß das Geschaffene in treuer Reinheit berichten [...]. Die Natur hatunsäglich viele Gestaltungen, die unserm Geschmack nicht zusagen, aus de-nen wir kein Lied und keine Idylle machen können, sie ändert deßwegen die-selben nicht.40

Auf der einen Seite steht das von der Natur „Geschaffene“, auf der an-deren das Reich der Poesie, das von „lyrischer Phantasie“ und von „Ge-schmack“ gesteuert wird.41 Das Gebiet des „magnetischen Schlafs“, dieGelenkstelle zwischen ‚Geisterseherei‘ und Poesie, berücksichtigt er andieser Stelle jedoch ebensowenig wie sein Gedicht Poesie, das jene „Ge-staltungen“ der Natur thematisiert, aus denen sich – folgt man KernersSelbstaussage – „kein Lied und keine Idylle“ gewinnen lassen dürfte.Mehr noch: Er vergleicht „höchste[] Poesien“ sogar mit „Geisterschat-ten“. Diese „höchsten Poesien“ bleiben stumm, schweigen, erscheinennur noch als Ausdruck negativer seelischer Regung. Reflexion im Sinnevon Nachdenken und Urteilen kommt in „höchsten Poesien“ nicht vor;„höchste[] Poesien“ versetzen das Ich in einen ganz und gar vorreflexi-ven Zustand. Der „Poesie“ selbst ergeht es aber kaum anders. Poesie be-schreibt den Unterschied von Wahn und Kreativität nämlich bloß gra-duell: Wenn Poesie Schmerzempfinden „ist“, dann weicht der proble-matische Poesie-Typus der „höchsten Poesien“ davon nur durch dieSteigerung dieser negativen Empfindungen ab. Im Ergebnis rückenWahn und Poesie eng zusammen. Mit seiner einerseits poetologischen,andererseits wissenschaftlichen Selbsterklärung gegen Menzel riskiertKerner also, der Aussage des eigenen lyrischen Texts und den Überle-gungen aus der Seherin von Prevorst zu widersprechen.

39 Siehe Kerner 1836, S. XXVI f.40 Ebd., S. XXVIII.41 Ebd.

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1. Schwäbische Dichterkreise: Poetik des ‚ganzen Menschen‘ 117

Mit der graduellen Differenzierung der „Poesien“ steht Poesie für einpoetologisches Extrem im Kreis der schwäbischen Romantik, nämlichfür ihre ‚Nacht- oder Schattenseite‘. Im Blick auf diese Position ist eskein Zufall, daß Vischer Uhland immer wieder gegen Kerner ausspielt.Erwartungsgemäß fällt Kerner gegen Uhland ab: Während letzterer fürVischers Dichtungsideal steht, ‚kernig‘ und volksnah schreibt, flieht er-sterer aus Vischers Sicht vor Welt und Wirklichkeit ins Phantastische,Somnambule, ins „Geister- und Märchenhafte“, nähert Poesie und Gei-sterglaube einander an.42 Uhland und Kerner verkörpern danach in derTat zwei Extreme der schwäbischen Romantik. Straußens Einschät-zung von Kerner deckt sich mit derjenigen Vischers. Er treibt die Sichtdes Freundes aber noch weiter, und zwar im Sinne einer Gegenpositionzu Menzel.

In seinem Nekrolog auf Kerner berichtet Strauß, wie er Kerner – ge-meinsam mit den Freunden Vischer und Mörike – in seinem Weinsber-ger Haus aufsuchte und verehrte, sich sein mystisches Denken sogar zueigen machte. Vor dem Hintergrund dessen konzentriert sich Straußauf den Zusammenhang von Wahn, Denken und Dichten in KernersLeben und Werk. „Der Magnetiseur und Geisterfreund“, so lautet dieThese Straußens, sei „nur aus dem Dichter zu begreifen.“43 Dichtenund Geisterkunde, hängen, so Strauß ganz anders als Menzel (und derKerner von Eine Erscheinung), eng zusammen.44 Das eine empfangeImpulse aus dem anderen und sei ohne sein Gegenüber nicht denkbar.45

42 Vischer 1975, S. 8.43 D. F. Strauß: Justinus Kerner [I] (wie Anm. III., 36), S. 135.44 Vgl. zum Zusammenhang von Geistersehen und Literatur, allerdings ohne Hinweis

auf Kerner; Weissberg 1990.45 Strauß vertritt außerdem eine Sonderthese: In Kerners ‚Hellseherei‘ will er die

Grundfesten jener Poetik erblicken, die dem ersten schwäbischen Dichterkreis ge-mein war – Kerner ebenso wie Uhland und Schwab. In diesem Sinne dienen Kerners‚Geisterseherinnen‘ Strauß als Beleg für „die Verachtung der Aufklärung, die Vorlie-be für den Glauben und selbst Aberglauben des Volks als dem Träger tieferer Wahr-heit, die Erhebung des Gefühls über den Verstand“ – für die Ansichten also, dieStrauß dem ersten schwäbischen Dichterkreis zuschreibt und in denen er die Grund-lagen für die Poetik des Kreises erblickt. Diese starke These verantwortet Strauß aberganz allein. Mit Vischers Einschätzungen deckt sie sich nicht; auch in der Forschungsucht man sie vergeblich. Wenn sie stimmte, dann ließe sich Vischers Gegenüberstel-lung von Uhland und Kerner jedenfalls nicht mehr nachvollziehen; beide nähertensich einander vielmehr an. Denn Strauß zufolge gehen beide im Prinzip von demsel-ben Geisterglauben aus und gründen ihre Poesie und ihre Poetiken darin (D. F.Strauß: Literarische Denkwürdigkeiten 1866–1872, in: Strauß 1876–1878, I, S. 1–170,hier S.164). So weitreichend Straußens These ist, so wenig läßt sie sich prüfen: Uhland

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik118

Als Dichter gilt Kerner Strauß jedoch bloß als ein schwärmerischer Di-lettant.46 Dem Strauß der späten 1830er Jahre sagt Kerners ‚magneti-sche Poetik‘ ebensowenig zu wie sein ‚poetischer Magnetismus‘.47

Deshalb beschreibt Strauß Kerners Poetik mit Befremden; er sprichtvon ihrem „durchaus eigenthümlichen Charakter“ und radikalisiertnoch, was Vischer als geister- und märchenhaft abtut:48 Denn der „ei-genthümliche[] Charakter“ von Kerners Lyrik (und Poetik) liegt fürStrauß in einer poetischen Melancholie, oder härter gesagt: in einempoetischen Masochismus, also in einer Einstellung, die von Qual, nichtvon Glück, Freude und Lust bestimmt ist. Poesie kann in gewisserWeise als Beleg für diese Einschätzung dienen: Hier wird Poesie aufden Ausdruck von Schmerz festgelegt. Nimmt man Kerner Beschrei-bungen aus der Seherin von Prevorst hinzu, so läßt sich schließen, daßsich der Dichter in einen Mittler des Anderen, Unergründlichen, aberim Prinzip ‚Leeren‘ verwandelt. Er schläft einen „magnetischenSchlaf“ und nähert sich so weit als möglich einem vorreflexiven Zu-stand an. Im Blick darauf zeigt sich aber auch, daß Straußens Kerner-Nekrolog über sein Ziel hinausschießt: Magnetismus und Poesie er-weisen sich zwar als ursprungsgleich, nicht jedoch als identisch. Viel-mehr entwickeln sie sich auseinander: Das Privileg des Poeten aus Poe-sie ist es, negative Empfindungen dichterisch zu verarbeiten und den„magnetischen Schlaf“ als Quelle von Kreativität und ‚tiefer‘ Empfin-dung zu betrachten.

Trotz oder besser: wegen der problematischen Poetik von Poesie gel-ten Kerners Gedichte (1826) – nach Uhlands Texten – als bedeutendsteZeugnisse für die schwäbische Dichterschule. „Uhland’s Gabe ist, sichin bestimmte, menschliche Zustände hinein-, Kerner’s, sich über siehinauszuempfinden“,49 so vergleicht Strauß die beiden Dichter scherz-haft, aber wiederum treffend. Dabei bezeichnet er Uhlands Texte als

hat sich nicht über den Geisterglauben geäußert; es bleibt zu vermuten, daß er seinevolksmythischen Neigungen doch in den ‚alten Schriften‘ wurzeln. Vermutlich be-hält Vischer mit seiner Gegenüberstellung der zwei schwäbischen Poeten also Recht.

46 D. F. Strauß: Literarische Denkwürdigkeiten (wie Anm.III., 45), S. 53.47 D. F. Strauß: Justinus Kerner [I] (wie Anm. III., 36), S. 164. Vergleichbares ahnte

schon Kerner selbst und notierte es in seinem autobiographischen Gedicht „Progno-stikon“; Strauß bestätigt also in gewisser Weise Kerners Sicht auf die Nachwelt:„Flüchtig leb’ ich durch’s Gedicht, / Durch des Arztes Kunst nur flüchtig; / Nurwenn man von Geistern spricht, / Denkt man mein noch und schimpft tüchtig.“

48 Ebd., S. 143.49 Ebd., S. 137.

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„verständig, plastisch“ und „classisch“; er lehre, im Endlichen das Un-endliche zu empfinden. Ganz anders Kerners Gedichte, die „empfin-dend und phantastisch“ zur „romantischen“ Seite neigten und in einer„trüben, schlaffen Stimmung“ auf das Jenseits zielten.50 Indem sich dienachfolgende Dichter- und Denkergeneration nach und nach von Ker-ner distanziert, verabschiedet sie sich auch von der dunklen Seite derschwäbischen Romantik, von den Parallelisierungen von Genie undWahn, von einem ‚leeren‘ und schmerzhaften Jenseitsbezug. Vermut-lich eröffnet Arnold Ruge seine revolutionären Hallischen Jahrbücher(1838–1841) deshalb mit Straußens Kerner-Nekrolog. Denn Strauß be-nennt dort deutlich, was der späteren schwäbischen Generation alsnicht mehr nachvollziehbar erscheint – zu deutlich, wie Strauß in einerSelbstkritik vermerkt:

Mit meinem „Justinus Kerner“ bin ich, seit ich ihn im Druck gelesen, nurnoch sehr zum Teil zufrieden. Das Erste, mich betreffende, ist richtig; auchder Übergang von Poesie zur Geisterei nicht übel nachgewiesen; aber indemich in seiner Poesie einseitig diesem Faden nachging, ist sie nicht in ihrer gan-zen Breite aufgefaßt worden; namentlich der Humor nicht. Zu sagen: dies istder Grundton, neben dem aber noch manche andere Töne herspielen – isteine Begrifflosigkeit, die ich mir nicht zugetraut hätte. Ich schickte es, von[Arnold] Ruge gedrängt, zu schnell ab, sonst hätte ich das vorher bemerkt.51

Strauß nimmt die eigene Darstellung Kerners als zu einseitig wahr. Inder Tat erweisen sich die Gräben zwischen den beiden schwäbischenDichtergenerationen und zwischen ihren Mitgliedern nicht als so tief,wie Strauß sie in seinem Nekrolog schildert und wie Vischer sie dar-stellt. Kerners Humor beispielsweise, von Strauß verschwiegen, findetsich bei Mörike wieder; gleiches gilt – wenn auch in anderer Weise – fürdie Neigung zum Mystischen. Beispielsweise wird Mörike noch vonder „Tag- und Nachtsphäre“ menschlichen Lebens, nämlich von einer„doppelten Seelentätigkeit“ sprechen, wonach die „Nacht- oderTraumseite“ in das „wahre Bewußtsein“ hinüberwirkt.52 Schon dieseÄußerungen erinnern an Kerners Beschreibungen des Magnetismus.Aber Mörike beerbt nicht nur sie, sondern auch Uhlands so wirklich-keitsnahes wie mythisches Dichten; Mörike verbindet Innerliches,Wirkliches und Mythisches.

50 Ebd., S. 147.51 Strauß an Vischer, Stuttgart, 8. Februar 1838, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I,

S. 47 f., hier S. 48.52 Eduard Mörike: Doppelte Seelentätigkeit, in: Mörike 1964, S.1238–1240, hier S.1239.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik120

Um diese Thesen über das ‚schwäbische Erbe‘ zu verdeutlichen, istein Blick auf Uhland erforderlich – auf das poetische Gegenstück Ker-ners: zum einen steht es überhaupt noch aus, Uhlands poetologischeSchriften zu sichten. Sie lassen sich unmittelbar auf Hegel zurückfüh-ren, und zwar auf den Hegel, wie er vor der Edition Hothos bekanntwar. Zum anderen fehlt eine differenzierende Darstellung von Uh-lands poetologischer Lyrik, denn diese – widersprüchlichen – TexteUhlands wurden von der Forschung bislang bloß stiefmütterlich be-handelt.53

Freie Kunst (1812), ein achtstrophiges Volkslied mit Kreuzreim,nimmt einen Aspekt der Poetik Uhlands beispielhaft auf:54 Jeder Deut-sche erscheint hier als potentieller Sänger, dem eine unbegrenzte und na-türliche Schaffenskraft eignet.55 Es handelt sich insofern um ein natur-bezogenes und volksnahes Gedicht, das den Interessen des späteren Mit-telalterphilologen vorgreift.56 Als Ziele dieser patriotisch-natürlichenDichtung gelten „Freude“, „Leben“ und Eigenständigkeit. Der Dichtersoll sein gesamtes Gefühlsleben („des vollen Herzens Triebe“) offenba-ren, die Meisterdichter zwar ehren, sich aber an keine Autorität und ankeine Formel binden: „Fahret wohl, geheime Kunden, / Nekromantik,Alchymie! / Formel hält uns nicht gebunden, / Unsre Kunst heißt Poe-sie.“57 Mit diesen Versen kritisiert Uhlands Sprecher nicht zuletzt den ei-genen Parteigänger. Gemeint ist Kerner, der an mystische Geheimlehrenglaubt und seine Poetik auch aus lebensfernen und freudlosen Überzeu-gungen gewinnt. Eine weitere Distanzierung kommt hinzu, nämlichdiejenige von einer unkritischen Antike-Adaptation, der Uhland selbst

53 Uhlands poetologische Lyrik findet nur selten Beachtung, wird aber selbst in denwenigen Fällen nur knapp angesprochen. Siehe beispielsweise Froeschle 1973, S.68:„Auch ernsthaft befaßt sich Uhland mit dem Problem der Dichtung [...].“ Auch dieDarstellung Klenners (2001, S. 94–162) trägt nur wenig dazu bei, diesen Mangel zubeheben; sie konzentriert sich auf das Volkslied.

54 Ludwig Uhland: Freie Kunst [24.5.1812, publiziert in „Deutscher Dichterwald“1815], in: Uhland 1980, I, S. 34 f., hier S. 34: „Singe, wem Gesang gegeben, / In demdeutschen Dichterwald! / Das ist Freude, das ist Leben, / Wenn’s von allen Zweigenschallt.“

55 Vgl. dazu auch die zweite Strophe des Gedichts; ebd.: „Nicht an wenig stolze Na-men / Ist die Liederkunst gebannt; / Ausgestreuet ist der Samen / Über alles deutscheLand.“

56 Günther Schweikle vergleicht Uhland aufgrunddessen mit den Brüdern Grimm;Schweikle 1988, S. 177: „Mit ihnen verbanden Uhland dieselben methodischen An-sätze, derselbe organologische Literaturbegriff, dieselben Anschauungen zur Volks-poesie, dieselbe nationalen Aspekte der Literaturvermittlung.“

57 Uhland: Freie Kunst (wie Anm. III., 54), 6. Strophe.

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in früheren Jahren noch anhing:58 „Nicht in kalten Marmorsteinen, /Nicht in Tempeln, dumpf und tot: / In den frischen Eichenhainen / Webtund rauscht der deutsche Gott.“59 Uhlands Sprecher stellt dieser Anti-ke-Adaptation zum einen den patriotischen Gesang entgegen. Zum an-deren führt er die Wirklichkeit gegen die tote und antikisierende Poesieins Feld, und zwar besonders die düstere und böse Wirklichkeit. Dennauch er entdeckt die ‚Schatten- und Nachtseiten‘ des Daseins:

Bitte

Ich bitt’ euch, teure Sänger,Die ihr so geistlich singt,Führt diesen Ton nicht länger,So fromm er euch gelingt!Will einer merken lassen,Daß er mit Gott es hält,So muß er keck erfassenDie arge, böse Welt.60

Bitte fordert den „Sänger“ dazu auf, Wirklichkeit genau wahrzuneh-men und darzustellen. Folgt er dieser Aufforderung, so beweist er, daßer den ‚wahren Gott‘, den ‚deutschen Gott‘ aus Freie Kunst verehrt.Offen bleibt allerdings, welche Wirklichkeit gemeint ist und wie weitdiese Forderung geht. Der frühe Text Mein Gesang (1805) handelt bei-spielsweise von einem Mann, der seine Liebste verlor. Die ‚böse Welt‘zeigt sich hier als ein Ereignis der Außenwelt (Tod der Geliebten) undzugleich als Gefühl, als Schmerz:61 Weil die Geliebte verstarb, zieht sichder Sprecher ganz in sich zurück. Ihm steht nur noch ein lyrisches Gen-re zu Gebote, nämlich das Klagelied. Leben und Gesang erweisen sichdabei als deckungsgleich; die Gefühlswelt des Dichters und der Inhaltseiner Lieder weichen nicht voneinander ab. Lebt der Dichter als Per-

58 Vgl. dazu Uhland: Des Dichters Abendgang [8./9.2.1808; publiziert in: „Dichter-wald“], in: Uhland 1980, I, S. 9, 1. Strophe, V. 5–8: „In hoher Feier schwebt deinGeist, / Du schauest in des Tempels Hallen, / Wo alles Heil’ge sich erschleußt / Undhimmlische Gebilde wallen.“

59 Ebd., 8. u. letzte Strophe.60 Uhland: Bitte [18.6.1816; publiziert in „Gedichte“, 1820], in: Uhland 1980, I, S. 35:

„Du schiedest hin, die Welt ward öde, / Ich stieg hinab in meine Brust; / Der Liedersanfte Klagerede / Ist all mein Trost und meine Lust. / Was bleibt mir, als in Trauer-tönen / Zu singen die Vergangenheit? / Und als mich schmerzlich hinzusehnen / Inneue, goldne Liebeszeit?“

61 Uhland: Mein Gesang [15.11.1805, erschienen im „Musenalmanach für das Jahr1807“], in: Uhland 1980, I, S. 18 f.

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son in der Vergangenheit und sehnt sich nach einer unwahrscheinlichenZukunft, nach „neue[r], goldne[r] Liebeszeit“, so tut es auch der Spre-cher-Sänger des Gedichts. Das traurige Ereignis der Außenwelt spiegeltsich im erlebenden und dichtenden Sänger, allerdings nur topisch: alsgefühlte Wirklichkeit, die schon in die Begriffe und Bilder der Dich-tung gegossen ist, und nicht als melancholischer Selbstbezug eines ma-gnetischen Sehers, der für den (leeren) Ursprung allen Seins spricht.

Aber Uhland begnügt sich nicht mit den Topoi, die auf eine litera-risch gefilterte Wirklichkeit verweisen: In Auf einen verhungertenDichter (1816) berichtet der Sprecher über das Leben eines armen Poe-ten, der schon bei seiner Geburt zum Dichter geweiht, der bereits aufErden zum „Geist“ „verkläret“ wurde und nunmehr dorthin heim-kehrt, „Wo man Ambrosia speist“.62 Schon der Titel Auf einen verhun-gerten Dichter zeigt an, daß es sich bei diesem Text nicht um eine To-tenklage handelt, sondern um ein Rollengedicht.63 Der Sprecher Uh-lands berichtet demzufolge auch nicht neutral über den Toten; vielmehrpreist er den armen Dichter (oder besser: den Typus des armen Dich-ters) als Helden der Armut und der Kunst: „So war es dir bescheret, /Du lebtest kummervoll, / Du hast dich aufgezehret, / Recht wie einDichter soll.“64 Der Sprecher idealisiert das entbehrungsreiche Lebendes verhungerten Dichters als wahren Ausdruck von Kunst. Zu diesemZweck nutzt er jene poetischen und poetologischen Topoi, die ArnimHeymar in den Mund legte:65 Der Dichter opfert sich, sein Glück undsogar sein Leben für die Poesie. Entsprechend erscheint Uhlands ver-hungerter Dichter als Gegenstück zu dem Knaben Ganymed, den dieGötter entführten. Während die Entführung dem Knaben aber einschönes Leben bescherte, gelangt der verhungerte Dichter Uhlands erstdurch den Tod in den Götterhimmel. Erstaunlicherweise gebrauchtUhland hier jene antikisierend-heiligenden Darstellungsmuster, dererer sich in Freie Kunst entledigen wollte. Er verherrlicht den Opfertoddes Dichters mit Hilfe antikisierender Formeln.

In dieser Hinsicht widersprechen sich Uhlands poetologische Ge-dichte. Uhland schafft sich nämlich eine neue ‚Wirklichkeit‘, diesmalkeine antikisierende, sondern eine mittelalterliche Stoffwelt. Seine Bal-

62 Uhland: Auf einen verhungerten Dichter [17.10.1816, erschienen in „Sonstige Orte“1818], in: Uhland 1980, I, S. 35 f.

63 Über Uhlands Rollenlyrik vgl. Klenner 2002, S.125.64 Uhland: Auf einen verhungerten Dichter (wie Anm.III., 62), 1. Strophe.65 Siehe Kapitel II. 3. a) dieser Untersuchung.

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laden und Romanzen führen einen kämpferischen, mit einer geheim-nisvollen Zauberkraft begabten, patriotischen und freiheitlich gesinn-ten Dichter-Helden vor; dem Mediaevisten gilt Walther von der Vogel-weide als Exempel für eine solche liberale Rollenpoetik des ritterlichenHeldendichters.66 Im Feld bewährt sich der Dichter-Held für Volk undVaterland; am heimischen Hofe pflegt er die Minne. Doch wirken beideThemen bloß illustrativ; im Zentrum der Sänger-Thematik steht viel-mehr das Sterben. Endet Der Königsohn (1806–1812) mit dem weihe-vollen Tod des alten, blinden Sängers, der sich selbst sein „Schwanen-lied“ singt,67 so kündet Des Sängers Wiederkehr (1815) von der Un-sterblichkeit der Dichtung, die den Sänger mittelbar weiterleben läßt.68

Nur er vermag, „die Vorwelt“ wachzuhalten oder auszulöschen. DesSängers Fluch (1814), aus Übersetzungsanthologien des 19. Jahrhun-derts eines der fünf bekanntesten deutschen poetologischen Gedichte,69

in der Forschung vielfach diskutiert,70 veranschaulicht diesen Gedan-ken. Es handelt von zwei Sängern, einem Greis und einem Jüngling, diesich am Hof eines reichen Königs vorstellen. Ihr Gesang gefällt Volkund Königin – so sehr, daß der König eifersüchtig wird. Er ermordetden Jüngling, und der Greis verflucht den Mörder: „Des Königs Na-

66 Über die politische Deutung Walthers durch Uhland siehe Schweikle 1988,S. 171–177. Schweikle betrachtet Uhland als ersten ‚eigentlichen‘ Walther-Philologenund damit auch als Antagonisten Karl Lachmanns, der aufgrund seiner kritischenEdition der Walther-Texte als Begründer der Walther-Forschung gilt. Anders alsLachmann, der, so Schweikle, sein Verfahren der Textkritik zum Dogma erhebe undallein auf den gläubigen Adepten seiner Vorgaben vertraue, wende sich Uhland demLeser zu und konzentriere sich auf die außer- und vorliterarische Volkspoesie. Dar-über, daß Lachmanns Bemühungen der Wissenschaft gleichwohl zuträglich wa-ren – Meves 2000.

67 Uhland: Der Königsohn [ab 1806, endgültige Fassung 30./31.1.1812, erschienen„Deutscher Dichterwald“ 1813], in: Uhland 1980, I, S.247–252, hier S. 252.

68 Uhland: Das Sängers Wiederkehr [10.3.1815, erschienen „Gedichte von L. U.“18120], in: Uhland 1980, I, S. 145 f., hier S. 146: „Doch wie der Frühling wiederkeh-ret / Mit frischer Kraft und Regsamkeit, / So wandelt jetzt, verjüngt, verkläret, / DerSänger in der neuen Zeit. / Er ist den Lebenden vereinet, / Vom Hauch des Grabeskeine Spur! / Die Vorwelt, die ihn tot gemeinet, / Lebt selbst in seinem Liede nur.“

69 Vgl. Anm. III., 28.70 Ein Überblick dazu findet sich in Martini 1990; spätere Untersuchungen zu „Des

Sängers Fluch“ liegen nicht vor. Martini muß noch für seine allegorische Interpreta-tion des Uhland-Texts werben und sich gegen biographische Interpretationen abset-zen. Im Blick auf Martinis Darstellung, der bereits auf die besondere Rolle des Dich-ters „im Spannungsfeld von Macht und Gesang“ zielt (ebd., S.64), kann ich das Ge-dicht sogleich als poetologisches interpretieren: als eines, das vor allem Aussagenüber den Dichter und das Dichten treffen will.

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men meldet kein Lied, kein Heldenbuch; / Versunken und vergessen!das ist des Sängers Fluch.“71 Uhlands Sänger erweist sich als eigensin-niger und mächtiger Historiograph, als subjektiver Dichter. Aber erkann die Früchte seiner Macht nicht ernten, denn er erkauft sie durcheine ohnmächtige Existenz im Diesseits. Er preist die Taten anderer,verleiht ihnen Schönheit und Glanz, muß sein eigenes Streben aber da-für zurückstellen.

Dem Sänger Uhlands ist die Reflexion zwar erlaubt, aber er darf sienicht zu seinen innerweltlichen Gunsten einsetzen. Sie dient aus-schließlich dem Höheren und der Nachwelt. Gefühl und Individualitätspielen hier – anders als in Uhlands freudvollen und patriotischen Tex-ten – keine Rolle. Wenn im Fall Kerners ein leeres Schmerzempfindendie Reflexion ersetzt, dann geht sie hier in Sängerkult über: Reflexionmeint Auswählen und Festhalten vergänglicher Ereignisse und denVersuch, verlorene Traditionen wiederzubeleben. Spürt Kerner dem in-neren Ursprung von Poesie nach, so fahndet Uhland nach einem my-thischen. Sein Vorhaben ist aber – wie Kerners Poesie – davon moti-viert, den Grad von Reflexion im Kunstwerk zu mindern, möglichstauthentisch und kunstlos zu schreiben – mit anderen Worten: das zuversuchen, was Hegel als unmöglich ansieht, nämlich hinter die Refle-xion zurückzugehen,72 ohne sie jedoch – wie Kerner – mit nicht-refle-xiven, magnetischen Zuständen zu vergleichen.

Zwar prägen diese Versuche, Reflexion zu unterlaufen, auch diezweite schwäbische Dichter- und Denkergeneration, aber sie erschei-nen ihr aus unterschiedlichen Gründen als inkonsequent. Uhlandsidealisches und jenseitsfixiertes Dichten beispielsweise, das Wirklich-keit allenfalls als mythische Bildwelt gelten läßt, wird für Vischer zumStein des Anstoßes. Im Juni 1837 berichtet Vischer Mörike von einemStreitgespräch mit Uhland, das dieses Thema behandelte. Es sei dabeivor allem um das Menschenbild der Dichtung gegangen:

[...] ist er [der Mensch in der Dichtung] ein kämpfendes, dem Zweifel, derjetzt aus dem Vorrecht des Geistes, keine Katze im Sack zu kaufen, Ernstmacht, sich öffnendes, der einfach stillen Pietät und Objektivität naiver Zei-ten absagendes Wesen?73

71 Uhland: Des Sängers Fluch [3./4.12.1814, erschienen „Gedichte von L.U.“ 1815], in:Uhland 1980, I, S. 252–254, hier S. 254.

72 Über das literarische Prinzip der Authentizität Schlich 2002.73 Vischer an Mörike, Tübingen, 20. Juni 1837, in: Mörike u. Vischer 1926, S. 132–135,

hier S. 134.

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Während Vischer energisch – und ganz im Sinne der Jungdeut-schen – dafür plädiert, den zweifelnden und um geistige Orientierungringenden Gegenwartsmenschen darzustellen,74 streitet Uhland für dasGegenteil, für idealisierende Dichtung im mythischen Gewand, für dieRomantik im Sinne einer „hohe[n], ewige[n] Poesie, die im Bilde dar-stellt, was Worte dürftig oder nimmer aussprechen[.]“75 Er beschreibtdiese Romantik als „Buch voll seltsamer Zauberbilder“ und wendetsich als „Schwärmer“ dem „Wunderreich“ zu.76 Uhland und Vischerkönnen sich verständlicherweise nicht einigen. Bezeichnenderweiserätselt Vischer noch in den 1860er Jahren über die Verfassung seineszeitgenössischen Lieblingsdichters77 und vermerkt in seiner Aesthetik(1846–1857) über Uhland nur zurückhaltend:

Man hat unsern in diesen Formen [Ballade, Romanze] so reichen Uhland alsden Klassiker der Romantik bezeichnet; am Marke des Volkslieds genährt,eine gediegene, einfach körnige Natur, die sich doch mit offener Seele denverschiedenen Stimmungen der nord- und südfranzösischen, spanischen Ro-mantik, des klassischen Altertums, wie der dunkleren, härteren biderben alt-deutschen Welt öffnet, führt er überall einen scharfen Meißel, der jedem Ge-steine klar bestimmte, reine Gestalt gibt.78

Trotz der Differenzen mit Uhland überrascht Vischers distanzierteRede über den verehrten Dichter an dieser Stelle. Denn ausgerechnet inseiner Aesthetik hätte er problemlos an Uhland anküpfen können. Uh-land äußert sich auf diesem Gebiet klar, entschieden und ganz in Vi-

74 Der frühe und ‚vor-ästhetische‘ Vischer teilt diese Orientierungsnot mit den Jung-deutschen. Für den ganz frühen Vischer muß deshalb die Vermutung der Forschungkorrigiert werden, der Tübinger Gelehrte stimme „allenfalls äußerlich“ mit denJungdeutschen überein; Albrecht 2001, S. 34. Auch der frühe Vischer gehört in jene„suchende Generation“, wie Michael Huesmann sie (freilich ohne Bezug auf Vi-scher) beschreibt; vgl. Huesmann 2001. – Ich werde im Blick auf die Briefwechselvon Mörike, Vischer und Strauß noch einmal darauf zurückkommen.

75 Uhland: Über Das Romantische [Februar 1807], in: Uhland 1983, II, S.8–11, hier S.11.76 Ebd.77 Vischer an Strauß, Zürich, 29. Juni 1863, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, II,

S. 181–183, hier S. 182: „Es fehlt mir immer noch eine gewisse Klarheit über denHauptpunkt [des Essays ‚Ludwig Uhland‘]: wie kommt es, daß hier ein korrekterPhilister doch ein Dichter ist? Der Mann war namentlich auch als Mensch viel zu so-lid.“ Die Philisterhaftigkeit aber mag den Charme des vielseitigen Dichters ausge-macht haben, der allen Parteien und Parteiungen des frühen und mittleren 19. Jahr-hunderts gleichermaßen lieb und wert war. Er gilt aus diesem Grund als eine „Insti-tution“ – nicht nur für Deutschland, sondern für zahlreiche Leser Mitteleuropas;siehe Jens 1987, S. 9.

78 Vischer 1922/1923, VI, § 893, S. 251.

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schers Sinne. Schon der frühe Uhland fragt nämlich nach der besonde-ren Innerlichkeit des Dichters; er kommt zu optimistischen, neuhuma-nistischen und klassizistischen Ergebnissen. Während Kerner dieDichterseele als melancholisch und weltentrückt darstellt, geht Uh-land – weltzugewandt – von „empfangenden“ und „wirkenden Kräf-ten“ aus, die den Dichter zur Vervollkommnung bewegen.79

Später, nämlich als Professor im Tübingen der frühen 1830er Jahre,entdeckt Uhland außerdem das (hegelsche) Problem der „Reflexions-bildung“. Uhland bestimmt Poesie vor diesem Hintergrund griffig alseinen „Ersatz für die verlorene Naturanschauung“.80 Vischer wird indiesem Sinne davon sprechen, daß zeitgenössischen Dichtern die „Nai-vität“ abhanden gekommen sei.81 Beide behandeln das Hegel-Problemaber anders und gemäßigter als Hegel:

Zuerst wird die alte Kunst überhaupt der neuern gegenüber als eine unbe-wußte, unbefangen lebendige, diese neuere selbst aber als eine bewußt wis-senschaftlich reflektierende bezeichnet. Dieser Gegensatz wird dann fürrichtig gestellt anzuerkennen sein, wenn er soviel besagt, daß im neuerenKunstgebiet zu dem künstlerischen Schaffen die reflektierende Betrachtunghinzugetreten sei und selbst manche Kunsterzeugnisse aus der Reflexionhervorgehen. Das aber wird, wenn der neueren Zeit überhaupt noch eineKunst zugestanden werden soll, nicht behauptet werden können, daß dieProduktion selbst eine bewußte sei, daß wahrhafte, lebenskräftige Kunst-werke nicht auch jetzt, wie in der alten Zeit, aus derselben unmittelbarenKraft des künstlerischen Schaffens zutage treten. Der Künstler kann aller-dings heutzutage zugleich Theoretiker sein, aber der Moment der Produk-tion, wenn er sich wirklich einer solchen rühmen darf, wird gleichwohl inihm von der theoretischen Erwägung verschieden bleiben.82

79 Uhland: Über objektive und subjektive Dichtung [22.2.1806], in: Uhland 1983, II,S. 7 f., hier S. 7: „Die Seele, darein Mutter Natur in der reichsten Fülle die Kräfte desEmpfangens und des Wirkens gelegt hat, das ist die Dichterseele. Vermöge der emp-fangenden Kräfte hat sie die feine Berührbarkeit, die sie das zarteste [...] der äußerenund inneren Welt fühlen läßt, und das leise Ohr, das ihr die geheimsten Ahndungenzu vernehmen gibt; durch die wirkenden Kräfte gibt sie dem Dunkeln Klarheit, lerntihre Bestimmung erkennen und strebt schwungvoll ihrer Vollkommenheit entge-gen.“ Siehe auch Uhland: Das Wesen der Poesie [vermutlich knapp nach dem Ro-mantik-Aufsatz entstanden, also ca. 1807], in: Uhland 1983, II, S. 12 f., hier S. 13:„Der idealisierende Darsteller der inneren und äußeren Welt ist der Dichter. Poesieist die Bearbeitung der Materie durch Materie.“

80 Uhland: Aus dem „Stilistikum“ [5.8.1830/H28 f./R 130 f.], in: Uhland 1983, II, S.16.81 Vischer 1975.82 Uhland: Aus dem „Stilistikum“ [23.9.1830/H 30 f./R 101 f.], in: Uhland 1983, II,

S. 16–19, hier S. 16 f.

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Uhland widerspricht Hegels These, daß Kunst ihrer ‚höchsten Bestim-mung nach‘ im Zeitalter der „Reflexionsbildung“ unmöglich sei. Zu die-sem Zweck beschreibt er – anders als Hegel – keinen Gegensatz von Re-flexion und Kunst, sondern einen neuen Typus von Kunst: eine „bewußtwissenschaftlich reflektierende“ Kunst, die sich von der ‚alten‘ Kunst,der „unbewußte[n], unbefangen[en] und lebendige[n]“ abgrenze. DieseUnterteilung der Kunsttypen erlaubt es ihm, gegenwärtige Kunst als ih-rer Zeit angemessen und als im besten Sinne künstlerisch darzustellen.Denn sie wäre nicht Kunst, wenn sie nicht aus der „unmittelbaren Kraftdes künstlerischer Schaffens“ entstünde. In diesem Punkt sind sich He-gel und Uhland demnach einig; beide knüpfen den Begriff der Kunst aneinen vorreflexiven Entstehungsakt. Ihre Argumentation unterscheidetsich aber im Blick auf das zeitliche Vorfeld der Kunstproduktion und imBlick auf die Rezeption des Produkts. Aus der Erfahrung des Schreibensselbst wendet sich Uhland dagegen, literarische Reflexion als problema-tisch zu betrachten. Reflexion störe weder die Kunstproduktion nochihre Rezeption. Vielmehr erlaube es Literatur, den eigenen Darstel-lungs- und Wahrnehmungstypus als Problem zu erkennen – und wie-derum reflexiv zu bearbeiten. Im Ergebnis erweist sich die Epoche der„Reflexionsbildung“ Uhland zufolge zwar nicht unbedingt als förder-lich für die Literatur, aber auch nicht als gefährdend.

Das gilt auch für die Lyrik. Zwar versteht Uhland Lyrik – mit ande-ren Hegel-Adepten – als Ausdruck der „eigenen, subjektiven Stim-mung“ des Dichters und dichtet im Verständnis desjenigen,83 der ganzursprüngliche Geschichten, Bilder- und Motivwelten zurückerobernwill. Aber dieses Verständnis und diese Praktiken schließen – so will eszumindest Uhlands theoretische Poetik – nicht aus, daß Lyrik nichtauch andere, reflexive Gehalte aufnehmen könnte. In diesem Fall knüp-fen sich Bedingungen an die Art und Weise der Übertragung von Re-flexion in Poesie: Wenn Poesie „ein Schaffen, im Gegensatze des philo-sophischen Erkennens“ ist, dann muß die Idee, „welche zur dichteri-schen Ausführung gelangen soll, selbst eine poetische sei[n], eine sol-che, welche den Keim des Schaffens in sich trägt [...].“84 Diese Anforde-rung läßt allerdings erahnen, daß Uhlands Einspruch gegen Hegel Fol-geprobleme hervorruft. Wenn eine Idee zugleich der Reflexion ent-stammen, aber auch ‚autopoietisch‘ (im Sinne von selbst-schaffend)sein soll, dann fragt sich, welche Idee diese hohen Anforderungen er-

83 Ebd., [19.7.1832/H 93/-], S. 22 f., hier S. 23.84 Ebd., [23.9.1830/H 30 f./R 101 f.], in: Uhland 1983, II, S. 19.

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füllen kann. Uhland jedenfalls nennt kein Beispiel. Er bedenkt das Pro-blem der „Reflexionsbildung“, aber er löst es nicht. Gleichwohl weister den Weg zu einer Lösung, die die Auswirkungen von Hegels starkemUrteil zu mindern hilft: Poesie ist prinzipiell nicht so reflexionsfern,wie Hegel annimmt.

Uhlands theoretische Äußerungen über Poesie folgen historisch aufseine eigene Schreibpraxis. Schon aufgrund der Chronologie wäre esalso falsch danach zu fragen, ob er seine Auseinandersetzung mit Hegelim Gedicht gestaltete. Vielmehr ist davon auszugehen, daß er in seineSchriften über Poesie aufnimmt, was ihn die eigene poetische Tätigkeitlehrte: daß Reflexion und dichterisches Schaffen notwendigerweisemiteinander verbunden sein müssen, soll ein passables Werk entstehen,das nicht nur dem unmittelbaren Gefühl huldigt, sondern objektiv Be-stand hat. Für den Dichter Uhland meint Reflexion dabei – auch gegenKerner – den Umgang mit volksmythischen und literarischen Traditio-nen. Für den Theoretiker Uhland läßt sich nurmehr von einer Fallhöhesprechen, die sich zwischen dem Reflexionspostulat für die Dichtungund seiner Umsetzung ergibt; Uhland läßt offen, was er genau mit denReflexionsgraden meint, die in der Dichtung selbst zum Tragen kom-men. Vischer wird diesen Gedankengang aufgreifen.

Mörike und Strauß aber äußern sich skeptischer, was die Vermittlungvon Reflexion und Poesie betrifft; sie stehen – aller Abgrenzung zumTrotz – eher in der poetologischen Tradition Kerners. Kaum ein zwei-ter Dichter hält sich deshalb mit poetologischen Reflexionen so sehrzurück wie Mörike. Er gilt als das Oberhaupt der zweiten schwäbi-schen Dichterschule: als der innerlichste und „intensivste“ im Gegen-satz zu Bauer, dem „receptivste[n]“, und zu Waiblinger, dem „expan-sivste[n]“.85 Wie Kerner und wie Waiblinger pflegt Mörike auch zeit-weise den Kontakt zu Hölderlin; er verehrt ihn, will aber weder seineDichtung nachahmen noch sein Schicksal teilen. Mörike verweigertsich der idealischen Poesie.86

Äußert sich Mörike in seiner Lyrik überhaupt programmatisch überDichtung, so führt er diese Äußerungen immer wieder auf einzelne Le-benssituationen, Empfindungen und Dinge zurück, wie die frühen Ge-dichte Der junge Dichter (September 1823), Die erzürnten Dichter(1828) und An einen Liebesdichter (1829) zeigen. Nicht anders als dieschwäbischen Kollegen im Dichteramt wendet er sich polemisch gegen

85 D. F. Strauß 1847a.86 Für den Vergleich mit Hölderlin siehe Hötzer 1984–1985, S. 188.

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die ironischen Reflexionspoeten der Romantik, gegen Friedrich Schle-gel und gegen Tieck.87 Was der junge Mörike dagegenzusetzen hat, ver-steckt sich in den 1820er Jahren noch hinter – wenn auch leiser – Ironie:etwa der distanzierten Betrachtung des Liebesdichters, der, so MörikesSprecher, bloß um des Ruhmes willen dichte.88 Seinen ‚jungen Dichter‘befaßt demgegenüber anderes. Im Angesicht der Geliebten schwindenihm alle poetologischen Gedanken. Er muß sich seines dichterischenKönnens wieder und wieder versichern, bemüht sich, die „flüchtige Er-scheinung“ Schönheit in Worten festzuhalten und flieht – verzweifeltob des eigenen Dilettantismus – in die Arme der wirklichen Schönheit,in die Arme der Geliebten:89

O du Liebliche, du lächelst,Schüttelst, küssend mich, das KöpfchenUnd begreifst nicht, was ich meine.Möchte ich selber es nicht wissen,Wissen nur, daß du mich liebest,Daß ich in dem Flug der ZeitDeine kleinen Hände halte!90

Der junge Dichter veranschaulicht einen Zwiespalt zwischen wirkli-cher und poetischer Welt, nimmt damit das Thema Uhlands auf, ver-zichtet aber auf die mythische Gestaltung dieser Wirklichkeit. Mörike,‚der junge Dichter‘, sieht sich vor die Aufgabe gestellt, Wirklichkeit ineinen poetischen Text umzuwandeln und scheitert schon an diesemProgramm. Infolgedessen vermag er nur die ganz unmittelbaren Le-bensumstände und sein Scheitern am eigenen Vorhaben darzustellen.Dichterische Selbstreflexion hüllt sich hier in das Gewand der Gelegen-heitsdichtung, und zwar dergestalt, daß „fiktive Realität“, Empfindungund Ideal gegeneinander ausgespielt werden, um „erkenntnisför-dernd[]“ zu wirken.91

In Der junge Dichter treibt Mörike also auseinander, was er später inharmonischer Weise verbindet:92 Innerhalb der vergleichsweise ‚auto-

87 Eduard Mörike: Die erzürnten Dichter, in: Mörike 1964, S. 295.88 Mörike: An einen Liebesdichter, in: Mörike 1964, S. 233: „Von Liebe singt so man-

cher Mann, / Damit er auch von Liebe singe, / Und hebt ein mechtig Klage an; / DerRuhm ist groß, die Pein geringe.“

89 Mörike: Der junge Dichter, in: Mörike 1964, S. 14 f., hier S. 14.90 Ebd., S. 15.91 Heydebrand 1972, S. 314; Labaye 1988, S. 359 f.92 Vgl. Heydebrand 1972, S. 315.

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nomen‘ Gedichte würdigt er die niedere und zweckgebundene Alltags-welt; in Gelegenheitsgedichten spricht er autonome Gehalte an.93 Alsparadigmatisch dafür erweist sich An eine Äolsharfe (1837).94 Ihm stehtals Motto ein Horaz-Zitat voran: „Tu semper urges flebilibus modis /Mystem ademptum: nec tibi Vespero / Surgente decedunt amores, /Nec rapidum fugiente Solem.“95 Die Verse des Horaz, die ein Klageliederwarten lassen, behandeln die Trauer als solche, und Georg Braungartzeigte, daß sie für das Mörike-Gedicht eine doppelte Fährte legen: einebiographische, die als „Trauerarbeit“ für den verstorbenen Bruder Au-gust betrachtet werden kann, und eine poetologische Fährte, die auf dieSelbstreflexion des Dichters verweist.96 Mörikes Verse überführen dieTrauer nämlich in ein harmonisches Wechselspiel von imaginäremHarfenklang und von ebenso imaginärer Naturbewegung. Sie verge-genständlichen Töne („einer luftgebornen Muse / Geheimnisvolles Sai-tenspiel“), indem sie die Harfe in ein materiell-konkretes Umfeld ver-setzen. Mörike spielt auf die Semantik hoher Dichtung an; seine Harfefindet sich aber – wie ein Gegenstand des täglichen Gebrauchs – „Ange-lehnt an die Efeuwand / Dieser alten Terrasse“.97 Natur erscheint dabeisowohl als abstrakte Vorstellung als auch als sinnlich-konkrete Wahr-nehmungswelt:

Ihr kommet, Winde, fern herüber,Ach! von des Knaben,Der mir so lieb war,Frisch grünendem Hügel.Und Frühlingsblüten unterwegs streifend,Übersättigt mit Wohlgerüchen,

93 Ebd., S. 314.94 Dieter Liewerscheidt (1995, S.1 f.); gibt einen Forschungsüberblick über die Diskus-

sion von „An eine Äolsharfe“ und schlägt eine poetologische Interpretation des Ge-dichts vor, an die ich – ebenso wie an Braungarts (1999) kontextreiche Deutung – an-küpfe, und auf die ich im Ausgang meiner Beschreibung zurückkomme; für eineknappe poetologische Darstellung vgl. auch Burdorf 2001, S. 205. Liewerscheidtsund Braungarts Darstellungen sind darüber hinaus um die sehr anregende und ge-naue formanalytische Interpretation von Hötzer zu ergänzen, die im Jahr 1998 er-schienen ist.

95 Horaz, Oden, Buch 2, Nr. 9, V. 9 ff., in: Mörike 1964, Anmerkungen, S. 1450 (Über-setzung J. H. Voß): „Du trauerst endlos durch Melodien des Grams / Um MystesAbschied, weder wenn Hesperus / Aufsteigt, räumt dein Geist die Sehnsucht, /Noch, wenn der Sonne Gewalt er fliehet.“

96 Braungart 1999, S. 109.97 Mörike: An eine Äolsharfe, in: Mörike 1964, S.35.

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Wie süß bedrängt ihr dies Herz!Und säuselt in die Saiten,Angezogen von wohllautender Wehmut,Wachsens im Zug meiner Sehnsucht,Und hinsterbend wieder.98

Die ersten Verse der zweiten Strophe führen das Erbe der antikenDichtung vor, nehmen es aber sogleich in die Innensicht des Sprecher-Ich hinein. „Winde“, die den Harfenklang tragen, wirken deshalb nichtnur von außen auf das Herz des Sprechers, sondern erscheinen auch alsvon diesem selbst verursacht; sie ‚wachsen‘ und ‚sterben‘ mit seiner„Sehnsucht“. Einmal lenkt das Herz des Sprechers Winde und Gesang,ein ander Mal erscheint es als von diesen geleitet. Es bewegt und wirdbewegt:

Aber auf einmal,wie der Wind heftiger herstößt,Ein holder Schrei der HarfeWiederholt, mir zu süßem Erschrecken,Meiner Seele plötzliche Regung;Und hier – die volle Rose streut, geschüttelt,All ihre Blätter vor meine Füsse!99

Reflexion geschieht hier auf drei Ebenen: erstens als Introspektion, alsBlick in den exemplarisch empfindenden Sprecher; er spiegelt sich imHarfenklang, also im Medium der Musik wieder.100 Zweitens nimmtMörike zahlreiche poetische Motive auf und deutet diese eigensinnigneu. Die anakreontische Lyrik beispielsweise geht mit einem ihrer be-kanntesten Textbilder in Mörikes Gedicht ein, nämlich mit dem Bildder Rose. In den beiden anakreontischen Liedern, die Mörike selbstübersetzt, in Auf die Rose und Lob der Rose, erscheint die Rose als dieschönste Blume, als die Blume des Eros, des Bakchos, der Aphrodite,der Musen und – nicht zuletzt – des Dichters: „Sag, was möchte wohlden Sänger / Freuen, wenn die Rose fehlte?“101 Die Rose gilt als ewigjunge Blume, die Toten den Verwesungsgeruch nimmt und die Kranken

98 Ebd.99 Ebd.

100 Eine berühmte und vielbeschriebene Windharfe stand übrigens in Kerners Weins-berger Garten; G. Rückert 1970, S. 103. Ausführlich zum Motiv der Äolsharfe, nichtzuletzt zu seiner spiritistischen Bedeutung bei Kerner Braungart 1999, S.111–116 u.122 f.

101 Anakreontische Lieder, Lob der Rose, in: Mörike 1964, S. 1420 f., hier 1420.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik132

heilt.102 In An eine Äolsharfe bleibt es nicht beim abstrakten Lobpreisder schönsten Blume durch die Götter- und Musenwelt; Mörikes Spre-cher setzt das Wissen um die hervorragenden Eigenschaften der Rosevielmehr voraus und nutzt es für das eigene Gedicht. Hier wird dieRose als irdisches Gewächs sinnlich wahrnehmbar, und zwar durch denSprecher, dem sie zu Füssen fällt. Die schönste aller Blumen adelt denMörike-Text und seine Poetik: die Verbindung von alltäglicher und au-tonomer Dichtung, von antiker Bildlichkeit und irdischer Seelenwelt.103

Die dritte Reflexionsbewegung stützt diese Interpretation; sie betrifftdie Form. „Form schafft Bedeutung“, sagte Ulrich Hötzer über An eineÄolsharfe und erläuterte, wie Mörike das odisch ansingende Horaz-Motto in freien Rhythmen neu gestaltete.104

Erst im Gang durch diese drei Reflexionsebenen des Mörike-Gedichtszeigt sich, daß es seine unmittelbare Motivation aus der Klage empfängt –aus dem „tiefe[n] Schmerzen“, das Kerner zur Ursache aller Dichtungerhebt.105 In der Form eines neugestalteten Musenanrufs aber feiert sichdiese klagende Poesie.106 Beglaubigt wird sie durch die „absolut[e] Er-lebnisgegenwart“107 auf der Terrasse; sie läßt die Blumenmotive der Ana-kreontik wirklich und unmittelbar nachvollziehbar werden. Im Alltäg-lichen wird das Alte wiederbelebt. Dabei ist die Reflexion des Alten nieSelbstzweck, bloß spielerische oder universalreflexive „Poesie der Poe-sie“ oder gar ein früher Ausdruck des „l’art pour l’art“.108 Vielmehr prüftMörike die Dichtungsreflexion meta-reflexiv an der natürlichen undmenschlichen Wirklichkeit. Ihr ordnet er die Dichtungsreflexion unter;an ihr bewährt sie sich. In An eine Äolsharfe nimmt Mörike poetischeBilder (wie die Äolsharfe) in die ‚eigene‘ Umwelt hinein.109

102 Vgl. ebd., S. 1421.103 Braungart legte hier – im Blick auf die Schrift „Die Äolsharfe. Ein allegorischer

Traum“ von Johann Friedrich Hugo von Dalberg – eine andere, gleichfalls plausibleDeutung des Rosenmotivs vor. Danach versinnbildlichen die Rosen die Stimmen derToten, hier diejenige des Bruders, die sich am Schluß selbst zerstört (ders., 1999,S. 106–108 u. 124). Im Blick auf den Werkkontext der anakreontischen Gedichtebzw. ihrer Übersetzung erweist sich diese Deutung jedoch nicht als zwingend.

104 Siehe auch die Analyse von G. Rückert 1970, S. 105–109; Hötzer 1998, S. 220–226,bes. S. 226.

105 Siehe schon Braungart 1999, S. 125.106 Liewerscheidt 1995, S. 4; vgl. Jennings 1990.107 Hart Nibbrig 1973, S. 277; Liewerscheidt 1995, S. 3.108 Ich wende mich hier gegen Liewerscheidts Einordnung, ders. 1995, S.6.109 Hier haben sie – mit Braungart – Bewältigungsfunktion. Mörike, so Braungart, ver-

arbeitete in „An eine Äolsharfe“ nämlich den Tod des Bruders; ders. 1999, S.125–128.

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1. Schwäbische Dichterkreise: Poetik des ‚ganzen Menschen‘ 133

Anders als Uhland stellt er bildliche und kulturelle Traditionen wiediese nicht bloß abstrakt und (rollen-)typisch dar, sondern gewinnt siefür eine eigene poetische Wirklichkeit. Er greift zu diesem Zweck aufKerners Erkundungen des ‚inneren Lebens‘ zurück, beläßt es aber nichtbei dessen Gleichsetzung von Poesie und Schmerz. Vielmehr folgt Mö-rike den Mustern einer lebensbezogenen Dichtung,110 die sich der eige-nen Kreativität, Herkunft und Tradition besinnt. Gleichwohl weiß erum die ‚Vermitteltheit‘ dieser Dichtung, nimmt sie als vorgeprägtes Mu-ster wahr, das bestimmte Themen, Motive und Bearbeitungsformenkennt. Seine Lyrik erweist sich dabei als meta-reflexiv, weil sie sich so-wohl gegen die Reflexionspoesie romantischer Herkunft als auch gegeneine philosophische und als kunstfeindlich empfundene Poesie-Refle-xion abgrenzt: Die Dichtung Mörikes betont schlichte Wahrnehmungs-und Darstellungsformen, überhöht diese aber zugleich mit Hilfe antikerSymbole, weist also bereits darauf hin, daß sie Erleben und Empfindungim Gedicht als ‚gemacht‘ betrachtet, ohne bei dieser Erkenntnis stehenzu bleiben: Mörike bemächtigt sich solcher Artefakte wie der Äolsharfe,indem er sie in neue Kontexte stellt,111 in den eigenen (dichterischen) Le-bensraum hineinversetzt. Eine solche meta-reflexive Lyrik gründet imchristlichen Glauben, aber auch in neuhumanistischen Überzeugungen.

Mörikes Briefwechsel mit dem Jugendfreund Vischer erhellt die neu-humanistischen Hintergründe nicht nur für Mörikes lyrische Meta-Re-flexion, sondern auch für Vischers Aesthetik. Bei diesem Briefwechselhandelt sich um den warmherzigen und lebhaften Austausch eines anGelehrsamkeit und Wissenschaft interessierten Dichters mit einemPhilosophen, der gerne Dichter oder Maler geworden wäre. Die Freun-de streiten sich trefflich über dies und das, vor allem aber über Poesieund über den Zweifel am Leben und an der Religion. Ein Brief Vischersaus dem Jahr 1831 nimmt wesentliche Themen für die Auseinanderset-zungen auf; er behandelt Vischers skeptische Erzählung Ein Traum (ca.1830) und erlaubt überraschende Einsichten in die Selbsteinschätzun-gen der Freunde:

Du [angesprochen ist Mörike] gehörst zu denen, die die höchste Wahrheit inder Tiefe des Gemüts fest und sicher besitzen. Du kannst deswegen den

110 Heydebrand 1972, S. 315.111 Für Platen und Mörike beschreibt Horst Thomé (2002a, S. 34 f.), wie beide Ästheti-

sches historisch rekonstruieren, wie sie es noch in bestimmte Kontexte einbetten.Für Conrad Ferdinand Meyer sieht er bereits eine gegenläufige Tendenz, eine „radi-kale Entkontextualisierung“ am Werk (ebd., S. 35); vgl. auch Henel 1966.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik134

kranken Zustand des Skeptikers mehr nur als curiosum betrachten. Abermir, dessen Grundeigenschaft eine Welt und Gott, Schönheit und Wahrheit,Gemeines und Heiliges wie Scheidewasser durchfressende Skepsis ist, dieaber nie eine naturalistische oder rationalistische Tendenz hatte, war der In-halt [der von Mörike argwöhnisch betrachteten frühen Vischer-ErzählungEin Traum, die über einen Selbstmörder handelt] großer und tiefer Ernst.112

Vischer betrachtet sich als gefährdet, die Welt als zerrissen und will sei-ne Empfindungen ganz subjektiv in seiner Erzählung darstellen.113

Doch Mörike kritisiert den Text; er sei zu realistisch und nicht künst-lerisch genug. Vischer reagiert gekränkt. Er will die Kritik des Freundesnicht verstehen und erklärt sie sich – schon im neuhumanistischen Mu-ster – aus den besonderen Charaktereigenschaften, die das IndividuumMörike vom Individuum Vischer trennten. Danach stehen sich in denbeiden Freunden zwei Charaktertypen gegenüber: der ‚Gemüts-mensch‘ (Mörike), der von einer naiven, also unmittelbaren und unge-brochenen Einsicht in die Dinge lebe, und der ‚Zerrissene‘, Vischerselbst.114

Vischers Typus vollendet sich in Strauß: In den Jahren 1835 und 1836erscheint Das Leben Jesu. Darin kennzeichnet Strauß das Neue Testa-ment als eine Sammlung von Erzählungen und zweifelt auf diese Weiseihre Wahrheit an.115 Verglichen mit Strauß erscheint Vischer als morali-scher Denker und als jemand, der sich bereits in das bürgerliche Leben

112 Vischer an Mörike, Horrheim, 28. Januar 1831, in: Mörike u. Vischer 1926 Vischer1926, S. 28–34, hier S. 30.

113 Vischer an Mörike, Horrheim, 20. April 1831, in: Mörike u. Vischer 1926, S. 38–41,hier S. 39 [Hervorhebung im Original]: „Dadurch [durch eine objektivere Darstel-lung] wäre derselbe ein interessantes Phänomen geworden, eine psychologischeMerkwürdigkeit, in deren Genesis jedes Rindvieh hineinsähe. So objektiv soll es aberden Leuten nicht werden. Sie sollen die Köpfe recht verbockeln. Ferner das vom Hu-mor verstehe ich auch nicht; ohne Gemeinheit, ohne gründliche Auffassung des Pu-delgemeinen gibt es keinen Humor. Hat er denn noch nichts von Falstaff gelesen?Die Art, womit meine Katze entschuldigt wird, nehme ich nicht an. Der Leser sollimmerhin die kecksten sinnlichen Vorstellungen damit verbinden: aber er soll sichauch das Sinnlichste rein denken können. Dem Reinen ist alles rein.“

114 Will man den ‚Geist der Zeit‘ verstehen, dann hilft es nicht weiter, die Novelle als Er-gebnis „jugendliche[n] Brütens“ abzutun, wie Hermann Glockner (1931, S. 73,Anm. 1) es versucht.

115 Allerdings äußert sich Strauß nie in gleicher Weise radikal wie Ludwig Feuerbach, derdie Religion in seinen „Grundsätzen der Philosophie der Zukunft“ (1843) ganz inAnthropologie auflöst. D. F. Strauß: Literarische Denkwürdigkeiten (wie Anm.III.,45), S. 14. – Die Religionskritik der Junghegelianer wird in der Forschung in der Re-gel als homogen beschrieben, was nicht angemessen ist, blickt man in die Quellen:Zwischen Strauß und Feuerbach verläuft ein tiefer Graben.

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1. Schwäbische Dichterkreise: Poetik des ‚ganzen Menschen‘ 135

eingefunden hat: Er redet dem suizidgeneigten Freund ins Gewissen,116

der, so Vischers Kritik in den 1840er Jahren, sich aus seinen Launeneine anti-soziale und individualistische Ethik bastele.117 Im Jahr 1848kandidieren beide – auch im politischen Sinne Neuhumanisten – für dieliberale Partei, engagieren sich gegen die Kirche und für die Republik.Sie leiden heftig unter den politische Durchsetzungskämpfen und ent-sagen dem republikanischen Ideal schließlich.118 In den 1870er Jahrenbekennt sich Strauß sogar zu Bismarck und Moltke.119

Mörike ergreift von vornherein Partei gegen die Skepsis, die Vischerund Strauß in Krisen stürzt, aber auch zu Engagement veranlaßt. DerPfarrer aus Cleversulzbach wendet sich vor allem gegen Strauß, siehtden Glauben seiner Gemeinde durch Das Leben Jesu gefährdet undversucht, Vischer auf seine Seite zu ziehen. Mörikes Engagement wirktauf den ‚Gespaltenen‘; Vischer nimmt den Dichterfreund als stabilisie-rendes Moment wahr:

Du hast Gefühl und Phantasie reiner und kräftiger ausgebildt. Hier bin ichmehr spekulativer Art, mein Beruf hat, da er mich durch einen harten Kampfführt, Gemüt und Phantasie mit einer gewissen Roheit infiziert, woraus siesich, aber eben durch diese Philosophie wieder begossen und genährt, seit ei-niger Zeit wieder heraushelfen. Die Philosophie, zu der ich mich bekenne, ist

116 Vischer an Strauß, 11. November 1841, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I, S. 102–104, hier S. 103: „Keine Moral erlaubt Dir, ein Leichnam bei lebendigem Leib zuwerden.“

117 Ebd.: „Und so muß ich denn sagen, daß ich Deine Lebensphilosophie für Wahnsinnhalte. Du systematisierst Deine Launen, erhebst, was zu den Krankheiten des Indi-viduums gehört, zu Notwendigkeiten; Du willst Dir eine rein individuelle Ethikkonstruieren, die es in diesem Sinne nicht geben darf. Es gibt eine, aber keine, dieohne stattfindende mechanische Nötigung eine Absonderung von der Gesellschaft,ein freiwilliges Klosterleben erlaubt. Ich bin z. B. fest überzeugt, Du unterläßt dasDir so notwendige Reisen eigentlich bloß aus einer Scheue, die Deine Klostererzie-hung, Deine lange Einsamkeit, das unpraktische, was wir haben, unsere Schüchtern-heit erzeugte; dann legst Du erst in diese Scheue eine tiefere, Deinem tieferen Schick-sal entnommene Philosophie hinein und machst so künstlich ein sehr einfaches na-türliches Hindernis zu einem absolut moralischen. Glücklich sein wie naive unge-brochene Naturen kannst Du natürlich nicht mehr.“

118 Was Vischer betrifft, so legt ein Brief an Kerner davon beredt Zeugnis ab. Vischerverfaßte ihn während der Wahlvorbereitungen im Kreis Reutlingen. Er gewann dieWahl und zog für Reutlingen in das Frankfurter Parlament ein. Über die Wirren imVorfeld der Wahl, über die mühsamen Versuche, Unterstützer zu finden, heißt es indem eilig geschriebenen Brief: „Es liegt eine moralische Verletzung darin, eineschwere Abkühlung nach großen begeisternden Stunden!“ Vischer an Kerner, Reut-lingen, den 21. April 1848.

119 Kritisch über Straußens Ideologie der Bürgerlichkeit Lübbe 1963, S.99–102.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik136

eine außerordentliche Nährerin der Phantasie und des Humors; aber gewißaus guten Gründen hat mir ein guter Genius Deine feurigere und edlere Na-tur zugeführt, daß ich daran erstarke.120

Diese Selbst- und Fremdsicht bildet Vischer in einem Brief aus demJahr 1833 sogar zu einer Theorie. Danach betrachtet er sich als in einuniverselles, nämlich wissenschaftliches und im Kern ungläubiges, undals in ein individuelles, ein poetisches und phantastisches Ich gespal-ten.121 Diese Selbstdeutung entspricht – sofern sie die zweiflerische Sei-te betrifft – dem Typus des Jungdeutschen, der am neuhumanistischenIdeal des ‚ganzen Menschen‘ versagt.122 Mörike aber drängt den Freundimmer wieder dazu, sich dem poetischen Ich anzunähern und daszweiflerische Ich mit der Welt zu versöhnen. Dabei zeigt sich erstensMörikes ‚individualpsychologischer‘ Neuhumanismus, zweitens Möri-kes Abneigung gegen die theoretisch-abstrakte „Reflexion“ (in derDichtung),123 drittens aber auch sein Interesse an Fragen der Poetik undÄsthetik. Er ist es, der Vischer Johann Georg Sulzers Allgemeine Theo-rie der schönen Künste (1771–1774) empfiehlt: „Es enthält neben vielFalschem, Obsoletem, Halbem und Trivialem doch zuweilen lehrrei-che, sogar feine Bemerkungen.“124 Im Jahr 1832 – also zur Zeit der Nie-derschrift der umstrittenen Novelle – hatte sich Vischer aber nochüberhaupt nicht mit der Ästhetik befaßt;125 erst der Dichterfreund be-wegt ihn dazu.126 Mörike beeinflußt Vischer danach nicht nur maßgeb-lich, sondern stößt ihn erst auf das Gebiet der Ästhetik und facht seinInteresse an literarischen Texten immer wieder an – allerdings meistensex negativo: aus der Klage über das moderne Dichtungsunwesen, über„Kränklichkeit und Schmerzenprahlerei“.127

120 Ebd., S. 32.121 Vischer reserviert diese Selbstbeschreibung nicht für den Austausch mit Mörike,

sondern wendet sich in vergleichbarer Weise an Strauß; siehe Vischer an Strauß, Tü-bingen, 5. Januar 1839, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I, S. 75–77, hier S. 76.

122 Vgl. Huesmann 2001.123 Mörike an Vischer, Ochsenwang bei Kirchheim, 26. Februar 1832, in: Mörike u. Vi-

scher 1926, S. 48–57, hier S. 49.124 Ebd., S. 56.125 Vischer an Mörike, Maulbronn, 27. März 1832, in: Mörike u. Vischer 1926, S. 59–64,

hier S. 62: „Sobald ich Zeit haben, muß ich auch eine Ästhetik lesen. Ich habe überdas ästhetische Fach noch gar zu wenig wissenschaftliche Rechenschaft gegeben.“

126 Mörike an Vischer, Ochsenwang, 14. Mai 1832, in: Mörike u. Vischer 1926, S. 65–69,hier S. 69.

127 Mörike an Vischer, Ochsenwang, 5. Oktober 1833, in: Mörike u. Vischer 1926,S. 99–103, hier S. 102 f.

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Mörikes Briefpoetik läßt auf einen Autor schließen, dessen poetolo-gische Meta-Reflexion die eigene Tätigkeit absolut setzt. Reflexion er-scheint ihm zwar nicht als etwas per se Schlechtes, aber es gilt, sie imGriff zu behalten, um dem neuhumanistischen Menschen- und Bil-dungsideal zu entsprechen, das er verinnerlicht hat: Im Übermaß aus-geübt spalten Theorie und Begriffsbildung den ‚ganzen Menschen‘,zerstören seine natürliche Kreativität und seine empfindliche Seele. DieLiteratur gilt Mörike deshalb mehr als Theorie; das Ich soll sich lebens-nah und unakademisch ausdrücken. Mörike sehnt sich selbst nach derwahren, schönen und guten Form, nach einem klassischen, einem „ge-sunden idealen Stoffe“.128 Er überträgt – passend zu seinem Neuhuma-nismus – antike Lyrik:129 Vorbilder für An eine Äolsharfe.

All diese Bekenntnisse und Bemühungen helfen Mörike nicht. So-bald sich Vischer auf ästhetischem Gebiet von Mörike emanzipiert,gilt er ihm dennoch als ein viel zu romantischer Poet und eben nichtals ein klassischer Dichter des Wahren, Schönen und Guten. Aus die-ser Einschätzung entzündet sich ein Streit, der Mörikes Freundschaftzu Vischer ernsthaft in Frage stellt. Im Jahr 1837 erhält Vischer das Ex-traordinariat für Ästhetik und deutsche Literatur in Tübingen. Abernicht nur dieser Karrieresprung verändert das Verhältnis der beidenFreunde: Den Professor stört der Umstand, daß Mörike Märchenschreibt. Er nimmt sein Unbehagen daran zum Anlaß für eine sogrundsätzliche Diskussion, wie sie in allen vorausgegangenen Briefennicht vorkommt. Sie handelt wieder über die ästhetische Grundfrage,über die Vischer mit Uhland und schließlich auch mit Mörike stritt,nämlich über die dichterische Vorliebe entweder für das Ideal oder fürdie ‚gespaltene‘ Wirklichkeit von Mensch und Welt. Doch jetzt kehrensich die Verhältnisse um: Vischer zufolge widmen sich Romantiker inerster Linie dem Ideal und entrücken es in die Welt des Phantasti-schen, Wunderbaren oder Märchenhaften. Goethe, Schiller und andere„gediegenere[] Geister[]“ aber wollten nur „das Wirkliche in seiner fe-sten Ordnung, in klarem, gesetzmäßigen Verlaufe“ darstellen und die-se Wirklichkeit „im Feuer der Phantasie zum Träger höherer Ideenläutern“.130 Mörike, so Vischer, neige seit seiner Jugend zur Romantik,verkenne seinen Genius, der „zur Klassizität, zum reinen Ideale hin-

128 Ebd.129 Vgl. Mörike 1960.130 Vischer an Mörike, Tübingen, 1. April 1838, in: Mörike u. Vischer 1926, S. 146–150,

hier S. 147 f.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik138

drängt.“131 Mit anderen Worten: Mörike versage am eigenen neuhuma-nistischen Ideal.

Mörike reagiert gekränkt, verfertigt sogar einige Verse An FriedrichVischer, Professor der Ästhetik etc. (1838),132 in denen er seine Verblüf-fung über den Angriff des Freundes ausdrückt. Er fühlt sich als Dichterebenso wie als Mensch verletzt.133 In der Tat hat Vischer Wesentlichesgetroffen, wertet man Mörikes poetisch-poetologische Reaktion als In-diz dafür. Vischer jedenfalls spricht noch beinahe zehn Jahre späterüber diesen Konflikt. Er hadert mit den eigenen neuhumanistischenGrundsätzen, die ausgerechnet an Mörike scheitern: Mit dem DichterMörike streitet er um die ‚wahre‘, nämlich um die klassische Poesie;den Menschen Mörike aber will er dennoch lieben.134 Mensch undDichter treten auseinander, obwohl doch Talent, Temperament und Tä-tigkeit den ‚ganzen Menschen‘ bestimmen, die moderne Trennung derHandlungsrollen zugunsten des autonomen Individuums rückgängigmachen sollten. Hier steht die Reflexion – genauer: die poetologischeReflexion – gegen dieses sittliche Prinzip. Vischers literatur- und stil-geschichtliche Einordnung Mörikes in die Romantik erweist sich alskontrovers. Sie greift die Grundfesten der Verständigung im TriumviratMörike, Vischer und Strauß an und zerstört die freundschaftlicheKommunikation bis zu einem gewissen Grad. Der Neuhumanismus,der die Verständigung und die Poetiken der Freunde anleitete, findet ander Poetik seine Grenze. Wieder ging der wesentliche Impuls dafüraber nicht von Vischer aus, sondern von Strauß.

131 Ebd., S. 148.132 Es beginnt mit den Versen: „Oft hat mich der Freund verteidigt, / Oft sogar gelobt,

doch nun?“ Mörike 1964, S. 111.133 Der berufliche Tadel kommt, so zeigt es die Reaktion Mörikes, dem persönlichen

gleich. Arbeitsform und Charakter scheinen für ihn eng zusammenzuhängen. Ver-gleichbare Strukturen weist das Berufsethos der Germanisten im 19. Jahrhundertauf; siehe darüber Kolk 1989.

134 Vischer an Mörike, Tübingen, 21. Dezember 1847, in: Mörike u. Vischer 1926,S. 179–185, hier S. 182: „Zwar glaube ich jetzt – ich muß ganz offen sein –, daß zumTeil auch jenes Prinzip der Romantik es ist, das Dich größeren, männlichen Stoffenentfremdet. Hab ich recht, hab ich unrecht? Das sollte ja unserer Freundschaft nichtsverschlagen. Wir könnten wohl über Prinzipien zanken und uns lieben.“

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1. Schwäbische Dichterkreise: Poetik des ‚ganzen Menschen‘ 139

b) David Friedrich Strauß, Friedrich Theodor Vischerund Friedrich Gundolf über Eduard Mörike:

Modell des naiven und humanen Dichters

Bezeichnenderweise rivalisierten Mörike und Strauß schon immer umdie ‚wahre‘ Sicht auf Welt und Wissen – nicht nur in bezug auf die reli-giöse Skepsis. Dabei gilt Strauß Mörike seit jeher als unpoetisch und alsunsinnlich, in mancher Hinsicht sogar als unsympathisch.135 Noch imJahr 1832 bestätigt Vischer Mörikes Abneigung:

Ich glaube fest, daß er [Strauß] gegenwärtig auf die Poesie herabsieht. Es liegtzwar im System, daß sie eine niedrigere Erscheinungsform des Geistes ist, alsdie Philosophie, allein wie unsinnig es ist, sie deswegen auf dem Standpunktedes wirklichen Lebens gleichsam nicht als notwendiges Glied gelten zu las-sen und vornehm anzusehen, dies würde Strauß vielleicht besser erkennen,wenn nicht ein Mangel seiner Natur ihn daran hinderte, nämlich der Mangelan Sinnlichkeit, welche Dichter und Leser gleich notwendig brauchen. Wennich nicht mit Strauß zerfallen wäre, würde ich sagen, es komme dazu seinHochmut. Da ich es aber nun doch gesagt habe, so kann ich nicht mehr hel-fen. Ich kann mich deswegen nicht versöhnen, weil seine Freundschaft Gna-de ist und er die Natur des Freundes wie aus der Vogelperspektive unter sichzu haben meint. Ich brauche nicht zu sagen wie sehr ich ihn schätze, aberzehn Schritte vom Leib.136

In den späten 1830er Jahren schilt Strauß Mörike, wenn auch in besterAbsicht. Er ist es, der den folgenschweren Konflikt zwischen Vischerund Strauß anzettelt:

Ich hatte noch gestern ein Gespräch mit Köstlin137 über Mörike; wir kamenüberein, daß er das specificum, was den Dichter macht, in einem Maße, wienur wenige, z. B. in höherem, als etwa Schiller selbst, besitze: und doch wer-de er nie ein großer Dichter werden. Wie nun das, was ihm hiezu fehle, zu

135 Mörike an Vischer, Ochsenwang, 4. August 1832, in: Mörike u. Vischer 1926,S. 86–91, hier S. 90 f.: „An Strauß kann und mag ich mich nicht wenden. Auf seinemgegenwärtigen Standpunkte müßte ihm so ein gemächte der Phantasie als etwas sehrGeringfügiges vorkommen. Er hat mir kurz vor Antritt seiner Berliner Reise seineDenkungsart über das ganze Feld der Poesie zu deutlich verraten; auch habe ich in-zwischen und zwar ganz neuerdings durch Andere ähnliche Begriffe von ihm erhal-ten. Er ist mir respektabel in jedem Betracht, aber um über gewisse Seiten des Ge-müts mit Wärme reden zu können, müßte er nicht Strauß sein.“

136 Vischer an Mörike, Maulbronn, 28. August 1832, in: Mörike u. Vischer 1926,S. 91–93, hier S. 92 f.

137 Gemeint ist der Dichter und Jurist Reinhold Köstlin; siehe Kommentar, in: D. F.Strauß u. Vischer 1952/53, I, Anm. 47, S. 291.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik140

nennen sei, darüber konnten wir uns nicht vereinigen. Da er ein leibhafterPoet ist: ist denn das, was ihm zum großen Poeten fehlt, auch etwas Poeti-sches, oder etwas Anderes? Anschließung ans Objektive ist jedenfalls etwasdavon; denn so wirklich auch seine Gestalten sind, so bleibt ihre Wirklich-keit doch eine subjektive: sie sind z.B. außerhalb aller Bedingungen der Zeit,könnten in allen Jahrhunderten gelebt haben.138

Von den Talenten Mörikes spricht Strauß mit Hochachtung; derFreund gilt ihm als ein Dichter wie nur wenige – selbst verglichen mitden bekanntesten Poeten. Aber zugleich ist er unzufrieden mit demAspiranten auf das höchste Dichteramt. Er schreibe zu subjektiv undzu ahistorisch, bemängelt Strauß. Vischer überträgt diese geschichts-philosophisch inspirierte Klage in die Terminologie des Professors fürÄsthetik. Am 11. März notiert er in einem Brief an Strauß:

Daß Mörike in der Romantik stecken bleibt, in dem Willkürlichen undPhantastischen, sehe ich ebenfalls mit Mißfallen und will ihn doch mit gehö-riger Behutsamkeit auch an das Epische der vernunftgemäßen Wirklichkeit,und das Dramatische, in meinem nächsten Briefe weisen. Ich habe mir dieseszurückbleiben bisher nur historisch erklärt, nämlich daß er sich in seiner Ju-gend durch Gesellschaft etc. für die Romantik so entschied, daß er seine See-le, wie es zu gehen pflegt, diesem jetzt von der Zeit zurückgelegten Prinzipverschrieb. Das muß es aber freilich in ihm selbst seinen Grund haben, undwenn man seinen genius familiaris betrachtet, hiezu sein verfehltes, anschau-ungs- und erfahrungsloses Leben nimmt, so ergibt sich freilich, daß diePhantasie in ihm nur fragmentarisch das reine Ideal, d.h. eine Gestalt, welchedas Leben verklärt, ohne seine Gesetzmäßigkeit zu alterieren, hervorbringt,sondern vorherrschend als ein die reinen Gesetze trübender, für das Wun-derbare entschiedener relativer Wahnsinn zum Vorschein kommt. Man sollteihn nötigen, Geschichte zu studieren und die Klassiker.139

Vischer formuliert eine anti-romantische und psychologische Erklä-rung des Phänomens Mörike. Er äußert sich dabei hart gegen denFreund, der schon seit seiner Jugend der Romantik verfallen sei, undder ein „verfehltes“ Leben führe. Aus einem solchen Leben könne ebennichts Klassisches erwachsen, so Vischer. Hier scheinen sich die Dingegewendet zu haben: Wenn Mörike Vischer vormals Unterstützung ge-währte, dann bedarf er, so will es Vischer, nun selbst der Unterstüt-

138 Strauß an Vischer, Stuttgart, 28. Februar 1838, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I,S. 49–51, hier S. 50.

139 Vischer an Strauß, Tübingen, 11. März 1838, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I,S.51–54, hier S.52. Otto Borst bezieht sich ebenfalls auf diesen Brief, gibt ihn und dieDebatten zwischen Strauß und Vischer jedoch nicht ganz richtig wieder; vgl. Borst1988, S. 59 f.

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zung. Demjenigen, der Vischer erst auf das Wissensgebiet der Ästhetikhinwies und der ihn von der skeptischen Subjektivität seiner frühenNovelle wegführte, demjenigen weist Vischer nun den schwächerenPart in der poetologischen Auseinandersetzung zu. Am 1. April sendeter Mörike eine entschärfte Fassung des Briefs, den er Strauß schrieb.

Während Vischer die Freunschaft mit Mörike riskiert, hält Straußsich offiziell zurück. Aber ausgerechnet er wird später für ein Urteilüber Mörike, das „Muttersöhnchen der Muse“,140 verantwortlichzeichnen, das diesen zum wahrhaft humanen (oder besser: humanisti-schen) Dichter erhebt. Jahre später, als die Wogen zwischen Vischerund Mörike leidlich geglättet sind, lobt Strauß Mörike nämlich über-schwänglich:

[...] das aber wußte man, fast noch ohne seine Gedichte zu kennen, daß hierein Dichter sei. Ja, Mörike ist für uns alle, die sein Wesen unmittelbar odermittelbar berührt hat, das Modell dessen geworden, was wir uns unter einemDichter denken. [...] Ihm verdanken wir es, daß man keinem von uns jemalswird Rhetorik für Dichtung verkaufen können; daß wir allem Tendenzmä-ßigen in der Poesie den Rücken kehren; daß wir Gestalten verlangen, nichtüber Begriffsgerippe künstlich hergezogen, sondern so wie sie leiben und le-ben, mit Einem Blick vom Dichter erschaut und in’s Dasein gerufen. Ja, Mö-rike ist Dichter, jeder Zoll ein Dichter und nur Dichter.141

Mörike gilt Strauß nun als das Modell des ‚wahren‘ Dichters, und dar-unter stellt er sich vor, was Mörike – Straußens Ansicht nach – lehre:daß Rhetorik keine Poesie und daß Tendenzpoesie schlecht sei, daß derDichter demgegenüber seine Gestalten schauen und „in’s Dasein“ ru-fen müsse. Kurzum: In Mörike wird die poetische Intuition Mensch.

Strauß äußert sich unkritischer über Mörike als Vischer. Zwar preistVischer den Freund in seinem Aufsatz Gedichte von Eduard Mörike(1839) als „ächten“ Dichter, ja sogar als die ‚wahre‘ Dichterpersönlich-keit seiner Zeit, aber er spart dabei nicht mit Kritik: Mörike steht dermärchenhaften Poesie Kerners, Arnims und Brentanos zu nahe, als daßihm sein Platz auf dem poetischen Olymp (neben Goethe und Uhland)schon sicher wäre. Wenn Mörike auch bereits – in einem positiven Ver-ständnis von naiv (im Sinne von ‚ursprünglich‘, ‚authentisch‘) – als be-ster Gegenwartsdichter gilt, dann droht er doch an der Reflexion zuscheitern. Vischer nimmt hier auf, was Strauß in seiner Mörike-Lauda-

140 Strauß an Vischer, Ludwigsburg, 29. Oktober 1838, in: D. F. Strauß u. Vischer1952/53, I, S. 70.

141 D. F. Strauß 1847a, S. 491 f.

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tio ausblendet: die „Reflexionsbildung“ des Zeitalters und die sittlicheLehre, die damit zusammenhängt. Denn aus Vischers Sicht muß sichdas Dichtergemüt den „Schmerzen“, „Leiden“ und „Disharmonie[n]“des modernen Lebens stellen, die von der „Reflexionsbildung“ verur-sacht sind, um sich in den „Dienste einer concreten sittlichen Idee“ zubegeben.142 Mörike scheint auf dem besten Weg dorthin – aber eben nurauf dem Weg. Sein meta-reflexives Dichten bezieht sich zwar bereitskritisch auf die „Reflexionsbildung“. Aber die Schlußfolgerungen, dieer daraus zieht, schätzt Vischer als unzureichend ein. Wenn Mörikeauch dem ‚ganzen Menschen‘ zur Sprache verhilft, dann bleibt das hu-manistische Moment in seiner Dichtung – nach Vischer – doch hinterdem ‚innerlichen‘ zurück. Mit anderen Worten: Mörikes Poesie nimmteinen zu geringen „Grad[] der Reflexion“ auf, erweist sich als zu ro-mantisch und als zu wenig klassisch, als zu nah bei Kerner und als zufern von Uhland.143 Während Strauß in Mörike schon den wahrhaft hu-manen Dichter erblickt, gibt Mörike für Vischer nur das Modell für einsolches Dichterideal ab. Mörike genügt den neuhumanistischen Anfor-derungen des Professors für Ästhetik nicht.

Im Jahr 1930 erscheint ein Beitrag, der Mörike demgegenüber nichtnur in einem – etwas anderen – neuhumanistischen Sinne als einen poe-tischen Genius preist, sondern dabei erstaunlicherweise auch aufStrauß und Vischer Bezug nimmt. Sein Autor heißt Friedrich Gundolf,und er publiziert seinen Text in einer der international führenden Lite-raturzeitschriften: in The Criterion (1922–1939) von Thomas StearnsEliot.144 Gundolf, der Wissenschaftspoet, der bis zum Jahr 1925 demGeorge-Zirkel angehörte, deutet seinen Gegenstand für die Leser vonThe Criterion erheblich um.145 Diese Umdeutung betrifft vor allemzwei Aspekte: erstens schätzt Gundolf die Romantik – gegen Vischerund Strauß – überhaupt positiv ein. Zweitens betrachtet er Mörike alseinen Vorläufers der Lyrik um bzw. nach 1900.

Die erste Umdeutung dient Gundolf dazu, Mörike als einen typischdeutschen Dichter vorzustellen, denn er verkörpert für ihn genau das,

142 Vischer 1975, S. 14 u. S. 21.143 Ebd., bes. S. 9.144 Gundolfs deutschsprachiger Beitrag über Mörike weicht von dem „Criterion“-Text

ab. Vgl. F. Gundolf 1931; über die Konstellationen im George-Kreis Osterkamp2000, S. 173.

145 Wenn Gundolf dem Zirkel zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrages auchnicht mehr angehörte, so weist der Text doch erhebliche Spuren von den Vorstellun-gen des Zirkels auf.

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was mit der Romantik begonnen habe: das Schreiben „against all thestress of our material existence“.146 „In Germany since the RomanticMovement, we call it Poesy.“147 Gundolf wählt einen sehr einlinigenBegriff von Poesie, der demjenigen von Vischer und Strauß wider-spricht; Gundolf legt Poesie darauf fest, den Menschen vom Ballast desMateriellen zu entlasten, formuliert eine ‚Kompensationstheorie‘ fürPoesie. Vor diesem Hintergrund erscheint Mörike – mit Eichen-dorff – als ein Vertreter höchster Dichtkunst, der sich ohne weiteres andie Seite von Homer, Dante, Shakespeare, Goethe, Pindar, Hölderlin,George, Racine, Voltaire, Manzoni, Scott, Balzac, Dickens, Tolstoi,Dostojewski, Keller und Hamsun (in dieser Reihenfolge) stellen las-se.148 Zum Beleg zitiert Gundolf Strauß:

Mörike need but touch a thing and it gives forth melody. As his friend, DavidFriedrich Strauß, declared: when Mörike took up a handful of dust, a littlebird would arise from it.149

Mörike verfügt nach Strauß (und Gundolf) über jene Gaben, die denDichter auszeichnen. Aber Gundolf deutet diese Gaben schon mitBlick auf die ‚décadence‘:

Yet throughout his life he skirted the fringes of these greater vicissitudes andlesser imperfections with his delicate sensibility, his alterness, his venture-some timidity (if the expression be pardoned), which in German poetry, atany rate was unknown before the day of Nietzsche. Mörike, rightly laudednowadays as the hearty songster of his native soil, a model for the pro-pounders of contentment, is yet a kinsman of the so called Decadents and co-eval not only with Schiller and Hölderlin, but also with Baudelaire andPope.150

Das Phänomen Mörike gewährleistet also in einem gewissen Sinneauch die Kontinuität hoher deutscher Dichtung – zumal Mörike aus ei-nem ‚typisch‘ deutschen Umfeld kommt. Gundolf begnügt sich abernicht damit, das Phänomen Mörike aus der Idylle des Schwabenlandszu erklären. Vielmehr stellt er diese Umgebung und ihr Produkt, diePoesie Mörikes als „friendlier, sturdier, healthier“ dar – im Vergleich zu

146 F. Gundolf 1930, S. 682.147 Ebd.148 Ebd., S. 683 – in dieser Reihenfolge.149 Ebd.; das Originalzitat lautet: „Er nimmt eine Handvoll Erde, drückt sie ein we-

nig – und alsbald fliegt ein Vögelchen davon.“ Mörike 1964, S.1437.150 F. Gundolf 1930, S. 684 f.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik144

jener Dichtung, die den Großstädten Paris und Boston entstamme.151

Mörike, so Gundolf, nehme noch den eigenartigsten Stoff in seine poe-tische Idylle auf und umgebe ihn mit einer „homely intimacy“,152 miteiner besonderen Art von „glamour“, der intim und sublim zugleichwirke.153 Als einer der letzten Physikotheologen, als einer der verblie-benen „Priester der Natur“ dichte er vor allem über die kleinen Dinge;er überführe diese allerdings – anders als die Physikotheologen des frü-hen 18. Jahrhunderts – in ein ganz und gar pantheistisches Dichter-Universum.154

Gundolf verkürzt Mörikes Poesie beinahe vollständig auf ihre ästhe-tische Wirkung. Es verwundert nicht, daß er von allen denkbaren Dich-tergaben Mörike nur eine „faculty of imparting poetic glamour“ zu-schreibt.155 Aus der meta-reflexiven Dichtung Mörikes wird durchGundolfs Brille ein reflexiver Ästhetizismus, ein Ästhetizismus, dersich bewußt auf Heim und Garten beschränkt und sich der großen Weltzugunsten einer gesunden und lieblichen Natur verweigert: l’art pourl’art in Cleversulzbach. Für Gundolf beginnt das Fin de siècle mit dempoetisierenden Blick eines schwäbischen Pfarrer-Pantheisten durch dasbiedermeierliche Butzenfenster. Die Zuschreibungen, die Gundolf fürdiesen Blick bereithält, nehmen den meta-reflexiven Zug der Lyrik Mö-rikes nicht auf, sondern überführen diese in einen zeitlosen Raumselbstreflexiver und ‚reiner‘ Kunst, die sich dem Druck der materiellenExistenz entzieht und sich weder kritisch mit sich selbst noch mit ihreneigenen Entstehungsbedingungen auseinandersetzt.

Trotz dieser ahistorischen Mörike-Deutung ruft Gundolf Vischerund Strauß als Zeugen für seine Sichtweise auf. Daß diese Zeugenschaftdurch Unkenntnis erkauft ist, zeigt schon Gundolfs emphatischer Ver-weis auf die Briefe der Freunde: „Even D. F. Strauss and F. T. Vischer,gifted plodders or staid geniuses both, grow almost lyrical when they

151 Ebd., S. 685.152 Ebd., S. 687.153 Ebd., S. 698 f.154 Der Vergleich mit der Physikotheologie lohnte das Weiterdenken, wenn Mörikes

Naturlyrik auch nicht in erster Linie der Verherrlichung der Schöpfung dient, wiedie umfangreichen Vers-Darbietungen von Barthold Heinrich Brockes und DanielWilhelm Triller. Gundolfs Ansichten über einen vermeintlichen Pantheismus Möri-kes allerdings finden in den Briefzeugnissen des Pfarrers und Autors keine Entspre-chung. Zwar mag es sein, daß er sich auch in einem nicht-christlichen Sinn natur-theologisch äußerte, aber im Prinzip gab er den christlichen Glauben nicht auf.

155 F. Gundolf 1930, S. 698 f.

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speak of him or to him.“156 Ausgerechnet in ihren Briefen, in ihren di-rekten Äußerungen über oder an Mörike, kritisieren Strauß und Vi-scher den Dichter-Freund aber in scharfen Tönen. Strauß, Vischer undGundolf stimmen in ihrer Einschätzung Mörikes nur insofern überein,als sie den Dichter für ausgesprochen begabt, weniger aber als einen„master of all that European humanism could offer“ betrachten.157 Ver-banden Vischer und Strauß mit diesem Humanismus noch Schillers be-rufsspezifische Anthropologie, nach der erst der Dichter ein „ganze[r]Mensch“ wäre,158 so meinte Gundolf demgegenüber die einzigartige‚Gestalt‘ des Dichters: den Genius, der nicht erst ‚werden‘ muß, son-dern qua Natur für poetische Qualität bürgt.

Aber es gibt eine weitere Ähnlichkeit. Sie betrifft nur Gundolf undStrauß, genauer: ihre weniger systematische, als vielmehr emphatischeArt und Weise, mit dem Phänomen Mörike umzugehen. Strauß undGundolf erklären sich nämlich selbst zu Wissenschaftspoeten, um sichder anschaulichen Darstellung ihres Gegenstands zu widmen – mit derKonsequenz, aus den universitär versorgten Berufsständen ausge-schlossen zu werden. Die Art und Weise, wie sich ihre Mörike-Begei-sterung artikuliert, verdankt sich diesen Selbstbestimmungen, so sehrdiese auch im Detail voneinander abweichen: Gundolf beispielsweiseversteht unter dem Wissenschaftspoeten einen gebildeten Ästheten, dersich der wissenschaftlichen Methodik – im Namen seines Gegen-stands – verweigerte.159 Ganz anders Strauß: Immer wieder versicherter sich seiner Quellen und nennt diese auch; von der Poesie erborgt ersich bloß Sprachbilder und die erzählerische Absicht. Aus seiner Sichtvermittelt Poesie nicht per se wissenschaftliche Erkenntnis; sie hilftbloß, diese ‚schön‘ und populär zu gestalten.

156 Ebd., S. 686.157 Ebd., S. 683.158 So zumindest sieht es Strauß; Strauß an Vischer, Heilbronn, 3. Juni 1846, in: D. F.

Strauß u. Vischer 1952/53, I, S.172 f., hier S.172. Vischer ist nicht ganz zufrieden undversucht, den anthropologischen Wert des Philosophen argumentativ zu verbessern.Vischer an Strauß, 7. Juni 1846, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I, S.173–175, hierS.174: „Gut, aber kann man nicht etwa so sagen: Philosophie ist mehr als Kunst, aberder Philosoph weniger (Mensch) als der Künstler? Es ist kein Widerspruch, dennwer das Ganze in seiner Allgemeinheit treibt, der kommt als Phänomen zu kurz, undder Lebenswürdigere ist der, welcher schließlich auch mehr Irrtum hat.“

159 Über Gundolfs Wissenschaftspoesie Osterkamp 2000, S. 166–173.

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Exkurs. David Friedrich Straußüber die Poetik der Wissenschaftspoesie

Wie Vischer hält sich Strauß für einen verhinderten Künstler, für einenverkappten Poeten, dem aber wichtige Voraussetzungen für die Poesiefehlten.160 Von den vier Gaben, die – nach Strauß – einen guten Poetenauszeichneten, besäße er genau genommen nur eine: das Gefühl oderdie Einfühlung. Es mangele ihm, dem scheuen Gelehrten mit derschwachen Sehkraft, aber – erstens – an „sinnliche[r] Receptivität“, ander Gabe, Stoffe und Ereignisse aufzunehmen.161 Zweitens ersetze ihmein „vacuum“ die Phantasie, die der Dichter so dringend benötige.162

Strauß spricht sich selbst allenfalls die „Gabe der Metapher“ zu, dieGabe, sprachliche Bilder zu erfinden.163 Auch um das Talent, dem Er-fundenen eine Form zu verleihen, stünde es bei ihm nur mäßig. Zwarliege ihm die Prosa, nicht aber das Verseschmieden. Kurzum: Straußwäre nicht der Poet geworden, den er sich vorstellte, und er begnügtesich mit einem Dasein als gelehrter Schriftsteller. Ex negativo läßt sichdieser Selbstbeschreibung entnehmen, was den guten Dichter nachStrauß auszeichnet: Einfühlungsvermögen, sinnliche Aufnahmefähig-keit, Phantasie und Form-Empfinden. Dieser Dichter hat einen Na-men: Mörike.

Weil Strauß an so vielen Anforderungen scheiterte, denen Mörike ge-nügte, ernennt er sich zu einem Poeten zweiter Klasse, zum Wissen-schaftspoeten. Es handelt sich dabei um ein berufliches Zwitterwesen:um eine Kreuzung aus Poet und Wissenschaftler. Das Zwitterwesenträgt poetische und wissenschaftliche ‚Gene‘ in sich, bleibt aber in bei-den Bereichen Dilettant. Er unterscheidet sich damit vom ‚poeta doc-tus‘, der beansprucht, Gelehrtes ohne Bedeutungsverlust bloß schön,nämlich in Versform auszudrücken. Strauß verzichtet sowohl auf dieVersform – er wählt die ungebundene Rede – als auch auf den Wissens-anspruch des gelehrten Poeten. Er beschreibt seine Tätigkeit und ihrErgebnis vielmehr als populär, als Angebot an einen Leser, der in ersterLinie unterhalten und erst in zweiter Linie informiert sein will.

160 D. F. Strauß: Literarische Denkwürdigkeiten (wie Anm.III., 45), S. 8: „So viel ist ge-wiß, wie ich 18 Jahre alt war, wenn ich damals das Zeug in mir gefunden hätte zu ei-nem Dichter, so hätten Philosophie und Theologie vor mir große Ruhe gehabt.“

161 Ebd., S. 10.162 Ebd.163 Ebd.

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1. Schwäbische Dichterkreise: Poetik des ‚ganzen Menschen‘ 147

Sofern das Gebiet der Ästhetik betroffen ist, wird Strauß jenen Di-lettantismus, dessen er sich selbst bezichtigt und der ihn übrigens auchvon Vischer unterscheidet,164 stets bedauern.165 Was er der ästhetischenGelehrsamkeit Vischers entgegenzusetzen hat, beschränkt sich auf dieschöne Gestaltung. Wissenschaftspoesie, die dilettantische und unge-lehrte Wissenschafts-Prosa, beruhe zwar auf der Kenntnis des „Mate-rials“, soll aber wesentlich „Stimmung, [...] Phantasie, [...] Intuition“des Verfassers stimulieren,166 um einen komplexen dialektischen Ver-schmelzungsprozeß in Gang zu setzen.167

Im Ergebnis steht eine Wissenschaftspoesie, die sich besonders inder historischen Biographie ausdrückt, dem „Roman, wie [er, Strauß]ihn schreiben konnte.“168 Zum Zweck der historischen Biographiewählt er sich solche Gelehrte, Dichter oder Politiker, die ihm in der einoder anderen Hinsicht ähneln,169 in die er sich also ohne Schwierigkei-ten hineinversetzen und die er aus unmittelbarer (Selbst-)Anschauungschildern kann. Er schreibt über Justinus Kerner, Ludwig Bauer, Ni-codemus Frischlin,170 August Wilhelm Schlegel, Karl Immermann,

164 Gleichwohl weisen auch Vischers Kenntnisse Lücken auf; in die Notenlehre bei-spielsweise arbeitet sich Vischer nur mit großer Mühe ein. Vischer an Mörike, Tü-bingen, 13. Juli 1854, in: Mörike u. Vischer 1926, S.201–203, hier S. 202 f. [Hervorhe-bung im Original]: „Jetzt such ich mich in die Musik einzubohren und werde von demNoten- und Zahlenwesen ganz dumm bis zum Kopfweh. Eine dumme Geschichte!Am Ende ist die Musik doch die bloßgelegt Seele aller Kunst, daher alles und nichts,die Idee des Körpers ohne den Körper. Nun ist sie reines Verhältniswesen. Wenn sienun die Seele aller Kunst, der ausgesprochene Rhythmus in allem ist, ist nicht allesSchöne am Ende ein reines Verhältniswesen, das so beschaffen ist, daß ein nachmeß-barer und nachrechenbarer Proportions-Kanon sich in der einen Kunst mehr, in derandern weniger, in einem Stil mehr, im andern weniger, in Unendlichkeiten verliert,die auch noch Maß- und Zahlverhältnisse haben, nur nicht mehr verfolgt werden kön-nen? Wenn nun aber ein armer Teufel nicht messen, nicht rechnen kann, keine Notenversteht, bei fis und gis, fes und ges usw. schon Kopfweh kriegt und zum Simpel wird,was für Beruf hat er zur Ästhetik? Antwort? Das ist die Antwort, daß ich etwas an-deres hätte werden sollen, nämlich abwechselnd Soldat, Maler und Schauspieler.“

165 D. F. Strauß: Literarische Denkwürdigkeiten (wie Anm.III., 45), S. 60 f.166 Ebd., S. 7.167 Ebd., S. 12. – Über die Dialektik sagt Strauß außerdem, sie diene ihm als „Surrogat“

für seine „schöpferische Phantasie“ und bringe sein „gespaltenes Wese zur Einheit“.Ebd.

168 Ebd., S. 35.169 Strauß spricht dafür von einer „Verwandtschaft der Natur“; ebd., S. 30.170 Straußens „Frischlin“ begeistert Vischer. Vischer an Strauß, Zürich, 13. Dezember

1855, in: D.F. Strauß u. Vischer 1952/53, II, S.98–100, hier S.99: „Du bist Historiker,historischer Künstler geworden.“

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik148

Barthold Heinrich Brockes, Hermann Samuel Reimarus, Ulrich vonHutten, Christoph Friedrich Daniel Schubart, Friedrich GottliebKlopstock, Christian Märklin, Voltaire und Friedrich I. Immer wiederversucht Strauß dabei, das Werk aus dem besonderen Verfasser-Indivi-duum zu ergründen: Ein neuhumanistisches und liberales Interesseleitet alle diese Schriften, vor allem diejenige über den verehrten Hut-ten.171

Das Beispiel des Wissenschaftspoeten Strauß ist daher gleich unterzweierlei Aspekt bedeutsam: Es handelt sich erstens um einen Gelehr-ten, der immer wieder auf die Poesie schaut und in ihr ein unerreichba-res Vorbild für seine ‚Schriftstellerei‘ erblickt. Zweitens steht Straußwie nur wenige Gelehrte für die Forderung nach Unmittelbarkeit ein.Denn die Auswahl seiner Gegenstände und sein schriftstellerischer‚Verschmelzungsprozeß‘ zielen genau darauf. Konsequenterweise po-lemisiert er gegen eine solche Poesie, die bloß sich selbst bespiegelt, diesich nicht – wie der ideale Poet und der ideale Wissenschaftspoet – denMenschen, dem Leben, den Ereignissen widmet und diese phantasie-voll gestaltet, sondern die ‚bei sich‘ bleibt.

2. David Friedrich Strauß Ästhetische Grillen (1847):sechzehn Thesen gegen die „Poesie der Poesie“,

vor allem gegen Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck

Kaum ein zweiter Text des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts be-faßt sich deshalb so explizit – oder vielmehr: so polemisch mit demThema der künstlerischen Selbstbespiegelung wie die Streitschrift Äs-thetische Grillen (1847) von Strauß.172 In sechzehn Thesen beklagt erden Verfall der zeitgenössischen Kunst. Schuld an der Misere sei vor al-lem eines, nämlich die „sich selbst bespiegelnde Subjectivität der Ro-mantik.“173 Wie Vischer gibt Strauß ihr die Schuld an all dem, was er als

171 D. F. Strauß: Literarische Denkwürdigkeiten (wie Anm. III., 45), S. 31: „Er [der po-tentielle Held einer Biographie] mußte geistige Interessen zeigen, geistige Thatenaufzuweisen haben, und zwar in einer Richtung, die der meinigen verwandt war; ermußte dem Licht, der Freiheit zugekehrt, ein Feind der Despoten und der Pfaffensein.“

172 Schon deshalb erstaunt die Tatsache, daß sich der Text nicht in der Strauß-Werkaus-gabe findet. Im folgenden wird deshalb nach dem ersten und meines Wissens einzi-gen Druck zitiert: D. F. Strauß 1847.

173 Ebd., S. 385, 16.

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2. David Friedrich Strauß Ästhetische Grillen 149

ästhetisches Übel begreift. Um diese Schuldzuweisung zu begründen,kehrt er die Spiegelmetapher um, die das Verhältnis von Kunst undWelt versinnbildlicht:

Man hat die Kunst einen Spiegel der Welt genannt; ein Spiegel ist sie nochimmer, in welchem aber der Künstler jetzt häufig mehr sich selbst als dieWelt zu sehen und sehen zu lassen trachtet.174

Einstmals besang die Dichtung nicht nur die Helden, sondern auch„Lust und Leid der Menschenbrust“.175 Nunmehr, so die Diagnose vonStrauß, die Jean Paul schon zuvor in vergleichbarer Weise formulierteund polemisch gegen Novalis richtete,176 begnüge sich die Poesie damit,sich selbst zu betrachten; der Dichter dichte am liebsten über den Dich-ter – sowie der Maler den Maler male.177 Was den Lyriker besondersauszeichnet, daß er nämlich „von sich“ reden sollte,178 wird ihm nun-mehr zum Problem. Denn gegenwärtige Lyriker handelten nicht mehrüber sich als Menschen, wie es ihrem Amt gebühre, sondern über sichals Dichter:

[...] will er [der Lyriker] mehr als nur der beredte Mund des Menschen sein,sehen wir ihn ganze Sammlungen hindurch sich den poetischen Schnurrbartstreichen und in den schwarzen Dichterlocken wühlen: dann auf die Putzti-sche geniesüchtiger Damen mit ihm, aber fort aus den Büchersammlungender Männer, aus den Händen des Volks!179

Strauß beschimpft solche Dichter des Dichters nicht nur als eitel, son-dern auch als feige. Sie sind es, die „Fortschrittsideen“ predigen – aberbloß über Taten singen, statt sie zu vollbringen.180 Hier mischt sichzweierlei: die Gegnerschaft zur Romantik und diejenige zum ‚JungenDeutschland‘. Eine solche Mischung erweist sich allerdings als proble-

174 Ebd., S. 379, 1.175 Ebd., 2.176 Jean Paul 1996, 1. Programm, § 2, S. 33 f. Jünglinge, so will es Jean Paul, empfänden

das Nachahmen der Natur gemeinhin als eine mißliche Aufgabe: „Daher suchendichtende Jünglinge, [...], z. B. eben Novalis oder auch Kunst-Romanschreiber, sichgern einen Dichter oder Maler oder anderen Künstler zum darzustellenden Heldenaus, weil sie in dessen weiten, alle Darstellungen umfassenden Künstlerbusen undKünstlerraum alles, ihr eignes Herz, jede eigne Ansicht und Empfindung kunstge-recht niederlegen können; sie liefern daher lieber einen Dichter als ein Gedicht.“

177 D. F. Strauß 1847: „[...] und die Zeit wird kommen und ist schon da, wo der Com-ponist, statt seine Empfindungen und Gedanken, Componisten componirt.“

178 Ebd., S. 381, 8.179 Ebd.180 Ebd., S. 383, 13.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik150

matisch, denn selbst Jungdeutsche wie Ludolf Wienbarg, der ‚Erfinder‘des ‚Jungen Deutschland‘, hatten ein gebrochenes Verhältnis zur ro-mantischen Reflexionspoetik.181 Wienbargs Polemik gegen Tieck istderjenigen von Strauß vergleichbar:

[...] weil in ihnen [in Tiecks „Dichterleben“ und „Tod des Dichters“] jederwahre Sohn der Gegenwart ächte Producte der Romantik erkennt, dieserPoesie der Poesie, die zeugungsunfähig, mit sich selber buhlt, die, eigenenprophetischen Geistes bar, der gewesenen Propheten marklose Schattendurch täuschende Künste für einen Augenblick heraufbeschwört[.]182

Wie Wienbarg nennt Strauß Ludwig Tieck als Hauptgegner.183 Mögli-cherweise trifft der Löwenanteil der Kritik aber Friedrich Schlegel,weil Strauß Tieck trotz aller Gegnerschaft verehrt und persönlichschätzt.184 Außerdem war es Schlegel, der die „Poesie der Poesie“ in dieWelt setzte und ästhetisch begründete. Vergleicht man Straußens Pole-mik mit dem 116. und dem 238. Athenäumsfragment, dann zeigt sich,daß Strauß Schlegel direkt angreift. Denn Schlegel meint, die „roman-tische Poesie“ – und mit ihr alle Poesie – solle romantisch sein,

[...] zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem rea-len und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in derMitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einerendlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen.185

Was Schlegel als Potenzieren der Reflexion und als Sich-Selbst-Verviel-fachen preist, kritisiert Strauß als ‚mit sich selbst buhlen‘, aus demnichts ‚Wahres‘ entstünde. Darüber hinaus fordert Schlegel von der„Poesie der Poesie“, daß sie

181 Vgl. Kapitel IV. 1. a) dieser Untersuchung.182 D. F. Strauß 1847, S. 382, 10.183 Vgl. David Friedrich Strauß: August Wilhelm Schlegel, in: D. F. Strauß 1976, II,

S. 121–158, hier S. 137 f.: „Dem Fichte’schen ‚Wissen vom Wissen‘ stellte sich die‚Poesie der Poesie‘ zur Seite, die aber in der That auch nur auf ein Wissen um die ech-te Poesie, ohne das praktische Vermögen sie hervorzubringen, hinauslief. Dies warnun auch der wesentliche Unterschied zwischen der jetzigen und der frühern Stark-geisterei, daß diese die gewaltige Productivität eines Goethe hinter sich hatte, wäh-rend die neue Schule sich hauptsächlich auf fremde Schöpfungen zur Erhärtung ihrerLehrsätze berufen mußte. Tieck war es bekanntlich vorzugsweise, welcher ihrenDichter vorstellen sollte.“

184 Tieck und Strauß kennen sich seit einer Reise im Jahr 1832, und noch im März 1839gibt Strauß einem jungen Theologen, Heinrich Kern, ein an Tieck adressiertes Emp-fehlungsschreiben mit auf den Weg; Strauß an Ludwig Tieck, Stuttgart, 21.3.1839.

185 F. Schlegel: Fragmente [Athenäum] (wie Anm. II., 2), [116] S. 182 f.

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2. David Friedrich Strauß Ästhetische Grillen 151

[...] die in modernen Dichtern nicht seltnen transzendentalen Materialienund Vorübungen zu einer poetischen Theorie des Dichtungsvermögens mitder künstlerischen Reflexion und schönen Selbstbespiegelung, die sich imPindar, den lyrischen Fragmenten der Griechen, und der alten Elegie, unterden Neuern aber in Goethe findet, vereinig[t], und in jeder ihrer Darstellun-gen sich selbst mit darstell[t] [...].186

Strauß setzt dagegen, daß eine solche Poesie bloß „gewesenen Prophe-ten marklose Schatten“ beschwört,187 daß sie täusche, weil sie selbstnichts Prophetisches schaffen könne. „Poesie der Poesie“ gilt ihm alsein poetischer Inzest. Falls überhaupt, so zeuge sie Mißratenes, Fal-sches und Verderbtes. Wenn schon Hegel im Denken und SchreibenFriedrich Schlegels die Subjektivität auf die Spitze getrieben sieht,188

dann reproduziert Strauß nicht einfach die Meinungen des Lehrers,sondern begründet seine Ablehnung der Schlegelschen Romantik ei-genständig, nämlich im Blick auf das Dichtergedicht und auf die „Poe-sie der Poesie“. Sie erscheint ihm als leere, als fehlgeleitete, kurz: als fal-sche Reflexion.189

Strauß argumentiert dabei umsichtig – nicht als wissenschaftspoeti-scher Polemiker, sondern als selbstkritischer Biograph: Gegen seine ei-genen Argumente findet er nämlich sogleich vier Einwände: erstenskönnte es „aufrichtiger“ erscheinen, wenn der Poet sich eingestünde,daß es ihm an Phantasie fehle.190 Strauß selbst hatte sich auch aufgrunddieses Mangels gegen den ‚Dichterberuf‘ entschieden. Das zweite Ar-gument wiegt noch schwerer und bezieht sich sowohl auf das ‚Wesen‘der Poesie als auch auf die poetische Tradition: Wenn Poesie ihren Stoffaus allen „Reichen der Welt“ schöpfen dürfe, warum nicht auch aussich selbst – zumal schon die Helden Homers den „hohen Gesang“ aufdie Dichter anstimmten und Goethes Tasso „als mächtiges Bollwerk fürdie angegriffenen Dichtersdichter“ aufzufassen sei.191 Dieser Einwandverbindet sich mit dem dritten Argument, daß der Dichter „Vorbilderin der Wirklichkeit“ brauche.192 Im Blick auf diese Argumente mäßigtStrauß seine Polemik gegen die „Poesie der Poesie“. Nicht jede Refle-xion gilt also als schlecht und als inzestuös, sondern nur eine solche, die

186 Ebd, [238] S. 204.187 Strauß 1847, S. 137 f.188 Pöggeler 1999, S. 126–145.189 Siehe Abschnitt I. 3. dieser Untersuchung.190 D. F. Strauß 1847, S. 380, 4.191 Ebd., S. 382, 9.192 Ebd., S. 385, 16.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik152

ein eitles und idealisches Bild von sich selbst zeichnet, das sie nie errei-chen kann:

[...] das seid Ihr [die schlechten Dichtersdichter] selbst, wie ihr gern sein undbetrachtet sein möchtet, und es verdrießt uns, daß Ihr nach so gewaltigemAnlauf doch von Euch selbst, Eurem Stand und Treiben, wohl auch von Eu-rer Industrie und Euren Coterien, nicht loskommen könnet.193

Der späte Goethe steht für die schon vollbrachte Tat, für den vollende-ten Dichter des Menschen. Es kommt also auf die Art und Weise derReflexion und auf den richtigen Zeitpunkt an. Der produktive Dichter-fürst – mit diesem Argument versucht Strauß, Schlegels Bezug aufGoethe zu relativieren – darf sich im Ausgang seines Schaffens ruhen,eigenen und fremden Lorbeer genießen und jungen Poeten als Vorbilddienen.194 Allerdings bleiben auch seine Reflexionen „in letzter Bezie-hung sie selbst.“195 Strauß gelingt es nicht, seine Abneigung gegen einebestimmte „Poesie der Poesie“ und seine Neigung zu den ReflexionenGoethes systematisch zu begründen.

Mit dem vierten Einwand nimmt sich der Verfasser der Polemikaber – durchaus reflexiv – selbst in den Blick. In einem fingierten Poly-log versetzt er sich in die Rolle der „Bestrittenen“, also in die Rolle derVertreter einer „Poesie der Poesie“.196 Sie könnten ihm vorwerfen,selbst einer der größten Verehrer und Verherrlicher der Dichter, einAnhänger des „Cultus des Genius“ zu sein:

Und gerade das Persönliche und Biographische an Euren Lieblingen, dessenkünstlerische Wiedererweckung Ihr uns zum Vorwurfe machet, ist es, wor-ein Ihr ungerechten Tadler [gemeint ist D. F. Strauß] selbst Euch mit beson-derem Behagen zu vertiefen pflegt. Sagt selbst, die Hand auf’s Herz, ob Ihretwa die Evangelien mit derselben Erbauung leset, wie Wahrheit und Dich-tung? ob euch Pauli und Jacobi Episteln so anziehen, wie der Briefwechselzwischen Schiller und Göthe? Und arbeiten wir also nicht ganz in EuremSinn und in Eurer Richtung, wenn wir Euch diese hochverehrten Persön-lichkeiten, die Gegenstände Eures ästhetischen Cultus, [...] nun auch im Mit-tel unserer Kunst [...] vor Augen führen?197

Strauß bleibt die Antwort auf diesen fingierten Einwand nicht schul-dig. Er teilt die Aufgaben von Künstler und Wissenschaftspoet strikt:

193 Ebd., S. 383, 13.194 Ebd., S. 382, 11.195 Ebd., S. 385, 15.196 Ebd., S. 384, 14.197 Ebd., S. 384, 15.

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2. David Friedrich Strauß Ästhetische Grillen 153

Dem Künstler gebühre es zu schaffen, dem Wissenschaftspoeten „zugenießen, zu bewundern, und demgemäß wohl auch die Schöpferdankbar und anhänglich zu verehren.“198

Aus dem verhinderten Poeten und Theologen Strauß, der die Ästhe-tik zuvor nur zur Erholung betrieb,199 ist der ästhetisch interessierteWissenschaftspoet geworden, den er sich vorstellte. Eine Kunstreligionvermag ihm die christliche – vorläufig – zu ersetzen. Aber nicht nurdeshalb fordert er von seinem Kultgegenstand, er möge den Verehren-den nicht bloß mit dem eigenen Rollen-Selbst des Dichters langweilen,sondern sich über Wirkliches und Erlebtes äußern. Vielmehr suchtStrauß – nicht zuletzt zum Zweck der Selbsttherapie – das Wesentliche,Uneitle und Verehrungswürdige im ‚ganzen Menschen‘:

Was ich vor Allem von einem Menschen verlangte, wenn er mir das rechtebiographische Interesse einflößen sollte, war Fleisch und Blut. Ich wolltewarme, lebensvolle Persönlichkeiten haben, die mir die menschliche Naturals solche, unverstümmelt und unverkünstelt zur Anschauung brachten.200

Seine neuhumanistische Poetik der Wissenschaftspoesie verlangt nichtso sehr nach dem Lebensnahen und Wirklichen als nach der exemplari-schen Persönlichkeit. Hinter diese tritt das dichterische Werk zurück.Es wird durch das biographische Interesse verdrängt, das in ihm bloßden Ausdruck der besonderen Persönlichkeit sieht. Jede menschenfer-ne Selbstbespiegelung widerspräche dieser Poetik: Sie würde die Refle-xion als Maß auf den Menschen anlegen.

Inkonsequenterweise fahndet aber ausgerechnet der Biograph Straußnach solchen programmatischen Selbstausdrücken, wie er sie für Schle-gel und Tieck kritisiert. Als ein Beispiel gilt mir Straußens Beitrag überAugust Wilhelm Schlegel. Hier bezieht sich Strauß immer wieder aufSchlegels lyrische Selbstbespiegelungen als auf Formen des authenti-schen Selbstausdrucks. Strauß mag poetologische Lyrik als Äußerungs-form der „Poesie der Poesie“ zwar ablehnen, aber er nutzt gerade sie,um das „Wesen“ seines Gegenstands aus diesem selbst herauszukristal-lisieren.201 In diesem Sinne vergleicht Strauß Schlegels Arion mit Schil-lers Kranichen des Ibycus:

198 D. F. Strauß 1847, S. 384, 15.199 Vgl. D. F. Strauß: Literarische Denkwürdigkeiten (wie Anm.III., 45), S. 18.200 Ebd., S. 30.201 Dieses Interesse und dieses Vorgehen erweist sich – über Strauß hinaus – als typisch

nicht nur für den literaturkritischen Essay, sondern gerade auch für systematischeÄsthetiken und Poetiken. Sie entnehmen der poetologischen Lyrik jene Stichworte,

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik154

WarIbycus der Götterfreund– des Gesanges GabeDer Lieder süßen Mund Apoll

Schenkte, so war Arion– der Töne Meister.Die Cither lebt’ in seiner Hand,Damit ergeht’ er alle Geister,

und gern empfing ihn jedes Land.Wandert jener

– am leichten StabeNach Rhegium, des Gottes voll:

so schifft dieser– goldbeladen

Jetzt von Tarents Gestaden,Zum schönen Hellas hingewandert.

Beidemal ein Sänger, der auf der Reise mörderisch angefallen, wunderbar,der eine gerettet, der andere gerächt wird. Daß der Arion dabei an Wirkungweit hinter den Kranichen des Ibycus zurückbleibt, liegt theils an der Fabelselbst, theils an der Schlegel’schen Behandlung, die auch hier mehr Prachtund Zierlichkeit als Kraft und Größe hat.202

Die eigenwillig eingesetzte Parallelstellenmethode führt Strauß zu ei-nem klaren Urteil: Schiller ist der bessere Dichter. Schlegels Stärken lä-gen im Epigramm und im Scherzgedicht; hier kämen die Tugenden ei-nes angenehmen und sympathischen Menschen zum Tragen, der mitden bloß formverliebten Spielen der Romantik im Grunde nichts an-fangen könne.203 Aber in der Lyrik reichten weder Schiller noch Schle-gel an Goethe heran.204 Goethe steht für ein freies Dichterleben, dassich – allerdings in ganz unterschiedlicher Weise – in seinen Gedichtenausdrückt: einmal als Erlebnislyrik, die das Subjektive zum Objektivenerhebt,205 ein ander Mal als balladesker Gesang (Der Sänger), der sich

mit denen sie nicht nur die Poetiken der Dichter benennen, sondern diese auch alsauthentisch beglaubigen. Siehe die Einleitung zu dieser Untersuchung.

202 Ebd., S. 154.203 Ebd., S. 156: „Ein schreckliches Dokument“ aber sei das Sonett, in welchem Schlegel

die Summe seines Werks zog und sich selbst als „Besieger, Muster, Meister im Sonet-te“ bezeichnete; es erwecke den „Eindruck des Verrückten“. Diesen Ausfällen stün-den die sehr klaren und gegenstandsnahen Bildgedichte als positive Beispiele derSelbstreflexion gegenüber.

204 In seiner Goethe-Lektüre bezieht sich Strauß eng auf Vischer. Vgl. Strauß an Vischer,Charfreitag morgen, [nämlich 1857, also 10. April,] in: D. F. Strauß u. Vischer1952/53, II, S. 114 f., hier S. 115.

205 David Friedrich Strauß: Goethe als Lyriker, in: D. F. Strauß 1876–1878, VI, 92.,

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2. David Friedrich Strauß Ästhetische Grillen 155

ganz in den Dienst seines Fürsten stellt.206 Den Dichter August Wil-helm Schlegel aber rettet nur der glaubwürdige Auftritt der Person: sei-ne ‚echte Persönlichkeit‘. Sie veranlaßt ihn, der poetischen Selbstbe-spiegelung zu widerstehen, wie sie der jüngere Bruder preist.

Mit seinen Urteilen über Goethe, Schiller und die Schlegels nimmtStrauß auf, was er immer wieder mit Vischer diskutieren kann, ja erwendet Vischers ästhetisch-systematische Sichtweisen populär,schreibt sie für ein Publikum um, das sich mehr für den Menschen alsfür den poetischen Text interessierte. Straußens hartem Urteil über dieSelbstbespiegelung aber entspricht keine systematische Überlegung beiVischer. Strauß kann seine Überlegungen diesmal vielmehr aus eineranderen Quelle beziehen. Ein geheimnisvoller Dr. Mises nämlich pu-bliziert im 1838er-Jahrgang des jungdeutschen Freihafens einen Auf-satz, und zwar über Deutsche Lyrik und Wilhelm Müller. Strauß selbsthatte für denselben Jahrgang der Zeitschrift einen Beitrag verfaßt; derpolemische Einwurf Dr. Mises wird ihm schon deshalb kaum entgan-gen sein:

Eines der schlechtesten Objecte der Poesie ist jedenfalls ihr Subject, derDichter selbst in seinem Thun und Treiben, auch sogar wenn er in der Natur

S. 206–208, hier S.206 f.: „[...] als Lyriker ist er vielleicht der größte Dichter aller Zei-ten. Es kommt wohl daher, daß, wie er selbst bekennt, seine Dichtungen vor allen na-türlichen die lyrischen, lauter Gelegenheitsgedichte sind, nur Selbsterlebtes schil-dern, das er aber zugleich so in die Höhe des allgemein Menschlichen, des Idealenund typischen zu entrücken weiß, daß demselben alle Erdenschwere abgethan ist,und die Gedichte als reine Genien uns umschweben.“

206 Ebd., S. 207: „Auf der anderen Seite scheint z.B. unter den Balladen Der Sänger ganzaus idealen Vorstellungen der alten Ritterzeiten gebildet; da er doch in der That viel-mehr durchaus den persönlichen Verhältnissen des Dichters entnommen ist. DerSänger, der die vom König gebotene goldne Kette ablehnt, ist Goethe selbst, den seinHerzog vertrauend mit den Kanzel-Lasten und Ehren beladen hat, die er zwar demFürsten und dem Lande zu lieb auf sich nimmt, und auch für seine Dichtung frucht-bar zu machen weiß, während er sich doch immer wieder in das seiner innersten Na-tur allein gemäße freie Dichterleben zurücksehnt.“ – Die besondere Bedeutung, dieStrauß dem Goethe-Gedicht „Der Sänger“ zubilligt, erinnert an Carriere. Carriere,der Strauß für „Das Leben Jesu“ sehr bewunderte und ihm eigens dafür einen Ge-dichtband widmen wollte, entwickelt seinen Lyrik-Begriff nämlich aus dem ‚Sänger‘(siehe Kapitel I. 2. dieser Untersuchung). Dem jungen Carriere jedenfalls riet Straußvon dem Vorhaben einer Widmung ab. Mancher werde in den unverdächtigen Tex-ten „Unrat“ erblicken, fände er seinen Namen – und, was schwerer wiegt: „[...] ist esüberhaupt passend, Poesien, welche zunächst ihren Zweck nur in sich selbst habensollen, von vorn herein mit einer wissenschaftlichen Tendenz in Verbindung zu brin-gen?“ David Friedrich Strauß an Moriz Carriere, Stuttgart, den 28. Juli 1837, in:Sandberger 1972, S. 229–230, hier S. 230.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik156

herumgeht oder herumsitzt und die schönsten Sträuße aus Blumen, Sonnenund Wonnen flicht, Die Dichtkunst will Gestalten von anschaulicher Leben-digkeit und Eigenthümlichkeit, des Dichters Leben ist aber nicht an ihm,sondern in ihm spürbar, er erscheint äußerlich nur als ein fauler Müßiggän-ger mit Frack wie andere Stadtleute. Ein Bänkelsänger ist daher viel poeti-scher, als ein Dichter, weil in ihm die Lebendigkeit mehr äußerlich zu Tageliegt. Aber das Innere des Dichters, diese lebendige Natur in der Natur, wor-in es quillt und wogt und strebt und blitzt, vermag sich gar wohl poetischherauszustellen; ich kanns nicht besser beweisen als durch folgenden Anfangeines Rückertschen Gedichts:‚Es ist kein Stand auf Erden,Er reizt des Dichters Neid: [...].‘207

Der ominöse Doktor wendet sich gegen das Dichtergedicht und wet-tert zugleich gegen die melancholische Lyrik der Schwaben, namentlichgegen diejenige Uhlands und Kerners. Sie erklärt sich für ihn aus psy-chologisch bedingten und national verfestigten Schwierigkeiten derRezeption: „Was nicht melancholisch und tiefsinnig ist, ist ihnen [dendeutschen Lesern] nicht recht, wenigstens muß etwas Melancholie undTiefsinn dabei sein.“208 Dieser Angriff mußte abgewehrt werden:Strauß deutet Dr. Mises Kritik an der ‚ersten schwäbischen Dichter-schule‘ in Ästhetische Grillen zu einem Angriff auf die Selbstbespiege-lung einer „Poesie der Poesie“ schlegelscher Provenienz um. Erwar-tungsgemäß begrüßt Mörike das Unternehmen des unpoetischen Wis-senschaftspoeten Strauß. Noch im Jahr 1855 nimmt er dessen Urteilauf. An Paul Heyse schreibt Mörike:

Es gibt bei den Neuern, vornehmlich bei den Lyrikern, eine falsche Maniervon sich selber zu reden, oder auch Jemandem Dinge in den Mund zu legen,die nur ein Anderer und oft selbst dieser nicht gerade so, von ihm aussagendürfte, indem ein Schein des selbstgefälligen, ein unästhetischer, entsteht.209

Die Kritik an der Selbstbespiegelung im Dichtergedicht eint ganz un-terschiedliche poetologische Fraktionen. Bei dem geheimnisvollenDr. Mises handelt es sich nämlich um keinen geringeren als um GustavTheodor Fechner, seit 1834 Ordinarius für Physik an der UniversitätLeipzig und seit den 1870er Jahren Vertreter einer psychologischen

207 [Dr. Mises] 1838, S.48. – Aus den gängigen Rückert-Ausgaben ließ sich die Herkunftdes Zitats nicht ermitteln.

208 [Dr. Mises] 1838, S. 48.209 Eduard Mörike an Paul Heyse, Stuttgart, 208.1855, in: Mörike u. Heyse 1997,

S. 23–25, hier S. 25. Mörike wendet diese Kritik – wie Strauß – wiederum reflexiv aufsich selbst an, namentlich auf seinen „Maler Nolten“.

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2. David Friedrich Strauß Ästhetische Grillen 157

oder „experimentalen Ästhetik“.210 Vischer, der historische bzw. ge-schichtsphilosophische Ästhetiker, konnte mit der Ästhetik Fechnersvorerst wenig anfangen, obwohl er die Einfühlungsästhetik in gewisserWeise mitbegründete.211 Im Plädoyer für die „Anschaulichkeit“ undWirklichkeit der Empfindungen hätten sich beide, Vischer und Fech-ner, nahekommen kommen; Vischers ‚Geistesverwandter‘ Strauß je-denfalls stimmt in Fechners Klage ein, und Mörike übernimmt die mo-difizierte Kritik am Dichtergedicht und an der Selbstbespiegelung. Siefügt sich bruchlos in sein subjektives, lebensnahes, meta-reflexives –kurz: in sein neuhumanistisch inspiriertes Verständnis von Poesie.

Gleichwohl erhebt Strauß seine, Fechners und Mörikes Sichtweisenicht zum Dogma. Am Lebensende dichtet er selbst, und zwar durch-aus reflexiv; er beschließt sein Leben beinahe mit einem poetologischenGedicht. Es heißt Die Muse im Krankenzimmer (12. November 1873),ist in schlichten Paarreimen gestaltet und schildert so humorvoll wiemelancholisch, was den Schriftsteller am Ende des Lebens bewegt. UmRechenschaft über die eigene Tätigkeit abzulegen, um sich für das ge-legentliche „Versedrehen“ zu entschuldigen und um für die letztenStunden Beistand, Aufheiterung und „geisteshelle Stunden“ zu erbit-ten, ruft sein Sprecher die Muse an.212 Bestimmten Vorstellung vonPoesie bleibt Strauß aber dennoch treu: Die Muse im Krankenzimmerentsteht aus einer besonderen biographischen Situation. Wie Mörikeverbindet Strauß hier das stilisierte individuelle Erleben mit den Topoihoher Dichtung. Dabei ordnet er die Musenkünste den eigenen Bedürf-nissen unter: Der nahende Tod rechtfertigt ihn darin. Im Angesicht derexistentiellen Bedrohung verabschiedet er allzu strenge Vorstellungenvon Poesie und erlaubt sich das Verseschmieden ein letztes Mal: poeto-logische Lyrik als geistige Henkersmahlzeit.

Der Wissenschaftspoet Strauß gibt der poetologischen DiskussionImpulse, polemisiert und verbindet in der Sache, im Blick auf das Dich-tergedicht und die Selbstbespiegelung, was einander auf dem Feld derÄsthetik fremd blieb. Seine poetologischen Schriften entsprechen der

210 Über Fechner Borgard 1999, S. 165–230; die Beiträge in Fix 2003.211 Allesch 1987, S. 252 f.; Fick 1993, S. 37–44; Braungart 1995, S. 194 f.212 David Friedrich Strauß: Die Muse im Krankenzimmer [1873], in: D. F. Strauß

1876–1878, XII, S. 212 f., hier S. 212: Er schreibt, daß er sich „um Prosa bemüht“habe, die anderen „Schwestern“ der Musen aber nicht traktieren wollte, weil ihreKünste nicht in seinen „Gaben“ angelegt seien. Aber „– das Versedrehen / war mirfast ein Müßiggehen. / Solche, ruft ihr, wie die deinen! / Und ihr mögt nicht irrigmeinen.“

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik158

eigenen Poetik für die Wissenschaftspoesie: einer Schwundstufe vonPoesie, die auf seiten des Verfassers bloß die Gabe voraussetzt, seinenGegenstand intuitiv zu erfassen, sprachliche Bilder zu finden, schönund unterhaltsam vor allem über Wissenschaftler und Dichter, wenigeraber über Wissenschaft und Dichtung zu schreiben. Dieser erklärter-maßen dilettantischen Wissenschaftspoesie in ungebundener Rede gehtes um die verehrungswürde Person, um den exemplarisch ‚ganzenMenschen‘, um das Vorbild, um den liberalen und sympathischen Den-ker und Dichter, um ein Schicksal, das sich im Rahmen der historischenBiographie darstellen läßt. Straußens Interesse beschränkt sich dabeiweitgehend auf die ideale Lebensgeschichte. Er verbindet sie punktuellmit den Schriften der jeweiligen Person, um zu zeigen, wie Individual-ethik und Werk miteinander einhergehen, wie eines das andere bedingtund zum bewunderungswürdigen Beispiel für die Praktiken und An-schauungen des Neuhumanismus wird.

Als Ästhetiker setzt Vischer umgekehrt an. Ihn interessiert derMensch nur insofern, als er sich als möglichst sittliches Wesen in litera-rischen Texten spiegeln soll, und diese untersucht er – ästhetisch-syste-matisierend und mit Hilfe eines neuhumanistisch inspirierten Werteka-talogs. In dieser Weise gestaltet er auch das Thema der Reflexion. Jene„Poesie der Poesie“, die Strauß kritisiert, gilt Vischer deshalb als bloßrhetorisch und nicht einmal als besonders reflexiv.213 Was Reflexion zuheißen hatte, das bestimmt sich für ihn demgegenüber aus der Exegeseund Neugestaltung des Hegel-Hothoschen Systems.214

3. Systembildung im Ausgangaus der spekulativen Philosophie

Kein Ästhetiker vor Hegel geht so entschlossen wie dieser mit dem Be-griff der „Reflexionsbildung“ um. Kein Ästhetiker vor Hegel legt sei-nen Begriff von Lyrik so deutlich auf die versifizierte Darstellung von

213 Vischer an Strauß, Tübingen, 28. Januar 1842, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I,S.109 f., hier S.109: „Auch hat jede große poetische Zeit den Geist ihres Jahrhundertszum Inhalte ihres Gedichts gemacht. Der Unterschied ist nur, daß wir Jetzigen, esgern auf bewußte, daher nicht poetische, sondern rhetorische Art tun.“

214 Über die Ähnlichkeiten von Vischers und Hegels Ästhetik Titzmann 1978, S. 52 f.;Allesch 1987, S. 29 f.; über die Auswirkungen der philosophischen Systematik, ge-nauer: des geschichtsphilosophischen Dreischritts auf die Gattungstheorie Willems1981, S. 189; Trappen 2001, S. 258 f.

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3. Systembildung im Ausgang aus der spekulativen Philosophie 159

Subjektivität fest (Abschnitt a).215 Vischer kämpft mit diesem doppel-ten Erbe. Einerseits steht er noch in der hegelschen Tradition, löst sichaber auf allen denkbaren Gebieten der Ästhetik davon. Nicht umsonstgilt er als Vorläufer des neuen ästhetischen ‚Paradigmas‘, nämlich derEinfühlungsästhetik, wie Fechner sie vertreten wird.216 Doch nicht nurdieses theoretische Bemühen um neue ästhetische Orientierungen be-dingt, daß Vischer den Begriff der Lyrik und den Begriff der Reflexionanders versteht als der spekulative Meisterdenker: Nicht minder wich-tig ist der Umstand, daß Vischer sich immer wieder mit Lyrik befaßt,daß er durch die Auseinandersetzung vor allem mit Mörike und durchdie Lektüre Goethes und Uhlands auf eine bestimmte Vorstellung vonLyrik eingeschworen ist: auf die Liedlyrik, die jedoch – anders als es dieVischer-Forschung bislang unternimmt217 – nicht unumwunden alsklassizistisches Ideal identifiziert werden sollte (Abschnitt b).

a) Georg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen über die Ästhetik(in der Edition Heinrich Gustav Hothos 1835/1842):

Lyrik – reflexive Subjektivität

Hegel legt die lyrische Dichtung auf Subjektivität fest, und Subjektivi-tät läßt sich mit Innerlichkeit übersetzen:

Die Innerlichkeit als solche [...] ist teils die ganze formelle Einheit des Sub-jekts mit sich, teils zersplittert und zerstreut sie sich zur buntesten Besonde-rung und verschiedenartigsten Mannigfaltigkeit der Vorstellungen, Gefühle,Eindrücke, Anschauungen usf., deren Verknüpfungen nur darin besteht, daßein und dasselbe Ich sie als bloßes Gefäß gleichsam in sich trägt.218

Hegels Begriff der Innerlichkeit umfaßt einerseits eine formale Einheit,die das Subjekt gewährleistet. Andererseits verweist Hegel auf die Viel-falt („Besonderungen“) in dieser Einheit, anders gesagt: auf den unein-

215 Dieser Umstand ist bestens bekannt, aber welche Subjektivität Hegel damit mein-te – das geriet in Vergessenheit geraten und wurde von der Hegel-Adaptation ver-deckt. Es lohnt sich deshalb, Hegel noch einmal gründlich zu lesen, um von dort ausauf seine Rezeption zu blicken; so schon Todorow (1981, S. 241), deren Überlegungich hier aufgreife und ausführe.

216 Allesch 1987, S. 326 f., der in diesem Zusammenhang vor allem die einfühlungspsy-chologischen Leistungen von Vischers Sohn Robert hervorhebt; dazu Braungart1995, S. 195–198; Schneider 2001.

217 Ich wende mich hierin gegen Todorow 1981, S. 243; Willems 1981, S. 189 u. passim.218 Hegel 1986, XV, 3. Kap. II., 2., b., S. 443.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik160

heitlichen Inhalt dieser Innerlichkeit, das sind „Vorstellungen, Gefühle,Eindrücke, Anschauungen“. Die Innerlichkeit des Subjekts enthält alsoall das, was sich ein Subjekt vorstellen, was es fühlen, wahrnehmen,denken und glauben kann.

Diesen Begriff von Innerlichkeit überträgt Hegel in zwei Hinsichtenauf Lyrik: Innerlichkeit gilt ihm nicht nur als einheitsstiftendes „Ele-ment“ der Lyrik,219 sondern auch als ihr „Quell“.220 „Quell“ der Lyrikist sie, weil Lyrik aus dem „Bedürfnis“ entstehe, „sich auszusprechenund das Gemüt in der Äußerung seiner selbst zu vernehmen.“221 Derlyrische Dichter ziele deshalb darauf, „den Geist nicht von der Empfin-dung, sondern in derselben zu befreien.“222 Nimmt man diese Aussagenzusammen, so gibt der lyrische Dichter nicht blinde Leidenschaftenund ungefilterte Affekte wi(e)der, sondern thematisiert seine „innerli-che Anschauung“,223 indem er sie künstlerisch darstellt. Dabei entledigter sich der jeweils gefühlten oder gedachten Innerlichkeit nicht, son-dern gestaltet sie, um sie zu verstehen und sie seinem Publikum zu-gänglich zu machen.

Deshalb erweist sich „die Innerlichkeit nämlich der Stimmung oderReflexion, die sich in sich selber ergeht, sich in der Außenwelt wieder-spiegelt, sich schildert, beschreibt“ als wichtigstes „Element“ der lyri-schen Dichtung.224 Hier aber gebraucht Hegel den Begriff der Inner-lichkeit anders, nämlich im Sinne von reflexiver Subjektivität (Inner-lichkeit2), im Sinne einer Innerlichkeit, die schon ‚gespiegelt‘ und be-dacht ist, dabei aber möglicherweise neu angelegt wurde. Diese reflexi-ve Subjektivität (Innerlichkeit2) läßt sich genauer beschreiben, nimmtman die Produktionsseite, also den Dichter in den Blick:

Denn der eigentlich lyrischer Dichter lebt in sich, faßt die Verhältnisse nachseiner poetischen Individualität auf und gibt nun, wie mannigfaltig er auchsein Inneres mit der vorhandenen Welt und ihren Zuständen, Verwicklungenund Schicksalen verschmilzt, dennoch in der Darstellung dieses Stoffes nurdie eigene selbständige Lebendigkeit seiner Empfindungen und Betrachtun-gen kund.225

219 Ebd., S. 415.220 Ebd. 1., c., 429.221 Ebd., 1., S. 418 [Hervorhebung im Original].222 Ebd., S. 417 [Hervorhebung im Original].223 Ebd., S. 415 [Hervorhebung im Original].224 Ebd., 1., b., S. 421.225 Ebd., 1., b., S. 425.

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3. Systembildung im Ausgang aus der spekulativen Philosophie 161

Als „Element“ der Lyrik ist reflexive Subjektivität Ergebnis eines Ver-schmelzungsprozesses. Der Dichter verknüpft Äußeres und Inne-res – allerdings dergestalt, daß er nur äußert, was er bereits reflexiv indie eigene Innerlichkeit eingefügt hat. Hier hilft es, das Beispiel zu be-trachten, mit dem Hegel diese Überlegungen veranschaulicht. Er be-zieht sich nämlich auf Pindars Siegesoden, also auf Gedichte, die einendirekten äußeren Anlaß haben. Pindar, so Hegel, „bemächtigt[]“ sichseines Gegenstandes in einer Weise, daß er im Ergebnis nicht einfachden Sieger besingt, sondern Gegenstand und Thema neu und eigenstän-dig aus sich selbst heraus hervorbringt.226

Im Prinzip bedürfe der Dichter deshalb „keiner äußeren Anregung“,sondern schöpfe „die Anregung wie den Inhalt in sich selber [...].“227

Mehr noch: „Als der Mittelpunkt und eigentliche Inhalt der lyrischenPoesie hat sich daher das poetische konkrete Subjekt, der Dichter, hin-zustellen [...].“228 Dieser Satz steigert die Bedeutung der Dichterper-sönlichkeit – möglicherweise, um daraus Anforderungen an den Dich-ter selbst abzuleiten. Denn dieser müsse sich an seiner „innere[n] Grö-ße“ messen lassen229 – und nur wenige Dichter hätten dies erfaßt undumgesetzt. Ihre Aufgabe wäre es vor allem, auf die Wirkung der eige-nen Werke zu achten, um „die ähnliche Richtung der Reflexion im Zu-hörer zu erregen und wach zu erhalten [...].“230 Klopstock etwa gehörtfür Hegel zu diesen lobenswerten Ausnahmen; bezeichnenderweisevereinnahmten Buchhändler und Verleger aber sogleich dessen Dich-ter-Ich und mißbrauchten es zu Werbezwecken.231

Hegel also gilt der Dichter selbst als „Mittelpunkt und eigentliche[r]Inhalt“ der Dichtung; ein Gedicht aber entstehe als „Produkt subjekti-ver Phantasie“.232 Daß sich der Poet in seiner Lyrik selbst ausdrücke,sollte demnach bildlich – und nicht ontologisch – verstanden werden:

226 Ebd.227 Ebd., S. 427 [Hervorhebungen im Original].228 Ebd., 2., a., S. 439 [Hervorhebung im Original].229 Ebd., 2., b., S. 440.230 Ebd., 2., a., S. 439.231 Ebd., S. 441 [Hervorhebungen im Original]: „Dennoch geschah es, daß nun gerade

ihn zuerst der Buchhändler als seinen Poeten ansah. Klopstocks Verleger in Halle be-zahlte ihm für den Bogen der Messiade einen oder zwei Taler, glaub ich; darüber hin-aus aber ließ er ihm eine Weste und Hose machen und führte ihn so ausstaffiert inGesellschaften umher und ließ ihn in der Weste und Hose sehen, um bemerkbar zumachen, daß er sie ihm angeschafft habe.“

232 Ebd., 2., S. 438.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik162

Allgemeines und Besonderes sind in der Lyrik zwar subjektiv ver-knüpft, aber das Subjekt kann nicht selbst die Ebene wechseln; es kannnicht selbst in all seinen körperlichen und unkörperlichen HinsichtenBestandteil der Gedichts werden. Dies lehren auch Hegels Ausführun-gen über die lyrischen Genres: Die epischen Genres (z.B. Heldenlieder,Romanzen, Balladen) nehmen – im Gegensatz zu den lyrischen (z. B.Gelegenheitsgedicht) – das Objektive und nicht in erster Linie das Sub-jektive in den Blick; im Volkslied tritt der Dichter sogar als „bloßes Or-gan“ zugunsten „reflexionslose[r] Frische“ zurück.233

Der Dichter und seine Innerlichkeit kommen nur dann ins Spiel,wenn nach ‚ein wenig Reflexion‘ gefragt ist, wenn es um das innerlicheSpiegeln des Äußerlichen und der eigenen Innerlichkeit geht. Als para-digmatisch dafür erweisen sich – nach Hegel – nicht nur die Oden Pin-dars, sondern auch die Gedichte Schillers:

Was sie [Schillers Gedichte] auszeichnet, ist besonders der großartigeGrundgedanke ihres Inhalts, von welchem der Dichter jedoch weder dithy-rambisch fortgerissen erscheint noch im Drange der Begeisterung mit derGröße seines Gegenstandes kämpft, sondern desselben vollkommen Meisterbleibt und ihn mit eigener poetischer Reflexion, in ebenso schwungreicherEmpfindung als umfassender Weite der Betrachtung mit hinreißender Ge-walt in den prächtigsten, volltönendsten Worten und Bildern, doch meistganz einfachen, aber schlagenden Rhythmen und Reimen nach allen Seitensich vollständig expliziert.234

Schiller eigne eine besondere „poetische[] Reflexion“, eine besondereArt und Weise, Äußeres und Inneres innerlich zu spiegeln und zu ver-binden. Aus diesem Grund schätzt Hegel den Dichter und vergleichtSchillers Lyrik emphatisch mit dem, was er in Das Lied von der Glockeüber die Glocke sagt: Sie verläßt das „niedere Erdenleben“, nähert sichSchöpfer und „Sternenwelt“, um sich „nur den ewigen und ernstenDingen“ zu weihen.235

Hegels Ästhetik eröffnet demnach einen vielschichtigen Befund überdas Thema der Reflexion: Reflexion im Sinne von Selbstbespiegelung(Reflexion im zweiten Sinne) erweist sich als notwendig für das Ge-dicht schlechthin; sie ähnelt Hegels Begriff der Subjektivität. Reflexionim Sinne von Urteilen aber kommt in der Lyrik – nach Hegel – nur in-sofern ein Ort zu, als sie für die Selbstbespiegelung unausweichlich ist.

233 Ebd., 1., c., S. 433.234 Ebd., 2., c., S. 461 u. passim.235 Zit. n. ebd.

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3. Systembildung im Ausgang aus der spekulativen Philosophie 163

Blickt man also auf Hegels systematisierende Beschreibung von Lyrik,dann führt der Befund zu einer Revision seines harten Urteils über die„Reflexionsbildung“ der Epoche: Reflexion ist für Kunst im Prinzipimmer unausweichlich; es kommt deshalb darauf an, ihre „Grade“ zuermitteln. Uhland und Vischer denken Hegel hier also konstruktiv undim Sinne des Lyrik-Kapitels aus Hegels Ästhetik weiter.

Auch für seinen Lyrik-Begriff knüpft Vischer im Prinzip an Hegelan. Aber er deutet Hegels Vorgaben entschlossen um, indem er der Ly-rik eine Schwesternkunst an die Seite stellt, nämlich die Musik. Ausdiesem Vergleich ergibt sich ein veränderter Lyrik-Begriff, der auf dasGefühl und auf die unmittelbare Vermittlung desselben im Gesang ab-stellt:236 Musik erscheint Vischer, der sich einstmals so sehr mit der No-tenlehre plagte und in der Musik bloß die reine Abstraktion des künst-lerischen Gedankens erkennen wollte,237 in seiner Aesthetik plötzlichals „die schlechthin subjektive Kunst des Gefühls“.238 Wie die Musikstelle sich die Lyrik auf den „Standpunkt der empfindenden“ Phanta-sie,239 unterscheide sich dabei aber schon von der Musik:

[...] das Gefühl kann in der Dichtkunst nur durch Anküpfung an das Be-wußtsein als Organ und Inhalt einer Kunstform auftreten; das Subjektspricht zwar nur sich, seine Stimmung aus, vermag dies aber bloß dadurch,daß es teils Elemente der epischen Anschauung, direkte und indirekte Bilder,teils eigentliche Gedanken (gnomische Elemente) und Willensbewegungenin die Stimmungsatmosphäre überträgt.240

Anders als die Musik bedarf die Lyrik also der sprachlichen, bewußtenund gedanklichen Vermittlung, um „Stimmung“ zu übertragen. Lyrikwendet sich der Seite der Objektivität zu, um diese – soweit der Hege-lianismus in Vischers Definition – mit dem Subjektiven zu verbinden:„Die bestimmte Art des Zusammenfühlens der Individualität und derWelt verleiht dem Gedicht seinen Duft.“241 Daß Vischer die Lyrik vonseiten der Musik, der ‚Gefühlskunst‘ her denkt, liegt erstens an den Bei-spielen, auf die er dabei vor allem blickt. Gemeint sind Goethe, Uhland

236 Der Hegel aus Hothos Vorlesungsnachschrift von 1823 legt seinen Lyrik-Begriff üb-rigens in ganz vergleichbarer Weise an; er zielt ebenfalls auf das Lied: Hegel 1998, III,III., III, S. 283 f. u. passim.

237 Siehe Anm. III., 164.238 Vischer 1922/1923, VI, §885, S.201. Siehe auch ebd., §888, S.217: Der Ton ist ihm die

„Sprache des Gefühls.“239 Ebd., § 884, S. 197 [Hervorhebung im Original].240 Ebd., § 885, S. 200.241 Ebd., § 886, S. 208.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik164

und Mörike. Sie stehen der hegelschen Vorliebe für Schiller entgegen.Zweitens gehört die Lyrik seiner Ansicht nach ‚in den Gesang‘, wie erStrauß erklärt:

Gesteh, Lyrik, gelesene Lyrik, ist langweilig. Überhaupt verhoffe ich, näch-sten den Satz durchzuführen: alle Poesie, bloß gelesen, ist langweilig. Eposgehört in den Mund des Rhapsoden, auf die Straße, an den molo, in mittenfrischer Bursche, Lyrik in das Element des Gesangs, Drama auf die Bühne.Die Poesie ist die geistigste Kunst und bedarf ebendaher dieses Naturbandsdoppelt. Lügen wir uns nicht länger an. Entweder wird die Poesie wieder soleben, oder sie ist für immer halbtot, und wer ehrlich ist, gesteht sich, daß erbei ihr gähnt.242

Wie läßt sich dieses weniger klassizistische als vielmehr emphatische,volksnahe, vitalistische und musikalische Verständnis von Lyrik, dasUhland und Mörike nurmehr in einer Schwundform wachhalten, nochmit dem Begriff der Reflexion verbinden, wie er im Gang der hegel-schen Argumentation und der Hegel-Rezeption aufkommt?

b) Friedrich Theodor Vischer Aesthetik (1846–1857):die ‚rezeptionsästhetische‘ Lösung des Reflexionsproblems

Im Register zu Vischers Aesthetik ist nur ein Begriff von Reflexion ver-zeichnet, nämlich die „Reflexion im Kunstgenuß“.243 Jene Reflexions-begriffe, die zuvor angesprochen wurden, tauchen aber ebenfalls auf.Meine These lautet, daß sie sich ausnahmslos auf Hegels Vorlesungenüber die Ästhetik zurückführen lassen, von Vischer aber systematisch,unter Verzicht auf den geschichtsphilosophischen Rahmen der Vorle-sungen, mit Blick auf die Kunst und auf ihre Wahrnehmung selbst wei-terentwickelt werden. Zu diesem Zweck unterscheidet Vischer zwi-schen einer Reflexion auf seiten der Kunstproduktion und einer Refle-xion auf seiten der Kunstrezeption.

Auf der Ebene der Kunstproduktion geht es Vischer um das, was He-gel „Reflexionsbildung unseres heutigen Lebens“ nennt und bereitsselbst auf die „Kunstproduktion“ bezieht.244 Um diese „Reflexionsbil-dung“ zu beschreiben, läßt sich Vischer – mehr noch als Hegel – auf den

242 Vischer an Strauß, Tübingen, 30. Oktober 1847, in: D.F. Strauß u. Vischer 1952/53, I,S. 201 f., hier S. 202.

243 Vischer 1922/1923, VI, S. 438.244 Hegel 1986, XIII, S. 24. Vgl. die Bemerkungen zu Beginn dieses Kapitels.

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Kontext der Kunstproduktion ein. Er führt idealtypische Schaffenspro-zesse an. Unter Reflexion versteht er dabei zweierlei: „die philoso-phisch kritische Bildung der Gegenwart“, also die Inhalte der Refle-xion, und die „Praxis der Bildung“, die Art und Weise, Reflexion aus-zuüben.245 Beidem könne sich der Künstler nicht entziehen, so Vischer:„Die ursprüngliche Stoffwelt ist durch unzählige Kenntnisse, Beobach-tungen, Studien zu einer ungeheuern Masse angewachsen [...].“246 Diese„Masse“ sei den Griechen, dem Mittelalter und noch Shakespeare un-bekannt gewesen; aus dieser Unkenntnis, aus der ‚Gnade der frühenGeburt‘ erkläre sich ihr naives und natürliches Schreiben. Erst „der jet-zige Künstler“, der Maler wie der Dichter, müsse der „Verführung“ wi-derstehen, zu viel von diesem Reflexionsgut aufzunehmen, das der „ei-gentlichen Aufgabe schadet.“247 Gelingt ihm dies nicht, so läßt sich jederFehlschlag verzeihen, denn der Künstler der Gegenwart drohe zu Rechtan dem Überangebot von Reflexionen „irre“ zu werden.248 Dabei gehtes Vischer jedoch nicht darum, Reflexion restlos zu tilgen: „Grade[] derReflexion“ bleiben immer erhalten, so sehr sich der Künstler auchmüht, sie ganz zu beseitigen.249

Vischer treibt diese Konstellation noch weiter. Er überführt sie in einDilemma, das den Künstler – seiner Ansicht nach – unausweichlichplagen muß. Denn ignoriert er die Fülle des Stoffs und folgt nur seinem„Genius“, „so fährt die Kritik über ihn her, steckt ihn nachträglich an,nimmt ihm die Freude.“250 Das Zeitalter der „Reflexionsbildung“ läßtdem Künstler die Wahl zwischen Skylla und Charybdis: zwischen demVerlust der Phantasie und der Hingabe an die Reflexion oder dem Ver-lust der Freude an der schöpferischen Tätigkeit. In der Tat scheint zustimmen, was die frühe Vischer-Forschung mit gehörigem geisteswis-senschaftlichem Pathos formulierte: Auch Vischer gelinge es nicht,Kunst und Leben in der Moderne wieder ästhetisch miteinander zuversöhnen.251

Das moderne Dilemma der Reflexion löst Vischer aber doch, indemer es auf die Rezeptionsseite verlagert. Er bedient sich damit des Struk-

245 Vischer 1922/1923, II, § 482, S. 621.246 Ebd.247 Ebd.248 Ebd., S.622: „Es ist zu viel, überall zu viel, die Phantasie muß das Gleichgewicht ver-

lieren, muß im dichten Walde den Weg verfehlen.“249 Vischer 1975, S. 9.250 Vischer 1922/1923, II, S. 622.251 Oelmüller 1959, S. 184.

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turmodells, wie es die Popularästhetik des ausgehenden 18. Jahrhun-derts – Sulzer beispielsweise – kennt. Aber Vischer geht – vor dem Hin-tergrund des neuhumanistischen Menschenbildes – darüber hinaus. Erspricht den Leser, den Hörer, den Betrachter als ‚ganzen Menschen‘ an.Der Rezipient nämlich soll sich um „Reflexion im Kunstgenuß“ bemü-hen – eine anthropologische Forderung neuhumanistischer Herkunft.Vischer erläutert sie, indem er einen Scheinwiderspruch entlarvt. Diezwei Sätze, daß das Schöne „ganz unmittelbar“ genossen werden solleund Bildung voraussetze, widersprechen sich danach nicht.252 Schließ-lich müsse sich der Mensch erst zu dem entwickeln, der er sei und ge-lange nur durch eine solche (Selbst-)Bildung zu „seiner wahren Na-tur“, „zur wahren Einfachheit“:253

Humanität ist erst die späte Frucht der Bildung, die zur Natur zurückkehrendarf, weil sie sie nicht mehr zu fürchten hat, und hier erst blüht der Sinn desSchönen auf. Ist ihm nun der Boden geebnet, so braucht es, obwohl er, ver-glichen mit den gegensätzlichen Tätigkeiten, ganz unmittelbar ist, eine Ver-mittlung innerhalb seiner selbst, eine Bildung des Formsinns. In diesem liegtnun allerdings auch ein Denken. Ohne tiefes Sinnen, ohne Reflexion über dieVerhältnisse der Komposition ist kein Kunstwerk zu genießen, und dazumuß erst die Übung des Auges und Ohres für Form, Farbe, Ton, Rhythmususw. treten.254

Vischers Kunst-Anthropologie umfaßt also einen komplexen und me-taphysisch voraussetzungsreichen Bildungsprozeß.255 In einem erstenSchritt bildet sich das ‚rohe Individuum‘ zu Humanität. Diese soll ineinem zweiten Schritt „zur Natur“ zurückkehren; hier entsteht in ei-nem dritten Schritt der „Sinn des Schönen“. Er aber orientiert sich –obwohl „unmittelbar“ – nicht von selbst auf das Schöne, sondernbedarf – in einem vierten Schritt – des „Formsinns“. Der „Form-sinn[]“ erweist sich als schillernd, als analytisch und synthetisch zu-gleich. Es handelt sich dabei „auch“ um ein „Denken“, das einer syn-thetisierenden Wesenschau ähnelt, aber gleichwohl analytisch angelegt

252 Vischer 1922/1923, I, § 80, S. 223.253 Ebd.254 Ebd., S. 224.255 Wolfgang Albrecht führt den so angelegten Bildungsprozeß noch auf den Perfekti-

bilitätsgedanken des 18. Jahrhunderts zurück; Albrecht 2001, S.34. Im Blick auf gei-stige Entwicklung einer „longue durée“ leuchtet diese Verbindung ein, doch fällt esschwer, Vischers Überlegungen mit einer bestimmten Variante des Vervollkomm-nungs- oder Vollkommenheits-Denkens zu verbinden. Vischer hatte vermutlich vorallem die geschichtsphilosophischen Verheißungen Hegels vor Augen.

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ist. Beide Aspekt des „Formsinns“ erlauben eine spezifischen „Kunst-genuß“:

[...] der Gegenstand wird aufgehoben und wieder zusammengesetzt, wirdbildend innerlich nachgeschaffen, die Linien fließen, sie sind nicht tot, dieFarben atmen, Schatten und Licht durchschneiden sich hier und verschwe-ben dort: dies Alles ist ein Reflektieren, aber kein abstraktes, ein Reflektie-ren, ein Denken in Formen.256

Vischer empfiehlt dem Rezipienten nicht nur ein gegenstandsnahes„Denken in Formen“, sondern auch ein imitierendes Nachempfindendes Kunstwerks. Dabei soll es das Ziel sein, „das innerste Gefühl mitWonne zu durchdringen“ – offen bleibt, ob schon das Selbstgefühl desRezipienten gemeint ist oder ob Vischer von einem „innerste[n] Ge-fühl“ des Werkes selbst ausgeht, das sich reflexiv ermitteln lassen soll.257

Deutlich ist aber, daß der Begriff der Reflexion, sofern er auf die Rezep-tionsseite angewandt wird, eine besonders gebildete Art des Denkensund Empfindens anspricht. Sie soll helfen, Kunstwerke angemessenwahrzunehmen und das Reflexionsproblem zu lösen. Uhland entfaltetediesen Gedanken bereits für die Seite der Produktion.258

Was Vischer für den Gedanken der Reflexion leistet, entpuppt sichals eine – von Uhland beeinflußte – neuhumanistische Weiterentwick-lung der hegelschen Ästhetik, die mit den bekannten Argumentations-mustern aufklärerischer Popularästhetik verbunden wird: Hegel erach-tet die wahre, die nicht-verbildete Kunst als verloren; der Künstler sollenicht versuchen, sie in „Einsamkeit“ zu „erkünsteln“.259 Damit setzt eraber voraus, daß jener Widerspruch gilt, den Vischer als bloß scheinba-ren zu entlarven suchte. Mit seinem Modell der Kunstrezeption und-produktion wendet sich Vischer also gegen diese Schwarz-Weiß-Zeichnung des philosophischen Vorbilds.

Anders als Vischer verbindet Hegel Kunstproduktion und -rezep-tion aber schon selbst, um zu erläutern, wie er sich ideale Kommunika-tion über Kunst vorstellt. Hegel betont, daß die gegenwärtige Kunst –durch die „Reflexionsbildung“ – nicht nur den „unmittelbaren Ge-nuß“, sondern „zugleich unser Urteil“ erwecke.260 Das Kunstwerkmüsse nun immer auch der „denkenden Betrachtung“ (Reflexion im er-

256 Vischer 1922/1923, I, § 80, S. 223.257 Ebd.258 Siehe Abschnitt III. 1. a) dieser Untersuchung.259 Hegel 1986, XIII, S. 25.260 Ebd.

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sten Sinne) unterworfen werden, „und zwar nicht zu dem Zwecke,Kunst wieder hervorzurufen, sondern, was die Kunst sei, wissenschaft-lich zu erkennen.“261 Der denkende – und nur nebenbei genießen-de – Kunstbetrachter Hegels vermag also nicht mehr, die Kunst nach-zuempfinden, sondern sie nur noch nach wissenschaftlichen Kriterienwahrzunehmen, einzuordnen, zu analysieren. Hier zeigt sich, daß Vi-scher Hegels System weiterführen will, indem er hinter dessen Diffe-renzierung in „denkende Betrachtung“ und Kunstgenuß zurückgehtund einen Begriff von Reflexion vorschlägt, der beides umfaßt. Diese‚rezeptionsästhetische‘ Lösung humanisiert das System Hegels, indemsie das Problem der „Reflexionsbildung“ ernst nimmt: als ein Problemmodernen Lebens, das sich nicht dadurch lösen läßt, daß man der Wis-senschaft die alleinige Beschreibungskompetenz für ästhetische Fragenanvertraut. Die Forschung hat Vischers neuhumanistische und ‚rezep-tionsästhetische‘ Lösung des Reflexionsproblems bislang erstaunli-cherweise übersehen.

Ihr ist auch entgangen, daß Vischer sie in einem Gedicht auf denPunkt bringt, nämlich in Gedicht und Sinn (entstanden vermutlich inden 1870er Jahren). Es liest sich einfach, was schon an der schlichtenStruktur liegt: Je sechs Verse bilden eine Strophe und enden immer imPaarreim. Vischer will einen einfachen Inhalt vermitteln, und dieschlichte Form kommt ihm dabei entgegen. Sein Text spricht ein ima-ginäres Du an, das sich der Dichtung zuwendet:

Du hoffst von der Dichtung Lust und BehagenUnd pflegst nach dem Sinn erst lange zu fragen?Laß dem innern Auge das Bild sich zeigen,So wird auch der Sinn von selber dir eigen;Erspar dir, Guter, die Mühe; der Sinn,Er ist nicht dahinter, er ist darin.262

Anders als das Du weiß sich der Sprecher des Gedichts mit verschiede-nen Kunstformen und Textsorten vertraut. Er lehrt seinen Adressaten,wie er mit ihnen umgehen solle. Dabei enthält schon die erste – hier zi-tierte Strophe – alle Hinweise auf das, was der Sprecher dem Du nahe-bringen möchte. Die ersten beiden Verse schildern jenen Widerspruch,den Vischer in der Aesthetik als bloß scheinbaren entlarven wollte: denGegensatz zwischen Kunstgenuß und der Suche nach dem tieferen Sinn

261 Ebd.262 Vischer: Gedicht und Sinn, in: ders. 1917, III, S. 157 f., hier S. 157, 1. Strophe.

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3. Systembildung im Ausgang aus der spekulativen Philosophie 169

eines Kunstwerks. Demgegenüber rät der Sprecher – wie Vischer in derAesthetik – dazu, den Gegenstand innerlich nachzuschaffen, ihn aufsich wirken zu lassen und in sich zu spiegeln.

Die zweite Strophe hingegen dient der Illustration und vollzieht sa-tirisch nach, was der Sprecher als Fehlrezeption auffaßt: Was würde derunkundige Leser eines Gedichts denken, vergliche man ihn mit jenemKunstfreund, der den Sinn eines Bildes noch auf seiner Rückwand ver-mutete? In der dritten Strophe jedoch wird der Text wieder ernster.Hier geht es um die Frage, ob der Adressat überhaupt geeignet ist,Dichtung und Kunst zu betrachten, ob er nicht bloß nach „Begriff undWesen“ fahndet,263 also mit einer anderen Art von Büchern besser be-dient wäre. Wer es nur auf den „Geistgewinn“ abgesehen habe, für dengelte: „Kannst du nicht schauen, so ist die Kunst, / Gesteh es nur im-mer, dir eitel Dunst.“264

Wie Vischer in jenem Kapitel der Aesthetik, so preist der Sprecherhier die innerliche Kunst- und Dichtungsschau. Noch mehr als in Vi-schers theoretischer Systematik erscheint der Akt der Rezeption imGedicht aber als intuitiv, was auch durch den Gattungswechsel bedingtist: Selbstverständlich kann und soll ein einzelnes kurzes Lehrgedichtnicht den gesamten Gehalt eines Kapitels der Aesthetik erfassen. Eskann nur einen Punkt hervorheben, der dem Dichter-Theoretiker Vi-scher besonders wichtig ist, nämlich denjenigen des Sich-Versenkens inein künstlerisches Werk. Liest man Gedicht und Sinn als poetologischesDokument, als poetologische Aussage in Versform, dann steigert es dieÜberlegungen der Aesthetik einseitig – zugunsten einer intuitiven In-nerlichkeit. Vischer liefe damit Gefahr, dem eigenen Poesie-Begriff zuwidersprechen, den er in seinen theoretischen Schriften und auch in sei-nem frühen Beitrag über Gedichte von Eduard Mörike entfaltet hatte.Das Gedicht kann schon deshalb nicht Eins-zu-Eins als poetologischesDokument gelesen werden. Ihm gebührt ein eigener Stellenwert. Esbleibt Programm, formuliert griffig und veranschaulicht überspitzt,was die Analyse der Aesthetik nüchtern, aber umfassend darbietet.

Erstaunlicherweise schreibt die Aesthetik ihren Lyrik-Begriff mitBlick auf Mörike fest: mit Blick auf die Musikalität und auf die ‚Leben-digkeit‘ des Gedichts. Die Ballade und die mythische ‚Wirklichkeit‘Uhlands geraten ins Hintertreffen. Vischers Überzeugungen habensich offenkundig zugunsten des Dichter-Freunds Mörike verschoben.

263 Ebd., S. 158, 3. Strophe.264 Ebd.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik170

Vischer reformuliert jene Meta-Reflexion theoretisch, um die sich Mö-rike in seinen poetologischen Gedichten müht. Beide ringen dabei aufihre Weise mit dem Problem der „Reflexionsbildung“: Mörike, indemer es im Gedicht mit Sprachbildern einzufangen sucht, und Vischer, in-dem er es begrifflich erfaßt, für das Problem um Verständnis wirbt undeine sittliche Lösung vorschlägt, eine neuhumanistische Ethik desSchreibens, Lesens und Betrachtens, eine neuhumanistische Ethik derKunstproduktion und -rezeption. Ziel beider ist es, Reflexion (im Sin-ne von Urteilen) für Literaturproduktion und -rezeption zurückzu-drängen, um Selbstreflexion zu ermöglichen – Selbstreflexion verstan-den als dichterische Reflexion auf den Menschen, nicht auf den Dichter,wie Strauß betonte.

Dieses neuhumanistische Poesie-Verständnis meint Vischer anderenÄsthetikern, Poetikern und Philologen voraus zu haben: den Hegel-Schülern,265 der formalistischen Ästhetik in der Kant-Nachfolge (Jo-hann Friedrich Herbart, Robert Zimmermann),266 der jungdeutschenÄsthetik (Theodor Mundt), dem Literaturhistoriker Georg GottfriedGervinus, der „nicht gerade ein besonders feines ästhetisches Senso-rium“ verfüge,267 und dem modernen ‚Scholastiker‘ Karl Rosenkranz.268

Wenn Vischer dennoch am Wert des eigenen Unternehmens, besondersan der „Metaphysik des Schönen“ zweifelt,269 dann verweist ihn Straußimmer wieder auf die Stärke seiner Aesthetik, auf das Vorhaben, von derPoesie selbst auszugehen. Aus seiner Sicht verhält es sich so,

[...] daß Dir [Vischer] immer eine Arbeit, die dem konkreten Gegenstandenäher steht, besser gelingen wird, als die Seite des abstrakten Gedankensliegt. Aber sei darüber froh; das macht Dich eben zum geborenen Ästhetiker.Wenn man auf diesen das Wort anwenden will: das Eine tun und das Anderenicht lassen, so wird unter’s Tun die Anschauung und Empfindung des Ein-zelnen, unter’s Nichtlassen die Erkenntnis des Allgemeinen zu stellen sein.

265 Vgl. zu Vischers Solger-Rezeption Baillot 2002.266 Zimmermann kritisiert Vischer als Substantialisten und bringt ihn damit in Argu-

mentationsnot. Vischer an Strauß, Zürich, 30. Juli 1858, Bd. 2, S. 147–149, hier S. 148.Vischer aber wird sich mit der ihm eigenen deftigen Ironie zur Wehr setzen; vgl. Al-lesch 1987, S. 257; siehe auch Henckmann 2001. Lothar Schneider beschreibt dieseKontroverse als „poetologische Leitdifferenz“ des 19. Jahrhunderts; ders. 2001.

267 Strauß an Vischer, Stuttgart, 7. Februar 1842, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I,S. 111 f., hier S. 111.

268 Strauß an Vischer, München, den 19. Februar 1851, D.F. Strauß u. Vischer 1952/53, I,S. 278–280, hier S. 279.

269 Vischer an Strauß, 7. Juni 1846, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I, S.173–175, hierS. 174.

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3. Systembildung im Ausgang aus der spekulativen Philosophie 171

Eben weil es sich bei Rötschel, Hotho etc. umgekehrt verhält, sind sie keinerechten Ästhetiker.270

Vischers Aesthetik bewährt sich für Strauß schon deshalb, weil er Vi-scher als „Ästhetikernatur“, als einen genauen Beobachter und als ei-nen Bewunderer der Poesie einschätzt, der ihr aber theoretisch am be-sten zu dienen vermag.271 Auch auf das Gebiet der Ästhetik wendetStrauß die neuhumanistische Einstellung vom ‚ganzen Menschen‘ re-flexiv an. Er muß bloß das richtige Betätigungsfeld für seine Talentefinden, um sie zum Wohl der gebildeten Gesellschaft zu entfalten.

In einer politisch und geistig ausgesprochen schwierigen Zeit suchenVischer und Strauß nach (Selbst-)Orientierung und entwickeln sich da-bei nach und nach zu gesetzten Vertretern des Neuhumanismus. Weilihnen der christliche Glaube dabei verloren ging, nehmen sie ihre Zwei-fel zum Anlaß, sich auf das unmittelbar Menschliche zu konzentrieren:

Bet’ nun für mich, daß es leidlich bleibt; ich will’s für Dich tun. Der Gott, zudem wir beten, wird es uns, so Gott will, nicht nachtragen, daß wir bewiesenhaben, daß er nicht existiert.272

Im Blick darauf fällt es schwer, in Strauß und Vischer jene „Bildungs-philister“ zu erblicken, zu denen Friedrich Nietzsche sie mit großerGeste abstempelte.273 Vischer und Strauß bemühen sich um eine Huma-nisierung der Systemphilosophie Hegels (in der Hothoschen Färbung)und können sich dafür an den (lyrischen) Poetiken Uhlands und Möri-kes – weniger an denjenigen Kerners – schulen: an der gesteigerten Na-turnachahmung, am traditionsbewußten und wirklichkeitsnahen Dich-ten, das die Reflexion im Sinne eines poetologisch gedeuteten Neuhu-manismus zu mindern sucht.

Parallel dazu entfalten sich andere Formen des Umgang mit demProblem der „Reflexionsbildung“. Wenn Mörike, Vischer und Straußim Selbst, im eigenen Umfeld, in den poetologischen TraditionenSchwabens, Weimars und der Antike nach der verlorenen Ursprüng-

270 Strauß an Vischer, Heilbronn, 9. Juni 1846, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I,S. 175–177, hier S. 175.

271 Ebd., S. 176.272 Vischer an Strauß, Zürich, [o.D.] vermutlich vom 18. Oktober 1856, in: D. F. Strauß

u. Vischer 1952/53, II, S. 109 f., hier S. 110.273 Vgl. Nietzsche 1954; siehe auch Schmidt 1985, S.155–159. Nietzsche zufolge verhin-

dern Bildungsphilister wie Strauß (und Vischer) ‚starke‘ Gefühle, verabsolutiertensich selbst zu idealen Kulturmenschen und verachteten diejenigen, die diesem Idealnicht entsprechen.

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III. Wege zu einer neuhumanistischen Poetik172

lichkeit fahnden, dann verlegen die jungdeutschen Zeitgenossen dieseSuche auf das Fremde: auf die anderen Literaturen Europas oder sogarauf die Literaturen anderer Kontinente.274 Zwischen den 1820er/25erund 1840er/50er Jahren konkurrieren unterschiedliche Modelle, mitdem Problem der Reflexion umzugehen: die regional orientierten undgruppenspezifisch ausgeprägten Modelle neuhumanistischer Dichterund Denker wie Mörike, Vischer und Strauß beispielsweise stehen derinternationalen Orientierung jungdeutscher Ideenpolitik entgegen, diesich als ein komplexes Amalgam von Poetik, Politik und Ideologie inder Debatte über Weltpoesie und aus der Kritik an der „Poesie der Poe-sie“ entwickelt.

Weil es im folgenden jedoch nicht darum gehen kann, alle Ausprä-gungen dieses komplexen Amalgams nachzuvollziehen und bis in den(Proto-)Realismus und Naturalismus hinein zu verfolgen, widmet sichdie Darstellung zum einen den programmatischen Haupttexten derWeltpoesie-Debatte. Zum anderen untersucht sie den ‚mainstream‘ derLyrik-Anthologien, der sich im Ausgang aus diesen Programmatikenentwickelt, diese in Vorworten populär reformuliert und – nach undnach – andere poetologische Schwerpunkte setzt.

274 Selbstkritisch und international interessiert lassen sich Vischer und Strauß aber auchvon anderen, nicht-schwäbischen Schriftstellern anregen, die ähnliche Positionenbeziehen wie sie selbst. Als „Das Leben Jesu“ in englischer Sprache erscheint, be-ginnt Strauß beispielsweise, englische Journale (besonders das „Athenaeum“) zu le-sen. Vischer an Strauß, Tübingen, 23. Februar 1852, in: D. F. Strauß u. Vischer1952/53, II, S. 28 f., hier S. 29. Vischer wie Strauß begegnen der Literaturproduktionder anderen Länder aufgeschlossen und begeistern sich ganz besonders für die Ro-mane George Sands. Vischer an Strauß, [Tübingen, 21. Januar 1846], in: D. F. Straußu. Vischer 1952/53, I, S. 169 f., hier S. 170: „Ich bewundere diese Frau, die so fest, soenergisch zeichnet, wie Raphael in den Tapeten und Stanzen.“ Strauß entgegnet nur;Strauß an Vischer, Heilbronn, 16. Juli 1844, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, I,S. 142 f., hier S. 142.: „[...] wir sollten an sie schreiben.“

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IV. Poetik der Weltpoesie:Selbstreflexion im Fremden

Die Humanisten träumen immer nochDen Traum von einer Weltlitteratur.Ein Schönes soll’s nur geben überhaupt,Für jedes Volk ein und dasselbe stetsIn jeder Sprache, jedem Himmelstrich,Als wäre geistig Leben und CulturBei allen Völkern auf der Erde gleich.1

Mit diesen wenigen Versen erklärt August Heinrich Hoffmann vonFallerslebens Die Weltlitteratur (23. November 1871) „den Traum voneiner Weltlitteratur“ für nichtig. Die Weltlitteratur steht damit sympto-matisch für nationale Vorstellungen von Literatur im Ausgang aus demdeutsch-französischen Krieg von 1870/1871.2 Im Grunde geht es demText nicht einmal mehr um Weltliteratur. Sie gibt nur den Anlaß ab, umnationale Literatur literarisch anzupreisen. Deshalb handelt die erste(oben zitierte) Strophe bloß polemisch von ihrem sogenannten Gegen-stand. Ihre Aufgabe ist es, die Idee der Weltliteratur in Mißkredit zubringen. Weltliteratur wird als Nachtmahr entlarvt, den ein humanisti-scher Allmachtsanspruch geboren habe. Demgegenüber entfaltet diezweite Strophe eine positive Vorstellung von der nationalen Literatur.Sie ruht auf der Annahme, daß Dichtung „nur aus des Volkes Eigent-hümlichkeit“ entspringe.3 „Eigenthümlichkeit“ erweist sich als Kampf-begriff: Hoffmann von Fallerslebens Sprecher wendet sich in ihremNamen gegen die „Gleichmacherei“, wie ein humanistischer und ab-strakter Begriff der Schönheit sie befördere.4 Ein solcher Begriff unter-

1 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Die Weltlitteratur, in: Hoffmannv. Fallersleben 1891, V, S. 310 f., hier S. 310, 1. Str. Für den Hinweis auf diesen TextKoppen 1984, S. 821.

2 Hoffmann von Fallerslebens ‚Franzosenphobie‘ allerdings ist älter; sie geht bereitsauf die 1840er Jahre zurück. Dazu Rémi 1996, S.192–197.

3 Hoffmann v. Fallersleben: Die Weltlitteratur (wie Anm. IV., 1), 2. Str., S. 310.4 Ebd., S. 311: „Gleichmacherei die hat nicht Der gewollt, / Der uns zur Mannichfal-

tigkeit erschuf.“

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden174

joche die unterschiedlichen Literaturen durch ein Ideal, das ihnenfremd sei und künstlich wirke.

Mit ihrer Polemik bilden Hoffmann von Fallerslebens Verse zweizentrale Positionen der Weltpoesie-Diskussion ab: die erste verstehtWeltliteratur als Prozeß, der die Völker im Medium der Literatur zu ei-ner einzigen literarisch verfaßten Kulturgemeinschaft vereinigen soll.Impulse bezieht diese Position in der Tat aus einem kulturpolitischenNeuhumanismus. Die zweite Position der Weltliteratur-Diskussionversteht unter ihrem Gegenstand die Literaturen der Welt: ein vielfälti-ges Ensemble nationaler Textkanones, das sich nicht ohne Differenzie-rungsverluste aufeinander abbilden oder miteinander verknüpfen läßt.

Die Weltlitteratur vertritt die zweite Position; ihre nationale Sicht-weise stellt sich also überraschenderweise als eine pluralistische Positiondar. Möglicherweise findet diese Sichtweise deshalb bereits zahlreicheVorläufer in jenem Lager, das sich eher auf seiten der erstgenannten Po-sition vermuten ließe: im Lager der Jungdeutschen, die sich (ab ca. 1835)einmal einem emphatisch kosmopolitischen, ein ander Mal einem em-phatisch nationalen Verständnis von Literatur verschreiben (1. Teil),aber immer und aus politischen Gründen auf eine unmittelbare undvolksnahe Literatur drängen.5 Der Breslauer Professor Hoffmann vonFallersleben zählt – und insofern bestätigt Die Weltlitteratur diesesBild – zu der zweiten Gruppe, zu den national orientierten Jungdeut-schen.6

Beiden Positionen, so meine These, dient ‚das Fremde‘ aber im be-sten Fall als Kontrastfolie für ‚das Eigene‘. Die Kultur, von der das In-teresse am Neuen, Anderen und Unbekannten ausgeht, reflektiert sichin ihrer Zielliteratur. Im Fremden sucht sie (mit Hegel und gegen Schle-gel sowie gegen Tieck), was das ‚Eigene‘ nicht gewährt: ein ganzheitli-ches und mit sich selbst versöhntes Leben, das von modernen Refle-xionserfahrungen unbelastet ist. Darüber hinaus geht es den Debattenüber Weltpoesie um die Verbindung der nationalen Literaturen. Poeti-ken der Weltpoesie versprechen sich davon ein ‚Höheres‘, nämlich eineLiteratur, die die Völker vereint, indem sie die übermäßige Selbstrefle-xion nationaler Literatur beendet und gemeinsame politische und poe-tologische Reflexionen erzeugt. Poetik der Weltpoesie meint deshalbimmer eine Gemengelage von Poetologischem, Politischem und Ideo-

5 Über den programmatischen Wandel des Literaturverständnisses um 1830 Vogt2001.

6 Siehe Pape 1993, S. 141 f.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden 175

logischem. Sie entfaltet sich in mehr oder minder systematischen Äs-thetiken, in Vorworten von Lyrik-Anthologien, in Essays und in derpoetologischen Lyrik selbst.

Das Ergebnis der Bemühungen um eine Weltpoesie aber ernüchtert:Weit davon entfernt, die begehrte gemeinsame Literatur zu finden, tat-sächlich zu einer Weltliteratur vorzudringen oder eine solche zu ent-wickeln, werden Wertvorstellungen und literarische Kanones der Her-kunftskultur auf andere Literaturen übertragen und angewandt. Poeti-ken der Weltpoesie schreiben der deutschen Nation in diesem Sinnebesondere Fähigkeiten für die weltpoetische Literatur zu. Nach Au-gust Wilhelm Schlegel beispielsweise stellen Kosmopolitismus undUniversalität Kennzeichen des ‚deutschen Charakters‘ dar.7 Als einweiteres Beispiel für dieses Verständigungsmuster der Selbstreflexionim Fremden dient mir wiederum Die Weltlitteratur. Sie spricht von ei-nem „groß[en] Verdienst“ des deutschen Volks:

Daß es gerecht ist gegen jedes VolkUnd gerne strebt sich einzuleben auchIn jede fremde Eigenthümlichkeit,Um so zu theilen mit dem fremden Volk’Die Freud an jedem schönen Dichterwerk.8

Fremdreflexion bedeutet danach Einleben, also ein ausgesprochenganzheitliches Sich-Hineinfinden in ein fremdes Volk, um sich an sei-ner Literatur mitzufreuen. Bezeichnenderweise geht die Literatur aber‚dem Volk‘ nach, und dem deutschen Volk wird sogleich die Eigen-schaft zugesprochen, besonders dafür begabt zu sein, sich in ein ande-res Volk ‚einzuleben‘. Die Weltlitteratur äußert sich in ihren Reflexio-nen über fremde Verständigungsformen über die besondere Wertigkeitder eigenen Kultur. Sie überformt die fremde.

Gerade für Literaturübersetzer zeigt sich in der Arbeit am fremd-sprachlichen Text, wie mühsam und kompliziert sich dieses Einleben indie fremde Literatur oder gar das Unterfangen einer Weltpoesie gestal-tet. Übersetzungen und Übersetzungsanthologien weisen deshalb ofteine eigene Poetik auf,9 die sich von der Debatte über Weltliteraturzwar anregen, aber nur in wenigen Fällen, in denjenigen der Weltlitera-

7 Diese Sichtweise findet ihre Fortsetzung in Georg Gottfried Gervinus’ Ansicht, diedeutsche Bereitschaft zur Aufnahme fremder Literatur mache schon ihre Universa-lität aus. Siehe Ansel 1990, S. 183; Beil 1996, S. 269–271.

8 Hoffmann v. Fallersleben: Die Weltlitteratur (wie Anm. IV., 1), 2. Str., S. 310.9 Vgl. A. P. Frank 1994.

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tur-Anthologien,10 auch davon anleiten läßt. Am Beispiel von Lyrik-Übersetzungen läßt sich deshalb zeigen, wie brüchig und heterogen li-terarische Versuche internationaler Kommunikation im Ausgang ausder Weltliteratur-Debatte waren. Weicht der Übersetzer nicht-deut-scher Literatur vom Original ab, flüchtet er sich nicht selten in (natio-nale) Stereotype, um den Eigenwert der fremden Literatur vor demHintergrund des eigenen literarischen Wertekanons hervorzuheben.Diese Verfahren stehen in einem schroffen Gegensatz zu der ‚welt-ver-söhnenden‘ Diskussion über die Weltpoesie, sind aber mehr als bloßihre Kehrseite: Sie prägen diese Diskussion selbst und eröffnen ersteMöglichkeiten für eine Wahrnehmung des Fremden; sie stellen verein-fachtes Wissen über dieses Fremde zur Verfügung.11 Es handelt sich da-bei um Reflexionen von geringer Qualität oder formelhaft: je mehr Re-flexion, desto weniger Stereotypisierung und umgekehrt. Lyrik-Über-setzungen und -Anthologien lassen die Debatte über die Poetik derWeltpoesie deshalb auch als sinnvoll und notwendig erscheinen: Siezettelte doch immerhin Verständigung darüber an, was nach dem Endeder lateinisch-sprachigen ‚res publica litteraria‘ außerhalb der eigenenLandes- und Sprachgrenzen geschah.

Um die Vielfalt dieser Reflexionen und Rezeptionen darzustellen,will ich im folgenden einen literarischen Austausch betrachten, den dieRezeptionsforschung als von nationalen Vorurteilen relativ frei ein-schätzt.12 Gemeint ist der Austausch britischer und deutscher Literatur.Hier wird sich für die Rezeption poetologischen Denkens zeigen lassen,daß sie mitnichten so unproblematisch und vorurteilsfrei verlief, wie esRezeptions- und Übersetzungsforschung beschreibt. Vielmehr bildetensich früh – im Blick auf den deutschen Idealismus einerseits, auf den bri-tischen Utilitarismus und Pragmatismus andererseits – Grenzen wech-selseitigen Verstehens aus. Außerdem läßt sich für die Rezeption poe-tologischer Gedichte zeigen, daß – wiederum anders als die Forschungvermutet – das Vorbild der politisch oder wirtschaftlich liberalen Kul-tur Großbritanniens hier keine Rolle spielt: In der poetologischen Lyrikpreist man erstaunlicherweise ein unpolitisches Dichterideal (2. Teil).

Frankreich gilt der Rezeptions- und Übersetzungsforschung demge-genüber als ein komplizierteres Beispiel für die wechselseitige literari-

10 Vgl. Bödeker 1996; Bödeker u. Leupold 1996. – Ich komme an späterer Stelle daraufzurück.

11 Über Stereotype als vereinfachende Wissensbestände die Beiträge in Florack 2000.12 So Bödeker u. Rohde-Gaur 1996.

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sche Wahrnehmung.13 Diese Einschätzung verwundert aus zwei Grün-den: erstens wies die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts eine lange‚frankophone‘ Tradition auf, die nicht nur der Dichtung der Pléiadeoder dem Drama Racines und Corneilles entstammte, sondern sich vorallem der vermittelnden Tätigkeit der sogenannten Hugenotten ver-dankte, der französisch-reformierten Gläubigen, die seit dem Ausgangdes 17. Jahrhunderts in den Ländern des Heiligen Römischen ReichsAufnahme fanden.14 In den regionalen ‚Refuges‘ entstanden schon imAusgang des 17. Jahrhunderts zahlreiche Periodica, die der wechselsei-tigen Literaturvermittlung dienten.15 Zweitens konnte das französischeMutterland nahtlos an solche Bemühungen anknüpfen: Im Blick aufdas 19. Jahrhundert läßt sich für die Archives Littéraires de l’Europe(1804–1808),16 für L’Europe Littéraire (1833–1834)17 und für die Revuedes deux mondes (1829 ff.) von einer europäischen Literaturkritik spre-chen.18

Sofern die deutsche Literaturkritik und die anthologische Praxis fran-zösische poetologische Lyrik wahrnimmt, legt sie ihr Augenmerk im-mer wieder auf sozialkritische Muster: auf den Topos des armen Poeten,der als Chansonnier auftritt, und auf die Poesie, die als frei und als un-abhängig von den Ränke- und Machtspielen der Menschen gezeigt wird.La Poésie, ein Gedicht des gelehrten Saint-Simonisten Léon Halévy,steht paradigmatisch dafür. Es findet zwar Eingang in die Lyrik undPoetik des Münchner Dichterkreises, der unter poetologischem Aspektim Deutschland des mittleren 19. Jahrhunderts den Ton angibt,19 aber essprengt ihren Rahmen, wird ihr zum Problem. Dieser seltene Fall zeigt,daß die Fremdreflexion die Selbstreflexion gefährden kann (3. Teil).

Selbstreflexionen über Dichtung finden bis in die 1880er Jahre hineinnoch immer im Rahmen eines klassizistischen Normenkanons statt.20

13 Rohde-Gauer 1996; Keck 1996.14 Haase 1954; Pott 2002a.15 Dazu die tabellarische Übersicht in Jaumann 2003.16 Vgl. Mortier 1957.17 Vgl. Palfrey 1927.18 Vgl. Marino 1980, S. 190 f.19 Siehe Fohrmann 1996; Werner 1996.20 Siehe Beil 1996, S. 270 f. – Jürgen Fohrmann beschrieb dies für die deutsche Litera-

turgeschichte als Denkmuster einer ‚nationalen Entelechie‘. Danach umfaßt Litera-turgeschichte weniger Entwicklungen als vielmehr ‚Auswicklungen‘: Sie wählt dieWeimarer Klassik als Endpunkt einer sich vollendenden Literatur und deutet allesübrige als ihre Vorgeschichte; Fohrmann 1991, S. 209 f.; Beil 1996, S. 270 f.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden178

Doch gilt es, diesen Reflexionstypus nicht als einen ‚deutschen Sonder-weg‘ der Weltpoesie-Diskussion zu überschätzen:21 Jede Literatur kenntEpochen der literarischen ‚Blüte‘, die sie als Maßstab für andere Litera-turen anlegt.22 Für das Rezeptionsbeispiel Großbritannien-Deutschlandwill ich deshalb immer auch den umgekehrten Blick riskieren, also denBlick von Großbritannien nach Deutschland. In beiden Ländern walten,wie sich zeigen wird, vergleichbare Selbst- und Fremddarstellungen.Am Beginn der Debatte über eine Poesie der Völker war dafür kaum einzweiter Denker so sensibel wie Johann Gottfried Herder.

1. „Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“:Weltliteratur als Prozeß oder

als Ensemble nationaler Textkanones?

Herders Volkslieder-Sammlung (1778/1779) und seine Briefe zur Be-förderung der Humanität (1793–1796) gelten als Gründungsdokumen-te weltpoetischen Bestrebens.23 Aber Herder spricht in ganz unter-schiedlicher Weise von der Verbreitung und Wirkung von Poesie – undnicht von Weltpoesie: erstens geht es ihm um einen Patriotismus gesel-liger Zirkel, deren Mitglieder sich über ihr eigenes moralisches und so-ziales Verhalten verständigen. Dieses läßt sich in besonderer Weise anPoesie ablesen bzw. durch Poesie beeinflussen. Denn sie wirkt auf den„innern Sinn“ des Menschen, auf das „Gemüth[]“ oder das „Land der

21 Siehe Koppen 1984. Das Bemühen, die Germanistik zum nationalen Anliegen und zu‚der‘ nationalen Geisteswissenschaft zu machen, gilt Susanne Schröder (1979) in die-sem Sinne als ein Grund dafür, daß die ‚Komparatistik‘ im Deutschland des Wilhel-minischen Zeitalters – anders als in den übrigen Ländern Mitteleuropas – nicht als ei-genständige Wissenschaft institutionalisiert wurde. Hier klingt die Sonderweg-Thesean; vgl. dazu Kindt u. Müller 2003a.

22 Für England ist nicht nur Shakespeare, sondern auch die Romantik zu nennen. InFrankreich erhebt man – je nach Literaturanschauung – entweder die Klassik oderdie „lumières“ auf den Schild.

23 Bödeker 1996, S. 183 f. Für Konzepte der Weltliteratur zieht Birgit Bödeker eineEntwicklungslinie, die von Herders-Volkslieder-Sammlung über Goethes Weltlite-ratur-Begriff bis hin zum „Scherr-Typus“ deutscher Weltpoesie-Anthologien reicht.Bödeker zufolge vertreten alle drei emphatische Sichtweisen von Weltliteratur. Ichwill diese Sichtweisen demgegenüber vor allem für Goethe relativieren, für Herdereine dreifach angelegte Vorstellung von der Poesie der Völker herausarbeiten undScherr als einen Anthologisten beschreiben, der den Weltliteratur-Begriff triviali-siert. Siehe auch den Versuch von Andreas Poltermann (1998), Herder für die gegen-wärtige Postkolonialismus-Debatte zu gewinnen.

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1. „Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“ 179

Seelen“,24 und zwar in vernünftiger und humanisierender Absicht.25

Herder bestimmt Poesie hier vor allem individuell, um daraus aller-dings allgemeine Folgen abzuleiten.26

Zweitens gilt ihm Poesie als Ausdrucksmittel der einzelnen Natio-nen. Sie wandele sich „nach Sprache, Sitten, Gewohnheiten, nach demTemperament und Klima, sogar nach dem Akzent der Völker.“27 Dem-entsprechend bilde jede Nation einen eigenen Wertmaßstab zur Beur-teilung von Poesie aus, und es verwundere nicht, wenn sie die Dichterbevorzuge, die in ihrer eigenen Sprache schreiben.28 An dieser Stellespricht Herder also nur von unterschiedlichen Nationalpoesien, diesich wechselseitig mehr oder minder gründlich wahrnehmen. Der Le-ser im humanitären Bund Herders richtet seine Lektüregewohnheitendanach aus. Er vergnügt sich, indem er die unterschiedlichen National-literaturen gegeneinanderstellt und fahndet nach der Denk- und ‚See-lengeschichte‘ der Völker.

Wenn ‚Volk‘ hier ein homogenes Gebilde meint, dann verhält es sichmit dem Begriff des Menschen anders. Der Mensch Herders paßt sichan neue Existenzbedingungen an, strebt nach moralischer Vervoll-kommnung,29 und Poesie hilft ihm dabei. Sie führt ihn in ein utopischesArkadien, in das Reich der „Einfalt“.30 Drittens nimmt Herder also die

24 Herder 1991, Achte Slg., Brief 106, S. 572 [Hervorhebungen im Original].25 Ebd., Brief 107, S. 578.26 Denn Poesie erscheint ihm als „ein Spiegel der Natur und Sitten, Humanität im ge-

fälligsten Gewande, Philosophie des Lebens.“ Ebd., Achte Slg., Brief 106, S. 572.27 Ebd., Brief 107.28 Nur in Deutschland widerstrebten die Leser dieser allzu verständlichen Neigung:

„Italiener, Franzosen und Engländer schätzen ihre Dichter, oft mit ungerechter Ver-achtung andrer Völker, parteiisch hoch; der einzige Deutsche hat sich verführen las-sen, das Verdienst fremder Völker, insonderheit der Engländer und Franzosen, un-mäßig zu übertreiben und darüber sich selbst zu vernachlässigen.“ Ebd., S.574. – DerUmstand, daß die Geschichte der deutschen Literatur manchem als so kurz erschei-nen mag, mitunter sogar auf die Goethezeit begrenzt wird (Schlaffer 2002), ließesich – mit Herder – also aus dem mangelnden Selbstbewußtsein deutscher Autoren,Kritiker und Wissenschaftler erklären.

29 Herder 1991, Achte Slg., Brief 107, S. 577.30 Ebd., S. 578 [Hervorhebungen im Orginal]: „Sollte also nicht auch bei dieser, wie bei

allen Reihen fortgesetzter Naturumwirkungen ein Fortgang unumgänglich sein? Ichzweifle daran (den Fortgang recht verstanden) gar nicht. In Sprachen und Sitten wer-den wir nie Griechen und Römer werden, wir wollen es auch nicht sein. Ob aber derGeist der Poesie durch alle Schwingungen und Excentricitäten, in denen er sich bis-her Nationen- und Zeitenweise periodisch bemühet hat, nicht dahin strebe, immermehr und mehr, so wie jede Grobheit des Gefühls, so auch jeden falschen Schmuckabzuwerfen und den Mittelpunkt aller menschlichen Bemühungen zu suchen, näm-

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden180

Poesie ‚schlechthin‘ in den Blick, und zwar als quasi-abstrakte und hu-manisierende Einheit einer Menschheitsgeschichte, die eher zufällig ineinzelnen Nationen geschieht. Diese Poesie ‚schlechthin‘ beurteilt erausgesprochen optimistisch: Im Laufe der Zeit zeige sich, wie die Poe-sie die moralische Natur des Menschen immer besser (d. h. einfacher,wahrer und sittlicher) zur Geltung bringe. Herders Menschheit strebteinem gemeinsamen Ziel zu, nämlich Arkadien, dem utopischen Reich,in dem Individuum, Volk und Völker poetisch vereint sind.

Erst von diesem dritten geschichtsphilosophischen und utopischenPoesie-Begriff gehen jene Impulse aus, auf die sich weltpoetische Un-ternehmungen berufen könnten. Denn an dieser Stelle überschreitetHerder seinen Begriff von einer nationalen Literatur zugunsten einesIdeals, das ihm zur transnationalen poetologischen Verhaltensregelwird. Weil Herders Poesie-Begriff aber derart komplex ist, überraschtes nicht, daß Poetiker der Weltpoesie Herders Namen zwar erwähnen,ihn aber nicht zum Hauptadvokaten ihrer Auffassungen ernennen: Sei-ne Poetik erweist sich unter diesem Aspekt als gesunkenes Kulturgut.Ganz anders verhält es sich mit seiner Volkslieder-Sammlung, die als„Werke- und Wertekanon“ (Renate v. Heydebrand/Simone Winko-Jannidis) zum Vorbild für jene Weltliteratur-Anthologien wird, dienicht nur den Okzident, sondern auch den Orient in ihre Textsamm-lungen einbeziehen.31 Herders Sammlung leitet spätere Anthologistennicht selten bei der Text-Auswahl und bei der poetologischen Refle-xion des Ausgewählten an.32

Für eine Poetik der Weltpoesie erweisen sich Goethes Überlegungendemgegenüber als weitaus wirksamer. Er stellt Herders geschichtsphi-losophischem Modell transnationaler Poesie seine Anschauungen übereine „Weltliteratur“ entgegen, die sich im literarischen Betrieb selbstbildet.33 In den Jahren 1827 bis 1830 entwickelt Goethe seinen Begriff

lich die ächte, ganze, moralische Natur des Menschen, Philosophie des Lebens? Die-ses wird mir durch Vergleichung der Zeiten sehr glaubhaft. Auch in Zeiten des grö-ßesten Ungeschmacks können wir uns nach der großen Regel der Natur sagen: Ten-dimus in Arcadiam, tendimus! [Wir streben nach Arkadien, wir streben!] Nach demLande der Einfalt, der Wahrheit und Sitten geht unser Weg.“ Herder ging es freilichnicht darum, dieses Arkadien tatsächlich zu erblicken; siehe Kelletat 1984, S. 118.

31 Vgl. Bödeker 1996; Bödeker u. Leupold 1996.32 Vgl. Hart 1885; Menzel 1851; Schack 1893; Scherr 1869ff.; Solger 1888; Wentzel

1912; Zoozmann 1915.33 Der Goethesche Begriff wurde oft besprochen; vgl. Bollacher 2001, bes. S.175–185;

vor allem aber die begriffs- und rezeptionsgeschichtliche Untersuchung vonM. Koch 2002, die erst nach Abschluß der Untersuchung eingesehen werden konnte.

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1. „Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“ 181

von „Weltliteratur“, und zwar aus der Lektüre französischer, engli-scher, italienischer und deutscher Zeitschriften (Le Globe, EdinburghReview, L’Eco, Acta Comparationis Litterarum Universarum). Andersals in Herders Konzeption von Poesie ist die Zeitzeugenschaft für den„Weltliteratur“-Begriff Goethes von besonderer Bedeutung.34 Der Au-tor erlebt seine eigene Rezeption und Kanonisierung; mit Hilfe des Be-griffs der „Weltliteratur“ versucht er, selbst daran mitzuwirken. SeinBegriff von „Weltliteratur“ wandelt sich aber im Lauf der Jahre ganzerheblich.

Erstmals gebraucht er ihn im Jahr 1827, und zwar in seiner Zeit-schrift Über Kunst und Altertum. Dort bekennt er sich zu der Über-zeugung, daß es bereits „eine allgemeine Weltliteratur“ gebe und daßden Deutschen für die weitere Ausbildung derselben „eine ehrenvolleRolle“ vorbehalten sei:

Alle Nationen schauen sich nach uns um, sie loben, sie tadeln, nehmen aufund verwerfen, ahmen nach und entstellen, verstehen oder mißverstehenuns, eröffnen oder verschließen ihre Herzen: dies alles müssen wir gleichmü-tig aufnehmen, indem uns das Ganze von großem Wert ist.35

Goethe faßt „Weltliteratur“ als Handlungskomplex, als ein „große[s]Zusammentreten“ auf.36 Er plädiert für einen umsichtigen, aber enga-gierten Umgang mit diesem (für ihn) neuen Phänomen. Im Gesprächmit Eckermann (31. Januar 1827) spricht er folgerichtig von einer„Epoche der Weltliteratur“, die „an der Zeit“ sei: „[...] jeder muß jetztdazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen.“37 Die Beförderung der„Weltliteratur“ wird zur moralischen Aufgabe des einzelnen Dichtersund Denkers.

Erstaunlicherweise gibt Goethe aber nur vage Ziele für dieses weltli-terarische Engagement an. Deutsche müßten die Neigungen der Natio-nen unterstützen, die nach zahlreichen Kriegen auf dem Feld der Lite-

34 Siehe Bollacher 2001, S. 175 u. passim. Bödeker spricht demgegenüber davon, daßGoethe weltliterarische Bestrebungen im Ausgang von Herder und im Blick auf dieRomantik zusammenfasse; dies. 1996, S. 184 f. So einleuchtend diese Beschreibungauch im Blick auf einen weiteren literaturhistorischen Rahmen wirkt, so sehr ver-nachlässigt sie m. E. aber auch die Unterschiede, die zwischen diesen (Welt-)Litera-tur-Konzepten bestehen.

35 Goethe 1981 [Goethes wichtigste Äusserungen über „Weltliteratur“], XII,S. 361–364, hier S. 361 [Hervorhebung im Original].

36 Ebd. [Brief an Karl Streckfuß, 27. Januar 1827], S. 362.37 Ebd.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden182

ratur miteinander Frieden schließen wollten.38 Dabei wirke die „Welt-literatur“ nach innen wie nach außen befriedend: Sie befördere die„wahrhaft allgemeine Duldung“39 und gleiche die „Differenzen“ in ei-ner Nation aus.40 Der Begriff der Duldung erweist sich aber als ausge-sprochen schwach: Im Sprachgebrauch des 18. und beginnenden19. Jahrhunderts bezeichnet Duldung, daß man die Existenz des ande-ren anerkennt, nicht aber, daß man sie akzeptiert, also als solche an-nimmt. Die Nationen, wie Goethe sie vor Augen hat, sind durch dietiefen Gräben der napoleonischen Zeit voneinander geschieden undmüssen sich offenkundig erst vorsichtig annähern. „Lieben“ werdensich diese Nationen nie.41 Schon aus diesem Grund hätte der weltlitera-rische Anspruch anders anzusetzen:

[...] hier ist vielmehr davon die Rede, daß die lebendigen und strebenden Li-teratoren einander kennen lernen und durch Neigung und Gemeinsinn sichveranlaßt finden, gesellschaftlich zu wirken.42

Goethe blickt auf den einzelnen Autor. Möglicherweise geraten seineweltliterarischen Bestrebungen schon deshalb ins Hintertreffen. Dennbereits im März des Jahres 1829 klagt er in einem Brief an Zelter überdie negativen Folgen der entstehenden „Weltliteratur“. Die „Übertrie-benheiten“ des Pariser Theaters gelangten nach Deutschland.43 Von derDuldung, über die er noch im Jahr 1828 gesprochen hat, bleibt wenigübrig. In seinem Entwurf zur Einleitung von Thomas Carlyles LebenSchillers (5. April 1830) notiert Goethe ernüchtert: Jede Nation wird inder andern „etwas Annehmliches und etwas Widerwärtiges, etwasNachahmenswertes und etwas zu Meidendes“ antreffen.44

In einem starken Sinne versteht Goethe „Weltliteratur“ als ein Zu-sammenwirken einzelner Autoren: Ihre Aufgabe soll es sein, voneinan-der zu lernen. Für internationale Verständigung, für die Verständigungzwischen den Nationen selbst, steht demgegenüber allenfalls die wech-selseitige Duldung in Aussicht. Goethe bescheidet sich mit einem zwarenergischen, aber sehr gemäßigten, beinahe zögerlichen Plädoyer für

38 Ebd. [Vorrede zu Thomas Carlyle, Leben Schillers, 1830], S. 364: Hierfür sprichtGoethe von einem „Gefühl nachbarschaftlicher Verhältnisse“.

39 Ebd.40 Ebd. [Brief an Boisserée, 12.10.1827].41 Ebd. [Über Kunst und Altertum, 1828], S. 363.42 Ebd.43 Ebd.44 Ebd.

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1. „Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“ 183

die „Weltliteratur“. Diese Mäßigung ist vor allem auf Qualitätsansprü-che zurückzuführen, die er an Literatur stellt: Im Zuge einer allgemei-nen Verbreitung der Nationalliteraturen über die Welt, in diesem Falledes französischen Dramas, erweist sich die deutsche Literatur als be-droht. Hinzu kommt, daß sich Goethe für eine große kulturelle Ver-schmelzung der Nationen nicht begeistern konnte. Vielmehr geht esihm darum, einen Zustand (wieder-)herzustellen, der vorerst Friedengewährleistet und wechselseitige Akzeptanz ermöglicht. Darüber hin-aus setzt er sich – mit einem eigensinnigen Blick auf die Qualität vonLiteratur – in einem gewissen Sinne für die Germanisierung der „Welt-literatur“ ein und versteht dieses Engagement bereits als eine literari-sche Übung von Toleranz.

Diese begriffsgeschichtliche Interpretation nimmt dem GoetheschenBegriff der „Weltliteratur“ Pathos und Emphase. Wenn Goethe überdie Anforderungen für eine „Weltliteratur“ spricht, dann hat er näm-lich vor allem die deutsche vor Augen; er überträgt und generalisiert,was er für deren Eigenschaften hält. Ausländischen Journale mustert er,insofern sie das eigene Werk wahrnehmen. Demnach geht es ihm gera-de nicht um die Reflexion des ‚Anderen‘ in einem künftigen weltlitera-rischen Text, sondern um die Reflexion des ‚Eigenen‘ in anderen Natio-nalliteraturen.

Dennoch entnehmen Friedrich Rückert und Ludolf Wienbarg Goe-thes Aussagen aber nicht nur den Begriff der „Weltliteratur“, sondernauch ein Plädoyer für die Beförderung derselben. Dabei weichen selbstihre emphatischen Vorstellungen von einer Weltpoesie voneinander ab:Rückerts poetologische Lyrik behandelt die weltpoetische Begeiste-rung bereits ironisch – was ein neues Licht auf den ‚Vorreiter‘ für dieVölkerverständigung von Ost und West wirft (Abschnitt a).45 Mehrnoch: Bereits am Beginn, vor allem aber im Ausgang des 19. Jahrhun-derts läßt sich eine enorme Vielfalt weltliterarischer Vorstellungen be-schreiben, von denen nur wenige ernsthaft um einen völker-übergrei-fenden Prozeß der literarischen Reflexion ringen (Abschnitt b).

45 Die Rückert-Forschung erblickt in ihrem Autor einen entschlossenen Vertreterweltpoetischer Vorhaben. Brüche in der Poetik des Autors, vor allem in der poeto-logischen Lyrik, berücksichtigt sie nicht. Vgl. bereits die richtungsweisende Darstel-lung von Schimmel 1967; die Beiträge in Fischer u. Gömmel 1990; Ali-Huseinat1993; Bachmann 1995.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden184

a) Emphatische Vorstellungen und Ironie:Friedrich Rückert Weltpoesie (1832) und

Ludolf Wienbarg Goethe und die Weltliteratur (1835)

Rückert (1788–1866), der fränkische Dichter, Orientalist und Überset-zer, ist über die Vielfalt weltpoetischer Bestrebungen bestens infor-miert. Goethe wird ihm schon aufgrund des Westöstlichen Diwans zumVorbild der eigenen Östlichen Rosen (1819–1820). Als Übersetzer undHerausgeber arabischer Dichtung wandelt er darüber hinaus auf denSpuren Herders.46 Und am Beispiel von Rückerts Gedichten läßt sichgenau jene Dichotomie zwischen weltpoetischem Idealismus und na-tionaler (oder sogar regionaler) Bindung veranschaulichen, die Hoff-mann von Fallersleben beschreibt: In der poetisch-poetologischen Ver-herrlichung der Natur steht Rückert dem ersten schwäbischen Dichter-kleeblatt in nichts nach. Wie Kerner und Uhland verabsolutiert er dienatürliche Schöpfungsordnung. Die wahre ‚Poiesis‘ ist für ihn gleich-bedeutend mit einer ‚Autopoiesis‘ der Natur.47 Auch teilen seine Textedie märchenhaften und mythischen Züge mit der Lyrik Uhlands. Ganzaltfränkisch ruft Rückert diese allerdings nicht mit den Bildern desHelden- und Minnesangs hervor, sondern er nutzt den Meistersang alsBildsprache – wobei Rückert Goethe mit dem „Meister“ und den Spre-cher der Gedichte, der in gewisser Weise mit Rückert identisch ist, mitdem „Gesell“ verbindet.48

Regionale Bindung,49 internationale Orientierung, Epigonentumund zweiflerische Neigung: Rückert ist nur schwer einzuordnen. Ei-nerseits, so will es nämlich der Sprecher von Ausdruck der Empfindung(1833) erörtert Poesie, was das Ich wahrnimmt; sie verhilft dem in dieWelt geworfenen Individuum zur Sprache. Andererseits geht sie damitein komplexes Wechselspiel von Weltverstehen und „Weltverklärung“ein.50 Sie steht nicht einfach für etwas in der Welt oder in der Natur. Das

46 Schimmel 1967, S. 14.47 Friedrich Rückert: Naturpoesie [1848–1866], in: ders. 1898, II, S. 4: „Das Schönste

ward gedichtet / Von keines Dichters Mund, / Kein Denkmal ist errichtet, / KeinMarmor thut es kund. / Es hat sich selbst geboren, / Wie eine Blume sprießt / Undwie aus Felsenthoren / Ein Brunnquell sich ergießt.“

48 Rückert: An unsere Sprache [1810–1813], in: ders. 1898, II, S. 3 f., 6. Str.; ders.: ZumAnfang [1822], in: ders. 1898, II, S. 7–10, hier S. 7, V. 1; siehe auch Rückert: Goetheund die Dichtung [1833], in: ders. 1898, II, S. 14 f.

49 Siehe dazu Selbmann 1989.50 Rückert: Ausdruck der Empfindung [1833], in: Rückert 1898, II, S.16 f.

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1. „Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“ 185

Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Wirklichkeitswahrnehmung er-scheint als gebrochen. Schon im Jahr 1824 erklärt sich Rückerts Spre-cher zu einem „zersplitterte[n] Dichter“, der nicht mehr in einem Bildvereinigen kann, was ihn bewegt, sondern der seine Wahrnehmungenverstreut und zerstreut.51 Sie sind ihm nurmehr verlorene Gedanken-und Bilder-Splitter.

Anders als Vischer, Mörike und Strauß, die diese Verzweiflung in den1830er und 1840er Jahren mäßigen und in neuhumanistische Denkmu-ster überführen, rettet sich Rückert in eine Ironie, die sich nicht zuletztin seinem Verständnis einer Weltpoesie niederschlägt. Dementspre-chend ist der fränkische ‚poeta doctus‘ im schwäbischen Triumviratnicht übermäßig wohlgelitten: „Bei Rückert spielt ein spitzfindigerWitz unendlich widerwärtig mit der Poesie, die ihm eigen ist, und manhat dabei immer das Sauerampfergesicht vom Titel [eines Almanachs]im Auge.“52 So und anders äußert sich Mörike über den Kollegen – undreagiert damit auf das freundlich gemeinte Gesuch Vischers, Mörikesollte ihm das ein oder andere Rückert-Gedicht vorlesen. Als Professorder Ästhetik pflichtet Vischer dem Freund in Sachen Rückert schließ-lich bei:

Rückert ist wohl darüber belehrend, daß man über jenes nicht eigentlich or-ganische Verhältnis, worin Reflexion, Gemüt, Witz, Versetzungsfähigkeit inVieles, Formtrieb nicht in spezifisch poet[ischer] Einheit aufgehen, nicht zurasch weggehen soll, indem es auf diesem Gebiet vielerlei interessante indi-viduelle Mischungen gibt.53

In den 1850er Jahren steht der fränkischer Gelehrte nur noch für einePoetik der Abweichung: für die Mahnung, nicht über interessanteRandphänomene hinwegzugehen, die dem theoretisch interessiertenAuge mancherlei zu Tage fördern könnten. Wenn das Gebiet der ‚De-vianzpoetik‘ auch gerade Vischer, den Ästhetiker des Häßlichen undKomischen anzieht, dann wird diese Darstellung Rückert aber dochnicht gerecht: Sie schlägt Rückerts energische Kritik an den bekanntenidealischen und emphatischen Literatur-Vorstellungen unter Wert, diesich paradigmatisch und programmatisch in Weltpoesie (1832) zeigt.Der Text führt selbst schon ironisch vor, wie sich die Begeisterung ‚für’s

51 Rückert: An die Dichter [1824], in: ders. 1898, II, S.4.52 Mörike an Vischer, [Weilheim, Anfangs November 1833], in: Mörike u. Vischer

1926, S. 111–113, hier S. 111 f.53 Vischer an Strauß, Tübingen, 15. Juni 1850, in: D. F. Strauß u. Vischer 1952/53, II,

S. 261–263, hier S. 263.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden186

Weltpoetische‘ an sich selbst abstumpft, wenn sie sich auch noch an ih-rem großen humanistischen Vorhaben zu berauschen vermag:

Was vor Jahrtausenden gerauschtIm Wipfel ind’scher Palmen,Wie wird es heut von dir erlauschtIm Strohdach nord’scher Halmen!

Ein Palmblatt, vom Sturm verweht,Ward hergeführt von Schiffern,Und seinen heil’gen Schriftzug, seht,Ihn lernt’ ich zu entziffern.

Darein ist ganz mein Geist versenkt,Der, ohne zu beachten,Was hier die Menschen thun, nur denkt,Was dort die Menschen dachten.

Und so, wiewohl das Alte stärkt,Das Neue zu verstehen,Wird doch viel Neues unbemerktAn mir vorübergehen.

Bemerken werden die es schon,Die laut am Markte walten,Vom Volk beklatscht; ein stiller LohnIst mir doch vorbehalten.

Daß über ihrer Bildung GangDie Menschheit sich verständ’ge,Dazu wirkt jeder Urweltsklang,Den ich verdeutschend bänd’ge.54

Schon die Form fällt ins Auge. Ausgerechnet für einen Text, der mitWeltpoesie betitelt ist, wählt Rückert nicht die arabische Gedichtformder Ghasele, die er eigens in die deutsche Dichtung einführte, sonderndie Strophe der Volkslieddichtung mit ihrem schlichten Kreuzreim.Dieser Befund mutet merkwürdig an; der Inhalt des Gedichts bestätigtdiesen Eindruck: Zwar ruft der Sprecher in der ersten Strophe nochfreudig aus, daß ‚heute‘ im Norden „erlauscht“ werden könne, waseinstmals in fernen und exotischen Ländern „gerauscht“ habe, und inder zweiten spielt er auf den heiligen Gehalt dieses ‚Rauschens‘ an. Eskennzeichnet den Schriftdeuter als einen Gelehrten, der sich einem be-sonderen Text, einer unter Palmblättern verfaßten ‚Heiligen Schrift‘

54 Rückert: Weltpoesie [1832], in: ders. 1898, II, S. 13.

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widmet, ja sich in ihren Dienst stellt, indem er sie entziffert und ver-kündet. Aber in der dritten und vierten Strophe kritisiert sich der Text-exeget: Er tadelt, daß er sich bloß auf die Vergangenheit konzentriereund die Gegenwart ganz vernachlässige. Im Blick auf seine humanitä-ren Ziele erscheint ihm dieser Fehler gleichwohl als geringfügig. Er hatHöheres vor Augen – kein unmittelbar erreichbares Ziel allerdings,sondern ein langfristiges, das sich nur ironisch gebrochen darbietenläßt, und das ihm nicht viel Ruhm bescheren wird. Denn ihm geht esum die Verständigung der „Menschheit“ mit den Mitteln der Bildung,und er will mit seiner Übersetzungen dazu beitragen.

Im Bild der Mission des Textgelehrten veranschaulicht RückertsSprecher zum einen die Bedeutung des Bildungs- und Verständigungs-auftrages, zum anderen die Probleme, die dem gelehrten Übersetzeraus der Selbstbetrachtung erwachsen: Er vernachlässigt die Gegenwartzugunsten eines Werkes, von dem er überzeugt ist. Deshalb versichertsich Rückert im Munde seines Sprechers nicht nur des eigenen Unter-nehmens, sondern bietet – bei aller Emphase der ersten Strophe – auchdessen ernste und gemäßigte Absicht dar. Er läßt poetisch schildern,was ihn poetisch und poetologisch befaßt: die Arbeit am fremden Text,die übersetzerische Imitation des Fremden für den kulturellen Hori-zont des heimatlichen Publikums und die kulturpoetischen, -poetolo-gischen und -politischen Motivationen dafür. Ein derart reflektiertesNachahmen oder Übertragen muß den fremden Literaturen ihren Ei-genwert lassen, um sie in weltpoetischer Absicht einsetzen zu können.

Es wäre unangemessen, dieses reflektierte Nachahmen als epigonalabzutun. Darüber hinaus wäre es problematisch, die Emphase für einePoetik der Weltpoesie, wie sie das Rückertsche Gedicht veranschau-licht, von den ironischen und selbstbetrachtenden Abschnitten zu lö-sen, um auf ein entschlossen idealistisches Vorhaben von Weltpoesie zuschließen.55 Am Beispiel von Weltpoesie treten vielmehr jene Gegensät-ze hervor, die Hoffmann von Fallersleben aus nationaler Sicht schil-dert – und bezeichnenderweise anders beurteilt als Rückerts Sprecher.Für letzteren verbindet sich, was Hoffmann von Fallersleben auseinan-dertreibt: Nation, Region und Gegenwart müssen, so lautet die huma-nistische Prämisse von Rückerts Poetik der Weltpoesie, in der Poesiemit Fremdem, Heiligem und Vergangenem vertraut gemacht werden,um Verständnis dafür zu wecken.

55 Diese Kritik richtet sich gegen Alali-Huseinat 1993, S.45 u. 92.

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Rückert zählt also zwar zu jenen Humanisten, die Hoffmann vonFallersleben angreift. Aber Rückert hätte Hoffmann von FallerslebensAnsichten darüber teilen können, daß die Vielfalt der Kulturen und Li-teratur erhalten werden muß. Der Fall Rückert erweist sich also alskomplexer, als daß er der Anklage Hoffmann von Fallerslebens hättezum Opfer fallen können: Rückert nutzt die Ironie, um Abstand zu ge-winnen – Abstand von den allzu werthaften Forderungen nach einemweltliterarischen Humanisierungsprozeß. Dieselbe ironische Refle-xion, die die schwäbischen Kollegen so irritiert, erlaubt es ihm, dasHeimische zu betonen und die eigene ‚Mission‘ trotz allem beizubehal-ten. Er pflegt eine eigentümliche Form der ironischen und reflexivenEmphase für seine Poetik der Weltpoesie. Einerseits sichert sie ihm alsÜbersetzer Respekt, andererseits hält sie ihn davon ab, das eigene Vor-haben – wie andere Jungdeutsche – zu ideologisieren. Weltpoesie veran-schaulicht musterhaft, wie sich Selbstreflexion über Fremdreflexion ge-staltet, um sich von sich selbst ebenso wie von ‚dem Fremden‘ zu di-stanzieren.

Anders verhält es sich mit einem Poetiker, dem das Übersetzerhand-werk – mit Ausnahme einer Pindar-Übersetzung (1830) – fremd blieb,und den Vischer bezeichnenderweise nicht einmal erwähnt: weder inseinen Briefen noch in seiner Aesthetik. Gemeint ist Ludolf Wienbarg(Pseudonym Freimund L. Vineta, 1802–1872),56 Publizist, Reise-schriftsteller und Redakteur. Er studiert Theologie in Kiel, Philologiein Bonn, promoviert in Marburg über Platons Dialoge, zeigt sich alsoals hoffnungsfroher junger Gelehrter, der aber – auch – an den Wirrender 1830er und 40er Jahre zugrunde geht. Im Jahr 1830 lernt er seingroßes Vorbild Heinrich Heine kennen. Wienbarg deutet Heines For-derung nach einer „Poesie des Lebens“ zu einer vollständigen Verbin-dung von Kunst und Leben um; er will eine eigene „Wirkungsästhe-tik“57 entfalten. Mit seinen Ästhetischen Feldzügen (1834) hebt er imJahr 1834 das „Junge Deutschland“ aus der Taufe; ein Jahr später trifftauch ihn das Publikationsverbot für diese radikale (literatur-)politi-sche Bewegung.

Bei den Ästhetischen Feldzügen handelt es sich um Wienbargs KielerVorlesungen als Privatdozent. Mit prophetischem Gestus, in bildrei-cher Sprache und mit einem ausdrücklich wissenschaftlichen Anspruchauf Gesetzmäßigkeit der ästhetischen und poetologischen Aussage be-

56 Vgl. zu Wienbarg Hülsewiesche 1992.57 Albrecht 2001, S. 25 u. 27.

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treibt Wienbarg Ideologiebildung:58 Er zieht gegen das ‚alte Deutsch-land‘ zu Felde. Dabei fällt der Literatur die wichtigste Aufgabe über-haupt zu: Sie soll die fehlende politische Einheit des Landes stiften; esgeht also um eine kompensatorische Form kultureller Vergemeinschaf-tung. Seinen Begriff von dieser Literatur entwickelt der kämpferischeJungdeutsche deshalb in einem ästhetischen ‚Zweifrontenkrieg‘, näm-lich in Gegensatzpaaren: Gegen die ‚alte‘ Literatur errichtet er eine„Rhetorik der Tat“,59 die auf einem programmatischen Bruch mit derTradition aufruht. Nur der aufklärerische Teil derselben (Lessing, Her-der, Schiller, Jean Paul) soll sogleich von der neuen Literatur beerbtwerden.60 Die neue Literatur – und besonders die moderne Lyrik – giltWienbarg aber nicht nur als epigonale Umformung der aufklärerischen,sondern als revolutionäre und eigenständige Ausdrucksform: „Jedergroße Dichter, der in unserer Zeit auftritt, wird und muß den Kampfund die Zerrüttung aussprechen, worin die Zeit, worin seine eigeneBrust sich findet,“61 so lautet Wienbargs Forderung. Sie kommt jenenIdeen sehr nahe, die der junge Vischer gegenüber Uhland vertrat unddie er in seiner Novelle umsetzte.62 Vischer und Wienbarg kritisierendie „glückliche Beschränktheit“ derer, die sich dem Problem der Refle-xion verschließen, das die neue Zeit mit sich bringt,63 und beide sind derAuffassung, daß sich Dichter und Gedicht nicht trennen lassen, daß esin diesem Sinne keine autonome Dichtung gibt, sondern daß diese im-mer mit der Lebenswirklichkeit der Autoren und Leser verbundenbleibt oder besser: bleiben soll.64

Als Vorbild wählt sich Wienbarg hier weniger Heine als Goethe, undmit Goethe hält auch der Gedanke einer Weltpoesie Einzug in Wien-bargs Überlegungen: Goethe und die Weltliteratur (1835) heißt der Es-say, in dem Wienbarg den Goetheschen Gedanken jungdeutsch über-höht: Das Junge Deutschland unterwerfe sich – mit Lessing, Herder,Goethe und Schiller – einem „Gesetz“; es schwinge „sich auf den Stand-punkt der heutigen Weltliteratur“ auf.65 Dabei bewahrt sich Wienbarg

58 Wienbarg 1964, S. 84: Es geht ihm um ästhetische Urteile, die die Gesetzmäßigkeitvon Kunst und Leben abbilden und dem jeweiligen „Urtypus der Weltanschauung“entstammen.

59 Ueding 1992.60 Albrecht 2001, S. 24 f.61 Wienbarg 1964, S. 175.62 Vgl. Kapitel 1. b).63 Wienbarg 1964, S. 174.64 Ebd., S. 177.

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durchaus die Sensibilität für Goethes skeptische Äußerungen über diemißlichen Folgen der Weltliteratur: „halb behaglichen, halb besorgli-chen Blickes“ sah Goethe, so Wienbarg, ihre „Keime aufgehen.“66 Aberder Jungdeutsche streift die Skepsis des zaudernden Vorbilds als unzeit-gemäß – eben als Kennzeichen des ‚alten Deutschlands‘ – ab. Goethegilt ihm dennoch als der „geborenste Protektor der jungen Weltlitera-tur, wie Tieck ihr gemachtester Widersacher“ sei.67 656667

Weil die Weltliteratur noch längst nicht durchgesetzt ist, muß sichWienbarg mit Verheißungen begnügen, die er vor der Folie des Gegen-satzes von Goethe und Tieck entwickelt. Zu diesem Zweck ersinnt ereine utopische Morphologie. Ihr Zentrum bildet „das große Goethe-sche Samenkorn, ausgestreut in die Literaturen des neunzehnten Jahr-hunderts [...].“68 Es enthalte jenen Gedanken über die Einheit von Poe-sie und Leben – von Goethe angestoßen, aber noch unzureichend aus-geführt, weil ihm „die Muse nur als Begleiterin, nicht als Leiterin desLebens erschien.“69 Mit anderen Worten: Goethe erniedrige die Poesiezur „Trivialität“.70 Den Grund dafür sucht Wienbarg – gesellschaftskri-tisch – in äußeren Bedingungen. Seine Diagnose lautet schlicht, daß esGoethes Zeit an großen Begebenheiten, an einer Einheit der Nation, anTiefe, Stärke und Konsequenz im Gemüt gefehlt habe. Selbst ein ‚Ge-nie‘ wie Goethe habe sein ‚Poesie-Problem‘ deshalb nur in der Formvon Ersatzhandlungen lösen können:

Goethe opferte das Himmelskind [die Göttin Poesie] als Iphigenie, als Gret-chen, Klärchen, Mignon, Ottilie, ja selbst als Eleonore in ‚Tasso‘, die tieferund tragischer leidet als ihr Dichter, weil sie still leidet. In allen diesen weib-lichen Gestalten siehst du die gekreuzigte Poesie mit der Dornenkrone aufdem Haupte. Und werden deutsche Frauen darob staunen oder klagen, daßGoethe an Individuen ihres Geschlechts die Leidensgeschichte einer Gott-heit figuriert? Leidet denn nicht das deutsche Weib an unsern Erbärmlich-keiten? Habt ihr niemals die leidende Poesie am Kreuz der Ehe erblickt oderhinter den grünen Myrten ihres Brautkranzes ihre Dornenkrone nicht gese-hen? – Unbegreifliche Liebe, mystische Überwindung der Schmerzen, dieihr der feige Speer der Roheit bereitet, Aufopferung bis zum Tode, und ihrZiel, Erlösung – ohne Absehen.71

65 Ebd., S. 199.66 Ebd.67 Ebd., S. 200.68 Ebd., S. 201.69 Ebd., S. 200 [Hervorhebungen im Original].70 Ebd., S. 204.71 Ebd., S. 206.

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Wienbarg zufolge kreuzige Goethe in den Figuren leidender Frauensymbolisch die Poesie. Bei aller Originalität fehlt dieser These aber jedeEntsprechung in Goethes Texten; es handelt sich um eine ausgespro-chen allegorische Deutung derselben. Als einsichtiger erweist sich, wasder Missionar für eine jungdeutschen Ästhetik in diesem Zusammen-hang über Tieck schreibt. Dieser nämlich kehre Goethe ganz und garum. Er resigniere in Anbetracht einer kleinkrämerischen Wirklichkeitund ziehe sich ganz und gar in das luxuriöse Spiegelkabinett der Poesiezurück: „Die Poesie ist da, um sich lieben zu lassen, sie selber liebt nie-mand außer sich selbst.“72 Auch Wienbarg sprach also jene Polemik ge-gen die Romantik, gegen die „Poesie der Poesie“ Friedrich Schlegelsund Tiecks aus, wie sie von Jean Paul her bekannt ist und für Fechnerund Strauß dargestellt wurde.73 Wienbarg zufolge verhinderten dieSelbstbespiegelungen der reflexiven Universalpoetik jene neuartigeWeltpoesie, die davon frei sein soll.

Er nutzt beide historischen Bezüge, denjenigen auf Goethe und den-jenigen auf Tieck,74 in diesem Sinne für die Illustration seiner Haupt-überlegung: daß sich die Literatur der Klassik und Romantik bloß in ei-ner Art Inkubationszeit befunden habe, auf die notwendigerweise undaller Widrigkeiten des Reflexionsdenkens zum Trotz das ersehnte Zeit-alter der Weltpoesie folgen müsse. Um diese Überlegung vom Verdachtder bloßen Prophetie freizuhalten, sucht er nach Indizien für diesesneue Reich der Weltpoesie: Vorbildliches findet er in Frankreich, in denSchriften Madame de Staëls, aber auch in England, bei Byron, der damitzum genialischen Vorkämpfer liberaler Ideale wird. Schaut Wienbargaber nach Deutschland, so erscheint es ihm als museal und öde, als vielzu selbstreflexiv, als zu lebensfern und moralisch.75 Aber aus seinerSicht steht zu hoffen, das sich dies durch das Streben nach Weltpoesieändern werde. Weltpoesie als Antidoton gegen Reflexion – so lautetseine poetologische Zauberformel:

Eine gewisse Auslebung im Positiven, Historischen, bei Erweiterung des na-tionalen Gesichtskreises und Würdigung des Allgemein-Menschlichen, das

72 Ebd., S. 202.73 Vgl. Kapitel III. 2. dieser Untersuchung.74 Es verwundert, daß Wienbargs Polemik gegen Tieck im Zusammenhang mit seinen

weltpoetischen Prophetien steht, übersetzte Tieck doch den „Don Quichote“ desCervantes und zahlreiche englische Theaterstücke. Allerdings zählte Tieck auf demSchlachtfeld der Theorie in der Tat zu den Gegnern der Weltliteratur.

75 Wienbarg 1964, S. 211: „Der Deutsche schöpfte aus den heiligen Bächen aller Natio-nalpoesie mit der kristallnen Opferschale der Humanität.“

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gemeinsame Bestrebungen der Völker wünschenswert macht, das sind wohldie wesentlichen Grundzüge der modernen Völkerstimmung, aus denen dieVölkerliteratur emporblühen wird. Und darin sehe ich ihren Zusammen-hang mit der deutschen Literatur als einen nationalen Typus, der sich in ih-nen wiederholt, nach Unterschied der Zeiten und Nationen.76

Wienbarg nimmt eine „neue Völkerstimmung“ wahr, die die einzelnenVölker zu sich, zur eigenen Geschichte, vor allem aber zum „Allgemein-Menschlichen“ und damit zueinander finden lasse. Durch diesen „stetswachsenden brüderlichen Bund der Völker“ gehen auch die „Literatu-ren des Erdbodens“ die erwünschten „Wechselwirkungen“ ein, um dieersehnte Weltpoesie zu erzeugen.77 Mit dem Goethe der weltpoetischenPhase begreift Wienbarg Weltliteratur demnach als einen doppelten Pro-zeß: als ein Zusammenwachsen der Völker und Literaturen. Allerdingssteht die Literaturentwicklung dem Prozeß zwischen den Völkern nach,mehr noch: Sie ist von ihm abhängig und greift selbst nicht steuernd ein.Von der Emphase für eine anti-reflexive Weltpoesie bleibt nur die Hoff-nung auf den Vereinigungswillen der Völker übrig. Hier reflektiert bloßdie Reflexion die Reflexion, und zwar die eigene, die nationale Reflexionüber Literatur. Kritik ersetzt den Neuentwurf; Wienbargs utopischeHoffnung richtet sich im besten Falle auf die Säulenheiligen für eine li-berale Literatur: auf Heine, auf Byron und auf Madame de Staël.

Während sich Wienbarg noch auf Programmatisches konzentriert,erfährt die Rezeption des Fremden durch die Emigranten neue Impul-se, die Deutschland in den 1840er Jahren verlassen (müssen), die sichalso notwendigerweise mit dem kulturellen Leben anderer Länder be-fassen. Blickt man in die Lyrik-Anthologien, die sie zusammenstellen,dann fällt allerdings auf, daß sie der Programmatik nur wenig Raumlassen und sich auf die Wahrnehmung des Einzeltexts beschränken.Erst die Weltliteratur-Anthologien vom Typus des vielfach aufgelegtenBildersaals der Weltliteratur (1848, 21869, 31885) von Johannes Scherrbeziehen sich wieder auf die Weltpoesie-Debatte, nämlich auf Goethe78

und auf Rückert:79

76 Ebd., S. 213.77 Ebd., S. 214.78 Birgit Bödeker spricht in diesem Sinne vom „Scherr-Typus“ der Weltliteratur-An-

thologien. Es handelt sich bei Scherrs Sammlung um die erste Anthologie, die sich pro-grammatisch und praktisch auf Weltliteratur konzentriert; Eßmann 1996a, S. XIII.

79 Wenn Scherr arabische Texte in seine Anthologie aufnimmt, zitiert er übrigens nachden Rückert-Übersetzungen. Eine kritische Würdigung der ÜbersetzungsleistungRückerts legte Peter Bachmann vor; ders. 1995.

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Mag euch die schmeichelnde GewöhnungBefremden auch mit fremder Tönung,Daß ihr begreift: WeltpoesieAllein ist Weltversöhnung!80

Mit Blick auf Rückert will Scherr ein „‚Weltkonzert‘ der Poesie“ an-stimmen, „in dessen Universalsymphonie die dichterischen Stimmen-und Instrumentalklänge der verschiedenen Zeiten und Völker dereinstzusammenfließen könnten und sollten.“81 Es geht ihm darum, die „kos-mopolitische Idee“ in der Nachfolge des Idealismus und der deutschenKlassik zum Klingen bringen.82 Er legitimiert seine Anthologie aus ei-nem Besser-Verstehen des weltpoetischen Erbes. Jungdeutsche Poeti-ken der Weltpoesie wie diejenige Wienbargs kommen in Scherrs Über-legungen nicht mehr vor; poetologische Reflexionen reduziert er aufPhrasenhaftes, was sie für eine massenhafte Aufnahme geeignet werdenläßt: Scherrs gezähmtes weltpoetisches Unterfangen wird populär.Weltpoetische Liederbücher, Sammlungen von Versen, Aphorismenusw. entdecken dasselbe weltpoetische Erbe, deuten es – anders alsWienbarg – aber als Ausdruck für die Universalität des deutschen Gei-stes.83

Im mittleren 19. Jahrhunderts setzt sich der Kampf um die rechtmä-ßige Interpretation des Begriffs der Weltpoesie fort. Er wird von zweidurchaus heterogenen Parteien ausgefochten, die – mit Hoffmann vonFallersleben – entweder einem post-idealistischen und klassizistischenoder einem nationalen Lager angehören, das die Idee der Weltpoesieweitgehend ablehnt. Dabei doppelt sich das Verständnis der Weltpoesiein beiden Parteiungen: Scherr beispielsweise will seinen Bildersaal alseine „umfassende Geschichte der Poesie in Beispielen“ verstanden wis-sen,84 als eine Geschichte also, die sich aus einzelnen und aussagekräf-tigen – kanonischen – Texten zusammensetzt. Erst aus diesen Textensoll sich – mit Fechner zu sprechen – ‚von unten‘ auf einen „literatur-geschichtlichen Prozeß bei den einzelnen Völkern“ schließen lassen,

80 Rückert, zit. n. Scherr 1869, Titelblatt, unpag. [B.1].81 Scherr: Zum Eingang, in: ders. 1869, S. [5]–8, hier S. [5].82 Ziel des Buchs sei es, „nach Kräften der hochedeln, deutsch-klassischen Idee der

Weltbürgerlichkeit dienen. Es hat demnach neben seiner literarisch-lehrhaften aucheine kulturhistorische, ja geradezu sittlich-politische Tendenz.“ Ebd.

83 Daumer 1855, S. [I]. Nach Daumer geht es um ein „nationale[s], d.h. der Universa-lität des deutschen Geistes und Geschmackes entsprechendes Werk.“ Vgl. auch An-dechs 1860.

84 Scherr 1869, S. [5] [Hervorhebungen im Original].

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um die „Eigenart der einzelnen Dichter“ mit Blick auf weltpoetischeBewegungen zu deuten.85 Durch dieses doppelt angelegte Verständnisvon Weltpoesie nähert sich das idealistische Lager strukturell seinenGegnern an, schließt nunmehr aus der Empirie, aus der Erfahrung mitdem Text auf seinen Gegenstand.

Während man die Nationalisierung der „Weltpoesie“-Idee gewöhn-lich am Beginn des Wilhelmischen Zeitalters gekommen sah,86 verlegtdiese Darstellung der Weltpoesie-Bewegung ihre Nationalisierung indie Idee selbst hinein. Fremdreflexion erweist sich immer auch alsSelbstreflexion, und zwar als mehr oder minder nationale. „Weltpoe-sie“ bleibt im emphatischen Sinne Theorie – utopische Vorstellung.Erst seit den späten 1840er Jahren finden weltpoetische Bestrebungenihre ‚empirische‘ Fortsetzung in Anthologien, die sammeln, was die Li-teraturen des Erdballs zu bieten haben. In Anbetracht der Text- undGedanken-Fülle stellen sie aber bloß Kanones nationaler Literaturenzusammen. Auch ihre Reflexion über ein Gemeinsames bezieht sichdabei nurmehr auf sich selbst – auf das emphatische weltpoetische Po-stulat, eine gemeinsame Literatur zu begründen.

b) Ablehnende und gemäßigte Vorstellungen:Theodor Mundts Begriff der „Unmittelbarkeit“ (1845),

Georg Brandes’ vergleichende Literaturbetrachtung (1872) undBerthold Auerbachs vermittelnde Lösung (1881)

In der Weltpoesie suchen Autoren wie Wienbarg Lebensnähe, verbun-den mit politischen und sozialen Reflexionen. Theodor Mundt(1808–1861) setzt in diesem Sinne auf den Begriff der „Unmittelbar-keit“ und stellt heraus, was er – auch mit Blick auf Wienbarg – als Wi-derspruch begreift. Sein Mißtrauen gegenüber einer abstrakten „Welt-poesie“ rührt aus einer ästhetischen Systematik, die sich entschlossengegen Reflexionen im allgemeinen, gegen weltpoetische Reflexionen imbesonderen wendet, die die Suche nach „Unmittelbarkeit“ an die Spitzeihrer Wertordnung stellt. Während Wienbarg für eine utopische Ver-schmelzung der Poesien wirbt, äußert sich Mundt nur wenige Jahrespäter – genauer: zur Zeit seiner Ernennung zum Privadozenten für

85 Ebd.86 Schröder 1979, S. 106–131; differenzierter die Beiträge in Eßmann u. Schöning 1996.

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neuere deutsche Literaturgeschichte und Ästhetik in Berlin (1842)87 –ausgesprochen skeptisch darüber.

Der Gedanke der Weltliteratur, der besonders durch Goethe eine Zeitlangaufgekommen und mit Vorliebe gepflegt worden war, ist mehr ein schönesWort und ein großartiger Traum als ein wahrer Gedanke [...]. In unserer Zeitist es mehr die Aufgabe, das Nationalliterarische herauszufördern.88

Mundt gebraucht den gleichen Begriff wie später Hoffmann von Fal-lersleben. Weltliteratur ist danach nur ein „Traum“, ein großartigerzwar, aber dennoch nichts, was Aussicht auf Erfolg und Umsetzunghaben könnte. Diese Überzeugung läßt sich – erstens – hinsichtlich vonMundts Beschäftigung mit Literatur, zweitens aus seiner starken undmetaphysisch abgesicherten Vorstellung von „Unmittelbarkeit“ erklä-ren. In seiner Geschichte der Literatur der Gegenwart (1842) begründetMundt diese Überzeugung:

Der neue Aufschwung der englischen Literatur gegen Ende des achtzehntenJahrhunderts begann, wie in allen neueren Literaturen, mit einem Hinstre-ben auf das Romantische, und zwar hier durchaus unabhängig von dem Ein-fuss fremder Poesie, sondern unmittelbar aus selbsteigener Entwicklungheraus.89

Für Mundt bewirkt eben nicht fremder Einfluß, sondern die Eigendy-namik der Nationalliteraturen ihren jüngsten „Aufschwung“. Dieserentstamme einer Bewegung, die Jungdeutsche wie Wienbarg oderStrauß gerade nicht für besonders fortschrittlich gehalten hätten, näm-lich der Romantik. Mundts These paßt zu ihrem Publikationsort. Dennmit seiner Geschichte der Literatur der Gegenwart setzt er FriedrichSchlegels Geschichte der alten und neuen Literatur fort – im Sinne derjungdeutschen Mission. Vor diesem Hintergrund ernennt MundtSchlegel zum Ahnherren der neuen Dichtungsauffassungen.90 Mundtzufolge begründete er einen „neuen Realismus“ idealischen Ur-sprungs:91 Eine neue „Lebenspoesie“ sollte Reales und Ideales versöh-

87 Damit zählt Mundt zu den ersten Universitätsgermanisten überhaupt; Meves 1999,S. 101.

88 Mundt 1842, S. 431 f.; Koppen 1984, S. 821.89 Mundt 1842, S. 409; Koppen 1984, S. 431 f.90 Mundt 1842, S. 41 f.: „Wäre er [Friedrich Schlegel] immer in dieser freien Geistesri-

chung verharrt und vorgeschritten, so würde er die neue Wendung der deutschen Li-teratur, welche er begründen half, zu weit höherem Ziele hinausgeführt haben [...].“

91 Ebd.

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nen, „das ganze Dasein [...] durchdringen und befruchten“,92 um den„Grundkeim der modernen Völkerentwickelung“ auszubringen.93

Bezieht sich Wienbarg für seine Behauptung einer Einheit von Lite-ratur und Leben auf Heine, so greift Mundt erstaunlicherweise aufSchlegels Vorstellungen von einer universalreflexiven Poesie zurück.94

Mundt verkürzt diese aber auf eine progressive und nationale Versöh-nungspoetik, und zwar mit polemischen Ziel: Die Poesie-AuffassungSchlegels richtet er gegen die Begriffsklauberei und gegen die Wissen-schafsgläubigkeit Hegels bzw. der Hegel-Schule. Von ‚Reflexion‘ bleibtdabei nichts übrig. Mundts einseitige Darstellung darf sich deshalb Vi-schers spöttischer und wohlformulierter Polemik gewiß sein.95 Denn inseiner Aesthetik. Die Idee der Schönheit und des Kunstwerks im Lichteunserer Zeit (1845) kappt Mundt Hegels Skizze über das Problem derReflexionskunst, um – einerseits mit, andererseits gegen Hegel – für einelebensnahe Poesie ‚Schlegelscher‘ Provenienz zu argumentieren.96 Da-nach sollen Wissenschaft und Kunst ganz im Leben aufgehen, um – nacheiner ebenso prototypisch-romantischen wie utopischen Vorstellung –ein ideales „neues Hellenenthum [...] des Geistes“ hervorzubringen.97

Ein solches Hellenentum, das jeden Menschen als Künstler ernstneh-men soll,98 erblickt die beste und vitalste Literatur in der Volkspoesie.99

92 Ebd.93 Ebd., S. 41.94 Der Forschung ist der Schlegel-Bezug Mundts zwar nicht entgangen, sie wandte ihn

bisher aber ausschließlich auf seine Literaturgeschichte und nicht auf seine Ästhetikan.

95 Vischer 1922/1923, I, §69, S. 187: „Voll von Klagen über das Tötende des Begriffs istdie Ästhetik von Theodor Mundt. [...] In Wahrheit ist vielmehr nichts lebendigerund Leben bringender als der Gedanke. Je weniger er zunächst das Unmittelbareschont, je mehr er es ‚zerfrißt und verzehrt‘, um so sicherer wird er, ohne sein ab-sichtliches Zutun, nachdem er sich in das Bewußtsein der Zeit eingearbeitet hat [...].In diesem Buche, das von allen Entdeckungen der neueren Wissenschaft mit affek-tierter Phrasenfülle leicht den Schaum abschöpft, um bei der oberflächlichen Bil-dung die reine Arbeit in den Tiefen des Gedankens anzuschwärzen, herrscht dietrübste Konfusion über die Begriffe des Unmittelbaren und Vermittelten.“

96 Es verwundert deshalb nicht, daß es der Mundtschen „Aesthetik“ an „Hierarchisie-rungen von Merkmalskomplexen“ fehlt; Titzmann 1978, S. 52.

97 Mundt 1842, S. 4.98 Ebd., S. 35: „Wie ieder Mensch auch physisch eine Schönheitslinie [à la William Ho-

garth] in sich trägt, so hat er auch geistig Antheil an der Kunst, der mehr oder weni-ger in ihm erregt und zu einer wesentlichen Betheiligung ausgebildet werden kann.“

99 Ebd., S. 335: „Volkspoesie“ trage „an sich schon häufig den Keim der Opposition insich, denn des Volkes Stimme ist eben darum Gottes Stimme, weil vor der gesunden

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Sie bürgt für „Opposition“ und damit dafür, daß „Unmittelbarkeit“, d.i.das Ideal der Schönheit,100 als utopisches Potential freigesetzt werde.101

Eine solche Poesie-Vorstellung erkennt der Weltpoesie keinen Platz zu,sondern befürwortet allein die ‚unmittelbare Unmittelbarkeit‘ der eige-nen Nationalliteratur, genauer: der Volkspoesie. Alles andere hemmteden schönen Ausdruck des Ideals der Unmittelbarkeit.

Im Falle Mundts führt ein verkürztes Romantik-Verständnis zu dennationalen Ideen des 19. Jahrhunderts. Zum Vergleich dient mir – er-stens – das Ideal naiven Dichtens, das Uhland und Vischer formulier-ten. Mundts Begriff der „Unmittelbarkeit“ teilt mit diesem nach-hegel-schem Ideal immerhin die Zielrichtung: Reflexion und Reflexivitätsollen verringert werden. Wenn Uhland und Vischer den Ort ‚wahrerNaivität‘ aber – mit Hegel – in der Vergangenheit oder in den Empfin-dungen des ‚ganzen Menschen‘ vermuten, dann verlegt ihn Mundt – mitSchlegel – in die Zukunft. Mundt glaubt an ein Hellenentum, das aus ei-ner solchen „Unmittelbarkeit“ entstehen wird. Uhland und Vischerhingegen versuchen, reflexiv zu retten oder wiederzubeleben, was derVergangenheit angehört. Mundt verkündet ein kommendes Ideal; Uh-land und Vischer trauern um ein verlorenes. Doch auch mit Schlegelteilt Mundts – zweitens – nicht mehr als die Ausrichtung auf Zukünfti-ges: Schlegel nimmt die eigenen Forderungen ironisch und selbstrefle-xiv zurück; Mundt meint es mit dem ‚kommenden Reich‘ – wie Wien-barg – ernst. Anders als Wienbarg richtet er sein utopisches Vorhabenaber gegen die „Weltliteratur“.

Mit Mundts Aesthetik beginnt eine Entwicklung, die sich – von we-nigen Ausnahmen abgesehen – auf die Nation als Zentrum von Litera-tur konzentriert und ihren Ausdruck in Hoffmann von Fallerslebens

und durchdringenden Anschauung des Volkes, in der das Recht und die Freiheitschon wie ein Naturinstinct leben, keine Schlechtigkeit bestehen kann.“

100 Mundt versteht das Schöne als den „Idealismus der Unmittelbarkeit“ (ebd., S.57) undfaßt Unmittelbarkeit deshalb als „Ideal“ der Schönheit auf (ebd., S. 75 f.). Sie über-windet dieses Ideal, indem sie es in Form und Farbe darbietet, indem sie materiellerAusdruck ihres Ideals wird. – Neben dem Begriff des Ideals gebraucht Wienbarg auchden quasi-hellenistischen der „Gottheit“: „[...] die Unmittelbarkeit ist in der That dieGottheit selbst [...]“ (ebd., S. 64). Schönes sei insofern göttlich; ebd., S. 73.

101 Deshalb sei es die Aufgabe der Ästhetik, das „Bild einer höhere[n] Wirklichkeit“ zuentfalten, das „dieser endlichen schlechten Wirklichkeit mahnend gegenübersteht“und der „immanente[n] Weltsicht“ Bilder einer besseren Wirklichkeit vorführt. –Unter „immanente[r] Weltsicht“ versteht Mundt Weltzugewandtheit. Er setzte denBegriff polemisch gegen diejenige Weltsicht ab, die er als christlich und bloß demJenseits zugewandt beschreibt; ebd.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden198

Gedicht findet. Hier schränken Jungdeutsche und Sympathisanten derWeltpoesie Welt auf die eigene Nation ein. Wenige Literaturhistorikerlassen dabei so viel Umsicht walten wie Georg Brandes, der liberale dä-nische Nietzsche-Übersetzer. Er plädiert nicht länger für eine idealisti-sche Weltpoesie, sondern für eine literaturwissenschaftliche Methode,für den Literaturvergleich. In vier Bänden über Die Hauptströmungender Literatur des neunzehnten Jahrhunderts (dt. 1872) führt er vor, waser damit meint. Bei den Hauptströmungen handelt es sich um Vorlesun-gen an der Kopenhagener Universität, die Brandes’ ‚Mitbewohner‘, derradikal-liberale Dichter, Biograph Heines, Redakteur, Übersetzer undAnthologist Adolf Strodtmann (1829–1879),102 ins Deutsche übertrug.Wie Mundt in seiner Geschichte der Literatur der Gegenwart hat Bran-des einen literarischen Wandel vor Augen, nämlich die Ablösung vonden Normpoetiken und den normierten Literaturen des 18. Jahrhun-derts. Wie Mundt ist er der – historisch fragwürdigen – Auffassung,daß diese erst durch die romantischen Bewegungen des frühen 19. Jahr-hunderts bewerkstelligt werde.103 Aber er versteht und erklärt dieseAblösung anders als der deutsche Kollege:

Dies historische Ereignis [die Ablösung von der Normpoetik] ist seinemWesen nach europäisch und läßt sich nur mittels einer vergleichenden Lite-raturbetrachtung verstehen. Eine solche will ich daher versuchen, indem ichmich bestrebe, gleichzeitig gewisse Hauptbewegungen in der deutschen,französischen und englischen Literatur zu verfolgen, welche in diesem Zeit-raum die wichtigsten sind.

Die vergleichende Literaturbetrachtung hat die doppelte Eigenschaft, unsdas Fremde solchergestalt zu nähern, daß wir es uns aneignen können, unduns von dem Eigenen solchergestalt zu entfernen, daß wir es zu überschauenvermögen.104

Im Unterschied zu Mundt faßt Brandes den literarischen Epochenwan-del als ein europäisches Ereignis auf, das sich im Muster des Literatur-vergleichs erklären lassen soll. Dabei will Brandes aber weniger denwechselseitigen Einflüssen unter den Nationalliteraturen nachspürenals Parallelen zwischen den Nationalliteraturen ermitteln.105

102 Zu Strodtmann Hulpke 1994; über Brandes vgl. auch Schröder 1979, S.141 f.103 Für die deutsche Lyrik-Geschichte ist es Konsens, daß die Normpoetik der Früh-

neuzeit bereits von Bodmer und Breitinger angegriffen, durch den Sturm und Drang(und seinen ‚Vorläufer‘ Klopstock) aber endgültig abgelöst wird; siehe nur Kaiser1996, I; Kemper 1987ff., IX–XI.

104 Brandes 1872, I, S. 1. – Dieser erste Band ist übrigens Paul Heyse gewidmet.105 Ebd., S. 28.

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1. „Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“ 199

Eine dieser Parallelen findet Brandes im poetologischen Gedicht; ge-rade an ihm liest er ab, wie sich das 19. vom 18. Jahrhundert abgrenzt.Seine Helden heißen John Keats und Victor Hugo. Beide, so seine These,verabschiedeten sich entschlossen vom „Autoritätsprincip“ des 18. Jahr-hunderts:106 Am Beginn des 19. Jahrhunderts setze die poetologische Ly-rik Mitteleuropas plötzlich authentische Reflexion über Poesie frei undbeende die mißliebige Normpoetik. Über dieses ‚eruptive‘ Modell fürLiteraturgeschichte hinaus, das Brandes mit poetologischer Lyrik ver-bindet, interessieren seine Hauptströmungen als Fälle für eine verglei-chende Literaturreflexion, die sich aus einer liberalen Rezeption des„Weltliteratur“-Postulats entwickelt. Dabei befindet sich Brandes in be-ster deutscher Gesellschaft, nämlich in derjenigen der ‚Komparatisten‘des Wilhelmischen Zeitalters (Hugo Meltzl von Lomnitz, Max Koch,Wilhelm Wetz, Louis-Paul Betz),107 in derjenigen seines ‚Mitbewohners‘Strodtmann, der sich der Literaturen Europas und Amerikas als Über-setzer annimmt, und in derjenigen des Magazins für die Literatur desAuslandes (1832–1915),108 das seit seiner Begründung als die wesentlichedeutsche Gazette für die Literaturen anderer Weltgegenden gilt.

Im Jahr 1881 feiert das Magazin sein 50jähriges Jubiläum, und zwarmit einem mahnenden Artikel von Berthold Auerbach. Sein Titel ist„Weltliteratur und Humanität“. Er schließt an die Prinzipien des Ma-gazins an: daß das Magazin – erstens – keiner Partei diene und daßes – zweitens – nur zu dem Zweck gegründet worden sei, „alle bedeu-tenden Erscheinungen und Strömungen aller Literaturen mit Verständ-nis“ zu verfolgen.109 Auerbach erinnert an die programmatischen Wur-zeln des Periodicums: an „Humanität“ und „Weltliteratur“. Er bemühtsich, diese der literarischen Gegenwart anzupassen. „Humanität“ führter auf Lessing und Herder, „Weltliteratur“ auf Goethe zurück, um eineerschreckende Bilanz zu ziehen: Von Humanität sei heute keine Spurmehr; „die sogenannten Starkgeister“ hätten die Humanität als senti-mentale, süßliche und weichliche Vorstellung in Verruf gebracht.110 Er

106 Ebd.107 Siehe Schröder 1979; Dainat 1995.108 Über das „Magazin“ siehe aber auch schon die Kurzcharakteristik in Schlawe 1965,

Teil I, S. 22–24; für die britische Literatur stammt eine erste gründliche Arbeit dazuvon Schmid (2000).

109 Die Redaktion des „Magazin“: Das Magazin, in: Magazin 99 (1881), S. 1.110 Berthold Auerbach: Zum fünfzigjährigen Jubiläum des „Magazin“. Weltliteratur

und Humanität [1880], in: Magazin 99 (1881), S. 1 f., hier S. 1; Schröder weist bereitsauf den Auerbach-Beitrag hin; dies. 1979, S. 112.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden200

meint damit – wissenschaftlich – die materialistische Philosophie undEvolutionstheorie sowie – politisch – die „Machtfrage“ bzw. die „Real-politik“ Bismarcks, kurz: das Wiedererstarken der „alte[] Napoleoni-schen Verachtung der Ideologie“.111 Demgegenüber erscheint „Huma-nität“ Auerbach nach wie vor als „positive“ und „produktive Kraft“,als „Grundstoff[]“ menschlichen Zusammenlebens.112 Er faßt sie als„Fähigkeit“ auf, „sich in andere Daseinsbedingungen“ hineinzuverset-zen; „Weltliteratur“ sei ihre Ausdrucksform:

Wenn man das Wort Weltliteratur wieder flüssig macht, so heisst es: in allenfreien Gebilden durch das Wort kommt das allgemein Menschliche, das Hu-mane zum Ausdruck. Die national und geschichtlich bedingte Erschei-nungsform ist notwendig, aber wie an einem gemalten Bilde in jeder Gewan-dung die Grundformen des menschlichen Körpers, so erscheinen in jedemdurch das Wort sich darstellenden Werke die Grundlinien der allgemeinenhumanen Psyche.113

In der Weltliteratur drückt sich das Allgemeinmenschliche aus, undzwar umso besser und deutlicher, je freier ihre Bestandteile sind. Jemehr „Mannigfaltigkeit der Geisteserscheinung“, desto schöner der„Zusammenklang der verschiedenen Töne zur Weltharmonie“.114

Auerbach führt damit einen sehr komplexen Begriff von Weltliteraturein, der sich an ganz verschiedene Parteiungen der Weltliteratur-Debat-te im 19. Jahrhundert anlehnt: Das Bild vom „Zusammenklang“ der„Töne“ erinnert an Scherrs ‚Universalsymphonie‘. Demengegenüberist die Betonung des Nationalen der zeitgenössischen Gegenwart der1870er und 1880er Jahre geschuldet. Hier verträgt sich Auerbach mitHoffmann von Fallersleben: Beide plädieren für eine Vielfalt der Lite-raturen – mit dem Unterschied, daß Auerbach nach einem Gemeinsa-men in dieser Vielfalt sucht und daß Hoffmann von Fallersleben denSinn dieser Suche bestreitet.

Auerbach entwickelt einen ebenso realistischen wie neuhumanisti-schen Begriff von Weltliteratur, der ganz wesentlich auf das Beispiel je-ner Zeitschrift blickt, für die er schreibt: Das Magazin befördert Viel-falt und bemüht sich um das Fremde, um – so zumindest die Program-matik – nach dessen allgemeinen, nämlich humanen Eigenschaften zufahnden. Hier setzt Auerbachs Begriff der Weltliteratur an. Weltlitera-

111 Auerbach: Zum fünfzigjährigen Jubiläum (wie Anm.IV., 110), S. 2.112 Ebd.113 Ebd.114 Ebd.

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1. „Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“ 201

tur klingt danach aber bereits aus jedem Wort, weil der literarischeAusdruck an und für sich bereits human ist. Der Rest, das Nationaleund historisch Besondere, ist Form. Mit dieser Überlegung kommtAuerbach Herders utopischem Literaturbegriff sehr nahe. Auch er gingvon einem abstrakten Kontinuum der Humanität aus, das sich bloß sei-ne jeweils besonderen Ausdrucksformen sucht. Der Poetiker der Welt-poesie muß im Prinzip nicht mehr reflektieren: Im Abstrakt-Humanenfindet er immer schon vor, was er sucht.

Bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts entfalten sich die Poetikender Weltpoesie zwischen geschichtsphilosophischem Entwurf, utopi-scher Prophetie, ironischer Zurückhaltung, vergleichendem Vorhaben,Ablehnung und Rettungsversuch. Dabei treffen sich die beiden großenPositionen, das Verständnis von Weltliteratur als Prozeß und der Blickauf die nationalen Literaturkanones, in mehreren Hinsichten: Sie gehenvon der Kritik an der reflexiven Universalpoetik Schlegels (und Tiecks)aus und wollen sich selbst in einem Fremden ‚erschauen‘, das ihnen un-bekannt ist. Ihr Ausgangspunkt ist im Prinzip national; sie blicken aufdie Poesien des Volks bzw. der Völker und deuten Literaturgeschich-te(n) tendenziös. Das gilt selbst für einen verhältnismäßig nüchternenKomparatisten wie Brandes: Er unterlegt der poetologischen Lyrik desbeginnenden 19. Jahrhunderts eine kulturpolitische Bedeutung vonenormer Tragweite. Im Ergebnis scheint es, als sei sie für große Umwäl-zung in der Poetik, im Literaturbetrieb und in den Literaturen der (mit-teleuropäischen) Welt verantwortlich.

Blickt man aber von der weltliterarischen Programmatik auf diePraktiken der wechselseitigen literarischen Rezeption, dann bleibt voneinem abstrakten und immer schon vorausgesetzten Humanitäts-Ver-ständnis ebensowenig übrig wie von utopischen weltpoetischen Vor-stellungen. Scherrs phrasenhafte Einleitung für seinen Bildersaal istsymptomatisch dafür: Man bemüht sich, die weltliterarische Vielfaltunter einem weitgespannten poetologischen Dach zu versammeln, dassich unabhängig von der Arbeit an den Einzeltexten nurmehr selbst tra-gen muß. Eröffnet die Debatte über die Poetik der Weltpoesie auch nurin geringem Maße Verständnis für fremde Texte und Kulturen, so stelltsie die wechselseitige Literatur-Rezeption doch immerhin auf einebreite Text-Basis.

Der Blick auf die Rezeptionen poetologischer Lyrik erlaubt es, genaudort anzusetzen. Hier verständigen sich fremde Poesien über einander,und diese Verständigung beginnt bereits mit der Wahl von Wort, Versund Strophe. Dabei geht es weniger darum, eine gemeinsame utopische

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden202

Weltpoesie im Sinne von Wienbarg zu gestalten. Vielmehr fragt sich,wie sich eine Literatur überhaupt in die andere übersetzen läßt undwelche Texte es lohnten, den Versuch einer Übertragung zu wagen.

2. Britische und deutsche Lyrik:Metaphysik-Kritik, unpolitische Rezeption und

Trivialisierung der Übersetzungspoetik

Das Wissen über diese Rezeptionen ‚ausländischer‘ Lyrik ist zwar nichtverlorengegangen, aber es ist schwer erschließbar, gehört es doch weni-ger zum ‚Höhenkamm‘ von Lyrik-, Poetik- oder Ästhetik-Geschichte,sondern zu dem, was man gemeinhin als ‚Trivialkultur‘ bezeichnet. Esumfaßt notwendigerweise eine Fülle von Materialien: Rezensionen,Übersetzungen, Nachdichtungen usw. Diese Umstände werden, sofernder wechselseitige Austausch von britischer und deutscher Lyrik be-troffen ist, zwar spätestens seit Lawrence Marsden Prices Standard-werk English Literature in Germany (1953) mitbedacht,115 aber es fehltnoch immer am Grundsätzlichen, an verläßlichen bibliographischenHilfen: sowohl für deutsche Rezeptionen von britischer Lyrik als auchfür den umgekehrten Fall,116 für britische Übertragungen deutscherDichtungen.117 Gleichwohl kommt seit einigen Jahren Bewegung in dieRezeptionsforschung, die sich mit Lyrik und Poetik befaßt.118 Es liegtan der Vielschichtigkeit ihrer Gegenstände, daß vorerst Einzel- undDetailstudien das Feld beherrschen:119 einerseits – unterstützt durch

115 Für die deutsche Rezeption englischer Literatur knüpft Horst Oppel (1971) daranan, für die englische Wahrnehmung deutscher Literatur siehe Stokoe 1971.

116 Vgl. die knappe Auswahl von France 2000.117 Eine derartige Bibliographie liegt nicht vor. Auf diesem Gebiet besteht auch insge-

samt erheblicher Forschungsbedarf.118 Siehe Bachleitner 2000; Esterhammer 2002. Um erste Anfänge bemühte sich auch

das Projekt „The Reception of British Authors in Europe“, das von Elinor Shafferverantwortet wird und an der School of Advanced Study (University of London) an-gesiedelt ist. – Allein durch die Serie „The Critical Heritage“ (Routledge & KeganPaul), die Rezensionen usw. verzeichnet, kennt Großbritannien eine instituionali-sierte Rezeptionsforschung. Für bestimmte Autoren, beispielsweise für Keats, emp-fehlen sich heute eine Fülle von Studien über die britische Rezeption; vgl. nur dieUntersuchungen von Levinson 1991; Codell 1995; Simonis 1995; Montluzin 1998;Robinson 1998; Bennett 1999.

119 Einen Überblick gibt Esterhammer 2002. Den stark spezialisierten komparatisti-schen Studien wird einmal mehr zum Problem, was Heinz Schlaffer für die deutsche

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2. Britische und deutsche Lyrik 203

den gegenwärtigen Tagungsbetrieb – heterogene, hochspezialisierteund kurze Übersichten in den Formen von Aufsatz und Sammelband,andererseits gründliche Studien am Material (wie etwa an demjenigender Übersetzungsanthologien für lyrische Texte), das der einzelne For-scher kaum zu bewältigen im Stande wäre.120 Folgende Darstellungenkönnen sich vor allem auf die Untersuchungen über diese Anthologienstützen.

Sie verlassen sich darüber hinaus auch auf eine ‚communis opinio‘der Forschung: auf das Ergebnis quantitativer Studien, daß deutscheLiteratur in England vor allem im Ausgang des 18. Jahrhunderts wahr-genommen wurde,121 und auf die gut begründete Vermutung, daß diesvor allem mit den Aktivitäten der Weimarer Autoren um Goethe zu-sammenhing.122 Darüber hinaus war für britische Studenten und Ge-lehrte auch die Gründung der Humboldt-Universität interessant; siewirkte auf die Institutionalisierung von Bildung in Großbritannien –beispielsweise auf die Gründung der ersten nicht-anglikanischen Uni-versität, des University College London (1828).123 Es wurde besondersfür den wechselseitigen Literatur-Austausch bedeutsam, weil zahlrei-che deutsche (also nicht-anglikanische) Emigranten, politische Flücht-linge und Touristen dort Tätigkeitsfelder finden konnten. Beispielswei-se wurde Friedrich Schleiermachers Schwiegersohn Ludwig von Müh-lenfels bereits im Jahr 1828 zum ersten Professor für Deutsch am

Literaturwissenschaft feststellt; Schlaffer 2002, S.13: „Seit den sechziger Jahren sind,bedingt durch die Spezialisierung auf immer kleinere Teilbereiche, Literaturge-schichten nichts anderes als mehr oder weniger heterogene Zusammenstellungenvon Beiträgen mehrerer Spezialisten [...].“

120 Hier führt das Projekt „Übersetzungsanthologien“ (initiiert und geleitet von ArminPaul Frank) im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförder-ten Sonderforschungsbereichs 309 „Die literarische Übersetzung“ (Georg August-Universität Göttingen) die Forschung an; vgl. Eßmann u. Frank 1990; Kittel 1995;Eßmann u. Schöning 1996.

121 Stokoe 1971, S. 45. – Die größte Zahl der Rezeptionsdokumente und den regstenAustausch stellt Stokoe für das Jahr 1799 fest.

122 Der Anwalt Henri Mackenzie leitete im Jahr 1788 mit einer Vorlesung über das deut-sche Drama die Rezeption der Weimarer Klassik in England ein. Zu den Pionierender Rezeption deutscher Literatur und Kultur gehören außerdem Thomas Carlyle,der von Bouterwek beeinflußte (nach Carlyle hinter der Zeit zurückgebliebene)Journalist William Taylor (*1765) und Henry Crabb Robinson (1775–1867), einFreund Goethes, der versuchte, dem englischen Publikum zu erklären, daß Kotze-bue, Iffland und Lafontaine nicht die Klassiker Deutschlands sind; siehe Norman1930, S. 11 u. 25.

123 Vgl. Harte u. North 1978, S. 67; Flood 1996, S. 385.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden204

„UCL“ ernannt. Das King’s College zog alsbald nach und berief denjüdischen Philologen Adolphus Bernays († 1864)124 im Jahr 1831 zumProfessor für deutsche Sprache und Literatur.125 Er trat mit The Ger-man Poetical Anthology (Privatdruck 1829, 1830, 21831, 31837) hervor,die zum Standardwerk britischer Rezeption deutscher Lyrik wurde.126

Im Jahr 1863 folgte ihm der Radikal-Liberale Karl Adolph Buchheim(Pseudonym Adolf Banner, *1822) im Amt.127 Er gab wiederum eineAnthologie heraus, nämlich Deutsche Lyrik. Selected and Arranged(1875).128 Seit 1853 las auch der politische Flüchtling Gottfried Kinkel(1815–1882) am University College. Kinkel, der ehemalige akademi-sche Lehrer Strodtmanns, ein Gegner von Marx und Engels, wurde alsLyriker bekannt.129

Während Lyrik-Produktion, Lyrik-Übersetzung und Lyrik-Antho-logien Hochkonjunktur hatten und die poetologische Diskussion be-stimmten, tat man sich mit der wechselseitigen Rezeption von Poetikund Ästhetik schwer: Nationale Stereotype erschwerten die Wahrneh-mung der fremden Poetiken. Es erweist sich in diesem Zusammenhangschon als ein Gemeinplatz, daß die Rezeption des deutschen Idealismusin Großbritannien nur sehr schleppend von statten ging.130 In der Me-taphysik sehen die Kritiker dabei – blickt man in Rezensionen von TheWestminster Review (1846–1851, 1852–1887, 1887–1914)131 über dieWerke August Wilhelm Schlegels,132 Hegels,133 Rötschels, Solgers und

124 Dazu Flood 1999.125 Flood 1999, S. 105: „That he was appointed to this staunchly Anglican foundation

must be a measure of the sincerity of his conversion to Christianity (though some al-lowances may have been made for foreign members of staff).“

126 Ihre Gewichtung erweist sich als relativ heterogen: Je vier Gedichte von Körner undHerder bilden die Spitze; ihnen folgen je drei Platen- und Novalis-Texte.

127 Siehe Glass 1996.128 Ihr Hauptgewicht liegt auf Schiller (16 Gedichte), Lenau (15 Gedichte), Uhland und

Geibel (je 13 Gedichte); Buchheim 1875.129 Über Kinkel in London siehe Ashton 1996.130 Siehe Snell 1995, S. 19; kritisch dazu W. D. Shaw 1996. Wenn es Varianten des Idea-

lismus auch in England gab, dann verstanden sie sich als Alternativen zum utilitari-stischen Denken der Epoche; siehe Boucher u. Vincent 2001.

131 Sullivan (1984, S. 424–437, hier S. 427) notiert etwas überspitzt über das Journal, essei „an organ of enlightened radical thought.“

132 [Rez.] August Wilhelm Schlegel: (1) Essays Littéraires et Historiques. Bonn 1842,(2) Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur. 1809–1811, (3) A Course ofLectures on Dramatic Art and Literature. Translated from the German by JohnBlack. 21840, in: The Foreign Quarterly 32 (1843/44), Art. 8, S. 160–181, hier S. 163.Schlegels Philosophie gilt als ein „modern criticism, which styles itself philosophic“.

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2. Britische und deutsche Lyrik 205

Fichtes – schon das Kennzeichen eines deutschen Nationalcharak-ters.134 Erst Schriftsteller wie Samuel Taylor Coleridge und GeorgeEliot näherten sich dem deutschen Idealismus in konstruktiver Ab-sicht.135 Umgekehrtes galt für die deutsche Rezeption: Hier tadeltenRezensenten – nicht minder stereotyp – die britische Neigung zur Em-pirie und zum ‚common sense‘.136 Fand man auf den Gebieten der Poe-tik und Ästhetik schon deshalb nur schwer und in Einzelfällen zuein-ander, so war Annäherung mit den Mitteln der Lyrik selbst möglich.Eine besondere Rolle spielte in diesem Zusammenhang die poetologi-sche Lyrik. Unbelastet von metaphysischen Vorlieben erlaubte sie es,sich über die Grundlagen von Dichten und Dichtung zu verständigen.Anschaulich, individuell und allgemein verständlich läßt sich hier erör-tern, was den Dichter beim Dichten bewegt (Abschnitt a). Dieses enor-me Innovations- und Kommunikationspotential, das poetologischeLyrik gerade für die internationale Verständigung über Literatur auf-weist, hat die Forschung bislang übersehen.

Schon in den 1830er und 1840er Jahren vermittelt vor allem Ferdi-nand Freiligrath (1810–1876)137 poetologische Lyrik, die sowohl in

Ebd., S. 181 [Hervorhebungen im Original]: „We felt it our duty to protest againsthis being regarded as an authority; and especially to protest against the pseudo-phi-losophical method, which we have throughout followed his disciples in calling ‚syn-thetical‘. The candid reader will not misunderstand our preference of the science overthe metaphysics of criticism.“

133 „Iconoclasm in German Philosophie“, in: The Westminster Review 59/3 (1853),Art. 3, S. 388–407, hier S. 391: „Let any impartial Englishman who has gone throughan ordinary course of logic, who has studied mathematics to a degree sufficient tomake him understand the method of demonstration – who has read the metaphysi-cians of his own country, and we will even add the leading works of ImmanualKant – let this Englishman, we say, take any one of Hegel’s so-called scientific works,and honestly ask himself, whether this is the style in which a work intended to con-vey instruction ought to be written.“

134 Der deutsche Nationalcharakter gilt als „reflective“; The Foreign Quarterly 32(1843/44), Art. 8 (wie Anm. IV., 132), S. 166.

135 George Eliot [d. i. Mary Anne Evans] übersetzte Straußens „Leben Jesu“/„The Lifeof Jesus“ (London 1846) nach der vierten deutschen Edition und Feuerbachs „Wesendes Christentums“/„Essence of Christianity“ (1854).

136 England. Das neue Journal: The Mind, in: Magazin 90 (1876), S. 522 f., hier S. 522;England. Einige Bemerkungen über den englischen common sense, in: Magazin 95(1879), S, 283–287.

137 Über Freiligath infomiert die biographische Darstellung Buchners (1882) noch im-mer am besten. – Um die Freiligrath-Forschung ist heute schlecht bestellt: Sie fandwesentlich im 19. oder beginnenden 20. Jahrhundert statt, und zwar vor allem alsÜbersetzungsforschung. Zu den Ausnahmen zählt Ernst Fleischak (1999).

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden206

Großbritannien als auch in Deutschland jenseits nationaler Stereotypeals akzeptabel gilt:138 The Foreign Quarterly Review (1827–1846) er-nennt den liberalen Dichter-Anthologisten zum vorbildlichen deut-schen Poeten; das Journal verteidigt ihn sogar gegen eine kritische Re-zension durch die Revue des deux mondes.139 Es verwundert deshalbnicht, daß sich bald Übersetzer für Freiligraths Gedichte finden.140 InDeutschland wird – vice versa – bekannt, was Freiligrath in seinen An-thologien importiert: die Lyrik Alfred Lord Tennysons beispielsweise(Abschnitt b).141

138 Darüber hinaus spielten Lyrik-Vertonungen eine große Rolle; Chamisso, WilhelmMüller, Hoffmann v. Fallersleben, Eichendorff und Geibel wurden in Großbritan-nien durch Schubert, Mendelssohn und Schumann bekannt. [Eduard Engel:]Deutschland und das Ausland. Der Einfluss deutschen Schriftenthums auf England,in: Magazin 97 (1879), S. 601–621, hier S. 605.

139 [Rez.] (1) Gedichte v. Ferdinand Freiligrath. 6. Aufl. Stuttgart u. Tübingen 1843,(2) Ein Glaubensbekenntnis. Zeitgedichte. Mayence 1844, in: The Foreign Quarter-ly 34 (1844/45), Art. 5, S. 352–369, hier S. 354. Ob Freiligrath nicht ein undeutscherPoet sei, fragt M. Saint-René Taillandier in der „Revue“ (4, S. 460). Die Antwort des„Foreign Quarterly“ lautet; ebd., S.360: „A man ought not to be robbed of his rightsof literary cititzenship because he sets his countrymen the first good example of de-parture from inveterate bad practices. We heartily wish that Germany had manyFreiligraths: a little less of metaphysics, and a little more consideration given to therealities of God’s breathing world, would tend vastly to exalt the wisdom, welfare,and dignity of the Teutonic nations. We think the Germans might reach this desirableconsummation without un-Germanising themselves: but perhaps the French critic isof the opinion that the character of Martin Luther’s mind was ‚assez peu Alle-mand.‘“

140 Vgl. Freiligrath-Kroeker 1871.141 Für die deutschen Leser schreibt und übersetzt ‚der ausgewanderte Dichter‘, der in

einem gleichnamigen Gedicht die negativen Seiten dieser Dichterrolle erörtert: DerSprecher stellt sich als unbehaust, als in der Fremde vereinsamt dar. Er berichtet voneiner Jagd in der Wildnis (der neuen Lebenssphären) und davon, daß er einsam ein„deutsches Lied“ (von Uhland, Kerner, Körner, Schwab, Arndt und Schenkendorf)sang, „wo es noch nie erklang.“ Freiligrath 1843, S.282–297, hier S.285. Einsamkeits-topoi und ein Lob der Heimatdichtung ex negativo – das charakterisiert ‚den ausge-wanderten Dichter‘. Freiligrath zeichnet ein düsteres Bild einer sozialen Gruppe vorallem der 1840er Jahre, der er selbst aus freien Stücken angehört. Es ist deshalb keinZufall, daß man den ‚ausgewanderten Dichter‘ immer wieder mit Freiligrath selbstidentifizierte. Doch verblüfft das Bild, das der ‚ausgewanderte Dichter‘ vom Dichterzeichnet, bedenkt man die umfangreichen Übersetzungsarbeiten, die Arbeiten ‚amFremden‘, denen sich Freiligrath widmete. Umso mehr erstaunt es, zieht man die be-geisterte Freiligrath-Rezeption in England in Betracht. Aber Freiligrath beschreibtim lyrischen Text bloß idealtypisch, wie ‚der Dichter‘ in der Fremde empfindet,wenn ihm die eigene Sprache und die vertraute Umgebung abhanden kommen. „Derausgewanderte Dichter“ ergänzt in diesem Fall nicht einfach als poetologische

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2. Britische und deutsche Lyrik 207

a) Ferdinand Freiligrath The Rose, Thistle and Shamrock (1853):poetologische Lyrik in der erfolgreichsten Anthologie

für die deutsche Rezeption britischer Dichtungim 19. Jahrhundert

Im Blick auf die Quellen für die Lyrik-Geschichte nehmen Überset-zungsanthologien (bilinguale oder „multiliterale Anthologien“)142 ei-nen besonderen Platz ein.143 Anders als periodische Schriften konzen-trieren sie sich nicht in erster Linie auf die lyrische Tagesproduktion;vielmehr versammeln sie repräsentative Gedichte – genauer: solche Ge-dichte, die sich unter einem bestimmten Aspekt als bedeutsam erweisenlassen, und die dem Leser einen Eindruck der ‚fremdländischen‘ Dich-tung vermitteln sollen. Hier sind deutsche Übersetzungsanthologienvon Interesse, sofern sie englische oder französische Lyrik enthalten.Für die Zeit von etwa 1800 bis – im weiteren Sinne – um 1900 fallenmindestens 67 Anthologien unter dieses Kriterium.144 Sie enthalten ca.4,19 % poetologischer Lyrik. Bereits dieses quantitative Datum zeigt,daß das Vorkommen poetologischer Lyrik nicht mit dem Vorkommenvon Liebeslyrik, politischer Lyrik oder Naturlyrik konkurrieren kann.Wie den deutschsprachigen Anthologien deutscher Lyrik gilt poetolo-

Selbstreflexion, was Freiligrath in seiner Übersetzungspraxis betreibt, sondern stelltdie dunklen Seiten der Existenz im Ausland musterhaft dar.

142 Den Terminus „multiliterale Anthologie“ entlehne ich dem Projekt „Übersetzungs-anthologien – Teil I: Die Etablierung von Weltliteratur: ein Paradigma deutscherÜbersetzungskultur“, das im Rahmen des SFB „Die literarische Übersetzung“ statt-fand; Eßmann 1996a, S. XII. Er wird dort für solche Anthologien verwendet, in de-nen drei oder mehr übersetzte Literaturen vorkommen. Ich nenne allerdings auchsolche Anthologien multiliteral, in denen nur zwei Sprachen (die Sprache des Origi-nals und die Zielsprache der Übersetzung) vertreten sind.

143 Eßmann u. Frank 1990; Kittel 1995; Eßmann u. Schöning 1996; Korte, Schneider u.Lethbridge 2000.

144 Ausgewertet wurden: Andechs 1860; Anon. 1857; Arnold 1899; Beaulieu-Marcon-nay 1881; Bethge 1907; Binhack 1882; Breuer 1819–20; Büchner 1865; Crespigny1844; Däubler 1917; Elze 1854 u. 1860; Fiedler 1911; Freiligrath 1853; G. Freiligrathca. 1898; Freiligrath-Kroeker 1871; Geibel u. Leuthold 1862; Gundlach 1904; Harrys1857; Hart 1882 u. 1885; Hatfield 1901; Henckell 1895 u. 1910; Jacobsen 1820; Jaffé1908; Jahn 1893; Kegel 1890; Kij 1887; Laun 1869; Mehring 1888 u. 1900; Melas 1885;Menzel 1851; Meyer 1874; Milde 1884; Mohnike 1842; Nitschmann 1868; Oedheim1887; Ploennies 1843 u. 1844; Polko 1879 u. 1895; Prinzhorn 1894; Reichenau 1885;Rudow 1891; Ruperti u. Laun 1862; Schack 1893; Schellenberg 1911; Scherr 1869;Schmidt 1851; Schönermark 1878; Schulpe 1888; Seeliger 1863; Seliger 1909; Solger1888; Strodtmann 1862 u. 1863; Urbas 1865; Viehoff 1887; Wagner 1835; W. Wagner1878; Wentzel 1912; Wille 1911/12; Wolff 1832 u. 1848; Zoozmann 1915.

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gische Lyrik auch den Übersetzungsanthologien nicht einmal als be-sonderes Genre, das einer eigenen Rubrik bedürfte – mit Ausnahme ei-ner außergewöhnlichen Anthologie: Ferdinand Freiligraths The Rose,Thistle and Shamrock. A Selection of English Poetry, Chiefly Modern(1853), sehr frei und nur unvollständig ins Deutsche übertragen vonDr. med. H. J. D. A. Seeliger im Jahr 1863.145

Freiligraths Anthologie wurde sechsmal neu aufgelegt (2. Ed. 1857;3. Ed. 1859; 4. Ed. 1868; 5. Ed. 1874; 6. Ed. 1887). Sie kann damit als er-folgreichste Anthologie englischer Lyrik im Deutschland des 19. Jahr-hunderts gelten, und ausgerechnet diese Anthologie beginnt mit einerlangen Sektion über Poesy and the Poets. Sie umfaßt insgesamt 53 Ge-dichte. Ihr folgen die Rubriken Home and Country mit 38, Liberty.Historical Poems mit 58, Society. Work and Progress mit 26, Changes ofLife mit 19, Love and Affections mit 125 und Nature and Seasons mit 72Gedichten. Ihrem Ort gleich zu Anfang der Anthologie nach zu urtei-len, gilt die Rubrik Poesy and the Poets als die wichtigste; der Textmen-ge zufolge erweist sie sich als drittstärkste Abteilung der Anthologie.Durch thematische, mitunter sogar ideologische Vorgaben gliedertFreiligrath die Anthologie, weist jedem Gedicht auf diese Weise einenOrt zu. Er formuliert aber dennoch zurückhaltend:

The arrangement of the book, to originality in which the Editor lays noclaim, however much it may in particular features differ from similar classifi-cations in former anthologies, rendered it impossible to assort the separatepoems either with reference to their individual lyrical character or to the dif-ferent periods of British literature. This however, the editor hopes, will beconsidered no deficiency, as the book aspires to give neither an English „Arspoetica“ nor a history of English poetry in examples. Indeed, the intermix-ture of varied styles and orders of poetry would seem the best means ofavoiding an otherwise inevitable monotony [...].146

Gleich im Eingang der Abteilung Poesy and the Poets stehen aber drei‚Gedichte‘ bzw. Ausschnitte aus versifizierten Dramentexten, die exem-plarisch Entwicklungen poetologischen Denkens nachvollziehen. Daserste Gedicht stammt aus Shakespeares A Midsummer Night’s Dream(1595/96), das zweite aus Ben Johnsons Every man in his humour(1598), das dritte von William Wordsworth (Though the bold wings of

145 Auch Urbas (1865) und Schönermark (1878) weisen der poetologischen Lyrik eineherausgehobene Position, allerdings keine abgegrenzten eigenen Kapitel zu. Ichkomme in Abschnitt 3. darauf zurück.

146 Freiligrath: Preface, in: ders. 1853, S. [V]–VI, hier S. [V].

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poesy affect, publ. 1842). Shakespeare stellt auf die Schöpfung des poe-tischen Genies ab.147 Demgegenüber konzentriert sich Johnson auf dieDichtung selbst; er betrachtet sie als göttliche Kunst.148 Wordsworthhingegen verbindet beide Gedanken; er erklärt die Poesie selbst zum ge-nialischen Akteur.149 Bedenkt man diese eigenwillige Anordnung derAbteilung Poesy and the Poets, so geben diese Auffassungen – nach Frei-ligrath – den Takt für all das vor, was britische Poeten über die Dichtungdenken und schreiben. Denn er entnimmt diesen Texten nur, was erbraucht, um eine bestimmte Linie poetologischen Denkens zu belegen:Sie reicht von der Inspirationspoetik (Shakespeare) über eine göttlich le-gitimierte Werkpoetik (Johnson) bis hin zu einer reflexiven Poesie, dieihre Rechtfertigung nurmehr aus sich selbst schöpft (Wordsworth).

Mit Hilfe poetologischer Lyrik schreibt Freiligrath eine verknapptePoetik britischer Lyrik. The Rose, Thistle and Shamrock läßt sich andieser Stelle also doch – und ‚contra intentionem‘ – als eine ‚Ars poeti-ca‘ englischer Poesie in Beispielen lesen. Poetologische Reflexion findetzu diesem Zweck vorerst in der Form von Auswahl und Kürzung statt.Das Ergebnis erweist sich als so idealtypisch, daß es dem deutschen Le-ser unmittelbar einleuchten muß. Denn Vergleichbares findet sich auchin der eigenen Poetik-Geschichte: Mag der inspirationspoetischeAspekt im deutschen Humanismus auch nur schwach ausgeprägt sein,so spielt doch Martin Opitzens Buch von der deutschen Poeterey (1624)immer wieder darauf an. Die göttlich legitimierte Werkpoetik findet inKlopstocks „Heiliger Poesie“ ihren Ausdruck; Formen reflexiver Poe-sie lassen sich auf Friedrich Schlegel zurückführen. Freiligraths aus-wählender Zugriff auf die poetologische Lyrik erlaubt es, eine – wennauch abstrakte – Entwicklung poetologischer Denkmuster nachzuvoll-ziehen. Poetologische Lyrik hält ausreichend viele Vorstellungen undGedanken bereit, die dem deutschen Leser ‚die Poetik‘ der Briten na-hezubringen erlauben. In diesem Fall bestimmt sich die Bedeutung ei-nes Texts am Wiederkennungswert für den deutschen Leser.

Dabei erweist sich der Blick auf das, was Freiligrath nicht anführt, alsbesonders aufschlußreich: Am poetologisch-programmatischen Be-

147 Shakespeare: „The poet’s eye, in a fine frenzy rolling / Doth glance from heaven toearth, from earth to heaven; / [...],“ in: Freiligrath 1853, S. 3.

148 Johnson: „I can refel opinion; and approve / The state of Poesie, such as it is, /Blessed, eternal, and most true divine: / [...],“ in: Freiligrath 1853, S. 3 f.

149 Wordsworth: „Though the bold wings of poesy affect / The clouds, and wheelaround the mountain tops / [...],“ in: Freiligrath 1853, S. 4.

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ginn seiner Anthologie stehen weder Byron noch Shelley, die ‚politi-schen‘ Dichter Britanniens. In den 1850er Jahren regiert nach wie vordie ‚reine Poesie‘, und Freiligrath nennt Wordsworth als ihren Vertre-ter: Ausgerechnet Freiligrath, den englische Periodica als einen deut-schen Liberalen preisen, ignoriert die politische Dichtung der Britenalso zugunsten der „Poesie der Poesie“. Er wählt seine Quellen geradenicht unter politischem Aspekt aus, sondern widmet sich der sich selbstbedenkenden Poesie.

Auf Freiligraths verknappte Poetik-Geschichte in Versen folgen Ge-dichte von Johnson bis hin zu Alexander Smith. Mit Ralph WaldoEmerson, dem Uhland-Editor W. A. Butler und Henry WardsworthLongfellow sind drei amerikanische Autoren vertreten. Die Antholo-gie ist also mit dem Untertitel A Selection of English Poetry nicht ganzrichtig gekennzeichnet, was Freiligrath aber selbst eingesteht: Ameri-kanische Lyrik, so vermerkt er im Vorwort, werde dann aufgenommen,wenn der Autor in England bekannt sei.150 Inwiefern läßt sich für diesemulti-nationalen Texte von poetologischer Lyrik sprechen?

Freiligrath versammelt zunächst Gedichte über die Muse und überden Dichter, also Dichtergedichte und Texte, die sich des topischenMusenarnufs bedienen: Ralph Waldo Emerson The House (1847), Al-fred Lord Tennyson The Poet (1830), The Poet’s Song (1842), BarryCornwall (d. i. Bryan W. Procter) The Prophet, William WordsworthResolution and Independence (1802, publ. 1807), „If you [thou] indeedderive thy light from heaven“ (1833, publ. 1835), Shelley An Exhorta-tion (1820), Longfellow Excelsior (1841), Byron „Many are poets whohave never penn’d“ (aus: The Prophecy of Dante, 1821). Gedichte wiediese bedenken vor allem die übernatürlichen Fähigkeiten der Urhebervon Dichtung, beschreiben die Inspiration des Dichters,151 der keinermateriellen Güter bedarf, sondern allein für seine Kunst lebt.152 Emer-son The House hingegen geht es um planvolles Dichten; er vergleichtdie Arbeit der Muse deshalb mit derjenigen des Architekten, der über-legt vorgehen muß, will er Funktionierendes entwerfen und bauen.153

150 Freiligrath: Preface, in: Freiligrath 1853, S. VI.151 Am deutlichsten zeigt dies Cornwall: „And, in its [der Prophetie des Poeten] inspi-

ration, vaguely shown, / We seem to trace [...],“ in: Freiligrath 1853, S. 8 f., hier S. 9.152 So formuliert es der ‚radikale Shelley‘: „Poet’s food is love and fame [...],“ in: Freilig-

rath 1853, S. 10 f., hier S. 10.153 Emerson: „There is no architect / Can build as the muse can [...],“ in: Freiligrath

1853, S. 5.

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Texte über den Verlust von Poesie, vor allem aber Dichtergrabschrif-ten schließen daran an: Walter Scott Farewell to the Muse (1822), das imLaufe des 19. Jahrhunderts vielfach übersetzt wurde, und ein Aus-schnitt aus The Lay of the Last Minstrel (1805), Ebenezer Elliott A Po-et’s Prayer und A Poet’s Epitaph, Letitia Elizabeth Landon The Un-known Grave, Longfellow The Arrow and the Song (1859) und To anold danish Song-book. Gedichte wie diese beschreiben Verlusterfah-rungen (Scott Farewell to the Muse), oder sie verherrlichen den helden-haften Poeten, der nur nach wahrem bzw. authentischem Ausdruckstrebt und seine eigene Person dabei ganz zurück stellt. Landon TheUnknown Grave ist dafür paradigmatisch.

Der nachfolgende Teil umfaßt Gedichte über dichterische Formenund Praktiken, über Gedichtformen und über das Übersetzen: SamuelTaylor Coleridges Schiller-Rezeptionen The Homeric Hexameter de-scribed and exemplified (1834) und The Ovidian Elegiac Metre de-scribed and exemplified (1834) tragen ihr Thema im Titel; sie veran-schaulichen es in knappen Versen. Gleiches gilt für Wordsworth Scornnot the Sonnet (publ. 1827), das sich gegen die Sonettkritik richtet. SirJohn Denham „On Poetical translation“ aus To Richard Fanshaw uponhis translation of Pastor Fido wendet sich den Schwierigkeiten zu, diebei der Übertragung eines Texts aus einem Gebiet in ein anderes beste-hen.

Im Anschluß daran stehen poetologische Widmungsgedichte:154

Mark Akenside Inscription for a statue of Chaucer, at Woodstock, Rob-ert Southey For a Tablet at Penshurst (1798), Ben Johnson To myWorthy and Honour’d Friend, Mr George Chapman (1618), An Ode –To Himselfe (1640) und To the Memory of my beloued, The Author MrWilliam Shakespeare; And what he hath left vs (1623), John Keats Onfirst looking into Chapman’s Homer (1816), Thomas Gray „Shake-speare. Milton. Dryden“ aus The Progress of Poesy (1757), John DrydenUnder Mr. Milton’s Picture before his Paradise lost, Leigh Hunt On aLock of Milton’s Hair, Samuel Rogers „Milton at Arcetri“ aus Italy(1822/1834), Sir John Denham On Mr. Abraham Cowley, William Col-lins Ode on the Death of Thomson, Wordsworth Remembrance of Col-lins (1800), Robert Burns „The Scottish Muse to Burns“ aus The Vision(1786), Thomas Cambell Ode to the Memory of Burns (1815), Words-worth At the Grave of Burns. 1803 (1807, publ. 1842) und To the Sons of

154 Miltons „An Epitaph on the Marchioness of Winchester“ (1645) und Thomas Hoods„The Wee Man“, eine Romanze auf die Seefahrt, fallen aus dieser Kategorie heraus.

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Burns (1803, publ. 1807), Byron Kirk White und Crabbe, RobertSouthey Crabbe, Byron On this day I complete my thirty-six year(22.1.1824), Samuel Rogers „Byron“ aus Italy (1822/1834), Landon Fe-licia Hemans, Longfellow Walter von der Vogelweide, Coleridge To theauthor of the „Robbers“ (1796), Felicia Hemans The Death-day of Kör-ner, W. A. Butler Uhland. Am Beispiel historischer Autorpersönlich-keiten veranschaulichen diese Texte Auffassungen über den Dichterund die Dichtung. Sie verknüpfen Eigenschaften von Person und Werk:erstere werden der historischen Zufälligkeit enthoben, letztere perso-nalisiert. Aus einem Text allerdings scheint auch Selbstkritik auf, näm-lich aus Johnson Ode to himself: Gegen die eigene Behäbigkeit ermahntsich sein Sprecher, die Harfe zu stimmen, um gegen das Übel der Zeit,gegen die Kritiker anzusingen.

Eines läßt sich im Blick auf diese Texte festhalten: Freiligrath wähltaus, ohne sich dem Urteil englischer Kritik zu beugen. Selbst die‚Cockney-School‘, die als dilettantische Dichtung einer aufstrebendenMittelklasse am Beginn des 19. Jahrhunderts heftig bekämpft wurde,findet mit ihrem Begründer Leigh Hunt, mit Barry Cornwall und mitJohn Keats Eingang in die Anthologie.155 Freiligrath bildet einen reprä-sentativen Querschnitt – hauptsächlich – britischer Dichtung ab. Eineigenes Urteil über diese Dichtungen läßt er aber nur mittelbar erken-nen. Die Zusammenstellung zeigt, was er für wertvoll, für bewahrens-und übersetzenswert erachtet. Dabei fällt auf, daß im Ausgang derWidmungsgedichte solche Texte stehen, die sich auf deutsche Dichterbeziehen: auf Walther von der Vogelweide, auf Schiller, auf Körner undauf Uhland. Ihm geht es in diesen Fällen also weniger um die Reflexiondes Anderen im Eigenen, sondern um die Reflexion des Eigenen imFremden. Freiligraths Blick fällt dafür auf einen Kanon deutscher Au-toren, die für freiheitliche und nationale Dichtung stehen. Sie sind es, solegt Freiligrath damit nahe, die von britischen Schriftstellern nicht nurwahrgenommen, sondern sogar derart verehrt werden, daß sie ihnenGedichte widmen. Das poetologische Bild von einem liberalen Englandentsteht aus seiner Rezeption.

Daß Freiligrath der poetologischen Lyrik unabhängig von dieser po-litischen Zuschreibung einen besonderen Stellenwert verleiht, erlaubtes, die Eingangsthese über die Bedeutung poetologischer Lyrik für die-se wirkungsmächtige Anthologie zu bestätigen: Es handelt sich um dieeinzige Anthologie, in der poetologische Lyrik – wenn auch unter an-

155 Über Freiligraths Keats-Rezeption Wipperfürth 1991.

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derem Titel – als eigenes, nämlich thematisch bestimmtes Genre einge-stuft wird und als Gegenstück zu anderen (gleichfalls thematischgebündelten) Lyrik-Typen gilt. Es wäre also falsch zu behaupten, poe-tologische Lyrik sei zu keiner Zeit als ein lyrisches Genre betrachtetworden.156 Für Freiligrath erweist sich poetologische Lyrik darüberhinaus sogar als ein erster Zugang zu Dichtung in fremder Sprache undzu einer fremden Kultur,157 die ähnliche Vorstellungen von Sprache undDenken hegt wie die deutsche. Im Ergebnis nähert er sich dieser Lite-ratur nicht nur an, sondern er nimmt sie auch produktiv auf: „Ich wüß-te, unsre eigene ausgenommen, keine neuere Sprache, deren Litteraturmich so mannigfach angesprochen und angeregt hätte, als gerade dieenglische.“158 Bezeichnenderweise schreibt Freiligrath hier in der Dop-pelrolle des Dichters und Übersetzers, der gerade nicht nur – in Philo-logenmanier – abbilden, aufnehmen, edieren, kommentieren und derNachwelt erhalten will, was die englische Dichtung des Jahrhundertshervorbrachte.159 Vielmehr bemüht er sich um Verständigung mit deranderen Literatur: um programmatische Selbstaussagen, die ihm alsDichter Orientierung in der neuen literarischen Welt vermitteln.160 Da-bei läßt er sich zwar unparteiisch auf das Neue ein, sucht in ihm abervor allem bekannte Muster. Zwar kann dafür durchaus von Reflexions-tätigkeit gesprochen werden, aber nur von Reflexion auf niedriger Stu-fe: Das Fremde wird so lange zurechtgestutzt, bis es eingespieltenWahrnehmungssschemata für Lyrik entspricht. Am Beispiel poetologi-

156 Siehe die Einleitung zu dieser Untersuchung, vor allem I.3.157 Sein Übersetzer Seeliger verleiht diesem Interesse noch eine weitere Pointe. Er wen-

det poetologische Verse reflexiv auf die eigene Übersetzer-Tätigkeit an; vgl. Seeliger1863, S. [V]–VI: Mit Landon spricht er über die besonderen Eigenschaften des Dich-ters, der die Welt durch seine Verse verbindet. Mit Roscommon und Geibel fragt er,welche Dichtungen die Aufnahme lohnen und betont die Eigenständigkeit vonDichtung, Übertragung und Kritik. – Ich komme gleich darauf zurück.

158 Zit. n. Buchner 1882, I, S. 113; Richter 1976, S. 47 f.159 Vgl. O. L. B. Wolff 1846 und die Anthologien des Hallenser Professors Karl Elze

(1851; 1860).160 Anthologien von Philologen hingegen befassen sich weniger mit solchen program-

matischen Selbstaussagen, sondern wollen vor allem anführen, was im Herkunfts-land der jeweiligen Dichtung als etablierte und wichtige Literatur gilt. Oskar Lud-wig Bernhard Wolff beispielsweise will dem Gelehrten oder Studierenden „einenUeberblick des Entwickelungsganges der englischen Poesie und ihrer Sprache zu-gleich mit einer Auswahl der schönsten Gedichte der bedeutendsten englischenDichter von der ersten Epoche der Kunstpoesie an bis zur Gegenwart“ bieten (1846,S. XVI). Damit regiere, so schreibt er selbst, das erste Mal das chronologische Prin-zip eine Anthologie.

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scher Lyrik bildet The Rose, Thistle and Shamrock eine übernationaleund idealtypische Poetik aus.

Weil Freiligrath als einer der aktivisten Übersetzer gilt, seine Antho-logie vielfach aufgelegt und damit populär wurde, setzen sich die Stan-dards von The Rose, Thistle and Shamrock für die Rezeption britischerLyrik in späteren Anthologien und Werkeditionen durch. Was Freilig-rath aufnimmt, wird im deutschen Sprachraum kanonisch. Ein Dichterragt dabei in den 1840er bis 60er Jahren heraus: Alfred Lord Tennyson(1809–1892).

b) Alfred Lord Tennyson The Poet’s Song (1842):die Vision des ‚poeta vates‘ –

in der deutschen Rezeption seit Ferdinand Freiligrath (1846)

In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts ist Tennyson, der spätere ‚poetalaureatus‘ des ‚Empire‘, bereits allgegenwärtig. Den deutschen Zeitge-nossen gilt er „mit Recht [als] der gefeiertste unter den jetztlebendenenglischen Dichtern“.161 Darüber hinaus befaßte er sich sogar mit derÄsthetik und Geschichtsphilosophie Hegels,162 interessierte sich alsobereits selbst für das deutsche Geistesleben. Mit zwölf lyrischen Textenist Tennyson in Freiligraths The Rose, Thistle and Shamrock vertre-ten;163 von 1846 bis 1899 lassen sich insgesamt neun umfangreiche Ly-rik-Übersetzungen und eine deutsche Edition von Gedichten Tenny-sons in englischer Sprache ermitteln.164 Die Reihe beginnt mit Freilig-raths Englische Gedichte aus neuerer Zeit (1846) und endet mit Th. A.Fischers Leben und Werke Alfred Lord Tennysons (1899). Nach Fi-

161 Strodtmann: Vorwort des Übersetzers, in: Tennyson 1868, S. [5]–8, hier S. [5]; vgl.auch das Urteil im repräsentativen „Handbuch der englischen Sprache und Litera-tur“ von Ideler und Nolte 1853, S. 245.

162 Tennyson las Hegels Ästhetik und seine Geschichtsphilosophie in Übersetzung; vgl.Shaw 1996, S. 109.

163 Es handelt sich um: „The Poet“, „The Poet’s Song“, „Godiva“, „From LocksleyHall“, „Circumstance“, „Ulysses“, „A Dirge“, „The Splendour Love falls on CastleWalls“, „Fatima“, „Mariana“, „Lullaby“, „As thro’ the land and eve we went“.

164 Freiligrath 1877; Tennyson 1853; Tennyson 1854; Seeliger 1863; Vollheim 1863; Ten-nyson 1968; Tennyson 1869; Tennyson 1872; Tennyson 1894; Th. A. Fischer 1899;vgl. zu den frühen Übersetzungen W. Meyer 1914; sehr gründlich Jähne 1954; überden Kreis der Exildichter, die sich für Tennyson interessierten, und mit einer Doku-mentation deutscher Übersetzungen von Tennysons „Break, break, break“ Flood1996.

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schers Buch, also nach 1899, sucht man Tennyson in deutschen Lyrik-Anthologien beinahe vergeblich; die Rezeption der Präraffaeliten undder ‚großen‘ Romantiker (vor allem von Shelley und Keats) verdrängtden ‚poeta minor‘.165

Zuvor ist seine Lyrik aber viel leichter in deutscher Übersetzung zuhaben als diejenige der romantischen Bewegung (mit Ausnahme vonByron): Shelley gilt als zu radikal,166 und Keats nimmt man nur amRande wahr.167 Ausgerechnet die politisch orientierte Literatur- undÜbersetzungspolitik ab 1840 entdeckt also einen Autor für sich, derpolitisch unkontrovers ist, der sowohl der „conservative Coleridgean“als auch der „radical Benthamite“ Einflußsphäre angehört und als ein‚poeta doctus‘ gilt.168 In der poetologischen Lyrik des Dichters findetdie Tennyson-Rezeption ihr Zentrum – nicht jedoch in so komplexenreflexiven Texten wie The Lady of Shalott (1833),169 sondern in demschlichten Gedicht The Poet’s Song (1842). Der Grund dafür liegt inThe Rose, Thistle and Shamrock: Freiligrath zielte auf knappe undleicht zu übersetzende Texte, die plakativ und voraussetzungsfrei überdie Poetik eines Autors informieren. Diese poetologischen, gleichwohlaber trivialisierenden Auswahlkriterien versprachen offenkundig Er-folg; denn auch für die Tennyson-Rezeption wurde Freiligraths Antho-logie kanonisch – und anders als The Lady of Shalott erfüllt The Poet’sSong seine Kriterien. Es spinnt jene Motivstränge weiter, die bereits ausden zwei Versionen von Tennysons To Poesy (1828), aus The Poet undThe Poet’s Mind (beide 1830) bekannt sind:

The Poet’s Song (1842)

The rain had fallen, the Poet arose,He passed by the town and out of the street,

A light wind blew from the gates of the sun,And waves of shadow went over the wheat,

165 Vgl. dazu Kapitel V. 3. b) dieser Studie.166 Schmid 2002.167 Freiligraths Anthologie stellt in diesem Fall eine Ausnahme dar.168 Joseph 1994, S.262. Der Streit, auf welche Fraktion Tennysons Lyrik tatsächlich hin-

deutet, erweist sich mit Blick auf den gegenwärtigen ‚criticism‘ jedoch als ungeklärt.David G. Riede etwa interpretiert noch die Melancholie Tennysons als eine Quellevon Konservatismus und Autorität; Riede 2000, S.659.

169 „The Lady of Shalott“ findet im deutschen 19. Jahrhundert ebenso wenig Verbrei-tung wie „The Princess“ (1847) oder „In Memoriam“ (1850); siehe Jähne 1954, S.25,41 u. 47.

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And he sat him down in a lonely place,And chanted a melody loud and sweet,

That made the wild-swan pause in her cloud,And the lark drop down at his feet.

The swallow stopt as he hunted the fly,The snake slipt under a spray,

The wild hawk stood with the down on his beak,And stared, with his foot on the prey,

And the nightingale thought, ‚I have sung many songs,But never a one so gay,

For he sings of what the world will beWhen the years have died away.‘170

The Poet’s Song veranschaulicht eine Poetik der Inspiration und be-dient sich zu diesem Zweck zahlreicher romantischer Topoi: Der Poetbegibt sich aus der Zivilisation in die Natur (Topos der Stadtflucht),nimmt einen „light wind“ wahr (Topos der Inspiration), der „waves ofshadow“ auf dem Weizen erzeugt (Topos der Entwirklichung),171 ziehtsich auf einen einsamen Platz zurück (Einsamkeitstopos), fasziniert dieTiere mit seinem Gesang (Orpheus-Motiv), der selbst denjenigen derNachtigall überbietet (Kunst vs. Natur).172 The Poet’s Song schil-dert – hierin The Lady of Shalott und anderen ReflexionsdichtungenTennysons vergleichbar173 – einen Poeten, der Zivilisation und Naturzugunsten einer Inspiration verläßt, der er sich passiv überantwortet,um eine entwirklichte Welt der Kunstreflexion zu beschreiben. Die Er-zählweise unterstützt die Darstellung: Tennysons Sprecher schildertden Vorgang der Inspiration auktorial; ihren Erfolg beglaubigt dieNachtigall in Figurenrede. Sie erkennt in dem Poeten ihren Meister,weil er ein Lied über Zukünftiges weiß, weil er prophetisch vorweg-nimmt, „what the world will be“. Das reflexive Universum der Inspi-rationspoesie erscheint als intakt und als der Natur überlegen, wie dieseselbst bestätigt. Freiligrath übersetzt:

170 Tennyson: The Poet’s Song, in: Tennyson 1969, S. 736.171 Vgl. dazu die Interpretation von „shadows of the world“ aus „The Lady of Shalott“

in: Hühn 1995, II, S. 47.172 Über die topische Struktur der früheren Lyrik Tennysons Ricks 1972, S. 51; Ver-

gleichbares weist Isobel Armstrong für die späte Lyrik Tennysons nach und wertetdies als Erweis dafür, daß Tennysons nicht der „poetry of sensation“ zuzurechnensei; Armstrong 1996.

173 Siehe Hühn 1995, II, S. 47.

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Der Dichter

Der Regen ließ nach, der Dichter stand auf,Er ging durch die Stadt, und hinaus in’s Feld;Von der Sonne Thoren kam leis ein Wehn,Und die Ähren haben gewellt.Und er legte sich hin, wo ihn keiner sah,Und er sang eine Weise, laut und süß,Daß der wilde Schwan im Gewölk verzog,Und die Lerche sich niederließ.

Die Schwalbe vergaß ihre Bienenjagd,Die Schlange fuhr her durch’s Laub.Mit der Dun’ auf dem Schnabel stand der Weih’,Und starrte, den Fuß auf dem Raub.Und die Nachtigall dachte: „Ich sang manch Lied,Doch nicht eines so froh von Ton!Denn er singt von der Welt und was sie ist,Wenn die Jahre starben und flohn!“174

Freiligrath erlegt sich einen strengen poetologischen Grundsatz auf,der ihm manche Freiheit für die Übertragung nimmt: Er will die fremdeForm soweit als möglich beibehalten.175 Im Falle von Der Dichter ge-lingt es ihm dies zwar, aber nur mit Einschränkungen, was die Reim-form,176 die Sicherheit der stilistischen Darbietung und vor allem, wasdie Bedeutung des Texts angeht. Als problematisch erweisen sich dabeivor allem der dritte Vers der ersten und der siebte Vers der zweitenStrophe: Aus dem „wind“ (der Inspiration) wird ein bloßes „Wehn“;aus „what the world will be“ wird ein „was sie ist“. Die prophetischeGabe des inspirierten Poeten entfällt; er muß sich mit der Beschreibungdes Gegenwärtigen begnügen. Freiligrath nimmt die Inspirationspoetikvon The Poet’s Song zurück und verdrängt das reflexive Kunstuniver-sum des Texts zugunsten von Wirklichkeit. Der Dichter Tennysons er-weist sich danach als ein quasi-realistischer Poet. Freiligrath verfolgtseine formale Übersetzungspoetik zwar entschlossen, aber er unterlegtdem Original zugleich eine Poetik, die diesem fremd ist. Mit anderenWorten: Der Übersetzer reflektiert die eigenen Vorstellungen von Poe-sie und vom Poeten im fremden Text. Eine Übersetzungspoetik, die auf

174 Tennyson: Der Dichter, in: Freiligrath 1877 [1846], S. 208.175 K. Richter 1976, S. 12.176 Freiligrath wählt das Reimchema a b c b d e f e statt ursprünglich a b c b d b e b.

K. Richter 1976, S. 71. Hertzberg, Seeliger, Strodtmann, Rugard und WilhelminePrinzhorn übernehmen die Freiligrathsche Reimstruktur.

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dem Gebot der Formtreue ruht, arbeitet der poetologischen Bedeutungdes Originals entgegen, in dessen Dienst sie sich stellen wollte.

Tennyson äußert sich dennoch begeistert über Freiligraths Bemü-hungen; in einem Brief vom 5. November 1846 dankt er Freiligrath fürdie Übersetzungen „into your own noble and powerful language.“177

Des Deutschen nicht mächtig, traut sich gleichwohl ein Urteil zu:

[...] from what I have seen and if I may be permitted to judge, I should say,that they [die Gedicht-Übersetzungen] are not dry bones, but seem full of aliving warmth in fact a Poet’s translation of Poetry.178

In Freiligrath erblickt Tennyson den kongenialen Übersetzer seinerLyrik. Unbedingt will er den deutschen Dichter kennenlernen. Als die-ser zu seiner Verblüffung nicht auf seinen lobenden Brief antwortet,beklagt er sich gleich bei mehreren Freunden und Bekannten.179 ObTennysons Mühen und Klagen von Erfolg gekrönt waren, ist bis heuteunklar. Es läßt sich nicht nachweisen, ob sich beide noch begegneten.180

In der Nachfolge Freiligraths wird The Poet’s Song zu einem dermeistübersetzten Gedichte Tennysons. Sieben weiter ‚Verdeutschun-gen‘ lassen sich ermitteln. Die zeitlich nächste Übertragung stammtvon dem jüdischen Altphilologen Wilhelm Adolf Boguslaw Hertzberg(1813–1879).181 Er befaßte sich zuvor mit römischer Dichtung. Bei denTennyson-Gedichten handelt es sich um seine ersten Übertragungenenglischer Texte,182 und Hertzberg legt gleich vollständige Übersetzun-gen der 1830er und 1842er Gedichtbände vor. Im folgenden ist kursivgesetzt, was Hertzberg für The Poet’s Song anders formuliert als Frei-ligrath:

177 Tennyson to Freiligrath, 5. Nov. 1846, St. James Square, Cheltenham, in: Tennyson1982, S. 262 f.

178 Ebd. [Hervorhebung im Original].179 Tennyson to Tom Taylor, 10. Nov. 1846, in: ebd., S. 263; Tennyson an Mary Howitt,

19. Nov. 1846, in: ebd., S. 265 f.180 Hallam Tennyson berichtet allerdings von einem Treffen Ende November 1846 und

notiert, „they greatly enjoyed their talk together.“ Ebd., S. 263, Anm. 2.181 Wininger 1928, III, S. 494.182 Danach übersetzt er Chaucers „Canterbury Tales“, vor allem aber Shakespeares

Dramen (für die von der deutschen Shakespearegesellschaft neu besorgte Ausgabeder Schlegel-Tieck-Edition) und schließlich Walter Scotts „Herrn der Inseln“; erwidmet den Text aus der Begeisterung für die Befreiung Schleswig-Holsteins Her-zog Friedrich VIII. von Augustenburg. Entholt 1912, S.304.

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Des Dichters Gesang

Der Regen ließ nach, der Dichter stand auf,Er ging aus der Stadt hinaus in die Welt;

Leicht wehte der Wind von der Sonne Thor,Und Schatten durchwogten das Weizenfeld.

Und er setzte sich nieder an einsamen Ort,Laut sang er ein Lied von süßem Klang,

Daß der wilde Schwan verstummt’ im Gewölk.Und die Lerche zu Füßen ihm sank.

Und die Schwalbe stockt, wie die Biene sie jagt,Und die Schlange schlüpft in das Laub,

Mit der Daun’ im Schnabel der Habicht starrt,Und horcht, in der Kralle der Raub.

Und die Nachtigall denkt: Ich sang manches Lied,Doch keines so froh und frei;

Denn Er singt, was künftig die Welt sein wird,Wenn Monden und Jahre vorbei.183

Der philologisch genaue Hertzberg korrigiert jene Passagen, die in derFreiligrath-Übersetzung negativ auffallen, aber er handelt sich dabeiauch neue Schwierigkeiten ein: den Plural von „gates“ faßt er als Singu-lar auf; die Vergangenheitsform „tought“ überträgt er ins Präsens(„denkt“). Darüber hinaus übersetzt er „Welt“ statt „street“, „ver-stummt“ statt „paused“, „sank“ statt „drop down“, „Laub“ für„Spray“, „froh und frei“ statt bloß „gay“, „Wenn Monden und Jahrevorbei“ statt „When the years have died away.“ Gleichwohl gelingt esHertzberg, den poetologischen Kern von The Poet’s Song zu wahren;Inspirationspoetik, Prophetie und Kunst-Universum bleiben im Wort-laut erhalten. Seine Übersetzung kann in der Tat als eine solche gelten,die sich in den Dienst des Originals stellt, die seine poetologische Be-deutung erhält und dem deutschen Leser übermittelt. Seeliger wähltseine Worte demgegenüber freier:

Des Dichters Sang [Nach Alfred Tennyson]

Müd war’s zu regnen, da erhob der DichterSich und verließ das weite Häusermeer;

Ein lindes Lüftchen weht’ aus Himmels Thoren,Es wallten Schatten über Fluren her;

Und nieder ließ er sich an öder StelleUnd sang ein Lied, so laut und lieblich süß,

183 Tennyson 1853, S. 356.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden220

Er bannt’ den Pelikan auf lustiger Welle,Sang, dass die Lerche sich hernieder ließ.

Die Schwalbe hielt auf ihrer Jagd nach Bienen,Und das Reptil glitt lautlos in’s Gebüsch,

Der Falke stand, den Fuß auf seiner Beute,Und staunt’, am Schnabel Flaum noch, blutig, frisch,

„Ich habe,“ sprach die Nachtigall, „gesungenManch Lied, jedoch noch nie so süß und lind:

Er singt vom Einst, wenn jedes Lied verklungen,Und wenn die Jahre all’ verronnen sind!“184

Seeliger löst sich, ganz typisch für die übrigen Übertragungen in seiner‚deutschen Fassung‘ von Freiligraths The Rose, Thistle and Shamrock,beinahe vollständig von den vorhergehenden Übersetzungen. In einemVorwort begründete er dieses Verfahren eigens, und zwar mit Hilfepoetologischer Verse, die er Geibel verdanken will.185 Danach erscheintdie Übertragung prinzipiell als eigenständige Interpretation in Vers-form: Um der Bedeutung eines Texts willen gestalte der ‚Übersetzer‘diesen neu. ‚Mit Geibel‘ kehrt Seeliger das Übersetzungsprinzip Frei-ligraths um: Die Bedeutung, die der Übersetzer-Interpret in einem Textsehen will, geht dem Gebot der Text- und Formtreue nicht nur voraus,sondern läuft diesem Gebot vollständig zuwider. An die Stelle derÜbertragung setzt Seeliger die Neu-Interpretation. Er rechtfertigt sie,indem er die hermeneutische Maxime des ‚Besserverstehens‘ auf diePoetik der Übersetzung überträgt und überspannt:186 Erst der Überset-zer-Interpret, so Seeliger, lege jene tiefen Schichten der Bedeutung frei,die dem Autor entfallen sind.

Seeliger steigert damit selektiv und willkürlich Aspekte der viel-schichtigen Übersetzungspoetiken, wie sie der Münchner Dichterkreisin Briefen, Einleitungen, Essays und Memoiren vorlegte. Nimmt mandiese Theorien zusammen, dann widersprechen sie den aus ihrem Kon-text gerissenen Aphorismen, die Seeliger Geibel verdanken will.187

184 Seeliger 1863, S. 6 f.185 „Doch du bist du, das schafft die Wandlung eben!“; ders.: „Das ist die klarste Kritik

von der Welt, / Wenn neben das, was ihm misfällt, / einer was Eigenes, Besseresstellt!!“ In: Seeliger 1863, S. VI. [Hervorhebungen im Original]. – Die Zitate ließensich nicht auf Geibel-Texte zurückführen, so daß zu fragen bleibt, ob Seeliger sieselbst erfunden hat.

186 Über die Maxime des ‚Besserverstehens‘ Danneberg 2003.187 Begründen ließe sich diese Annahme auch mit Blick auf Geibels ausgesprochene

skeptische Einstellung, was die Übersetzung von Lyrik betrifft; ders.: Distichen,Nr. 17, in: ders. 1856, S. 217: „Unübersetzbar dünkt mich das Lyrische. Ist doch der

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2. Britische und deutsche Lyrik 221

Denn im Zentrum der Münchner Übersetzungspoetiken steht der her-meneutische Dreischritt Schleiermachers: erstens das Verstehen desfremden Texts oder – mit Graf Schack – das ‚tiefe Eindringen‘ in diefremde Textwelt, zweitens die Kenntnis vom geschichtlichen und kul-turellen Leben des anderen Volkes und drittens die „lebendige Verge-genwärtigung“ des Originals im eigenen Ausdruck.188 Schon aus derErfahrung mit Übersetzungen übt man sich nicht in Wort- und Form-treue,189 sondern bemüht sich – mit Paul Heyse – vielmehr um den Per-sonalstil des Dichters. Ziel ist es, dessen ‚Wesen‘ selbst nachzuahmenund zu ergründen.190 Man setzt – in treuer Hegel-Nachfolge – auf Sub-jektivität, auf Klassizität und hohe Literatur.191 Im Vergleich mit denÜbersetzungspraktiken Freiligraths und Hertzbergs leitet der Münch-ner Dichterkreis für die Übersetzung in der Tat eine neue Epoche ein.Idealiter verbinden sich Fremd- und Selbstreflexion zum Nutzen derHerkunfts- und Zielliteratur.

Mit Hilfe der sogenannten ‚Geibel-Verse‘ beglaubigt Seeliger abereine ganz subjektive Übersetzungspraxis. Hier darf sich der Übersetzerdas fremde Werk nach eigenem Gutdünken aneignen. Nur vage klingendie hermeneutischen Grundprinzipien und die Bemühungen um das‚Dichterwesen‘ an, wie sie die Münchner formulieren. Seeliger nutztpoetologische Verse zum einen für die Trivialisierung einer komplexenÜbersetzungstheorie, zum anderen für die programmatische und auto-ritativ abgesicherte Selbstbehauptung. Seeligers Übersetzer-Poetikrechtfertigt die eigene Willkür im Mantel eines eigentümlichen Besser-verstehens – und nicht eines solchen Wesen- und Kontext-Verstehens,das sich auf Schleiermacher berufen kann. Dementsprechend gestaltetSeeliger seinen Text frei nach der Vorlage. Daß diese neuen Praktikenübersetzerischer Bedeutungsreflexion keine hochwertige Poesie garan-tieren, läßt sich aber nicht nur für Seeligers Tennyson-Übertragungenzeigen, sondern auch für andere Übertragungen, die ebenfalls – undvermittelt über Seeliger – von der (modifizierten) Übersetzungstheoriedes Münchner Dichterkreises profitieren.

Ausdruck / Hier von des Dichters Geblüt bis in das Kleinste getränkt. / Auch in ver-wandelter Form noch wirken Bericht und Gedanke, / Doch die Empfindungschwebt einzig im eigensten Wort.“

188 Giroday 1978, S. 24 f.189 Ebd., S. 26 f.190 Ebd., S. 31.191 Ausführlich gezeigt in: Werner 1996, S. 316–328.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden222

Konsequenterweise kündigt Seeliger sein Gedicht als eines „NachAlfred Tennyson“ an. Er interpretiert das Original, indem er es mit an-deren Vokabeln und hinzuerfundenen Adjektiven versieht: „Müd war’szu regnen“ anthropomorphisiert den Vers des Originals, „Häuser-meer“ wandelt den ursprünglichen Ausdruck ab, „Pelikan auf lustigerWelle“ reißt aus dem räumlichen Kontext heraus und verändert die ur-sprüngliche Bedeutung gänzlich, „Reptil“ klassifiziert die „snake“ ab-strakt, „Falke“ erweist sich ausnahmsweise als wortgetreu, „blutig,frisch“ dramatisiert über Gebühr. Ein einheitliches Übertragungsprin-zip jedenfalls liegt dieser Wortwahl nicht zugrunde; hier regiert dieWillkür eines sprunghaften Interpreten. Sie trifft auch die Inspirations-poetik von The Poet’s Song. Wie im Fall Freiligraths fällt sie nämlichder Übersetzung zum Opfer: Aus dem „wind“ der Inspiration wird„ein lindes Lüftchen“, aus „what the world will be“ ein Singen „vomEinst“. Tennysons Poet gerät zum ‚historistischen‘ Dichter. Wie derDichter Tennysons richtet er sich zwar auf ein reflexives Kunst-Uni-versum, aber ihn bewegt bloß die Muse der Vergangenheit und nichtdie Zukunft der (künstlerischen) Welt.

Seeligers ‚Übertragung‘ wirkt nach: „Falke“ für „hawk“ findet sichauch bei Strodtmann und Rugard. Karl Vollheim verwendet „Schattenwallten“ aus Seeligers viertem Vers, und zwar in der Umkehrung „wall-ten Schatten“:

Des Dichters LiedDer Regen verlor sich; der Dichter stand auf,

Er nahm durch die Stadt und das Thor den Gang;Ein Wind blies frisch von der Sonne herab,

Und Schatten wallten das Korn entlang.Und er setzte sich nieder am einsamen Ort,

Laut singend ein Lied mit süßem Klang,Das hemmte den Flug des Schwans in der Luft

Und die Lerche lauschte dem Sang.Die Schwalbe ließ ab, wie sie Bienen fing,

Und die Schlange glitt unter den Stein;Mit daunichtem Schnabel verweilte, den Fuß

Am Raube, der Sperber und sah darein.Die Nachtigall dachte: „Ich sang manch Lied,

Doch nimmermehr eines so wunderfein:Denn er singt, was, starben, die Jahre dahin,

Einstmals die Welt wird sein.“192

192 Vollheim 1863, S. 548.

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2. Britische und deutsche Lyrik 223

Anders als all seinen Vorgängern gelingt es Vollheim, das Reimschemades Originals beizubehalten (a b c b d b e b). Auch wahrt er – wieHertzberg – die poetologische Bedeutung des Originals, ja steigert denAspekt der Inspiration sogar: Hier bläst der Wind „frisch von der Son-ne herab“. Das Tor entfällt; die Inspiration trifft den Poeten, der dieZukunft der Welt kündet, unmittelbar. Strodtmann hingegen verfolgtein anderes ‚Übersetzungskonzept‘. Er fügt die Übertragungen Freilig-raths und Hertzbergs bloß mit kleinen Änderungen zu einem eigenenText zusammen:

Des Dichters Lied

Der Regen ließ nach, der Dichter stand auf,Schritt aus der Stadt und hinaus in die Welt,

Von den Thoren der Sonne kam leis ein Wehn,Und von Schatten wogte das Weizenfeld.

Und er setzte sich hin an einsamen Ort,Und sang eine Weise, laut und süß,

Daß der wilde Schwan anhielt im Gewölk,Und die Lerche sich niederließ.

Die Schwalbe vergaß ihre Bienenjagd,Die Schlange schlüpfte ins Laub,

Mit der Dun’ am Schnabel starrte der Falk,Die Kralle gestemmt auf den Raub.

Und die Nachtigall dachte: ‚Ich sang manch Lied,Doch keins von so fröhlichem Ton;

Denn er singt von dem künftigen Tag der Welt,Wann die Jahre starben und flohn.‘193

Strodtmanns Verse eins, sechs bis neun, dreizehn und sechzehn stam-men fast vollständig, die Verse drei und elf teilweise von Freiligrath.Die Verse fünf, zehn und der Ausgang des zweiten Verses lassen sichauf Hertzberg zurückführen. Für den Tennyson-Text ergibt sich dem-zufolge eine inkonsistente Poetik: einerseits gerät die Inspirationspoe-tik mit dem Rückgriff auf das „Wehn“ Freiligraths ins Hintertreffen,andererseits schreibt Strodtmann dem Poeten prophetische Fähigkei-ten zu (Verse sieben und acht der zweiten Strophe). Strodtmann alsokanonisiert die beiden frühesten deutschen Fassungen von The Poet’sSong, ohne auf die Bedeutung des Ursprungstexts zu achten oder eine

193 Tennyson 1868, S. 117. Möglicherweise ist der kompilatorische Charakter derStrodtmann-Übersetzung der Grund dafür, daß Max Kegel ausgerechnet dieseÜbersetzung in seine Anthologie übernimmt (Kegel 1890, S.32).

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden224

poetologisch konsistente Neu-Interpretation vorlegen zu wollen. Dieeigene ‚Übersetzungspraxis‘ des weder originalgetreuen noch originel-len ‚patchwork‘ verteidigt Strodtmann in einem Vorwort:

Ich habe nach den in der Vorrede zu meiner Uebersetzung Shelley’s194 ausge-sprochenen Grundsätzen geglaubt, die Arbeiten meiner Vorgänger [er er-wähnt die „gediegenen Übersezungen“ Freiligraths und Hertzbergs] nichtunbenutzt lassen zu dürfen [...].195

Rugard, Sophie von Harbou und Prinzhorn antworten auf diesen Ver-such, den Stand der Übersetzungsbemühungen stillzustellen undÜbertragen als Abschreiben zu begreifen.196 Sie öffnen The Poet’s Songfür eigene Deutungen und können sich darin durch die Übersetzungs-theorien des Münchner Dichterkreises, vor allem aber durch die trivia-lisierende Übersetzer-Poetik Seeligers gerechtfertigt sehen:

Des Dichters LiedEin milder Regen fiel, vom Traum erwachtTreibt’s den Poeten aus der Stadt zu flieh’n,Es weht ein leichter Wind vom Morgen her,Und Schattenwogen durch den Weizen zieh’n;Ein einsam Plätzchen wählt der Sänger sich,Und wonnevoll und laut sein Lied erklingt,Da selbst der wilde Schwan im Fluge ruht,Die Lerche ihm, dem Herrn, zu Füßen sinkt.Die Schwalbe jagt nicht mehr der Biene nach,Die Schlange birgt in’s Gras ihr dunk‚les Kleid,Der wilde Falk‘, den Flaum und Schnabel stutzt,Den Fuß auf seiner Beute; stilles LeidErfaßt die Nachtigall: „Nie sang mein LiedSo hohe Lust, so hohe Seligkeit,Er jubelt laut, was aus der Welt einst wird,Wenn dahin gestorben die Zeit.“197

Zwar wahrt Rugard das Reimschema Freiligraths, aber er weicht inzahlreichen Vokabeln und Wendungen von den bekannten Fassungendes Tennyson-Gedichts ab. Hier entfallen Worte des Originals (z. B.

194 Siehe dazu Schmid 1999.195 Strodtmann: Vorwort des Übersetzers, in: Tennyson 1968, S. 7.196 Anne-Marthe Jähne kam für Strodtmanns Übersetzungen zu dem Ergebnis, daß sie

„zu den besten Verdeutschungen der Gedichte von Tennyson“ gehören; dies. 1954,S. 29. Strodtmanns Bezüge auf Freiligrath und Hertzberg sind ihr dabei zwar nichtentgangen, aber sie prüfte nicht, wie weit Strodtmann diese Bezüge trieb.

197 Tennyson 1872, S. 125 f.

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„gates of the sun“) zugunsten einer Romantisierung und Dynamisie-rung des Texts, die aber gleichwohl die Inspirationspoetik und das re-flexive Kunst-Universum von The Poet’s Song wahrt. Harbou verän-dert das Original in vergleichbarer Weise.

Des Dichters Sang

Vorüber der Regen! Nicht säumt er,Der Dichter – enteilet dem Städtlein geschwind.Von der Sonne Pfort’ zog ein Lüftlein daher,Das Weizenfeld wogte im Wind:Zu einsamem Ort sein Fuß ihn trug,Und süß melodische Weis’ er sang,In den Wolken der Wildschwan hemmte den Flug,Ihm zu Füßen die Lerche sich schwang.

Es schlüpfte die Schlang’ unter bergenden Stein,Von den Bienlein die Schwalbe ließ ab,Beim blutigen Raub hielt der Habicht ein,Starrt’ die Beute umkrallend, herab.Und die Nachtigall dachte: „Auch ich sang viel,Doch nimmer so lustigen Sang:Denn er singt, was auf Erden noch werden will,Wenn einst Zeit und Leid verklang!“198

Unter formalem Aspekt erweist sich Harbous Übertragung als radikal-ste, weil sie sich vollständig vom Reimschema des Originals trennt, undstatt dessen schlichte Kreuzreime verwendet. Ihre Wortwahl ähneltderjenigen Rugards: Auch Harbou betont die Eingangsverse; ihr Dich-ter ‚enteilt‘ dem „Städtlein“; wie Seeliger spricht sie von der ‚blutigen‘Beute des (Hertzbergschen) Habichts. Noch mehr als Rugard verleihtsie dem Gedicht Tempo, und zwar durch den Ausruf in der ersten Zeile.Aber sie verniedlicht den Tennyson-Text, indem sie die Diminutivform„-lein“ gleich dreimal verwendet („Städtlein“, „Lüftlein“, „Bienlein“).Dabei entgeht ihr gleich zweierlei: erstens die Inspirationspoetik desOriginals, denn sie doppelt die Wind-Metaphorik, interpretiert „Lüft-lein“ und „Wind“ bloß als natürliches und nicht als poetologisches Er-eignis. Zweitens verbindet sie das Kunst-Universum des Tennyson-Texts mit der physikalischen Natur: „shadows“ entfällt; der Poet be-wegt sich – wenn auch als Prophet – in der natürlichen Natur. Auf Har-bous Goldschnitt-Bändchen Balladen und Gedichte. Von Alfred Ten-nyson (1894) ist ein Haus an einem See mit blauen Blumen, Seerosen

198 Tennyson 1894, S. 122.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden226

und Libellen abgebildet. Vermutlich sollte die zierliche Darstellung denLeser auf den possierlichen Inhalt einstimmen.

Nicht minder frei ist die Übertragung von Wilhelmine Prinzhorn(1894), die noch Hans Bethge in seiner Anthologie Die Lyrik desAbendlandes in neuerer Zeit (1907) abdruckt:

Des Dichters Lied

Der Regen ließ nach, der Dichter stand auf,Aus den Gassen der Stadt ins freie er zog;

Von der Sonne Toren kam weich ein Wind,Übers Weizenfeld Licht und Schatten flog.

Und er setzte sich hin in die EinsamkeitUnd sang eine Weise so süß und laut,

Daß die Lerche zu seinen Füßen saßUnd der wilde Schwan aus den Wolken schaut’.

Die Schlange schlüpfte aus dem Gebüsch,Die Schwalbe hat jäh ihr Jagen gehemmt,

Mit der Dun’ am Schnabel der Habicht stand,Auf den Raub die Kralle gestemmt.

Und die Nachtigall dachte: „Ich sang manches Lied,Doch nie eines wie dieses so hold,

Denn er singt und sagt von der Zukunft der Welt,Wenn die Zeiten dahingerollt!“199

Für die erste Strophe erborgt Prinzhorn Wendungen von Freiligrath,nämlich den gesamten ersten Vers, den Ausdruck „der Sonne Toren“und den Wortlaut des sechsten Verses. Darüber hinaus entstammen das„Gebüsch“ der Seeliger- und der „Habicht“ der Hertzberg-Übertra-gung; Vers zwölf zitiert Strodtmann. Im übrigen dichtet Prinzhorndurchaus eigensinnig, aber nicht gerade kongenial: Manche Wortreiheklingt eigentümlich und verändert den Sinn des Ausgangstexts („Daßdie Lerche zu seinen Füßen saß“; „und der wilde Schwan aus den Wol-ken schaut“; „Die Schwalbe hat jäh ihr Jagen gehemmt“). Daß Prinz-horn die Verse sieben und acht umgruppiert, dient zwar dazu, dasReimmuster zu wahren, aber es erhellt auch, wie sehr sich die interpre-tierende Übersetzung vom Original löst. Im Blick auf die neu erfunde-nen Vokabeln zeigt sich dabei vor allem, wie Prinzhorn die bildhaftenSchilderungen Tennysons auf bestimmte Topoi verkürzt: „Und er setz-te sich hin in die Einsamkeit“, interpretiert die Situation zwar richtig,gibt die bildhafte Darstellung aber auf. Gleiches gilt für die „Zukunft

199 Tennyson: Des Dichters Lied, in: Prinzhorn 1894, S.261; Bethge 1907, S. 142 f.

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2. Britische und deutsche Lyrik 227

der Welt“, die der Poet singt. Prinzhorn gelingt es zwar, die Inspira-tionspoetik und das reflexive Kunst-Universum von The Poet’s Song zuvermitteln – jedoch nur um den Preis einer Topisierung, die die topi-sche Struktur des Originals noch überbietet. Vermutlich formuliertBethge in seiner Einleitung für Die Lyrik des Abendlandes auch imBlick auf diese Verwandlung des Tennyson-Texts: „Jede Übersetzungist ein Notbehelf.“200

Für The Poet’s Song bestätigt sich diese Selbstsicht des Anthologi-sten und Übersetzers: Übersetzungen des Texts weichen bereits in den1860er Jahren erheblich voneinander ab, obwohl sich ihre Verfasser imwesentlichen dem Prinzip der Formtreue verschreiben. Eigenständige(oder besser: eigensinnige) Interpretationen vom Typus derjenigenSeeligers sind nichts Außergewöhnliches.201 Fast alle Übersetzungendeuten die Poetik, die das Original veranschaulicht, im eigenen Sinneum: zugunsten einer quasi-realistischen (Freiligrath), zugunsten einer‚historistischen‘ (Seeliger) und zugunsten einer ‚ganz natürlichen‘Poesie (Harbou). Darüber hinaus läßt sich im Ausgang von den Über-setzungspoetiken des Münchner Dichterkreises ein allgemeiner Trendhin zu einem freieren Umgang mit der Quelle ausmachen. Hier paartsich Innovation in Übersetzer- und Übersetzungspoetik mit dempraktischen Umstand, daß wort- und formgetreue Interpretationvorliegen und kaum noch verbessert werden können. Die neuen undhermeneutisch abgesicherten, kreativen oder gar willkürlichen Über-tragungen führen aber zu neuen Problemen. Gerade um 1900 trifftman Tennysons Poetik immer weniger. Übersetzerinnen wie Harbouund Prinzhorn versuchen nurmehr, The Poet’s Song in die eigeneErlebniswelt hineinzuholen. Der Text wird trivialisiert, nicht reflek-tiert. ‚Mit Geibel‘ stellt Seeliger dem Übersetzer eine Lizenz zur Will-kür aus, die offenkundig nachhaltig auf Tennyson-Übertragungenwirkte.

Obwohl sich Geibel selbst für die Übersetzung und VerbreitungTennysons in Deutschland einsetzt,202 bestärkt er – wider Willen – denTrend zu einer Abwertung Tennysons. Der ‚poeta doctus‘ wird nach

200 Bethge 1907, S.V.201 Vergleichbares ließe sich für zwei weitere frühe poetologische Gedichte Tennysons,

nämlich für jene fünf ‚Verdeutschungen‘ oder Editionen von „The Poet“ (1830;Hertzberg 1853; Fischer 1854; Seeliger 1863; Strodtmann 1868; Rugard 1872) undfür die Edition und Übersetzung von „The Poet’s Mind“ (1830; Fischer 1854; Ru-gard 1872) beschreiben.

202 Giroday 1978, S. 59.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden228

und nach aus dem deutschen Kanon englischer Lyrik verdrängt.203 Fürsein Vorwort zu H. Grünings Ausgewählte Dichtungen von AlfredTennyson (1869) verknüpft Geibel zahlreiche negative und nur wenigepositive Ansichten über die Lyrik Tennysons zu einem festen Mei-nungsbündel. Zwar rühme man Tennyson in England zu Recht, auchgebühre ihm „Anerkennung, wenngleich in etwas gedämpfterem Toneund ohne den Dichter von Locksley-Hall mit dem Sänger des ChildeHarold auf dieselbe Stufe zu stellen.“204 Der solide Verseschmied Ten-nyson gegen den titanischen Dichter-Helden Byron – so stellt sich dasenglische Dichter-Szenario für den Münchner Hofpoeten in den 1860erJahren dar:

Tennyson ist kein Bahn brechender Genius, wie sie zumeist nur im Beginnaufsteigender Literaturepochen hervortreten; er trägt durchaus den Stempeleiner eklektisch gewordenen Zeit. Aber er ist ein schönes und vielseitigdurchgebildetes Talent, ein liebenswürdiger Charakter, ein gewissenhafterKünstler. Seine Dichtungen gleichen weniger einem in titanischer Üppigkeitschießendem Urwalde, als einem reizenden wohlgepflegten Garten. Zu By-ron verhält er sich etwa, wie Mendelssohn zu Beethoven.205

Mit Blick auf Tennyson beklagt Geibel die „Schwächen des Epigonen-thums“, die „descriptive Breite“, die „akademische Neigung zu allego-risierenden Ausführungen“.206 Gleichwohl – oder gerade deshalb –zeichneten sich Tennysons Gedichte durch eine „civilisierte[] Sauber-keit des Styls“ und durch einen „Wohllaut des Verses“ aus.207 Darüberhinaus meistere Tennyson psychologische Schwierigkeiten souverän.Es verwundert im Blick auf diese Urteile nicht, daß sich Geibel von denfrühen poetologischen Gedichten Tennysons und damit auch von derfrühen Tennyson-Rezeption im Umfeld sowie in der Nachfolge Frei-ligraths distanziert, um sich statt dessen Tennysons Balladen zuzuwen-den. Geibel zufolge veranschaulicht der englische ‚poeta doctus‘ näm-lich das Dilemma des Zeitalters: Trotz der Inspirationspoetik neigtTennyson zum akademisch korrekten, aber wenig lebendigen Dich-ten – ein Charakteristikum, das auch Geibels Texte auszeichnet.

203 Bezeichnenderweise schließt sich noch Wilhelm Meyer in seiner Studie über diedeutschen Tennyson-Übersetzungen dem Urteil Geibels an; W. Meyer 1914, S. 17.

204 Tennyson 1869, S. 3.205 Ebd., S. 3 f.206 Ebd., S. 4.207 Ebd.

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2. Britische und deutsche Lyrik 229

Er reiht sich mit dieser Klage über die Gedichte Tennysons und überdas ‚Muster Tennyson‘ in einen Chor der gemäßigten Tennyson-Kriti-ker ein, der sich erstmals in einer Rezension für Das Magazin aus demJahr 1865 formiert. Sie entdeckt die neuen britischen Dichter. Tennysongebührt dabei zwar noch einer der vordersten Plätze, aber nicht mehrder unbestrittene erste Platz: In Elisabeth Barret Browning, RobertBrowning, Charles Mackay, Christina Rossetti u.a. sei ihm Konkurrenzerwachsen.208 Vor allem Robert Browning darf sich der Aufmerksam-keit sicher sein, weil er – anders als Tennyson – wilder und intensiverTöne mächtig sei. Im Jahr 1872 kommt Algernon Charles Swinburnehinzu, ein ‚echter Seher unter den Engländern‘,209 und im Jahr 1878heißt es endlich über Browning, er sei „unbestreitbar der größte“ unterden englischen Poeten.210 Tennyson bleibt deshalb nur noch der Ruhmdes akribischen und des technisch versierten Dichters, der seine Spon-taneität und „Gedankentiefe“ in den späten Jahren aber ganz und garverlor.211 Es überrascht nicht, daß Tennyson bereits zu Lebzeiten Ge-schichte wird: Eine erste Bio-Bibliographie erscheint im Jahr 1881.212

Mit ihr beginnt die Musealisierung Tennysons; seine Gedichte aber ver-schwinden in den Rumpelkammern der Lyrik-Geschichte.

Der Grund dafür liegt – nach Geibel – in einem Reflexionsüber-schuß, an dem Tennysons Lyrik ebenso leidet wie die übrige Lyrik desmittleren 19. Jahrhunderts. Lebensnähe, „Unmittelbarkeit“ und Naivi-tät stehen ihr nicht mehr zu Gebote. Sie will der trivialen Wirklichkeitmit den Mitteln der Allegorie und poetologischer Topoi beikommen.Diese Einschätzung zeitgenössischer Lyrik bestätigt das Urteil Hegels

208 England. Moderne englische Lyrik und Poesie, in: Magazin 67 (1865), S. 115–118.209 England. Algernon Charles Swinburne, in: Magazin 81 (1872), S. 128 f., hier S. 129:

„Algernon Swinburne besitzt ein rechtes Maaß von all den Eigenschaften, welcheden Dichter machen. Zuvörderst jene wunderbare, den Leser mit Staunen, ja fast mitGrausen erfüllende Divinationsgabe, welche blitzschnell die geheimsten Motivemenschlicher Handlungen, die verborgensten Uebergänge menschlicher Gedankenerhellt, vor welchen das Herz offen daliegt, wie der Glaube lehrt, daß es vor Gott da-liege – jene Gabe, welcher der Dichter bei den Alten den Namen vates – Seher – ver-dankte; dazu eine gewaltige, hinreißende Leidenschaftlichkeit, die nur übertroffenwird von der Gestaltungskraft [...].“

210 England. Robert Browning’s neueste Dichtungen, in: Magazin 94 (1878), S. 615 f.,hier S. 615.

211 So sieht es zumindest Käthe Freiligrath: [Rez.] England. Neueste Gedichte von Al-fred Tennyson, in: Magazin 99 (1881), S. 21 f., hier S. 21.

212 August Zapp: England. Alfred Tennyson, der lorbeergekrönte Dichter, in: Maga-zin 99 (1881), S. 200–203.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden230

noch Jahrzehnte nach seiner Ästhetik – so sehr sich seine Schüler dage-gen wenden: In der Epoche der „Reflexionsbildung“ ist es um dieKunst schlecht bestellt. Selbst- und fremdreflexive Bemühungen – etwader Übersetzer – gleiten nicht selten in Trivialität ab. Die Sehnsuchtnach dem Unmittelbaren oder nach einer gemeinsamen poetischenSprache vermittelt in solchen Fällen nurmehr sich selbst. Für diesen Be-fund gilt es jedoch, eine quellenkritische Bemerkung einzuflechten: Inder Nachfolge Freiligraths nehmen Anthologisten zwar poetologischeGedichte Tennysons auf, wählen mit The Poet’s Song jedoch einen Text,der eine einschlägige Topik vorgibt. Die komplexere Reflexionsdich-tung (The Lady of Shalott, In Memoriam) entgeht dem anthologisti-schen Zugriff. Vergleichbares gilt für die deutsche Rezeption französi-scher poetologischer Lyrik.

3. Französische und deutsche Lyrik:Sozialkritik und die hohe Schule der Übersetzungspoetik.

Léon Halévy La Poésie in Übertragungen vonHeinrich Leuthold, Heinrich Nitschmann

und Theodor Vulpinus

Dem Engagement der Arbeitsgruppe „Transferts culturels – Pays ger-maniques“ am „Centre national de la recherche scientifique“/„Écolenormale supérieure“ (Paris) ist es zu verdanken, daß sich die Forschungüber den deutsch-französischen Austausch vor allem im 19. Jahrhun-dert überaus rege gestaltet.213 Von der Literatur- bis hin zur Wissen-schaftsgeschichte:214 nahezu jeder Bereich trans- oder interkulturellerPraxis des 19. Jahrhunderts wurde bereits angesprochen. Weil auch dieLyrik-Anthologien gut erschlossen sind,215 fällt es leicht, sogleich aufdie Rezeption poetologischer Lyrik zu sprechen zu kommen, und zwarauf die Rezeption solcher Texte, die der viel behandelten ‚großen fran-zösischen Lyrik‘, der Dichtung Baudelaires, Verlaines, Mallarmés,Rimbauds und Valérys vorausgehen.216

213 Siehe die Übersicht in: Espagne 1999.214 Siehe die Beiträge in: Espagne u. Werner 1994.215 Siehe Keck 1996 u. 1996a.216 Diese haben seit Friedrich (1996) hinreichend Aufmerksamkeit erfahren; einen

Überblick gibt Bridgwater 1995.

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3. Französische und deutsche Lyrik 231

Das weite Feld dieser frühen französischen poetologischen Lyrik er-schließt sich, zieht man Werner Schönermark Anthologie lyrique(1878)/Französisches Liederbuch (1878) zu Rate. Wie Freiligrath TheRose, Thistle and Shamrock schreibt Schönermark der poetologischenLyrik einen besonderen Stellenwert zu – nicht als einem eigenen Genreallerdings, sondern als eine Gedichtfolge unter der Rubrik „La Vie Hu-maine“/„Menschenleben“. Sie besteht – in der deutschen Fassung – auself Texten: Alfred de Musset Impromptu en réponse à cette question:Qu’est-ce que la poésie? (1839)/Impromptu als Antwort auf die Frage:Was ist Poesie? (Übersetzung: G. Emil Barthel), Léon Halévy La poé-sie/Die Poesie (Übersetzung: Heinrich Nitschmann), Nicolas MartinLes legs du poète/Des Dichters Vermächtnis (Übersetzung: MoritzHartmann), Les deux semeurs/Die beiden Säemänner (Übersetzung:G. Emil Barthel), Colibri (in zwei Fassungen von G. Emil Barthel),Notes perdues/Verlorene Klänge (Übersetzung: August Sturm), Lachanson du poète (1873)/Des Dichters Lied (Übersetzung: G. EmilBarthel), Auguste Brizeux Les batteurs de blé/Die Schnitter (Überset-zung: Sophie Hasenclever), Jean-Pierre de Béranger Ma vocation(1816)/Mein Beruf (Übersetzung: Franz Freiherr Gaudy) und Adieu,chansons!/Lebt wohl, ihr Lieder (Übersetzung: Adalbert von Chamis-so). Die französische Fassung Anthologie lyrique enthält darüber hin-aus drei Texte, für die Schönermark offenkundig keine zureichendendeutschen Übertragungen fand: Thalès Bernard Ma poésie, BaudelairesL’albatros und Victor Hugo Le poète s’en va dans les champs (1831).

Einige dieser Texte haben im 19. Jahrhundert bereits kanonischenStellenwert erlangt: Béranger Ma vocation und Halévy La poésie vor al-lem,217 wobei Bérangers Text mit Abstand am häufigsten genanntwird,218 und für Béranger überhaupt gilt, daß er neben Victor Hugo so-

217 Bérangers Text findet sich auch in: Scherr 1855, S. S. 451 f.; Büchner 1859, S. 1 f.; Ur-bas 1865, S.64 f.; Laun 1869, S.50 f.; Mehring 1888, S.7 f.; Mehring 1900, S.9–11; Jaffé1908, S. 27 f.; auf Halévy komme ich gleich eingehend zu sprechen.

218 Die Traditionslinien für die Rezeption französischer poetologischer Dichtung inDeutschland lassen sich gut verfolgen, vergleicht man Schönermarks Sammlungenmit der älteren Anthologie von Otto E. v. Urbas. Urbas’ „Die Dichter Frankreichs“(1865) nimmt ebenfalls eine Rubrik „Poesie“ in seine Anthologie auf, wenn auch nurals Teilgebiet eines Kapitels, das „Gott und Natur. Schauen und Ahnen. Poesie“ über-schrieben ist. Urbas führt folgende Texte an, auf die immer wieder – nicht zuletzt vonBrandes (1872) – hingewiesen wird: Lamartine „Der sterbende Dichter“, Reboul„Meine Leier“, Béranger „Mein Beruf“, Lamartine „Der Genius der Verborgenheit“,Reboul „Antwort“, Halévy „Die Poesie“. Béranger und Halévy sind hier also bereitsvertreten; die Bedeutung von Lamartine und Reboul geht im folgenden zurück.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden232

wie vor Lamartine und Alfred de Musset zu den „am stärksten vertre-tenen französischen Lyrikern“ im Deutschland des 19. Jahrhundertszählt.219 Lamartine Der sterbende Dichter findet sich gelegentlich unterden poetologischen Texten,220 aber ausgerechnet Hugo, der zahlreichepoetologische Gedichte schreibt, wird vor allem als politischer Dichterund als Dichter des Orientalischen wahrgenommen. Freiligraths früheÜbersetzung von Hugo Der Dichter in den Revolutionen221 beispiels-weise kennt keine Nachahmer. Nur Brandes betont die Bedeutung vonHugos poetologischen Texten, vor allem diejenige der Widmungsge-dichte von Hugo an Lamartine.222 Er nutzt sie, um die selbstgesetzteZäsur zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert herauszustellen: die Zäsurzwischen moralisch-normativem und sozialkritischem, individuellemund liberalem Dichten.223

Bérangers Ma vocation hingegen ist in der Mitte des 19. Jahrhundertsbereits gut bekannt und heute – wie die Béranger-Rezeption über-haupt – bestens erforscht.224 Es verwundert nicht, daß Herwegh, Adal-bert von Chamisso und andere von dem sozialkritischen Dichter begei-stert sind. Ma vocation – zumeist reichlich verkehrt als ‚Mein Beruf‘übersetzt – steht paradigmatisch für seine lyrisch vermittelte Sozialkri-tik: Hier berichtet ein armer Poet über sein trauriges Schicksal, suchtund findet sein Heil in der Dichtung. Béranger spielt mit Mustern derSozialkritik und stellt den Dichter als Unterdrückten dar, der sichdurch sein Lied befreit. Die Rezeption von Bérangers Ma vocation hält

219 Die Auswertung stammt von Keck 1996a, S. 337.220 Enthalten in: W. Wagner 1835, S. 169–175; Viehoff 1887, S. 23–27.221 Dazu K. Richter 1976, S. 15 u. passim.222 Brandes 1874, III, S. 290 (möglicherweise mit Blick auf Urbas’ Anthologie): „An

Lamartine sind mehrere Gedichte gerichtet – Hugo schreibt, er wolle auf demselbenStreitwagen wie Dieser stehen, Lamartine solle die Lanze führen, er wolle die Rosselenken, – und diese Gedichte gehören zu den interessantesten, theils weil sie außer-ordentlich schön sind und von Hugo’s zugleich ehrerbietigem und brüderlichemVerhältnisse zu dem älteren Dichter zeugen, theils weil ihnen neben den religiösenund socialen Erscheinungen ästhetische Gesichtspunkte hervortreten. In all’ diesenGedichten zeigt sich, wie ernsthaft der junge Dichter seinen Beruf aufgefaßt hat.Dieser Beruf wird überall als der des Propheten bezeichnet. Ein Seher, ein Völkerhirtist der Dichter, ja, von Lamartine heißt es, man sollte glauben, Gott habe sich ihmvon Angesicht zu Angesicht offenbart.“

223 Ebd., S. 291. Aufgrund der geringen Wahrnehmung seiner poetologischen Textewird Hugo hier aber nicht ausführlich berücksichtigt. Hugo fand aber – auch nachKortländer 1988 – insgesamt vielfach Beachtung: siehe beispielsweise Zelle 1995,S. 291–303; König 2001, S. 55–68.

224 Rieger 1993; Keck 1996a.

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3. Französische und deutsche Lyrik 233

das Ideal des armen Poeten wach; Halévy aber überträgt es auf dieDichtkunst selbst. Wenn ausgerechnet diese beiden poetologischenTexte im deutschen 19. Jahrhundert zu denjenigen zählen, die am häu-figsten aufgenommen werden, dann zeigt sich, daß deutsche Antholo-gisten und Übersetzer in der französischen Lyrik – ganz anders als inder britischen – vor allem sozialkritische Muster suchten, die den Re-zeptionsinteressen des Jungen Deutschlands entgegenkommen und diesogar noch auf die nach-naturalistische Lyrik wirken:225 Alfred de Mus-sets poetologische Gedichte beispielsweise erleben durch KarlHenckells Übertragungen im Jahr 1910 eine Renaissance.226 Dieser Be-fund überrascht, berücksichtigt man den Umstand, daß England alsHort liberaler politischer und sozialer Ideale gilt. Aber ausgerechnetaus England importiert man formschöne Naturdichtung. Für dieWahrnehmung poetologischer Lyrik kehren sich die Selbstverständ-lichkeiten der Rezeptionsforschung um.

Mehr noch: Es ist ausgerechnet die poetologisch gestaltete Sozialkri-tik eines Franzosen, nämlich diejenige Halévys, die in Deutschlandpoetologische Konflikte hervorruft. Diese Konflikte führen in dasHerz des Münchner Dichterzirkels; sie fordern seine Übersetzungs-poetik oder -stilistik am Beispiel einer Übersetzung heraus. Für denBeleg dieser These bedarf es eines genauen Blicks in die Anthologienvon Schönermark ebenso wie in die Fünf Bücher französischer Lyrik(1862), gemeinsam verantwortet von Emanuel Geibel und HeinrichLeuthold (1827–1879). Schönermark nämlich bezieht sich emphatischauf Geibel und auf die Übersetzungspoetik der Münchner: „Dem ver-ehrten Dichter Emanuel Geibel als vortrefflichem Übersetzer franzö-sischer Dichtungen“, so lautet die Widmung Schönermarks in derdeutschen Ausgabe seiner Anthologie. Er kappt die komplexe Über-setzungshermeneutik der Münchner, vor allem Heyses, zugunsten ei-ner – in erster Linie – formalen Übersetzungspoetik und -stilistik: DieÜbertragung sei „Abbild der Originaldichtung“,227 „poetisches Kunst-werk“,228 setze auf „Reinheit, Leichtigkeit, Eleganz und Adel der Spra-che, Wohlklang des Metrums, Reinheit des Reims“.229 Nur die Beto-

225 Strodtmann (1863) zeichnet diese Tendenz französischer Dichtung nach.226 Henckell 1910 übersetzt de Musset: „Nach einer Lektüre“, „Lied“ und „Dichter-

lust“.227 Schönermark 1878a, S. [VII].228 Ebd., S. IX.229 Ebd.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden234

nung der „Sinnes- und Stimmungstreue“ bricht das stilistische Idealvon Übersetzung,230 wie Schönermark es vorsieht.

Für seine Anthologie greift er den Textkanon der Münchner auf, abergerade für den Halévy-Text hält er sich nicht an Geibels und LeutholdsFünf Bücher französischer Lyrik: Schönermark druckt nicht einfachLeutholds Übersetzung des Halévy-Texts ab, die sich in den Fünf Bü-chern findet, sondern wählt eine andere.231 Diese Abweichung hat ihrenGrund. Denn Leutholds Übersetzung des Texts war kontrovers. Sie trugmöglicherweise zu dem Zerwürfnis zwischen Geibel und Leuthold bei,das im Ausgang aus dem gemeinsamen Übersetzungsprojekt stand.232

Zugleich erhellt sie die ‚Andere Seite‘ der Münchner Übersetzungspoe-tik: die Indienstnahme von Poesie zum politischen Zweck, zum Lob derMünchner Kultur, besonders zum Lob der Wohltaten von Maximilian II.

Wie konnte es dazu kommen, daß ein Gedicht die Einheit des elitärenMünchner Zirkels gefährdete? Ein Umstand fällt ins Auge: Halévy(1804–1884) tritt nicht nur als ein Gelehrter hervor, der es – als Über-setzer des Horaz (1831), als Mitglied des französischen Ministeriumsdes öffentlichen Unterrichts, als Autor von Dramen, Lustspielen, Ele-gien und als Herausgeber der Anthologie Poésies européennes(1828)233 – mit den Münchnern aufnehmen konnte, sondern er ist auchSaint-Simonist. Dieses politische und soziale Bekenntnis schlägt sich inseinem vielzitierten Text La Poésie nieder:

Elle était jeune, elle était belle;Son front, même au milieu des pleurs,empreint d’une grâce éternelle,Brillait de lumière et des fleurs;Sa voix faisait tomber les chaînesQui pèsent sur les malheureux;Elle endormait désirs et peines ...Où donc es-tu, fille des cieux?

Elle avait une chaste langage,Un doux sourire, un accent pur,

230 Ebd., S. VIII.231 Eine enorme Abweichung stellt allerdings auch der ausführliche Bezug auf die Texte

des französisch-deutschen Dichters Nicolas Martin dar.232 Über das Zerwürfnis Werner 1996, S. 317.233 Halévy will mit seiner Anthologie „un panorama du génie poétique chez les diverses

nations de l’Europe“ bieten; ders. 1828, Préface, S. III–VII, hier S. III. Seine Antho-logie enthält Gedichte von Lessing bis hin zu Schiller und Körner, von AlexanderPope bis hin zu Walter Scott.

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Soit qu’elle chantât dans l’orage,Ou pleurât sous un ciel d’azur:Elle venait, douce hécatombe,Parer nos travaux et nos jeux,Fêter la vie, ou bien la tombe ...Où donc es-tu, fille des cieux?

Elle était pleine de croyance,Aussi les peuples la croyaient;Quand elle parlait d’espérance,Tous les cœurs brisés espéraient:Libre, et fière de son empire,Au pouvoir d’un maître orgueilleuxElle ne vendait pas sa lyre ...Où donc es-tu, fille des cieux?234

Halévy erzählt von ‚der Poesie‘ als von einem ‚Mädchen der Himmel‘,baut eine dualistische Raumsemantik auf: hier die Poesie – dort die Welt,zu deren Schutz und Rettung ‚das Mädchen Poesie‘ antritt. Sie löst dieKetten der Elenden, feiert das Dasein schlechthin, das Leben ebenso wieden Tod, verbreitet Hoffnung. Für sie gilt wie für die Lyra, die Horaz inAd lyram/À sa lyre anruft: „O laborum / Dulce lenimen“,235 von Halévyfrei übersetzt als „[la] douce consolatrice des chagrins de l’homme[.]“236

Der Ort von Halévys Poesie bleibt – wie derjenige der Lyra des Horaz –utopisch: nur in ihrem Reich ist sie stolz und frei von der ‚Macht eineshochmütigen Meisters‘. Der Refrain ‚Wo also bist du, Mädchen derHimmel?‘ verweist auf die Chansonnier-Tradition. La poésie empfängtdemnach sowohl von der antiken Odendichtung als auch von der so-zialkritischen Liedlyrik des französischen 19. Jahrhunderts Impulse.Leuthold greift diese Impulse auf:

Die Poesie

Jung war sie und in Schönheit glänzend,Die Stirne, selbst wenn sie geweint,Mit einem Stral der Anmuth kränzend,Wie er durch Frühlingswolken scheint.Des Unglücks schwere Ketten lös’ten

234 Léon Halévy: La Poésie, in: Schönermark 1878, S.424 f.235 ‚O der Mühen / süße Linderung [.]‘ Horaz: Ad lyram/À la lyre [übers. v. Léon Ha-

lévy], in: Horaz 1831, S. 72–75, hier S. 74.236 Horaz: Ad lyram/À la lyre, S.75. – Vor allem die Begriffe „chagrins“ (Kummer) und

„consolatrice“ (Trösterin) wandeln den Sinn des Originals ab, indem sie es auf un-mittelbare Gemütsregungen bzw. auf deren Therapie verkürzen.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden236

Sich, wo sie kam; ihr liebstes ThunWar Sehnsucht stillen, Kummer trösten –

Wo, Kind des Himmels, bist du nun?

Der süße Reiz der Unschuld schmückteIhr Wort, ihr Lächeln, jeden Zug,Ob sie mit Kindern Blumen pflückte,Ob sie im Sturm die Harfe schlug;Sie heiligt mit ihren TönenDes Tages Mühsal wie das Ruhn,Und lehrt’ uns selbst den Tod versöhnen –

Wo, Kind des Himmels, bist du nun?

Noch glaubten, weil sie selbst voll glauben,An sie die Völker allerwärts;Es trugen ihres Liedes TaubenDie Hoffnung in manch wundes Herz.Voll Hoheit blieb sie fern dem Haufen;Kein Fürst vermochte, kein TribunIhr freies Lied je zu erkaufen –

Wo Kind des Himmels, bist du nun?237

Im übrigen übersetzt Leuthold aber frei, weicht ganz vom Sinn desOriginals ab und unterlegt ihm eine eigene Deutung.238 Er bedient sichzu diesem Zweck anderer Konjunktionen als das Original bzw. setztKonjunktionen, wo sich keine finden,239 um gedankliche Zusammen-hänge herzustellen. Während Halévy bloß Bilder aneinandereiht, un-terstreicht Leuthold auf diese Weise die sozialkritische bzw. -utopischeAusrichtung des Gedichts. Gleiches gilt für die topische Tendenz derÜbersetzung: Leuthold wählt „Frühlingswolken“ für „de lumière etdes fleurs“, „des Unglücks schwere Ketten“ für „les chaînes / Qui pè-sent sur les malheureux“, „Der süße Reiz der Unschuld schmückte“ für„Elle avait une chaste langage“, ‚Harfe schlagen‘ statt „chantât dansl’orage“, ‚mit dem Tod versöhnen‘ statt „Fêter la vie, ou bien la tom-be ...“. Leuthold vereindeutigt den Text, wo er düster und bildreichwird (z. B. „douce hécatombe“).

Ihren Höhepunkt erreicht diese Übersetzungspraxis in den letztenVersen von Die Poesie: „Kein Fürst vermochte, kein Tribun / Ihr freiesLied je zu erkaufen –“. Aus dem ‚hochmütigen Meister‘, der im Origi-

237 Geibel u. Leuthold 1862, S. 208 f.; auch abgedruckt in Urbas 1865, S. 74 f.238 Für starke Abweichungen siehe bereits die Verse drei bis fünf.239 Siehe schon den ersten Vers „und in Schönheit glänzend“; in der zweiten Strophe:

„Ob sie [...].“

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3. Französische und deutsche Lyrik 237

nal ganz abstrakt bleibt, wird der machtgierige Fürst, der sich der Poe-sie bloß bedienen will – sei es zum Zweck der Panegyrik, sei es für einrauschendes Fest zum Lobpreis seiner Majestät. Diese Verse erhellen,daß Leutholds Übersetzung in der Tradition des Jungen Deutschlandsteht, obwohl sie in einer der zentralen Anthologien für eine ästheti-sche Orientierung der deutschen Literatur im mittleren 19. Jahrhunderterscheint. Den Bedingungen des Publikationsorts zum Trotz reflektiertsich der politische Dichter hier im Gewand des gelehrten Saint-Simo-nisten. Während sich Halévy aber mit utopischen und bildreichen Vi-sionen begnügt, wird Leuthold konkret, begrifflich – und angreifbarfür einen Dichterzirkel, der sich dem Ideal des Hofpoeten verschriebenhatte. Maximilian II. konnten die Verse Leutholds ebensowenig gefal-len wie Geibel. Dabei handelt es sich aber um mehr als um bloß kultur-politische Vorlieben. Denn in der Tat nutzt Leuthold die vergleichswei-se freie Übersetzungspoetik der hohen Münchner Schule zugunstenpolitischer Zuweisungen. Er interpretiert sein Original – nicht als so-zialkritisch-utopischen Text, sondern als politisches Gedicht.

Es kann kein Zufall sein, daß Schönermark, der sich den poetologi-schen Übersetzungsidealen der Münchner verschreibt, die Überset-zung von Leuthold durch diejenige von Heinrich Nitschmann (*1826)ersetzt. Nitschmann unterhält keine Verbindungen nach München; erstudierte in Berlin, lebt seit 1855 auf einem Rittergut im ostpreußischenElbing, schreibt u. a. eine Geschichte der polnischen Literatur (1882,21889) und veröffentlicht Lyrik-Anthologien wie beispielsweise das Al-bum ausländischer Dichtung (1868).240 In der Übersetzung Nitsch-manns klingt Halévys Text ganz anders als in derjenigen Leutholds:

Die Poesie

Sie war so jung, sie war so schön;Auf ihrer Stirn war selbst im LeideDurch lichte blumige Geschmeide

Der Anmuth Strahlenglanz zu sehn.Bei ihrer Stimme löste sich

Die Kette, lastend auf dem Kummer,Die Leidenschaft versank in Schlummer ...

Du Himmelskind, wo find’ ich Dich?

Sie ließ so züchtig vor der WeltDurch Lächeln ihren Sang erzittern,Sie redete in Ungewittern

240 Hinrichsen 1891.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden238

Wie unter heiterm Himmelszelt,Und weihte sanft den Menschen sich.

Die Arbeit schmückend und die Freuden,Das Leben feiernd, wie das Scheiden ...

Du Himmelskind, wo find’ ich Dich?Sie blickte glaubend himmelwärts,

Drum glaubten ihr die Völker wieder;Und – sangen Hoffnung ihre Lieder,

Dann hoffte manch’ gebrochnes Herz:Sie fühlte freie Herrin sich,

Drum lieh sie zur erkauften FeierDer Großen niemals ihre Leier ...

Du Himmelskind, wo find ich Dich?241

Nitschmanns Übersetzung bleibt näher am Original, löst die offenenFormen aber ebenso wie Leuthold durch Konjunktionen,242 mitunterauch durch ganz ungeschickte Übertragungen auf.243 Nitschmannkommt es nicht auf eine politische Deutung des Gesamttexts an; viel-mehr verniedlicht und individualisiert er ihn und nutzt moralischeFloskeln.244 In Nitschmanns Die Poesie sucht ein Sprecher-Ich ein„Himmelskind“, das Kummer und Leidenschaft von den Menschennimmt, das sich ihnen ‚weiht‘. Die entscheidenden letzten Versen deu-ten den „maître orgueilleux“ auf andere Weise als Leuthold: Nitsch-mann schreibt von einer „erkauften Feier“ und abstrakt von „Großen“.Der Verweis auf einen ‚Meister‘ fehlt; den ‚Fürsten‘ oder ‚Tribun‘ Leut-holds spart Nitschmann aus.

Leuthold entdeckte Halévys Text für die deutsche Rezeption,245 aberer nahm ihn offenkundig in einer Weise auf, wie sie im Deutschland der1860er Jahre nicht statthaft war, schon gar nicht im Münchner Zirkel,aber auch nicht auf einem Rittergut im fernen Elbing. Doch selbstNitschmanns moralische und gemäßigte Übersetzung wird für den po-pulären Buchmarkt noch einmal überboten, und zwar durch TheodorVulpinus, einen ansonsten unbekannten Schriftsteller und Übersetzer.Erst seine Übersetzung findet Eingang in Fritz Gundlachs AnthologieFranzösische Lyrik seit der Großen Revolution bis auf die Gegenwart(1904), günstig zu erwerben durch Reclams Universal-Bibliothek.

241 Nitschmann 1868, S. 93 f.; übernommen in Schönermark 1878a, S. 245 f.242 „Auf ihrer Stirn“, „Durch lichte, blumige Geschmeide“ usf.243 Ganz ungeschickt ist beispielsweise „Sie redete in Ungewittern“.244 Gleichwohl übernimmt Nitschmann zahlreiche Ausdrücke Leutholds: „jung“,

„schön“, „Stirn“, „selbst“, „Anmuth“, „Kette“, „Lächeln“, „Hoffnung“, „Herz“.245 Geibel hatte sich seinerseits auf Lamartine und Hugo konzentriert; dazu Pradels 1905.

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3. Französische und deutsche Lyrik 239

Die Poesie

Sie strahlte hell in Jugendschöne,Ein Engelbild aus Duft und Licht,Dem selbst der Trauer KlagetöneSein göttlich Glänzen raubten nicht.Frei lauschten ihren Wohllautsfluten,Die in des Elends Banden sind,Die Seufzer und die Wünsche ruhten; –Wo weilst du, hohes Himmelskind?

Ob unter finstren Sturms Geräusche,Bei lichter Sonne Schein sie sang,Ihr Liedermund, der reine, keusche,Zu süßer Lust die Herzen zwang.Sie kam als Priesterin des Schönen,Uns, die der Gottheit dürftig sind,Mit Tod und Leben zu versöhnen –Wo weilst du, hohes Himmelskind?

Ihr Auge sah den Himmel offen;Sie zog die Welt zu sich empor;Sie sang von Glauben, Lieben, Hoffen,Und selig lauschte jedes Ohr.In ihrem Reiche stolz und freier,Als dieser Erde Herrscher sind,Verkaufte nie sie ihre Leier;Wo weilst du, hohes Himmelskind?246

Vulpinus setzt fort, was Leuthold und Nitschmann bereits vorgaben.Ihm gerät die Poesie zur Heiligen, zur moralischen Göttin, die sich inGlanz und Himmelsferne auflöst. Er überbietet die TopisierungenLeutholds und die Moralisierungen Nitschmanns aber noch einmal:durch Komposita („Jugendschöne“, „Engelbild“, „Klagetöne“, „Wohl-lautsfluten“, „Elends Banden“ usw.) und dadurch, daß er der sozialuto-pischen Bildwelt eine christliche überstülpt. Aus dem „Himmmels-kind“ Nitschmanns wird ein „Engelbild“, eine „Priesterin des Schö-nen“, die – ganz christlich – von „Glauben, Lieben, Hoffen“ kündet.Vulpinus spitzt den Dualismus zu, der in Halévys Text schon angelegt,aber nicht christlich gemeint ist: Dem irdischen Jammertal steht dasherrliche und quasi-christliche Reich der Poesie entgegen; „dieser ErdeHerrscher“ haben darauf keinen Einfluß.

246 Gundlach 1904, S. 194, Übers. v. Theodor Vulpinus.

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IV. Poetik der Weltpoesie: Selbstreflexion im Fremden240

In der zweiten Hälfte des 19. und im beginnenden 20. Jahrhundertnimmt die Komplexität der Übersetzung also auch im Fall Halévys ra-dikal ab. Der Ausgangstext wird nurmehr ganz zur Folie für Selbstre-flexionen. Die ‚hohe Schule‘ der Münchner Übersetzungspoetik hatteden Weg zu solch freien Übersetzungen mit ihren hermeneutischenund subjektivierenden Überlegungen eröffnet, wenn sie damit auchnicht Vereindeutigung à la Leuthold, Nitschmann oder Vulpinus – mitdem britischen Beispiel: Seeliger, Vollheim, Rugard und Prinzhorn –meinte. Denn Praktiken der Übersetzung äußern sich in diesem Fallnicht als poetologisch abgesicherte Erkundungen des Originals, son-dern vielmehr als triviale Selbstdeutungen im Fremden.

Um 1900 treten Unterschiede von Original und ‚Zweitverwertung‘noch deutlicher zu Tage; Vulpinus’ Übertragung bestätigt es exempla-risch. Die originalgetreue Übersetzung ist ebenso an ihr Ende gekom-men wie das Bemühen um ein ‚Besserverstehen‘ des Texts. Poetologi-sche Innovation liegt ab jetzt nicht mehr so sehr im Fremden als imÜbersinnlichen, im Mystischen, in der Suche nach einem ‚tiefen‘ undgeheimnisvollen Sinn, den es zu entbergen gilt. Techniken der Überset-zung geraten dabei überhaupt ins Hintertreffen; Ziel ist vor allem dieeigenständige Darbietung eines ‚heiligen‘ Originals. Die Avantgardenbehandeln fremdsprachige Texte wie kultische Dokumente; sie betenihre Autoren als poetische und poetologische Ikonen an. Rilkes Ge-dichten auf Keats beispielsweise lassen sich nicht mehr als Übersetzun-gen einstufen; vielmehr schließt Rilke an die Tradition des Widmungs-gedichts an, um einen ganz eigenen Text über den ‚heiligen Dichter‘Keats zu verfassen. Poetologische Reflexion äußert sich dabei als My-stifikation des Originals.

Doch bevor ich auf diese Entwicklungen zu sprechen komme, willich wiederum Poetiken aufnehmen, die zeitgleich mit der Weltpoesie inDeutschland entstehen, und die für die deutsche poetologische Lyrikim Ausgang aus dem Reflexionsdenken der Romantik mindestensebenso wichtig waren wie die Inspiration ‚von außen‘. Einige von ih-nen, die Poetiken der 1820er/25er bis 1840er/50er Jahre, diejenigen der(Proto-)Realisten und später auch der Naturalisten, geben erst den Tonfür die Poetiken und Praktiken der Weltpoesie und der Übersetzungvor; Freiligraths The Rose beispielsweise hat das Ideal schwäbischerLyrik vor Augen, wenn er sich Tennyson widmet.

Die ‚Lyrik der Damen‘ stellt eine dritte Parallelbewegung innerhalbder Lyrik dar. Sie verhält sich den neuen Anforderungen der Reflexiongegenüber als vergleichweise abweisend. Gerade deshalb lohnt der

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3. Französische und deutsche Lyrik 241

Blick auf die seltenen reflexiven Muster in der Lyrik dieser Damen – be-sonders auf die poetologische Gedichte der von Freiligrath so verehr-ten Annette von Droste-Hülshoff.247

247 Grywatsch 1995.

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion?Die Physiko-Poetik der Annette von

Droste-Hülshoff

[...] dieselben Umstände, welche die Frau in die Richtung der schöpferischenTätigkeit lenken, stellen auch Hindernisse dar, die sie sehr oft nicht zu über-winden versteht. Wenn sie sich zum Malen oder zum Schriftstellern ent-schließt, allein um die Leere ihrer Tage auszufüllen, werden Bilder und Es-sais als Handarbeiten behandelt. Sie widmet ihnen weder mehr Zeit nochmehr Sorgfalt, und sie haben ungefähr denselben Wert. [...] Da ihr eine ernst-hafte Ausbildung fehlt, wird sie immer nur eine Amateurin bleiben.1

Das Dilemma der kreativen Frau des 19. und beginnenden 20. Jahrhun-derts, das Simone de Beauvoir beschreibt, trifft auch auf das Schicksaldeutscher Schriftstellerinnen zu. Gehorcht die adelige oder bürgerlicheDame ihrer Berufung zu den schönen Künsten, so strebt sie – aus ganzunterschiedlichen Gründen – nicht nach Professionalität. Sie dilettiert,füllt bloß ihre Zeit. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. Annettevon Droste-Hülshoff (1798–1848), das schriftstellernde und naturfor-schende westfälische Adelsfräulein,2 gehört dazu.

Unter den zahlreichen Dichterinnen des frühen 19. Jahrhunderts istsie die einzige, die regelmäßig in den Anthologien ihrer männlichenDichter-Kollegen berücksichtigt wird: Ihr gebührt ohne Zweifel der„erste[] Rang“ unter den neuzeitlichen Dichterinnen, so lautet ein zeit-genössisches Urteil,3 das in der Literaturforschung vielfach bestätigtwurde.4 In Anthologien bis etwa 1860 tauchen nur gelegentlich andereNamen auf: Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805–1880)5 und Adelheid vonStolterfoth (1800–1875) beispielsweise, die in solchen Fällen mit einoder zwei Texten vertreten sind. Aber Vorkommnisse wie diese fallen

1 Beauvoir 1968, S. 659 [Hervorhebung im Original].2 Über das naturwissenschaftliche Interesse der Droste Nettesheim 1958; Schlaffer

1984, S. 75; Kühlmann 1986, S. 440 f.3 Lindemann 1871, II, S. 1.4 Zuletzt – mit Blick auf genau diese Kanonisierungsprozesse – Heydebrand 2001.5 Siehe Osinski 1998.

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion? 243

kaum ins Gewicht. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ver-ändert sich der Markt der Anthologien ‚zugunsten‘ der Frauen. Plötz-lich spricht man von Schriftstellerinnen wie Betty Paoli (1814–1894),dem ‚weiblichen‘ Gegenbild zur ‚spröden‘ Droste.6 Jörg Schönert(1978) und Günter Häntzschel (1979) zeigten, wie Anthologisten dieSchriftstellerinnen entdeckten, um der Leserin Lebenshilfen für dasWahre, Schöne, Gute in die ‚zarte Hand‘ zu geben. Folgerichtig stehendiese Anthologien für die Damenbibliothek im Verdacht der Trivialität.

Gibt es für diese Trivialität poetologische Gründe? Eine Antwort aufdiese Frage liegt, so meine These, im Vorkommen und in der Ausgestal-tung poetologischer Lyrik. Um an ein Datum zu erinnern: Die 67‚männlich dominierten‘ Übersetzungsanthologien, die hier ausgewer-tet wurden, enthalten 4,19% poetologischer Lyrik. In solchen Antho-logien, die in erster Linie Gedichte von Frauen aufnehmen, fällt dieserAnteil geringer aus: Anthologien weiblicher Lyrik weisen nur einenAnteil von ca. 0,96% poetologischer Lyrik auf.7 Frauen interessiertensich weniger für die dichterische Selbstreflexion und für Fragen derpoetologischen Programmatik als Männer. Auch begründeten Frauenallenfalls lose und temporäre Zusammenschlüsse, keine professionali-sierten und programmatisch angleiteten Dichterinnenzirkel. Sie ris-kierten die poetisch-poetologische Isolation, verschenkten die Mög-lichkeit einer Verbesserung der eigenen lyrischen Produktion aus derwechselseitigen Kritik; in der Folge erlangten ihre Texte nur schwer ei-nen gewissen programmatischen Wiedererkennungswert.

Als ein weiterer Beleg für meine These dient mir die Dichtung derDroste, der deutschen Dichterin ‚ersten Rangs‘. Allein quantitativ istder Anteil poetologischer Lyrik vor allem in ihrem Frühwerk enormhoch – möglicherweise ein Grund für die vergleichsweise reiche Rezep-tion der Droste-Texte. Ihre Texte ließen sich nämlich mit bestimmten li-teraturprogrammatischen Erwägungen verbinden: mit moralischer undreligiöser Lyrik8 und – nicht zuletzt – damit, daß sie ihr Sprecherinnen-Ich zur Wortführerin der Schriftstellerinnen ihrer Zeit ernennen(1. Teil). Anders als viele ihrer Kolleginnen bringt die Droste die nötige

6 Schönert 1978, S. 287.7 Das ist das Ergebnis der Auswertung von A. Voß 1847; Kletke 1853; Lindemann

1871; Siegemund 1895; Virginia 1907; Bindewald 1895.8 Schlaffer liest Drostes Dichtergedichte als moralische Poesie; ders. 1966. Auf den re-

ligiösen Aspekt im Werk der Droste konzentriert sich die gegenwärtige Forschungüber die Konfessionalisierung der Dichtung im 19. Jahrhundert; vgl. S. Schmidt1994, S. 108 f.; Rösler 1997, S. 217–296.

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion?244

Gelehrsamkeit dazu mit.9 Während sich andere Frauen vor allem derLiebesdichtung, der Naturdichtung oder der religiösen Dichtung wid-men, schreckt die Droste vor keinem noch so komplizierten poetologi-schen Thema zurück. Sie kennt und nutzt alle Themen, Motive, Genresund dichterischen Konventionen, die den männlichen Kollegen zu Ge-bote stehen, was nicht bedeutet, daß sie diese einfach nachahmte.10

Aus der Sicht Heinz Schlaffers wird ihr diese Kenntnis aber zumVerhängnis, sofern die Dichtergedichte betroffen sind: Die sonst sosubjektive, humorvolle, weltzugewandte und anti-idealisch schreiben-de Droste11 lasse sich hier vom Pathos ihrer männlichen Kollegen an-stecken und forme deren Topoi nach.12 So exakt diese Interpretation dieDichtergedichte der Droste auch kennzeichnet, so problematisch er-scheint es, sie ausschließlich vor der Folie ‚männlicher Dichtung‘ zu le-sen. Ein etwas anderes – und der subjektiven und humorvollen Drostenäheres – Bild ergibt sich, zieht man den weiteren Kontext ihrer poeto-logischen Gedichte13 ebenso wie den Kontext weiblichen Schreibens

9 Über den Bildungsstand und die Bezugstexte der Droste den ungemein informativenBeitrag von Nettesheim 1958; Kühlmann 1986, S.440–447; Gaier 1991–96.

10 Von anderen Dichterinnen lassen sich gleichwohl poetologische Gedichte finden, diesich eng an die Texte ihrer männlichen ‚Vorbilder‘ anschließen – oder aber auch um-gekehrt. Beispielsweise erinnert das Gedicht „An meine liebe Äolsharfe“ von derblinden Stiftsdame Henriette von Bünau (*1759) an Mörike „An eine Äolsharfe“;siehe Kapitel III. 1. a) dieser Untersuchung. Vgl. nur die ersten Verse aus Bünau: Anmeine liebe Äolsharfe, in: A. Voß 1847, S. 477, V. 1–3: „Berührt vom Lufthauch tönstdu in’s Herz / Die Wehmuth der Liebe, der Trennung Schmerz. / Wie Geisterstim-men erklingen die Saiten [...].“ Bünaus Text wurde erstmals in Abraham Voßens An-thologie „Deutsche Dichterinnen“ (1747) gedruckt; ein genaues Entstehungsdatumdes Texts läßt sich aber nicht ermitteln. Es ist also unklar, ob Bünau Mörikes Textkannte oder ob Mörike von Bünaus Text Kenntnis haben konnte. Bünaus Gedichtjedenfalls erweist sich als konventioneller als der Mörike-Text und richtet sich dar-über hinaus weniger auf das poetologische Thema, als vielmehr auf Gefühle, die dernahe Tod auslöst. Vergleichbares gilt für Mathilde Josephine Katharine BeckmannsGedicht „Der verbannte Dichter“ (1847). Beckmann schildert die Gefühle des pro-totypischen Freiheitsdichters, der als Anhänger der Revolution in Deutschland ausdem Vaterland verbannt wurde, und sich zu Unrecht von den Freunden und Näch-sten getrennt sieht. Ihr Text erinnert an Freiligraths „Der ausgewanderte Dichter“,erweist sich aber als pointierter verglichen mit Freiligraths Text. Sein Dichter verliertsich schon in den Beobachtungen der Jagd und des neuen Lands, in dem er sich we-nig heimisch fühlt; vgl. Kapitel IV. 3. dieser Untersuchung.

11 Diese so sympathische und muntere wie außergewöhnliche Droste beschreibtSchlaffer 1984, S. 71–95.

12 Schlaffer 1966, passim.13 Im späten Anschluß an Schlaffer (1966) widmete sich die Forschung mit Vorliebe

den Dichtergedichten der Droste; siehe Salmen 1985, S. 162–216; Lenckos 1996;

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion? 245

hinzu.14 Im Blick darauf läßt sich der Umstand, daß die Droste – inspi-riert durch ihre ‚Muse‘ Levin Schücking und unterstützt durch denDichter(innen)zirkel um Elise Rüdiger15 – überhaupt Poetologischesverfaßt, durchaus würdigen. Mit ihrer poetologischen Lyrik setzt siesich von den Zeitgenossinnen ab. Die Qualität ihrer poetologischenGedichte steigert sich allerdings, je weiter sie sich vom heiklen Themades Schriftstellerinnendaseins entfernen.16 In poetologischen Texten,die nicht über das Schriftsteller(innen)-Dasein handeln, entwickelt sieAnsätze zu einer eigenwilligen und nicht mehr geschlechtsspezifischenPhysiko-Poetik, die die Physikotheologie nicht nur beerben, sondernihre Darstellungsmuster ganz eigensinnig, kritisch und mit der Gesteder beinah schon empirisch vorgehenden Naturforscherin nutzen (2.,3. Teil).

In der Forschung kommt diese physiko-poetisch interessierte Dro-ste zu kurz; für die Beschreibung der Reflexionsdichterin – oder: derDichterin der Dichterin – erzielten erst jüngere Beiträge Fortschritte.Danach zeichnen sich ihre Texte durch eine Doppelheit des weiblichenIch aus: durch die Spaltung in eine weibliche und in eine männliche,nämlich ruhmsuchende Rolle.17 Ob tatsächlich von einer solchen Spal-tung gesprochen werden kann, bleibt zu fragen. Poetologische Refle-xion jedenfalls erweist sich als ein thematischer und strukturellerStrang im Gesamtwerk der Droste.18

Koopmann 1997–98; Kirkbright 1999. Dabei gelang es aber nicht, die unterschiedli-chen Typen der lyrischen Texte zu unterscheiden, in denen die Droste einmal überdie Dichterin (respektive den Dichter), ein ander Mal über die Poesie reflektiert.Eine solche Unterscheidung tut aber Not, will man den poetologischen Gehalt derDroste-Texte erschließen und ihnen Funktionen für eine poetologische Selbstbe-schreibung zuweisen.

14 Über Droste im engeren Kontext ihrer ‚geistigen Schwestern‘ informieren die Bei-träge in Niethammer u. Belemann 1992.

15 Über den Rollentausch zwischen Dichterin und Dichter Heydebrand 2001.16 Der Ansatz von Schlaffer und der nachstehend erprobte widersprechen sich insofern

nicht. Nachfolgendes ist vielmehr als Ergänzung und Modifikation von Schlaffer ge-dacht.

17 Peuker 1987, S. 76; Heydebrand 2001, S. 146 f.18 Nur der poetologische Gehalt des Spätwerks „Letzte Gaben“ (1862) ist umstritten;

siehe vor allem Koopmann 1997–98; siehe auch Köhn 1991–96. Frauke E. Lenckosplädiert dafür, in den „Letzten Gaben“ ein „poetological work“ zu erblicken (1996a,S. 282); Rüdiger Nutt-Kofoth (1997–98) wendet sich aus editionsphilologischer Per-spektive dagegen.

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion?246

1. An die Schriftstellerinnen in Deutschlandund Frankreich (1844):

weder Hirtinnen noch Hetären, sondern irdische Heilige.Heroisierende Reflexion über das Dichterinnenamt

Der Titel des neunstrophigen Texts An die Schriftstellerinnen inDeutschland und Frankreich (entstanden zwischen 30.9.1841–29.7.1843; früher Titel: „An die Blaustrümpfe“) ist Programm.19 Eshandelt sich um einen Appell der Droste an ihre verseschmiedendenGeschlechtsgenossinnen. Die Droste kritisiert ihre Kolleginnen scharf.Zugleich bemüht sie sich aber, diese Kritik konstruktiv zu wenden – imSinne einer ausgesprochen energischen Programmschrift für das Dich-terinnenamt.

Ihr Text ist entsprechend antithetisch aufgebaut: auf der einen Seitesteht die Kritik, auf der anderen die Lösung (‚Führer verloren‘ vs. ‚Füh-rer nicht hingerichtet‘, Ruhm vs. Ehre, Falk vs. Aar). Mitunter wählt sieaber auch einen Dreischritt, der zunächst zwei problematische Bild-und Wahrnehmungsfelder vorführt und erst dann – nicht im Sinne ei-ner Synthese, sondern wiederum als Gegenbild – das Gewünschte dar-stellt (Weltentrückte, Hirtin, Hetäre vs. irdische Heilige). Dabei wech-seln darstellende Passagen (1., 5., 6. Strophe) mit wertsetzenden undauffordernden Abschnitten (2.–4., 7.–9. Strophe); die Warnung gehtdem Rat voraus (7. vs. 8. Strophe). Beschreibende Passagen erweckenden Anschein der Objektivität und lassen den Gehalt der Aufforderun-gen als wahr oder wahrscheinlich erscheinen – zumal sich die Spreche-rin des Gedichts ganz zugunsten der Ansprache des ‚Ihr‘ zurücknimmt.Sie gibt sich nur einmal zu erkennen, präsentiert sich an dieser Stelleaber als allmächtig: „Ich will den Griffel eurer Hand nicht rauben [...]“,vermerkt sie gütig und autoritär zugleich.20 Die Schriftstellerin derSchriftstellerinnen erhebt sich über ihre Geschlechtsgenossinnen undmeint, über ihr Schicksal entscheiden zu können.

Sie analysiert ihre Kolleginnen, nimmt sie als „nüchtern“ wahr, alsuninspiriert und willenlos („gleich Kräuterbeeten“ und „gleich Fich-ten“).21 „Ward denn der Führer euch nicht angeboren“ – dieser Vers

19 Es erstaunt, daß ausgerechnet dieser Text in feministischen Analysen zu Droste-Tex-ten keine Rolle spielt; vgl. die Beiträge in Niethammer u. Belemann 1992.

20 Annette von Droste-Hülshoff: An die Schriftstellerinnen in Deutschland undFrankreich, in: Droste 1978ff., I,1, S. 17–19, hier S. 18, 6. Str., V. 47.

21 Ebd., S. 17, 1. Str., V. 1 f.

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1. An die Schriftstellerinnen in Deutschland und Frankreich 247

drückt aus, das von den Frauen kein eigener Impuls für die Poesie aus-geht.22 Stellvertretend für ihre Kolleginnen mustert die Sprecherin ver-schiedene Rollen, die Dichterinnen im Laufe der Zeit spielten. DieRolle der weltentrückten christlichen Naturmystikerin, die sich mitHildegard von Bingen verbinden ließe, lehnt sie ebenso ab, wie diejeni-gen der Hetäre, deren prominenteste Vertreterin die ‚Heidin‘ Sapphodarstellt. Damit nimmt die Sprecherin zugleich kritisch jene Dichterin-nen-Kulte in Augenschein, wie sie in den 1840er Jahren schon etabliertwaren.23 Wollte man der Droste Fähigkeiten zur Vorwegnahme späte-rer Sachverhalte unterstellen, so könnte es scheinen, als schriebe siehier bereits gegen die Darstellung ihrer eigenen Person durch Schük-king an: Er glorifiziere sie als ‚westfälischen Schwan‘ und als ‚schrei-bende Nonne‘.24

Demgegenüber läßt die Sprecherin der Droste nur eine Rolle geltenund schreibt diese starr und moralisch fest: Gemeint ist die Rolle der ir-dischen Heiligen, die einem ‚ganzheitlichen‘ und selbstgewählten Auf-trag, dem ‚Führer in sich‘ und dem „Gott im eignen Hirne“, folgt.25

Diese besondere Heilige weiß um die Gnade des „Blutes“, pflegt denentweihten „Tempel“, „den Menschenhand nicht baute,“ und „be-wahrt“ auf diese Weise „das anvertraute / Das heil’ge Gut“.26 Deshalbleistet sie Zeugenschaft in einer wild-bewegten Zeit, enzieht sich dieseraber schon wie ein ‚einsamer Aar‘, um nicht wie ein „kecke[r] Falk“ mitihr zu spielen.27 „Ruhm“, „Lorbeer“ und finanzielle Entlohnung ver-achtet sie um der „Ehre“ und des „Segen[s]“ willen.28 Ihre Adressatensind entweder weiblich und leben in gesellschaftlich anerkannten Frau-enrollen („die Gattin“, „die Mutter“), oder sie sind noch nicht ge-schlechtsreif („das Kind“).29

Drostes Sprecherin verkündet eine ‚reine‘, nämlich eine einseitig he-roisierende und heiligende Poetik des Schriftstellerinnenamtes, die auf

22 Ebd., V. 7.23 Vgl. z. B. Marie Madeleine: Sappho, in: Virginia 1907, S. 124 f.; Ida v. Düringsfeld

[Thekla]: An George Sand, in: A. Voß 1847, S. 494 f. Die Droste wurde allerdingsselbst zum Kultgegenstand; vgl. M. [...] Herbert: An Annette Droste, in: Virginia1907, S. 69.

24 Vgl. über die klischee-beladene frühe Droste-Biographik Rösler 1997, S.221 f.25 Droste-Hülshoff: An die Schriftstellerinnen (wie Anm. Exkurs, 20), S.18, 9.Str., V.68.26 Ebd., Str. 8, passim.27 Ebd., Str. 7, passim.28 Ebd., S. 17, Str. 4, V. 26; ebd., S. 19, Str. 9, V. 69 f.29 Ebd., S. 18, Str. 8, V. 64.

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion?248

den Kontext der christlichen Spätromantik verweist.30 Verständlicher-weise erscheint dieser Typus der Heldenpoetin als übertrieben und alskonventionell blickt man – mit Schlaffer – auf die Dichtergedichte vonDrostes männlichen Kollegen. Nimmt man jedoch die Geschlechter-spezifik von Dichtergedichten in den Blick, so läßt sich An die Schrift-stellerinnen als ein revolutionäres Manifest beschreiben. Zu diesemZweck greift die Droste Muster ‚männlicher Gedichte‘ auf, die in den1840er Jahren schon als gängige Darstellungsformen erschienen. Sielehnt sich an die Traditionen einer universalreflexiven Poesie an.31 Die-se Darstellungstradition dient ihr aber als Gegenbild für den Kult umdie Rollen der naturmystischen und der Hetären-Dichterin, als Gegen-bild also für weibliche Rollenklischees, die in Lyrik bislang nicht odernur unzureichend thematisiert wurden.

Der Droste wird die Schriftstellerin demgegenüber ausdrücklichzum Thema, indem sie ihre Vorgängerinnen als Typen betrachtet, dieaus unterschiedlichen Gründen außerhalb der Gesellschaft standen: dieeine floh in die Mystik, die andere sicherte sich die Privilegien der He-täre, die Eigenständigkeit und Ungebundenheit, nahm dafür aber inKauf, auf den Schutz der Familie zu verzichten und einem ungewissenAlter entgegenzusehen. Bezeichnenderweise wendet sich das Spreche-rinnen-Ich des Droste-Texts an gesellschaftlich etablierte Schriftstelle-rinnen, die Anerkennung jenseits der Rollenklischees für die Dichterinsuchen. Drostes Sprecherin reagiert damit auf ein soziales ebenso wieauf ein poetologisches Desiderat. In diesem Sinne erscheint es als ange-messen, Autorinnen für die Entfaltung der eigenen Schriftstellerinnen-rolle eine eigene Geschichte zuzugestehen, die sich im 19. Jahrhundertnoch nicht an der männlichen messen läßt, aber in ihrer Entwicklungmit dieser vergleichbar ist. Daß die ‚weibliche Rollenpoetik‘ im Falledes Droste-Gedichts so einlinig daherkommt, ‚männliche Muster‘ aufsich selbst überträgt, um weibliche Klischees zu kritisieren, läßt sichdemzufolge aus dem Bedarf erklären, der sich aus der Sicht der Drostefür die Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung von Schriftstellerin-nen ihrer Zeit ergab. Drostes Poetik gehorcht, sofern die Rolle derSchriftstellerin betroffen ist, dem Muster nachholender Modernisie-rung.

Mein Beruf (entstanden zwischen dem 30.9.1841 und Februar 1842),ein neunstrophiges und programmatisches, ursprünglich sogar für die

30 Dazu Kühlmann 1986, S. 440–447.31 Vgl. darüber Kapitel II. 2. u. 3. dieser Untersuchung.

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1. An die Schriftstellerinnen in Deutschland und Frankreich 249

Einleitung von Drostes erstem Lyrik-Band gedachtes Gedicht, stütztdiese Interpretation. Hier spricht ein Ich unmittelbar über sich, näm-lich über die eigene gesellschaftliche Rolle. Die Überlegungen, die die-ses Ich von sich preisgibt, reagieren – so scheint es – auf das Schicksalder Droste selbst, spielen also mit dem autobiographischen Bezug:

„Was meinem Kreise mich enttrieb,Der Kammer friedlichem Gelasse?“Das fragt ihr mich, als sei, ein Dieb,Ich eingebrochen am Parnasse.32

Der Umstand, daß sich die Autorin solchen Fragen im quasi-autobio-graphischen Kreuzreim meint stellen zu müssen, läßt sich bereits alseine historische Tatsache würdigen.33 Ihre Rolle war ihr nicht selbstver-ständlich. Sie mußte sie erst gegen Anfechtungen behaupten, und be-zeichnenderweise schreckte sie davor zurück, Berufsschriftstellerin zuwerden. Als Adelsfräulein überantwortet sie ihr Sprecherinnen-Ich ei-ner riskanten Fiktion: Es gibt das „friedliche[] Gelasse“ seiner „Kam-mer“ auf, setzt damit seinen gesellschaftlichen Rang und Ruf auf’sSpiel. Die Selbstrechtfertigung der Sprecherin klingt hier allerdingsweitaus konventioneller als in An die Schriftstellerinnen. Für Mein Be-ruf beschwört sie – sich an Hölderlins Dichtermuth anlehnend34 – dasGottesgnadentum des Poeten bzw. der Poetin.35 Anders als die Kolle-ginnen, die in An die Schriftstellerinnen schon aus sich selbst schöpfen,sieht sich die Sprecherin hier als von einer äußeren und transzendentenGewalt als geheiligt an. Liest man An die Schriftstellerinnen nicht nurals eine Botschaft an die Kolleginnen im Amt, sondern betrachtet dieDroste als Adressatin der (eigenen) Sprecherin, liest man den Text alsoals Appell der Autorin an sich selbst, dann läßt sich das Gedicht als Ver-such verstehen, sich Mut zu machen und sich von Mustern einer gött-lichen und äußeren Inspiration des Poeten bzw. der Poetin zu befreien.

Im Blick auf Drostes späten und bloß vierstrophigen Lyrik-Text DerDichter – Dichters Glück (1862) erscheinen all diese Beschreibungender Rolle der Schriftstellerin jedoch als frühe und emphatische Unter-nehmungen. Der Dichter – Dichters Unglück erweist sich als eine Pu-blikumsbeschimpfung. Es unterscheidet wie eine Schwarz-Weiß-Zei-

32 Droste: Mein Beruf, in: Droste 1978ff., I,1, S. 97–99, hier S. 97, V. 1–4.33 Siehe Bianchi 1992, S. 33, Niethammer 1992.34 Gaier 1991–96, S. 29.35 Droste: Mein Beruf (wie Anm. Exkurs, 32), S. 97, Str. 1, V. 8; ebd., S. 98, Str. 8, V. 58;

dazu Salmen 1985, S. 172; Koopmann 1997–98, S. 19.

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion?250

chung in ein böses, neidisches und verständnisloses Publikum einer-seits und in den guten, leidenschaftlichen, leidenden, sich selbst für dieLiteratur quälenden Dichter andererseits.36 Erstaunlicherweise berich-tet der Text über ein Männerschicksal: über einen Dichter, nicht übereine Schriftstellerin. An das Thema ebenso wie an die Art und Weiseder Darstellung lassen sich deshalb eine Fülle von Fragen knüpfen:Durchlebte auch die Droste eine skeptische Wende und schrieb fortanals ‚gespaltene Person‘? Offenkundig gab die Droste die eigene Vorstel-lungen von einer weiblichen, aber auch sozial eingebundenen Schrift-stellerei auf und wählte das gesellschaftlich akzeptierte Dasein derdichtenden Dilettantin, deren Texte gleichwohl weit über den Dilettan-tismus hinausgehen. Die Botschaft von Der Dichter – Dichters Glückjedenfalls ist klar: Einerseits opfert sich der Sprecher für die Poesie auf,die er im Bild von Edelsteinen, von Korallen und Perlen schildert.37

Andererseits bleibt der Text im Bild, wenn derselbe Dichter – sprich-wörtlich – ‚Perlen vor die Säue‘ wirft.

2. Poesie (1844): ‚Physiko-Poetik‘.Spielerische und unkonventionelle Reflexionüber das Verhältnis von Edelstein und Poesie

In Der Dichter – Dichters Glück erlebt Drostes ‚Physiko-Poetik‘ ihrenNiedergang; in Poesie (entstanden zwischen dem 1.12.1841 und AnfangFebruar 1842) wurde sie erst begründet, und zwar ganz spielerisch undunkonventionell.38 Die erste der sechs Strophen kündigt ein „Rätsel-

36 Droste: Der Dichter – Dichters Glück, in: Droste 1978ff., II,1, S. 69 f., hier S. 69,Str. 2, V. 13–16: „Ihr starrt ihn an mit halbem Neid, / Den Geisteskrösus seiner Zeit, /Und wißt es nicht, mit welchen Qualen / Er seine Schätze muß bezahlen.“ Schlafferbeschreibt solche Schwarz-Weiß-Zeichnungen für die Raumsemantik in „Der Dich-ter“; ders. 1966, S. 303.

37 Droste: Der Dichter – Dichters Glück (wie Anm. Exkurs, 36), Str. 1, V. 8, Str. 4.38 Helmut Koopmann warnte davor, Drostes Dichtergedichte als eine „Poetik in Ver-

sen“ überzubewerten, weil sie die Dichtung der Droste nicht ausschöpfen und bloß„Schlaglichter“ auf ihr „dichterische[s] Selbstverständnis“ werfen (ders. 1997–98,S. 27). Ich will diese Warnung ernst nehmen, aber auch versuchen zu zeigen, daß diepoetologische Lyrik der Droste – erstens – eine Fülle von poetologischer Positionenanspricht, daß sie – zweitens – wesentliche Aspekte in der Lyrik der Droste berück-sichtigt und daß diesen Vorlieben und Neigungen zu einer bestimmten Poetik ent-nommen werden können.

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2. Poesie 251

spiele“ an.39 Es geht um die Frage, was Poesie sei. In einem dialogischenSpiel wird die Antwort entfaltet: Poesie ähnele „drei Kleinoden“, näm-lich drei Edelsteinen:40

Jener Strahl, der, Licht und Flamme,Keiner Farbe zugetan,Und doch, über alles gleitend,Tausend Farben zündet an,Jedes Recht und keines Eigen. –Die Kleinode nenn’ ich dir:Den Türkis, den AmethystenUnd der Perle edle Zier.41

Poesie strahlt selbst unvergleichlich hell und in allen Farben. Im Ver-gleich der Steine und der Poesie nimmt der Sprecher auf je spezifischefiktive Eigenschaften der Steine Bezug und schreibt sie der Poesie zu.Ihr Begriff gewinnt aus diesem Vergleich weitere Konturen: Poesie sei„fromm[]“ und eine „Himmelsgabe“ wie der Türkis.42 Wie der Ame-thyst, der seine Farbe wandeln könne, leuchte sie dem ‚Treuen‘ und er-lösche, „An des Ungetreuen Hand“.43 Wie die Perle bleibe sie nur „AmGesunden tauig klar“.44 Gift aber lasse diese Poesie zugrunde gehen.45

Heilig, moralisch und gesund – so sieht Drostes Sprecher die Poesie.Für ihre Eigenschaften stehen Edelsteine und die Perle allegorisch.46

Dabei weist ihnen Drostes Sprecher – wiederum allegorisch – morali-sche und religiöse Eigenschaften zu, die nur vage auf die physikalischenEigenschaften von Türkis, Amethyst und Perle anspielen. Der Natur-kundlerin Droste sind diese physikalischen Eigenschaften wohlbe-kannt; jede zeitgenössische Mineralogie informiert beispielsweise dar-über, daß der Amethyst seine Farbe verändern kann.47 Für den lyri-

39 Droste: Poesie, in: Droste 1978ff., I,1, S. 141 f., hier S. 141, Str. 1, V. 1.40 Ebd., V. 3 f.41 Ebd., Str. 2, V. 9–15.42 Ebd., Str. 3.43 Ebd., Str. 4.44 Ebd., S.142, Str.5. – Das poetologische Motiv der Perle taucht übrigens auch in Schük-

kings zeitgleich entstandenden Dichtergedichten „Ironien“ auf (vgl. Jordan 1997–98,S. 216), die denen der Droste ähneln, aber in parodistischer Absicht verfaßt sind.

45 Droste: Poesie (wie Anm. Exkurs, 39), S. 141 f., Str. 6.46 Über die Verfahren der Allegorisierung im Werk der Droste – nicht allerdings zu

„Poesie“ – Häntzschel 1968.47 Siehe z. B. Batsch 1796, S. 325 f.; Bertuch 1801, S. 28: „Violett, aber fein, und ohne

sichtbar gemischte Theile, gefärbter Quarz.“; Leunis 1853, S. 138: „Ein violetter

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion?252

schen Text begnügt sich die Droste jedoch nicht mit dieser Auskunft,sondern wählt die Form der doppelten Allegorie für ihr mineralisches,physikalisches und biologisches Gleichnis.

Sie verfährt dabei im Prinzip ähnlich wie die physikotheologischeDichtung von Barthold Heinrich Brockes und Daniel Wilhelm Triller:48

wie Brockes und Triller betrachtet sie Natur – erstens – mikrologisch;ihr Sprecher schildert die Steine und die Perle scheinbar genau. Um die-se Natur-Details zu deuten, gebraucht sie – zweitens – wie die Physi-kotheologie die Form der Allegorie, allerdings nicht die einfache Alle-gorie aus Brockes Irdischem Vergnügen in Gott (1721–1748), die ausder perfekt gestalteten Natur auf das umsichtige Wirken eines ‚deuscreator‘ schließt,49 sondern diejenige der doppelten Allegorie: DrostesSprecher deutet ihren Gegenstand, die Poesie, innerweltlich, und zwaraus der allegorischen Interpretation der Steine und der Perle. Hierinliegt auch der wesentliche Unterschied zur Physikotheologie: Die Dro-ste spart deren deistisches Moment aus; sie kappt all das, was auf einemakrologische Ordnung der Natur verweist und begnügt sich damit,das Einzelphänomen mit quasi-wissenschaftlicher Genauigkeit mora-lisch-ethisch zu bestimmen.50 Ihr Sprecher klassifiziert Türkis, Ame-thyst und Perle wie mit dem Lehrbuch;51 die Ergebnisse überträgt er inder Form des Gleichnisses auf Poesie.

Drostes Poesie läßt sich deshalb nicht einfach als wiederbelebte Phy-sikotheologie einordnen; der Text veranschaulicht vielmehr eine Physi-ko-Poetik: eine Auffassung von Dichtung, die Strukturmerkmale derPhysikotheologie aufnimmt, indem sie das Ordnungsschema von Mi-krokosmos und Makrokosmos mit Hilfe von Allegorie, Naturfor-schung und Morallehre ethisch und poetologisch deutet. Eine Physiko-Poetik wie diese unterscheidet sich nicht nur von der Physikotheologie

Quarz, der seine Farbe im Feuer verliert [...]; klar und durchsichtig, bei starker Sät-tigung der Farbe fällt er ins Schwarze.“

48 Hinweis darauf bereits in Kapitel III. 1. b). Siehe auch Kaiser 1996, II, S.79 f., der die-sen Vergleich bereits anspricht. Für Kaiser ist es vor allem eine „herrschende[] Emo-tion des Subjekts“ (ebd., S.80), die die Dichtung der Droste von der Physikotheolo-gie unterscheidet. Dieser Vergleich läßt sich jedoch noch weiter führen.

49 Kemper 1991, S. 107–116; ders. 1999.50 An anderer Stelle illustriert sie eine „Ethik des Mitleids aus christlichem Geist“, wie

Wilhelm Kühlmann zeigte; ders. 1986, S. 439.51 Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang auch, daß mit Friedrich Christian

Lessers „Lithotheologie“ (1751) eine Physikotheologie der Steine vorliegt, die JeanPaul bereits kannte und in „Dr. Katzenbergers Badereise“ (1809) sehr eigenwillignutzte; Pott 2002, Kap. IV. 1.

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3. Dichters Naturgefühl 253

eines Brockes, sondern auch von späten Mustern der Physikotheolo-gie-Rezeption, beispielsweise von Jean Pauls eigenwilligen Natur-Auf-fassungen in Dr. Katzenbergers Badereise (1809).52 Gebraucht JeanPaul die Physikotheologie bloß eklektisch als Steinbruch für satirischgefärbte Darstellungen von Natur und Naturforschung, so wendet dieDroste Verfahren der Physikotheologie auf Poesie an, um Poetik frei-zusetzen. Der Physiko-Poetik wird die Natur nurmehr zur Quelle fürdie Selbstbeschreibung von Poesie: Natur wird allegorisiert, um sie zupoetisieren. Poetisieren meint hier jedoch nicht (wie in der Jenaer Ro-mantik), in der Natur selbst Poesie zu entdecken, sondern die Naturdem poetologischen Zweck, der Selbstreflexion von Poesie unterzu-ordnen.

Im Ergebnis dieser ‚Poetologierung‘ ähnelt Poesie den Edelsteinen,ist wie diese kostbar und selten, erweist sich aber als empfindlicher. Mitihrem „Rätselspiele“ nähert sich die Droste zwar einem Begriff vonPoesie, aber sie bleibt vorsichtig, schränkt die scheinbar exakt-natur-wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen ein: Es handelt sich schließ-lich nur um ein Spiel, um unkonventionelle Reflexionen, nicht um eineabschließende Definition. Dieses spielerische Moment fehlt in den Ge-dichten An die Schriftstellerinnen und Der Dichter – Dichters Glück. Estritt erst dann zu Tage, wenn Fragen der Selbstbehauptung des weibli-chen Dichter-Ichs nicht mehr zur Debatte stehen und es um den Ge-genstand, um die Poesie selbst geht. Noch mehr als Poesie zeugt Dich-ters Naturgefühl (zwischen 30.9.1841 und Anfang Februar 1842) da-von. Der Text erlaubt es auch, die Beschreibung von Drostes Physiko-Poetik weiterzutreiben.

3. Dichters Naturgefühl (1844):Keuchen, Stelzen, Stapfen – mit Gummischuhen und

Mückenstich gegen die Naturlyrik.Anti-konventionelle und subjektiv-empirische Reflexion

über das Dichten

Dichters Naturgefühl zerfällt in zwei Teile: in eine ausgesprochen kör-perliche Auseinandersetzung des Dichters mit der Natur und in die an-haltende Störung dieses wenig idyllischen Zwiegesprächs durch Fried-

52 Pott 2002, Kap. IV. 1.

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion?254

rich, den dummen und naturliebenden Sohn des „Schreibers“. Die bei-den ersten Verse klingen unverdächtig und locken den Leser auf dieFährte der romantischen Naturdichtung. An einem Maientag begibtsich der Dichter hinaus in die Natur, so lautet ihr Inhalt. Doch schonVers drei irritiert;53 ab Vers fünf läßt das Dichter-Ich seinen Abneigun-gen gegen die ‚Naturschönheit‘ freien Lauf. Hier wird persifliert, wasdie Naturlyrik hergibt, die sich in romantischer Tradition – also imPrinzip bis hin zu Hebbel – als Erlebnisdichtung darstellt:54

Ich suchte keuchend mir den WegDurch sumpf’ge Wiesen, dürre Raine,Wo matt die Kröte hockt’ am Steine,Die Eidechs schlüpft übern Steg.

Durch hundert kleine Wassertruhen,Die wie verkühlter Spülicht stehn,Zu stelzen mit den Gummischuhen,Bei Gott, heißt das Spazierengehn?Natur, wer auf dem HaberrohrIn Jamben, Stanzen, süßen PhrasenSo manches Loblied dir geblasen,Dem stell dich auch manierlich vor!55

Drostes Naturlyriker protestiert gegen die Unbilden, die ihm sein Ge-genstand bereitet und hat – so scheint es – Erfolg. Die „eitle, vielbe-sungne Frau [Natur]“ zeigt sich von ihrer besten Seite.56 Sonnenstrah-len erwärmen die Erde, Vögel singen und Quellen glitzern kristallen.Zufrieden „stapft[]“ der Dichter fort und sinnt auf einen „Frühlings-reim“.57 Schon bricht das Unheil über ihn herein: Friedrich, der blonderomantische Jüngling, erscheint und singt Lieder, ein unbekanntes Liedund eines von Körner.58 Von den Romanen der Zofe, von Richard Lö-wenherz, von Schillers Kabale und Liebe und den Märchen aus Tau-sendundeinenacht inspiriert, will er nun selbst dichten. Der Dichter

53 Droste: Dichters Naturgefühl, in: Droste 1978ff., I,1, S. 181–183, Str. 1., V. 3: „Wonaß das Veilchen klebt am Hage [...].“ – Diese Negativ-Darstellung des Veilchenskann sich auf die zeitgenössische Botanik stützen; vgl. Willdenow 1833, S. 141 f.:„Viola, Veilchen. Alle Veilchen-Arten mit ausdauernden Wurzeln haben Wurzeln,welche Brechen erregen.“

54 Siehe Henel 1966, S. 218–230.55 Droste: Dichters Naturgefühl (wie Anm. Exkurs, 53), Str. 1 f., V. 5–16.56 Ebd., Str. 3, V. 17.57 Ebd., S. 182, Str. 5, V. 36.58 Ebd., Str. 7, V. 55.

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3. Dichters Naturgefühl 255

flieht unerkannt, weil ihm der „fade Bursche [...] fatal“ und die Naturüberhaupt infolge dieser kreatürlichen Erscheinung zuwider ist:

Der – hastig fuhr ich an die Stirne:„Wie, eine Mücke schon im Mai?“Und trabte zu der Schlucht hinaus,Hohl hustend, mit beklemmter Lunge,Und drinnen blieb der dumme JungeUnd pfiff zu seinem Veilchenstrauß!59

Drostes Dichter fühlt sich in der Natur alles andere als wohl. Sie ent-spricht seinem konventionellen romantischen Bild nicht – im Gegen-teil: Sie erweist sich als dessen Gegensatz und plagt den Dichter mehr,als sie ihn erfreut. Sie stellt sich ihm in den Weg, peinigt ihn mit dum-mem Gesang, sticht, erweist sich als bloß „instinktgebunden[], geist-los[]“, wie Wilhelm Kühlmann für Drostes Die ächzende Kreatur(1846) zeigte.60 War Natur Romantikern wie Kerner und Eichendorffnoch Trägerin geheimen Sinns oder gar göttlicher Botschaft,61 auf dieder Dichter sich ergeben einließ,62 so hat sie sich für den Sprecher derDroste längst unmöglich gemacht: weil sie eben nicht so göttlich undgeheimnisvoll ist, wie die Romantik glauben machen wollte, und weilsie dem Sprecher der Droste deshalb nur noch als Menschenwerk gilt,als künstliche, phrasenhafte und ‚gemachte‘ Natur. Aus diesen Grün-den schreibt die Droste im Muster der Naturlyrik – in Jamben zwar,aber nicht in Stanzen – gegen die Naturlyrik an.

In Dichters Naturgefühl geschieht damit Bemerkenswertes: Wäh-rend die Naturlyrik im weiteren literarischen (und im männlich besetz-ten) literarischen Feld ganz unproblematisch auch der poetologischenLyrik ihre Topoi leiht, führt die Droste die Darstellungs- und Deu-tungsmuster romantischer Naturlyrik ad absurdum. Bereits in den frü-hen 1840er Jahren haben sich ihre Wahrnehmungs- und Deutungsmu-ster überlebt, sind topisch geworden. Demgegenüber schöpft die Dro-ste ihre Polemik aus der eigenen subjektiven und empirischen Natur-wahrnehmung: Hier trifft ein romantisches Natur-Ideal auf die gefühl-

59 Ebd., S. 183, Str. 11, V. 83–88.60 Kühlmann 1986, S. 438, der in diesem Zusammenhang die Chancen und Grenzen

aufzeigt, die eine Interpretation des Texts im Blick auf die Evolutionstheorie hat.61 Vgl. hierzu vor allem die naturpoetologischen Gedichte Eichendorffs, die Walter

Hinck erschöpfend deutete; ders. 1994, S. 136: Als pradigmatisch gilt hier die schonsprichwörtliche „Wünschelrute“ („Schläft ein Lied in allen Dingen...“); sie steht fürdas oben angesprochene magische Natur- und Poesiebild.

62 Henel 1966, S. 219, 222.

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion?256

te und geschaute Natur sowie auf einen Wertehorizont, der das Rous-seausche Natur-Pathos gegen ein entschiedenes Plädoyer für Zivilisa-tion, Kultur und (christliche) Ethik eingetauscht hat.

Darüber hinaus kann die Droste die eigene naturforschende Erfah-rung gegen nach-romantische Modelle der Naturbeschreibung ins Feldführen. Denn nicht umsonst ‚stapft‘ Drostes Sprecher so eigensinnigdurch die Natur. Er genießt ihre Schönheiten nicht geruhsam, sondernmacht sich zielstrebig auf den Weg – als zöge ihn der Forscherdrangzum nächstgelegenen Moor. Der ernsthaft an der Natur Interessierte,das weiß die Droste aus Carl L. Willdenows Anleitung zum Selbststu-dium der Botanik (1804), muß sich an den Ort des Geschehens begeben,um „im Buche der Natur selbst zu lesen“; zu jeder Jahreszeit muß er dieFlora beobachten, will er sich darin üben, ihre „Klassen, Ordnungen,Gattungen, Arten und Abarten“ zu ermitteln und „Vergnügen“ an sei-ner Tätigkeit empfinden.63 Drostes Sprecher ist dementsprechendweder naturmystisch noch von einer romantischen Natur-Euphorie in-spiriert; vielmehr richtet er sich gegen beides ebenso wie gegen die do-mestizierte Kultur der langweiligen ‚Kräuterbeete‘ und die ‚Gewöhn-lichkeit‘ der Fichten – Fichte: im Fachjargon „picea vulgaris“, „gemeineFichte“64 –, der selbstgenügsamen Herrinnen von Haus und Hof. Ernimmt nicht nur subjektiv wahr, sondern erfährt und beobachtet – sub-jektiv-empirisch: als ein Anatom der naturlyrischen Pseudo-Natur. ImBlick auf das Dichten selbst, im Blick auf das Dichten über den promi-nenten Gegenstand Natur erweist sich Drostes Physiko-Poetik alsonicht nur als anti-konventionell, sondern auch als erfrischend unkon-ventionell. Hier wird die Naturforschung ausnahmsweise wirklich zumDenkmodell für Lyrik:65 Die Droste wendet die Verfahren und Be-schreibungsinteressen der Naturforschung auf Lyrik selbst an – auf na-

63 Willdenow 1833, S. 2 f.64 Ebd., S. 478 f.: „Die gemeine Fichte [...] wächst im nördlichen Europa häufig und ist

auf den Gebirgen einer der gemeinsten Bäume. Der gewöhnliche teutsche Name istRothtanne.“ – Wie im Fall von Amethyst und Türkis spielt die Droste auch hier aufdie wissenschaftliche Darstellung eines Naturphänomens an. Im lyrischen Text ge-braucht sie die Fichte wiederum als ein Gleichnis: Fichte, d.h. ‚häufig vorkommend,langweilig‘.

65 Rolf Selbmann vertritt die Ansicht, „Naturwissenschaft als Denkform“ stelle immittleren und späteren 19. Jahrhundert kein „taugliches Medium zur Wirklichkeits-erfassung“ in der Lyrik dar; ders. 1999, S. 104. Der Blick auf die poetologische Lyrikder Droste legt es nahe, die These im obigen Sinne umzukehren. Anders steht es al-lerdings mit dem ‚Gros‘ der Naturlyrik des Jahrzehnts. Für Keller (Kapitel V. 1. die-ser Untersuchung) will ich auf diese Frage zurückkommen.

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3. Dichters Naturgefühl 257

turlyrische Traditionen und auf den immer schon poetisch gefiltertenGegenstand Natur. Auf diese Weise entdeckt die Droste beides neu,führt Naturforschung und Naturlyrik in ersten Ansätzen zusammen.

Diese Umstände bleiben zu berücksichtigen, betrachtet man die Ent-wicklungen der Lyrik im 19. Jahrhundert. Nach wie vor – und mit gu-ten Gründen – wird sie als eine Zunahme von Subjektivität gekenn-zeichnet.66 Die Droste nimmt dabei einen besonderen Rang ein; Schlaf-fer kennzeichnet ihre Subjektivität als unmittelbar – als eine Subjekti-vität, die sich nicht behutsam einführt, sondern den Leser sogleich mitder eigenen Wahrnehmung konfrontiert.67 Aber Drostes Subjektivitätist nicht nur Ergebnis von Vereinsamung, nicht nur Aufbegehren desweiblichen Selbst gegen eine verfestigte und männliche Dichter- undEditorengesellschaft oder Ergebnis von mangelnder Spezialisierung aufdas Dichterinnenamt,68 sondern auch ein Ertrag ihres Interesses an derNatur und Merkmal ihrer Physiko-Poetik. Drostes Sprecher nimmtNatur als belebte Umwelt wahr und entwickelt aus dieser Wahrneh-mung, was als reflexive Steigerung der Physikotheologie und als Kritikromantischer Naturtopik gekennzeichnet werden kann. Damit zeigtsich – unter literaturvergleichendem Aspekt – auch, daß die Droste als‚deutsche Tennysonienne‘ nicht angemessen beschrieben wäre, wie dieDroste-Freundin Elise Rüdiger es versuchte.69 Tennyson verehrt nochdie romantische Natur, wenn auch im viktorianischen Gewand.70 DieDroste aber verlangt eigene Maßstäbe: diejenigen der Naturkundlerinund diejenigen der schreibenden Frau im 19. Jahrhundert.

Läßt sich für die Gedichte der Droste deshalb auch von einer weib-lichen Poetik sprechen? Eine Antwort auf diese Frage kann nur sehrvorsichtig und vorläufig sein. Sie muß vergleichend angelegt sein undzwei Ebenen betreffen: diejenige der sozialen und biographischen Ent-stehungsbedingungen literarischer Texte und diejenige der Texte selbst,die teilweise nur Reflex (und weniger Reflexion) dieser Entstehungsbe-dingungen sind.

Poetologische Gedichte von Frauen bilden nämlich in erster Linieseelische Probleme ab: Louise Brachmann (1777–1822) dichtet aus

66 Schlaffer widmet sich dieser These mit Hilfe differenzierter Raum-Zeit-Analysenders. 1984.

67 Ebd., S. 96.68 Diese Aspekte betonen die Beiträge in Niethammer u. Belemann 1992.69 Jähne 1954, S. 11 f.70 Vgl. Kapitel IV. 2. a) dieser Untersuchung.

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion?258

Kummer über ein unspezifisches Leid; ihre Laute nennt sie emphatisch„meines Kummers Trösterin!“71 Die ostpreußische Erzieherin und Ge-sellschafterin Frieda Jung (1865–1929) erblickt in Einer jungen Dichte-rin das Ideal weiblicher Dichtung: die „heilige Priesterin des Schö-nen“.72 Ihre Sprecherin will es aber nicht dorthin gebracht haben:

Indessen ich zu engstem HeiligtumeMich flüchte vor des Lebens rauher SchärfeUnd nur zuweilen eine blaue BlumeMit zagen Händen in die Winde werfe.73

Als weibliches Wesen dichtet sie nur zögerlich und mit Vorbehalten.Drostes An die Schriftstellerinnen richtete sich aber als ein revolutionä-res Manifest schon Jahrzehnte früher gegen solche Selbstbescheidun-gen. Allerdings scheinen sich selbst ihr Mut und ihr Durchsetzungswil-le nicht lange erhalten zu haben, nimmt man Der Dichter – DichtersGlück in den Blick. Auf der Ebene einer Poetik der Entstehungsbedin-gungen kennzeichnen also idealische Hoffnungen einerseits, Verzagenund Angst vor dem eigenen Mut andererseits die poetologische Lyrikder Dichterinnen. Insofern nehmen sie sich und die Poesie in der Tatanders wahr als ihre männlichen Zeitgenossen: Frauen stellen sich zu-rück, gehen weniger selbstverständlich mit ihrer Tätigkeit um undkommen damit kaum (mit Ausnahme der Droste) zu einem souveränenund eigenständigen Verständnis der Dichterinnenrolle.

Ganz anderes gilt für ihre Reflexion von Poesie. Diese erscheint ih-nen als allzu selbstverständlich. Spricht der Dichter, der unmittelbarund ohne Verrätselungen mit der Dichterin selbst identisch zu seinscheint, von Poesie, so läßt er zumeist einen schlichten Begriff von der-selben erahnen: Poesie entsteht aus besonderen Gefühlen,74 aus Sehn-sucht oder aus einer Liebe zum Transzendenten,75 die von der ge-

71 Louise Brachmann: An meine Laute, in: Kletke 1853, S.69.72 Frieda Jung: Einer jungen Dichterin, in: Virginia 1907, S. 89.73 Ebd.74 Vgl. den beinahe psychedelischen Text von Sophie George: Dichter-Geheimniß, in:

Kletke 1853, S. 320: „Wo Duft und Stille sich verbreiten, / Berührt das Licht die in-nern Saiten; / Und sie erklingen / Im Strahl und ringen / Aus leisem Weh / Sich aufzur Höh’. – / Jetzt fliehen die Töne! / Jetzt kommen sie wieder, / Nun formen sie Bil-der, / Nun weben sie Lieder, / Und solch ein Tausch / Wird sel’ger Rausch [...].“

75 Vgl. Adelheid v. Stolterfoth: Das Lied, in: Kletke 1853, S. 178, Str. 4 f.: „Dem Sehn-suchtsseufzer gleich, / Aus liebeswunder Brust, / Und einem Lächeln gleich / Derherzgebornen Lust. – – / So soll das Lied des ächten Dichters sein!“ Vgl. auch Jose-pha von Hoffinger: Mein Saitenspiel, in: Lindemann 1871, S.65, Str. 1, V. 1 f.: „Mein

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3. Dichters Naturgefühl 259

schlechtlichen Liebe überboten wird.76 Nicht selten wird Poesie auchals religiöse oder quasi-religiöse Angelegenheit betrachtet.77 Bei sol-chen poetologischen Gedichten handelt es sich zumeist um konventio-nelle Genre-Dichtung, die an überlieferten Topoi festhält – was auchtypisch auch für die ‚männliche Dichtung‘ zumindest zwischen 1850und 1890 ist.

Die Droste hingegen experimentiert mit Worten. Sie spielt mit einemunkonventionellen, deutungsoffenen und komplexen Begriff von Poe-sie. Poesie läßt sich für sie nicht monokausal erklären. Auf diese Weisegewinnt Poesie in ihrem Fall eine ungewöhnliche Eigendynamik, dieim mittleren 19. Jahrhundert bei Frauen wie Männern ihresgleichensucht.78 Auch in einer zweiten Hinsicht, im Blick auf den Humor, er-scheint die Poesie-Reflexion der Droste als außergewöhnlich – im be-sonderen unter den Dichterinnen. Jenen hintergründige Humor, densie in Dichters Naturgefühl an den Tag legt, ließen nämlich allenfalls dieRomantikerinnen ahnen. Unter ihren Zeitgenossinnen ist Humor einseltenes Gut. Zu den wenigen humorvollen Texten zählt Des ReimesSelbstvertheidigung (Einem Reimverächter) von Emilie Ringseis(1831–1895), der Tochter eines Medizinalrats, die auch Dramen schrieb.Des Reimes Selbstvertheidigung handelt auf amüsante Weise über dasWechselspiel von Reim und Rhythmus im Gedicht.79 Vor dem Hinter-grund dieses Texts wundert es nicht, daß der Herausgeber der entspre-chenden Dichterinnen-Anthologie, Wilhelm Lindemann, die Ringseis„neben“ die Droste stellt.80

Saitenspiel ist stumm, wenn es nicht die Liebe / Nicht wärmend trifft mit ihrem mil-den Hauch [...].“

76 Vgl. Ida Gräfin Hahn-Hahn: Liebeslieder, in: Kletke 1853, S.214–216, hier S. 216, 3.,Str. 3: „Und stillt kein Lied mein Sehnen, / Genüget nichts dem Sinn, / So sink’ ichunter Tränen / Zu deinen Füßen hin.“

77 Vgl. Jung: Einer jungen Dichterin (wie Anm. Exkurs, 72).78 Unter den Dichterinnen ist es nur die Schlesierin Ida von Düringsfeld [Thekla], die

der Poesie ein gewisses Eigenleben zuspricht, und sie dabei schon als ein Individuummit eigenem Willen betrachtet. Vgl. dies.: Poesie, in: Voß 1847, S.492–494, hier S.493,V.10: „Ich aber sag’ euch dieses: ‚Nicht in Worten / Ist sie und nicht in einem Bild ge-fangen, / Frei wie die Sonne glänzt sie aller Orten / Und bleiben wird sie bis die Weltvergangen.‘“

79 Emilie Ringseis: Des Reimes Selbstvertheidigung (Einem Reimverächter.), in: Linde-mann 1871, S. 71–74.

80 Sie ähnele der Droste „durch Kühnheit und Kraft der Darstellung, aber auch durchden Abgang des melodischen Klanges“, so bemerkt Lindemann subtil; ders. 1871,S. 69.

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Exkurs. Weibliche Poetik – Andere Reflexion?260

Aber Humor oder gar Satire erweisen sich nicht als Garanten vonQualität – auch nicht für die Dichtung der Damen. Denn diese Darstel-lungsformen öffnen sich leicht der Trivialisierung. Wollte man die Reiheder feinsinnigen und humorvollen Dichterinnen über die Droste hinausverlängern, so böte sich beispielsweise Friederike Kempner (1836–1904)nur auf den ersten Blick an. In ihren kurzen und epigrammatischen Ver-sen nimmt sie zwar knapp und pointiert auf, wie sich Poesie kritisierenläßt, aber sie gelangt nicht über diese knappen Formeln hinaus, beläßt esbei poetologischen und wortspielerischen Aphorismen, die bloß unfrei-willig komisch sind.81 Demgegenüber dient der Humor der Droste wieder Ringseis als ein Darstellungsmittel, das sich für oder gegen bestimmeWahrnehmungs-, Deutungs- und Dichtungsmuster einsetzen läßt – al-lerdings nur dann, wenn es nicht um die ernsten Existenzbedingungender Schriftstellerinnen geht.

Diese Existenzbedingungen spiegeln sich ganz besonders in der poe-tologischen Lyrik einer so gelehrten Dame wie der Droste, in geringe-rem Maße jedoch in der trivialen und topischen Lyrik der Zeitgenossin-nen. Drostes lyrische Poetik erweist sich insofern in der Tat als ‚typischweiblich‘, als sie ihre Sprecherin die Bedingungen weiblichen Schrei-bens erörtern läßt. Im Medium der Lyrik zettelt sie eine fiktionaleweibliche Revolte an. Dabei ahmt sie – auf der Ebene der Darstel-lung – allerdings bloß die topisch gewordene ‚männliche‘ idealische Ly-rik nach, wenn sie – auf der Ebene der Bedeutung – auch ein eigenesweibliches Ideal der dichtenden und irdischen Heiligen entwirft. Weib-liche Poetik stellt sich in poetologischer Lyrik also einerseits als verein-fachende Nachahmung der männlichen dar; andererseits sucht sie nachspezifisch weiblichen, nach positiven und eigenständigen Vorbildernund Identifikationsmustern. Doch dieser Versuch erstickt im Fall derDroste im Keim.

Was Bestand hat, läßt sich als eine Physiko-Poetik beschreiben, dievon geschlechtsspezifischen Ordnungsmustern unabhängig ist. Sielehnt sich vielmehr an die etablierten Muster der Physikotheologie undder Naturlyrik an und nimmt diese poetologisch-reflexiv auf. Daß aus-gerechnet eine Frau es schafft, die Traditionen romantischer Naturlyrikso humorvoll und eigensinnig aufzubrechen, mag Zufall sein. Gesichertist bloß das Wissen um die naturkundliche Bildung der Droste, die ihr

81 Vgl. Friederike Kempner: Die Poesie, in: dies. 1891, S. 90; dies.: „Poesie ist Le-ben [...]“, in: ebd., S. 92; dies.: „Der Dichter lebt im Traume [...]“, in: ebd., S. 110;dies.: „Unnützes lyrisches Gesinge [...]“, in: ebd., S. 142.

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3. Dichters Naturgefühl 261

den sowohl subjektiven als auch empirischen Zugang zu einer Naturjenseits romantischer Klischees ermöglicht. Hier eignet sie sich diemännliche Wissens- und Darstellungswelt produktiv an; sie setzt sichso ernsthaft mit ihr auseinander, daß sie sie souverän und spielerisch zuüberbieten vermag. Sie allegorisiert naturkundliches Wissen, formt eszu anti-konventionellen und subjektiv-empirischen Reflexionen um:zu Reflexionen über Natur, Ethik und Poesie. Im frühen Gottfried Kel-ler findet die Droste einen Erben. Auch er widmet sich der Naturlyrikpoetologisch-reflexiv – allerdings nicht im Blick auf die Natur selbst,sondern im Blick auf die neue Welt der Technik, der Entdeckungen undder Wissenschaften.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen:Reflexion der Reflexion

Überall auf allen Gebieten erhebt ein stolzer erdenfroher Realismus dasHaupt – wenn man das Wort einmal in diesem allgemeinen Sinn gebrauchendarf –: eine neue Weltordnung und neue Menschheitsgesetze zu schaffen,immer weitere Kreise in Mitleidenschaft ziehend und einen innerlich immertieferen Bruch reissend mit dem ganzen wissenschaftlichen ethischen undpolitischen Bewusstsein und Glaubensbekenntnis der Vergangenheit. Er willkeine Märchen mehr, er will sich nicht mehr mit beschönigenden Illusionenüber den Ernst der Wirklichkeit, über das Ungewohnte, über das vielleichtAbschreckende der nüchternen Thatsache hinwegtäuschen, er will keine Po-temkin’schen Dörfer mehr um sich aufgestellt haben, er glaubt, die Wahrheitertragen zu können und stark genug zu sein, ihr frei und ohne Furcht insAuge zu sehen.1

Für Cäsar Flaischlen (1864–1920) läßt sich die Entwicklung der Litera-tur im Ausgang aus der Romantik nur vor dem Hintergrund der neuenund rasanten Entwicklungen verstehen: vor dem Hintergrund des tech-nischen und vor allem des wissenschaftlichen Fortschritts. Diese neuenEntwicklungen brächten, so Flaischlen, die Zeitgenossen in einen jähenWiderspruch „zu allem Gewesenen und Gewohnten“.2 Sie reagiertendarauf aber ganz unerschrocken, verzichteten bewußt auf einen meta-physischen und moralischen Sinn und auf Sinnstiftung. Flaischlen cha-rakterisiert diesen Prozeß als Verlust der Illusion; er erhebt das Wahr-nehmungs- und Deutungsmuster eines solchen Realismus, das den ‚al-ten Glauben‘ ersetzt, zum Kennzeichen der zeitgenössischen Literatur.

Flaischlens Darstellung überzeugt.3 In der Tat läßt sich die Geschich-te der Literatur des mittleren und späten 19. Jahrhunderts mit Gewinnaus dem Wandel erklären, den der technische und wissenschaftliche

1 Cäsar Flaischlen: Zur modernen Dichtung. Ein Rückblick, in: Pan 1/4 (1895),S. 235–242, hier S. 235.

2 Ebd., S. 236.3 Übrigens entspricht sie sehr genau der Beschreibung, die Helmuth Plessner (1974,

S. 101) über das 19. Jahrhundert gab. Er kennzeichnet es als eine „Epoche des Illu-sionsverlusts“.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion 263

Fortschritt beförderte. In den Mittelpunkt geraten dabei zwei literari-sche Bewegungen: die (proto-)realistische (1840er/50er bis 1880er Jah-re), deren Realismus allerdings nicht mit dem heroischen Wahrneh-mungs- und Deutungsmuster Flaischlens gleichzusetzen ist, und dienaturalistische (vor allem zwischen 1880 und 1890).4 Flaischlen selbst,promovierter Germanist, Erzähler und Lyriker, ergreift für den Natu-ralismus Partei. Sein Beweggrund dafür liegt in eben jenem heroischenWahrnehmungs- und Deutungsmuster: Während sich die „sogenannterealistische Bewegung“ gegenüber der neuen Wirklichkeit bloß „nega-tiv“ verhalten habe, erkenne erst der Naturalismus die Zeichen der neu-en Zeit. Für Flaischlen beginnt sie deshalb mit den Kritischen Waffen-gängen (1882–1884) der Gebrüder Hart.5

Ob die von Flaischlen so gepriesene naturalistische Bewegung tat-sächlich die treibende Kraft für die Literatur des ausgehenden 19. Jahr-hunderts darstellte, bleibt zu fragen. Die lyrik-geschichtliche For-schung jedenfalls antwortet nüchtern: Für die Lyrik gelten die Jahrezwischen 1850 und 1890 als „innovationsarme Periode“,6 die – Ausnah-men bestätigen die Regel – bloß bekannte Muster der politischen Dich-tung, der romantischen Natur-, Liebes- und Gedankenlyrik wiederho-le.7 Läßt sich für diese Periode sagen, daß sie auf den äußeren Wandelmit Rückzug, mit Traditionsgläubigkeit und Selbstsorge reagierte, daßsie eingeführte Denk-, Darstellungs- und Erklärungsmuster bewahrteund erst ab 1890 allmählich den Mut faßte, sich den neuen Anforderun-gen zu stellen?

Feststeht, daß sich Lyrik und Lyrik-Anthologien der 1860er und70er Jahre – also im Ausgang aus der Erlebnislyrik8 – noch an denFormidealen Platens, Geibels und des Münchner Dichterkreises aus-richteten, die den Vorlieben des gebildeten Publikums entgegenka-men.9 Namentlich Geibel, der Bonner Kommilitone von Karl Marxund spätere ‚poeta laureatus‘ am bayerischen Hof, feierte mit seiner pa-

4 Für Fragen der Periodisierung siehe auch Abschnitt 3. der Einleitung zu dieser Un-tersuchung.

5 Flaischlen: Zur modernen Dichtung (wie Anm.V., 1), S. 238.6 Schönert 2000, S. 172.7 Für die poetologische Lyrik Schlaffer 1966; mit Differenzierungen für die allgemeine

Lyrik-Entwicklung Fohrmann 1996; sehr entschieden T. Meyer 2000 u. Austermühl2000; vorsichtiger Schönert 2000, S. 171.

8 Siehe Henel 1966, vgl. auch den Exkurs unter Abschnitt 3. in diesem Kapitel.9 Fohrmann 1996, S. 443 f.; Schönert 2000, S. 177. Über Geibel siehe auch die Ab-

schnitte I. 3. und IV.b) dieser Untersuchung.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion264

triotischen Lyrik Verkaufserfolge.10 Ästhetisierung verbunden mit Tri-vialisierung,11 zugleich aber die zunehmende „Wirklichkeitsreferenz“von Gedichten – so lauten die gegenäufigen Entwicklungen der Zeit;12

sie werden, so die ‚opinio communis‘ der Forschung, erst von symbo-listischen Bestrebungen (Conrad Ferdinand Meyer, Rainer Maria Ril-ke, George-Kreis, Hofmannsthal) beendet bzw. abgelöst; diese brechenmit ‚veralteten‘ Bildern und Mustern der Sinnstiftung (oder – mitRücksicht auf Flaischlen: des Sinnverzichts).13 Die Vielfalt der Orien-tierungen steigert sich zu einer Vielfalt individueller Orientierungsbe-mühungen.14 Eine gemeinsame Poetik entsteht dabei nicht. VereinzelteGruppen- oder Autorpoetiken beherrschen das Feld.

Wenn hier gezeigt werden soll, daß sich Gottfried Keller schon inden 1840er Jahren von gängigen Vorstellungen über Poesie und Weltemanzipierte,15 so steht diese Absicht im Einklang mit den angespro-chenen Forschungsergebnissen, betont aber die innovative Kraft vonKellers Lyrik: Keller sinnt darauf, den technischen Wandel, den Flai-schlen erst Jahrzehnte später beschreibt, in angemessene poetologischeFormen zu überführen (1. Teil). Schon in den 1840er Jahren unterschei-den sich Kellers Gedichte von der politischen Lyrik vor 1850 und vonder Naturlyrik der 1820er/25er sowie 30er Jahre;16 seine poetologische

10 Schönert 2000, S. 173, Anm. 7.11 Fohrmann 1996, S. 443–446.12 Schönert 2000, S. 172, 177.13 Henel 1966, vor allem ab S. 235; Thomé 2002.14 Ich folge hierin Elke Austermühl (2000), die die Entwicklungen der Lyrik zwischen

1890 und 1918 bereits in die Positionen der einzelnen Dichter auflöst.15 Vergleichbares gilt für Theodor Storm: In „Lyrische Form“ (1883/84), aus Anlaß

von Geibels Tod entstanden, setzt sich Storms Sprecher kritisch mit dessen Poetikauseinander. Er tadelt die übermäßige Betonung der Form, wie Geibel sie praktizie-re, und fordert statt dessen, die Form nur als ‚Gefäß‘ für „Sinn“ zu betrachten(Storm 1987, S.34 f.) Storm verfaßt jedoch nur wenige poetologische Gedichte: Nachden frühen Sänger-Gedichten („Der Sänger beim Mahle“, 1836, „Sängers Abend-lied“, 1834) in der Tradition Uhlands folgen noch „Bei meinen Liedern. An –“(1839/40) und „Kritik“ (1852), die sich gleichermaßen für das Verfertigen von Lie-beslyrik einsetzen. Das Verfertigen von Liebeslyrik gilt danach – entgegen einer Kri-tik, die Liebslyrik als konventionell wahrnimmt – als wünschenswert, weil es derKommunikation mit einem Gegenüber diene und ‚authentische‘ Gefühle ausspre-che. – Ich stelle die wenigen und knappen poetologischen Gedichte Storms hier zu-gunsten der komplexeren Texte Kellers zurück; für Lyrik und Poetik Storms sieheJackson 2001, S. 86–95.

16 Politische Lyrik verliert nach der Auflösung der Nationalversammlung (1849) anBedeutung und gewinnt diese erst im Gewand der patriotischen Lyrik (1860er und70er Jahre) wieder; Schönert 2000, S. 173, Anm. 7.

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Lyrik gilt mir aber dennoch als Beispiel des Übergangs: von der Natur-lyrik zu einer (proto-)realistischen ‚Technik-Lyrik‘ und vom Neuhu-manismus zur Differenzierung der Handlungsrollen.17 Die neuhuma-nistische Einheit des ‚ganzen Menschen‘ fällt, wie sich im Blick auf Kel-lers Texte zeigen läßt, der wissenschaftlichen, technischen und sozialenDynamik zum Opfer. Im Fall Kellers verändern sich poetologische Po-sitionen schnell, um – mit Flaischlen – auf den ‚Geist des technischenund wissenschaftlichen Zeitalters‘ zu reagieren. Nachstehende Darstel-lung zielt entsprechend auf Modelle von Kontinuität und Bruch mitden überlieferten Poetiken und nicht auf das bewährte literaturge-schichtliche Darstellungsmuster von der ‚ewigen Wiederkehr des Glei-chen‘ in der Lyrik zwischen 1860 und 1890 (2. Teil).

Dabei eilt die Reflexion über das Neue einer innovativen Formge-bung voraus: Sowohl realistische als auch naturalistische Gedichte fol-gen dem Muster ‚Reflexionsgewinn bei Formkonventionalität‘.18 IhreLeistungen – besonders diejenige der naturalistischen Texte – liegen inder Poetik-Kritik und im programmatischen Neuentwurf. Dieser Um-stand wurde bisher nicht ausreichend gewürdigt; naturalistische Lyrikmußte sich vielmehr an der Lyrik der Avantgarden um 1900 messen las-sen. Das Ergebnis war damit immer schon vorausgesetzt: Naturalisti-sche Lyrik fiel gegen diejenige um 1900 ab.19 Demgegenüber geht eshier um einen historisch angemessenen und aus den Entwicklungen des19. Jahrhunderts selbst entwickelten Zugang zu jener ‚innovationsar-men‘ Lyrik vor 1900, aus der diejenige der Avantgarden erst entstehenkann – im Positiven wie im Negativen: Lyrik und Poetik um 1900knüpfen an die heroisierenden Selbstbeschreibungen des Naturalismusan. Anders als der Naturalismus schließen sie Wirklichkeit weitgehendaus, werden hermetisch und selbstreflexiv,20 um jenen Sinn zurückzu-erobern, den derselbe Naturalismus aus der Welt geschafft hatte.

17 Über den Neuhumanismus siehe die einleitenden Bemerkungen zu Kapitel III. die-ser Untersuchung; zur Periodisierung siehe Abschnitt I. 3.

18 Die Formkonventionalität untersucht Austermühl 2000, S.351 f.19 Paradigmatisch dafür Austermühl 2000, die die Lyrik zwischen 1890 und 1918 gera-

de nicht nach traditionellen Schreibweisen beurteilt (ebd., S.350), sondern statt des-sen die Lyrik der Jahrhundertwende am Maßstab des ‚Neuen‘ mißt. Obige Argu-mentation kann sich demgegenüber auf Gotthart Wunberg (2001, S. 86) stützen, derbereits zeigte, daß der Naturalismus Innovationen (Vorliebe für Darstellung des De-tails und für die Sozialthematik) bereithält, die um 1900 aufgenommen werden.

20 Wunberg (1989) vermittelt den besten Überblick über diese Entwicklungen undOrientierungen.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion266

Auf die Wirklichkeitsemphase realistischer und naturalistischer Ly-rik folgt also ihr entwicklungslogisches Gegenteil: Um 1900 tritt die„Wirklichkeitsreferenz“ in der Lyrik zugunsten von Selbstreferenzund von der Referenz auf Kunst, auf ‚ganz Anderes‘, Heiliges, Frem-des und Archaisches zurück. Lyrik sucht nach Rettung aus spirituellerNot. Denn im Ausgang des 19. Jahrhunderts erscheint Wirklichkeitendgültig als technisiert, mechanisiert, materialisiert und säkularisiert,als entheiligt. Zahlreiche Poetiken um 1900 wollen dieser Wirklichkeiteine neue mentale Heimat stiften, ohne Entdeckungen des 19. Jahrhun-derts aufzugeben oder rückgängig zu machen. Vielmehr geht es dar-um, das Vorhandene – Literatur eingeschlossen – zu transzendieren.Dafür stehen um 1900 Reflexionsmuster der Künstlerpoetik zur Ver-fügung, die dem Alten neuen Glanz, aber auch neue Struktur verlei-hen. Gemeint sind die vielfältigen Denkbewegungen der Lebensre-form, die auf allen Gebieten künstlerischen und materiellen Lebensnach Ganzheitlichkeit strebt.21 Sie belebt die ‚Illusionen‘ der Romantikneu, zielt auf Mystisches: auf ‚übersinnliche‘ Erfahrungen, Erlebnisse,Gedanken, Theorien oder Weltanschauungen, die der ‚unio mystica‘strukturell gleichen, ohne auf einen persönlichen Gott bezogen zusein.22 Lyrik um 1900 erweist sich dabei als ‚rückwärtsgewandter‘ ver-glichen mit derjenigen zwischen 1840 und 1890: Lyrik zwischen 1890und 1918 gehorcht dem Muster der ‚Reflexionsumkehr bei Formreich-tum‘ (3. Teil).

Trotz dieser Unterschiede weichen die Reflexionen des Realismus,des Naturalismus und der Lyrik um 1900 nur graduell voneinander ab.Sie bilden eine kontinuierliche Linie poetologischen Denkens aus, diegleichwohl Brüche kennt:23 die Reflexion der Reflexion, das Neu-Be-

21 Siehe die Beiträge in Buchholz, Latocha, Peckmann u. Wolbert 2001, die den Kom-plex der Lebensreform umfassend erschließen; für eine Periodisierung Lindner 2003;thematisch geordnet Kindt u. Müller 2003.

22 Der Gebrauch des Begriffs folgt Uwe Spörl Erklärung von ‚Mystik‘ 1997, S.26. Ichspreche aber auch in einem weiteren Sinne von ‚Mystifikation‘ und von ‚Mystizis-men‘; siehe dazu Wagner-Egelhaaf 1998, S.41. – Hinsichtlich der (Sinnes-)Erfahrun-gen, die dem mystischen Erleben der ‚unio mystica‘ zugrunde liegen, ergeben sichÜberschneidungen mit dem Begriff ‚sensualistisch‘. Sensualistische Positionen er-weisen sich jedoch nicht notwendigerweise als mystisch; sie leiten sich vielmehr ausÜberzeugungen ab, die den Menschen – oft vor dem Hintergrund physiologischerErkenntnisse – als sinnliches Wesen konzipieren und nicht auf Übersinnliches zie-len.

23 Insofern läßt sich den Positionen von T. Meyer (2000) und Austermühl (2000) zu-stimmen.

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1. Von der subjektiven Reflexion zur Selbstreflexion 267

denken des vorhandenen ‚Bedenkens‘. Dabei erweisen sich die Refle-xionen dieser Bewegungen als (Re-)Visionen; Realismus, Naturalis-mus, deutlich weniger allerdings die Lyrik um 1900 leben in einer Viel-falt der Orientierungen vom Überlieferten – genauer: von der eigenenSicht auf ‚das Alte‘. Allerdings verändern sich die Typen dieser Refle-xionen der Reflexion. Während Keller noch gemäßigt und ironisch auf-nimmt, was die Vorwelt bietet, kritisiert der Naturalismus sie energischund versagt am Neuentwurf. Lyriker um 1900 hingegen konzentrierensich auf solche Neuentwürfe: Sie schreiben um, ändern und tilgen ihreQuellen nicht selten im Sinne der jeweiligen Selbstreflexion.

1. Von der subjektiven Reflexion zur Selbstreflexion.Gottfried Kellers Poetik zwischen Fortschrittsoptimismus

und prophetischer Selbstbescheidung:Erwiderung auf Justinus Kerner’s Lied Unter dem Himmel,

Subjektives Dichten, Dichter und Denker (alle 1846)

Den Zeitgenossen der 1840er und 50er Jahre gilt die Lyrik Kellers mitgutem Grund als unkonventionell.24 Sie hebt sich von der übrigen Lyrikab. Selbst im Gefolge des „poetischen Realismus“ widmete man sichnämlich noch der (Natur-)Romantik: Otto Ludwigs Der junge Dichterbeispielsweise beschreibt, wie der junge Poet auf seine Inspiration undseine Meisterschaft geprüft wird. Es geht um Weihe, „Seherblick“ und„Götterwort“.25 Felix Dahn lehnt sich an diese Bildlichkeit an, nimmtaber bereits Abschied von der Poesie (1865): von der ‚heiligen Poesie‘,dem „heil’ge[n] Wind“.26 Zwar läßt sich sein Dichter-Sprecher nochvon den Schauspielen der Natur inspieren.27 Aber er weiß, daß ihm dieWildnis nicht zu Gebote steht. Er läßt sich in den gepflegten Parks derNaturlyrik nieder, ist sich der Konventionalität seiner Naturreflexio-nen bewußt.

Für Keller hingegen soll hier gezeigt werden, daß er fortsetzt, wasMörike, Vischer und Strauß unter neuhumanistischem Vorzeichen ent-

24 Schönert 2000, S. 177.25 Otto Ludwig: Der junge Dichter, in: ders. 1922, S. 31–36, hier S. 36.26 Felix Dahn: Abschied von der Poesie (1865), in: ders. 1890–1899, V, S. 111 f., hier

S. 111.27 Dahn: Meine Muse, in: ders. 1890–1899, V, S. 657 f.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion268

wickelten, nämlich eine subjektive, aber reflektierte und reflexive, einehumorvolle und wirklichkeitszugewandte Poesie. Dabei unterscheidetsich die Reflexion Kellers von der Meta-Reflexion Mörikes. Keller gehtes nicht mehr darum, über die Reflexion selbst hinaus zu gelangen, son-dern darum, sie zugunsten eines zeitgemäßen Welt- und Selbstbilds ein-zusetzen. Der Blick auf die Kontinuität neuhumanistischer Poetik in derrealistischen ist neu für die Keller- ebenso wie für die Poetik-Forschung.

Keller schrieb (vor allem in den 1840er Jahren) politische Lyrik, Na-turlyrik, Liebeslyrik, Gelegenheitslyrik und – nicht zuletzt – solche Ge-dichte, in denen Poesie und Poet selbst zu Themen werden.28 Das SonettSubjektives Dichten sowie die Texte Denker und Dichter und Erwide-rung auf Justinus Kerner’s Lied: Unter dem Himmel (entstanden 1845)entstammen den frühen Gedichten (1846).29 Nur der Ghasel Unser istdas Reich der Epigonen geht auf die Neueren Gedichte (1854) zurück.30

Bei den frühen Gedichten handelt es sich um ausgesprochen spielerischeund variantenreiche Texte einer bestimmten historischen Prägung: ImJahr 1846 freundet sich der „erzradikale“ Dichter Keller mit dem radi-kal-liberalen Freiligrath an und setzt große Hoffnungen auf Herwegh.31

Dieser poetologische, politische und gesellschaftliche Optimismusschlägt sich auch in Kellers poetologischen Gedichten nieder, besondersin seiner Erwiderung auf Kerner. Kerners Gedicht erschien im Cotta-schen Morgenblatt (1846),32 und Keller reagiert direkt auf den poetolo-gischen Pessimismus, den Kerner in acht Strophen zelebriert.

Der Sprecher von Kerners Romanze Unter dem Himmel gibt sich alsDichter zu erkennen, und zwar als natur-romantischer Dichter: Er liegtin „Gras und Blumen“,33 schaut in den blauen Himmel und denkt überetwas nach, was er als Übel empfindet, nämlich über den technischenFortschritt. In einer sehr klaren Raum- und Zeitsemantik drückt er sei-

28 Kellers poetologische Gedichte wurden von der Forschung bislang gering geachtet.Hinck (1994, S. 168) erwähnt immerhin das „Los der Epigonen“, nutzt es aber füreine Beschreibung der Dichterexistenzen von Geibel und Heyse.

29 Den epischen „Poetentod“ spare ich aus, weil er in beinahe Uhlandschem Ton bloßdas Ableben des Poeten schildert und für die Poetik Kellers wenig neue Erkenntnis-se eröffnet.

30 Die erwähnten Gedichte nimmt Keller darüber hinaus in seine „Gesammelten Ge-dichte“ (1888) auf.

31 Keller an Rudolf Leemann, Zürich, den 16. September 1845, in: Keller 1919, II,S. 124–127, hier S. 126.

32 Kerner nimmt es unter dem Titel „Im Grase“ in seine „Lyrischen Gedichte“ (1848)auf; siehe Keller 1995, I, Kommentar, S. 969.

33 Kerner: Unter dem Himmel, in: Keller 1995, I, S.154 f., hier S. 154, V. 1.

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1. Von der subjektiven Reflexion zur Selbstreflexion 269

ne Kritik daran aus. Die irdische Gegenwart habe sich längst auf diesenFortschritt ausgerichtet und ihn mit Dampfer, Eisenbahn und Segel-schiff umgesetzt. Fehlte nur noch, daß der Mensch das Fliegen erlernte,und damit die himmlische Ruhe störte, die der Sprecher im Gras lie-gend genießt:

Satt laßt mich schaun vom ErdgetümmelZum Himmel, eh’ es ist zu spät,Wann, wie vom Erdball, so vom HimmelDie Poesie still trauernd geht.

Verzeiht dies Lied des Dichters Grolle,Träumt er von solchem Himmelsgraus,Er, den die Zeit, die dampfestolle,Schließt von der Erde lieblos aus.34

Von technischen Neuerungen fühlt sich Kerners Sprecher nicht nur be-droht; er betrachtet sich bereits als von der menschlichen Gemeinschaftausgeschlossen. In schwarzen und weißen Farben malt er aus, daß Poe-sie, Dichter und Natur auf der einen, Fortschrittsglaube und Technikauf der anderen Seite stünden. Aus seiner Sicht kommt beides nichtmehr zusammen. Unter dem Himmel läßt sich deshalb nicht bloß alssozialkritisches Gedicht lesen. Vielmehr formuliert der Text die ‚naive‘Naturpoetik des ersten schwäbischen Dichterzirkels noch einmal inprototypischer Weise, setzt den Poesie-Begriff dieser Poetik absolutund stellt ihn als ‚rückwärtsgewandte Utopie‘ dar: Poesie ist in einerZeit technischer Veränderung überhaupt nicht mehr möglich; sie ziehtsich auf sich selbst zurück, reflektiert sich nurmehr selbst. Reflexionmeint hier Trauer über Vergangenes und ein entschlossenes ‚Dagegen‘,sofern die neue technische Weltordnung betroffen ist.35

Kerner stellt für Keller – wie für Strauß – deshalb dar, was als nichtmehr zeitgemäß, was als verschroben und als bloß noch natur-roman-tisch oder negativ: als natur-mystisch gilt. Der Poesie-Begriff, den derSprecher in den acht Strophen von Kellers Erwiderung ausdrückt, un-terscheidet sich – dementsprechend – in zweierlei Hinsicht von demje-nigen aus Unter dem Himmel: erstens erscheint die Poesie in Unter demHimmel als angeborene und schon aus diesem Grund als unverwüstli-che Gabe des Menschen. Poesie läßt sich nicht in „Dort und Hier“ tren-

34 Ebd., V. 24–32.35 „Unter dem Himmel“ markiert selbst einen Extremwert für Kellers naturlyrische

Weltflucht, vergleicht man den Text mit Marek Zyburas Beschreibung (1987, S.50 f.)der melancholischen Naturlyrik des Mediziner-Dichters.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion270

nen; sie bleibt dem Menschen in allen Lebenslagen, trotz der Technikund selbst in der Hölle erhalten.36 Zweitens schätzt Kellers Sprecher dieneuen Entwicklungen ganz und gar optimistisch ein und erblickt darinneue Herausforderungen für die Poesie selbst. Mehr noch: Die göttlicheVerheißung, daß das Reich des Herren kommen werde, setzt sich seinesErachtens mit den Mitteln des technischen Fortschritts durch.37

Keller veranschaulicht einen christlich gefärbten Fortschrittsopti-mismus, indem er biblische und technische Bilder eng verknüpft:38 DerGeist seines Dichters spannt den „Eliaswagen“ an, den Wagen, mit demder Prophet Elias zum Himmel fuhr (2. Kön. 2,11); dieser Wagen ent-puppt sich aber als „Feuerdrach“, als Eisenbahn.39 Derart beschleunigt,braust der Schaffner-Dichter Kellers an Kerners Schäferpoeten, amMagnetiseur und Zauberer vorbei. Kellers Darstellung einer rasantenneuen Welt gipfelt darin, daß er nicht nur Kerners Schreckbild vomfliegenden Menschen aufnimmt, sondern auch eine alte poetologischeAllegorie neu, nämlich technisch deutet:

Und wenn vielleicht, nach fünfzig Jahren,Ein Luftschiff voller GriechenweinDurch’s Morgenrot käm’ hergefahren –Wer möchte da nicht Fährmann sein?40

Aus der Allegorie von des Dichters Seefahrt41 wird eine visionäre Luft-schiffahrt des Poeten. Wie der Poet der Seefahrt-Allegorie will er – alsein bakchantischer Kapitän – das Luftschiff lenken und das Reich derSeligen ansteuern.

Gleichwohl setzt Keller selbst noch immer – und in zunehmendemMaße – auf die Darstellungs- und Deutungsmuster der Naturlyrik,42

36 Keller: Erwiderung, Auf Justinus Kerner’s Lied: Unter dem Himmel, in: Keller 1995,I, S. 155–157, hier S. 156, V. 5–9.

37 Ebd., V. 11 f.: „Und manchmal scheint mir, Gottes Werde! / Ertön’ erst recht dem‚Dichterhaus‘.“ – Mit dem ‚Dichterhaus‘ spielt Keller auf Kerners Haus in Weins-berg an; Keller 1995, I, Kommentar, S. 970.

38 Er konnte sich dafür von der Geschichtsphilosophie Isaak Iselin (1728–1782) inspi-rieren lassen. Er entfaltete eine umfangreiche, eine alle Bereiche menschlichen Le-bens umfassende Fortschrittserzählung; siehe Sommer 2002, S.31–48.

39 Keller: Erwiderung (wie Anm.V., 36), V. 14 u. 18; vgl. Kommentar, S. 970.40 Keller: Erwiderung (wie Anm.V., 36), V. 29–32.41 Über die Allegorie vgl. die Anmerkungen im Kapitel II. 3. a) über Arnims Darstel-

lung von Camões.42 Über die „Krise des Erklärungs- und Deutungsmusters ‚Natur‘“ in der Lyrik von

1850 bis 1890 und bei Keller Schönert 2000.

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1. Von der subjektiven Reflexion zur Selbstreflexion 271

bemüht sich um ein reflexives Verständnis von Poesie und poetisch-poetologischer Tradition: Kellers Sprecher will Kerners Poeten einesBesseren belehren. Der Fortschrittsoptimismus des Kellerschen Dich-ters schlägt sich in einer neuen Fortschrittspoetik nieder. Denn was die„alten Pergamente“ Kerners bzw. seines Sprechers kündeten, das ver-wirkliche erst der Fortschritt, der mit Dampfmaschine und Eisenbahnüber die Menschen gekommen sei.43 Doch obliegt es Kerner selbst,über die Angemessenheit dieser Poetik zu richten, denn Poesie erweistsich Kellers Sprecher zufolge als subjektive Gabe des einzelnen Men-schen. Zwar gilt der Ritt auf dem „Feuerdrach[en]“ als beste und mu-tigste Wahl für den Dichter, aber Kellers Sprecher verabsolutiert ihnnicht zur einzig wahren Existenzform, gibt sich als Poetiker vielmehrliberal. Er äußert sich bloß optimistisch und subjektiv über den Poeten.Schlägt Kellers Fortschrittsoptimismus auch in skeptische Selbstbe-scheidung um, so bleibt die reflexive Subjektivität doch das wesentlicheKennzeichen, das er der Poesie in seiner poetologischen Lyrik zu-schreibt. Es stellt den Kern seiner lyrischen Poetik dar.

Dabei handelt es sich um eine andere Subjektivität, zieht man die‚empirische‘ Subjektivität der Droste zum Vergleich heran:44 Von dermoralischen Selbstbestimmung der frühen Droste scheiden Keller uto-pische und fortschritts-optimistische Reflexionen, die sogar die christ-liche Verheißung für die ‚neue Welt‘ gewinnen. Auf diese Weise, mitHilfe des biblisch beglaubigten Bildes vom „Eliaswagen“, müßte es ge-lingen, so die Logik der Erwiderung, Kerner, den Poeten des ‚AltenDeutschland‘, vom Wert des Neuen zu überzeugen. Reflexion der Re-flexion äußert sich hier in der Form einer gemäßigten und liberalen Iro-nie; sie ist weit von der Radikalität eines Wienbarg oder eines Feuer-bach entfernt, die das ‚Alte Deutschland‘ ebenso wie das Christentumohne Umschweife verdammt.45 Subjektives Dichten verdeutlicht dieProbleme, die aus diesem ironischen, liberalen und subjektiven Ver-ständnis von Poesie erwachsen:

43 Keller: Erwiderung (wie Anm.V., 36), V. 21–24.44 Hier hätte Selbmann also Recht, wenn er die Naturwissenschaft als ein für die Lyrik

untaugliches Denk- und Schreibmodell einschätzt; Selbmann 1999, S. 104. Für dieDroste lautete der Befund anders; vgl. den vorhergehenden Exkurs.

45 Im Ausgang aus der Religionskritik Feuerbachs läßt sich für Keller eine Welt- oderNaturfrömmigkeit beschreiben, die melancholische Züge trägt; siehe Wysling 1970;vgl. auch Bernhard Sorgs Interpretation des Keller-Gedichts „Ich hab an kalten Win-tertagen“ (Sorg 1999, S. 114–117, bes. S. 116 f.).

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion272

Ein wunderlicher Kauz ist der Poet,Der das, was alle Andern bloß empfinden,mit wunderlichen Worten sagen kann:

Wenn’s nun in seinem Namen besser geht,Wie möget ihr ein Ärgernis da finden,Ihr eigensüchtig Volk: Er, Sie, Es, Man?46

Kellers Terzette schildern den Dichter als einen „wunderliche[n]Kauz“, der aus der eigenen Subjektivität heraus sage, was andere bloßempfänden. Er vollbringe damit ein gutes Werk, gebe sich stellvertre-tend für andere preis. Dem fragenden Sprecher des Gedichts erscheintes deshalb als merkwürdig, daß sich ein „eigensüchtig Volk“ und „Kläf-fer“ gegen diese Dichtungsweise wendeten.47 Er sieht seine subjektivePoetik durch Kritiker bedroht, die auf bestimmte Formen und auf ei-nen allgemeinen, oder besser: entpersonalisierten Inhalt Wert legen undauf eine reine Reflexion abzielen, die er selbst nicht bieten will. Er hältan ganz subjektiven, wenn auch ironischen Reflexionen fest, sieht sichaber mit einem Wandel der Anschauungen konfrontiert.

Beispielhaft dafür sind Kellers Auseinandersetzungen mit einer be-stimmten Kritiker-Gruppe, mit ‚den Denkern‘. Dichter und Denkerbezieht sich in diesem Sinne unmittelbar auf Kellers Streit mit denJunghegelianern, mit Arnold Ruge, Bruno Bauer, David FriedrichStrauß, Ludwig Feuerbach und Karl Marx.48 Im Gefolge ihres LehrersHegel sehen sie Religion und Poesie als durch das regel- und begriffs-spendende Werk der Philosophie abgelöst – wenn auch in je unter-schiedlicher Weise und mit unterschiedlicher Radikalität. Keller ist an-derer Meinung. Allerdings wandeln sich seine Ansichten zwischen denGedichten von 1846 und den Gesammelten Gedichten von 1888, wieDichter und Denker und Unser ist das Los der Epigonen zeigen.

Denker und Dichter nämlich zerfällt in zwei Teile, wobei der zweiteTeil – im dialektischen Muster – eine Synthese des ersten bietet. Im er-sten Teil trifft das Heer der Denker auf die Streitmacht der Dichter. DieDenker vertreten eine These, die jedoch verborgen bleibt; letztere ste-hen für die Antithese ein und verfechten sie mit „goldnen Sonnenstrah-len“, „Blumen in den Talen“, „Tannen auf den Bergen“, mit „Himmels

46 Keller: Subjektives Dichten, in: Keller 1995, I, S. 58 f., hier S. 58, V. 9–14 [Hervorhe-bungen im Original].

47 Ebd., S. 58, V. 3. Ob Kerner mit dieser Polemik bestimmte Kritiker seiner Dichtungim Auge hat, bleibt unklar. Vgl. Keller 1995, I, Kommentar, S. 914.

48 Vgl. Keller 1995, I, Kommentar, S. 962 f.

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1. Von der subjektiven Reflexion zur Selbstreflexion 273

Sterne[n]“, geleitet vom „Oberstfeldzeugmeister [...] Phantasie“ sowiedem „Feldmarschall“, dem „Dichtergeist“ (oder dem „Dichterherz“,wie es in der handschriftlichen Fassung des Texts heißt).49 Der zweiteTeil bricht mit der Rhetorik und Bildlichkeit des Kampfes, die der ersteTeil entfaltet. Hier schlagen die Dichter vielmehr eine friedliche Koexi-stenz beider Parteien vor. Sie sollen sich auf eine Aufgabenteilung ver-ständigen, durch die sich die bestehende Ordnung bestätigt sehen kann.Dabei gebührt den Denkern (den „Bittern“) die Kritik des Bestehendenund damit auch die Kritik an der Religion. Sie soll sie vom Aberglaubenbefreien, so daß die Dichter auch die alte Religion neu gestalten können:

Dann aber folgt die DichterscharDie einen neuen Himmel baut,Darinnen man im LichttalarDen alten Gott der Liebe schaut.Voran, voran, ihr Bittern,In fegenden Gewittern!Wir ziehen heilend, segnend nachMit klar gestimmten Zithern.50

Radikale Hegelianer wie Feuerbach hätten einer solchen Aufgabentei-lung entschieden widersprechen müssen, galt Feuerbach das Christen-tum (und besonders die Christologie) doch bloß als Übergangsstadiumzur philosophischen Anthropologie.51 Solche Hegelianer, die sich – wieStrauß – gegen Feuerbach wandten, hätten Kellers Vorschlag zustim-men können.52 Keller distanziert sich für die Gesammelten Gedichteaber auch von ‚den Dichtern‘:53 Er spricht hier nicht mehr von einemheroischen „Dichtergeist“ (oder: vom besonders ‚empfindsamen‘„Dichterherz“), sondern bloß noch ironisch vom „leichte[n] Gemüt“,das den „Feldmarschall“ für die Dichter abgebe.54 Darüber hinausschreibt er – allerdings nur an einer Stelle – nicht mehr „Wir Dichter“,sondern nur distanziert „Die Dichter“.55

49 Keller: Denker und Dichter, in: Keller 1995, I, S. 146–149, hier (I), S. 146 f. Über dieAbweichung im Druck siehe den Kommentar in ebd., S.963.

50 Ebd., (II), S. 149. Kursivierungen im Original sind getilgt – zumal der veränderteNeuabdruck in den „Gesammelten Gedichten“ ebenfalls keine Kursivierungenmehr enthält; vgl. ebd., (II), S. 630.

51 Feuerbach 1843.52 Vgl. Kapitel III. 1. b) dieser Untersuchung; vgl. auch dasselbe Kapitel (Abschnitt 2.

über Straußens Kritik an Feuerbach).53 Vgl. Keller 1995, I, Kommentar, S. 963.54 Keller: Denker und Dichter (Wie Anm.V., 49), (I) S. 628, V. 39.55 Ebd., (II) S. 629, V. 7.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion274

Keller münzt seine subjektiven Reflexionen in objektive um, indemer die ‚alten‘ Texte mit neuem Vorzeichen versieht. Der Autor reflek-tiert das Selbstgeschriebene – in der Form einer Reflexion der Refle-xion der Reflexion. Hegels Reflexionsproblem wandert also noch inden 1840er Jahren in die Lyrik ein: Hier erklärt sich der Dichter selbst,deutet seine eigenen Aussagen, reagiert auf den eigenen oder fremdenReflexionsbedarf, auf ein Bedürfnis nach Urteil und Maßstab. Gründefür diese Selbstreflexion bzw. -kritik liegen – erstens – in der Enttäu-schung, daß die Gedichte bloß ein geteiltes Echo fanden.56 Keller teiltseine Enttäuschung über den eigenen Mißerfolg bereits ein Jahr spätermit, indem er einen wesentlichen Aspekt der neuhumanistischen Poe-tik von Vischer, Strauß und Mörike umschreibt:

Ich bin auch unter den Leuten fremd. Da die Poeten nichts anders sind, alseigentliche Menschen und folglich letztere alle auch Poeten sind, so sehen siedoch einen sogenannten Dichter scheu von der Seite und mißtrauisch an, wieeinen Verräter, welcher aus der Schule schwatzt und die kleinen Geheimnisseder Menschheit und Menschlichkeit ausplaudert.57

Poeten sind Menschen, und Menschen sind Poeten – soweit Kellers Re-zeption des Diktums vom ‚ganzen Menschen‘. Doch vertragen sie sichnicht. Keller fühlt sich als Dichter von seinesgleichen ausgeschlossenund meint, man betrachte ihn als einen Schmarotzer an der eigenenGattung. Er stellt das neuhumanistische Dichter-Bild, wie Strauß undVischer es am Beispiel Mörikes kultivieren, ‚vom Kopf auf die Füße‘,kritisiert es aus der eigenen Erfahrung und läßt den Zweifel am neuhu-manistischen Dichter-Bild für sich stehen. Daß dieser Zweifel im FalleKellers nachhaltig wirkt und ein grundsätzliches Problem bezeichnet,davon zeugt die Änderung der Verse von Dichter und Denker.

Ein zweiter Grund für Kellers Selbstkritik könnte darin liegen, daßer sich auch unabhängig von der eigenen poetischen Praxis der Seite derDenker annähert. In den Jahren 1848 und 1849 studiert er in Heidel-berg Anatomie und Physiologie,58 freilich ohne zu einer naturwissen-schaftlich inspirierten realistischen Poetik zu gelangen.59 Vielmehr ver-festigt sich eine ironische und selbstreflexive Poetik, die sich bereits inKellers Neuen Gedichten (1854) ankündigt und ihren Ausdruck in dem

56 Schönert 2000, S. 177.57 Keller an Ferdinand Freiligrath, Zürich, den 5. Februar 1847, in: Keller 1919, II,

S. 132–136, hier S. 136 f. [Hervorhebung im Original].58 Rohe 1996, S. 236 f.59 Über das Fehlen von Wissenschaftsreflexion im Realismus ebd., S. 228–230.

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1. Von der subjektiven Reflexion zur Selbstreflexion 275

lakonischen Ghasel Unser ist das Reich der Epigonen findet. Aber Kel-ler zieht sich nicht einfach resignativ aus dem Geschäft der Lyrik zu-rück; vielmehr kritisiert er ein unproduktives Epigonentum („Seht, wienoch einen Tropfen presset / Aus der alten Schale der Zitronen“),60 umein produktives zum Gebot der Zeit zu erheben. Vom poetologischenFortschrittsoptimismus der Erwiderung auf Kerner und vom emphati-schen Dichterbild aus der frühen Fassung von Denker und Dichterbleibt hier aber nur noch die Ausrichtung auf eine ‚künftige Dichtung‘übrig. Die eigene Tätigkeit aber erachtet Kellers Sprecher nicht nur alsexemplarisch, sondern auch als zu einer poetologischen Unzeit zeitge-mäß. Mit diesen Selbstreflexionen kommt Keller in gewisser Weise wie-der bei Kerner an: Kellers Sprecher begnügt sich nunmehr mit sichselbst und dem eigenen – minderwertigen – Dichten, wartet auf einen‚neuen Lenz‘ und läßt „der Dichtung Fahrzeug“ fahren, verabschiedetsich also von den technischen Bildern, die er in der Erwiderung mit derNaturlyrik konfrontierte. Seine Reflexion kehrt sich – lakonisch undselbst-distanziert – gegen die eigene Reflexion der Reflexion.

Wie zeitgemäß diese Form der Selbstreflexion ist, das zeigen auch diepoetologische Gedichte Theodor Fontanes. Er schildert die Poesie iro-nisch als ein „Hexchen“, das nur noch dann und wann ein „Klexchen“vor seiner „Stubentür“ hinterläßt, und den Dichter mehr quält als er-freut.61 In seiner poetologischen Lyrik zeichnet Fontane typisierteGenrebilder, greift zum Rollengedicht über den hungernden Poeten,der einem Zigeuner gleiche, und schreibt über die Muse, die den „Jam-mer der Welt“ vergessen mache.62 Keller geht hierin noch weiter. Erwendet sich gegen die ‚veraltete‘ Poesie-Auffassung Kerners und über-führt sie in ein eigenständiges Verständnis von Poesie als einer subjek-tiven, wirklichkeitszugewandten und optimistischen Reflexion überWirklichkeit und Poesie – wenn er auch bereits nach dem Erscheinenseines ersten Lyrik-Bandes mit diesem (Selbst-)Verständnis bricht.

60 Keller: Unser ist das Reich der Epigonen, in: Keller 1995, I, S.603, V. 3 f. – Zu diesenunproduktiven Epigonen gehören die naiven Naturlyriker ebenso wie leidenschafts-lose Dichter; vgl. Keller: Aus ihrem Leben: Dichtung und Wahrheit. 1. Ghasel;2. Konditor und Poet, in: Keller 1995, I, S. 153 f. Über die Ästhetik der EpigonalitätMeyer-Sickendiek 2001. Kellers Epigonen-Text erfuhr gerade ausführlich Beach-tung als poetologisches Gedicht (Neumeyr 2003) und wird deshalb hier zurückge-stellt.

61 Theodor Fontane: Poesie, das liebe Hexchen, in: ders. 1995, S.418 f.62 Fontane: Der echte Dichter (Wie man ihn sich früher dachte), in: ders. 1995, S.385 f.;

ders.: Die Muse (3. Dez. 1853), in: ders. 1995, S. 447 f., hier S. 448.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion276

Für die frühen optimistischen Reflexionen der 1840er Jahre konnteKeller sich noch auf die Grundlagen neuhumanistischer Poetik stützen,wie sie von Mörike, Vischer und Strauß bekannt sind. Mit Mörikekämpfen Vischer und Strauß gegen eine bloß rhetorische Dichtung. Sietreten dafür ein, gerade Lyrik als Ausdruck eines ebenso sensiblen wieunterhaltsamen und ausgeglichenen – kurzum: eines vorbildlichenSubjekts zu begreifen. Kellers frühe poetologischen Äußerungen rei-hen sich in diese Überlegungen ein. Er überbietet sie in seiner Erwide-rung sogar noch, und zwar in Richtung auf einen Fortschrittsoptimis-mus, der bei den skeptischen Schwaben nicht vorkommt.

In poetologischen Fragen wird sich Keller aber nach dem Mißerfolgder Gedichte skeptisch äußern. Er verabschiedet sogar das neuhuma-nistische Postulat vom ‚ganzen Menschen‘. Poetik und Weltsicht tretenauseinander. Denn Kellers briefliche Äußerungen über Vischer bele-gen, daß er im täglichen Umgang gleichwohl am neuhumanistischenMenschenideal festhält. In diesem Sinne betrachtet er seinen Freundund Förderer Vischer als gefährdet: Als Person „ein sehr liebenswürdi-ger und frischer Mensch“, habe er sich nunmehr ganz „zu dem Univer-sitätsvolk geschlagen“; er wandele sich zum Dogmatiker, zum verbis-senen und weltabgewandten Stubengelehrten.63 In gewisser Weisewendet Keller den Ästhetiker Vischer dabei gegen den Professor an:Vischer, der Vertreter des ‚ganzen Menschen‘, sieht sich plötzlich aufeinen bürokratischen Karrieristen im Räderwerk des Universitätsge-triebes reduziert. Gegen die neuhumanistische Begeisterung für den‚ganzen Menschen‘ stellt Keller die Differenzierung der Handlungs-rollen.

Unter diesem Aspekt überbietet Kellers Reflexion der Reflexionnoch die neuhumanistischen Prinzipien der Zeitgenossen; unter poeto-logischem Aspekt nimmt er deren Vorläufer auf’s Korn. Er mißt den ei-genen Lyrik-Begriff an Kerners Unter dem Himmel, überführt Natur-lyrik in Technik-Reflexion und ‚Technik-Lyrik‘. Zu diesem Zweck

63 Keller sendet diese Zeilen an einen anderen Freund und Förderer, nämlich an Her-mann Hettner (1821–1882). Dieser hat den Neuhumanismus in einer noch ausgereif-teren Form als Vischer und Strauß zur Grundlage seiner Literaturgeschichtsschrei-bung ebenso wie seiner Universitätspolitik gemacht (Schlott 1993, S. 39–50). Kellerweiß, daß sein Urteil dem Freund ‚aus der Seele‘ spricht. Keller an Hermann Hett-ner, den 21. Februar 1856, in: Keller 1919, II, Nr. S. 396–400, hier S. 396. Vgl. auchKellers Brief an Freiligrath, in: Keller 1919, II, Nr. 151, S. 439–442, hier S. 441: „Vi-scher ist ein von der Frau geschiedener Mensch, und meistens moros und hat jetztseine Ästhetik vollendet.“

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2. Im Ausgang aus dem Naturalismus 277

setzt er den eigenen neuhumanistischen Autor- sowie Poesie-Begriffbereits spielerisch ein – im Sinne einer (selbst-)experimentellen undsubjektiven Reflexion, die sich im Lauf der Zeit erheblich wandelt. Siemündet in prophetische Selbstbescheidung, in die Selbstbespiegelungdes epigonalen Poeten, der die eigene Begeisterung für Technik aufgibt.Kellers Sprecher akzeptiert die Handlungsrolle des professionellenPoeten, der nicht mehr exemplarisch alle Menschen, sondern nurmehrseinen Berufsstand repräsentiert.

Im Ausgang aus diesen Selbstbespiegelungen des Poeten steht einNaturalismus, der – mit Flaischlen – um die neuen technischen undwissenschaftlichen Entwicklungen des Jahrhunderts weiß, sie aberebensowenig in Wort und Schrift zu gestalten vermag wie sein realisti-scher Vorläufer. Gleichwohl heben naturalistische Poetiker mit großerEntschiedenheit an, setzen sich mit Donnergrollen und revolutionärenParolen für eine ‚echte Moderne‘ von der ‚überkommenen Dichtung‘ab,64 nutzen also viel deutlichere Muster der Abgrenzung, als sie dieKellersche Erwiderung gegen Kerner ins Feld führte.

2. Im Ausgang aus dem Naturalismus:Ende der Lyrik oder bloß ein Vermittlungsproblem?

Protestkult der „Charaktere“ undOtto Julius Bierbaum Ein Gespräch (1895)

Daß der Naturalismus (vor allem Zur Linde, Holz) mit großer Empha-se begann, sich gegen jede „apriorische[] Versform“ wendete, fiel schonder zeitgenössischen Literaturgeschichtsschreibung auf.65 Ihr galt den-noch erst George als radikaler Neurer: als derjenige, der den „dichteri-sche[n] Zustand aus einer Weltergriffenheit“ hervorgehen läßt, der aufdas Ursprüngliche sinnt, sich tatsächlich von Konventionen löst, derdie Gegenwart haßt, der im Medium der Dichtung (und des Dichters)auf ein asketisches „Gegenbild[]“ zu dieser zielt: auf eine neue Reli-gion, auf ein reines Leben.66

Der Impetus zu diesem radikalen Bruch mit der poetischen und poe-tologischen Vergangenheit entstammt aber gleichwohl dem Naturalis-

64 Über die Wiederkehr solcher ‚Modernen‘ Thomé 2000.65 R. M. Meyer 1912, S. 629.66 Ebd., S. 629 f.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion278

mus. Die Kritischen Waffengänge der Gebrüder Hart beklagen den„Fluthwall“ dilettantischer Lyrik: das sorgsame, aber farblose und ste-reotype Verseschmieden aus der Schule Platens und Geibels.67 In diesenprogrammatischen Reflexionen der Reflexionen liegt sowohl das be-sondere Kennzeichen des Naturalismus als auch seine poetik-ge-schichtliche Leistung. Denn erst Jahrzehnte nach der jungdeutschenBewegung der 1830er und 40er Jahre stellt der Naturalismus radikal inFrage, was die Literaturproduktion und -rezeption des mittleren19. Jahrhunderts im Ausgang aus der jungdeutschen Bewegung eta-blierte. Als Beispiele dafür dienen mir die programmatischen Einlei-tungen und einige poetologische Gedichte aus Wilhelm Arents Antho-logie Moderne Dichter-Charaktere (1885), die als Gründungsmanifestdes deutschen Naturalismus gilt, sofern er sich in Lyrik ausdrückt.68 Eslohnt sich, die Anthologie neu und gründlich zu lesen, will man sichüber die besondere Qualität des Naturalismus im Vergleich zur Lyrikbis 1880 und im Vergleich zur Lyrik ab 1895 informieren.

In ihren Einleitungen zu Arents Anthologie erörtern Hermann Con-radi und Karl Henckell im Prinzip zweimal und mit etwas anderenWorten das Gleiche: erstens geht es ihnen darum, ein neues Zeitalterder Lyrik zu verkünden und sich gegen alles Vorhergehende abzugren-zen. Zweitens malen sie aus, was die neue lyrische Epoche leisten will.Ziel ist eine neue Volkspoesie, und zwar eine durchaus nationale, die eserlaubt, weite Kreise – Leser wie Dichter – für die Dichtung zurückzu-gewinnen.69 Zu diesem Zweck will Conradi nicht nur die „überlieferten

67 „Ein Lyriker à la mode“, in: Hart u. Hart 1969, 3 (1882), S. 52–68, hier S. 52 f. –Wenn die „Kritischen Waffengänge“ auch als die entscheidende Programmschriftdes Naturalismus gelten, so will ich die Interpretation dieser Programmatik hier zu-gunsten der ebenso bedeutsamen Anthologie „Moderne Dichter-Charaktere“ (hg. v.Wilhelm Arent) zurückstellen. Diese führt nämlich bereits ‚in actu‘ vor, wie Autor-poetik und poetologisches Gedicht aufeinander wirken – und wie sich poetologi-sche Lyrik von der naturalistischen Programmatik abgrenzt. Auch auf die poetolo-gische Lyrik von Arno Holz will ich nur in diesem Zusammenhang zu sprechenkommen. Es geht mir dabei ausschließlich um eine differenzierte Sicht auf den frü-hen Holz, der immer wieder pauschal als ‚naturalistischer Dichter‘ eingeordnetwurde.

68 Über die Anthologie siehe schon T. Meyer 2000, S. 41 f.69 Hermann Conradi: Unser Credo, in: Arent 1885, S. [I]–IV, hier S. [I]. Schon Theo-

dor Storm sah das ‚Ende der Lyrik‘ gekommen, weil sich die Lyrik selbst auf mecha-nische und bedeutungslose Versifizierungen für den bürgerlichen Bücherschrankeingelassen habe. Um jene schlichte und formal (möglicherweise mit Ausnahme vonC. F. Meyer) anspruchslose Lyrik wollte sich Storm aber nicht einmal mehr bemü-hen – im Gegenteil: Er grenzte sich von ihr ab; Schönert 2000, S.178.

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2. Im Ausgang aus dem Naturalismus 279

Motive[]“, die „abgenutzten Schablonen“ und die tradierten Rollen desSalon- und Fürstendichters abstreifen, sondern sieht sich von einem„grandiose[n] Protestgefühl“ getrieben:70

[...] gegen Unnatur und Charakterlosigkeit; gegen Ungerechtigkeit undFeigheit, die auf allen Gassen und Märkten gepflegt wird; gegen Heucheleiund Obscurantismus; gegen Dilettantismus in Kunst und Leben; gegen denbrutalen Egoismus und den erbärmlichen Particularismus, die nirgends eingroßes, starkes Gemeingefühl, ein lebendiges Einigkeitsbewußtsein aufkom-men lassen!71

Dieses „Protestgefühl“ gewinnt eine Eigendynamik, die von mehr alsbloß sozialen Motivationen entfesselt wird. Conradi plädiert stellver-tretend für die „Dichter-Charaktere“ für eine sakrale, gemeinschaft-stiftende und vom Ursprung des Volkes her inspirierte Poesie. Er nä-hert sich diesen Vorstellungen ex negativo, in Abgrenzung von der Ver-gangenheit, formuliert sie aber auch ausdrücklich und mit Hilfe ent-sprechender Schlagworte: „Die neue Lyrik“, von der auch Henckellspricht, soll aus dem „germanischen Wesen“, aus dem „Geist wiederer-wachter Nationalität“ entstehen.72

Aus dieser Forderung ergeben sich Konsequenzen für den Dichterund für die Poesie. Der deutsche Dichter, so heißt es, richte sich auf„Titanisches“ und „Geniales“; er bilde seine „künstlerische[] Indivi-dualität [...] schrankenlos[]“ aus, werde eine eigene und ursprünglichePersönlichkeit, ein exemplarischer Mensch, eben ein „Charakter“, derfür alle anderen empfinde, der in Leben und Dichtung eingreife:73

Dann werden die Dichter ihrer wahren Mission sich wieder bewußt werden.Hüter und Heger, Führer und Tröster, Pfadfinder und Weggeleiter, Aerzteund Priester der Menschen zu sein.74

Der „Dichter-Charakter[]“ erweist sich als Prophet, der, um seine„Mission“ auszuführen, in ganz elementare Rollen schlüpft. Er führtund behütet den Menschen, heilt ihn von physischem und psychischemÜbel. Einer solchen sakralen und volksmythischen Bestimmung desDichteramts entspricht eine sakrale Bestimmung der Poesie. Sie soll

70 Conradi: Unser Credo (wie Anm.V., 69), S. II u. IV.71 Ebd., S. IV.72 Ebd., S. II f.; vgl. Karl Henckell: Die neue Lyrik, in: Arent 1885, S. V–VII.73 Conradi: Unser Credo (wie Anm.V., 69), passim; Henckell: Die neue Lyrik (wie

Anm.V., 72), S. VII.74 Conradi: Unser Credo (wie Anm.V., 69), S. III.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion280

„wieder ein Heiligthum werden, zu dessen geweihter Stätte das Volkwallfahrtet.“75

Blickt man von dieser Bestimmung auf den Begriff „Dichtercharak-ter“ zurück, wie ihn der Anthologist Adolf Laun schon im Jahr 1869gebrauchte, dann fällt auf, daß Conradi und Henckell überhöhen, wasLaun damit meinte. Laun ging es bloß darum, Charaktere „aus demBoden ihrer Nationalität und ihrer Zeit herauswachsen“ zu lassen unddarum, „sympathetische Teilnahme“ zu erzeugen.76 Conradi undHenckell aber setzen auf volksmythische Reflexionen. Sie übertreffendie Poetik des Realismus bei weitem, und zwar, indem sie die Darstel-lungsmuster des ‚Jungen Deutschlands‘ in den Fassungen Wienbargsund Mundts zugunsten einer neuen Heldenpoetik wiederbeleben: my-thische Volkspoesie, Protest, Gemeinschaft, Inspiration, Titanismus,Genialität und Weihe zum Heiligtum der Poesie – das sind die radika-len, mythischen und mystischen Leitvorstellungen, die den Naturalis-mus vom Realismus (Kellers und Fontanes) unterscheiden.77

Diese nationalmythische Poetik findet ihren paradigmatischen Aus-druck in Oscar Linkes Ixion, einem Originalbeitrag für Arents Antho-logie und einer ‚Neufassung‘ von Arnims gleichnamigem Gedicht.78 Eshandelt sich nicht um einen poetologischen Text im engeren Sinne, abergleichwohl um einen Text, der implizit poetologische Aussagen trifft,indem er sich von der romantischen Tradition abgrenzt. Während Ar-nims Ixion unter seinem Schicksal leidet, sich für seinen naiven Glau-ben schilt, er selbst sei Gott, erträgt Linkes Ixion die Leiden im Hadesheroisch. Für seine Elegie, die alles andere als ein Klagelied ist, wählt ersich einen anderen Refrain als Arnims Ixion: „Ich habe [hatte] dasHöchste besessen!“,79 verkündet, was Hera (nach Lukian) befürchtete.Indem sie Zeus veranlaßte, Ixion für seine Buhlerei hart zu bestrafen,wollte sie vermeiden, daß ein Mensch behaupten könne, er habe sie, dieGöttin, verführt.80 Linkes Ixion aber fühlt sich in der Tat als Sieger über

75 Henckell: Die neue Lyrik (wie Anm.V., 72), S. VII.76 Laun 1869, S. IV f.77 T. Meyer stellt die Programmatik der „Dichter-Charaktere“ als weitaus gemäßigter

dar; erst auf diese Weise gelingt es ihm, den Naturalismus in ein realistisches Ge-samtpanorama einzufügen.

78 Siehe für Arnims „Ixion“ und die Herkunft des Mythos Kapitel II. 3. b) dieser Un-tersuchung.

79 Oscar Linke: Ixion, in: Arent 1885, S. 41–43, passim.80 Vgl. über den ‚Ehestreit‘ von Hera und Zeus Kapitel II. 3. b) dieser Untersuchung.

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2. Im Ausgang aus dem Naturalismus 281

die Göttin sowie über den gesamten Götterhimmel. Er näherte sichHera nämlich offenkundig erfolgreich:

Nein! Nimmer bekehren sie mich, und häuften sie grausamErfinderisch über mich kaum zu erdenkende Strafen!Ha, nimmer bekehren sie mich, nicht Menschen noch Götter,Ihr törichtes Mährchen zu glauben in kindlicher Einfalt!Ich täusche mich nicht: Kein Traum mein kühnster Gedanke!81

Linkes Ixion ist der paradigmatische „Charakter“. Hier emanzipiertsich das Individuum von Göttern wie von Menschen. Es traut sichselbst und der eigenen ursprünglichen Empfindung alles zu. Keine an-dere Mythengestalt hätte in gleicher Weise symbolisieren können, wasConradi und Henckell formulieren, als der Ixion Linkes. Reflexion derReflexion geschieht hier im Muster der Heroisierung der romantischenVorlage. Die naturalistische Reflexion der Reflexion löst ein, was derBezugsreflexion noch nicht zugänglich war: Plötzlich verwirklichensich die kühnsten Träume der Menschen. Poetologische Reflexion äu-ßert sich als Selbsterhebung des Dichters, als Selbstglorifizierung impoetologischen Überbietungsgestus. Der Dichter ist nicht mehr ‚gan-zer Mensch‘ oder experimentierendes Dichterwesen, sondern deut-scher Held. Linkes Ixion steht damit paradigmatisch und programma-tisch für den Bruch mit der romantischen ebenso wie der realistischenDichtungstradition: Sein Ixion hat mit demjenigen Arnims nicht mehrals das Thema gemein. Im Bild des Ixion stellt Linke die Lyrik-Tradi-tionen der Vorzeit an den naturalistischen Pranger und führt einenBruch mit diesen Tradition herbei.

Aber nicht nur in diesem Gedicht äußern sich die poetologischenVorstellungen Conradis und Henckells unmittelbar. Gleiches gilt fürpoetologische Lyrik-Texte wiederum von Linke, aber auch von Arentselbst und von Carl Bleibtreu. In ihren Schriften werden die Auffassun-gen von Conradi und Henckell topisch: Der Dichter gilt als „Priester“und „Prophet“, als derjenige, der von ‚der Menschheit Elend‘ kündetund dieses heilt;82 er folgt seiner „Dichtermission“ – und nutzt zu die-sem Zweck (wie Bleibtreu) nicht selten widersprüchliche Bilder.83

81 Linke: Ixion (wie Anm.V., 79), S. 43 [Hervorhebungen im Original].82 Wilhelm Arent: Zum Eingang, in: Arent 1885, S.10 f., hier S. 10; Oscar Linke: Dich-

terstolz, in: Arent 1885, S. 25 f., hier S. 25; Carl Bleibtreu: Dichtermission, in: Arent1885, S. 11–14, hier S. 11.

83 Vgl. Bleibtreu: Dichtermission (wie Anm.V., 82), S. 12: Hier gebraucht Bleibtreuchristliche Motive, um die Bedeutung der Poesie zu veranschaulichen, grenzt sich

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion282

Anders verhält es sich bereits mit dem frühen Arno Holz.84 Holz be-müht sich nicht, den ‚neuen Dichter‘ und die ‚neue Lyrik‘ zu schildern,sondern er begnügt sich – beinahe vollständig – mit einer satirischenKritik des Bestehenden. Seine Gedichte (Samstagsidyll, Berliner Schnit-zel, Ein Tagebuchblatt) lesen sich wie Momentaufnahmen aus demBerliner Alltagsleben. Zwar achtet Holz wie seine Kollegen aus denDichter-Charakteren noch immer penibel auf den Endreim, aber dieserwirkt hier nicht mehr sorgfältig gedrechselt, sondern er unterstreichtden gelegenheitspoetischen Gestus. Als ein Beispiel dienen mir die Ber-liner Schnitzel, ein Originalbeitrag für Arents-Anthologie aus dem Jahr1884. Holz beginnt seinen Text in einer Weise, als wolle er sich sogleichvon Conradi und Henckel absetzen:

1.

Kein rückwärts schauender Prophet,Geblendet durch unfaßliche Idole,Modern sei der Poet,Modern vom Scheitel bis zur Sohle.

2.

Verruchtes Epigonenthum,Egypter- und Teutonenthum,Daß dich der Teufel brate!Schon längst sind wir fascikelsatt,Grinst doch durch jedes TitelblattDas Dante’sche ‚Lasciate‘!85

Der Dichter der Berliner Schnitzel ist kein Prophet, schon gar kein„rückwärts schauender“. Außerdem richtet er sich gegen das „Teuto-nenthum“, in dem die beiden naturalistischen Programmatiker den Ur-sprung für die künftige Dichtung erblicken.86 Conradi, Henckell undHolz ist nur der radikale Bruch mit dem Vergangenen gemeinsam: derBruch mit dem produktiven „Epigonenthum“, das Keller noch als vor-läufige Lösung für poetologische Probleme pries. Zu diesem Bruch ge-

zugleich aber vom ‚Überirdischen‘ ab. Vgl. ebd., S.14: Bleibtreu bezeichnet die Poe-sie mal als „Mond“, mal als „Lampe“.

84 Ich knüpfe hier an T. Meyers (2000, S. 41–43) Darstellung des frühen Holz an.85 Arno Holz: Berliner Schnitzel. [1884. Originalbeitrag], in: Arent 1885, S. 148–150,

hier S. 148.86 Dieser Unterschied wird noch einmal in „Schnitzel“ Nr. 7. Deutlich. Danach ent-

stammt das ‚Urewige‘ nicht der Volksmythologie, sondern es entsteht aus jedem ein-zelnen Herzen ebenso wie aus dem „Klangstrom lyrischer Gedichte“. Ebd., S. 149.

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2. Im Ausgang aus dem Naturalismus 283

hört auch die vehemente Polemik gegen die Phrase, gegen die Prüderiedes zeitgenössischen Bildungsbürgertums (besonders gegen diejenigeder Lehrer ‚auf dem Katheder‘) und gegen die „Simpeldichter“, die nieder „dreimal heil’ge Zorn“ packt, weil sie das „Elend nur aus Büchernkennen.“87

Entwirft Holz ein positives Bild von der Poesie, so sucht er sich da-für – anders als die übrigen „Charaktere“ – schlichte Situationen. InSamstagsidyll beispielsweise schildert der Sprecher einen Wochenend-ausflug mit seiner Liebsten. Fernab von der „Fabrikstadt“ kommt mansich nahe – und kann vor Ergriffenheit nichts sagen: „‚Nun weißt auchDu, mein Herz, was Poesie [...]‘“, erklärt der Sprecher bewegt. Weiterheißt es:

‚[...] Sie speist die Armen und sie stärkt die Schwachen,Sie kann die Erde uns zum Himmel machen,Sie kost im Zephyr und sie harft im Föhn:Nicht wahr, mein Herz, das Leben ist doch schön?‘88

Der Sprecher setzt große Hoffnungen auf die Poesie: Sie hilft den sozialBenachteiligten, verschönert das Leben und entsteht aus einer besonde-ren innerlichen Bewegung. Doch durch die situative Darstellung er-scheint die Sprecher-Aussage über Poesie als ebenso ehrlich wie naiv.Mit Samstagsidyll gibt sich Holz wirklichkeitsnah und in einem roman-tischen Sinne sozialkritisch, distanziert sich aber zugleich davon. Er be-obachtet die Szenerie der „Fabrikstadt“ nur. Es bleibt dabei: Seine poe-tologischen Gedichte leben von einem Gestus der Distanzierung, von sosatirischer wie temperamentvoller Polemik. Anders als die meisten frü-hen Naturalisten reflektiert diese Polemik aber auch schon die natura-listische Programmatik selbst. Während Arent, Linke und Bleibtreu imVerhältnis von Eins zu Eins umsetzen, was Conradi und Henckel for-mulieren, kritisiert Holz dieselbe Programmatik mit lyrischen Mitteln.Darüber hinaus kann er als einer der wenigen Naturalisten gelten, diesich um formale Innovation bemühten und sich der sozialen Wirklich-keit in der Tat – wenn auch zurückhaltend – näherten. Reflexion der Re-flexion findet dabei im engen Gebiet des Naturalismus selbst statt, undzwar als Kritik und Weiterführung der Programmatik der eigenen Be-wegung. Von dieser sozialen und form-experimentellen Kritik gehenneue Impulse aus. Sie führen den Naturalismus vom Naturalismus weg.

87 Ebd., S. 149 f., Schnitzel 3., 5., 9.88 Arno Holz: Samstagsidyll [1884. Originalbeitrag], in: Arent 1885, S. 143 f., hier

S. 144.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion284

Vergleichbares ließe sich für die poetologischen Reflexionen OttoZur Lindes, Detlev von Liliencrons und Otto Julius Bierbaums zeigen,die sich bald vom Naturalismus lösen. Die Gründe dafür erörtert Bier-baum in einem Dialog zwischen dem „Einen“ und dem „Anderen“. Ererscheint nur zehn Jahre nach Arents Anthologie, und zwar in der Ju-gendstil-Zeitschrift Pan (1895).89 Der „Eine“, so die schlichte Hand-lung, ertappt den „Anderen“ beim Lesen eines Buchs mit düsteren Ver-sen – Anlaß genug, um über den künstlerischen und sozialen Stellen-wert von Lyrik zu diskutieren.

Während der „Andere“ die Lyrik verteidigt, erhebt der „Eine“ Mu-sik, Kunst und Theater über dieselbe, ja spricht Lyrik überhaupt dieExistenzberechtigung ab: „Unsere Zeit verlangt eben andre Interessen.Wir haben einfach mehr zu tun, als Verse lesen.“90 Seine stärksten Ar-gumente für diese Zeit-Diagnose entstammen allerdings nicht den ‚un-lyrischen‘ Anforderungen der Außenwelt, wie sie vor allem Liliencronin seiner poetologischen Lyrik beklagt,91 sondern der Lyrik selbst, undzwar ihrer neuesten Entwicklung. Der „Eine“ beginnt deshalb mit ei-ner Provokation:

Wer aber soll heute zu einem ruhigen Urteil gelangen angesichts dieses ge-schmacklosen Nebeneinanders von literarischen Gegensätzen? Kaum hatder Naturalismus Alles über den Haufen geworfen, was uns edel und schöndünkte, und schon soll dieser Naturalismus überwunden sein und wird alsunkünstlerisch verschrien.92

Er richtet sich nicht gegen den Naturalismus; vielmehr versucht er zuerörtern, warum es im Jahr 1895 so schwer fällt, Lyrik angemessenwahrzunehmen. Dabei gibt die Konjunktur des Naturalismus bloß einBeispiel für den schnellen Wechsel der dichterischen Moden ab, die der„Eine“ beklagt. Der „Andere“ stimmt ihm im Prinzip zu, will aber wei-terdenken. Aus seiner Sicht geht das „Geschrei“, in das der „Eine“ ein-stimmt, auf ein orientierungsloses „Publikum“ zurück:

Was fehlt, das ist die Vermittelung. Hier die Schaffenden da die Empfan-genden. Zwischen diesen beiden müsste es im rechten Maasse Vermittler

89 Über „Pan“ Butzer u. Günter 2000, S. 116–136, hier S. 125–127.90 Otto Julius Bierbaum: Ein Gespräch, in: Pan 1/2 (1895), S. 101–105, hier S. 102.91 Siehe Detlev von Liliencron: Dichterlos in Kamtschatka, in: Liliencron 1977,

S. 384 f.; ders.: Auf den Tod eines im Elend untergegangenen deutschen Dichters, in:Liliencron 1977, S. 387 f.; ders.: An meinen Freund, den Dichter, in: Liliencron 1977,S. 389–394.

92 Bierbaum: Ein Gespräch (wie Anm.V., 90), S. 104.

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2. Im Ausgang aus dem Naturalismus 285

geben, Leute, die ex officio Kenner und Verkünder wären [...]. [...] Berufenscheinen mir dazu die angestellten Lehrer der Literatur an den Universitä-ten und höheren Schulen zu sein, aber ich weiss nicht, ob sie alle auch aus-erwählt sind. [...] zum grossen Teil [sind sie] noch durchweg in der wissen-schaftlichen Sichtung der alten Schätze unsres Geisteslebens befangen, undhalten es für einen Raub ihrer Würde, wenn sie sich im Gegenwärtigen um-sehen.93

Aus der Sicht des „Anderen“ scheitert die neuere Lyrik an diesem Pu-blikum. Sie erscheint als zu kompliziert und als deutungsbedürftig,kann nicht (mehr) für sich selbst stehen und bleibt für den Leser unver-ständlich. Aus der Kritik der gegenwärtigen Literatur heraus gebiertder „Andere“ einen erneuerten Hegelianismus. Er nimmt Hegels Ar-gument auf, in der Kunst bzw. der Literatur gewinne die Reflexion sosehr Oberhand, daß sie der kundigen Deutung bedürfe.94 Ganz HegelsVorstellungen entsprechend ruft der „Andere“ nach „Vermittler[n]“und „Verkünder[n]“ für diese neue Literatur. Kandidaten für dieseshohe Amt erblickt er in den (Universitäts-)Lehrern, den Poetikern, Äs-thetikern und Literaturhistorikern, die diese Aufgabe aber erst für sichentdecken und alte Vorurteile gegen die Lyrik der Gegenwart ablegenmüßten. Der erneuerte Hegelianismus äußert sich hier also nicht alseine Kritik an der Reflexion in der Literatur, sondern als eine Kritik derinstitutionalisierten Reflexion an Schulen und Universitäten: eine Ver-lagerung des Problems, die sein Gesprächspartner als konventionellentlarven wird. Denn literarische und literaturinterpretierende Berufs-felder haben sich so sehr auseinanderentwickelt, ausdifferenziert undbinnendifferenziert, daß man sich wechselseitig nicht mehr wahrnimmtoder wahrnehmen will.

Der „Eine“ ist sich dieser Zustände bewußt und wendet sich deshalbgegen den Vorschlag des „Anderen“. Einerseits rückt er den „Anderen“auf die Seite der traditionsverachtenden und kathederstürmenden Na-turalisten, andererseits erscheint er ihm als zu bieder. Er spottet: „Alsodoch wieder der deutsche Professor als Nothelfer. Ich hätte Dich für ra-dikaler gehalten.“95 Doch der „Andere“ läßt sich nicht beirren: „Radikalhin, radikal her. Vor Worten muß man sich nicht fürchten; auch nichtvor dem Wort ‚Professor‘. Manchmal steckt ein Mensch dahinter.“96 Er

93 Ebd.94 Siehe die einleitenden Bemerkungen zu Kapitel III. dieser Untersuchung.95 Bierbaum: Ein Gespräch (wie Anm.V., 90), S. 105.96 Ebd.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion286

treibt die Debatte über professionelle Vermittler bzw. Verkünder vonLyrik weiter und stellt Anforderung für solche Vermittlungen auf:Schüler, Studenten und sogar die Dichter selbst sollen die „Grundlagender Kunst, Poesie zu lesen“ erlernen und „Bildung“ erwerben, um am„gegenwärtigen Geistesleben“ des Volkes teilnehmen und Literatur ge-nießen zu können.97 Der „Eine“ gibt seinen Widerstand gegen den „An-deren“ nicht auf. Er hält ihn für einen „unzeitgemässe[n] Herr[en]“.98

Das Auftauchen des Freundes „Eberhard“ verrätselt die Situation: Ernähert sich den beiden, in der Hand einen Goldschnitt-Band, auf den erallerdings nicht angesprochen werden will. Vielmehr verlangt er nachSkatkarten.

Auf der einen Seite steht das Bemühen um zeitgenössische Lyrik, dassich in Bierbaums Gespräch als Bemühen um den Erwerb angemesse-ner Kunstwahrnehmung äußert. Was Lyrik sei, was Dichter und Leserim einzelnen zu leisten hätten – all das bleibt offen. Vielmehr führendie zahlreichen Lyrik-Moden dazu, das man nicht mehr weiß, wasDichtung ist und sein soll. Mehr noch: Die Zeitgenossen sind sich un-klar darüber, ob überhaupt Lyrik sein soll, ob nicht vielmehr ein Skat-spiel zum Zeitvertreib ausreiche. Auf der anderen Seit steht das Lebenin materiellem Wohlstand und die Suche nach bloßer Unterhaltung.Nihilismus, Überfluß und Orientierungslosigkeit haben das naturali-stischen Heldentum des Poeten trivial werden lassen. Bierbaum willnaturalistische Reflexionen deshalb nicht rückgängig machen, suchtaber nach neuen Wegen, um Lyrik wieder zu Anerkennung zu verhel-fen.

Denn daß der Freund im Ausgang des Gesprächs einen Goldschnitt-Band mit sich führt, erschließt immerhin, daß der „Andere“ tatsächlichein Desiderat anspricht. Darüber hinaus gibt er erste Hinweise auf diegesuchten Vermittler und Verkünder. Der Hoffnungsträger heißt Bert-hold Litzmann (1857–1926), im Jahr 1895 Professor für neuere deut-sche Literaturgeschichte an der Bonner Universität, zuvor Leiter desBerliner Akademisch-literarischen Vereins.99 Litzmanns Vorlesungenrichten sich – anders als die Vorlesungen seiner Fachkollegen – nichtbloß an Studierende, sondern auch an die informierte Öffentlichkeit,sogar an die Dichter selbst.100 Mit anderen Worten: Ausdifferenzierungund Professionalisierung der wissenschaftlichen Rede über Literatur

97 Ebd.98 Ebd.99 Im Jahr 1906 gründete er auch in Bonn eine „Literarhistorische Gesellschaft“.

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führen zur Abgrenzung gegen die Literaturschaffenden selbst. Aus-nahmen wie Litzmann bestätigen die Regel. 100

Für die gelehrte und die wissenschaftliche Poetik und Ästhetik aberergibt sich ein komplexeres Bild. Aufgrund der vielfältigen literari-schen Orientierungen um 1900 und aufgrund einer theoretisch innova-tiven psychologischen Ästhetik sieht sich die Poetik vor neue Heraus-forderung gestellt. Sie verbindet historische Reflexionen mit formana-lytischen, psychologischen, physiologischen und sozialen, bleibt abernoch lange Zeit – von Rudolf Gottschall und Karl Borinski bis hin zuEmil Staiger – eine normative Wissenschaft, die die Forderung nachWertfreiheit erst nach und nach entdeckt.101 Die Professionalisierungpoetologischen Denkens führt also einerseits dazu, daß Poetik sich im-mer mehr an die ‚sciences‘ anschließt, andererseits aber auch dazu, daßsie sich von ihrem Gegenstand, von der Poesie entfernt. NormativePoesie-Reflexion findet deshalb nach und nach in den Künstlerpoeti-ken ihren Ort. Hier wird gefordert, angekündigt und polemisiert, umder eigenen Literaturanschauung Geltung zu verschaffen.

Gleichwohl läßt sich die Kunstproduktion von ästhetischen undpoetologischen Erkenntnissen der Wissenschaften anregen – sofern siepopulär vermittelt werden. Pan, Die Jugend, die Wiener Rundschauund andere Journale um 1900 enthalten immer auch allgemeinverständ-lich geschriebene Beiträge über ästhetische oder poetologische Fragen.Reflexion über Literatur diversifiziert sich immer mehr.102

Im folgenden soll es deshalb nur um ein Lösungsmuster gehen, das inder poetologischen Lyrik selbst für die Krise der Lyrik im ausgehenden19. Jahrhundert gefunden wird. Gemeint ist dasjenige der Mystifika-

100 Der „Andere“ erläutert, warum Litzmann ein so breites Publikum erreicht; Bier-baum: Ein Gespräch (wie Anm.V., 90), S. 105: Er gewöhnte sich „den alten und un-leidlichen ästhetisch dekretierenden Ton“ ab, „den die Dichter nicht vertragen.“

101 Die ethischen Vorlieben des Monismus und Neu-Kantianismus beispielsweise schil-dert Mirjam Storim (2002) am Beispiel der Debatte über Schmutz und Schund.

102 Dieses vielschichtige Feld von Lyrikproduktion, wissenschaftlicher Verarbeitungund populärwissenschaftlicher Anregung ist nicht oder nur schlecht erschlossen;vgl. nur für den Zeitraum von 1830 bis 1860 Ruprecht 1987; hilfreich ist auch Todo-rov 1981. Es fehlt aber schon an einer bibliographischen Übersicht über die Poetiken(und Ästhetiken) des 19. respektive des beginnenden 20. Jahrhunderts. – Ein Teil-projekt über „Historische Texttheorie“ im Rahmen des Dachprojekts, dem dieseUntersuchung entstammt (siehe Anm.I., 61), soll sich zumindest der gelehrten, wis-senschaftlichen und didaktischen Poetiken annehmen, diese mit dem Anspruch derVollständigkeit erschließen und die poetologischen Reflexionen in den Poetiken dar-legen, wie sie hier nur angedeutet werden können.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion288

tion von Poesie in Lyrik und Poetik.103 Es zielt auf Transzendenz unddamit sowohl auf eine übersinnliche Wahrnehmung und Darstellungvon Poesie. Wie andere poetische und poetologische Muster gehört eszu einem festen Bestand von Lyrik und Autorpoetik, der einmal bloßein ‚gesunkenes Kulturgut‘ darstellt, ein ander Mal aber wieder – in jespezifischer Form – an die Oberfläche der Schreib- und Publikations-tätigkeit gespült wird. Im 19. Jahrhundert ist dies vor allem in der Ro-mantik (Novalis, Kerner), seltener im Realismus (Ludwig, Dahn), häu-fig aber im Naturalismus (Arents Anthologie mit Ausnahme von Holz)der Fall. Blickt man darüber hinaus in die Jahrgänge der Zeitschrift Pan(1895–1899), dann nimmt sich ausgerechnet Flaischlen, der den techni-schen, sozialen und geistigen Wandel seiner Zeit so genau beobachtetund schildert, der Mystifikation naturalistischer Vorstellung vomDichter an.104

Als ein Beispiel dafür gilt mir Dem Dichter (1896): Flaischlen schil-dert den Dichter als mystischen Führer, als Heldendichter, der – wieConradi und Henckell fordern – Außergewöhnliches und zugleich Ex-emplarisches durchlebt. Dabei veranschaulicht die erste Zeichnung denKampf des Dichters mit sich und mit ‚dem Alten‘, der aber bereits seinSchwanenlied singt, um dem jungen Dichter ‚den Stab‘ zu übergeben.Flaischlen nimmt die naturalistische Programmatik von Conradi undHenckell nochmals auf und überführt sie in ein metaphorisch epigona-les Dichtergedicht: Der junge Dichter-Held ist Medium seiner selbstund der höheren Inspiration, die er in sich trägt, und die ihn dazu be-rechtigt, sein Volk anzuleiten. Volk und Dichter verbinden sich in der‚unio mystica‘: Inspiration ersetzt Reflexion.

Sofern Flaischlen den Dichter als Führer beschreibt, wird Dem Dich-ter den Dichtergedichten Georges (der seher, dichter in zeiten der wir-ren) vergleichbar. Hier ließe sich eine Traditionslinie für das Bild desDichter-Führers ziehen, die vom naturalistischen und volksmythischenDichten in die symbolistischen und esoterischen Zirkel um 1900 reich-te.105 Auf diese Weise ließe sich die Kontinuität der naturalistischen

103 Zu den Begriffen ‚Mystik‘ und ‚Mystifikation‘ siehe Anm.22 in diesem Kapitel. – In-dividuelle oder zirkelbezogene ‚Spezialpoetiken‘ will ich zugunsten dieses übergrei-fenden Wahrnehmungs- und Darstellungsmusters ausblenden; vgl. über diese ‚Spe-zialpoetiken‘ Austermühl 2000.

104 Auch Zur Linde tendiert in einigen Texten zu mystischen Vorstellungen; vgl. ders.:Der Dichter, in: ders. 1924, VII/VIII, S. 128 f. und seine Kriegsdichtung: Rechtferti-gung, in: ders. 1925, IX/X, S. 99–103.

105 Für den George-Kreis: Kolk 1998, S. 168–176; Beßlich 2003.

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2. Im Ausgang aus dem Naturalismus 289

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion290

Cäsar Flaischlen: Dem Dichter, in: Pan 2/1 (1896), S. 25 f.

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3. Mystifikation der Poesie 291

Dichtungsreflexion um 1900 belegen. Ihr Heroismus aber geht endgül-tig in Mystizismus über.

Doch soll diese Richtung hier nicht im Vordergrund stehen. Viel-mehr geht es mir um solche Dichter- und Poesie-Vorstellungen, die dasRollenbild des Führers zugunsten eines ‚reinen Mystizismus‘ abstrei-fen, die naturalistische Reflexionen der Reflexion hinter sich lassen,gleichwohl aber ihr Problempotential bewahren. Als ein Beispiel dafürgilt mir Rilkes poetologische Lyrik der 1910er und 20er Jahre.106 Be-zeichnenderweise sucht sie nicht im Naturalismus, sondern in der Ro-mantik nach neuer Energie und nach Orientierung: Rilke läßt sich vonJohn Keats anregen, obwohl die englischen Romantik für den franko-philen Dichter nie als Bezugsgebiet galt. Daß Rilke dabei ganz populäreund zeit-typische Auffassungen von Poesie und vom Poeten auf Keatsüberträgt, zeigt, wie fern die romantische Dichtung um 1900 bereitsliegt, wie sehr sie durch neue Denkmuster, durch neue Selbst- undFremdwahrnehmungen ersetzt ist. Rilkes – vermeintlich originärer –Keats-Reflexion geht eine lange Tradition der Reflexion KeatsscherPoesie-Reflexion voraus.107

3. Mystifikation der Poesie.John Keats: der ‚reine Dichter‘ als Medium

Über die Rezeption britischer Dichtung durch die deutsche Literaturder Jahrhundertwende heißt es, sie homogenisiere ganz unterschiedli-che Autoren und Positionen zu einer einheitlichen Bewegung.108 Vonbesonderer Bedeutung sei dabei die „‚Achse‘ George-Hofmanns-thal“,109 in erster Linie aber George selbst, der sich mit seinen Übertra-

106 Austermühl (2000, S. 358) erörterte, daß Hofmannsthal und der Rilke der Dingge-dichte zu den Dichtern gehören, die sich nicht mit einer ‚neuen Metaphysik‘ überWertverlust und Erkenntniszuwachs hinwegtäuschen.

107 Einer Sammlung aus dem Jahr 1853 beispielsweise gilt Keats bereits als der ‚wahrePoet‘, der sich für die Dichtung „aufopferte“ und der mißgünstigen Kritik zum Op-fer fiel; Ideler u. Nolte 1853, S.23. Die Autoren beziehen sich in ihrem Urteil auf dieKeats-Biographie von Richard Monckton Milnes (s. u.) und auf „Chamber’s Ency-clopaedia“.

108 So Emig 2000, S. 321.109 Ebd., S. 320. Hofmannsthals Verhältnis zur englischen Dichtung ist relativ gut un-

tersucht, so daß ich hier nicht eigens darauf eingehen muß; vgl. Hamburger 1963; Si-monis 1995. Allerdings kommt die Forschung zu gänzlich unterschiedlichen Wer-tungen: Simonis stellt ein enges Verhältnis von Hofmannsthal und Keats heraus, wo-

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion292

gungen englischer Dichter (1929) zum Zentrum der Literatur des ‚finde siècle‘ stilisieren wolle.110 Georges Übertragungen vereinen in derTat so unterschiedliche Autoren wie den Präraffaeliten Dante GabrielRossetti (1828–1882), den dichtenden Einzelgänger Algernon CharlesSwinburne (1837–1909) und den Rhymers’ Club-Autor ErnestDowson (1867–1900).111 Aber diese Übertragungen sind zuvor als Ein-zelpublikationen in den Blättern für die Kunst (Swinburne 1883/1896,Rossetti 1884, Dowson 1899) erschienen, und der Rahmen, den Georgediesen Texten in seinem Vorwort zu den Übertragungen verleiht, er-weist sich als polemisch zusammengezimmertes Konstrukt. Georgehebt hervor, daß all diese Dichter für das „wiedererwachen der dich-tung“ stünden, bezeichnet Rossetti, Swinburne und Dowson als „ver-ehrte[] meister“ und huldigt dem „neuen geist“, den sie eingeführt hät-ten.112

Darüber hinaus erweisen sich Georges Bemühungen, die englischenPoeten ‚im Geiste‘ zu vereinen, als zögerlich verglichen mit dem Vor-haben des jungen Rudolf Kassner, William Blake, Shelley, Keats, einigemittelalterliche Dichter, Rossetti, Swinburne, William Morris (1834–1896), Edward Burne-Jones (1833–1898) und Robert Browning (1812–1889) in Die Künstler, die Mystik und das Leben (1900) unter demStichwort der Mystik (und in dieser Reihenfolge) abzuhandeln.113

Kassner bietet keine Anthologie, sondern Essays über diese Dichter;die Form erlaubte es ihm, die künstlich hergestellte Einheit zugunstendifferenzierter und kritischer Bilder von Autor und Werk aufzubre-chen. Möglicherweise war es auch Kassner, der George die Stichwortefür sein Vorwort zu den Übertragungen lieferte:114 Aus dem homoge-

nach Keats’ Poetik für Hofmannsthals Ablösung von George entscheidend gewesenist. Emig hingegen kritisiert die Rezeption englischer Dichter durch Hofmannsthalals bloß klischeehaft.

110 Emig 2000, S. 323 f.111 George 1929; Emig 2000, S. 324.112 George 1929, S. 5; Emig 2000, S. 234.113 Die Auswahl, die die dichtenden Übersetzer um 1900 trafen, schlägt sich mit beein-

druckend kanonisierender Wirkung in den deutschsprachigen Anthologien engli-scher Lyrik des beginnenden 20. Jahrhunderts nieder; vgl. Borchardt 1936. Bor-chardts Sammlung enthält Texte von Byron, Shelley, Keats, Landor, Browning, Ros-setti und Swinburne, vgl. auch Bernus 1911, I, der ausschließlich Keats gewidmet ist.Band zwei berücksichtigt (in dieser Reihenfolge Blake, Morris, Dante Gabriel Ros-setti, Byron, Shelley und Swinburne); vgl. Bernus 1947, II.

114 Über die begeisterte Kassner-Rezeption Georges und Hofmannsthals vgl. Spörl1997, S. 158 f.

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3. Mystifikation der Poesie 293

nisierend-differenzierenden Reflexionstypus (Kassner) wird dabei eindifferenzierend-homogenisierender (George).

Aber neben diesen Rezeptions- und Reflexionstypen stehen viele an-dere: traditionell werktreue Übersetzungen, kreative Bearbeitungender Originaltexte usf. Im Ergebnis ließe sich zeigen, daß englischeDichter um 1900 in mindestens ebenso komplexer Weise wahrgenom-men werden wie noch im mittleren 19. Jahrhundert. Dabei ändert sichin erster Linie das Personal – auf seiten der Produzenten wie auf seitender Rezipienten. Neue Autoren tauchen auf;115 alte werden wiederent-deckt. Mit dem biographischen Alter von Dichtern, Kritikern und Wis-senschaftlern lassen sich solche Entwicklungen nur unzureichend er-klären; vielmehr scheint im Ausgang des 19. Jahrhunderts tatsächlichein neuer, nämlich experimentierfreudiger und elitärer ‚Geist‘ zu we-hen, der sich in der Lyrik durch eine Rückwendung zu einer ‚hohenDichtung‘ ausdrückt, die sich von der Romantik inspirieren läßt. Gun-dolfs Mörike-Darstellung ist dafür ebenso paradigmatisch wie die Be-schäftigung mit Hölderlin im George-Zirkel.

Ganz parallel dazu erinnert man sich wieder an John Keats.116 WieHölderlin war er in Deutschland aber nie wirklich vergessen gewesen.Die Übersetzungsanthologien beispielsweise berücksichtigen ihn früh:Freiligraths The Rose, Thistle and Shamrock verzeichnet elf Gedichtevon Keats,117 beinahe so viele wie von Tennyson. Außerdem hat einKeats-Gedicht um 1900 bereits eine ganz besondere Karriere hintersich. Gemeint ist das kurze Gelegenheitsgedicht On the Grasshopperand Cricket, das während eines Wettdichtens mit Leigh Hunt im De-zember 1816 entstand. Es handelt über die ‚Poesie der Erde‘ und liestsich vergleichweise schlicht, nämlich als ein schöner Ausdruck für dieBewegtheit der Natur. „The poetry of earth is never dead“,118 so lautender Eingangsvers und auch die Kernaussage des Texts. Im Laufe des

115 Burne-Jones, Dowson, Morris und Swinburne werden in Anthologien des 19. Jahr-hunderts noch nicht erwähnt. Immerhin führt Schack Blake und Robert Browningmit jeweils acht Texten an; Elisabeth Barret Browning findet mit zwei Gedichtenund Dante Gabriel Rossetti mit einem Text Aufnahme in Beaulieu-Marconnays An-thologie; vgl. Beaulieu-Marconnay 1881; Viehoff 1887; Schack 1893.

116 Eine solche Parallele erprobt bereits – werkimmanent und werkvergleichend – Fle-ming 1987.

117 Es handelt sich um die Texte: „On first looking into Chapman’s Homer“, „Sonnet.Happy is England“, „Ode on a Grecian Urn“, „The Human Seasons“, „To Beauty“,„Stanzas“, „Hymn to Pan“, „To Solitude“, „Ode to a Nightingale“, „Sonnet. On theGrasshoper and Cricket“, „To Autumn“.

118 Keats 1978, S. 54.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion294

19. Jahrhunderts wird er viermal ins Deutsche übertragen, im Magazinfür die Literatur des In- und Auslandes und in zahlreichen Anthologienabgedruckt.119

Diese erste Phase der deutschen Keats-Rezeption verläuft gleich-wohl nicht unabhängig von der englischen; vielmehr steht Freiligrathmit den wenigen Personen im Kontakt, die sich früh – und gegen die öf-fentliche Meinung – für das Keatssche Erbe einsetzen.120 Ganz erhebli-chen Anteil an der geringen Wahrnehmung von Keats in England hattenämlich eine literaturkritische Kampagne. Das etablierte Blackwood’sMagazine spottete über die „Cockneys“, die sogenannte „CockneySchool of Poetry“ (im engen Zirkel Leigh Hunt, William Hazlitt,Keats; im weiten Zirkel Barry Cornwall gen. Barry W. Procter, Corne-lius Webb, John Hamilton Reynolds), deren Mitglieder im wesentli-chen aus der neuen Mittelklasse stammten und – mehr oder minder ent-schlossen – für republikanische Ideen eintraten.121 Blackwood’s Maga-zine bezichtigte die Gruppe des Dilettantismus.122 Keats stand im Zen-trum dieser Kampagne, die an den Grenzen von Satire, Parodie undpersönlicher Beleidigung verlief. Freiligrath importierte seine Textedennoch nach Deutschland.

In England entdecken erst die Präraffaeliten Keats für sich (neu): alseinen jungen und ‚reinen‘ Dichter, als Vorbild für die eigene poetischePraxis.123 Die zweite Phase der deutschen Keats-Rezeption knüpft dar-an an, löst sich aber bald davon: Als beispielhaft für eine eigenständigeGestaltung der (deutschen) Keats-Rezeption gelten mir Rilkes Keats-Gedichte. Sie reihen sich in Bemühungen um und nach 1900 ein, Lyrikaus der Rezeption der Romantik zu erneuern, und zwar im Blick aufeine Dichter-Poetik, die in der Rilke-Forschung ausschließlich aus der

119 Freiligrath 1853; unter dem Titel „Die Poesie der Erde“, der den ersten Vers desTexts aufnimmt, Beaulieu-Marconny 1881, S.21 – seine Übersetzung ist abgedrucktim Magazin 100 (1881), S. 561; G. Freiligrath ca. 1898, S. 89; Schack 1893, I, S. 164 f.sowie in der Werkausgabe von Gothein 1897, II, S. 281. Freilich hört das Interessefür „On the Grasshopper and Cricket“ nach 1900 nicht auf. Das Gedicht findet sichauch in Wentzel 1912; Etzel 1910, S. 83; Bernus 1947, II, S. 61.

120 Wipperfürth 1991, S. 152 f.121 In der Forschung weichen die Meinungen darüber, was genau die „Cockney School“

eine, voneinander ab. Strittig ist dabei vor allem die politische Orientierung ihrerMitglieder; vgl. die Diskussion in Mizukoshi 2001, S. 6–8, der den Keats-criticismvon solch politisierenden Interpretation abbringen will und Keats’ Texte vor demHintergrund der „bourgeois aethetics of pleasure“ interpretiert. Vgl. auch Wu 2001.

122 Montluzin 1998.123 Ebd.; Siegel 1999; Bennett 1999.

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3. Mystifikation der Poesie 295

französischen Tradition Baudelaires, Stéphane Mallarmés und Paul Va-lérys hergeleitet wird: im Blick auf das Ideal des ‚reinen‘ Dichters, derals Medium für eine ‚poésie pure‘ steht. Keats wurde in diesem Zusam-menhang bislang nicht bzw. nur unzureichend wahrgenommen. Abergerade Rilkes Keats-Gedichte vermitteln neue Einsichten in RilkesPoetik der ‚poésie pure‘. Sie verdankt sich nicht nur der französischenTradition, sondern setzt sich aus ganz unterschiedlichen Kontexten zu-sammen (Abschnitt a).

Dazu gehören der Keats-Essay aus Kassners Die Mystik (Ab-schnitt b) sowie populäre Wissensbestände einer psychologischen Äs-thetik, wie sie um 1900 vermittelt wurden. Dieser letztgenannte Hin-tergrund erschließt sich jedoch erst, entledigt man eine wissenschafts-historische Legende von wissenschafts- und literaturgeschichtlichenErfindungen. Gemeint ist die Legende von einem engen Zusammen-hang der „poetry of sensation“ (Keats, in gewisser Weise auch Tenny-son)124 mit der psychologischer Ästhetik um 1900. Diese Legendekennt zwei Spielarten: eine, die eine historisch-generische Verbindungvon der „poetry of sensation“ zur psychologischen Ästhetik (WilhelmWundt, Theodor Lipps) herstellen will, und von Walter Jackson Batesowie – in der deutschen Keats-Forschung – von Helmut Viebrock ver-treten wird.125 Danach steht die „poetry of sensation“ in direkter Vor-läuferschaft zur psychologischen Ästhetik. Eine andere Spielart be-schreibt die Verbindung schwächer; sie setzt auf historische Parallelen:Annette Simonis zufolge nimmt die „poetry of sensation“ vorweg, wasder Empiriokritizismus Ernst Machs formuliert.126 Beide Spielarten er-weisen sich als Teile einer Legende vom Zusammenhang der „poetry ofsensation“ mit der psychologischen Ästhetik, weil sie moraphilosophi-sches Denken des frühen 19. Jahrhunderts zu eng mit der experimen-tellen Ästhetik verbinden, die sich seit etwa 1870 in Deutschland mitdem Anspruch entfaltete, eine ‚empirische Wissenschaft‘ zu sein. Siemißachten die historischen Eigenarten, die moralphilosophisches Den-ken und experimentelle Ästhetik trennen. Daß gewisse, allerdings bloßvage Ähnlichkeiten zwischen beiden bleiben, macht den ‚wahren Kern‘der Legende aus (Exkurs in diesem Kapitel).

124 Die Unterscheidung zwischen einer „poetry of reflection“ (Wordsworth) und „poe-try of sensation“ (Keats, Tennyson) geht auf den Tennyson-Freund Arthur Hallam(1808–1834) zurück.

125 Jackson Bate 1946, S. 131–147; ders. 1963, S. 256; Viebrock 1977, S. 100 f. Bromwich(1983, S. 375) führte diese Position in gemäßigter Weise weiter.

126 Simonis 1995, S. 294.

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Rilke war sich für seine Keats-Gedichte allenfalls solch vager Ähn-lichkeiten bewußt. Es ging ihm dabei weniger um den historischenKeats, als vielmehr um einen deutungsoffenen poetologischen Begriffvom besonderen Menschen und Dichter, der manches mit den popular-ästhetischen Reflexionen um 1900 gemein hat. Rilke läßt sich – auchvor diesem Hintergrund – auf (Selbst-)Experimente ein und stilisiertKeats ebenso zum poetologischen Exempel wie sich selbst.

a) Rainer Maria Rilkes Gedichte (1914) zu der ZeichnungKeats on his death-bed (1821) nach Joseph Severn:

Anbetung einer Ikone

Der Wunsch, über Keats zu dichten, ergab sich für Rilke aus der Be-trachtung der Kopie von einer Zeichnung des sterbenden Dichters. Sostellt es Rilke zumindest selbst dar. In einem Brief an Sidonie Nádhernyvon Borutin (Paris, 21. Feb. 1914) notiert er: „Ich schrieb davon, als ichdie Zeichnung zuerst sah, dieses Folgende in mein kleines Taschen-buch[.]“127

Vom Zeichner dringend hingeballter Schattenhinter das nur noch scheinende Gesicht:so kommt die Nacht dem reinen Stern zustatten.

Da ist ein Ding, das alles unterbricht,wozu die Dinge sich verstanden hatten;denn, da es wurde, siehe: war es nicht.

O langer Weg zum schuldlosen Verzicht.O Mühe zum ermächtigten Ermatten.128

Der Gestus des intuitiven und ergriffenen Dichtens paßt zu Gegen-stand und Inhalt des Texts: zur Poetik von Keats, die selbst auf Sponta-neität und Gefühlseindruck setzt, ebenso wie zu der Trauer, die derKeats-Anhänger beim Anblick des Sterbenden verspürt. Der Begriff„Schatten“ erweckt den Eindruck des Unwirklichen oder Ent-Wirk-lichten. Ihm steht das „nur noch scheinende Gesicht“ gegenüber. ImGang durch Gegensatz- oder Verbindungspaare („Nacht“–‚reinerStern‘; ‚Ding, das unterbricht‘ – ‚Dinge, die sich verstanden hatten‘;„wurde“ – „war nicht“) und im schnellen Wechsel der Zeitformen

127 Rilke 1991, I, Brief 176, S. 525–528, hier S. 528.128 Ebd. [Hervorhebungen im Original].

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3. Mystifikation der Poesie 297

greift der Sprecher Aspekte auf, die sich mit der Dichter-Persönlichkeitverbinden: Der junge Keats starb einen ‚reinen‘ Tod. Er pflegte seinenBruder, der an Tuberkulose erkrankt war, und steckte sich dabei selbstan. Das „nur noch scheinende Gesicht“ könnte auf den geschwächtenEindruck des von Krankheit verzehrten Dichters hindeuten; im nach-stehenden Vers wird er darüber hinaus zum „reinen Stern“. Doch derfolgende Satz rückt diese positiven Beschreibungen in den Hinter-grund: Ein „Ding“ unterbricht die Ordnung der Dinge. Es konntenicht werden, was sollte oder wollte,129 und der Mensch leidet daran. Inden beiden abschließenden Sätzen wird dieses Leid durch Ausrufe unddurch die knappe atemlose Form unterstrichen; sie wandeln die Terzineab, mit der Rilke aber auch im Blick auf das Reimschema sehr frei um-geht. Zwar enthalten sie eine Art ‚conclusio‘, aber keine Lösung desProblems. Rilke kommentiert seinen dunklen Text selbst:

In der unendlichen Traurigkeit ist ein Hingegebensein ausgedrückt, das auchwieder tröstet: denn vollkommen wie sie ist, muß sie eine Hingegebenheitsein an etwas, das bei aller Härte, die Milde einer Macht besitzt, die im Rechtist.130

Die Gegensatzpaare des Gedichts, die für die Form der Terzine unty-pisch sind, drücken ein Wechselspiel von Trauer und Trost aus. Trostentspringt der Ahnung einer „Macht“, die zwar hart und bitter wirkt,aber im Prinzip „im Recht“ ist und deshalb ‚mild‘ (oder ‚erträglich‘)wird. Der Sprecher schlüpft identifikatorisch in den Sterbenden hineinund spürt dessen Empfindungen nach. Zugleich verherrlicht er den frü-hen Tod seines Kultobjekts: Hier verstarb ein Heiliger, so lautet dieBotschaft des Texts. Als reiner Poet, als Märtyrer-Dichter schritt Keatsden langen und dornigen Weg des Daseins ab. Er lebte – entmenscht –dem Guten und ging schuldlos in den Tod.

Für Rilke wird die Zeichnung des sterbenden Keats deshalb zur Iko-ne, zum Kultbild. Mit seinen Worten heiligt Rilke den Dichter, den esabbildet. Keats gilt als exemplarischer Poet, der sich am Übergang vonLeben und Tod befindet und stellvertretend für alle Menschen leidet.Sein Werk wird – ebenso wie seine poetologischen Überlegungen – alsbekannt vorausgesetzt und mit Verweisen auf den reinen Dichter ange-sprochen, der ‚verzichtet‘. Dabei belegt der ‚tiefe Eindruck‘, den dieZeichnung hinterläßt, ein Bild vom Dichter, wie es für Keats selbst pro-

129 Hier klingt die „Ding-Mystik“ Rilkes nochmals an; vgl. dazu Spörl 1997, S.310–315.130 Rilke 1991, I, Brief 176, S. 528.

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blematisch wurde. Reflexion der Reflexion ist hier gleichbedeutend mitMystifikation: Rilkes Sprecher deutet eine eigene mystische Poetik ‚inKeats‘ hinein. „Vom Zeichner dringend hingeballter Schatten“ erweistsich als ein poetologisches Gedicht, das einerseits enthusiastisch auf dieKonzeption vom Dichter Bezug nimmt, wie sie sich mit Keats verbin-det. Andererseits geht es aber bereits über diese hinaus, weil es denKeats der Zeichnung als Beleg für die Wahrheit dieser Konzeption er-achtet. Es überhöht, was der historische Keats zwar anlegt, aber zu-rücknehmen muß.

Reflexionen wie diejenigen des Rilke-Texts kennt die Kulturge-schichte des 19. Jahrhunderts seit den 1840er Jahren. Sie gehen von derpräraffaelitischen Bewegung in England aus, die mit utopischen Ent-würfen auf die Erneuerung von Kunst und Leben zielt und Keats wieeinen Heiligen verehrt.131 Im Jahr 1847 entdeckt der präraffaelitischeMaler William Holman Hunt (1827–1864) das ‚Motiv Keats‘; Sir JohnEverett Millais (1829–1896) nimmt sich Hunts ‚Objekt‘ nur wenig spä-ter an.132 Für beide stellt Keats – wie für Rilke – den ganz und gar reinenDichter dar. Seine Jugend wirkt auf die Präraffaeliten – wie auf Rilke –kathartisch.133 Die ersten Keats-Biographien von Richard MoncktonMilnes, nämlich Life, Letters, and Literary Remains, of John Keats(1848) von Sidney Colvin und diejenige von William Michael Rossetti(1887) lassen sich von diesen präraffaelitischen Stilisierungen der Au-torpersönlichkeit leiten; umgekehrt nehmen präraffaelitische Malerund Dichter die biographischen Stilisierungen auf.134 Auf diese Weisewird Keats – in Analogie zu seinen Werken – zu einem „preciousbroken fragment of the past.“135 Rilkes Keats aber ist weder gebrochennoch Fragment, sondern vielmehr Dichter schlechthin. Hierin liegt derUnterschied zum Präraffaelitismus. Rilkes Interesse an Keats gingdurch die Schule des Präraffaelitismus, oder besser: der Präraffaelitis-mus-Rezeption, und er reflektiert diese neu.

Denn seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert buchstabiert auch dasdeutsche Interesse an Keats die präraffaelitische Sichtweise nach. ImJahr 1897 veröffentlicht Marie Luise Gothein (Dr. h. c., 1836–1931) eine

131 Vgl. den „posterity cult“, den Andrew Bennett beschreibt; Bennett 1999; vgl. auchNajarian 2002.

132 Dazu Codell 1995, S. 342–347.133 Ebd.134 Ebd., S. 342.135 Siegel 1999, S. 223.

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3. Mystifikation der Poesie 299

erste deutsche Keats-Biographie und – in einem zweiten Band – die er-ste umfassende deutsche Übersetzung seiner Werke.136 Die gelehrteProfessorengattin, die mit dem Präraffaelitismus vertraut ist, knüpftmit ihrer Keats-Biographie unmittelbar an Monckton Milnes an.137 Gi-sela Etzel,138 die zweite Keats-Übersetzerin um 1900, hat in andererWeise an der präraffalitischen Bewegung und ihrer deutschen Aufnah-me teil. Sicherlich kannte Rilke ihren dezenten und doch aufwendig ge-stalteten Goldschnitt-Band John Keats, Gedichte (1910, Insel-Verlag).In kleiner Auflage wurde das Buch auf der Ernst-Ludwig-Presse derDarmstädter Künstlerkolonie hergestellt. Schwarze und grüne Letternzieren das Büttenpapier. Schon allein diese äußerlichen Daten verbin-den Etzels Buch mit dem Präraffaelitismus. Denn die Künstlerkolonieauf der Darmstädter Mathildenhöhe nahm ihn – neben anderen lebens-philosophischen Strömungen der Zeit – emphatisch auf und versuchte,diese selbst weiterzuentwickeln, sogar im Buchdruck: Die Ernst-Lud-wig-Presse sollte handwerklich vorbildliche und künstlerische Büchernach dem Vorbild der englischen Pressen (der „Kelmscott Press“ vonWilliam Morris, der „Doves Press“ von Cobdan-Sanderson u.a.) schaf-fen.139 Zu diesem Zweck entwarf ihr Leiter, der Grafiker und KünstlerFriedrich Wilhelm Kleukens (1878–1956), auch eigene Schriften, u. a.die Ingeborg-Antiqua, die er für den Keats-Band gebrauchte.140 EtzelsKeats-Übersetzungen fügen sich in den präraffaelitisch beeinflußtenNatur- und Lebenskult der Darmstädter ein.141

136 Marie Luise Gothein wurde in Pfaffenheim geboren und starb in Heidelberg, wo ihrGatte, Eberhard Gothein, Kulturgeschichte und Nationalökonomie lehrte. Kürsch-ners Deutscher Literaturkalender. Nekrolog 1901–1935 [1936], S. 496. Der ausführ-lichen Keats-Darstellung war bereits Gotheins doppelbändiges „William Words-worth. Sein Leben, seine Werke, seine Zeitgenossen“ (1893) vorausgegangen. ImJahr 1903 übersetzte sie außerdem die „Sonette nach dem Portugiesischen von Eli-sabeth Barrett Browning“ (1903). – Als fachfremder Professor unterstützte Eber-hard Gothein übrigens die Heidelberger Habilitation Friedrich Gundolfs; Oster-kamp 2000, S. 165.

137 Über Monckton Milnes Gothein 1897, I, S. 263 u. passim; über die präraffaelitischeKeats-Rezeption ebd., S. 270–277. Monckton Milnes Biographie war allerdingsschon früher bekannt; siehe Ideler u. Nolte 1853, S.22 f.

138 Über Etzel lassen sich keine bio-bibliographischen Daten ermitteln.139 Institut Mathildenhöhe Darmstadt 1990, S. 125.140 Ebd. u. S. 133.141 Die Übersetzung seiner Gedichte zählt zu den 26 Büchern, die auf der Ernst-Lud-

wig-Presse gedruckt wurden. Es steht u. a. neben dem Buch Esther in der Luther-Übersetzung (1908), dem Hohelied Salomo in der Übersetzung Rudolf AlexanderSchröders (1909), den von Eduard Sänger übertragenen „Shakespeare Sonetten“

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion300

Keats-Rezeptionen und Übersetzungen wie denjenigen von Gotheinund Etzel geht es noch um die Gedichte des englischen Romantikers.Sie widmen sich einem historischen Autor und historischen Texten, re-flektieren diese aber bereits unterschiedlich: Gothein schlüpft in dieRolle der Biographin und in diejenige der mehr oder minder werktreu-en Übersetzerin. Etzel kann an Gothein anküpfen und bereits einenSchritt auf dem Weg zu einem ‚eigenen Keats‘ um 1900 gehen. Sie willihrem Original vor allem gestalterisch gerecht werden – um der Textewillen. Zugleich präsentiert sie Keats als Gesprächspartner und Seherfür reformwillige Literaten, Künstler und Philosophen. Im Büchertem-pel der Mathildenhöhe feiert man seine Auferstehung.

Die Keats-Reflexion Rilkes folgt einer vergleichbaren, doch anderenAbsicht. Er nimmt nicht einfach auf, was die Präraffaeliten vorlegen,dichtet nicht auf ein präraffaelitisches Keats-Gemälde, das den Dichterbereits selbst deutete und verherrlichte, sondern auf die Reproduktioneiner Zeichnung des sterbenden Dichters: auf ein ‚quasi-authentischesDokument‘ also. Das Original stammt von einem Zeitgenossen, näm-lich von Joseph Severn (1793–1879), jenem Keats-Freund, der denDichter auf seiner letzten Reise nach Italien begleitete. Rilkes Sprecherversetzt sich an Severns Stelle. Dem Sprecher der Keats-Gedichte gehtes um authentische Selbstreflexionen, um das mystische Erlebnis, dasihm in der Anbetung der Ikone zuteil wird. Er will dem Selbst desDichter-Mediums nahekommen, am ‚reinen Sein‘ des Dichters Anteilhaben.

„28. Janry 3 o’clock mng. Drawn to keep me awake – a deadly sweatwas on him all this night“,142 notiert Severn auf den unteren Rand seinersparsamen und konzentrierten Sepia-Zeichnung. Seit Wochen lag derTodkranke auf jenem Lager, das Severn als „death-bed“ auswies.143 Erkümmerte sich unermüdlich um den Freund, den die Ärzte längst auf-gegeben hatten. Am 23. Februar starb Keats nach langem Leiden. Se-verns Zeichnung entstand also ca. vier Wochen vor Keats’ Tod. Sie zeigtden Todkranken in seinem Bett; er liegt erhöht auf einem Kissen. Keats’Körper ist nur mit wenigen Strichen angedeutet. Sein Kopf dreht sichzur Seite, so daß der Betrachter das Gesicht wie von oben einsehen

(1909), Richard Wagners „Wieland der Schmied“ (1911), drei Emile Verhaeren-Über-setzungen (1909, zweimal 1911), den Psalmen in der Übersetzung Luthers (1911),Hölderlins „Hyperion“ (1912) und der „Ethik“ Baruch de Spinozas (1914/18).

142 Keats on his death-bed, by Joseph Severn; Collection at Keats House, Hampstead.143 Motion 1997, S. 563.

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kann. Die Haare hängen dem Kranken in die Stirn. Ein fast unmerkli-cher Bart deutet an, daß der Patient selbst zu täglicher Pflege nichtmehr in der Lage ist. Seine Augen sind geschlossen, die Winkel des ge-schwungenen Mundes nach unten gezogen. Vor dem Kopf erhebt sichein großes dunkles Gebilde, ein in sich vielfach geteilter Schatten, dergrößer ist als Keats’ Gesicht. Durch einen dicken Strich trennt der Ma-

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ler die obere Hälfte des Gesichts davon; die Konturen der unteren Ge-sichtshälfe aber gehen fließend in dieses dunkle Gebilde über. Keatsverschwindet bereits in dem „hingeballte[n] Schatten“, von dem RilkesSprecher spricht. Der Tod zieht den Kranken langsam und quälend mitsich. Jene Reproduktion, die Rilke gemeinsam mit André Gide be-trachtete, übermittelte diese Umstände offenkundig sehr genau.144 Inseinem Gedicht Vom Zeichner dringend hingeballter Schatten jeden-falls konzentriert sich Rilke auf den Übergang von Gesicht und Schat-ten, von Leid, Leben und Tod.

Für dieses Bestreben, die Reflexion über das schriftlich vorliegendeWerk zugunsten der Verehrung eines ‚authentischen‘ Dichters auszu-setzen, kann sich Rilke nicht nur auf die historische Deutung vonGothein und auf die ‚schöne‘ Übersetzung von Etzel, sondern auf ei-nen anderen Vorläufer stützen: auf den Schriftsteller, Übersetzer undAnthologisten Alexander von Bernus (*1880). Am 29.8.1911 bedanktsich Rilke bei von Bernus für dessen Keats-Ausgabe John Keats. Ge-dichte (1911).145 Die Ausgabe enhält bereits eine Reproduktion einesPortraits von Keats nach dem Bilde von J. Severn;146 unter dem Bildsteht links „J. Severn Pinx“ und rechts „Photogravure Bruckmann“. Eshandelt sich dabei aber nicht um eine Kopie der Zeichnung von Keatsauf dem Totenbett, sondern um eine schlechte bzw. stilisierende Kopieder bekannten Keats-Miniatur von Severn (1819).147 Zeigt das Original

144 Rilke 1996, II, S. 498. Die Reproduktion ist nicht mehr aufzufinden; vgl. auchAnm. 148 in diesem Abschnitt.

145 Rilke 1996, II, S. 498.146 So ist es im Inhaltsverzeichnis notiert.147 Während die Originalminiatur Keats vor einem Schreibtisch portätiert, den Kopf auf

die rechte Hand gestützt, die Augen gespannt und wach nach vorn gerichtet, bildetdie Kopie nur Gesicht und Oberkörper ab: Der sogenannte Keats blickt – auf derFotogravur – mit großen und glänzenden Augen nach oben und stützt sich auf dierechte Hand. Anders als auf der Miniatur, wo die Lichtquelle links steht und geradeauf den Porträtierten gerichtet ist, fällt das Licht auf der Kopie von oben ein: Es hei-ligt den Poeten. Darüberhinaus ähneln sich die abgebildeten Männer kaum: Severnzeigt Keats als Lockenkopf mit geradem Gesicht, hoher Stirn und schmaler Oberlip-pe; die Kopie ahmt zwar die Locken nach, verleiht Keats aber ein herzförmiges Ge-sicht, eine ‚römische Nase‘, sehr volle und weich geschwungene Lippen. Im Originalverraten die geöffneten Knöpfe von Jacke und Weste sowie der unordentlicheHemdkragen den genialen Dichter. In der Kopie trägt er ein Hemd mit gestärktemKragen; die Knöpfe von Jacke und Weste sind geschlossen. Die zwei Bilder weichenalso erheblich voneinander ab. – Der Kommentar (Rilke 1996, II, S.498) irrt, wenn erbehauptet, die Zeichnung von Keats auf dem Todesbett sei in Bernus’ Sammlung ent-halten. Für einen Abdruck der Originalminiatur von Keats (1819) siehe Motion

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einen begeistert-genialischen Keats, so erstarrt er in der Kopie zu einemklassizistisch verklärten romantischen Dichter.

Bernus informiert seinerseits über die Lebensdaten des Porträtiertenund schließt: „[...] die Seele aber, die es [dieses traurige und kurze Le-ben] lebte, um sich bald zum Höheren zu läutern und erlösen, war dieSeele eines grossen Dichters.“148 Bernus’ Deutung entspricht der Ko-pie. Wie diese erweist sie sich als holzschnittartig, mehr als typisierend,denn als individualisierend und idealisierend. Es verwundert nicht, daßBernus für Etzels ‚schöne‘ Darstellung im enthusiastischen Darmstäd-ter Feld kein Verständnis hat. Er verdammt Etzels Ausgabe als Profa-nation des Dichters und will mit seiner eigenen Edition zu puristische-ren Wahrnehmungsformen in einem ‚authentischen‘ Sinne zurückkeh-ren.149 Der enthusiastischen Keats-Reflexion im Zeichen der Lebens-philosophie steht also bereits eine ‚authentische‘ entgegen. Rilke nimmtsich seinerseits ganz Ähnliches vor wie Bernus, kappt die topischenund idealisierenden Momente aber zugunsten des ‚lebendig-toten‘ Me-diums Keats.

Noch im Jahr 1911 hatte Rilke Keats allerdings „kaum“ gelesen undhofft, ihn – mit Bernus – „kennenzulernen“, wie er dem Übersetzerschreibt.150 Im Jahr 1914, als er die Kopie nach Severn betrachtet,scheint Rilke mit seinem Bestreben nicht nur weitergekommen zu sein,sondern bereits eine ganze Poetik mit Keats zu verbinden. Diese Poetikjedenfalls wirkt wie eine Bilanz seiner Beschäftigung mit dem Dichter.Noch mehr als Vom Zeichner dringend hingeballter Schatten (26. oder27.1.1914), zeigt es sein Text Zu der Zeichnung, John Keats im Todedarstellend (Erstdruck im Insel-Almanach 1928 [1927]), eine Erweite-rung des ersten Keats-Gedichts. Sie überführt die Terzine des Vorläu-fer-Texts in die Sonett-Form. Rilke wird sie auch in den teils themen-gleichen Sonetten an Orpheus gebrauchen:

1997, Abb. 19. Überhaupt scheint es Verwirrung um die Zeichnung des sterbendenKeats’ gegeben zu haben: Frank Wood, der die einzige Interpretation der Rilkes-Ge-dichte über Keats vorlegte, bezieht sich dabei ebenfalls nicht auf Severns Zeichungam Totenbett, sondern auf seine Zeichnung der Totenmaske; vgl. Wood 1950, S. 212u. passim. Korrekt sind demgegenüber die Angaben von Ernst Zinn: Rilke 1955/56,II, S. 756 f., wobei Ingeborg Schnack (1956, Tafel 260) nicht das Original abdruckt,sondern nur eine dunklere Kopie (nicht die Kopie, die Rilke bei Gide sah, sonderneine andere aus dem Keats-Memorial in Rom), die der Original-Zeichnung den fili-granen Charakter nimmt.

148 Bernus 1911, unpag. [S. 5].149 Bernus 1947, II, S. 131.150 Rilke 1996, II, S. 498.

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Nun reicht’s an’s Antlitz dem gestillten Rühmerdie Ferne aus den offnen Horizonten:so fällt der Schmerz, den wir nicht fassen konnten,zurück an seinen dunkeln Eigentümer.

Und dies verharrt, so wie es, leidbetrachtend,sich bildete zum freiesten Gebilde,noch einen Augenblick, – in neuer Mildedas Werden selbst und den Verfall verachtend.

Gesicht: o wessen? Nicht mehr dieser ebennoch einverstandenen Zusammenhänge.O Aug, das nicht das schönste mehr erzwängeder Dinge aus dem abgelehnten Leben.O Schwelle der Gesänge,O Jugendmund, für immer aufgegeben.

Und nur die Stirne baut sich etwas dauerndhinüber aus verflüchtigten Bezügen,als straft sie die müden Locken lügen,die sich an ihr ergeben, zärtlich trauernd.151

Diese Strophen erschließen die Zeichnung aus den Eindrücken, die sieim distanzierten, aber einfühlungsbereiten Betrachter hervorruft. Da-bei geben die ersten beiden Quartette die Themen vor; die Strophendrei und vier widmen sich der Kopie selbst: Sie fragen nach dem Ge-sicht, das niemandem mehr zu gehören scheint, schildern den „Jugend-mund“, der keiner mehr ist, beschreiben die Stirn, die sich noch nicht inden Schatten verflüchtigt hat, und die Locken, die „müde“ auf ihr lie-gen. Die ersten beiden Strophen sprechen von Schmerz, Leid, Verlust,die letzte von Trauer. Ähnlich wie in den Ergänzungs- und Gegensatz-Paaren aus dem Gedicht an Sidonie stehen diesen düsteren GefühlenVerweise auf ein „freiest[es] Gebilde“, auf „Milde“, Lebens- und To-desverachtung entgegen. „[...] das Werden selbst und den Verfall ver-achtend“ und „der Dinge aus dem abgelehnten Leben“ erinnern an dieGedichtzeilen aus Rilkes Brief. Zu der Zeichung dichtet auf einen„Rühmer“,152 auf einen Poeten, der die Dinge ehrt, der sich zu diesemZweck ent-selbstet. Wenn ihn „Werden“ und „Verfall“, die er im Lebenverdrängte, im Sterben einzuholen drohen, dann verachtet er sie selbstjetzt. Noch im Tod steht die Kunstwelt, so Zu der Zeichnung, über derWirklichkeit. Sie schließt sich gegen äußere Ereignisse ab, obwohl sielängst durch diese bestimmt ist und mit ihnen kämpft: Hier stirbt ein

151 Ebd., S. 92.152 Über den Begriff und seine Herkunft Wood 1950, S. 218.

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passiver, asketischer, das Leben für die Kunst verachtender Dichter, einunerreichtes Vorbild. Sein Leid, seine Erfahrung eines ungeheurenSchmerzes läßt sich bloß beschreiben, nicht selbst erfahren. RilkesSprecher schildert einen inspirierten Märtyrer, der mit dem dunklen‚Anderen‘ eine schon fast vollendete ‚unio mystica‘ eingeht, und dessenübersinnliche Erfahrungswelt dem ‚Gewöhnlichen‘ nicht zugänglichist. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als die Zeichnung des ‚heiligenDichters‘ wie ein Kultbild anzubeten.

Rilke kommentiert Zu der Zeichnung selbst, und zwar mit den Wor-ten: „Ach, mir Segen zwingen aus diesen Dingen; sie nicht lassen, bis siemich segnen.“153 Er spielt auf Jakobs Kampf mit Gott an: Jakob zog mitseiner Familie durch eine Furt des Jabbok, als ihn ein Mann herausfor-derte. Sie rangen die ganze Nacht miteinander, Jakob gewann, und derMann bat, ihn gehen zu lassen: „Ich lasse dich nicht, du segnest michdenn“, lautete Jakobs Antwort (1. Mose, 32,27). Fortan hieß Jakob Is-rael, denn er hatte Gott gesehen, mit ihm gekämpft und diesen Kampfüberlebt. Warum bezieht sich Rilke – mit Blick auf Keats – auf diese Bi-belstelle? Keats steht für ein asketisches und geistiges Modell, für Ent-sagung und Selbstverleugnung; Jakob repräsentiert das entgegengesetz-te Extrem. Er zwingt den Gegner durch Körperkraft, seinem Wunschzu gehorchen.

Rilke suchte nach einem Modell für die Selbst-Initiation zum reinenDichter, der die Reflexion der Reflexion zugunsten der ursprünglichenund mystischen Inspiration überwindet. Dabei nimmt er sich im Blickauf Keats noch das christliche und asketische Modell zum Vorbild:Keats’ Bild wird ihm zur (Christus-)Ikone. In ihm vergöttert er denpoetischen Heiland, der seine Gläubigen von der Erdenschwere in dieTranszendenz der reinen Dichtung erhebt. Jakob erweist sich als seinGegenbild: Er steht für alttestamentarische Riten, für den Glauben aneinen strengen und strafenden poetischen Gott, für einen Kampf mitsich selbst, aus dem es kein Entrinnen gibt. Der neutestamentarischenund asketischen Reflexion stellt er die alttestamentarische und kämpfe-rische entgegen.

Auf die nüchterne Keats-Rezeption des Übersetzers der 1840er Jahre(Freiligrath) folgen die begeisterten und präraffaelitsch inspiriertenKeats-Darstellungen bzw. -Übertragungen (Gothein, Etzel). Sie ziehenBemühungen um den ‚wahren Keats‘ nach sich (Bernus), von denen diewiederum emphatische Keats-Auffassung Rilkes ausgeht. In den Sonet-

153 Rilke 1996, II, S. 498.

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ten an Orpheus wird Rilke zwar auf das Dichter-Modell des poetischenMessias Keats anspielen, es aber wiederum abwandeln und in neue (un-christliche) Kontexte versetzten: Die Keats-Gedichte Rilkes stellen des-halb formal wie inhaltlich eine wichtige Entwicklungsstufe von Rilkespoetologischem Denken dar. Sie helfen zu erproben, was die Sonette erstentfalten: die mystische Poetik einerseits, die Mittlerrolle des Poeten,der – wie Orpheus – zwischen Tod und Leben wandelt, andererseits.

Kassners Die Mystik verdankt Rilke eine genaue Beschreibung dieserMittlerrolle. Rilke besaß nicht nur das Buch des Freundes,154 sondernkonnte sich auch durch Gides Übersetzung des Keats-Kapitels aus DieMystik mit Kassners Vorstellungen vom ‚Mittler Keats‘ vertraut ma-chen:155 Im Blick auf die populäre zeitgenössische Ästhetik entfaltetKassner bereits jene zentralen Gedanken von mystischer Poesie undpoetischer Vermittlung, die Rilke neu gestalten wird.

b) Rudolf Kassner Die Mystik, die Künstler und das Leben (1900):John Keats als ‚größter‘ englischer Dichter und

als Philosoph des Dichters

Verglichen mit den Keats-Wahrnehmungen der Künstlerkreise erweistsich Kassners Essay über den Autor als ausgesprochen sachlich. Gleicheingangs lehnt Kassner es ab, viele Worte über das Leben von Keats zuverlieren. Sein hartes Schicksal sei bekannt, formuliert er mit wenigenbündigen Sätzen, die dem Leser bloß stichwortartig die Lebensumstän-de des Cockney-Autors in Erinnerung rufen. Demgegenüber will sichKassner auf zwei Aspekte konzentrieren: auf den Dichter Keats undauf Keats als den Philosophen des Dichters. Daß beide Aspekte in derDarstellung ineinander fallen und sich wiederum mit dem MenschenKeats vermengen, überrascht nicht: „Keats Leben ist wahrlich ein Ge-dicht“, vermerkt Kassner im Gang des Essays und stimmt damit dochin die gängigen Keats-Reflexionen um 1900 ein:156

154 Für den Nachweis schon Janssen 1989, S. 306. Ich zitiere nach jenem Exemplar, dassich im Rilke-Archiv befindet (Kassner 1900, RA). Es handelt sich dabei nicht umdas erste und einzige Exemplar Rilkes, sondern um ein ihm später von Kassner ge-schenktes. Die Seiten, die Keats betreffen, sind aufgeschnitten, enthalten aber keineAnstreichungen.

155 Für den Nachweise der Übersetzung, die Gide kurz nach dem Erscheinen von „DieMystik“ anfertigte: Bohnenkamp 1997, S. 211.

156 Kassner 1900 (RA), S. 102.

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3. Mystifikation der Poesie 307

Keats’ Briefe sind für die Psychologie des Künstler im allgemeinen ebensobedeutend wie etwa die Briefe Flaubert’s und das Journal der Bashkirtseff.Sie bedeuten eine Erziehung des Dichters, und ich will zeigen, wie sie dieEntwicklung einer merkwürdigen und großen Tragödie weisen.157

Kassner faßt Keats’ poetologische Reflexion nicht nur als psychologi-sches und pädagogisches Anschauungsmaterial auf, sondern auch alsUrsache für sein verhängnisvolles Schicksal. Der Dichter, so seineÜberlegung, werde dem Philosophen des Dichters selbst Exempel.Kassner trägt damit schwer am neuhumanistischen Erbe, das die Per-son des Dichters mit seinen Texten identifiziert und moralisch beur-teilt:158 „Keats will nur Künstler sein und empfindet seine Menschlich-keit eben darum am intensivsten.“159 Einerseits sieht Kassner in ihmden jungen Goethe, den einzigen „Sohn Goethe’s“ in England.160 An-dererseits nimmt er Keats’ Poetik als problematisch wahr: Goethe ken-ne nämlich ein „Geheimnis“, das Keats nicht gelten lasse: das Geheim-nis der Individuation. Es widerstrebe seiner allumfassenden und alles inLeben und Werk einbeziehenden Liebe.161

Doch liegt der Reiz von Keats für Kassner gerade darin, daß erGrenzen mißachtet: Seine Philosophie erscheine deshalb als „sehr per-sönlich und darum vollkommen wahr[,]“ und sein „Schönheitsgefühl“wirke wie „eine eigenthümliche Mischung von Sinnlichkeit und Philo-sophie[,]“ wobei sich die konkrete Sinnlichkeit der Außenwelt schonin der „Phantasie“ des Dichters spiegele.162 In dieser Grenzenlosigkeitund in der Auflösung von Innenwelt und Außenwelt erblickt Kassnerdas Besondere von Keats’ Dichter-Philosophie. Als Beleg dafür geltenihm vor allem zwei Briefe, nämlich die sogenannte „Negative Capabi-lity-Letter“ von Keats an seine Brüder George und Thomas (21. De-zember 1817) und der bekannte Brief an Richard Woodhouse, in demKeats den „camelion Poet“ beschreibt (27. Oktober 1818). Dabei kehrtKassner die chronologische Reihenfolge der Texte um; die „NegativeCapability“ dient nurmehr als Beleg für die Vorstellung vom „came-lion Poet“. Durch diese Umstellung geht Kassner aber nicht nur dasGespür für Entwicklungen im Denken und Schreiben von Keats verlo-

157 Ebd., S. 97.158 Am Beispiel von Friedrich Maximilian Klinger S. Pott 2000.159 Kassner 1900 (RA), S. 96.160 Ebd.161 Ebd.162 Ebd., S. 96 f.

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ren,163 sondern er gebraucht beide Briefe, um seine entwicklungspsy-chologische und neuhumanistisch geprägte Erklärung für das ‚Schick-sal‘ von Keats zu belegen. Keats zufolge, so Kassner, sei der Dichter„nie ‚er selbst‘, er hat gar kein Selbst, er ist Alles und Nichts, er hat kei-nen Charakter [...].“164 Mit Keats, den Kassner hier fragmentarisch zi-tiert:

As to the poetical Character itself, (I mean that sort of which, if I am anything, I am a member; that sort distinguished from the Wordsworthian oregoistical sublime [...].) it is not itself – it has no self – it is every thing and no-thing – It has no character – [...] it lives in gusto, be it foul or fair [...] thecamelion Poet. [...] has no Identity – he is continually in for – and fillingsome other Body.165

Den Begriff des „camelion Poet“ erwähnt Kassner dabei allerdingsnicht, statt dessen spricht er vom Dichter als des „allerunpoetisch[sten]Ding[es]“ – und deutet die Passage des Briefs im Vorgriff auf die „Ne-gative Capability“.166 Zwar hat Kassner Recht, wenn er den Poeten, denKeats sich ausmalt, als ein passives und eigenschaftsloses Wesen be-schreibt, das bloß Eindrücke empfängt. Aber die Forderung nach einer„Negative Capability“ versteht Keats noch im Dezember des Vorjahrsbloß punktuell, und er entwickelt sie nicht aus einer allgemeinen Dich-terpsychologie, sondern aus einem sehr vagen metaphysischen Begriffvon Kunst:

The excellence of every art is its intensity, capable of making all disagreeablesfrom their being in close relationship with Beauty and Truth [...]. Severalthings dove-tailed in my mind, and at once it struck me what quality went toform a Man of Achievement, especially in Literature, and which Shakespearepossessed so enormously – I mean, Negative Capability, that is when man iscapable of being in uncertainties, Mysteries, doubts, without any irritablereaching after fact & reason. – Coleridge, for instance, would let go by a fineisolated versilimitude caught from the Penetralium of mystery, from beingincapable of remaining content with half-knowledge. This pursued throughvolumes would perhaps take us no further than this, that with a great poet

163 Mit demselben Problem hat die gegenwärtige Rezeptionsforschung zu Keats undHofmannsthal zu kämpfen. Siehe z. B. Simonis 1995, S. 296, die die Forderung nacheiner „negative capability“ eins zu eins mit der Beschreibung des „camelion Poet“verbindet.

164 Kassner 1900 (RA), S. 97.165 Keats to Richard Woodhouse, 27. Oct. 1818, in: Keats 1958, I, S. 386–388, hier

S. 386–387.166 Kassner 1900 (RA), S. 97.

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3. Mystifikation der Poesie 309

the sense of Beauty overcomes every other consideration, or rather obliter-ates all consideration.167

Kunst zeichne sich durch ihre Intensität, durch ihre enge Beziehungzur Schönheit und Wahrheit aus. Will der Poet dichten, so muß er dieseEigenschaften der Kunst erfassen, sich dem ‚Sinn für die Schönheit‘überlassen und nicht sogleich – wie Coleridge – nach Reflexion, nachvollständigem Wissen, nach Sicherheit, Fakten und Vernunft streben.Überlegungen wie diese entstammen der Lektüre von Shakespeare-Texten, die Keats als vorbildlich gelten, und die er mit denjenigen vonColeridge vergleicht. Aus der Lektüre leitet er deshalb seine bloßpunktuelle psychologische Forderung ab. Eine ebenso punktuelle Re-flexion führt Keats zu einem unsystematischen und banalisierendenVerständnis von Poesie:

I have a few Axioms: Poetry should surprise by a fine excess; its touches ofBeauty should never be half way; if Poetry comes not as naturally as theleaves to a tree it had better not come at all.168

Im Blick auf Zitate wie dieses läßt sich Kassners Keats-Rezeptionzwar nach wie vor als differenziert und textnah auszeichnen, aber eszeigt sich auch, wie sehr sie noch durch die vereinheitlichende undmystifizierende Keats-Wahrnehmung der Präraffaeliten einerseits unddurch eine Entwicklungspsychologie neuhumanistischen Typs ande-rerseits geprägt ist. Kassner kritisiert den Dichter und den Briefpoeti-ker Keats für seine Widersprüchlichkeiten, attestiert ihm Unreife undbeschreibt seine Dichter-Philosophie als eine Mischung aus „Poesieund Phrase“.169 Der Kritiker greift den Dichter für seine Selbststilisie-rungen an und stellt ein Mißverhältnis von Leben und Dichtung fest:„Vielleicht sage ich zu viel, aber mich dünkt, Keats sei mit seinem Le-ben über sein Dichten hinausgewachsen. Er lebte mehr, als er dichtenkonnte.“170 Gleichwohl – oder gerade deshalb – finde die Dichter-Phi-losophie von Keats im Gang des 19. Jahrhunderts nicht mehr ihresglei-chen. Kassner zufolge umfaßt sie bereits alle Poetiken von den Essaysdes jungen Walter Pater über die Bilder von Burne-Jones bis hin zuden Briefen von Tennyson, Dante Gabriel Rossetti und Robert

167 Keats to his brothers, [21. o. 27.] Dec. 1817, in: Keats 1958, I, S.191–194, hier S. 193 f.168 Keats to Taylor, 27. Feb. 1818, in: Keats 1958, I, S. 238–239.169 Kassner 1900 (RA), S. 100.170 Ebd., S. 102. – Zwischen den Seiten 102 und 103 liegt ein vergilbtes Blatt als Lesezei-

chen. Es ist allerdings unklar, ob es von Rilke selbst stammt.

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Browning.171 „Seine Schüler sind die Aestheten mit ihrer krankhaftenArt zu geniessen [...]“172 – Kassner nimmt den gängigen Ästhetizis-mus-Vorwurf auf.173 Die Nachfolger trivialisierten Keats’ Dichter-Phi-losophie, die Kassner – trotz aller Schwierigkeiten und moralischenUrteile – hinsichtlich der Überlegungen über das passive und unpoeti-sche Ich des Dichters ungemein schätzt.

Keats’ Dichtung nach 1818 (vor allem Ode to Psyche und Ode on aGrecian Urn) gilt Kassner als ethisch angemessene Umsetzung dieserpoetologischen Reflexion.174 Denn sie zeichne sich, so Kassner, durcheine „ganz eigene Art von Vornehmheit“ aus:

Sie bedeutet eine grosse Freiheit, die Freiheit des Entsagens, des Entsagensvor der Schönheit. Das gibt den Gedichten einen so unsagbar traurigen Ton.Und dann noch etwas – Keats scheint sich hier gleichsam erst das Recht er-worben zu haben, von der Schönheit zu sprechen, das Recht der seltenstenAugenblicke und freiesten Geister. Er erkennt die Schönheit als ein für im-mer vom Dichter getrenntes und gerade darum vom Dichter Ersehntes undvom Denker Begriffenes, als etwas, das sich in alle Farben und Linien des Le-bens verwebt und nur die Seele dessen ausschliesst, der sie sucht. [...] Nie-mand hat soviel nachgedacht über den Unterschied zwischen dem, der schönist, und dem anderen, der das Schöne liebt, wie Keats. Es ist etwas Perversesdarin, [...].175

Keats verzichte, wie Rilke in seinem Gedicht auf die Zeichnung desSterbenden schreibt. Der verehrte Dichter entsage dem eigenen Lebenund der Schönheit, um sich in ihren Dienst zu begeben. In seinen Odenerweise sich der „camelion Poet“ als der passive, Eindrücke empfan-gende Asket, der selbst ganz eigenschaftslos sei. Er unterwerfe sich demMartyrium der Kunst und werde ein ‚reiner Dichter‘ – ein Selbstent-wurf, der Kassner abstößt, weil er das Selbst zugunsten eines ‚großenUnbekannten‘ verleugnet.

Zum Zweck der Abgrenzung gegen diesen Selbstentwurf gebrauchtKassner das neuhumanistische Deutungsschema der Einheit von Autorund Werk. Beides wird in eins gesetzt, ohne auf Unterschiede oder Ent-wicklungen zu achten. Der Blick auf die poetologische Lyrik von Keats

171 Ebd., S. 97 u. 103.172 Ebd., S. 96.173 Vgl. – ohne Bezug auf diesen Kassner-Text – Simonis 2000.174 Kassner 1900 (RA), S. 104: „Alles, was Keats bis 1818 schrieb, ist Programm und

Vorstudie.“ – Kassner meint damit die Gedichte in „Poems“ (1817) und den „Endy-mion“ (1818).

175 Kassner 1900 (RA), S. 114 f.

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3. Mystifikation der Poesie 311

hätte zu einem differenzierteren Urteil führen müssen: Keats entwik-kelt seine Konzeption vom entselbsteten Dichter nämlich auch, umdem poetologischen Dilemma der Romantik zu entkommen. Gemeintist dasjenige der Selbstreflexion, der übergroßen Bewußtheit des Dich-ters, die das Dichten selbst verhindert.176 Der ‚poet of no self‘ entgehtdiesem Dilemma, weil er bloß spiegeln soll, was er sinnlich wahrnimmt,weil er dabei keiner aktiven Reflexionstätigkeit bedarf, sondern passivbleibt. Diese poetologische Funktionalität des ‚poet of no self‘ wirdKassner ebensowenig deutlich wie der Umstand, daß Keats durchausreflexiv dichtet, daß er sinnliche Erfahrung im Gedicht konstruiert.Darüber hinaus verführt das neuhumanistische Deutungsmuster Kass-ner dazu, die poetologische Entwicklungen der Oden einfach auf dieBriefpoetik abzubilden. Gerade in Ode on a Grecian Urn und mehrnoch in Ode to a Nightingale bricht aber auf, was Keats in seiner Brief-poetik vom Poeten fordert: Seine Selbstentäußerung gelingt nur nochzögerlich; sie droht zum einen (Ode on a Grecian Urn) an lebenswelt-lichen Schwierigkeiten, an nicht-erfüllten Leidenschaften, zum ande-ren (Ode to a Nightingale) an der Erkenntnis zu scheitern, daß die Vi-sionen, denen sich der Poet passiv öffnen will, doch der eigenen Refle-xion entstammen.177

Kassner vereindeutigt und vereinheitlicht ‚Keats‘, um die eigenenpoetologischen Auffassungen gegen eine idealtypisch gezeichnete ‚per-verse‘ Poetik des entselbsteten Dichters abzuheben. Der programmati-sche Eingangsessay zu Die Mystik gibt Aufschluß darüber und überKassners eigene poetologische Anschauungen. Er handelt dort nämlichüber den Dichter und den Platoniker, d. i. der Kritiker. Beide, so Kass-ner, hätten in gewisser Weise an einer „mystische[n] Tugend“ teil – einBegriff, den er sehr allgemein und ausschließlich quantitativ als eineMangelerscheinung bestimmt: „[...] mystische Tugend ist immer dieSumme von dem, was ein Ding – der Mensch oder sein Werk – besitztund dem, was ihm fehlt.“178 Dichter und Kritiker beschritten bloß un-terschiedliche Wege, die aber gleichermaßen zu dieser Tugend führ-ten.179 Der Dichter komme vom Ideal, so heißt es; der Kritiker versu-che, dieses erst zu ermitteln:

176 Diese und die nachstehenden Ausführungen folgen Hühn 1995, I, S. 372 u. passim.177 Ebd., S. 376–388.178 Kassner 1900 (RA), S. 11.179 Hier beginnt Kassner ein verwirrendes Begriffsspiel. Danach ist „mystisches Den-

ken [...] intuitives Denken“ – und so denke der Künstler. Die Künstler oder Dichter

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion312

Der Dichter empfindet für Alle und wie Alle [...]. Der Dichter thut eigentlichnichts anderes, als dass er für die grosse Seele Aller, die auch seine Seele ist,eigene Formen findet [...].180

Kassners Auffassung über den Dichter kommt derjenigen aus Keats’Briefpoetik nahe, nimmt sie aber zurück, mäßigt ihre Aussagen undAbsichten. Rilke kann für seine Anbetung der Keats-Ikone unmittelbarauf Kassners Beschreibung zurückgreifen, überhöht sie aber wieder zu-gunsten des von Kassner stilisieren Keats. Der Dichter empfindet – mitKassner, Gide und Rilke – exemplarisch für die „grosse Seele Aller“; ernimmt auf, bleibt dabei selbst passiv („schuldlos[]“), tritt als Personganz zurück. Für Rilke erscheint genau dieser Keats als anziehend; ererklärt ihn zum Exempel ‚reiner Poesie‘ und ahmt dieses Exempel inden Sonetten an Orpheus selbst nach. Mehr noch: Er streitet sogar mitKassner über eine Poetik, die den Dichter als Heiligen und Literatur alsDienst an einem unbekannten Gott beschreibt.181

Mit Keats und seinen – durch Kassner gefilterten – Vorstellungenvom Dichter, von Dichtung und Schönheit erreicht ein mystisches The-ma die Poetiken der Jahrhundertwende, das die Forschung bislang vorallem mit Blick auf den französischen Symbolismus anspricht: das The-ma der Depersonalisierung von Dichtung und der mystischen Selbst-auflösung im All-Einen, das sich mit Vorstellungen von einer ‚poésiepure‘ verbindet. Rilke erläutert es in seiner Briefpoetik, und Gideschreibt – noch lange nach seiner Kassner-Übersetzung – in seinemJournal (1923) über Keats’ Sonette als von Zeugnissen einer „déperson-nalisation poétique“ und von einem „triomphe de l’objectivité“.182 Imengen Zusammenspiel entfalten Gide und Rilke eine ganz eigene em-phatische und mystische Reflexion der Dichtungsreflexion vom Typusder ‚poésie pure‘.

Für die Keats-Rezeption erweist sich dieser Typus einer ‚objektivie-renden‘ Darstellung als neu. Im 19. Jahrhundert ließ sie sich viel-mehr – in einer Weiterentwicklung der frühen Rezeption Freiligraths –auf ein Keats-Bild ein, das den Dichter-Poetiker als ‚Indifferentisten‘,

nennt Kassner aber bloß „Dialektiker des mystischen Lebens“; ihnen stehen die„Mystiker [Kritiker, Prosaisten] als Künstler des Denkens“ gegenüber. Ebd., S. 8;siehe hierzu Spörl 1997, S.164 f., der ebenfalls Schwierigkeiten hat, die Passage zu er-schließen.

180 Kassner 1900 (RA), S. 9 f.181 Darüber Kapitel VI. 2. b) dieser Untersuchung.182 Gide: Journal, 759, Mai 1923; zit. n. Gentili 2000, S.79.

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3. Mystifikation der Poesie 313

‚Pantheisten‘ und als sich allein auf die Kunst konzentrierenden Dich-ter beschrieb.183 Mit Pantheismus meinte Georg Brandes, der für diesesKeats-Bild verantwortlich zeichnete, jedoch keinen Pantheismus imüblichen Sinne des Wortes: keine Verehrung eines Naturgottes also.Vielmehr bezeichnete er damit etwas, was angemessener als Sensualis-mus ausgewiesen wäre: ein Leben in „passiven Sinneseindrücken, inVergnügen und Schmerz durch die Sinne“.184 Keats wollte die „Schön-heit der Natur“ in sich aufnehmen, deshalb überließ er sich ganz denEindrücken der Außenwelt.185 Ein „göttliches Feuer“ beseelte ihn, soschreibt Brandes emphatisch.186 Die Keats-Verehrung verwandelt sichvom Pantheismus in eine mystische Poetik. Hier geht der Dichter ganzim All-Einen auf: in einem sinnlichen, aber auch übersinnlichen Uni-versum, das ihn umgibt und in das er sich einfühlt. Vor diesem Hinter-grund kennzeichneten geistesgeschichtliche Untersuchungen Keats’„poetry of sensation“ als eine Äußerungsform des Sensualismus, derWissenschaft von den sinnlichen Wahnehmungen, wie sie im späten 19.und frühen 20. Jahrhundert in Philosophie, Psychologie und Ästhetikzum Tragen kam.187

Zwar läßt sich in der Tat von einer solchen „longue durée“ sensuali-stischer Vorstellungen für die Denkgeschichte – nicht nur des 19. und20. Jahrhunderts, sondern mindestens auch des 17. und 18. – spre-chen,188 aber diese Vorstellungen ändern sich im Laufe der Zeit ganz er-heblich, nämlich bis zur Unkenntlichkeit einer gemeinsamen Herkunftoder eines gemeinsamen Denkprinzips. ‚Sensualismen‘, wie sie die Le-gende vom historischen-genetischen Zusammenhang (Jackson Bate,Viebrock) oder von der zeitlich verschobenen, im Grunde aber paralle-len Entwicklung der „poetry of sensation“ und der psychologischenÄsthetik ausprägte (Simonis), lassen sich – so betrachtet – auf zweiKernaspekte reduzieren: auf das Konzept der Einfühlung und auf ein

183 Brandes 1876, IV, S. 223 f.: „Es war einer seiner [Keats’] Lieblingssätze, daß der wah-re Dichter keine Lehre oder Ansicht, keine Moral, ja kein Selbst haben könne.[...] Aber jener poetische Indifferentismus, den Keats Ansichten und Principien ge-genüber bewies, war selbst eine Lebensanschauung und ein Princip, nämlich die despoetischen Pantheismus.“

184 Ebd., S. 225.185 Ebd., S. 226.186 Ebd., S. 235.187 Siehe die einleitenden Bemerkungen zu Abschnitt 3. dieses Kapitels.188 Es ist das Verdienst von Panajotis Kondylis, die „longue durée“ der Sinnlichkeitsfra-

ge bis in den sogenannten Rationalismus hinein verfolgt zu haben; Kondylis 1986.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion314

Bild vom Menschen, das diesen passiv seinen Sinneseindrücken ausge-liefert sieht. Der Dichter gilt deshalb als exemplarischer Mensch, alspassives Medium seiner Sinne. Es verlangte aber ein großes Vertrauenin eine abstrakte Idee von Sinnlichkeit oder Einfühlung, wollte manvon Keats bis hin zu Wundt an der Legende von einer ungebrochenenKontinuität sensualistischen Denkens festhalten.

Diese Einsicht legt es nahe, nach den Gründen für solche Fehl-Re-zeptionen zu fahnden. Sie liegen in der Populärwissenschaft um 1900,im literarischen und essayistischen Umfeld der Lebensphilosophie undder philosophischen bzw. psychologischen Ästhetik. Dort verbreitetsich eine Vorstellung vom besonders begabten einerseits passiven, an-dererseits sinnlichen Menschen, obwohl die experimentelle und psy-chologische Ästhetik dieses Menschenbild bloß als vorläufiges Ergebniserkenntnistheoretischer Betrachtung darlegte. Es ist deshalb kein Zu-fall, daß sich Kassner sogleich auf Keats’ Beschreibungen des „camelionPoet“ konzentriert. Kassner nimmt sie gefiltert durch die ästhetischeEssayistik um 1900 wahr: Keats wird für ihn zum Gesprächspartner ei-nes populären Empiriokritizismus. Das poetologische Gegenstück zudieser populär gewendeten Ästhetik bzw. Psychologie und zu KassnersKeats-Reflexionen ist die ‚poésie pure‘ Rilkes und Gides, weniger in derfranzösisch-formalistischen und symbolistischen, als in einer lebensre-formerischen Variante. Sie befördert die Idee eines übermächtigen und‚ozeanischen‘ Universums, dem sich der Poet bloß zu öffnen braucht.

Die Sensibilität für den historischen Keats und für die poetologischeSituation rund 100 Jahre zuvor geht Gide und Rilke aber ebenso wieKassner verloren. Denn Keats faßt seine Gedanken über den „camelionPoet“ erst nach seiner Bekanntschaft mit dem Philosophen, Literatur-kritiker und Republikaner William Hazlitt (1778–1830).189 Die ‚reinePoesie‘ im Verständnis von Keats entsteht – in der Form des „camelionPoet“ – erst aus der Rezeption der britischen Moralphilosophie der er-sten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts: aus einer anti-utilitaristischenund einer in einem ganz alten Sinne moralischen, noch immer natur-rechtlich gedachten Variante dieser Moralphilosophie, wie sie Haz-litt – gegen David Hume, Adam Smith u.a. – vertritt. Für die „NegativeCapability“ und für den „camelion Poet“ kommt ein weiterer Einfluß-bereich hinzu. Gemeint ist die Physiologie, die für Keats mindestensebenso bedeutend war wie diese moralphilosophischen Lehren. Im fol-genden soll Licht in das Dunkel der Bezüge zwischen Keats und Haz-

189 Vgl. über Hazlitt T. Paulin 1998; Grayling 2001; Corrigan 2001.

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3. Mystifikation der Poesie 315

litt, zwischen Keats’ ‚Autorpsychologie‘ und den Rezeptionen dersel-ben durch die populäre Ästhetik um 1900 sowie durch die geistes- undkulturgeschichtliche Literaturforschung gebracht werden.

Exkurs. Über die Legende vom Zusammenhangder „poetry of sensation“ mit der psychologischen

Ästhetik um 1900 und über ihren wahren Kern:die Entstehung der ‚reinen Poesie‘

aus Physiologie und Moralphilosophie

Hazlitt gilt als das ‚alter ego‘ von Keats.190 Was der eine denke, das setzeder andere in Dichtung um,191 so lautet eine starke These über das Ver-hältnis der beiden Schriftsteller. Sie ist weder richtig noch falsch. Haz-litt und Keats lernen sich im Januar 1818 kennen, sind zu diesem Zeit-punkt aber schon längst über einander informiert, haben die Texte desjeweils anderen mehr oder minder gründlich zur Kenntnis genommenoder wissen zumindest ungefähr, was sie erwartet: Hazlitt ist gespanntauf den jungen Verfasser der Poems (1817), der Hazlitt seinerseits be-reits in einem Brief vom 9. März 1817 erwähnt.192 Schließlich lagen dieGedanken von Hazlitts moralphilosophischem Frühwerk Essay on thePrinciples of Human Action (1805) – im Gang durch die Moralphiloso-phien Humes und Smiths – ‚in der Luft‘. Ob Keats den Text selbstkannte, ist ungewiß. Sicher weiß man nur, daß Keats Hazlitts Lectureson the English Poets (13. Januar – 3. März 1818) in der Surrey Institu-tion nahe Blackfriar’s Bridge (zusammen mit dem Goethe-FreundCrabb Robinson und mit Procter) besuchte. Allerdings ist unklar, wel-chen Vorlesungen Keats genau beiwohnte. Er hatte offenbar nicht im-mer das Bedürfnis, den engagierten Literaturkritiker und -historiker zuhören. Dieser Umstand spricht nicht für jenes enge Verhältnis der bei-den, wie es die starke These zum Verhältnis von Keats und Hazlitt na-helegt.

Doch soll dieses äußere Datum hier nicht überbewertet werden. Viel-mehr geht es darum, die Genese einzelner Gedanken von Keats im Blickauf Hazlitt zu prüfen und zu fragen, wo Gemeinsamkeiten liegen, ob

190 Corrigan 2001, S. 146 f.191 Ebd., S. 153: „[...] Keats translated the germs of ideas gleaned from Hazlitt into a

working aesthetic.“192 Keats to J. H. Reynolds, 9 March 1817, I.16, S. 123 f.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion316

der eine den anderen möglicherweise beeinflußte. Was die Entstehungvon Keats’ Briefpoetik angeht, so ist festzuhalten, daß einer der beidenHaupttexte, auf den sich zahlreiche Darstellungen seiner Poetik stüt-zen, drei Wochen vor der Bekanntschaft mit Hazlitt geschrieben wurde.Gemeint ist die „Negative Capability-Letter“. Der Brief über den „ca-melion Poet“ datiert demgegenüber erst auf den 27. Oktober, also aufungefähr acht Monate nach dem Ende von Hazlitts Vorlesungen. Ichwill versuchen zu zeigen, daß Hazlitts Einfluß in diesem Zusammen-hang nicht gering zu veranschlagen ist, daß er nämlich jene Gedanken,die sich in der „Negative Capability-Letter“ andeuten, erst zu jenen des„camelion Poet“ weiterzuentwickeln hilft. Aber zunächst zu denGrundlagen: zum Begriff der ‚sensation‘, der – der Forschung zufolge –den gemeinsamen Ausgangspunkt für Hazlitt und Keats darstellt.

Keats gebraucht den Begriff der „sensation“ erstaunlicherweise nurzweimal. Das erste Mal definiert er ihn nicht einmal selbst. Vielmehreignet er ihn sich in einem Studien- bzw. Ausbildungsgang als Apothe-ker an, den er in den Jahren 1815 und 1816 am Londoner Guy’s Hospi-tal durchlief. Als gewissenhafter Student gehörte Keats zu einer kleinenund gut betreuten Gruppe um den bekannten Anatomen Sir AstleyParson Cooper (1768–1841).193 Der Begriff der „sensation“ taucht in ei-ner der Vorlesungen Coopers auf, und in Keats’ Mitschrift ist zu lesen:

Physiology of the Nervous System. The 1st office is that of Sensation – it is animpression made on the Extremities of the Nerves conveyed to the Brain.This is proved by the effects of dividing a Nerve. [...] In irritation made in themiddle of a Nerve the sensation is felt at its extremity sometimes at its origin.The sensation will sometimes be conveyed to the brain and thence to the Ex-tremities. The sensation of the foot being asleep is in consequence of press-ure made on the Sciatic Nerve, Sensation returning.194

Cooper behandelt den Begriff der „sensation“ erwartungsgemäß in derPhysiologie. Dorthin gehört er spätestens seit den epochalen ElementaPhysiologiae (1757–1766) des bekannten Berner und Göttinger ArztesAlbrecht von Haller (1708–1777). Was Keats mitschreibt und auch denzeitgenössischen Lehrbüchern entnehmen kann,195 liest sich wie einAuszug aus Hallers Studie De partibus corporis humani sensibilibus etirritabilibus (1752), die er in den Elementa verarbeitete. Genauer: Bei

193 Dazu vor allem Goellnicht 1984, S.120–159; vgl. auch Ameida 1991; zuletzt Richard-son 2001, S. 233.

194 Keats 1934, S. 55 f. [Ms., S. 8 f.]; schon erwähnt in Sperry 1973, S. 4 f.195 Über diese Lehrbücher Goellnicht 1984, S. 120 f.

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3. Mystifikation der Poesie 317

Keats’ Mitschrift handelt sich um eine fragmentarische, verkürzte undveränderte Form der Irritabilitätslehre Hallers.196 Bereits im Laufe des18. Jahrhunderts wurde sie in der Medizin zur ‚opinio communis‘.197

Sie besagt, daß sich eine Muskelfalser durch Reiz zusammenzieht (Irri-tabilität), eine Nervenfaser aber durch einen Reiz empfindet (Sensibili-tät/Empfindlichkeit). Dabei ist es die Seele, die sich die Empfindungdes Nervs ‚vorstellt‘. Keats beschreibt diesen Prozeß – undifferenzier-ter – nur für den Nerv: Im Falle der ‚Reizung‘ („irritation“), wird‚Empfindung gefühlt‘ („sensation is felt“), und zwar ‚an seinen äußer-sten Enden‘ („at its Extremities“) oder ‚an seinem Ursprung‘ („at itsorigin“) und schließlich dem Gehirn übermittelt.

Es ist unangemessen, diese modifizierte Form der Irritabilitäts- (oderbesser: Empfindungs-)Lehre für den Beginn des 19. Jahrhunderts alsradikal und kontrovers zu beschreiben,198 denn der physiologische Zu-griff auf das Gehirn war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr strittig. Auchist es nicht korrekt, die Sprache, in der sie dargeboten wird, als ‚mecha-nistisch‘199 oder gar als ‚materialistisch‘ zu bezeichnen.200 Es handeltsich vielmehr um eine physiologische Bestimmung mit Hilfe physiolo-gischer Begriffe.

Keats erwähnt den Begriff der „sensation“ aber noch in einem ande-ren Zusammenhang, und zwar in einem Brief an Benjamin Bailey vom22.11.1817:

I am certain of nothing but the holiness of the Heart’s affections and thetruth of the Imagination – what the Imagination seizes as Beauty must betruth – whether it existed before or not ... The Imagination may be comparedto Adams dream – he awoke and found it truth. I am the more zealous in thisaffair, because I have never yet been able to perceive how anything can beknown for truth by consequitive [sic] reasoning – and yet it must be. Can itbe that even the greatest Philosopher ever arrived at his goal without putting

196 Die genaue Quelle für die von Keats notierte Variante der Irritabilitätslehre läßt sichnicht ermitteln. Goellnicht erwähnt, daß Cooper – neben den zeitgenössischenLehrbüchern – beispielsweise auch Andrew Fyfes „A System of a Anatomy“ (1784)sowie Johann Friedrich Blumenbachs „Anfangsgründe der Physiologie“ (1789) kon-sultierte und sie seinen Studenten empfahl; Goellnicht 1984, S.121.

197 Sperry erwähnt diesen Hintergrund nicht, sondern versucht die Definition vonKeats ‚aus sich selbst‘ heraus zu interpretieren, was aber nicht weiterführt.

198 Richardson bemüht sich noch um eine solche Einschätzung des Cooperschen Zir-kels; vgl. Richardson 2001, S. 234.

199 Vgl. Almeida 1991, S. 9.200 Vgl. Richardson 2001, S. 234: „Keats’s lecture reports Cooper defining ‚sensation‘ in

decidedly embodied (if not altogether materialist) terms.“

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion318

aside numerous objections? However it may be, O for a life of Sensationsrather than of Thoughts!201

In diesem Brief, der übrigens wiederum vor der Begegnung mit Hazlittentstand, gebraucht Keats den Begriff der „sensation“ – wie denjenigender ‚Herzensneigung‘ – im Kontext der Einbildungskraft-Debatte.202

Die Einbildungskraft, so Keats, urteile über die Schönheit. Keats ver-zichtet auf jeden Beweis dafür und geht – mit einem heftigen Gedan-kensprung – gleich weiter. Denn ihm leuchtet nicht ein, wie man alleindurch Nachdenken zu Wahrheit gelangen wolle. Als ‚tertium compara-tionis‘ der beiden ‚Medien der Wahrheit‘, der Herzensneigung und derEinbildungskraft, gilt ihm demgegenüber die „sensation“. Deshalb for-dert er ein „life of Sensations rather than of Thoughts!“ Er stellt dieEmpfindungswelt gegen die Gedankenwelt. Bedenkt man Keats’ phy-siologische Studien, so verwundert diese Einstellung nicht. Empfin-dungen müssen ihm als wahrer gelten als Gedanken. Denn der Apothe-ker weiß genau und hat am Objekt üben können, wie „sensations“ zu-stande kommen. Er ist an Experimenten geschult. Hinter seiner frühenBriefpoetik stehen nicht zuletzt die physiologischen Erkenntnisse des18. und des frühen 19. Jahrhunderts.

Emphatische Urteile der Forschung über die ‚anti-rationale Poetik‘von Keats gründen sich zumeist auf diese frühe physiologisch gerecht-fertigte Briefpoetik, die als anti-rational demnach nur ungenau be-schrieben wäre. Denn ihre Reflexionen erweisen sich selbst als ‚wissen-schaftlich-rationale‘, als Ergebnisse von Experiment und Überlegung.Keats können sie als Wahrheiten gelten, die mit den Mitteln der Medi-zin geprüft sind und in der Literatur bloß noch angewendet werdenmüssen – als ein Therapeutikum für den sinnsuchenden Menschen.Hier nutzt Literatur physiologische Reflexionen, um poetologischeReflexion zu vermeiden.

Die poetologische Lyrik der zeitgleichen Poems erprobt dieses Vor-gehen. In Sleep and Poetry handelt Keats’ Sprecher beispielsweise überdie Einbildungskraft, über Traum und Schlaf. Rezensenten stuften denText nicht zufällig als das gelungenste Gedichte der Poems (1817) ein.203

201 Keats to Benjamin Bailey, 22. Nov. 1817, in: Keats 1958, I, S. 183–185.202 Dazu Jackson Bate 1939, S. 11 f.; über die poetologische Bedeutung der philosophi-

schen Einbildungskraft-Debatte Herrmann 1967; über ihren physiologischen Kon-text Dürbeck 1998, S. 177–255.

203 So die Rezensionen von John Hamilton Reynolds (im „Champion“) und von LeighHunt (im „Examiner“), in: Matthews 1971, S. 48 u. 62.

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3. Mystifikation der Poesie 319

Auch Brandes entdeckte das Gedicht. Ihm gilt Sleep and Poetry als „äs-thetisches Glaubensbekenntnis“ des englischen Poeten gegen die „klas-sische Kunstdichtung“ à la Boileau.204 Er antizipiere damit, so Brandes,den Protest des französischen Romantikers Théophile Gautier gegenden normpoetischen und ‚rationalistischen‘ Landsmann.205 Mit dieserEinschätzung hat Brandes nicht Unrecht, auch wenn sie auf den soge-nannten Anti-Rationalismus von Keats zielt: Keats wendet sich in derTat gegen die klassizistische Dichtung – und verkündet ein neues Dich-tungsideal im Zeichen der Physiologie.

Es steht in engem Zusammenhang mit dem Schlaf, ist ihm aber zu-gleich auch entgegengesetzt, denn Poesie erweist sich als ‚gesteigerterSchlaf‘: Schlaf gilt als ‚gesund‘, als ‚geheimnisvoll‘, als ‚voll von Visio-nen‘ und als ‚wahr‘. Nur die Poesie führe über diesen (körperlichen)Zustand hinaus. Sie ist ‚seltsamer‘ und ‚schöner‘.206 Gleichwohl erwirbtder Poet die Voraussetzungen für das Dichten ‚im Schlaf‘.207 Kaum hatsich der Sprecher von Sleep and Poetry für die Poesie entschieden, er-faßt ihn ein Traum. Der Sprecher schildert poetische Bilder und weißam nächsten Morgen genau, was zu tun ist:

And up I rose refresh’d, and glad, and gay,Resolving to begin that very dayThese lines; and howsoever they be done,I leave them as a father does his son.208

204 Die Übersetzung der entsprechenden Passage des Keats-Gedichts lautet mit Brandes[Strodtmann] 1876, IV, S. 227: „Vergaß man alles Dies [gemeint ist die ‚alte‘ englischeDichtung]? Ja, ein Verfall, / Genährt durch Barbarei und Thorheitsschwall, / Hatschamroth um sein Land Apoll gemacht. / Männer, die blind für seine Götter-pracht, / Hielt man für weise; kindisch und bethört, / Wiegten sie sich auf einemSchaukelpferd, / Und nannten’s Pegasus. O Schwächlingsbrust! / Der Wind desHimmels blies, es schwol die Fluth / Des Meers – ihr fühltet’s nicht. Das ew’ge Blau /Enthüllte strahlend sich, es fiel der Thau / Des Sommers und umwob des MorgensPracht / Mit Perlenzier: die Schönheit war erwacht! / Warum noch schliefetihr? – – – – / – – Dahin stumpfsinnig schrittet ihr, / Und schwang ein elend jämmer-lich Panier, / bestickt mit nicht’gen Mottos, mitten drauf / Der eine Name: Boileau!“

205 Brandes 1876, IV, S. 226 f. In den 70er Jahren belebt Stuart M. Sperry (1973, S. 324)diese poetologische ‚Lesart‘ von „Sleep and Poetry“ neu; in diesem Text seien bereitsalle Elemente der Keatsschen Poetik angelegt, nämlich „the notion of a poetic heavenor sanctuary, death and rebirth, sacrifice, the need to transcendent the ‚o’erwhelmingsweet‘ of verse, to achieve a point of vision.“ Selbst der „poet of ‚no self‘“ zeige sichbereits in „Sleep and Poetry“ an, ergänzt Charles J. Rzepka (1986, S. 170).

206 Keats: Sleep and Poetry, in: ders. 1978, S. 37–47, V. 1–19.207 Ebd., S.46, V.349 f.: „For what there may be worthy in these rhymes / I partly owe to

him [...].“208 Ebd., S. 47, V. 401–404.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion320

Im Traum kommt die Inspiration. Das Sprecher-Ich erwacht und findet‚Wahrheit‘. Als ein Wesen, dem ein privilegierter Zugang zur (eigenen)Schöpfung offen steht, wendet er sich der Transzendenz zu, wirdselbstloser Seelenarzt des Menschen209 und empfindet nur noch stell-vertretend als ein Medium, was der poetische Traum ihm eingibt. Zeit-genössischen Physiologen gilt der Traum als ‚mittlerer Zustand zwi-schen Schlafen und Wachen‘, der sich durch eine rege Tätigkeit der Ein-bildungskraft und durch das – mehr oder minder vollständige – Erlah-men der Empfindungen auszeichnet.210 Denkt man an jene Lehren, dieKerner über den ‚magnetischen Schlaf‘ niederlegte,211 dann erhältKeats’ Text noch größere Beweiskraft. Auch sein Dichter schläft eineArt ‚magnetischen Schlaf‘. Vermittelt über die britischen PhysiologenJohn Hunter (1728–1793) und John Abernethy (1764–1831) war auchKeats über den Magnetismus im Bilde. Er übersetzte ihn in Sleep andPoetry in poetologische Verse.212

Ein ‚körperlich‘ begründetes Dichterbild wie dieses nimmt physio-logisches und magnetisches Wissen auf, wendet es in poetologischenReflexionen an und entledigt es zu diesem Zweck seines ursprüngli-chen Kontexts. In Sleep and Poetry wird das Dichten – vor dem Hin-tergrund der Physiologie – als körperliches und aus ganz ursprüngli-chen Empfindungen hervorgehendes ‚Schaffen‘ bestimmt. Kurz: Diepoetologische Reflexion verdrängt die physiologische Reflexion imNamen der physiologisch inspirierten ‚Poiesis‘, um sich selbst als Re-flexion unkenntlich zu machen, um den Dichter beim Dichten von derSelbstbespiegelung zu befreien.213

Der Kontext der Moralphilosophie rechtfertigt dieses poetologischeVorhaben ebenfalls, und zwar unter dem Aspekt des ‚poet of no self‘:Das ‚magnetische‘ Selbst aus Sleep and Poetry kennt keine eindeutigeund bleibende Identität mehr, nimmt sich nur noch als eine Folge vonVorstellungen wahr. Ihm entspricht jene Denkvariante der Moralphilo-sophie, die mit Hume A Treatise of Human Nature (1739/1740) be-ginnt und von Hazlitt fortgesetzt wird: Hume will von der ‚empirisch‘

209 Ebd., V. 246 f.: „To sooth the cares, and lift the thoughts of man.“210 So lautet die ‚communis opinio‘, die im Detail – etwa in bezug auf die Empfindungs-

tätigkeit – strittig ist; Dürbeck 1998, S. 240 f.211 Siehe Abschnitt III. 1. a) dieser Untersuchung.212 Über den Magnetismus in England Fara 1996; über Keats’ Magnetismus-Rezeption

Gigante 2002, S. 439 u. passim.213 Hühn 1995, I, S. 372.

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3. Mystifikation der Poesie 321

beobachtbaren Natur des Menschen ausgehen.214 Anders als seine sen-sualistischen ‚Vorläufer‘ begnügt er sich nicht mit der Annahme einesbloßen „moral sense“, der sich in bestimmten Interaktionskonstellatio-nen quasi-automatisch ausbilde (Anthony Ashley Cooper, third Earl ofShaftesbury, Francis Hutcheson). Er wendet sich vielmehr den er-kenntnistheoretischen Grundlagen zu, die Selbst- und Fremderfah-rung, Aktion und Interaktion überhaupt erst ermöglichen. Hume gehtes nämlich um die Frage, wie Beziehungen zustande kommen. Aus denGewohnheiten der Menschen schließt er zu diesem Zweck auf erkennt-nistheoretische und -praktische Regelmäßigkeiten.215 Der Satz, daß dieIdentität des Menschen nur „fingiert[]“ sei, zählt zu seinen Hauptein-sichten:216

[...] daß die Vorstellung der persönlichen Identität einzig und allein aus demungehemmten und ununterbrochenen Fortgang des Vorstellens beim Voll-zug einer Folge miteinander verknüpfter Vorstellungen entspringen kann.217

Identität wird auf diese Weise zu einem Beziehungsbegriff. Sie bleibtnicht gleich, sondern verändert sich mit der Zeit; sie vollzieht sich‚beim Vorstellen‘.218

Humes erkenntnistheoretische Moralphilosophie ist am Beginn des19. Jahrhunderts längst in das kulturelle Wissen eingegangen, allerdingsals eine durchaus kontroverse, nämlich als eine mehr oder minder skep-tische und atheistische Position. Es verwundert deshalb nicht, wennHazlitt – mit Humes Schüler Adam Smith – in gewisser Weise ‚hinterHume‘ zurückgeht und an ältere moralphilosophische Debatten an-küpft, um die eigene Theorie dann aber (implizit) mit Humes Annah-men abzusichern. In seinen Essays on the Principles of Human Action

214 Im Prinzip ist diese Neigung zur ‚Empirie‘ nicht neu, sondern bestimmt jenes Wis-sensgebiet, das spätestens seit Hans-Jürgen Schings’ Studie über „Melancholie undAufklärung“ (1977) als Anthropologie ausgewiesen wird. Als besonders zur Empiriegeneigt gelten dabei die ‚Erfahrungsseelenlehren‘ der schottischen „moral sen-se“-Philosophie, die ihrerseits auf dem deutschen Naturrecht ruhen; Medick 1981;Vollhardt 2001 (am Beispiel von Gershom Carmichael). Mit ihr, mit Shaftesbury undmit Hutcheson teilt Hume die Annahme, daß die Quelle für moralisches Handelnnicht in der Vernunft zu suchen sei.

215 Insofern erweist sich die moralphilosophische Erkenntnistheorie Humes wiederumals konventionell. Er bewegt sich mit diesem Vorgehen wiederum auf den bekanntenPfaden der schottischen Moralphilosophie.

216 Hume 1904, Teil 4, Ab. 6, S. 335.217 Ebd., S. 336.218 Ebd., S. 337 f.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion322

(1805) will Hazlitt beweisen, daß der Mensch von Natur aus altrui-stisch ist. Zu diesem Zweck setzt er wieder bei Shaftesbury und Hut-cheson an, bezweifelt aber, daß deren Dichotomie von Gut und Bösedie Natur des Menschen überhaupt kennzeichnet. Misanthropen wieThomas Hobbes, La Rochefoucauld und Bernard de Mandeville hättendiese Dichotomie in die Moralphilosophie eingeschmuggelt; mit ihrer„moral sense“-Annahme seien Shaftesbury und Hutcheson bloß aufdie Irrlehren der verwirrten Menschenfeinde hereingefallen. Die erstenSätze von Hazlitts Essay lauten in diesem Sinne:

It is the design of the following Essay to show that the human mind is nat-urally disinterested, or that it is naturally interested in the welfare of othersin the same way, and from the same direct motives, by which we are impelledto the pursuit of our own interest.219

Das Selbst sei natürlicherweise ‚uninteressiert‘, d.h. es handele von Na-tur aus altruistisch.220 Weil es im Jetzt des Gefühls lebe, fehle ihm derSinn für Zukünftiges und damit auch für das eigene Fortkommen, für‚rationale‘ Berechnung und Selbstinteresse.221 Die Bedeutung der Voka-beln „self-love“ und „benevolence“ löst sich deshalb auf; „self-love“gilt nunmehr als „a perfectly disinterested, [...] impersonal feeling“,222

anders gesagt: als Prinzip der „natural benevolence“ des zeitlos-gegen-wärtigen Gefühlswesen Mensch.223

Hazlitt läßt erhebliche Begründungslücken offen.224 Er rechtfertigtseine Annahmen aus einem starken Sensualismus heraus, den er aber

219 Hazlitt 1990, S. 1.220 Ebd., S. 4 f.221 Handelt es dennoch egoistisch, so lasse sich dieses Handeln nur als Ergebnis von gu-

ten oder schlechten Gewohnheiten verstehen; vgl. ebd., S. 18. – Hazlitts Beweiszielund seine Argumentation erinnern an Adam Smiths „The Theory of Moral Senti-ments“ (1759). Smith ging allerdings – auf den bekannten Pfaden der britischen Mo-ralphilosophie – davon aus, daß der „moral sense“ des Menschen für sein ‚Desinter-esse‘ bürge und darüber hinaus interaktiv eingeübt werden könne; für den Bezugvon Hazlitt auf Smith Jackson Bate 1963, S. 256; Bromwich 1983, S. 49.

222 Ebd. [Hervorhebung im Original].223 Ebd., S. 24.224 Gleichwohl wendet sich Hazlitt am Beispiel von David Hartleys „Observation on

Man“ (1749) gegen Humes Assoziationsprinzip. Nach Hartley entstehen Gefühleund Gedanken aus der Assoziation von Ideen. Hazlitt reicht das nicht aus: Gefühlemüssen seiner Ansicht nach ‚im Selbst selbst‘ angesiedelt sein. Hazlitt überträgt dieseArgumentation auf die Ästhetik, nämlich auf das Prinzip der Schönheit. Diese müsse‚im Objekt‘ liegen, bloße Assoziationen von Ideen genügten auch hier nicht; Hazlitt:No. XXVII. On Beauty, in: ders. 1990, S. 71–74, hier S. 71 u. passim.

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nicht weiter belegt.225 Was Hume als Vorstellung gilt, das sind Haz-litt – traditioneller und erkenntnistheoretisch weniger durchdacht – dieGefühle. Auch sein Selbst befindet sich immer im Fluß und ist im ei-gentlichen Sinne keines. Es stellt sich nur in der Erinnerung und durchImagination her.226 Diese Imagination ist es auch, die das Selbst mit demanderen verbindet: Durch seine „imaginary sympathy“ kann es Leidund Freude mitempfinden; es aktualisiert dabei seine eigenen passivenGefühle und Eindrücke.227

Das Nicht-Ich, das Hume und Hazlitt vor unterschiedlichem Hin-tergrund, in unterschiedlicher Weise und mit je anderen Zielen be-schreiben, findet – vermittelt über Hazlitts Lectures – Eingang inKeats’ ‚Dichterphilosophie‘: in diejenige, die er nach der Bekanntschaftmit Hazlitt als ein Amalgam aus Physiologie, Moralphilosophie undLiteraturkritik entwickelt. Sein eigenes – sich scharf von der LakeSchool, der Reflexionspoesie und ihren deutschen ‚Vorbildern‘ abgren-zendes228 – poetologisches Programm verkündet Hazlitt in der dritten‚Lecture‘, in On Shakespeare and Milton (27. Januar 1818).229 Seine

225 Seine Theorie erweckt dabei bloß den Anschein, als gelange sie etwa über den Ver-such des Hugo Grotius hinaus, „sociabilitas“ als einen Trieb des Menschen zur Ge-sellschaft zu beschreiben. Hazlitt überbietet Grotius nämlich nur insofern, als daß ervon einer sehr viel flexibleren Vorstellung des Selbst ausgeht.

226 Hazlitt 1990, S. 30–32.227 Ebd.228 Hazlitt: Lecture VIII. On the Living Poets, in: ders. 1998, II, S.298–320, hier S.314 f.229 Ein hervorragendes Beispiel dafür ist auch Hazlitts Rezension über August Wilhelm

Schlegels „Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur“/„Lectures on Dra-matic Literature“ (übersetzt von John Black, 1815) im „Edinburgh Review“ vom26. Februar 1816. Bei aller Wertschätzung für die Gelehrtheit und Gründlichkeit desWerks kommt Hazlitt zu einem vernichtenden Urteil (Hazlitt 1998, I, S. 271, Her-vorhebungen im Original): „In all that they [the Germans] do, it is evident that theyare much more influenced by a desire of distinction than by an impulse of the im-agination, or the consciousness of extraordinary feelings. [...] The truth is, that theyare naturally a slow, heavy people; and can only be put in motion by some violentand often repeated impulse, under the operation of which they lose all control overthemselves – and nothing can stop them short of the last absurdity. Truth, in theirview of it, is never what is, but what, according to their system, ought to be.“ MitBlick auf Schlegel beklagt Hazlitt das Fehlen all dessen, was er in seiner Moralpsy-chologie beschreibt: das Fehlen der Einbildungskraft und der Gefühle. Vor diesemHintergrund kommt er zu einem vergleichbaren Ergebnis wie andere Schlegel-Re-zensenten. Er reproduziert gängige (Vor-)Urteile über die deutsche Philosophie: DieDeutschen seien bloße Enzyklopädisten, paradoxe Denker und metaphysische Dog-matiker zugleich. Doch damit nicht genug (ebd.): „[...] their pretensions have alwaysmuch exceeded their performance.“

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion324

Shakespeare-Darstellung verblüfft; sie läßt sich ohne weiteres in die„Negative Capability“-Letter übersetzen. Doch Hazlitt treibt nochweiter, was Keats über Shakespeare äußerte.230 Nach Hazlitt warShakespeare „nothing in himself, but he was all that others were, or thatthey could become.“231 Er sei anderen intuitiv gefolgt, habe sich in siehineingefühlt, um ganz und gar ‚sie selbst‘ zu werden. Falls es im Sy-stem von Hazlitt überhaupt eine Grenze zwischen Selbst und Anderemgibt, so fällt sie im poetischen Prozeß: durch die auf die Spitze getrieben„sympathy“ des Poeten mit seinem Gegenstand.232

Erst jetzt kann Keats’ Brief über den „camelion Poet“ ins Spiel kom-men. Keats beschreibt, wie der Dichter sein Selbst im poetischen Pro-zeß ganz und gar aufgibt. Es bleibt nicht nur – wie in der „Negative Ca-pability-Letter“ – bei einer distanzierten „sympathy“ oder bei einerFähigkeit, sich anderes vorzustellen. Vielmehr ist hier tatsächlich der‚Poet of no-self‘ am Werk, der sich – wie ein Chamäleon – verändernund an seine Umwelt anpassen kann. Der Begriff der Imitation, denHazlitt für diesen Vorgang gebraucht,233 ist dafür zu schwach.

Als innovativ erweist sich die Briefpoetik von Keats – mit ihren An-lehnungen an und mit ihren Radikalisierungen von Hazlitts – in ersterLinie aufgrund ihrer produktionsästhetischen Überlegungen: Hier gehtes weder um eine inspirierte noch um eine nachahmungspoetische Auf-fassung von Poet und Poesie. Hazlitt und Keats wählen statt dessen den-selben sensualistischen Ausgangspunkt. Danach gilt Dichtung als ge-steigerter Gefühlsausdruck. Der Dichter versetzt sich zu diesem Zweckbis zur Selbstaufgabe in seine Themen hinein. Dieses Einfühlen aber be-schreiben Keats- und Hazlitt unterschiedlich. Am Beispiel von Shake-speare konzipiert Hazlitt einen permanenten Transformationsprozeßfür den Poeten; am eigenen Beispiel stellt Keats demgegenüber eine phy-siologisch und – sofern der Einfluß Hazlitts zum Tragen kommt – mo-ralphilosophisch geprägte Autorpoetik auf, die Hazlitts Darstellungnoch steigert, aber nurmehr in Gegensatzpaaren formuliert. Denn Keats

230 Es ist unwahrscheinlich, daß Hazlitt den Brief von Keats kannte. Möglich wäre aber,daß sich beide vor der „Lecture“ über Shakespeare ausgetauscht haben.

231 Zit. n. Jackson Bate 1963, S. 261.232 Einen Begriff von ‚sympathy‘ hatte Keats schon ‚vor Hazlitt‘, nämlich den stark for-

mal beschreibenden der Physiologie und Anatomie; siehe Goellnicht 1984,S. 155 f. – Ich komme gleich darauf zurück.

233 Hazlitt: No. XXVIII. On Imitation, in: Hazlitt 1998, I, S. 75–79, hier S. 79: „Imita-tion interests then by exciting a more intense perception of truth, and calling out thepowers of observation and comparison [...].“

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zufolge ‚füllt‘ der Poet (oder der Charakter ohne Charakter) immerneue Körper. Er ist alles und nichts, aktiv und passiv zugleich.

Diese Unterschiede blieben in der Keats- und der Hazlitt-Forschungverborgen. Vielmehr legte man für beide ein enges Bündnis und ein ge-meinsames poetologisches, ästhetisches und moralphilosophischesProgramm dar, das sich bloß in unterschiedlichen Darbietungsformenäußere. Von Keats heißt es, er habe wesentliche poetologische Gedan-ken von Hazlitt empfangen – ungeachtet der Unterschiede. Die gei-stesgeschichtliche Keats-Forschung bemühte sich darüber hinaus, dieOriginalität und Wirkungsmächtigkeit der sensualistischen und selbst-losen Poetik zu erweisen. Im Rahmen ihrer Legende vom Zusammen-hang der „poetry of sensation“ mit der psychologischen Ästhetikdenkt sie im Muster der Antizipation,234 nämlich so, als hätten Hazlittund Keats ihre Wissensbestände schon am Beginn des 19. Jahrhundertsvorweggenommen. Jackson Bate und Viebrock nennen zwei großeVerbindungslinien, die von Hazlitt und von Keats’ Briefpoetik (nichtvon seiner Lyrik) ihren Ausgang nehmen. Die erste setzt bei HazlittsEssay on the Principles of Human Action ein und betrifft den Begriffder „sympathy“:

His [Hazlitt’s] procedure was ingenious, and to some extent original. Moral-ists trying to disprove Hobbes had for fifty years or more been stressing thesympathetic potentialities of the imagination. Adam Smith’s influential The-ory of Moral Sentiments (1759) is the best-known example. The interestspread to the critical theory of the arts; and well over a century before Ger-man psychology developed the theory of Einfühlung – for which the word‚empathy‘ was later coined as a translation – English critical theory had an-ticipated many of the insights involved.235

Jackson Bate legt also nahe (und Viebrock folgt ihm darin), daß es einenStrang des Denkens gibt, der bei den Gegnern von Thomas Hobbes be-ginnt; Hobbes werde dort im Blick auf die sympathetischen Potentiale

234 Für die Beschreibung der Legende siehe die einleitenden Bemerkungen zu Ab-schnitt 3. dieses Kapitels.

235 Jackson Bate 1963, S.256 [Hervorhebungen im Original]; er fährt – etwas melancho-lisch – fort: „It was the peculiar fate of many psychological discoveries of the Englisheighteenth century to be forgotten from the 1830’s until the hungry theorization ofthe German universities in the late nineteenth century led to a rediscovery and amore systematized and subjective interpretation.“ Vgl. auch Jackson Bate 1946,S. 131–147, S. 153–156. Jackson Bate nennt in diesem Zusammenhang Hermann Lot-ze, Wilhelm Wundt und Theodor Lipps („Ästhetik“, 1903/1906); Viebrock nimmtdiese Hinweise auf (1977, S. 100).

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion326

der Einbildungskraft widerlegt. Jene ‚kritische Theorie der Künste‘(Hazlitt, Keats), die sich an diese anti-hobbesianische Morallehre an-schloß, habe Einsichten der deutschen Einfühlungsästhetik (HermannLotze, Theodor Lipps, Wilhelm Wundt) vorformuliert (historisch-ge-netische Variante der Legende).236 Annette Simonis ergänzt in einerzweiten Variante der Legende, nämlich in einem Aufsatz über die Eng-land-Rezeption von Hugo von Hofmannsthal vorsichtiger (unter Ver-zicht auf einen historisch-generischen Zusammenhang und im Sinne ei-ner analogischen Variante der Legende), die emphatische Dichtungs-lehre von Keats, auf die sich Hofmannsthal konzentriere, habe

im deutschen Sprachraum bei aller bleibenden Differenz ein bekanntes Pen-dant in der Philosophie Ernst Machs gefunden, bei dem Hofmannsthal seit1895 Vorlesungen besuchte. In seiner „Analyse der Empfindungen“ (1886)hatte Mach den ‚Gegensatz zwischen Ich und Welt, Empfindung oder Er-scheinung und Ding‘ grundlegend in Frage gestellt, was ähnlich wie bei demRomantiker John Keats zu einer tiefgreifenden Veränderung jener traditio-nellen Konzeption eines individuellen und autonomen Selbst führte.237

Danach soll sich Machs (1838–1916) Analyse der Empfindungen als Ge-genstück zu Vorstellungen des Selbst erweisen, wie Keats sie vertretenhabe. Im Blick auf einen anderen Strang, nämlich im Blick auf denjeni-gen des ‚irrationalistischen‘ Denkens entdeckt Jackson Bate darüberhinaus Verbindungen zwischen Keats und dem französischen Philoso-phen Henri Bergson (1859–1941), der George für seine ästhetische Lei-tidee des Werdens ein Dorn im Auge,238 für Rilke aber ein wichtigerGesprächspartner war.239

Jeder dieser Versuche, Hazlitt und Keats mit der Moderne in Bezie-hung zu setzen, ist für sich genommen reizvoll, aber nicht unproblema-

236 Bromwich nimmt diesen Gedanken vorsichtig wieder auf; ders. 1983, S. 375 [Her-vorhebung im Original]: „But this sounds like what English critics have sometimescalled ‚empathy‘ – translating the German Einfühlung – and I need to say why it iscloser to what Hazlitt all along had been calling ‚sympathy‘. Empathy is the processby which a mind so projects itselfs into its object that a transfer of qualities seems totake place. Keats, on the other hand, was looking for a capability of so heighteningthe imagination’s response to anything that the identities of both the mind and theobject would grow more vivid [...].“

237 Simonis 1995, S. 294.238 Ernst Osterkamp zeigte, daß Gundolf Bergsons Leitbegriff so wegweisend fand, daß

er dafür einen Konflikt mit George riskierte, für den der Künstler nicht erst ‚wurde‘,sondern als eine „Gestalt“ zeitlos und absolut war; Osterkamp 2000, S.167.

239 Jackson Bates Bemühungen betreffen die Unterscheidung von Intellekt und In-stinkt; ders. 1939, passim.

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tisch. Großzügige Genealogien und Parallelen wie diese sind oft von ei-nem heftigen geisteswissenschaftlichen Willen zur Synthese getrie-ben – und erweisen sich bei näherer Betrachtung nicht als ergiebig. Au-ßerdem haben sie mit dem methodischen Problem zu kämpfen, daß sieihren Gegenstand, die Poetik, Ästhetik und Morallehre à la Keats undHazlitt, nur umrißhaft zeichnen können, weil sie ihn in ein großes gei-stiges Tableau einfügen wollen. Wie weit kann man diese Genealogienund Parallelen im Fall der Beziehung von Hazlitt und Keats mit Ge-winn treiben?

Jackson Bate, Viebrock und Simonis zielen – übrigens ohne es auszu-sprechen – auf jene zunächst moralische und später psychologische Tra-dition des Denkens, deren Kern die Begriffe ‚sensation‘, ‚sympathy‘,‚Einfühlung‘ und ‚Empathy‘ darstellen, und die hier als Sensualismusbezeichnet wurde.240 Gegen die Art und Weise, wie sie den Zusammen-hang zwischen Hazlitt, Keats und der psychologischen Ästhetik (ab ca.1870) beschreiben,241 läßt sich aber gleich zweierlei einwenden: erstensgerät das moralphilosophische Beweisziel Hazlitts im Laufe des19. Jahrhunderts in Vergessenheit. Das alte naturrechtliche und moral-philosophische System trägt nicht mehr; mit ihm fallen die Kontextefort, von denen Hazlitt ausgeht (Anti-Hobbesianismus, Anti-Machia-vellismus, Kritik an Hume und Smith). Zweitens beziehen sich psycho-logische Ästhetiken des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht auf Haz-litt, sondern – wenn überhaupt – auf Hume. Denn Hume ist es, der jeneerkenntnistheoretischen Voraussetzungen über das Ich und das Asso-ziationsprinzip formuliert, auf die sich Psychologen wie Theodor Lipps(1851–1914)242 und Edward Bradford Titchener (1867–1927),243 ein ame-rikanischer Schüler Wilhelm Wundts,244 stützen. Eine historische Ver-

240 Der Begriff dient nur der sehr vorläufigen Verständigung – zumal er in der Psycho-logie negativ besetzt war; vgl. Wundt 1862, S. 92.

241 Über die psychologische Ästhetik Allesch 1987; Fick 1993, S.33–44; Braungart 1995,S. 192–216; siehe auch (mehr über die Psychologie als über die Ästhetik) Borgard1999; Heidelberger 1993.

242 Lipps übersetzte Humes „Treatise“ im Jahr 1894, also vor der Verfertigung seiner ei-genen Ästhetik. Er will dem deutschen Leser damit vor allem dessen Gedanken überdas Assoziationsprinzip nahebringen. Aus diesem Grund stellt er die eigene Über-setzung ganz in den Dienst des Originals. Es soll „verständlich eben das wiederge-ben, was Hume sagt und sagen will.“ Theodor Lipps: Vorwort zur Übersetzung, in:Hume 1904, S.V.

243 Vgl. die kritische Würdigung Wundts durch Titchener 1926, S. 313 f.244 Wundt selbst sieht in Hume zwar den scharfsinnigen Begründer des englischen, ganz

und gar empirischen und anti-metaphysischen „Psychologismus“ (Wundt 1921,

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bindung von Hazlitt und Keats zur psychologischen Ästhetik liegt alsonicht vor; die Legende vom Zusammenhang beider ist insofern falsch.

Im Blick auf die Begriffe der ‚sympathy‘, der ‚Einfühlung‘ und der‚Empathy‘ muß die Antwort auf die Frage nach einem Zusammenhangjedoch differenzierter ausfallen. Dabei ist scharf in jene Begriffe zu un-terscheiden, die sich einerseits mit Hazlitt, andererseits mit Keats ver-binden lassen. Hazlitt spricht von einer reflexiven Imagination, von ei-ner „imaginary sympathy“, die es dem Menschen ermöglicht, sich inseine Mitmenschen hineinzuversetzen. Danach überträgt jedes Indivi-duum die eigenen Erlebnisse auf den anderen; seine Einbildungskraftnimmt vorweg, was es selbst noch nicht erlebte. Keats kennt diesen Be-griff der „sympathy“, macht sich aber auch mit einem anderen, nämlichwiederum mit einem physiologischen ‚sympathy‘-Begriff vertraut:

Sympathy. By this Vital Principle is chiefly supported [sic]. The function ofbreathing is a sympathetic action – from irritation produced on the begin-ning of [e] [y] Air Tube affects [e] [y] abdominal Muscles and producescoughing. Sneezing is an instance of complicated sympathy.245

Keats’ Mitschrift bleibt fragmentarisch, zeigt aber, daß „sympathy“hier im wesentlichen als körperliche Handlung verstanden wird, diequasi-mechanisch erfolgt.

Die psychologischen Ästhetiken des ausgehenden 19. und frühen20. Jahrhunderts aber nennen mindestens zwei unterschiedliche Begrif-fe von ‚sympathy‘, nämlich „Einfühlung“ einerseits und „empathy“andererseits. Gustav Theodor Fechner, der unter dem Pseudonym„Dr. Mises“ naive Naturlyrik schrieb und die „Poesie der Poesie“ in ei-ner Weise kritisierte, daß selbst Strauß diese Kritik anziehend fand,246

propagiert in seiner Vorschule der Aesthetik (1876) eine Ästhetik „vonUnten“, nämlich eine empirische Ästhetik nach dem Vorbild der Eng-

S. 50), beurteilt dessen philosophische Leistungen und seine Wirkung jedoch distan-ziert. Zwar habe Hume den „psychische[n] Mechanismus der Assoziation“ er-schlossen, der alle Erfahrungsinhalte verknüpft (ebd., S.51 f.). Aber er habe sich – ty-pisch englisch – nur für die praktischen Konsequenzen dieses Mechanismus’ inter-essiert und sei an der Moralphilosophie gescheitert. Wie Shaftesbury habe Hume denzwingenden Charakter sittlicher Normen nicht ableiten können (ebd., S.54). – Haz-litt versuchte, diesen Mangel zu beheben, aber Wundt ist Hazlitts „Essay“ gänzlichentgangen. Wundt hat – mit Blick auf Hazlitt – Unrecht, wenn er das gesamte engli-schen Denken des 19. Jahrhunderts durch Jeremy Bentham und den Utilitarismusdominiert sieht.

245 Keats 1934, S. 56 f. [Ms., S. 9].246 Siehe Kapitel III. 3. dieser Untersuchung.

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3. Mystifikation der Poesie 329

länder (namentlich von Hutcheson, William Hogarth und EdmundBurke). Er wendet sich gegen die idealistische (deutsche) Tradition ei-ner Ästhetik „von Oben“247 und schreibt den Bruch mit dem Idealis-mus fest.248 Dafür kann er sich aber auch auf deutsche Vorläufer stüt-zen, vor allem auf Friedrich Theodor Vischer und dessen Sohn Robertsowie auf Rudolf Hermann Lotze.249 Lotze war es, der in seinem Mi-krokosmus (1856–1864) erstmals von „Einfühlung“ sprach. Ihm folgteLipps, der den Begriff schon in seiner Raumästhetik (1893) ausführlichdiskutiert, Edmund Burkes Begriff der „sympathy“ als Vorläufer-Kon-zept nennt und diese Diskussion in seiner Ästhetik (1903/1906) for-setzt. ‚Einfühlung‘ meint – nach Lipps – die emotionale Teilnahme ander „Persönlichkeit“ des „Wahrgenommenen“,250 wobei „positive“(„sympathetische“) und „negative“ Einfühlung voneinander zu unter-scheiden sind.251

Lipps’ Begriff der ‚sympathetischen Einfühlung‘ erweist sich abergerade nicht als quasi-mechanisch (wie der physiologische Begriff vonKeats), sondern als ein Prozeßbegriff. Dem Psychologen und Ästheti-ker geht es um die Einfühlung in den anderen, um ästhetische Interak-tion – und nicht um den Nachweis, daß der Mensch prinzipiell ‚sympa-thetisch‘ angelegt, also gut sei (das Beweisziel Hazlitts). Der britischenMoralphilosophie entnimmt Lipps demnach zwar den Begriff;252 er re-serviert ihn aber bloß für einen Aspekt von Einfühlung, gesellt ihm einnegatives Gegenstück bei, verzichtet ganz auf eine moralische Deu-tung, zerlegt Empfindungen und Assoziationen des Menschen viel-mehr. Es wäre demzufolge historisch unangemessen, wie Jackson Bateund Viebrock eine direkte generische Linie von Keats über Hazlitt zurdeutschen Einfühlungsästhetik zu ziehen.253 Der ganzheitlich-morali-

247 Fechner 1876, S. 3.248 Ebd., S.93–96. Hauptprinzip von Fechners ‚empirischen Ästhetik‘ ist das Humesche

Prinzip der „Association“, wonach erinnerte Eindrücke auf neue Dinge übertragenwerden.

249 Über die beiden Vischers als ‚Vorläufer‘ der Einfühlungsästhetik siehe Ab-schnitt III. 3. dieser Untersuchung.

250 Lipps 1914/1920, I, S. 132 [Hervorhebung im Original].251 Ebd., S.139 f.: „Sympathie nur ein anderes Wort für Einfühlung, aber nur für die ‚po-

sitive‘ Einfühlung [...].“ D. h. es gibt auch „negative“ Einfühlung, eine negative Ten-denz gegen das, was der andere tut, sagt oder denkt.

252 Über die begrifflichen Differenzierungen zusammenfassend Titchener 1926, S. 185–193.

253 Der Einwand gegen den historisch-generischen Bezug trifft auch Jackson Bates Ver-gleich von Hazlitt und Keats mit Vernon Lee (d. i. Violet Paget, 1856–1935) zu. Lee

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion330

sche und physiologisch fundierte Typus der Poesie-Reflexion des frü-hen (britischen) 19. Jahrhunderts entspricht dem analytisch-empiri-schen Typus der Reflexion über Ästhetik im ausgehenden 19. und be-ginnenden 20. Jahrhundert nicht mehr. Auch die Vorstellung von einerAnalogie oder einer historisch versetzten Parallele von „poetry of sen-sation“ und psychologischer Ästhetik geht zu weit.

Gleichwohl sind sie nicht nur thematisch verwandt. Autoren um1900 verbinden nämlich beides: moralphilosophisch und physiolo-gisch inspirierte Poetik sowie psychologische Ästhetik. Beide werdenihnen ganz ahistorisch zu Gesprächspartnern. Zu diesem Zweck aller-dings übertragen Autoren Erklärungsmuster der psychologischen Äs-thetik und ihrer populären Darbietungen auf die angesprochenen Poe-tiken des frühen 19. Jahrhunderts: Schon Lotze wurde nämlich vonden Autoren selbst gelesen, von Paul Heyse beispielsweise.254 Lipps er-langt spätestens durch Wilhelm Worringers populäre Ästhetik Ab-straktion und Einfühlung (1908) Bekanntheit, und Rilke hörte Vorle-sungen bei Lipps.255 Auch knüpft die beginnende wissenschaftlichePoetik – Carl du Prels Psychologie der Lyrik (1880), Heinrich ViehoffsDie Poetik auf der Grundlage der Erfahrungseelenlehre (1888) und Ri-chard Maria Werners Lyrik und Lyriker (1890) – unmittelbar an diepsychologische Ästhetik von Wundt und Lipps an, um die Poetik aufeine einfühlungsästhetische Grundlage zu stellen.256 Die Wirkung der

gebraucht den Begriff der „empathy“ in ihrem Cambridge Manual „The Beautiful“(1913), und zwar für eine enge „collaboration“ von Betrachter und Objekt. Es gehtihr um einen beiderseitigen und aktiven Prozeß. – Vergleichbares läßt sich für Jack-son Bates Keats-Beschreibungen vor dem Hintergrund von Henri Bergson „L’Évo-lution Créatrice“ (1908) sagen (Jackson Bate 1939, S. 15 u. 44). Bergson übersetzt„sympathy“ mit „instinct“ (ders. 1908, S.191). Ihm geht es damit um eine ‚Ehrenret-tung‘ des Instinkts gegen Evolutionstheorien lamarckistischer und darwinscher Prä-gung, die den Instinkt bloß als ‚gefallene Intelligenz‘ („intelligence tombée“) oder alsmechanistisches Prinzip betrachten (ebd.). – Es wäre reizvoll, zu fragen, ob Rilke,der mit Bergson vertraut war, auch seine Instinkttheorie kannte. Über Bergson sieheauch Vietta u. Kemper 1994, S. 270 f.

254 Heyse an Mörike, München, 24.10.1859, in: Heyse u. Mörike 1997, S. 38–40, hierS. 40. Im Gegenzug zu Heyses Lektüre liest und empfiehlt Mörike Heyse EduardHartmanns Philosophie des Unbewußten, nämlich „Speculative Resultate nach in-ductiv naturwissenschaftlicher Methode“ (1869). Mörike an Heyse, Nürtingen,20.6.1870, in: Heyse u. Mörike 1997, S. 49–51, hier S. 51. Zum weiteren Kontext derÄsthetik-Rezeption im Blick auf Monismus und Neu-Kantianismus Storim 2002.

255 Worringer 1911, S. 147: „Kunst ist für uns nichts mehr und nichts weniger als ‚ob-jektivierter Selbstgenuss‘ (Lipps).“ Über Worringers Lipps-Rezeption Engel 1986,S. 190 f.; über Rilkes Lipps-Rezeption Fick 1993, S. 187.

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3. Mystifikation der Poesie 331

Einfühlungsästhetik auf die Lyrik um 1900 bleibt überhaupt noch zuklären. 256

In seiner Analyse der Empfindungen erläutert Mach über die Einfüh-lungsästhetik hinaus, was um 1900 breit wirkte: (mit Richard Avena-rius) den Empiriokritizismus. Er umfaßt zwei Aspekte: einen „sensua-listische[n] Monismus“,257 der ausschließlich „Elemente“ (Empfindun-gen) und „Elementenkomplexe“ (Empfindungskomplexe) als gegebenannimmt.258 Daraus folgt, daß es keine Kluft zwischen Innen und Au-ßen mehr gibt, daß das Ich als Einheit ‚unrettbar‘ ist. Es bleibt eine„ideelle denkökonomische“ Fiktion.259 Machs zweite Annahme wirktseit Hume kaum mehr revolutionär, aber Hazlitt geht dahinter zurück,und Keats Position bleibt hier unklar. Die Radikalität der Elementen-lehre Machs, vor allem der Umstand, daß er Körper erst als durch Ele-mentenkomplexe gebildet sieht – all das war am Beginn des 19. Jahr-hunderts undenkbar.

Für Kassner gehört die popularisierte Lehre Machs demgegenüberzum Wissensbestand der Zeit, und er wendet sie auf Keats an: Diesergerät ihm zum Dichter ohne Selbst, zum ‚entgrenzten‘ und unrettbaren

256 Viehoff 1888, I., § 1., S. 3: „Die Poetik oder Lehre von der Dichtkunst ist ein Teil derÄsthetik oder Lehre vom Schönen; diese ist wieder ein Teil der empirischen Psycho-logie oder Erfahrungsseelenlehre. Es ist daher, um eine klare Einsicht in das Wesenund die Aufgabe der Dichtkunst zu gewinnen, zunächst ratsam, auf die Erfahrungs-seelenlehre zurückzugehen.“ – Es steht überhaupt noch aus, die Poetiken des19. Jahrhunderts zu erschließen. Gerade die Poetiken, die sich den Innovationen derPsychologie annehmen, könnten Erkenntnisse über eine interdisziplinäre Zusam-menarbeit zwischen Psychologen, Ästhetikern und Philologen im ausgehenden19. Jahrhundert vermitteln. Blickt man auf du Prel, Viehoff und Werner, dann läßtsich zeigen, daß ein solches Zusammenspiel weitere Kreise zog, als – mit Blick aufWilhelm Bölsche und den Monismus – gedacht. Spannend wäre es vor allem, für Vie-hoff und Werner, für die poetologischen Beiträge aus den frühen Jahrgängen der„Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft“ von Max Dessoir(1906 ff.), die Reihe „Beiträge zur Ästhetik“ (hg. v. Lipps u. Werner) ebenso wie fürdie Poetiken von Biese 1889, Bruchmann 1898, Büchler 1908, Müller-Freienfels 1914und Schwinger 1935 nach der historischen Tragfähigkeit eines psychologischen ‚Pa-radigmas‘ zu fragen. Im Ergebnis ließe sich eine breite Rezeption psychologischerÄsthetik durch Philologen und Populärwissenschaftler ermitteln, die sogar in die Li-teratur einwanderte und damit gängige Thesen von einer um 1900 schon quasi-un-aufhebbaren Differenzierung in eine ungelehrte und außerwissenschaftliche literari-sche Szene sowie in eine literatur-ferne Philologie als zweifelhaft erscheinenläßt. – Diesen Fragestellungen sollte das Projekt, dem diese Untersuchung ent-stammt, im Rahmen weiterer Teilprojekte nachgehen (wie Anm. I., 61).

257 Spörl 1997, S. 66.258 Mach 1922, S. 23.259 Ebd., S. 19.

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V. Vielfalt und Wandel der Orientierungen: Reflexion der Reflexion332

Ich, das sich nurmehr poetisch über sich und die Welt äußert. In Keatserfindet sich Kassner einen Empiriokritizisten vor dem Empiriokritzis-mus; vermittelt durch Keats’ ‚perverse‘ Poetik wendet er sich auch ge-gen Mach: gegen eine ‚perverse‘ monistische Erkenntnis- und Dich-tungslehre. Rilke hingegen kann Kassners Keats mehr abgewinnen. DerLyriker sympathisiert mit den ‚perversen‘ Reflexionen (der populärenEinfühlungsästhetik): mit dem ‚unrettbaren‘, sinnlichen und passivenDichter-Selbst (das aber bei Keats durchaus aktiv ist).260 Rilke mystifi-ziert die trivial gewordene Sinnen-Welt im Bild von Keats, umgibt siemit einem poetologischen Heiligenschein und sucht, sie an sich selbstnachzuahmen. Mit ihrer entschlossenen Parallelführung von Mach unddem Keats der Briefe verschenkt Simonis diese Pointen und Möglich-keiten, die variantenreichen ‚sensualistischen‘ Poetiken und ihre Re-zeptionen um 1900 angemessen zu verstehen: Die psychologische Äs-thetik und ihre populären Varianten prägen nämlich die Keats-Renais-sance um 1900 vor.

Reflexion der Reflexion, oder besser: Selbstreflexion der Reflexiongestaltet sich in Rilkes Gedichten über Keats aber bereits als ‚poieti-sche‘ Reflexion, als frei gestaltende Neu-Schöpfung dessen, was als ur-sprünglicher Gegenstand begriffen wurde. Die Poesie und ihr Autorwerden auf diese Weise zu weltlichen Kultgegenständen.261 Rilkes So-nette an Orpheus überführen diesen Kult in einen mystischen Kosmos,in dem die Gegensätze von Tod und Leben, von Kunst und Wirklich-keit aufgehoben sind. Diese Selbstentäußerung des Poeten kennt jeneGrenzen nicht mehr, die sich der Keats der Oden vergegenwärtigte.Vielmehr setzen Rilkes Sonette an Orpheus den passiven Poeten einer‚ozeanischen‘ Welt von Sinnlichkeit und Übersinnlichkeit aus. Um die‚unio mystica‘ zum Dauerzustand zu erheben, speisen auch sie sich ausden populären Wissensbeständen der Zeit, vor allem aus der lebensre-formerischen Bewegung.

260 Dazu passen übrigens auch Bergsons Ansichten über die Auflösung von Grenzen,die Jackson Bate (1939, S. 15 u. 44) – wiederum irrtümlicherweise mit historisch-ge-nerischem Anspruch – mit Keats in Verbindung brachte (siehe Anm.V., 254). Berg-son 1912, S. 192: „C’est cette intention [de la vie] que l’artiste vis à ressaisir en se re-plaçant à l’intérieur de l’objet par une espèce de sympathie, en abaissant, par un ef-fort d’intuition, la barriere que l’espace interpose entre lui et le modèle.“ Über RilkesNeigungen zum Monismus bereits Fick 1993, S. 183–223; mit Blick auf den Sensua-lismus im Werke Rilkes Pasewalk 2002.

261 Petra Küchler-Sakellariou (1991) beschreibt das Erbe romantischer Poetik um 1900in vergleichbarer Weise. Sie konzentriert sich allerdings auf den Aspekt der Selbstre-flexion; in ihm erblickt sie das ‚Signum‘ der neuen Epoche.

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VI. Rainer Maria RilkeSonette an Orpheus (1922):

kosmogonische Poetik.‚Poietische‘ Reflexion

Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert,drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlung prunkt;jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.

Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte;wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau’s?Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte.Wehe –: abwesender Hammer holt aus!1

Die beiden Quartette von Wolle die Wandlung [...] aus dem zweitenTeil der Sonette geben Thema und Struktur des Gesamttexts vor: die‚Metamorphose‘, verstanden als Daseinsmodus von Welt schlechthin,aber auch – und darauf kommt es hier an – als poetologische Weisung.Nicht ohne Grund wählt Rilke gleich eingangs die Befehlsform. RilkesSprecher setzt sich an dieser und an anderen Stellen für die Wandlungals Wahrnehmungs-, Deutungs- und Darstellungsmuster ein: kein Be-griff, der sich nicht nach und nach umdeutete, kein Bild, das sich nichtveränderte, um ein anderes zu werden.

Vor dem Hintergrund der Wandlungsthematik nennt die erste Stro-phe auch ganz wesentliche Motive des Gesamttexts: das ‚sich entzie-hende Ding‘, das von Anwesenheit in Abwesenheit übergeht, den „ent-werfende[n] Geist“ oder das schöpferische Moment, das „in demSchwung der Figur nichts wie den werdenden Punkt“ (den Umschlagzum Neuen) „liebt“.2 Die zweite Strophe verstärkt die erste, allerdingsin bedrohlicher Weise: Wer sich der Wandlung entgegenstellt, denüberholt das Kommende, das noch Abwesende, und zwar mit aller

1 Rilke: Die Sonette an Orpheus, in: Rilke 1996, II, Teil II, S. 237–272, hier S. 263,Son. XII, Str. 1 f. [Hervorhebung im Original].

2 Vgl. ebd., Kommentar, S. 753.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus334

‚Härte‘. Rilkes Sprecher fordert, im Fluß zu bleiben, sich dem Wandelder Dinge nicht zu verschließen, sondern ihn ‚hörend‘, ‚sehend‘,‚schmeckend‘, ‚tanzend‘, ‚singend‘ und ‚dichtend‘ aufzunehmen undkreativ mitzugestalten – ohne einen festen eigenen Standpunkt, ohneMoral, aber ganz unschuldig und ‚rein‘.3 Es handelt sich um Akte einer‚poietischen‘ Reflexion,4 die nicht einfach bestehende Gegensätze ver-einen will, sondern sich unaufhörlich selbst neu finden und erfindenmuß.5 Die Sonette – und besonders dieses Sonett – schreiben damit ei-nen Modus permanenter Neuschöpfung vor. Er setzt die Kategorienvon Raum und Zeit außer Kraft, erhebt die Entgrenzung des Ich in ei-nem unendlichen ‚poietischen‘ Universum zur poetologischen Norm.

Dieser normative Aspekt ist der Forschung zu Rilkes Sonetten bis-lang entgangen.6 Sie erkannte in der Orpheus-Figur das Zusammen-hang stiftende Prinzip des Texts, führte Rilkes Orpheus-Bild – unterVorbehalt – auf die Antike,7 besonders auf die Metamorphosen des

3 Rilke wandte sich entschlossen – und mit Sigmund Freud – gegen jede moralischeBewertung menschlichen Zusammenlebens, wie Elisabeth Gundolf berichtet:„[...] er lehnte es grundsätzlich ab, die Begriffe der Schuld, des Bösen oder der Sün-de anzuerkennen. In seinen Erörterungen darüber führte er aus: diese seine Über-zeugungen von dem Irrtum einer Vorstellung menschlicher Sünden sei durch dieLehre von Sigmund Freud auch wissenschaftlich begründet.“ E. Gundolf 1965,S. 39.

4 Die Begriffe ‚poietisch‘ und poetisch-reflexiv gehören bereits zum bewährten Deu-tungsbestand der Rilke-Forschung. Ulrich Fülleborn spricht von einer „eigenmäch-tigen ‚poietischen‘ Verarbeitung“ der biblischen Texte; ders. 1999, S. 20. WinfriedEckel (1994) bezeichnet das Gedicht-Konzept Rilkes generell als „poetisch-refle-xiv“, als selbstreferentiell auf sich und seine Vorstufen verweisend, die es prozessualweiterentwickelt. Auf die Debatte über das prinzipiell Selbstreferentielle in RilkesDichtung will ich mich hier nicht einlassen (siehe dazu die Einleitung zu dieser Un-tersuchung), sondern die Darstellung – mit Fülleborn – auf die produktive Spiege-lung und Bearbeitung eigener sowie fremder Texte und Bilder konzentrieren. DerBegriff der ‚poietischen Reflexion‘ wird in diesem Sinne als eigensinniges Neu-Er-schaffen gedeutet, das seinen Anlaß im eigenen oder fremden Text, in Bildern oder inSkulpturen findet.

5 Vgl. Fülleborn 1999, S. 28.6 Rehm bemerkte zwar, daß es Rilke mit dem orphischen Gesang um ‚Handfestes‘

gehe, nämlich um den „Nomos“ des Orpheus (Rehm 1972, S. 518 u. 520), aber erüberführte diese Beobachtung nicht in eine Interpretation, sondern huldigte demdunklen Gesang. Jochen Schmidt (2003) hingegen ging weiter; er erblickte in den„Sonetten“ einen Versuch „esoterischer Sinnstiftung“.

7 Ein Vorbehalt ist dabei schon topisch, nämlich der Hinweis auf Rilkes geringeKenntnisse der alten Sprachen und Texte. Er entstammt dem – für Rilkes Antike-Verständnis grundlegenden – Beitrag von Ernst Zinn 1948, S. 214 f. Siehe auch Mie-lert 1940, S. 61.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus 335

Ovid zurück,8 fragte kritisch, ob Rilkes Orpheus-Adaptation eine‚neue Mythologie‘ begründe9 und feierte Rilkes neuen Orpheus-My-thos.10 Annette Gerok-Reiter, die die umfangreichste Interpretationder Sonette vorlegte, arbeitete ihre ‚metamorphotische‘ Struktur her-aus, beschrieb die Sonette als formal hochreflexive Dichtung und fügteihre Poetik von „Wink und Wandlung“ in die Darstellungstraditionendes französischen Symbolismus ein.11 Sofern Fragen der zyklischenOrdnung und der Formanalyse betroffen sind, will ich mich auf dieseUntersuchung stützen, der ich auf diesen Ebenen nichts Nennenswer-tes hinzuzufügen habe.

Anders verhält es sich mit der poetik- und denkgeschichtlichen Ein-ordnung der Sonette. Selbst eine so reflektierte Untersuchung wie die-jenige von Gerok-Reiter läßt es in zweierlei Hinsicht an kritischer Di-stanz fehlen: erstens ‚glaubt‘ sie die oft beschworenen brieflichen Dar-stellungen Rilkes über die plötzliche und fremdveranlaßte Entstehungdes Texts.12 Bedenkt man die sorgsame Arbeit an seiner komplexen for-malen Gestalt, so bedarf Rilkes Poetik der Inspiration – nach Gerok-Reiter – gleichwohl eines Korrektivs; sie findet es im „Formbewußt-sein“ des Dichters.13 Rilkes emphatische Selbstdarstellungen aber sindschon in sich widersprüchlich und weisen nur einen vagen gemeinsa-men Kern auf. Es ist deshalb nicht erforderlich, einen so großen Keil

8 Zinn wies darauf hin, daß Baladine Klossowska Rilke zu Weihnachten 1920 einefranzösisch-deutsche Übersetzung der „Metamorphosen“ schenkte; Rilke 1974,S. 151; über die Diskrepanz der „Sonette“ und der „Metamorphosen“ Tschiedel1987, S. 193 f. Tschiedel zeigte, daß Rilke die Bilder der Gattenliebe und der Wande-rung ins Totenreich zu symbolhaften Ausdrücken für den Wandel im „Zwischen-reich“ umgestaltete und Orpheus auf diese Weise nicht länger als „Sagengestalt“,sondern als „Symbolgestalt“ betrachtete.

9 Gerok-Reiter 1996, S. 57 f.; S. 63–66.10 An quellenkritischer Distanz mangelt es selbst der formanalytischen Rilke-For-

schung, wenn sich die Orpheus-Begeisterung auch vor allem in geisteswissenschaft-lichen Interpretationen vom Typus derjenigen Rehms offenbarte; vgl. Rehm 1972,S. 512–521.

11 Gerok-Reiter 1996, S.179; vgl. Engel 1999, S.129. Ernst Leisi erläuterte schon zuvor,daß diese Metamorphosen von Begriff und Bild zumeist auf dem rhetorischen Ver-fahren der Anadiplose aufruhen, auf der Wiederholung des letzten Gliedes einerWortgruppe am Anfang der nächsten; Leisi 1987, S.176–179. Thomas Krämer (1999)ging den Bezügen und Wandlungen im Detail nach.

12 Für „Elegien“ als eine Option Engel 1986, S.186 u. passim; für die „Sonette“ strikterin der Zuweisung Gerok-Reiter 1996, S. 15 f., mit kritischem Verweis auf die Inspi-rationspoetik J. Schmidt 2003, S. 240.

13 Ebd., S. 17.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus336

zwischen die Inspirations- und die Formpoetik zu treiben, wie Gerok-Reiter es versucht. Die Rilke-Forschung hat es bislang bloß versäumt,die Widersprüche in Rilkes Selbstbeschreibungen zu ermitteln, nachder Funktion der Selbstbeschreibungen zu fragen und die Inspirations-poetik der Briefe mit der Formpoetik der Sonette zu vermitteln. DiesesVersäumnis soll im folgenden nachgeholt werden, um den textsystema-tischen Stellenwert von Rilkes poetologischen Aussagen für die Sonetteherauszufinden (1. Teil).

Zweitens prüft Gerok-Reiter Rilkes Text an den Vorgaben der„poésie pure“ und läßt hier – anders als beispielsweise für Rilkes Anti-ke-Bezug, den sie als bloß subjektiv kennzeichnet – keine Abweichun-gen gelten. Rilke erweist sich danach als später Vertreter jener stren-gen symbolistischen Formpoetik, wie sie von Baudelaire, Mallarméund Valéry entwickelt wird.14 So richtig diese Einordnung im Blickauf die literarische Tradition ist, so entgehen Gerok-Reiter aber diedenkgeschichtlichen Hintergründe von Rilkes Poetik, die den Bezugauf diese literarische Tradition in den Hintergrund treten lassen. Ge-meint sind die Irrungen und Wirrungen einer reich wuchernden zivili-sationskritischen, weltanschaulichen und populärwissenschaftlichenLiteratur der Lebensreform um 1900.15 Vermittelt über Vorträge, Ge-spräche, Briefe oder Bücher schlagen sich ihre Überzeugungen undEntwürfe in Rilkes Antike-Rezeption nieder. Von weltanschaulichenÜberlegungen – weniger ‚von der Antike selbst‘ – läßt sich Rilke beiseiner Neu-Schöpfung des Orpheus-Mythos leiten.16 Denn Rilkenutzt den Mythos zwar als wesentliche Bild- und Themenquelle, siehtihn aber durch die Brille von Schriften und Vorträgen, die nur u. a. –

14 Siehe Kap.V. 3.15 Über Begriff und Bewegung der Lebensreform die Beiträge in: Buchholz, Latocha,

Peckmann u. Woblert 2001; es geht hier – nimmt man Kassner aus – ausnahmslos umsolche Texte, die der hybriden und unkritischen lebensideologischen Moderne ent-stammen; dazu Lindner 1994; Kindt u. Müller 2003. Siegfried Mandel gibt einen er-sten Einblick in Rilkes Wahrnehmung dieser Literatur; Mandel 1982; Johann J.S.Au-lich (1998) bemüht sich um Übersicht, doch gelingt es ihr nicht, die fraglichen Textezu erschließen. Ihre Studie über die „orphische Weltanschauung“ gleitet in eine Wer-tung der Autormeinungen aus der Perspektive eines vermeintlich historischen Or-pheus ab (ebd., S. 162 f.). Fortschritte erzielt erst J. Schmidt 2003, der sich ausdrück-lich auf die Lebensphilosophie bezieht (ebd., S.227 f.). – Für die Definition und Kor-pus der Weltliteratur: Thomé 2002; siehe auch Beßlich 2000.

16 Dieser Untersuchung geht es gleichwohl nicht um eine weltanschauliche Deutungder „Sonette“, sondern um eine poetologische Interpretation ihrer Poetik im Blickauf den Kontext der populären zeitgenössischen Schriften. Manfred Engel kritisiertsolche Deutungen zu Recht; ders. 1999, S. 128.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus 337

und das sehr eigensinnig und tendenziös – auf die orphischen Myste-rien und auf Orpheus anspielen. Diese Bezüge werden hier herausge-arbeitet, um den denk- und poetik-geschichtlichen Ort der Sonette zubestimmen (2. Teil).17 Rilke läßt sich vom französischen Symbolismusanregen, führt ihn aber, so wird sich zeigen, durch die Darstellung ei-ner lebensreformerischen Kosmogonie weiter, durch eine mythischeLehre über die Entstehung von Welt im allgemeinen, von Poesie imbesonderen (3. Teil).

Diese kosmogonische Poetik inszeniert Inspiration sorgsam, setztauf ‚Poiesis‘: auf das permanente Neuschaffen von Ich, Welt und Text,das Rilkes Sprecher im lyrischen Text zur Maxime des Daseins er-hebt – eines Daseins, das nicht mehr zwischen Leben und Tod, Ich undNicht-Ich trennt, das das ‚principium individuationis‘ aufgibt, um sicheiner innerweltlichen ‚unio mystica‘ alles Lebendigen zu überantwor-ten. In den Sonetten, so meine These, führt Rilke eine Poetik vor, diemit dem Normativen spielt: erstens legt Rilke die Sonette zwar auf eineStrophenform fest, wählt – mit Hilfe von Enjambement usw. – aber ge-rade deren Durchlässigkeit zum Prinzip, löst die strenge Sonett-Formauf. Er reflektiert die Form, zerlegt sie in ihre grammatikalischen undrhetorischen Strukturen, um diese zu einem musikalischen und harmo-nischen Gebilde zusammenzufügen, das ‚Wandlung‘ veranschaulicht.Vergleichbares gilt – zweitens – für die moralisch-amoralischen Inhaltedes Texts. Die Sonette verkünden, nimmt man ihre denkgeschichtlicheKontextualisierung ernst, eine Lehre: keine christliche oder moralischeallerdings, sondern eine heterodoxe, überindividuelle, kosmogonische,die auf permanente Neu-Schöpfung zielt und in ‚poietischer‘ Reflexionaufgeht. Von den Quellentexten, auf die sich diese Reflexion bezieht,bleibt dabei nicht mehr als eine eigenwillige, bildhafte und emphatischeUmformung übrig. Denn die Sonette überführen Reflexion in ‚Poiesis‘.Rilke tilgt die Ursprünge und die reflexiven Aspekte seiner Poesie, um

17 Schon Katharina Kippenberg stellt heraus, daß Grundmomente der Orphik RilkesAuffassungen widersprechen und daß er die Figur des Orpheus aus ihrem Kontextherauslöse, um sie für die eigenen „Ideen und Hoffnungen“ zu gewinnen; Kippen-berg 1946, S. 117: „Die Meinung der Orphiker, daß die Seele in ihrem Körper einemGefangenen in seinem Kerker gleiche, daß sie zur Buße einer Schuld in den Leibgebannt werde, widerspricht ebensosehr den Anschauungen unseres Dichters, wieder orphische Glaube an die Seelenwanderung, und von ihrer uns übrigens sehrgriechisch anmutenden Ethik, die die Seele durch Askese von den Leibesbandenfreimachen will, findet sich keine Spur bei ihm.“ Siehe auch Zinn 1948; Tschiedel1987.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus338

immer wieder am Beginn der dichterischen Schöpfung zu stehen: ‚Poie-sis‘ im Muster der ‚creatio ex nihilo‘.18

1. „Diktat“, „Orkan“, „Ergriffenwerden“:Funktionen der Inspirationspoetik

Es paßt zu diesem Verständnis von ‚Poiesis‘ und Poetik, daß sich eineLegende der Inspiration um die Entstehung der Sonette rankt. Der Au-tor dieser Legende ist Rilke selbst. In zahlreichen Briefen schildert er,wie sich im Februar 1922 (genauer: zwischen dem 2. und 23. Februar)eine ‚höhere Gewalt‘ seiner bemächtigte. Die peinigende und unpro-duktive Phase des Ersten Weltkrieges war vorbei; Rilke arbeitete an denDuineser Elegien – und plötzlich befand er sich in einem zweiten Buch-projekt: „[...] das kleine rostfarbene Segel der Sonette und der Elegienriesiges weißes Segel-Tuch.“19 Erstaunlicherweise drückt das kleine„Segel“ aber pointierter aus, was Rilke als wesentlicher Inhalt der Ele-gien gilt: die Wandlung, für die der Engel der Elegien steht,20 gewinnt inder Orpheus-Figur der Sonette eine traditionsreiche, doch ganz neueGestalt.

Rilke wendet sich erst an Freunde und Bekannte, nachdem er die So-nette vollendet hat. Um seine Briefpartner und (vor allem) seine Brief-partnerinnen über dieses wundersame ‚Nebenprodukt‘ zu informieren,gebraucht er immer wieder andere Ausdrücke. Er eröffnet drei unter-schiedliche Wahrnehmungs- und Bildbereiche für die unglaubliche In-spiration, die ihn im Februar 1922 heimsuchte: erstens nimmt er sie – ineinem Brief an Dory Von der Mühl – als Geschenk wahr, als etwas, wasunverdient und ohne eigenes Zutun gegeben wird.21

Das zweite Verständnis von Inspiration klingt ganz anders. WennRilke die Sonette als ein „sich-mir-Auftragen“, als das „räthselhaftesteDiktat, das ich je ausgehalten und geleistet habe“, und als ein „einzi-

18 Gerade deshalb erweist es sich als philologische Herausforderung, gleichwohl Spu-ren von Kontexten in den „Sonetten“ zu ermitteln und nach Rilkes Verfahren derVerwischung dieser Spuren zu fragen.

19 Rilke an Witold Hulewicz, in: Rilke 1991, II, S. 374–378, hier S. 378.20 Ebd.21 Rainer Maria Rilke an Dory Von der Mühl (Muzot, 23.6.1922, Freitag), Château de

Muzot sur Sierre. Valais am 23. Juny 1922, Brief 171, in: ders. 1994, S.299 f. [Hervor-hebung im Original]: „[...] (weil sie ohnehin, ihrer Natur nach, mehr sind als ‚vonmir‘), nun eigentlich geschenkt worden [...].“

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1. „Diktat“, „Orkan“, „Ergriffenwerden“ 339

ge[s] athemlose[s] Gehorchen“ beschreibt, dann wendet er sich da-mit – schon pädagogisch an seinen Schüler, an den jungen Dichter Xa-ver von Moos,22 den er eine Weile auf seinem Weg begleitete.23 RilkesDarstellung des Entstehungsprozesses der Sonette unterstützt hier, waser von Moos über das Dichten mitzuteilen hat, was er ihn in einem ge-wissen Sinne exemplarisch, nämlich am eigenen Beispiel lehren will:daß der Dichter die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zurückstellen,daß er eine Art Heiliger sein soll.24 Wiederum anders verhält es sich mitRilkes drittem und ausgesprochen temperamentvollen Verständnis vonInspiration. Der Malerin Tora Vega Holmström berichtet er von einem

[...] indéscriptible ouragan de cœur et d’esprit –, qui m’arrachait de mon at-tent patiente pour me ravir sur des hauteurs que je n’avais pas encore con-nues (ni mêmes devinés).25

Ein ‚unbeschreiblicher Orkan des Herzens und des Geistes‘ habe ihnerfaßt, ihn auf ‚Höhen‘ getrieben, die er nie zuvor gekannt und die ihnganz und gar erschöpft zurückgelassen hätten („éperdument même“).26

Danach überfiel die Inspiration den Dichter mit Naturgewalt. Er konn-te sich ihr nicht entziehen und wurde von ihr in unergründliche Seins-bereiche geworfen. Für Claire Studer-Goll bleibt Rilke in diesem Bild.Er spricht von einem

Ergriffensein durch die Arbeit; nie hab ich so ungeheure Stürme des Ergrif-fenwerdens durchgemacht, ich war ein Element, Liliane, und konnte alles,was eben Elemente können [...].27

Hier dient das Bild eines naturgewaltigen und geradezu zwangsläufigan Rilke sich vollziehenden poetischen Schöpfungsereignisses aller-

22 Rainer Maria Rilke an Xaver von Moos (Muzot, 20.4.1923, Freitag), Château de Mu-zot sur/Sierre. Valais am 20. April 1923, Brief 197, in: ders. 1994, S. 349–351, hierS. 350.

23 Den Begriff des Diktats verwendet er auch gegenüber Margot Sizzo. Rilke an dies.,Château sur Sierre, Valais, am 12. April 1923, in: ders. 1991, II, S.294–300, hier S.297:„Ich konnte nichts tun, als dieses Diktat dieses inneren Andrangs rein und gehorsamhinzunehmen; [...].“

24 Ich komme später darauf zurück, vor allem im Abschnitt über Kassner.25 Rilke an Tora Vega Holmström, Château de Muzot sur/Sierre (Valais) Suisse ce Di-

manche 19 mars 1922, in: ders. 1989a, 28. S. 88–90, hier S. 89 f.26 Ebd. – Den Begriff des „Orkan[s]“ gebraucht Rilke auch für die Entstehung der Ele-

gien, und zwar in einem Brief an Lou Andreas-Salomé, Château de Muzot s/Sierre,(Valais) Suisse, am 11. Februar [1922], (abends), in: ders. 1991, II, S.219 f., hier S.219.

27 Rilke an Claire Studer-Goll, Château de Muzot sur Sierre, Valais, am 11. April 1923,in: Rilke 1991, II, 357., S. 293 f., hier S. 293.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus340

dings auch der Entschuldigung für sein langes Schweigen. Denn dreiJahre lang hatte er Claire Studer-Goll keine Zeile geschrieben.28 Rilkegelobt Besserung. Er beteuert, daß er nun endlich jene Schaffenskraftwiedererlangt habe, die ihm während des Krieges abhanden gekommensei. An das, was ihm im Laufe der Zeit auch durch die eigene Nachläs-sigkeit verloren ging, will er ebenfalls wieder anknüpfen: an dieFreundschaft mit Claire Studer und an die Zeit mit Tora Vega Holm-ström im Pariser ‚Jardin du Luxembourg‘.29

Wie die abweichenden Selbstbeschreibungen zeigen, inszeniert sichRilke in jedem Brief neu, paßt sich seiner Adressatin bzw. seinemAdressaten an, um seine Inspiration je individuell nachvollziehbar wer-den zu lassen. Er reflektiert sich selbst für sein Gegenüber. Diese zu-gleich persönlichen und poetologischen Reflexionen führen zu unter-schiedlichen Selbstdarstellungen, die nur einen vagen gemeinsamenKern kennen. Denn erst zusammengenommen – und mit manchen Ver-gröberungen – läßt sich Rilkes Inspirationspoetik als ein Verständnisvom dichterischen Prozeß beschreiben, das diesen als von einer höhe-ren Macht angestoßen sieht und den Dichter als Mittler oder „Ele-ment“ betrachtet: als passiv empfangendes und bloß ausführendes Or-gan, als Schreiber, der sich ganz in den Dienst des unbekannten Schöp-fers oder der schöpferischen Naturgewalt stellt.

28 Ebd. Das vollständige Zitat lautet [Hervorhebung im Original]: „[...] das Ergebnisdes Winter 1921 auf 1922 (oder genauer eines einzigen, über alles menschliche Maßhinaus gesegneten Monats, des Februars 1922 –): diese würden mich bei Dir mit ei-nem Schlage verantwortet haben. Denn daß mein Schweigen so vorhalten konnte,lag nur an diesem Ergriffensein durch die Arbeit; nie hab ich so ungeheure Stürmedes Ergriffenwerdens durchgemacht, ich war ein Element, Liliane, und konnte alles,was eben Elemente können; und obgleich diese Hoch-Zeit, menschlich gemessen,kurz war (länger hätte mein Körper sie kaum ausgehalten) so war eben doch allesvorher und nachher von ihr bestimmt und befehligt, – und Briefschreiben das ja diegleiche Feder beanspruchte, kam nur in Betracht, wo’s ganz unvermeidlich war.“

29 Rilke an Tora Vega Holmström, Château de Muzot sur/Sierre (Valais) Suisse ce Di-manche 19 mars 1922, in: Rilke 1989a, 28. S.88–90, hier S.89 f. Das vollständige Zitatgibt Aufschluß über Rilkes Eindruck, der Krieg sei eine unter poetischem Aspektverlorene Zeit gewesen, und über seine Wünsche, Vergangenes neu zu beleben [Her-vorhebung im Original]: „J’ai travaillé. Je suis content. J’ai bien travaillé, éperdumentmême, – dans un indéscriptible ouragan de cœur et d’esprit-, qui m’arrachait de monattent patiente pour me ravir sur des hauteurs que je n’avais pas encore connues (nimêmes devinés). De cette façon j’ai enfin rattrapé la plupart de ces terribles retardsque je traînais depuis 1914. Si je désirais une récompense de cet effort (où d’ailleurs onest pour si peu, car on n’est qu’obéissance au moment de la grâce suprême qui fait toutelle-même) il m’était permis de prétendre à une récompense, je ne voudrais aucune sice n’est un séjour à Paris, dans notre quartier, au Luxembourg ... enfin: on verra.“

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1. „Diktat“, „Orkan“, „Ergriffenwerden“ 341

Diese Sichtweise ist aus Rilkes Gedichten über John Keats bekannt;durch die Beschreibung des eigenen Dichter-Selbst stellt sich Rilke mitKeats auf eine Stufe, schließt also an die eigene Keats-Darstellung an, in-dem er sich selbst mit ‚dem reinen Dichter Keats‘ identifiziert. Rilkewird sich – wie Keats nach Kassner, Gide und Rilke – selbst Exempel.Rilkes Bemerkung, der kreative Auftrag, der ihn ereilte, habe ihn geistigund körperlich völlig erschöpft, unterstützt diese Identifikation und da-mit auch die Darstellung vom passiven Dichter- bzw. Schreiber-Selbst.

Rilke treibt das purifizierende und heiligende Poesie- und Poeten-Bild aus den Keats-Gedichten in seinen Briefen über die Sonette auf dieSpitze, sichert es – mit dem Verweis auf das ‚Element-Sein‘ – sogar nochquasi-naturwissenschaftlich ab. Danach lenkt die Inspiration denschöpferischen Prozeß, als handele es sich um eine Kausalkette. So willes nicht nur Rilkes Selbstbeschreibung, sondern so lautet auch die Kern-aussage der Sonette, die damit wiederum aufnehmen, was Rilke schonfür Keats entwickelt. Der Selbstbeschreibung folgend, „staunt[]“ derDichter/Schreiber bloß über „[...] deren [der Sonette] innere Einheitund deren Zusammenhang mit den Elegien [...]“, der sich ihm erst beimVorlesen und ‚Hören‘ erschlossen habe,30 ebenso wie über den „Zusam-menhang“ der Sonette selbst, dem sich kein einziges Sonett entziehe:31

„Wie soll man nicht an Ehrfurcht und unendlicher Dankbarkeit zuneh-men, über solchen Erfahrungen am eigenen Dasein!“32

Gleichwohl bleibt es dabei: Rilkes Selbstaussagen widersprechensich, und zwar nicht nur aufgrund ihres unterschiedlichen Adressaten-bezugs. Rilke bricht gleich zwei Mal mit seiner Inspirationspoetik: Ererklärt die Sonette nämlich einerseits aus einem plötzlichen ‚Orkan‘und andererseits aus einem langen Reflexionsprozeß. Dieser habe sichschon im Ausgang des 19. Jahrhunderts vorbereitet und sei bloß durchden Krieg verzögert worden. Eine solche langfristige Darstellung eige-ner Dichtungsreflexion paßt nicht zu dem situativen Modell einesplötzlichen ‚Ergriffenwerdens‘ durch die Inspiration. Es setzt vielmehrauf die Kontinuität des schöpferischen Prozesses, auf die Auseinander-setzung mit Themen, Bildern und Gedanken. Darüber hinaus vermit-

30 Rainer Maria Rilke an Dory Von der Mühl (Muzot, 23.6.1922, Freitag), Château deMuzot sur Sierre. Valais am 23. Juny 1922, Brief 171, in: ders. 1994, S. 299 f.

31 Rainer Maria Rilke an Xaver von Moos (Muzot, 20.4.1923, Freitag), Château de Mu-zot sur/Sierre. Valais am 20. April 1923, Brief 197, in: ders. 1994, S. 349–351, hierS. 350.

32 Ebd.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus342

telt es den Eindruck einer gewissen Eigenmächtigkeit des Autors, dersich Zeit nimmt, um auszuwählen und zu gestalten, und der nicht ein-fach einer fremden Macht gehorcht.

Außerdem führt Rilkes Sprecher – nicht nur im zwölften Sonett deszweiten Teils – ganz anderes vor: Hier geht es um den eigenen Willenzur Wandlung, nicht um den Gehorsam gegenüber einer höherenMacht. Inspiration (Inspiration in einem zweiten Sinne) wird dabeivergleichsweise nüchtern verstanden: als Empfänglichkeit und Offen-heit, die der kreative Mensch (und der Mensch überhaupt) den Mit-menschen, der Natur und den Dingen schuldet. Sie bewährt sich durchHören, Sehen und Schmecken – kurz: durch das sinnliche Wahrneh-men der Außen- und Innenwelt eines zu solchen Wahrnehmungen fä-higen Ich. Das zeigt auch der Vergleich mit den ursprünglichen ‚Meta-morphosen‘, an denen sich Rilke orientiert: mit den Metamorphosendes Ovid. Hier greift das Fatum mehr oder minder unberechenbar undmoralisch rechtend in das Schicksal der Menschen ein; im Fall der So-nette aber gehen bloß Motiv- und Themenbereiche ineinanderüber – nicht durch äußeren Eingriff, sondern durch die bildliche undbegriffliche Logik des Texts selbst.

Wieso weichen Rilke briefliche Selbstbeschreibungen aber vom lite-rarischen Text ab? Welche Funktion erfüllt die Inspirationspoetik fürdie Sonette? Diese Fragen lassen sich – vorläufig – im Blick auf daszwölfte Sonett des zweiten Teils beantworten: Es bedarf des Rückgriffsauf die ‚creatio ex nihilo‘, des ‚Ergriffen-Werdens‘ durch eine ‚höhereMacht‘, um den Modus der permanenten Neuschöpfung zur neuenpoetologischen Norm zu erheben (Motivationsfunktion) und um ei-nem kontroversen poetologischen Reflexionsmuster Geltung zu ver-schaffen (Geltungsanspruch). Zwar sind diese poetologischen Denk-muster nicht gänzlich neu; sie nehmen Aspekte auf, die aus der psycho-logischen Ästhetik bekannt sind: die Auflösung des dichterischen Sub-jekts in seine Sinneswahrnehmungen beispielsweise.33 Aber gleichwohlsucht Rilke eine Rechtfertigung für seinen Text. Er erklärt eine fremdeMacht zum Schöpfer desselben und ernennt sich zu ihrem Mittler – fürdie Normierung des Dichtens unter den Vorzeichen der Wandlung(Entlastungsfunktion).

Die Widersprüche in der Inspirationspoetik aber sind ein Indiz da-für, daß ein poetologisches Selbstverständnis nicht durchhaltbar ist, das

33 Vgl. darüber den Exkurs im vorhergehenden Kapitel.

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2. Orientierungshilfen und Lebensreform 343

derart auf Distanzierung zielt und sich im Zeichen einer ‚höherenMacht‘ ganz auf den Gegenüber einstellt: Trotz der eigenen Bekennt-nisse zum inspirierten, also fremdgelenkten Dichten setzt sich der Au-tor selbst ins Recht. Er unterstreicht die eigene Leistung. Deshalb läßtsich das Bemühen um ein entsagungsreiches Dichter- und Dichtungs-verständnis nur aus einem denkgeschichtlichen Kontext erklären, dersolche Versuche der Selbstdistanzierung und der Legitimation der eige-nen Tätigkeit durch den Rückgriff auf eine höhere Macht vorsah. AmBeginn des 20. Jahrhunderts sind die Voraussetzungen dafür gegeben:Nihilismus und Sinnverlust markieren nur Eckdaten für die Selbstsu-che in einer geistig obdachlosen Zeit.

2. Orientierungshilfen und Lebensreform:Zivilisationskritik, Weltanschauung,Populär- und Geheimwissenschaftim Umfeld von Oswald Spengler

Der Untergang des Abendlandes (I, 1918)

Im Ausgang aus den Neuentdeckungen und Verwerfungen des 19. Jahr-hunderts, nicht zuletzt nach der Lektüre der religions- und kulturkri-tischen Schriften Nietzsches, die die Bibelkritik eines Strauß und dieästhetische Skepsis eines Vischer noch weit überboten, tat Orientierungnot: Wahrnehmung, Handeln, Welt- und Gottvertrauen waren endgül-tig ihrer christlichen und ethisch-moralischen Basis beraubt. Was Weltund Mensch zuvor zusammenhielt, erschien nunmehr als minderwer-tig. Auf diesen gesteigerten „Illusionsverlust“ reagierte jene sinnsu-chende und -deutende Literatur, die nach 1900 ihre Blüten trieb und aufeine Reform des Lebens sann: auf einen neuen Umgang mit einer einer-seits als dekadent, andererseits als unglaublich frei empfundenen Zeit.

Wie empfänglich Rilke für diese Literatur war, das zeigen nicht nurdie Sonette und seine Briefe,34 sondern auch der Katalog der Rilke-schen Bibliothek.35 Wenn er auch nicht vollständig wiedergibt, wasRilke tatsächlich gelesen hat – zum einen, weil manche Bücher mögli-cherweise unbenutzt blieben, zum anderen, weil er sie mitunter ver-

34 Tina Simon (2001, S. 367–394) hat aus Briefen und Selbstzeugnissen zusammenge-stellt, was Rilke las.

35 Zusammengestellt von Hans Janssen 1989.

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schenkte und einige Texte deshalb gar nicht mehr in dieser Bibliothekerhalten sind –, so erlaubt er doch einen Blick in die Denkwelt, die demBesitzer dieser Bücher als bewahrenswert galt. Vor dem Hintergrundder Sonette fällt dieser Blick auf Texte unterschiedlichen Typs: auf zivi-lisationskritische und weltanschauliche (Rathenau, Kassner, Spengler)sowie auf populär- (Keyserling) und geheimwissenschaftliche Schrif-ten (Vogl, Schuler). Sie alle nehmen Themen und Fragestellungen auf,mit denen sich Rilke im Umfeld der Sonette oder in den Sonetten be-faßte.36

In Von kommenden Dingen (1917) formuliert Walther Rathenaunicht nur eine Zeitdiagnose, sondern entwickelt auch Rezepte, um den‚Grundübeln‘ der Zeit, der „Mechanisierung“ sowie dem grassierendenNihilismus beizukommen. Der Dichter spielt in diesem Zusammen-hang eine besondere Rolle (Abschnitt a). Rathenaus praktisch gewen-dete Zivilisationskritik konnte dabei bereits auf solche Schriften zu-rückblicken, die sich – wie Kassners Der indische Gedanke (1913) – einletztes Mal bemühten, ein wesentliches ‚europäisches‘ Prinzip gegendie lebenreformerisch-praktische Annäherung an ‚das Andere‘ zu ver-teidigen (Abschnitt b). Gemeint ist das Prinzip der Individuation, dasRathenau zurückstellt, und mit dem sich Rilke kritisch auseinander-setzt: als Poetiker und als Autor der Sonette. Rilke faszinieren die Auf-lösung des Selbst und die Frage nach der Unsterblichkeit des ‚entselbst-eten‘ Ich; sie werden zu poetologischen Leitmotiven und -themen derSonette. Deshalb läßt er sich von so unterschiedlichen Denkern wiedem Lebensphilosophen Hermann Graf Keyserling (1880–1946)37 unddem Mystiker Carl Vogl inspirieren: ersterer vertritt einen populärwis-senschaftlichen Kollektivismus, der das Ich als Funktion einer unsterb-lichen Idee betrachtet; letzterer vermutet einen regen Austausch vonJenseits und Diesseits. Vogl belebt wieder, was Vischer und Strauß ent-schlossen verabschiedeten: den Magnetismus Justinus Kerners, ergänztum Erträge einer internationalen psychologischen Forschung um 1900

36 Die Bücher aus Rilkes Besitz sind auf drei Bibliotheken aufgeteilt: auf die – der Öf-fentlichkeit unzugängliche – Schloßbibliothek von Muzot, auf das private Rilke-Ar-chiv (Gernsbach) und auf die Schweizerische Landesbibliothek in Bern. KeyserlingsBuch befindet sich in Muzot und kann also nicht eingesehen werden. Die Bände vonKassner, Rathenau, Spengler und Vogl liegen im Rilke-Archiv; ich komme daraufzurück.

37 Über den späteren Vordenker der Darmstädter Lebensphilosophie (1919–1939), denInitiator der „Schule der Weisheit“ und der „Gesellschaft für Freie Philosophie“Gahlings 1996.

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(Abschnitt c).38 Das Thema der Unsterblichkeit lenkt die Aufmerksam-keit darüber hinaus auf die Prophetien Alfred Schulers (1865–1923), dieRilke selbst in Bezug zu den Sonetten setzt. Schuler löst das sterblicheIch in einer anti-christlichen und anti-semitischen Lebensmystik desAll-Einen auf; Rilke übernimmt diese kosmogonische Vorstellung fürdie Poetik der Sonette – ohne sich auf die Polemiken Schulers einzulas-sen (Abschnitt d).

Diese Einflüsse der Weltanschauungsliteratur, der Zivilisationskritik,der Populär- und Geheimwissenschaft auf die Poetik des späten Rilkesind nur wenig erforscht39 – mit Ausnahme der Einflüsse Kassners,40

mit Ausnahme von Gerhard Plumpes Darstellung über das Verhältnisvon Rilke und Schuler41 und mit Ausnahme der Lebensphilosophie(beispielsweise Walt Whitman und seine Rezeption, Ralph WaldoEmerson und seine Rezeption), die durch die Studien von WolfgangRiedel (1996) und Jochen Schmidt (2003) in den Blick geriet.42 SelbstOswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes (1918–1922)43 fandin der Forschung keine Beachtung,44 obwohl die Kulturkritik der Zeit-

38 Rilke besaß die dritte Auflage aus dem Jahr 1920 (Janssen 1989, S.307), nach der hierzitiert wird.

39 Es dominiert das Interesse an der Beziehung Rilkes zu Nietzsche, vermittelt durchLou Andreas-Salomé, für die „Sonette“ Pfaff 1983.

40 Siebels 1932; Mayer 1960; Ruffini 1989, S.76–80; vor allem aber Bohnenkamp 1997.41 Plumpe 1978, S. 209–226. Eine Dissertation (1953) widmete sich darüber hinaus der

Wirkung von Johann Jakob Bachofen auf Rilke (Noll 1953), die allerdings allenfallsdurch seinen vermeintlichen ‚Schüler‘ Schuler denkbar ist. In Rilkes Bibliothek istBachofens „Unsterblichkeitslehre der orphischen Theologie“ (1967) jedenfalls nichtvorhanden. Und nimmt man die „Unsterblichkeitslehre“ zur Hand, so zeigt sich,daß Bachofen – ganz anders als Schuler – bemüht ist, das Phänomen der orphischenUnsterblichkeitslehre historisch angemessen zu untersuchen und darzustellen. Erkonzentriert sich deshalb auch auf all jene Aspekte, die nicht zu Rilkes Auffassungenpaßten: auf die Sünden-, die Titanen- und auf die Paradieslehre der Orphiker (Bach-ofen 1958, S. 137–139). Wenn Rilke also mit Bachofen Werk „vertraut“ war (Tschie-del 1987, S. 299), dann fragt sich, ob er mehr daraus entnahm als vage – und durchSchuler teils in ihr Gegenteil verkehrte – Vorstellungen vom Totenreich der Orphi-ker.

42 Mit Blick auf das „ozeanische“ Lebensgefühl der nach-freudianischen und nach-nietzscheanischen Lebensphilosophie Riedel 1996, S. 280–284; im Blick auf das Po-stulat der Verinnerlichung, das sich im Fall Rilkes noch aus der Lebensphilosophiespeist, J. Schmidt 2003, S. 227–235.

43 Zur Rezeption des „Untergangs“ Demandt 1994; Stiegler 1997; Thöndl 1997; mitHinweis auf Rilkes Spengler-Rezeption Beßlich 2002, S. 40 f.

44 Im Blick auf die „Sonette“ ist dies in einer Hinsicht verständlich. Denn SpenglersAuffassungen über die Orphik widersprechen denjenigen Rilkes. Spengler deutet die

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genossen mit diesem Text ihren Höhepunkt erreichte und Rilke ihnsehr aufmerksam las.45

Wenn sich die Rilke-Forschung nicht in die Untiefen all dessen wag-te, was im Umfeld des Untergangs einsetzt, dann verschenkte sie wich-tige Einsichten in den geistigen „Weltinnenraum“ Rilkes und seinerZeitgenossen, den Rathenau in Von kommenden Dingen so sprachge-waltig und mit enormen Konsequenzen für die Poetik des frühen20. Jahrhunderts schildert. Dabei bezeichnet das Erscheinungsjahr desTexts (1917) eine Phase der Ernüchterung: Auf die Denk- und Reise-freiheit der 1910er Jahre waren die Schrecken eines Kriegs gefolgt, dervon diesen Freiheiten nurmehr die Erinnerung übrig ließ.

a) Walther Rathenau Von kommenden Dingen (1917):Zeitdiagnose „an der Schöpfungsgrenze“

„Rainer Maria Rilke eine Gedenkgabe in Freundschaft und Verehrung,28.11.1917 [...]“, schreibt Rathenau in das Exemplar seines Buchs Vonkommenden Dingen, das sich in Rilkes Bibliothek findet.46 Für Rilkewar Rathenau nicht nur der jüdische Industrielle, der Organisator derdeutschen Rohstoffwirtschaft während der Ersten Weltkrieges, der li-berale Demokrat, der Sozialutopist und -praktiker, potentieller Mäzenund Künstler zugleich.47 Rathenau und Rilke galten sich wechselseitig

orphische Lehre nämlich als Parallelerscheinung zur christlichen Erbsündelehre.„[...] der antike Leib ein Grab!“, das sei, so Spengler, das Bekenntnis der orphischenReligion gewesen, mit dem sie die „antike Askese“ eingeleitet habe. Ihr Ziel sei es ge-wesen, sich durch allerlei Rituale und zuletzt durch den Tod vom sündigen körper-lichen Dasein zu befreien; Spengler 1963, S.891, 905. – Diese Auffassung kommt derhistorischen Orphik freilich näher als die ahistorischen Anschauungen Schulers oderdie ‚diesseitigen‘ Interessen Rilkes; vgl. Calome 2000.

45 Ich will an anderer Stelle darauf zurückkommen. So viel vorweg: Rilkes Exemplardes ersten Bandes („Gestalt und Wirklichkeit“) ist mit Anstreichungen, Unterstri-chen und Randnotizen übersät. Er konzentriert sich erstens auf die Mathematik,zweitens auf die Frage der Raumwahrnehmung, drittens auf das Thema Ägypen undviertens auf die Darlegungen zu Musik und Plastik. Im folgenden will ich nur dasÄgypten-Thema ansprechen.

46 Janssen 1989, S. 313. – Rathenau schenkte Rilke auch „Die neue Wirtschaft“(1918) – „in herzlicher Ergebenheit“. Mit Verweis auf „Von kommenden Dingen“auch J. Schmidt 2003, S. 226, Anm. 9.

47 Dieter Heimböckel beschreibt die Beziehung von Rathenau und Rilke im Blick aufRilkes Briefe; ders. 1996, S. 63 u. S. 319–320. Sie kannten sich möglicherweise schonseit dem 14. November 1897, seit einer George-Lesung, die Rilke während seinesBerlin-Aufenthaltes besuchte, sicher aber seit den Jahren 1913/1914.

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als Hoffnungsträger. Von kommenden Dingen gibt Aufschluß darüber,was ihre Hoffnungen bestimmte. Das Buch enthält Rathenaus Zeitdia-gnose über das Verhältnis von Mensch und „Mechanisierung“ sowie ei-nen ganz praktischen Entwurf für das kommende ‚Reich der Seele‘, füreine solidarische Gemeinschaft der Menschen. Dieser Entwurf solltePolitik werden;48 Rilke nutzt ihn als Inspirationsquelle für seine Poetik.

Den politischen Rathenau, den liberalen Vertreter der Republik, derausgesprochen soziale Ideen vertrat, unterstützt Rilke entschieden;49

von der Zeitdiagnostik Rathenaus erborgt er sich die Kritik an der„Mechanisierung“. Sie gilt Rathenau als allumfassendes Lebens-,Denk- und Arbeitsmuster: als universelle, aber auch als unausweichli-che Zwangsorganisation einer Gesellschaft, die das Maximum irdischerGüter erschließt, die Geist, Leben und Gefühl vollständig zugunstendes Materiellen kolonialisiert.50 Doch die „Mechanisierung“ entstand,so Rathenau, ganz unabsichtlich, nämlich als „dumpfer Naturvorgang“aus den „Bevölkerungsgesetzen der Welt“:51 Die Zahl der Menschenwuchs und mußte ernährt werden; wollte man wieder ‚vormechanisti-sche‘ Zustände herstellen, dann müßte man die Bevölkerungszahl aufdie „Norm der vorchristlichen Jahrhunderte“ mindern.52

Da diese Entscheidung nicht wünschbar ist, sinnt Rathenau auf eineandere Lösung. Sie liegt im Geistigen und Spirituellen: in der materiel-len Selbstbescheidung zugunsten immaterieller Werte.53 „Opfer“,„Dienst“ und „Tat“, das sind die großen Vokabeln, die Rathenau demEinzelnen für die tägliche Lebensführung empfiehlt.54 In der „Andacht

48 Kessler 1928, S. 270 f. Zu Rathenaus politischen Ideen gehören u. a.: die Errichtungeines freien und sozialen „Freistaates“, das Ende der Klassengesellschaft, ein Rechtauf Arbeit und Bildung, die Begrenzung von Vermögen, Einkommen und Erbschaftund die Idee einer staatlich geregelten Gemeinwirtschaft, die nur eine eingeschränkteEinfuhr von Luxusgütern erlaubt. Siehe ebd. Für die Umsetzung dieser Ideen grün-det Rathenau eigens einen „Demokratischen Volksbund“ und sucht Kontakt zur li-beralen „Deutschen Demokratischen Partei“.

49 Heimböckel 1996, S. 317 u. 351 f.50 Rathenau 1917 (RA), S.29–50. – Das Exemplar des Buchs im Rilke-Archiv weist kei-

ne Lesespuren auf.51 Ebd., S. 42.52 Ebd., S. 30.53 „Entfaltung der Seele“ und „menschliche Freiheit“ – so lauten Rathenaus Ziele

(ebd., S. 14 u. 59). Der Weg dorthin führe über den „Glauben, der aus Liebe ent-springt“, zur „Einheit und Solidarität menschlicher Gemeinschaft, zur Einheit see-lischer Verantwortung und göttlicher Zuversicht.“ Ebd., S.16 u. 345.

54 Ebd., S. 15 f.

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zum Transzendenten“ liege seine besondere Aufgabe.55 Ohne sie lassesich das neue Reich nicht erobern; ohne sie fehle der Bewegung dieKraft. Deshalb fordert Rathenau Künstler dazu auf, diese Bewegunganzuführen. Denn sie sind es, die exemplarisch Andacht leisten, die Ge-fühl und Verstand neu zu orientieren vermögen. Gleich auf den erstenSeiten seines Buches wendet sich Rathenau aus diesen Gründen gegendie Dingästhetik des verehrten Rilke:

Die Zeit, die in ihrem Innersten nach Selbsterkenntnis und und Erlösungvon eigener Härte lechzt, ist in ihrem Gehaben vorschauendem Denkennicht günstig. Kaum ist sie dem plumpen Ernst und der Handgreiflichkeitdes Materialismus entronnen, da schämt sie sich schon aller Praxis undschämt sich nochmals dieser Scham und sucht sie zu verdecken, indem siemit bemeistertem Abscheu armselige Gerätschaften und Zutaten des neu-zeitlichen Lebens in ihre Empfindungen webt. Sie bringt Bogenlampen undHotelgärten in Reime von bedachter Kühnheit und ist doch weltfremder alsihre grobe Vorläuferin, die in menschlichen Dingen zugegriffen hatte undBescheid wußte.56

Rathenau entlarvt die Dingästhetik als poetologische Ideologie in einermechanisierten Welt. Wenn Rilke Von kommenden Dingen gelesenhat,57 dann kann ihm diese Kritik ebensowenig entgangen sein wie Ra-thenaus literatur- und denkpolitisches Programm für einen neuen‚Geist‘:

Das Denken und Fühlen der Welt wird fest sein, nicht handgreiflich, zart,nicht schwächlich, phantasievoll, nicht verstiegen, transzendent, nicht fröm-melnd, pragmatisch, nicht rabulistisch; die geistige Führung wird von Frau-en und grinsenden Ästheten auf Männer, von Artisten und Arrangeuren aufDichter und Denker übergehen.58

Vor dem Hintergrund seiner dualistischen Zeitdiagnose bietet Rathenauklare Feindbilder an. Auf der einen Seite stehen ein blutleerer Ästheti-zismus der Dingwelt, Frömmelei, Verstiegenheit und ‚die Frau‘; auf deranderen Seite finden sich zarte und phantasievolle Männer, Dichter undDenker. Sie befördern die Transzendenz, das freiheitliche, seelische und

55 Ebd., S. 19.56 Ebd., S. 16 f.57 Es gibt kein sicheres Indiz dafür, daß Rilke den Rathenau-Text gelesen und den frag-

lichen Abschnitt zur Kenntnis genommen hat – zumal sich Rilke in seinen Briefen anRathenau nicht über Poetologisches äußert. – Für diese Information danke ich ErnstSchulin, der die Korrespondenz Rilke-Rathenau herausgibt.

58 Rathenau 1917 (RA), S. 18.

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transzendente Denken und Fühlen, auf das Rathenau zielt. Was RobertMusil als triviale Mystik kritisiert,59 wendet Rilke euphorisch: Rathe-naus gemäßigter, aber entschiedener Reformgeist kommt Rilkes (ästhe-tischen und poetologischen) Anschauungen entgegen.60

In dieses Bild paßt es, daß sich eine Vielzahl von Ähnlichkeiten zwi-schen Rathenaus sozialer, politischer sowie literarischer Programmatikund der Poetik des späten Rilke findet: Rilke entfernt sich nämlich nachund nach von der Dingästhetik, reagiert also möglicherweise auf Rathe-naus Kritik, sucht – mit der Figur des Orpheus und den Sonetten – nachursprünglich poetischen Wurzeln, stellt sich der Wirklichkeit, ist mitder Zivilisation im Bunde („Irgendwo wohnt das Gold in der verwöh-nenden Bank“, II,19; „Alles Erworbene bedroht die Maschine“, II,10),schreibt polyperspektivisch im ‚Geist eines Göttlichen‘. Alle Gegensät-ze und Perspektiven erweisen sich dabei als Facetten desselben, desewigen Wandels:61 Rilke verwandelt sich selbst in Rathenaus Dichterdes Transzendenten „an der Schöpfungsgrenze“ zu einem neuenReich.62 Er übernimmt Rathenaus Mechanik- und Maschinen-Kritikebenso wie den Typus einer transzendieren, gleichwohl aber lebensna-hen Reflexion und reformuliert sie poetologisch.63

59 N. C. Wolf 2002.60 Heimböckel 1996, S. 317. – Einzig der Dualismus von materiellem Übel und Verhei-

ßung eines künftigen Reichs hätte dem Poetiker des Wandels widerstreben können.61 Deshalb erscheint es mir als problematisch, Rilkes Sonette mit Manfred Frank (1988,

S. 209–211, Hervorhebung im Original) als „schön gereimte vor-modern-antikapita-listische, also im wirklichen Sinne des Wortes: konservative Phantasien“ zu deuten,oder seine „Dichtung als die Fluchtburg und das Asyl der mythischen Wünsche imtechnischen Zeitalter“ zu verstehen. Geht man darüber hinaus davon aus, daß sichRilke auf Rathenau bezieht, so stimmte das Etikett konservativ auch unter politi-schem Aspekt nicht. Vielmehr handelte es sich um eine Kritik am ‚Naturgesetz derMechanisierung‘ vor dem Hintergrund von Utopien, die im politischen Liberalis-mus ihren Ort finden. – Ein vergleichbares Problem stellt sich, wollte man die „So-nette“ als „kulturkritische Absage[n]“ an die ‚mechanisierte‘ Zivilisation deuten, wieJochen Schmidt vorschlägt (2003, S. 228). Zwar nehmen die „Sonette“ die Zivilisa-tionskritik der Zeitgenossen auf, aber sie entsagen den kulturellen und zivilisatori-schen Errungenschaften nicht, beziehen sie vielmehr spielerisch in die „Sonette“ ein.

62 Rathenau 1917 (RA), S. 29. – Dieser Schluß ist neu für die Rilke-Forschung. Heim-böckel spricht zwar an, daß Rathenau auch literarische Ideen hegte, aber er legt diesenicht dar, verbindet sie auch nicht mit Rilke. Deshalb entgeht ihm nicht nur Rathe-naus Kritik an der Dingästhetik, sondern auch Rilkes Verwandlung zugunsten desRathenauschen Poesie-Ideals.

63 Es ist m.E. unwahrscheinlich, daß Rilkes kritische Maschinen-Darstellungen Rathe-nau hätten widersprechen müssen, wie Heimböckel meint (1996, S. 320). Denn Ra-thenau formuliert keine Regel darüber, daß man Maschinen nicht darstellen dürfe.

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Im Juni 1922, wenige Monate nach der Niederschrift der Sonette,wurde Rathenau von einem rechtsradikalen Schüler, einem zweifelhaf-ten Studenten und drei Geheimbündlern ermordet. Sie sahen in ihm dietreibende Kraft für eine ‚Judaisierung‘ Deutschlands und für einen„schleichenden Bolschewismus“.64 Der Tod des Freundes traf Rilkepersönlich und öffnete ihm die Augen für das Ausmaß der politischenMißstände im Deutschland der 20er Jahre.65 Auch für ihn wurde Rathe-nau zum Märtyrer einer zum Scheitern verurteilten Republik.

Erstaunlicherweise hält ihn dies nicht davon ab, sich einem dubiosenund des Anti-Semitismus verdächtigen ‚Gelehrten‘ zuzuwenden. Ge-meint ist Alfred Schuler. Rathenau und Schuler markieren Gegenpolezivilisationskritischen Denkens nach 1900. Und Rilke fügt selbst solcheLehren begeistert in das ästhetische und poetologische Universum derSonette ein, die – wie diejenigen Schulers – auch über die ‚Gefahr Juda‘handeln. Im Fall der Sonette liegt also eine der problematischen ‚geisti-gen‘ Allianzen vor, die für die „hybride Moderne“ typisch waren.66

Diese Allianz nimmt ihren Ausgang von Plädoyers für ‚das Transzen-dente‘ und ‚Seelische‘, wie Rathenau und Schuler sie gleichermaßenformulieren. Solche Plädoyers übten auf Rilke so große Anziehungs-kraft aus, daß er das Transzendente als eines der poetologischen Leit-themen in die Sonette aufnimmt. Im Blick auf das Transzendente kön-nen Rathenau und Schuler Rilke als gedankliche Bündnispartner gegenKassner dienen. In seiner Schrift Der indische Gedanke wendet sichdieser nämlich gegen ein nebulöses Seelisches, gegen Transzendenz; erwill die zivilisatorische Krise mit Hilfe des vernünftigen Individuumslösen – eine Sichtweise, die auch Ergebnis eines Konflikts mit Rilke istund letzteren möglicherweise dazu veranlaßt, sich in den Sonetten aufdie Darstellung einer ‚kosmogonischen‘ Poetik (gegen Kassner) zukonzentrieren.

64 Kessler 1928, S. 360.65 Heimböckel 1996, S. 318.66 Lindner 1994; Kindt u. Müller 2003.

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2. Orientierungshilfen und Lebensreform 351

b) Rudolf Kassner Der indische Gedanke (1913):Plädoyer für das Prinzip der Individuation

Kassner handelt über zwei Denktypen, über zwei – aus der Sicht Kass-ners ganz elementare und den Menschen ursächlich prägende – Gedan-ken- und Einstellungskomplexe: über den indischen und den europäi-schen. Kassners Verfahren ist dualistisch und erinnert an die typologi-schen Gegenüberstellungen von ‚apollinisch‘ und ‚dionysisch‘, wie siein der Nachfolge Nietzsches üblich werden. Auf der einen Seite stehtder Inder, auf der anderen der Europäer – und ihre Gedanken schließensich wechselseitig aus:67

Europäer (der „Gerechte“) Inder (der „Heilige“)

Geschichte Geschichtslosigkeit

Persönlichkeit Kaste

Person Seiender

Tat „heroische Innigkeit“/Objektlosigkeit

„plastische Kraft im Menschen“/ Glaube an Seelenwanderung bzw. anVernunft/Humor Seelisches überhaupt

„Kampf zwischen Ursprünglich- überflüssig durch Entscheidungkeit und Erfahrung“ des Kastenwesens

persönliche Originalität – findet mythische Originalität – findetdiese im Anderen, Unbekannten, diese ausschließlich im Göttlichenim Fortschritt

interessant religiös

Angst Freiheit von Angst

Reiz zum Leben/„von Gott Kult/Zeremonie/Befehl/Auftrag/Überanstrengte“/Augenblicks- SchicksalSehnsucht, die Geschichte still-stellt

Anthropomorphist anti-anthropomorphistischeWeltanschauung

Dualismus (Krieger) Monismus (Seher)

„Operation mit dem Nullpunkt“ Anschauung des Heiligen

Exzentriker Opfernder

Gerechter (Maß, Wissen, Begriff) Heiliger (kein persönlicher Gott)

67 Kassner 1921, S. 7.

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‚Der Europäer‘ begreife sich selbst als ein geschichtliches Individuum,das vernünftig, humorvoll und originell handele. Ganz anders verhaltees sich mit dem indischen Heiligen: Er kenne keinen Anfang und keineGeschichte, glaube vielmehr an das Seelische und an die Seelenwande-rung, sehe sein Schicksal als durch die Kastenzugehörigkeit entschie-den, handele allenfalls kultisch, leide und gebe sich selbst wehrlos ei-nem unspezifischen Göttlichen preis. Deshalb erblickt Kassner in ihmden „geborene[n] Monist[en]“, der denselben Verdikten anheimfälltwie der „Monismus unserer Tage, diese[s] deutliche[] Hirngespinst lee-rer Theologen und völlig geistloser Naturforscher[.]“68 Kassners Urteilüber die beiden Denktypen kündigt sich damit schon an:

Ich nehme hier durchaus die Partei des Gerechten [...]. Die Existenz einesStaates, das Leben der Familie ist ohne diese Gerechten nicht möglich, so dieLiebe haben, ohne zu lieben. Der Gerechte allein darf töten, ohne Mörder zusein, und also sind die Kriege in einem ganz bestimmten Sinne Ausdruck derKultur, denn sie allein nähren und erhalten den zeitlichen Frieden. Ist esnicht recht eigentlich der Triumph des Gerechten, der Kultur, der Triumphdes Begriffes, daß der Krieg, vielmehr seine Furchtbarkeit, ja Unmöglichkeitheute die beste und einzige Gewähr des Friedens sei?69

Als kriegstreiberisch wäre dieser Abschnitt falsch verstanden. Kassnergeht es vielmehr um ein abstraktes Abwägen der zwei Denktypen. Da-bei zeigt sich seiner Ansicht nach, daß dasjenige, was verläßlich, blei-bend und werthaft institutionalisiert ist, vom ‚Gerechten‘ ausgeht.Selbst der Krieg wäre ihm bloß Mittel zum Zweck, nämlich der Erhal-tung einer kultivierten Gesellschaftsordnung. Mittlerweile scheint derKrieg aber aufgrund seiner abschreckenden Wirkung bereits in ein zi-vilisiertes Stadium eingetreten zu sein – überraschenderweise notiertKassner diese Überlegungen kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. DenHeiligen jedenfalls begreift er als „de[n] Feind und de[n] Tod des Ge-rechten“.70 Eine solche Einschätzung mußte für Zündstoff sorgen.

Es verwundert nicht, daß Rilke der fremden Denkwelt gegenüberweitaus aufgeschlossener ist als Kassner. Mehr noch: Mit seiner Schriftreagiert Kassner möglicherweise nicht nur auf das breite schriftstelleri-sche Interesse an Indien um 1900,71 sondern auch auf Rilkes Überle-gungen über das Verhältnis von Kultur, Künstler und Heiligem. Denn

68 Ebd., S. 15.69 Ebd., S. 42.70 Ebd., S. 44.71 Vgl. darüber Ganeshan 1975.

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2. Orientierungshilfen und Lebensreform 353

im Jahr 1912 entbrannte zwischen beiden ein Streit darüber. Rilkeschrieb an Kassner:

Sie mögens nicht wahr haben, – aber ich weiß es vielleicht mehr als je, daßdem Heiligen und dem Künstler das Gleiche zugemuthet ist: als Entschluß,als Leistung. Nur daß beim Künstler die immense Richtung sich, kaum er-reicht, gegen ihn selber kehrt, als Anforderung. Der Ansturm, mit dem erHeiligkeit meinend gegen Gott zu sich vorgerissen hätte, bricht sich an ihmselbst und treibt ihn in die Höhe. Es geht darum freilich nicht an, zwischenbeidem zu zögern.72

Rilke zufolge müssen sich Künstler und Heiliger derselben ‚Zumu-tung‘ stellen, in anderer Weise allerdings. Während der Heilige passivbleibt, sieht sich der Künstler gefordert. Wovon und inwiefern bleibtunklar. Die Bilder, die Rilke verwendet, lassen sich dahingehend deu-ten, daß sich der Künstler auf „Heiligkeit“ ausrichtet, daß diese Rich-tung sich aber plötzlich umkehrt und ihn auf die Höhen eines göttli-chen Olymps erhebt. So betrachtet erweist sich Rilkes Künstler als einGott wider Willen. Er paßt nicht in Kassners kriegerischen Dualismus,der die Handlungsrollen der Heiligen und des Kulturmenschen nachRilkes Brief erst recht und zugunsten des Kulturmenschen auseinan-dertreibt.

Gemeinsam mit Gide wendet sich Rilke für seine Poetik dem ‚indi-schen‘ Gegentypus zu: dem innig, ahistorisch, mythisch, kultisch Sei-enden – dem (psycho-physischen) Monisten, dem Heiligen. Er wirdzum poetologischen Leitbild, zum Ideal des Künstlers (und damit desDichters), wie es die Keats-Gedichte und die Sonette darstellen. Dafür,daß die Kassner-Diskussion in diesem Zusammenhang wichtig ist, läßtsich über den Brief hinaus – erstens – ein materielles Indiz gewinnen:An den Beginn von Kassners Aufsatz „Der Heilige“ aus Der indischeGedanke legte Rilke ein vergilbtes Pergament als Lesezeichen.73 Zwei-tens beschreiben Rilkes Keats-Gedichte den Dichter als Heiligen, alsRühmer. Die Vokabeln „Rühmer“ und „rühmen“ gehören wiederum

72 Rilke an Kassner (?), Briefentwurf aus Duino, [Januar 1912 (?)], in: Rilke u. Kassner1997, 16., S. 66; ebenfalls zitiert in Bohnenkamp 1997, S. 66.

73 Das Lesezeichen findet sich auf den Seiten 30 f. in einem der beiden Exemplare von„Der indische Gedanke“ (1913) im Rilke-Archiv: eines enthält das Lesezeichen, einanderes die Widmung „Für Rainer Maria Rilke von Rudolf Kaßner München24.5.19.“ Es wurde über die Auflage hinaus für Kassner gedruckt und ist in weißesPergament gebunden (mit Goldaufdruck). – Im Jahr 1914 wurden Rilkes Bücherversteigert: Sie lagerten in Paris, und er konnte seine Miete nicht mehr bezahlen.Kassner schenkte ihm seine Bücher im Jahr 1919 wieder.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus354

zu denjenigen, die den orphischen Gesang der Sonette kennzeichnen(I,7; I,8).

Rilke führt den poetologischen, ästhetischen und kulturkritischenVergleich des Künstlers und Dichters mit dem Heiligen fort, und derVergleich bringt Fragen mit sich: diejenigen nach der Seelenwanderung,nach dem Ich überhaupt, nach dem Tod und – vor allem – nach der Un-sterblichkeit. Denn – mit Kassner: „Heilig werden bedeutet [...] denTod in sich vernichten, bedeutet ohne Tod zu leben.“74 In den Sonettensteht der so provokante wie rätselhafte Satz: „Töten ist eine Gestalt un-seres wandernden Trauerns ...“[,]75 möglicherweise deshalb an zentralerStelle. „Wolle die Wandlung“ folgt unmittelbar darauf. Diese Auffor-derung treibt jene Vorstellungen von Wandlung auf die Spitze, wie siedie Sonette poetologisch formulieren und zugleich an sich selbst veran-schaulichen: Wenn Töten Trauern meint, dann bestätigt Rilkes Spre-cher einerseits die ‚alttestamentarische‘ Moral Kassners, andererseitsüberführt er diese aus der Geschichtlichkeit in ein zyklisches Weltbild.Wandlung meint also nicht nur ein sukzessives Ablösen von Lebensbe-reichen, Lebensformen, Tätigkeiten und Motiven, sondern sie umfaßtauch die Wendung ins Gegenteil. Eine moralische Richtung hat sie imFall Rilkes aber nicht: Figuren der Unschuld (Orpheus, Eurydike, Ein-horn, Blume, Ding, Kind) stellen nur Facetten des allgemeinen Wandelsdar, also auch Facetten von Wir und Ich, Zivilisation und Maschine. Al-les ist zugleich schuldig und unschuldig; eines ist im anderen schon an-gelegt – und nichts bleibt. Gleichwohl wird die Wandlung nicht als eine‚ewige Wiederkehr des immer Gleichen‘ begriffen, sondern als ein fort-schreitender Prozeß der Vervollkommnung. „Alles Vollendete fälltheim zum Uralten“, so lautet die Losung der Sonette für diesen Pro-zeß.76 Es handelt sich um ein Fortschreiten zum eigenen Ursprung, umeinen umgekehrten Prozeß. Weil erst das Vollendete das „Uralte[]“ er-reicht, gilt es als erstrebenswert. Aber was ist das Vollendete und wasfolgt daraus für die poetologische Reflexion der Sonette?

Wenn die Sonette als ein Anruf an Orpheus gedacht sind und er alszentrale Figur für ihre Poetik gilt, dann muß die Antwort mit ihm ver-bunden sein. Als mythische Figur steht er exklusiv für den Gesang (I,5),und zwar für einen besonderen Gesang:

74 Kassner 1921, S. 17.75 Rilke 1996, II, Teil II, Son. 11, S. 262, V. 12 [Hervorhebungen im Original].76 Ebd., I, Son. 19, S. 250, V. 3 f.

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Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr,nicht Werbung um ein endlich doch Erreichtes;Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes.77

„Gesang ist Dasein“, so heißt die Zauberformel. Sie bezeichnet eineGegenwart, die nicht auf Zukünftiges, auf Fortschritt und auf Entwick-lung, sondern nur auf das Jetzt schaut. Ein anderes Sonett gibt Auf-schluß über dieses ‚gegenwärtige Dasein‘:

Sei immer tot in Eurydike –, singender steige,preisender steige zurück in den reinen Bezug.Hier, unter Schwindenden, sei, im Reich der Neige,sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.

Sei – und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,daß du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal.78

Der singende Orpheus zeigt sich als eine Ansicht der verstorbenen Eu-rydike; er ist ‚immer tot‘ in ihr. Sein „Dasein“ spielt sich also schon im-mer in beiden Welten ab. Deshalb weiß er „um des Nicht-Seins Bedin-gung“, stirbt und vollzieht damit die in ihm selbst angelegte Bewegungnach – allerdings nur ein einziges Mal. Er zerspringt wie Glas, geht ausseinem Zustand in einen anderen über. Dasein läßt sich demzufolge als„reine[r] Bezug“ auf etwas verstehen; es ist selbst schon Wandlung undNicht-Sein (II,29).79 Entsprechend rühmt der Sänger (wie Keats) bloß„ahnend“ und vorläufig; doch sein „unendliche[s] Lob“80 wirkt erstdann, wenn es jenem Doppelbereich von Leben und Tod entstammt:„Erst in dem Doppelbereich / werden die Stimmen / ewig und mild.“81

Ziel ist es, eine „reine Spannung“ zu erzeugen, eine „Musik der Kräf-te[.]“82 ‚An Orpheus‘ richten sich demnach die Hoffnungen auf einentransitorischen und transzendenten Zustand – ein poetologisches Mo-tiv und zugleich das poetologische Ziel der Sonette, das mit RathenausAnforderung an Dichtung übereinstimmt.

77 Ebd., Son. 3, S. 242, V. 5–7.78 Ebd., Son. 13, S. 263, V. 5–11.79 Ryan zeigt, daß Rilke den Begriff der Bezogenheit der Paul Klee-Rezeption ent-

nimmt, namentlich Wilhelm Hausensteins Buch „Kairuan“. Hausenstein sieht inKlees Kunst den Versuch, die komplexen Beziehungen der Dinge untereinander zuvermitteln; Ryan 1999, S. 157.

80 Rilke 1996, II, Teil I, Son. 9, S. 245, V. 3 f.81 Ebd., V. 12–14.82 Ebd., Son. 12, S. 246, V. 9.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus356

Wenn sich die Richtung dieser Hoffnungen bestimmen läßt, dann os-zilliert aber ihr Gehalt. In dieses Bild paßt es, daß Rilkes Sprecher die‚poietische‘ Reflexion mit der deutungsoffenen Forderung beschließt,in der Wandlung selbst an allem teilzuhaben. Alles ist hier bloß Gegen-stück zu einem Anderen, Teil der kosmogonischen All-Einheit oderdes Daseins, das der orphische Gesang zelebriert. Selbst der Tod been-det diesen Wandlungsprozeß nicht, sondern fügt sich als ein Stadium indiesen Prozeß ein. Davon, daß er ohnehin nur für den körperlichenMenschen von Bedeutung ist, konnte sich Rilke durch die LektüreKeyserlings überzeugen.83 Er löst das (Kassnersche) Prinzip der Indivi-duation auf, und zwar zugunsten einer überpersönlichen Gemein-schaftsidee, die etwas anderes ist als das Gemeinschaftsgefühl, das Ra-thenau beschwört. Rilke nimmt diese Gemeinschaftsidee auf, insofernsie hilft, poetologische Vorstellungen von Unsterblichkeit und Wand-lung zu begründen und das ‚principium individuationis‘ abzulösen,dessen Fluchtpunkt das sterbliche Ich darstellt. Für den Entwurf desorphischen Dichtens in den Sonetten stellt er beides, das Individua-tionsprinzip und die Bedeutung der Sterblichkeit in Frage.

c) Hermann Keyserling (31920) vs. Carl Vogl (1917):Unsterblichkeit – Entpersonalisierung und Kollektivismus

oder Geheimlehre der Seele?

Im Vorwort zur dritten Auflage von Unsterblichkeit (31920, 1. Auflage1907), die Rilke nutzte, unterstreicht Keyserling seinen wissenschaftli-chen Anspruch auf esoterischem Gebiet. Deshalb verfaßt er eine „kri-tische Phänomenologie“ des Unsterblichkeitsglaubens.84 Er richtet sichan jene Denker, die sich mit den „Grundfragen des Daseins“ befassenund will ihnen darauf antworten.85 Die Ergebnisse von Keyserlings„Phänomenologie“ lassen sich in diesem Sinne auf wenige Aspekte re-duzieren.

Erstens empfiehlt er ein Leben im ‚Gedanken‘. Nur diesem komme„Ewigkeit“ zu; nur dieser sei unsterblich, und nur in diesem überlebe

83 Dabei spare ich Keyserlings „Reisetagebuch eines Philosophen“ aus, dessen Bedeu-tung für Rilke schon vielfach hervorgehoben wurde; siehe Simon 2001, S.79, 237 u.passim.

84 Keyserling 1920, S. XIII.85 Ebd., S. XXIII.

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2. Orientierungshilfen und Lebensreform 357

der geniale wissenschaftliche oder künstlerische Mensch.86 Keyserlingverengt die Perspektive auf die Leistungen des ‚Tätigen‘. Zweitenspreist er den Unsterblichkeitsglauben als „zweckmäßig nicht allein imbiologischen, sondern auch im ethischen Sinne.“87 Er sorge nämlich zu-gleich für die „Erhaltung“ und für die „Veredelung der Art, indem erüber das Nächstliegende hinaus auf ein hohes Ideal hinweist [...].“88

Drittens geht der Darmstädter Philosoph davon aus, daß der Unsterb-lichkeitsglaube eine anthropologische (und eschatologische) Konstantedarstellt.89 Viertens betrachtet Keyserling das Ich – erkenntnistheore-tisch – als eine „grenzenlos fortwirkende Entelechie“, als ein „überper-sönliches Prinzip“, das mit der eigenen Person nicht identisch, sondernals „Funktion“ und „Kraft“ gegeben ist.90 Aufgrund dessen ordnetKeyserling den „ethischen Menschen“ einem ‚höheren Prinzip‘, derFamilie, dem Volk und der Menschheit unter.91

Keyserlings ‚sittliche‘ Wahrnehmung erweist sich als eine Kollektiv-Ideologie, die das Bewußtsein des Individuums außer Kraft setzt unddie vollständige Unterordnung des Einzelnen unter die Belange des‚Höheren‘ fordert. Der ‚Phänomenologe‘ überhöht diese Kollektiv-Ideologie sogar kosmogonisch – im Sinne einer Ideologie des Werdens,Bewegens und Wandelns:

Das Leben ist Werden, Bewegung. Alles Konkrete erscheint nur, um zu ver-schwinden. Ein Augenblick begräbt den andern. [...] So begräbt ein Indivi-duum das andere. Über Leichen schreitet das Leben fort. Generationen fol-gen sich in schwindelnder Hast. Blinder Trieb gebietet den Lebendigen, sichder ungeborenen Zukunft zu opfern. [...] Unser Ideal ruht in fernster Zu-

86 Ebd., S. XXII f.87 Ebd., S. XVII.88 Ebd.89 Ebd., S. 60: „Jeder echt empfindende Mensch fühlt sich als Glied eines höheren Zu-

sammenhangs, mag er sich diesen im Übrigen denken wie er will.“90 Ebd., S. 126 f. Als Beleg dafür dient ihm u. a. die psychologische Erkenntnistheorie

von William James („Principles of Psychology“, „The consciousness of Self“), dieihm aber als zu radikal erscheint, weil sie das Ich ganz in „Gedankenatome“ auflöse.Hier wirken Erkenntnisse der empirischen Psychologie wiederum in populärerForm nach; ebd., S. 141, Anm. 1).

91 Ebd., S. 200: „Alle nur möglichen Betrachtungen führen zu dem Ergebnis, daß dieoberste Voraussetzung des ethischen Menschen, wie er sich auch stellen mag, nichtdie Person, sondern ein Höheres ist: die Familie, das Volk, die Menschheit. Das sitt-liche Bewußtsein spiegelt den natürlichen Zusammenhang, die Fiktionen des Intel-lekts, der den Menschen zu vereinzeln strebt, werden durchs lebendige Bewußtseinad absurdum geführt. Jeder fühlt sich ursprünglich als ein Glied der Gesamtheit; fürdiese lebt er, ob er’s weiß oder nicht.“

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus358

kunft – in einer Zukunft, die vielleicht jenseits des Menschengeschlechtesliegt. Wir wollen den Fortschritt, am Ende den Schritt über das Menschen-tum hinaus.92

Der Einzelne gilt nichts – das Höhere, die „ungeborene[] Zukunft“, istalles. Todesfurcht erscheint deshalb bloß als ein „Abgrund kleinlichsterBescheidenheit“.93 „Der Wille zum ewigen Leben“ hingegen ist „iden-tisch mit dem Willen zum zeitlichen Tod.“94 In quasi-literarischer Dar-bietung, durch den Einsatz von rhythmisierenden Wiederholungsmu-stern, beschwört Keyserling seine Ideologie der Selbstopferung.95 Ihre‚Wissenschaftlichkeit‘ allerdings ist durch einen Zirkelschluß erkauft;Keyserling setzt voraus, was er belegen will, und redet einem indiffe-renten Vitalismus das Wort.96 Dieser wiederum gewinnt seine Dynamikausschließlich aus sich selbst bzw. aus einer „kosmische[n]“ Prämisse.97

Wenn sich Rilke auch nicht über Keyserlings Unsterblichkeit äußer-te, so stehen Keyserlings Gedanken doch in einer gewissen Nähe zuden Sonetten – und sei diese Ähnlichkeit nur struktureller Art: BeideTexte behandeln die Auflösung des Ich bzw. sein multi-perspektivi-sches und überpersönliches Wirken; beide wenden sich emphatischdem Dasein oder dem Leben zu; beide sehen das Ich bloß als Bestand-teil einer übergreifenden Einheit an; beiden geht es nicht um eine kon-krete Moral, sondern um einen ewigen Wandel, der nur Bruchteile desAnderen, Nachfolgenden und Nächsten wahrnimmt. Was der eine alsIdeologie formuliert, das setzt der andere in gewisser Weise in Poetikum.

Rilke nimmt nämlich Motive in die Sonette auf, die dem Keyserling-Text entstammen könnten: das Wissen, „was schweigen heißt“ – mit

92 Ebd., S. 260 f.93 Ebd., S. 259.94 Ebd.95 Diese Auffassungen sind nicht mit der Ideologie des Nationalsozialismus gleichzu-

setzen, wenn dort auch vergleichbare Aspekte zum Tragen kommen: Keyserlingwird nicht zu einem Vordenker des Nationalsozialismus’, sondern vielmehr zu ei-nem der Staatsfeinde des „Dritten Reiches“. Er schreibt bereits frühzeitig gegen ei-nen geistlosen und rassistischen Nationalsozialismus an; Gahlings 1996, S.236–271.

96 Keyserling 1920, S. XXXV: „Wer den Glauben als Naturerscheinung, das Menschli-che aus kosmischer Perspektive betrachten will, muß von allen persönlichen Wün-schen absehen. [...] wer dem Leben gegenüber eine peripherische Stellung einnimmt,so daß er auch im Menschlichsten zunächst das kosmische sieht, der hat für jedewahrhaft lebendige Weltanschauung Verständnis, verehrt jeden Glauben, jede festeÜberzeugung.“

97 Ebd.

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2. Orientierungshilfen und Lebensreform 359

Keyserling – „das Tiefste“,98 das Handeln aus „wirklichem Bezug“ undohne „unsern wahren Platz zu kennen“, die unbewußte, aber elemen-tare Motivation aus dem Höheren (des Kollektivs),99 das „künftigeKind“, das die Jetzigen – wie die Zukunft Keyserlings – übersteigenwird,100 aber auch den Zweifel an einer solchen künftigen Zeit.

Giebt es wirklich die Zeit, die zerstörende?Wann, auf dem ruhenden Berg, zerbricht sie die Burg?Dieses Herz, das unendlich den Göttern gehörende,wann vergewaltigts der Demiurg?

Sind wir wirklich so ängstlich Zerbrechliche,wie das Schicksal uns wahr machen will?101

Rilkes Sprecher befaßt sich mit einer Zeit, an deren Kommen er – andersals Keyserling – nicht ohne weiteres glaubt. Darüber hinaus spricht erdie Todesangst an, die Keyserling als kleingeistig abstraft. Zwar neh-men die Sonette jene Euphorie für die Wandlung auf, die auch Keyser-lings Text auszeichnet, aber sie tragen die fragwürdigen kollektivisti-schen und anti-individualistischen Konsequenzen, die Keyserling ausden Bildern von Bewegung und Wandlung schöpft, nicht mit. Sie prü-fen sie vielmehr.

Hing Rilke im Blick auf die Unsterblichkeitsfrage also doch eher denGeheimlehren an, von denen Keyserling sein Unternehmen abgrenzt?Mit Carl Vogls Unsterblichkeit. Vom geheimen Wesen der Seele undder Überwindung des Todes (1917) findet sich eine solche Geheimlehrein Rilkes Bücherschrank.102 Vogl geht es um das ‚Andere Leben‘ imDiesseits: um den Magnetismus, um Hellseherei, um Naturerscheinun-gen, um spirituelle Phänomene und – nicht zuletzt – darum, Tod undLeben in „magische[s] Erleben“ aufzulösen.103 Hier reden Lebende mitToten, wie im „klassische[n] Beispiel“ der Friederike Hauffe, Kerners‚Seherin von Prevorst‘, oder wie im Fall des englischen Malers undDichters William Blake.104 Vogl predigt jene indische Lehre, gegen dieKassner sich absetzt, nämlich die Orientierung auf das ‚Nirwana‘, aufdie Bedürfnis- und Körperlosigkeit sowie auf das reine Leben in einem

98 Rilke 1996, II, Teil I, Son. 10, V. 11, S. 245; Keyserling 1920, S. XXIII.99 Rilke 1996, II, Teil I, Son. 12, V. 5 f., S. 246.

100 Ebd., II, Teil II, Son. 24, V. 10 f., S. 270.101 Ebd., Son. 27, V. 1–6, S. 271.102 Janssen 1989, S. 318.103 Vogl 1917 (RA), S. 266 f.104 Ebd., S. 284.

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immateriellen Seelenreich.105 Zu diesem Zweck läßt er sich nicht nurvon der Magie-Forschung der frühen Ethnologie inspirieren (Tyler,Frazer),106 sondern auch von der Einfühlungsästhetik und -psychologie(Fechner, James, Mach, Proceedings of the Society for Psychological Re-search, Annales des Sciences Psychologiques),107 vom ägyptischen To-tenkult, vom Buddhismus, vom Paracelsismus, vom Mesmerismus undvom Magnetismus Kernerscher Prägung.

Rilke interessiert sich – erstens – für Vogls Bericht über die Biogra-phie der ‚Geisterseherin‘ Espérance und für dessen Folgerungen hin-sichtlich eines „regen Verkehr[s]“ von Jenseits und Diesseits.108 Mit sei-nem Bericht will Vogl nämlich Verständnis für die „Behauptung man-cher primitiver Völker“ wecken, „Anderland“ sei von den „Erdenmen-schen“ nicht getrennt.109 Rilkes Sonette veranschaulichen genau jene‚Kommunikation‘ von Totenreich und Welt.

Zweitens fällt in Vogls Unsterblichkeit das wiederkehrende Motivdes Baumes auf: als „Baum der Erkenntnis“, der dem Menschen zum„Baum des Lebens“ wird und die Apotheose des Menschen einleitet,indem er seine Emanzipation von einem allwissenden und allweisen‚Dämon‘ befördert.110 Auch die Sonette beginnen mit dem Motiv desBaumes (I,1) und setzen es fort (I,2; I,17; II,28). Vor allem der Baum desersten Sonetts könnte – mit Blick auf Vogl – Bedeutung erlangen: alsBaum der (Selbst-)Erkenntnis, der Reflexion, die den Menschen zu sichselbst und über sich hinausführt. „Da stieg ein Baum. O reine Überstei-gung!“,111 liest sich vor dem Hintergrund des Vogl-Texts wie ein Be-kenntnis zum „magischen Erleben“, das den Menschen von der Gott-gläubigkeit des Christentums zu sich selbst befreit, wenn er Orpheusanruft.

Für die Unsterblichkeitslehren gilt das Muster ‚poietischer‘ Ausein-andersetzung. Rilkes Sonette wenden sich – auch von Vogls Überlegun-

105 Ebd., S. 267, S. 110–155.106 Ebd., S. 255.107 Ebd., S. 271–286.108 Ebd., S. 13 f. – Von Rilke mit Bleistift angestrichen.109 Ebd. – Darüber hinaus findet sich in Rilkes Exemplar des Vogl-Texts eines der ge-

trockneten Rosenblätter, die er gern als Lesezeichen verwendete (ebd., S. 142 f.). Esbildet eine winzige Herzform aus und markiert jene Passage, die über das Recht aufSelbsttötung handelt. Vogl gibt die Positionen Humes und Jean-Jacques Rousseauszum Thema wieder: Selbsttötung sei kein Unrecht – vor allem, wenn jemand einerGesellschaft zur Last fiele.

110 Ebd., S. 7 u. 207.111 Rilke 1996, II, Teil I, Son. 1, S. 241, V. 1.

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gen über den „Verkehr“ zwischen Diesseits und Jenseits ausge-hend – dem Kosmogonischen zu: der All-Einheit, die dem schöpferi-schen Menschen, dem Dichter zugänglich ist, wenn er sich dem „magi-schen Erleben“ öffnet. ‚Poietische‘ Reflexion nimmt Aspekte von Ma-gnetismus, Magie, Kollektiv-Ideologie sowie Bruchstücke östlicherReligionen auf – als Ideen und Motive für eine Poetik, die nicht bei die-sen Lehren stehenbleibt, sondern sie (wie im Falle der UnsterblichkeitKeyserlings) selbst prüft. Diese Poetik stimmt keiner dieser Lehren un-umwunden zu; sie entwickelt sie vielmehr zu einem Verständnis vonLeben weiter, das das Schöpferische überall wirken sieht und Poesie alsVersuchsfeld für ein derart umfassendes (kosmogonisches) Lebens-und Schöpfungsverständnis begreift. Der Blick auf Schuler erlaubt es,diese Einsicht für eine Interpretation der Sonette als Dokumente einerkosmogonischen Poetik fruchtbar zu machen.

d) Alfred Schulers anti-christliche und anti-semitischeKosmogonie (1915–1922): Ich-Auflösung im All-Einen

Gelegentlich erwähnte die Rilke-Forschung Schuler, doch nur GerhardPlumpe riskierte mehr als einen flüchtigen Seitenblick auf den dubiosenPropheten und ‚Mysterienforscher‘.112 Er war für sein menschenver-achtendes und anti-wissenschaftliches Sehertum ebenso bekannt wiedafür, daß er die Nähe zu seinen historischen Gegenständen ablehnte:Schuler weigerte sich, sich an Ausgrabungen oder anderen ‚trivialen‘Betätigungen dieser Art zu beteiligen und setzte auf die direkte Inspi-ration durch die ‚tellurische‘ Welt.113 Als einzige wissenschaftlicheQuelle ließ er das Mutterrecht Bachofens gelten,114 gebrauchte es abersehr eigenwillig zu dem Zweck, eine eigene ‚orphische‘ Kosmogonie zuverkünden: eine tropische und dionysische Antike, die sich jenseits von

112 Plumpe 1978. In seiner Darstellung der „Sonette“ konzentriert sich Plumpe aller-dings auf einige Motive des Texts selbst; genaue Verweise auf Schuler und eine Bilanzzum Bezug von Rilke auf Schuler fehlen. Selbst Siegfried Mandel, der ausführlichüber Rilkes Lektüren berichtet, geht die Bezüge von Rilke auf Schuler nicht gründ-lich – und nicht im Blick auf Schulers Vorträge – durch; Mandel 1982, S. 263–265.Vgl. auch Tschiedel 1987, S. 299; Eom 1988; zusammenfassend Simon 2001,S. 233–236.

113 Faber 1994, S. 92.114 Es ist unklar, ob Schuler darüber hinaus Bachofens „Die Unsterblichkeitslehre der

orphischen Theologie“ (1867) kannte; Kaltenbrunner 1967, S. 341; Plumpe 1978,S. 49–55; Mandel 1982, S. 266 f.

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Zeit und Raum befand und nur vage Anklänge an das römische Kais-serreich kannte.

Schuler verkehrte in den Kreisen der Schwabinger („Wahnmochin-ger“) „Kosmiker“, einer „Männerrunde“ um die Gräfin Franziska zuReventlow, der – mit wechselnden Gästen – auch George, Albert Ver-wey, der Anti-Zionist und Anti-Judaist Ludwig Klages, der katholischeMystiker Ludwig Derleth und der erklärte Zionist Karl Wolfskehl an-gehörten.115 Im Jahr 1904 überwarf sich Schuler mit George und seinemZirkel; Anlaß war der von ihm und von Klages beobachtete ‚Zionis-mus‘ des Kreises. Schuler fand andernorts Unterschlupf. Vor ausge-wähltem Publikum hielt er in den Jahren 1915 bis 1922 immer wiederdieselben, sich aber nach und nach etwas verändernden ‚Privatvorträge‘über religiöse ‚Wahrheiten‘.116 Rilke hörte gleich mehrere dieser ‚Vor-träge‘ (März 1915, Winter 1917/18), äußerte sich begeistert und tiefbe-wegt.117 Im Jahr 1923 starb Schuler. Als Rilke davon erfuhr, gedachte erseiner in der kleinen verlassenen Kapelle Muzots: „[...] es wird, ihrerHinfälligkeit halber, keine Messe mehr in ihr gelesen, und so ist sie nunallen Göttern zurückgegeben und immer voll offener einfacher Huldi-gung.“118 Rilke wählte den Ort mit Bedacht, denn er paßt zu SchulersLehre, und sein Gedenken an den ‚Propheten‘ ist Rilke Anlaß aufzu-schreiben, was er von Schuler ‚empfing‘:

In den Sonetten an Orpheus steht vieles, was auch Schuler zugegeben habenwürde; ja wer weiß, ob nicht manches davon so offen und so geheim auszu-sagen, mir aus der Berührung mit ihm herüberstammt [...].119

115 Faber 1994, S. 92; Beßlich 2000, S. 135.116 Er sprach in München (bei Hugo und Elsa Bruckmann, Graf von Sessel und Profes-

sor Freytag, dem Sohn von Gustav Freytag), Dresden, Berlin, Hamburg, Bremen,Danzig, Wustrow und auf dem westpreußischen Gut Lubochin; Kaltenbrunner1967, S. 338. George sollen diese „religiöse[n] Tat[en]“ Schulers verschreckt haben;es muß dort mitunter zugegangen sein wie auf einer Séance, die in unverständlichenÄußerungen des ‚Mediums‘ Schuler endete; Klages 1940, S. 73. Ob Klages’ Berichtüber Georges Ablehnung von Schulers ‚Vortrag‘ stimmt, kann hier nicht geprüftwerden. Er ist gleichwohl mit Vorsicht zu behandeln, weil es Klages darum geht,George als Mittäter einer jüdischen Verschwörung zu entlarven, die ‚der Jude Wolfs-kehl‘ gegen Schuler und ihn selbst angezettelt habe. Siehe Faber 1994, S.95 u. passim.

117 Eom 1988, S. 138, Anm. 145.118 Rilke an Clara Rilke, Château de Muzot sur Sierre, Valais, am 23. April 1923, in:

1991, II, S. 301–303, hier S. 301; auf diesen Brief bezieht sich schon Fülleborn 1999,S. 21. – Auch Clara Rilke war mit Schuler bekannt; sie fertigte kurz vor seinem Todeine Büste von ihm.

119 Ebd.; für das Zitat auch Plumpe 1978, S. 209.

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Rilkes behauptet eine prinzipielle und weitgehende Übereinstimmungmit Schuler.120 Ob Schuler darüber hinaus aber auch anregte, was dieSonette aussprechen – darüber schweigt Rilke, eröffnet aber die Mög-lichkeit zu einer solchen Einschätzung.

Auf was könnte sich Rilke beziehen, wenn er in den Sonetten einegeistige Verwandtschaft mit Schulers Mysterien erblickte? Ein Aspektist unstrittig und in der Rilke-Forschung akzeptiert: Schulers Lehrevon der Zweigeschlechtigkeit des schöpferischen Menschen, des Poe-ten, auf die Rilke mit dem zweiten Sonett des ersten Teils („Und fast einMädchen wars und ging hervor“) anspielt.121 Unter den „Kosmikern“galt der Hermaphrodit als Charaktertyp, den man nicht selten karneva-lesk nachahmte; der „homosexuelle[] Muttersohn“, „Herr Dame“Schuler verkörperte ihn perfekt.122 Schulers Spekulationen über den‚hermaphrodisischen‘ Schöpfer und Erlöser erschließen sich aber erst,wenn man den problematischen Kontext der Lichtmystik bedenkt, inden er sie einbettet.

Sie setzt einen einfachen Dualismus voraus, nämlich die Annahmevon einem „freie[n], offene[n], ungebrochene[n] Leben“ („Zeitalterdes Fortschritts, der Evolution“) einerseits und von einem ‚geschlosse-nen‘, „zerspalteten“, entfremdeten, zwanghaften, „gebrochenen“ Le-ben andererseits.123 Unschwer läßt sich das „offene Leben“ als daswünschbare erkennen; es spiegelt den Kosmos wieder und wird durchdas „Swastika“, das Hakenkreuz, versinnbildlicht, das sich wie ein Raddrehe und damit die Rotationsbewegungen zyklischen und sich wan-delnden Lebens demonstriere.124 Aber, so die Annahme Schulers, die-ses „offene Leben“ sei durch den Prozeß einer Teilung der Menschenin eine männliche und eine weibliche Hälfte gefährdet, die Hoffnungauf seine Wiederherstellung durch einen jüdischen „Geheimbund“

120 Weitere Belege in Eom 1988, S. 138 f.121 Rilke 1996, II, Kommentar, S. 730.122 Faber 1994, S. 18.123 Schuler 1940, S. 162.124 Schuler gilt seinem Herausgeber Ludwig Klages als der Wiederentdecker des Swasti-

ka. Er scheut aber davor zurück, Schulers Entdeckung in Vorläuferschaft zum natio-nalsozialistischen Gebrauch des Kreuzes zu rücken; Klages 1940, S.54 f. Gerd-KlausKaltenbrunner läßt keinen Zweifel daran, daß Schulers Hakenkreuz-Mythos imKern die Elemente des späteren nationalsozialistischen „Mythus“ enthält; Kalten-brunner 1967, S. 337; Faber 1994, S. 86. – Das Motiv der halben und ganzen Kugel,das Schulers Hakenkreuz ‚ziert‘, kehrt bei Rilke wieder; siehe Eom 1988, S.140. Ril-ke kennt das Motiv der Swastika aber auch aus Spenglers „Untergang“; er unter-streicht die entsprechende Passage (Spengler 1918, RA, S.236).

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zerstört.125 Beim Turmbau zu Babel hätte er ‚die Elohim‘ veranlaßt, dieSprachen der Völker so zu verwirren, daß die Völker die „ätherischeEinheit“ der Hälftenmenschen nicht wiederherstellen konnten.126 Der‚jüdische Geheimbund‘ also sei für die Unterjochung der „Entlichte-ten“ verantwortlich.127

Schuler aber weiß ein ‚Gegenmittel‘: die „kosmische Zelle“, ein„Kraftkomplex“, der – dem „logos spermaticos“ Keyserlings ver-gleichbar128 – eine ausgewogene „Mischung der männlichen und weib-lichen Substanz“ enthält.129 Sie findet sich im „hermaphrodisische[n]“Menschen, idealiter im Jugendlichen.130 Dieses Gegenmittel, dem Rilkedas poetologische Motiv des ‚hermaphrodisischen Mädchens‘ ent-nimmt, erhält seinen mystischen ‚Sinn‘ also erst aus einer anti-semiti-schen und anti-christlichen Lehre. Rilke mußte sie bekannt gewesensein; für die Sonette kappt er sie zugunsten einer zeit- und ortlosen Eu-phorie für die „hermaphrodisische“ Jugend. Unter poetologischemAspekt steht sie als Chiffre für Inspiration oder für besondere Inspi-rierbarkeit und meint zugleich das Ideal des schöpferischen Menschen,des ‚homo creativus‘, des Dichters, der sowohl männlich als auch weib-lich ist.131 Der Orpheus der Antike wandelte zwischen den Welten; der-jenige Rilkes wandelt – mit Schuler – auch zwischen den Geschlech-tern.

Aber Rilke beläßt es nicht bei diesem poetologischen Bezug auf dieVorträge des ‚Propheten‘: Die „kosmische Zelle“, so will es der ‚My-sterienforscher‘, zeuge sich allein aus demVerkehr mit den Toten, ausdem „offenen Leben“.132 Es entstehe nur dadurch, daß die Toten unterdie Lebenden zurückkehrten. Genau das geschieht in Rilkes Sonet-

125 Schuler 1940, S. 163–165.126 Ebd.127 Ebd., S. 164.128 Als Programmatiker der Darmstädter Lebensphilosophie spricht Keyserling von je-

nem „logos spermaticos“ als von einem zugleich befruchtenden und erzeugendenGeist; Gahlings 1996, S. 124.

129 Schuler 1940, S. 168.130 Ebd., S. 172.131 Rilke war bereits mit Thesen über Entwicklung und ‚Wesen‘ der Homosexualität

vertraut: mit Otto Weiningers „Geschlecht und Charakter“ (1903) und Hans Blü-hers „Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft“ (1917–1919); siehe Simon2001, S. 243. Schuler aber geht es nicht nur darum; vielmehr zielt er auf eine ‚Heils-lehre‘ für die ‚verweichlichte‘ Gesellschaft, die bloß Impulse aus solchen Sexualitäts-theorien bezieht.

132 Schuler 1940, S. 172–179.

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ten;133 sie verbinden Tod und Leben. Spielte Rilkes Sprecher mit dem‚hermaphrodisischen Mädchen‘ auf den Poeten selbst an, so leitenSchulers Vorstellungen von der „kosmische[n] Zelle“ und vom „offe-nen Leben“ die lyrischen Beschreibungen der poetischen Tätigkeit. Siegelingt, wenn sie – wie Vogl es für den „Verkehr“ des Primitiven mitden Toten beschreibt – zwischen Tod und Leben oszilliert.

Als Beispiele für die Vermischung von Schulers und Vogls Vorstel-lungen gelten mir das sechste und vierzehnte Sonett aus dem ersten Teilder Sonette. Im sechsten Sonett werden die Toten lebendig; das vier-zehnte beschreibt ihr Handeln:134 Sie ‚stärkten‘ die Erde. Die Bildlich-keit beider Sonette („Gräber[]“, „Fingerring“,135 „Zwischending ausstummer Kraft und Küssen“)136 erinnert an Schulers Beschreibung ei-nes Friedhofs, auf dem die „hermaphrodisischen“ Jugendlichen Liebes-bünde schließen und der als ein „Rosengarten des universellen, Eins ge-wordenen Lebens“ erblühe.137 Denkbar wäre im Blick darauf, daß derBaum, den Rilke an den Beginn der Sonette stellt, nicht nur aus der Be-trachtung der Jugendstil-Bäume des Worpsweder Malers Heinrich Vo-geler138 oder aus Vogls Baum-Mystik, sondern auch aus Schulers „See-lenbaum als Lebensbaum“ erwuchs, der als Symbol für die Wiederver-einigung der ‚Hälftenmenschen‘ steht.139 Wenn Rilke außerdem ineinem Brief an Hedwig Jaenichen-Woermann davon spricht, daß Schu-ler dem Hörer einen „Durchschnitt des Lebens-Stammes [...] nah überseiner Wurzel“ biete,140 dann ist dies nicht nur ein weiterer Beleg fürden Zusammenhang der Schulerschen Lehren mit der Baummetapho-rik der „Sonette“, sondern der Brief erlaubt es, diesen Zusammenhangsogleich weiterzuspinnen – mit Blick auf das vierzehnte Sonett des er-sten Teils: „Sind sie [die Toten] die Herren, die bei den Wurzeln schla-

133 Schon Rilkes Weggefährtin Lou Albert-Lasard erinnerte sich daran, daß Rilke inSchulers Vokabel vom „offenen Leben“ die eigenen Wahrnehmungen bestätigt sah;Eom 1988, S. 141; vgl. über das „offene Leben“ auch Plumpe 1987, S. 224 f. DieseVorstellung erinnert auch an Maeterlincks Ansichten über das ‚tiefe Leben‘, die Ril-ke interessiert aufnahm; Fick 1993, S. 191.

134 Über die Todesmotivik in den „Sonetten“ siehe darüberhinaus Eom 1988.135 Rilke 1996, II, Teil I, Son. 6, V. 14, S. 243; dazu auch Plumpe 1987, S. 224.136 Rilke 1996, II, Teil I, Son. 14, V. 14, S. 247.137 Schuler 1940, S. 176.138 Über Vogeler und Rilkes Bild der „In Laub ausschlagende[n] Leier“ Leisi 1987,

S. 190–192, 250–253.139 Schuler 1940, S. 176.140 Brief Rilkes vom 11.4.1818[15] an Hedwig Jaenichen-Woermann, in: Storck 1975,

S. 219; Eom 1988, S. 139.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus366

fen“, fragt der Sprecher dort.141 Er ist sich über die Stellung der Totennicht sicher. Wenn Schuler etwas lehrt, was der Wurzel des „Lebens-Stammes“ nahekommt, dann bleibt seine Lehre selbst doch unklar. Ob-wohl also auch Schuler keine letzte Gewißheit vermitteln kann, nimmtRilke das Motiv der Wurzel hier auf.

Der Blick auf den Intertext desselben Sonetts stimmt allerdings skep-tischer, was Rilkes poetologische Rezeption der Lehre Schulers betrifft:Tote leben hier nicht einfach mit, sondern entfalten ein Eigenleben. Esfrage sich nämlich, so der Sprecher der Sonette, ob sie sich gern am ir-dischen Leben beteiligten.142 Wie im Falle Keyserlings nutzt Rilke seinpoetologisch begründetes Privileg zur ‚Poiesis‘. Er läßt sich zwar vonSchuler anregen, deutet dessen Bilder und Beschreibungen jedoch sosehr um, daß sie sich nicht mehr in dessen weihevolle Kunde einfügenlassen. Rilke verfremdet seine Quelle und verbindet sie mit anderenVorstellungen über das Zusammenspiel von Tod und Leben: mit denEindrücken und Bildern, wie sie die Stadt Rom vermittelte, mit demBild des Wassers, das die „unlebendige und trübe Museumsstimmung“der besiedelten Gedenkstätte belebt.143

Hinzu kommt die Denk- und Bildwelt Ägyptens. Denn auch das„ägyptische[] Erlebnis“, seine Reise nach Ägypten, will Rilke in denSonetten gestaltet haben.144 Mit Mechtilde Lichnowskys Götter, Königeund Tiere in Ägypten (1914) ist es bereits ein literarisches Ereignis ge-worden:145 Lichnowsky berichtet von ihrer Reise in das Land des To-tenkults, der Pharaonengräber, der Totenbücher und Totenfelder. Hierbegibt sich eine eigensinnige Dame der besseren Gesellschaft in die To-tenwelt des alten Ägyptens. Immer wieder vergleicht sie die ägyptischemit der europäischen Zivilisation, entdeckt das Düstere, aber auch dasFaszinierende und Ästhetische der ägyptischen Hochkultur: „So wieder Christ das Gute, so tat der Heide das Schöne.“146 Rilke kann bruch-

141 Rilke 1996, II, Teil I, 14, V. 12, S. 247 [Hervorhebung im Original].142 Ebd., V. 9, S. 247: „Nun fragt sich nur: tun sie es gern ...?“143 Rilke an Kappus, Rom, am 29. Oktober 1903, in: Rilke 1989, S.36–39, hier S.36 f. Sie-

he Rilke 1996, II, Teil I, Son.10, V.1–4: „Euch, die ihr nie mein Gefühl verließt, / grüßich, antikische Sarkophage, / die das fröhliche Wasser römischer Tage / als ein wan-delndes Lied durchfließt.“ Ebd., II, Son. 29, V. 12–14: „Und wenn dich das Irdischevergaß, / zu der stillen Erde sag: Ich rinne. / Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.“

144 Rilke an Katharina Kippenberg, Château de Muzot sur Sierre, Valais, am 23. Februar1922, in: ders. 1991, II, S. 224–226, hier S. 225.

145 Für den Nachweis, daß Rilke das Buch besaß: Janssen 1989, S.303.146 Lichnowsky 1914, S. 222.

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2. Orientierungshilfen und Lebensreform 367

los an die Reise-Schilderungen der Fürstin anküpfen, mit der er selbstbekannt war.147 Sowohl der Darbietungsgestus Lichnowskys als auchihre Wahrnehmungen entsprechen dem spielerischen und zugleich ver-ehrenden poetologischen Todes- und Lebenskult der Sonette; sie erhe-ben die ernste Kosmogonie Schulers – im Blick auf Rom und Ägyp-ten – zum literarischen Sinnenfest.

Der Bedeutung der Todes-Symbolik konnte sich Rilke darüber hin-aus durch Spenglers Untergang des Abendlandes versichern: Spenglerhandelt ausführlich über den ägyptischen Totenkult und beschreibt,wie im „ägyptischen Stil“ der Tod „gebannt“ sei.148 In Spenglers histo-rischen Spekulationen gerät Ägypten zur Chiffre für einen lebendigenUmgang mit dem Tod, und Rilke greift Spenglers Deutungen dankbarauf. „Ägypten“, notiert Rilke am Beginn von Spenglers Ausführungendarüber an den Rand des Untergangs.149 Das „Ursymbol“ ägyptischenDenkens sei der „Weg“, das „Wandern“ auf einem „Lebenspfad“, derschicksalhaft zu den Toten führe, schreibt Spengler.150 ‚Dem Ägypter‘seien Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen fern; er sorge sich„um die Toten und die Ungebornen oder nur um das Glück der Stun-de.“151 Immer wieder unterstreicht Rilke Spenglers Beschreibungen miteinem Bleistift, das Wort „Weg“ gleich doppelt.152 In der Wandlungs-Thematik der Sonette kehrt dieses ‚ägyptische Thema‘ wieder; ihre ‚me-tamorphische‘ Struktur setzt es um: Daß „die notwendige Kunst totist“, heißt es bei Spengler (von Rilke wiederum doppelt unterstri-chen).153 Was genau Spengler damit meinte, bleibt unklar. Rilke jeden-falls faßt Spenglers Beschreibungen normativ auf, nimmt die Lehre von„Weg“, „Wandern“ und vom Toten im Lebendigen poetologisch ernst,begreift sie als poetologische Weisung für seinen orphischen ‚homocreativus‘, für den Dichter und für das Verfertigen von Literaturschlechthin.

Die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Uralten vervollständigtdieses Bild. Hier sind Rilkes poetologische Verse unmittelbar in Schu-

147 Es gab einen kurzen Briefwechsel zwischen beiden, der aber nicht mehr auffindbarist; auch Rilkes Exemplar von „Götter, Könige und Tiere“ (vormals Rilke-Archiv)ist verschwunden.

148 Spengler 1918 (RA), S. 269–287, bes. S. 285.149 Ebd., S. 269.150 Ebd., S. 269 u. 271; beide Male von Rilke unterstrichen, teils sogar doppelt.151 Ebd., S. 279.152 Ebd., S. 269.153 Ebd., S. 285.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus368

lers kosmogonische Lehren übersetzbar:154 „[...] alles Vollendete fällt /heim zum Uralten,“155 bemerkt Rilkes Sprecher, und preist das Zwi-schenreich des Orpheus. Im Prinzip weiß sich Rilke in der Lehre überdas „offene Leben“, über die „hermaphrodisische“ Schöpferkraft undüber das Wandeln von Leben in Tod und Tod in Leben mit Schuler ei-nig. Aber Rilke setzt andere Akzente, verkürzt Schulers Lehre auf ih-ren gemäßigt lebensreformerischen Gehalt, reinigt sie von Radikalisie-rung und Vergröberung, kappt die anti-semitischen Passagen, gestaltetsie als „poetische[] Kosmologie“,156 die die Schulersche Lehre befragt,um sie in Poetik zu übersetzen. Im Zentrum stehen dabei die Beschrei-bung vom „offenen Leben“ für die poetische Tätigkeit sowie die For-derung nach Wandlung im Sinne eines „kosmischen“ Lebens: „Alle le-ben im All.“157 Das Ich des orphischen Menschen, des Poeten, löst sichim All-Einen, im Kosmos auf,158 begreift sich als männlich und weib-lich, als tot und lebendig zugleich. Mit Keyserling zu reden: Das schöp-ferische Ich wird zur grenzenlosen Entelechie.

Wie die kosmogonische Lehre Schulers läßt sich die kosmogonischePoetik der Sonette aber nur vor dem Hintergrund der Überzeugungentfalten, daß das Christentum – ebenso wie alle anderen Religio-nen – nicht mehr trägt. In der Tat widerstreben Rilke die Erbsündeleh-re,159 die Christologie, der Jenseitsglaube und die Diesseitsverleug-nung.160 Mit Schuler und Keyserling stellt Rilke eine „Diesseitsbeja-hung“161 dagegen, die das transzendierende Erlebnis Gott sucht.162 Ril-

154 Schuler 1940, S. 179: „Der Tod ist nicht das ‚große Reservoir des Lebens‘, sonderndie Quintessenz (die Saite, welche, zwischen dem Diesseits und Jenseits gespannt,den süßesten Wohllaut erklingen läßt); aber die Geburten kommen von dort, wohindie Toten gehen [...].“

155 Rilke 1996, II, Teil I, Son. 19, V. 3 f., S. 250; darauf verweist auch Plumpe 1978, S.219.156 Der Begriff stammt von Groddeck 1993, S. 135.157 Schuler 1940, S. 163.158 Vgl. auch die verwandten Formen des Ozeanismus, die Wolfgang Riedel aufzeigt;

ders. 1996, S. 85 u. passim.159 Schuler 1940, S. 165.160 Fülleborn 1999, S. 34.161 Noll 1953, S. 120. – Ob diese „Diesseitsbejahung“ aber so „uneingeschränkt[]“ ist,

wie Noll vermutet, bleibt fraglich.162 Rilke an Rudolf Zimmermann, Château de Muzot sur Sierre, am 10. März 1922, in:

Rilke 1991, II, S.226–228, hier S.227 [Hervorhebung im Original]: „Es ist in mir eineam Ende doch ganz unbeschreibliche Art und Leidenschaft, Gott zu erleben, die un-bedingt dem Alten Testament näher steht, als der Messiade; ja, wenn ich zugleich all-gemein und wahr sein wollte, so müßte ich gestehen, es sei mir doch, zeitlebens, umnichts anderes zu tun, als in meinem Herzen diejenige Stelle zu entdecken und zu be-

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2. Orientierungshilfen und Lebensreform 369

ke gedenkt Schulers deshalb bewußt nicht in einem kirchlichen Sinne.Vielmehr erweist sich Rilke als Jünger eines religiösen Lebenskul-tes163 – Leben verstanden als ein Zusammenspiel von Tod und Wand-lung, als „Identität“ von „Fruchtbarkeit und Seligkeit“, wie sie auchdie Sonette beweisen sollen:164

Die Fruchtbarkeit hat die Menschen erschreckt und entsetzt: aber wo ist einSüßes und Herrliches, das nicht zu Zeiten diese Maske trüge, die des Frucht-baren? [...] Wer nicht der Fürchterlichkeit des Lebens irgendwann, mit ei-nem endgültigen Entschlusse zustimmt, ja ihr zujubelt, der nimmt die unsäg-lichen Vollmächte unseres Daseins nie in Besitz, der geht am Rande hin, derwird, wenn einmal die Entscheidung fällt, weder ein Lebendiger noch einToter gewesen sein.165

Die Sonette, so will es Rilke also in einer seiner poetologischen Selbst-erklärung, predigen einen gewissen Vitalismus, preisen die Entschei-dung für ein ganzheitliches Leben. Immer wieder nehmen sie Frucht-barkeitstopoi auf, die der Schweizer ‚Bergheimat‘, dem frühindustriel-len Agrarland um Muzot sur Sierre entstammen:166 Anschauungen ausder Walliser Blumenwelt ‚umranken‘ die lebendig-tote Bilderwelt derSonette.167 Fruchtbarkeit aber setzt eine Entscheidung voraus, nämlichdie positive Entscheidung zur Welt, zur Schöpfung und Selbstschöp-fung: Allein der „Schöpfergedanke[]“, so Rilke, sei ein „Genuß“; dochgilt er „nichts ohne seine fortwährende, große Bestätigung und Ver-wirklichung in der Welt.“168 Welt, Tiere und Dinge müssen dem Schöp-fer und der Schöpfung zustimmen; ohne sie tritt die Schöpfung nicht inKraft.

leben, die mich in Stand setzen würde, in allen Tempeln der Erde mit der gleichenBerechtigung, mit dem gleichen Anschluß an das jeweils dort Größestes anzubeten.“Den Brief zitiert bereits Fülleborn 1999, S. 19.

163 Schuler 1940, S. 163 [Hervorhebungen im Original getilgt]: „Im offenen Leben istkeine Religion, denn das Leben als solches ist eine religiöse Tatsache.“

164 Rilke an Margot Sizzo (wie Anm. VI., 23), S. 296 [Hervorhebung im Original].165 Ebd., S. 296 [Hervorhebung im Original].166 Rilke 1996, II, Teil I, Son. 13, V. 1–3: „Voller Apfel, Birne und Banane, / Stachelbee-

re ... Alles dieses spricht / Tod und Leben in den Mund... Ich ahne ...“; Ebd., Son. 14,V. 1–3: „Wir gehen um mit Blume, Weinblatt, Frucht. Sie sprechen nicht die Sprachenur des Jahres. Aus Dunkel steigt ein buntes Offenbares [...].“ Siehe auch ebd.,Son. 15; ebd., II, Son. 18; für eine immanente Beschreibung dieser Abschnitte Kaiser1996, II, S. 665–667.

167 Die Anemone beispielweise (Rilke 1996, II, Teil II,5) gilt ihm als eine Sonderzüch-tung des Wallis. Rilke an Margot Sizzo (wie Anm. VI., 23), S. 299 f.

168 Rilke an Franz Xaver Kappus, z. Zt. Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903, in:Rilke 1989, S. 27–35, hier S. 31.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus370

Vor dem Hintergrund eines religiös indifferenten, dezisionistischenund konsenssuchenden Vitalismus schreiben die Sonette – folgt man ih-rem Autor – Schöpfungsgeschichte: keine Schöpfungsgeschichte im bi-blischen Sinne, sondern eine Geschichte der permanten ‚poiesis‘ oder‚creatio‘. Die Sonette entwerfen Bilder eines andauernd sich erneuern-den ‚Bios‘. Dichten ist Schöpfen ist Schaffen; Rilkes Text gliedert sich indas weite Feld der Lebensreform um 1900 ein, steht für einen allumfas-senden poietischen Lebens- oder besser: Daseinskult.

Bei Rathenaus, Kassners, Keyserlings, Lichnowskys, Spenglers undVogls Texten sowie bei Schulers Vorträgen handelt es sich nicht umdie einzigen Dokumente, die Rilke dazu anleiten, aber sie zählen – ver-mutlich – zu den wichtigsten Quellen für die Sonette.169 Ihnen ent-stammen poetologische Denkfiguren: erstens die Suche nach demTranszendenten und doch Irdisch-Lebendigen als Motiv und Ziel von(Dicht-)Kunst (Rathenau, Lichnowskys, Schuler, Spengler). Dieseist – zweitens – mit der Beschreibung von der schöperischen und be-sonders der poetischen Tätigkeit im Sinne eines „offenen Leben[s]“,eines Wandelns zwischen Leben und Tod (Lichnowsky, Schuler,Spengler, Vogl) im Blick auf ein zyklisches Welt-, Geschichts- undSchöpfungsbild verbunden (contra Kassner). Drittens entnimmt RilkeKassners Keats-Darstellung (mit Gide) das Ideal des heiligen Poeten,das sich mit Thesen von der Ich-Entelechie bzw. vom „kosmischen“Ich (Rilke mit Keyserling bzw. Schuler) sowie mit der Phantasie vom‚hermaphrodisischen Menschen‘, dem zwei-geschlechtlichen ‚homocreativus‘ (Rilke mit Schuler) verknüpft, der seine Kraft aus dem „lo-gos spermaticos“ oder der „kosmischen Zelle“ (Keyserling, Schuler)schöpft.

An der Schwelle zum literarischen Text werden diese Denkmuster,Thesen und Spekulationen ihrer weltanschaulichen Härte entledigt.Rilke kostümiert sie neu: in melodische und wirklichkeitsnahe Sprach-

169 Beispielsweise erscheint es als unwahrscheinlich, daß Rilke – von der sprachlichenDurchbildung abgesehen – viel mit François Châteaubriands „Mémoires d’outre-tombe“ anfangen konnte, die bloß thematisch benachbart sind. Für den Nachweisdes Châteaubriand-Texts in Rilkes Bibliothek: Janssen 1989, S. 298. Die „Mémoi-res“ predigen einen entschlossenen Katholizismus – gegen alle Anfeindungen durchneue Morallehren oder gar durch neue kosmogonische Religionen. Châteaubriand1983, II, livre 37, chap. 7, S. 930: „Dans toutes les hypothèses, les améliorations quevous désirez, vous ne les pouvez tirez que de l’Évangile. [...] Toute acte de philantro-pie auquel nous nous livrons, tout système que nous rêvons dans l’intérêt de l’hu-manité, n’est que l’idée chrétienne retournée, changée de nom et trop souvent défi-gurée [...].“

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3. Im Ausgang aus der „poésie pure“ 371

Gewänder. ‚Poietische‘ Reflexion meint hier Dekontextualisierung,Poetisierung und – mit Rathenau – „Andacht zum Transzendenten“,zum transzendent Lebendigen oder zum lebendig Transzendenten.

3. Im Ausgang aus der „poésie pure“:Rilkes lebensreformerischer Neuentwurf

Aufgrund dieser ‚poietischen‘ Reflexionen, die ihre Quellen und Moti-ve tilgen, verändern, sich permanent im Fluß befinden, läßt sich überdie poetik-geschichtliche Einordnung der Sonette trefflich streiten:Jede Denkrichtung scheint im Laufe dieser Wandlungen bedacht, jedespoetische Vorhaben in sein Recht gesetzt zu werden. Auch im Blick aufdieses Phänomen der Vieldeutigkeit enttäuscht die Forschung nicht; siehat die Möglichkeiten der Einordnung schon abgesteckt – allerdingsnur entlang der großen poetik-geschichtlichen Linien: Gerok-Reitersieht in den Sonetten einen Symbolismus der sprachspielerischen undquasi-mathematischen Variante am Werk;170 sie betont demzufolge Ril-kes Neigung zur literarischen Moderne.171 Judith Ryan hingegenspricht für Rilke von einem ‚restaurativen Modernismus‘ („restorativemodernism“), der elegische Züge trage:172 „Rilke’s process of self-crea-tion was in fact a life-long project of restoration.“173 Aus ihrer Sicht läßter sich in keine der Autorgruppen um 1900 einordnen; er sei seinen ei-genen Weg zwischen der „pure poetry“ Mallarmés und Valérys einer-seits und der Wiederbelebung einer mehr oder minder klassischendeutschen Dichtungstradition andererseits gegangen, ohne dabei aber –wie Valéry – in bloßen Klassizismus abzugleiten, oder sich – wie Eliotoder Pound – in Ironie zu retten.174

Ich will an Ryans vermittelnde Beschreibung anknüpfen, sie aber er-heblich erweitern. Denn gerade die Sonette zeigen, wie sich mit anti-modernistischem Affekt modern dichten und wie sich die Form des So-netts zu diesem Zweck nutzen läßt:175 Rilke erweist sich in diesem Text

170 Siehe auch mit Blick auf Maurice Maeterlinck Jacobs 2001.171 Vgl. auch Ariane Wild (2002, S. 318), die die Todesmotivik der „Sonette“ mit Blick

auf die ‚décadence‘ deutet.172 Ryan 1999, S. 219–227, hier S. 221.173 Ebd., S. 227.174 Ebd., S. 156, 221–223.175 Lamping 1989; Wittbrodt 1999.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus372

ganz und gar als Kind einer Zeit, der ein bloß historistischer Umgangmit dem, was ihr zu Gebote steht, nicht mehr genügt. Er verbündetsich – ‚poietisch‘ – mit dem Gesellschaftsvisionär Rathenau und einemproblematischen Propheten wie Schuler, um mit den Sonetten ein neuesOrpheus-„Mythologem“176 zu schaffen, das Vorstellungen von einerreflexiven Universalpoesie in kosmogonische und prozessuale Vorstel-lungen von Dichtung als Wandlung überführt.177

Diese Interpretation soll im folgenden auch aus der Lyrik selbst zuentwickelt werden, und zwar im Blick auf ein symbolistisches GedichtValérys (Abschnitt a) und einen expressionistischen Gedichtzyklusvon Iwan Goll (Abschnitt b). Beide Texte sind der Forschung zu RilkesSonetten bislang verborgen geblieben.

a) Vorbild. Paul Valéry Orphée (1896):dunkler Hymnus und Berufsethik

Orphée

... Je compose en esprit, sous les myrtes, OrphéeL’admirable! ... Le feu, des cirques purs descend;Il change le mot chauve en auguste trophéeD’où s’exhale d’un dieu l’acte retentissant.

Si le dieu chante, il rompt le site tout-puissant;Le soleil voit l’horreur du mouvement des pierres;Une plainte inouïe appelle éblouissantsLes hauts murs d’or harmonieux d’un sanctuaire.

Il chante, assis au bord du ciel splendide, Orphée!Le roc marche, et trébuche; et chaque pierre féeSe sent un poids nouveau qui vers l’azur délire;

D’un Temple à demi nu le soir baigne l’essor,Et soi-même il s’assemble et s’ordonne dans l’orA l’âme immense du grand hymne sur la lyre!178

Rilkes Freund Gide nahm Valérys Orphée in seine Anthologie de lapoésie française (1949) auf. Ob Rilke Orphée kannte, ist ungewiß, aberschon vor diesem Hintergrund wahrscheinlich. Auch lassen sich bereits

176 Gerok-Reiter 1996, S. 63.177 Zur „Neuen Mythologie“ M. Frank 1988, S. 181; siehe auch Manfred Engels Kritik

an Gerok Reiter (1996); Engel 1999, S. 130, Anm. 57.178 Valéry 1960, I, S. 76 f.

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3. Im Ausgang aus der „poésie pure“ 373

auf den ersten Blick Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Valéry-und des Rilkes-Texts feststellen: Valérys Orphée gehorcht der Sonett-Form, und zwar sogar, insofern die Reimstruktur (abab cbcb aad eed)und die Satzstruktur betroffen sind. Die für Rilke charakteristischenEnjambements kommen nicht vor. Valérys Gedicht erweist sich als tra-ditionell verglichen mit der formal gewagten, nicht durch überlieferteReimschemata, sondern durch komplexe musikalische, wort- und bild-generische Strukturen zusammengehaltenen Dichtung Rilkes.179

Doch greifen Valéry und Rilke genau denselben Aspekt des Or-pheus-Mythos auf. Sie schildern Orpheus als Sänger-Gott und schrei-ben seinem Gesang eine besondere Wirkung zu.180 Was bei Rilke aberleicht und positiv klingt, tönt im Falle Valérys düster: Allmächtig‚bricht‘ der Gott in die Landschaft ein und ruft ‚Entsetzen‘ hervor. DieSteine bewegen sich, der Fels ‚stolpert‘. Erst Valérys letzte Verse wir-ken versöhnlich, feierlich. Von der ‚unermeßlichen Seele der großenHymne auf der Lyra‘ ist die Rede. „Poésie pure“ erweist sich als ein tra-ditionelles (klassisches) Versifizieren mit dunklem Inhalt. Valérys Bil-der kehren in Rilkes Sonetten zwar nicht wieder, aber der Text lehntsich – gerade dann, wenn es um die Toten geht – an die dunkle Färbungdes Orphée an.181

Valérys Text kann zwar als Quelle – oder besser: als Anregung für dieSonette gelten, aber unter formalem und inhaltlichem Aspekt revolu-tionierte Rilke, was Valéry vorgab – im Sinne eines ganz eigenen, le-bensreformerisch inspirierten Verständnisses von ‚poésie pure‘. Wasmeinte ‚poésie pure‘ – ursprünglich und in der Rezeption Rilkes?182

Rilke bezieht sein Wissen über die symbolistische „poésie pure“ auseinigen wenigen Schriften Valérys (Introduction à la Méthode de Léo-nard de Vinci; Eupalinos ou l’Architecte, Au sujet d’Adonis, L’Ame et la

179 Gerok-Reiter 1996, S.121, 153 u. passim. Allerdings bezieht Rilke seine Anregungenhinsichtlich der Sonett-Dichtung nicht nur von Valéry, sondern auch von Dichterin-nen wie Louise Labé (1535–1565; vgl. Lamping 1989; Wittbrodt 1999), der schon um1880 populären Dichterin der „Herzenssprache“ (Eduard Engel: Eine französischeDichterin des 16. Jahrhunderts. Louise Labé, in: Das Magazin 102/32, 51. Jg. 1882,S. 449–451, hier S. 450) und Elizabeth Barrett Browning (zu Browning vgl. Witt-brodt 1999).

180 Möglicherweise bezieht Valéry seine Anregungen dafür aus Mallarmés Orpheus-Darstellung, die die mythische Figur als Sänger beschreibt, Stéphane Mallarmé: Lesdieux antiques, in: Mallarmé 1951, S. 1157–1275, hier S. 1239–1249.

181 Vgl. beispielsweise das Sonett „Manche, des Todes [...]“ (II,11).182 Rilke an Gertrud Ouckama Knoop, Château de Muzot sur Sierre, Valais (Suisse), am

26. November 1921, in: Rilke 1991, II, 321., S. 173–180, hier S. 179.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus374

Danse)183 und aus Texten von Stéphane Mallarmé,184 Valérys Lehrer.Mallarmé fordert eine abstrakte, entdinglichte Dichtung, die Assozia-tionen an wirkliche Gegenstände tilgt und sich auf die Suggestivkrafteiner musikalischen und quasi-mathematischen Sprachmagie verläßt.Orpheus fungiert als eine Allegorie für dieses Poesieverständnis, dasMallarmé gegen ein bloß mimetisches oder ‚homerisches‘ Dichten ab-grenzt, und das Valéry noch stärker im Blick auf ein mathematischesKalkül und Sprachspiel zuspitzt.185

All das wäre für Rilke Grund genug gewesen, Valérys Texte und be-sonders Orphée mit Neugier zur Kenntnis zu nehmen.186 Aber Rilkeverehrt Valéry auch als Person und als Wissenschaftler. Denn als Valérydie literarische Bühne im Jahr 1919 wieder betrat, hatte er 25 Jahre langkeine einzige literarische Zeile publiziert. Rilke bewundert schon alleindiese Tat, die Selbstbescheidung und die Fähigkeit des Dichters, ausdem Dichten, dem „Hochamt der Seele“, ein „Nebenamt“ zu ma-chen.187 Ihr und vor allem der „langmüthigen Enthaltung“188 verdankeValéry „die Ausgeruhtheit und Endgültigkeit seines dichterischenWortes[,]“189 „Größe, Reinheit und Gültigkeit“,190 die den schreiben-den Zeitgenossen abhanden gekommen seien.191 Rilke schätzt an Valé-ry, über was er selbst – nach eigenem Bekunden – nicht verfügt: einescheinbar grenzenlose Ruhe, „die dichterische Kunst der Kenntnis“192

und – nicht zuletzt – die „neue[n] Maße und Präzisionen“, „um das

183 Görner 1992.184 Es ist unklar, welche Texte Mallarmés Rilke tatsächlich kannte.185 Gerok-Reiter 1996, S.25. Gerade Valérys „Introduction à la méthode de Léonard de

Vinci“ (1894, Valéry 1957, S. 1153–1199) zeigt den universalgelehrten Architektenund Maler als „maître“ der (symbolischen) Formen und Farben – als mathematischberechnenden Geist (ebd., S. 1175), der sich bloß am Beginn seines Schaffens derKontemplation überläßt (ebd., S. 1164 f.).

186 Görner 1992, S. 34.187 Rainer Maria Rilke an Xaver von Moos (Muzot, 30.12.1921, Freitag), Château de

Muzot sur Sierre. Valais am 30. Dezember 1921, Brief 154, in: Rilke 1994, S.263–265,hier S. 264.

188 Ebd.189 Ebd.190 Rainer Maria Rilke an Elisabeth Aman (Muzot, 31.12.1921, Samstag), Château de

Muzot sur Sierre. Valais im letzten Dezember 1921, Brief 155, in: ders. 1994,S. 265–267, hier S. 266 f.

191 Rilke an Lou Andreas-Salomé, Château de Muzot sur Sierre (Valais) Suisse, am13. Januar 1923, in: ders. 1991, II, S. 270–274, hier S. 271.

192 Görner 1992, S. 34.

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3. Im Ausgang aus der „poésie pure“ 375

Großartige seines Gefühlsraums und die Lage der darin erlebbarenDinge unbestreitbar auszusprechen.“193

Rilkes Rezeption Valérys und der „poésie pure“ ist von ganz und garunsymbolistischen Betrachtungen geprägt.194 Valéry gilt als in der Ent-sagung gereifter Mann und Wissenschaftler, den Ernst und Kenntnis inden Stand eines Meisterdichters erheben. Diese Einschätzung ruht auf(berufs-)ethischen Überlegungen, in Valérys Distanz zum Literaturbe-trieb, in seiner Fähigkeit, dem eigenen Leben einen außerliterarischenSinn zu verleihen195 ebenso wie auf einem Respekt vor dem Unbekann-ten, dem Abstrakten, der Mathematik.

Wie steht es aber mit den Sonetten? Gerok-Reiter ordnet sie als un-mittelbare Umsetzungen symbolistischer Poetik ein, weil sie sich auf„hohem Reflexionsniveau“ äußerten und – unter formalem Aspekt –den symbolistischen Anforderungen nach einer sprachlichen, lautli-chen, musikalischen und syntaktischen Durchgebildetheit genügten.196

Rilkes irrationale und anti-reflexive Briefpoetik der Inspiration aberwill sich nicht recht in dieses Bild einfügen lassen.197 Gerok-Reiter er-klärt sie deshalb einmal als bloß topisch, als Ballast der Tradition, einander Mal bemüht sie sich aber, sie in die symbolistische Poetik einzu-passen: Diese habe immer auch das Verhältnis von „Bewußten und Un-bewußten im Akt schöpferischer Hervorbringung“ thematisiert.198

Gleichwohl sinnt die symbolistische Poetik wesentlich auf reine

193 Rilke an Gertrud Ouckama Knoop, Château de Muzot sur Sierre, Valais (Suisse), am26. November 1921, in: Rilke 1991, II, 321., S. 173–180, hier S. 179.

194 Erst nach Beendigung der „Sonette“, nämliche Ende 1922, hält Valéry in der Schweizeinen Vortrag über die „poésie pure“. Es würde hier allerdings zu weit führen, nacheinem möglichen Zusammenhang der „Sonette“ mit Valérys Vortrag zu fahnden.

195 Rilke wird selbst nach einer solchen nicht-literarischen Betätigung suchen, wie Eli-sabeth Gundolf zu berichten weiß. Sie rät ihm, Holzschnitzer zu werden, weil er ei-niges Talent dazu mitbringe; E. Gundolf 1965.

196 Gerok-Reiter 1996, S. 302.197 Für Valéry stellt die Inspiration nur einen Aspekt des Schaffensprozesses dar; siehe

Jarrety 1998, S. 107.198 Gerok-Reiter 1996, S. 304. – Als ein Bezugstext gilt ihr dabei Wilhelm Worringer

(1911). Zwischen Worringer und der französischen Formpoetik des Symbolismusaber klaffen Abgründe. Worringer, der nicht zufällig von dem expressionistischenMaler Franz Marc rege rezipiert wird, unterstreicht das Transzendenzbedürfnis, dasdie Kunst und die nicht-europäischen Länder von der Zivilisation Europas unter-scheide (ebd., S. 144–147). Seine Überlegungen über „Abstraktion und Einfühlung“lassen sich deshalb in die ‚Lebensreform‘ um 1900 einordnen, passen aber nicht zumSymbolismus französischer Prägung. Über Rilke und Worringer Öhlschläger 2000,S. 244–249.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus376

Sprach- und Formreflexion – weniger auf eine ‚Poiesis der Poiesis‘ undauf einen ‚poietischen‘ Daseinskult, wie Rilke ihn für die Sonette bean-sprucht und umsetzt.

Vernachlässigt man die überstrapazierte Kategorie ‚Symbolismus‘und blickt statt dessen auf die Texte Valérys, die Rilke nachweislichkannte, so wäre möglich, daß gerade Valérys L’Ame et la Danse Rilkespoetologisches Denken einer permanenten poetischen Wandlung präg-te. Denn Valérys Polylog dreht sich um das Werden und Vergehen imTanz, „l’acte pur des métamorphoses [...].“199 Seine Tänzerin geht in dieBewegung selbst ein, nennt sie ihre ‚Zuflucht‘ („mon asile“), ihren‚Wirbelwind‘ („Tourbillon“).200 Dieser Ausruf der Tänzerin steht un-kommentiert am Schluß das Polylogs; Rilke konnte ihn mit einiger Be-rechtigung emphatisch lesen und ‚poietisch‘ deuten.

Schon deshalb will ich versuchen, die Verhältnisse von Formrefle-xion und poetologischer Emphase, wie Gerok-Reiter sie beschreibt,umzukehren. Meine These lautet, daß Rilke in der Tat ganz wesentlichauf magischen Gehalt, mystische Einsicht, Prophezeiung und Inspira-tion setzt – um die formale Durchkomponiertheit und die Arbeit an derformalen Vollkommenheit als Mittel zum Zweck einer kosmogoni-schen Poetik aufzufassen. Die Herkunft der Sonette nicht zuletzt ausder zivilisationskritischen, weltanschaulichen, populär- und geheim-wissenschaftlichen Literatur der 1910er und 20er Jahre legt diesenSchluß nahe.

Deshalb – und mit Blick auf Rathenaus transzendenten und zugleichwirklichkeitsnahen Poeten – lohnt es, sich von der musikalischen undsprachlichen Suggestivkraft der Sonette zu lösen, um das symbolisti-sche Prinzip der Abstraktion auf die Probe zu stellen. Denn die Sonettenehmen auf Dinge Bezug, die – wie allgemein sie auch benannt seinmögen – eine Fülle von Assoziationen an Wirklichkeit wecken („anti-kische Sarkophage“, I,10; „Irgendwo wohnt das Gold in der verwöh-nenden Bank“, II,19; „Alles Erworbene bedroht die Maschine“, II,10).Mitunter handelt es sich dabei sogar um Erinnerungen, die den anderenpersönlich ansprechen (das Pferd in Rußland, I,20, das auf ein Erlebnis

199 Valéry: L’Ame et la Danse, in: ders. 1931, S. 11–63, hier S. 42; über den Valéry-TextGabriele Brandstetter 1995, S. 284–287. Brandstetter zeigt, wie Valéry den Tanz als„Phänomen der Verwandlung“ deutet; ebd., S. 284.

200 Ebd., S.63. Der Polylog entfaltet sich zwischen Sokrates, Phèdre und dem MedizinerEryximachos. Phèdre und Eryximachos tauschen ihre Ansichten über den Tanz bzw.über seine seelische und symbolische Bedeutung aus; Sokrates fragt und vermitteltzwischen beiden.

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3. Im Ausgang aus der „poésie pure“ 377

mit Lou Andreas-Salomé verweist). Rilkes Sprecher spielt mit Erinne-rungen und Dingen – aber er tilgt sie nicht vollständig zugunsten einerabstrakten Sphäre reiner Sprache. Vielmehr läßt er sie für sich wirkenund bindet sie zugleich in die Metamorphosen der Sonette ein. Rilkewählt damit – auch – eine mittlere Position zwischen der symbolisti-schen Formästhetik und einer wirklichkeitsbezogenen Dichtung, wiesie sich in Iwan Golls Die Unterwelt findet.201

b) Vorläufer. Iwan Goll Die Unterwelt (1919):expressionistischer Totentanz und Hoffnung auf Erlösung

Erst nach Abschluß der Sonette schreibt Rilke an Claire Studer-Goll.Drei Jahre hatte er sich nicht bei ihr gemeldet; die Ursache war ein„Mißverständnis“, notiert Claire Studer.202 In der Zwischenzeit istIwan Golls Die Unterwelt (1919) erschienen, Claire Studer gewid-met.203 Die Unterwelt besteht aus 52 Gedichten lebensnahen Inhalts.Sie beginnen mit dem „Styx“, setzen mit „Kloaken“ fort, handeln über„Kanarienvögel“, „Möblierte Zimmer“, den „Varieté-Neger“, über„Bäume, meine Brüder“, „Säufer“, „Heilige in der Unterwelt“ und –nicht zuletzt – über den Gedichtzyklus selbst („Der Dichter und dieLeserin“). Während Rilke das Totenreich – mit Schuler – ins Leben zu-rückholt, wird Goll das Leben selbst zum Hades: Hier finden sich dieLebenden unter den Toten. Alle Lebenssphären durchflutet der Styx;die Unterwelt dringt überall ein, holt sich ihre Opfer und bestimmt dieBeziehungen zwischen den Menschen: Golls Unterwelt erweist sich alseine Neufassung von Hans Holbeins Bilder des Todes (1913, Insel-Bü-cherei).204 Zeigt Holbein beispielsweise, wie der Tod des „Iungkint“holt, so schildert Goll die „Säuglinge“ in der Unterwelt: Sie weinen unddämmern im Halbbewußten vor sich hin.205

Der reflexive Schlußdialog bedenkt die düstere Sendung von DieUnterwelt. Während die Leserin den Dichter zu beruhigen und ins Le-ben zurückzuholen sucht, verflucht sich der Dichter selbst: „Meine

201 Janssen 1989, S. 303. Daß Rilke den Expressionismus wahrnahm, zeigte schon Man-fred Engel für die „Elegien“ (ders. 1986, S. 203–209).

202 Claire Studer-Goll an Rainer Maria Rilke, 27 rue Jasmin, Paris XVIième. Mi-Ca-rême. [8.3.1923], in: Rilke u. Goll 2000, Brief 32, S. 35 f., hier S. 36.

203 Goll 1919, unpag. [S. 9].204 Rilke besaß auch dieses Buch; Janssen 1989, S.305.205 Goll 1919, S. 38.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus378

Sendung war dir nicht Erlösung!“206 Er kündete nur vom „Schicksal“,sang nicht, ‚befreite‘ die „Sehnsucht“ nicht: „Weiter muß ich noch alsBettler zu euch treten, / Bis wir alle beten, / Bis um unsre Schultern dashimmlische Vlies / Unterwelt verwandelt in Paradies.“207 Golls Spre-cher beschreibt sich selbst als einen poetischen Heiland, der dieMenschheit erlösen will. Noch scheitert er an seinem Vorhaben und be-schwört religiöse Praktiken, um die irdische Unterwelt in ein Paradieszu verwandeln. Hier löst die Religion ein, was die Poesie nicht ver-mag.208

Golls expressionistischer Gedichtband, in dem die „O Mensch“-For-mel als ein Leitmotiv wiederkehrt, in dem Zivilisations- und Kulturkri-tik in Verkündungspathos überführt werden,209 mußte Rilke schon des-halb als problematisch erscheinen. Gleichwohl kommt in den Sonettenmanches aus Golls Buch bekannt vor: das reflexive Moment, die Wahlder Sozialmotivik, die negativen Visionen, die Rilke in positive ver-kehrt, und – nicht zuletzt – das Wandlungsmotiv, das Goll an den be-deutungsschweren Schluß des Texts stellt. Mit Schuler zu reden: Gollführt das „zerspaltene“ Leben vor, Rilke entwirft das „offene“ undzeichnet ein ganz anderes Bild von der Unterwelt. Um ein StichwortKassners aufzunehmen: Die Sonette siedeln „an der Grenze von Barockund Expressionismus“210 – an der Grenze von Daseinsbejahung undmemento mori.

Die historische Entstehung der Sonette, der Umstand, daß Rilke denText Golls kannte, zeigt einmal mehr, daß die Sonette Produkte ihrerZeit sind, so sehr sie versuchen, diese ‚poietisch‘ zu gestalten:211 Ihre

206 Ebd., S. 63.207 Ebd., S. 64.208 Mit dieser Einsicht verbindet sich zugleich ein Wandel in der Poetik Golls. Im Jahr

1919 beginnt nämlich seine kubistische Phase; Müller-Lentrodt 1997, S. 64.209 Die Zuweisung von Golls Text zum Expressionismus folgt der problemgeschichtli-

chen Beschreibung der (literarischen) Strömung, siehe Vietta u. Kemper 1994, S.14–19u. passim.

210 Kassner an Rilke, aus Wien nach Muzot, Wien 3.5.23, in: Rilke u. Kassner 1997, 42.,S. 149 f., hier S. 149.

211 Nach dem Erscheinen der „Sonette“ dichtet Goll gleich zweimal einen eigenen Or-pheus („Der neue Orpheus“, 1923; „Orpheus“, 1925 – unveröffentlicht). Es fragtsich, ob es sich dabei um bloßen Zufall handelte oder ob Goll und Rilke miteinanderdichterisch (und ggf. um Claire Studer) konkurrierten. Golls Orpheus erweist sicherwartungsgemäß als quasi-wirklich; die literarische Figur kehrt als Zeitgenosse derModerne wieder; Goll: Der neue Orpheus [für Claire], in: ders. 1960, S.189–192, hierS.189 f.: „Orpheus: wer kennt ihn nicht: / 1m 78 groß / 68 Kilo / Augen braun / Stirn

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3. Im Ausgang aus der „poésie pure“ 379

Motive und ihr Problembewußtsein entstammen dem Expressionis-mus, dem humanistischen Totentanz, „Wahnmoching“, dem ‚Reich derSeele‘212 – und nicht nur den Metamorphosen, Nietzsche, den antikenOrpheus-Reliefs oder den Orpheus-Skulpturen Rodins.213 Die Sonettegehen – auch – auf eigentümliche Weltanschauungen zurück, die sie‚poietisieren‘, um zu künden und zu weisen. Jene Poetik der Inspira-tion rechtfertigt die kosmogonische Poetik der Sonette. Sie bestätigtsich – so will es Rilke – an ihm selbst, nämlich als eine ‚poietische Er-fahrung‘. Er erleide sie – als ein Heiliger, als ein neuer Orpheus, als ex-emplarischer Dichter-Mensch, als ein moderner Keats, als Nicht-Ich ineiner poetologischen Variante des psychophysischen Monismus.

Rilkes Sonette erweisen sich damit als modern und anti-modern zu-gleich, vertrauen auf eine transzendente Rechtfertigung, setzen aufTranszendenz im Diesseits. Sie bewegen sich zwischen Rathenau undSchuler – mit den Vermittlungsstufen Kassner, Lichnowsky, Vogl,Spengler und Keyserling. Diesen weltanschaulichen Hintergrund derSonette zu ignorieren wäre unangemessen. Ebenso unangemessen wärees, sie darauf zu reduzieren. Wieder hilft Kassner weiter. Ihm gilt Rilkeals ein ästhetisch-aristokratischer Charakter, der sich ganz dem ‚Reichder Seele‘ widmete.214 Durch seine ‚poietischen‘ Reflexion gerät diepoetologische Reflexion an ihre Grenze. Sie tilgt das zu Reflektierende,gestaltet ihre Kontexte immer schon, schließt sich in einem kosmogo-nischen Universum gegen Vereindeutigungen ab.

Gleichwohl ‚scheinen‘ die Kontexte der Reflexion ‚hinter‘ den Ver-sen auf; sie erlauben Rückschlüsse auf den poetik- und denkgeschicht-lichen Stellenwert der ‚poietischen‘ Reflexion. ‚Poietische‘ Reflexionkündet von einer schönen Welt, in der Mensch, Tier und Ding mit sichselbst und dem Anderen verständigt sind. Sie nutzt vorliegende Denk-muster, ohne diese einfach zu übernehmen, ohne Feindbilder aufzu-bauen. Amoralisch-moralisch setzen die Sonette – ganz anders als die

schmal / Steifer Hut / Geburtsschein in der Rocktasche / Katholisch / Sentimental /Für die Demokratie / Und von Beruf ein Musikant [...].“ – Pfaff (1983, S. 292) wiesbereits auf Golls „Orpheus“-Texte hin. Ihm gelten sie aber als bloß zynische Dar-stellungen des Dichter-Sängers. Vgl. auch J. Schmidt 2003, S. 231, Anm. 23.

212 Eine nebensächliche, aber spannende Frage wäre die, ob Rilke auch die Orpheus-Bilder Franz von Stucks (1891) und des Buchkünstlers Melchior Lechters (1896)kannte; beide Künstler bewegten sich im Umkreis der „Kosmiker“; vgl. (mit den bei-den Abbildungen) J. Krause 2000.

213 Vgl. Tschiedel 1987.214 Ruffini 1986, S. 76.

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VI. Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus380

weltanschaulichen, zivilisationskritischen, populär- und geheimwis-senschaftlichen Orientierungshilfen um 1900 – auf wenige und im De-tail deutungsoffene Normen: Der dichtende Mensch entscheide sichfür die kosmogonische ‚Poiesis‘ des diesseitig-transzendenten Lebens,in dem „Fruchtbarkeit und Seligkeit“ identisch sind. Er wähle dieWandlung, suche nichts Festes, sondern wirke ‚poietisch‘ an dieser‚Poiesis‘ mit.

Der Orpheus der griechischen und römischen Mythen tritt dabei inden Hintergrund. Auch über ihn verständigt sich Rilke nurmehr ‚poie-tisch‘. Orpheus wird nicht nur Novalis, sondern auch Rilke zur „Met-onymie der Dichtung“.215 Blickt man auf den Orpheus-Text des Nova-lis zurück, dann zeigt sich, daß zwischen diesem und Rilkes SonettenWelten liegen. Widmete sich Novalis noch ganz gelehrt einigen ausge-suchten Zeilen Vergils über den Sänger, so nimmt Rilke allenfalls kur-sorisch auf die Metamorphosen des Ovid Bezug. Mit Novalis’ selbst-verfaßtem Orpheus-Text beginnt die romantische Umdeutung des My-thos, und zwar ganz zugunsten eines Ideals der Liebe und des ‚zartenGesangs‘. Rilke hingegen entdeckt die düsteren Seiten des Mythosebenso wieder wie die normen-bezogene Dichtung, die Novalis alskriegerische, heilige und moralische Poesie verabschiedete.216 Als einbewußtes Mitglied der ‚mechanisierten‘ Gesellschaft will Rilke abernicht zu vormodernen Zuständen zurück; er weiß die Zivilisation undihre industriellen Erträge durchaus mit Humor zu nehmen217 und lebtvon vermögenden Mäzenen. ‚Poesie statt Mythologie‘, ‚poietische‘ Re-flexion statt „Poesie der Poesie“ – so lautet sein Programm für einekosmogonische Poetik.218

215 Für Rilke J. Schmidt 2003, S. 238.216 Deshalb erweist sich Charles Segals Auffassung, Orpheus werde bei Rilke in roman-

tischer Tradition bloß zu einem „vehicle for nostalgic longing for lost creativity orspontaneity [...],“ als problematisch; ders. 1989, S. 5 f.

217 Das bezeugt Elisabeth Gundolf mit einer Anekdote über die Berner Schokoladenfa-brik Lindt. Sie vermutete in der Fabrik ein mächtiges Imperium, fand aber nur eineBaracke vor. Rilke klärte sie darüber auf, daß es in Bern zwei Schokoladenfabrikengleichen Namens gebe, von denen sie offenkundig die falsche erwischt habe; E. Gun-dolf 1965, S.40. – Wenn Gundolf Recht hat, dann ist umso mehr auf solche Texte Ril-kes zu achten, die diesen Humor ganz aussparen.

218 Fülleborn 1999, S. 34.

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VII. Ergebnis

Poetologische Reflexion erweist sich als Chance und als Problem vonLiteratur – vor allem im Ausgang aus der Romantik (in den 1820er Jah-ren). Einerseits scheint jede vorreflexive Unmittelbarkeit verloren. An-dererseits überbieten die Versuche, diesen Verlust wettzumachen, ein-ander mit großer Innovationsgewalt. Denn aus dem Reflexionsdenkenentstehen Anforderungen an die schriftstellerische Selbstbestimmung:Erwartet werden Originalität und Reflexivität. Der Bedarf an innova-tiver Selbstbeschreibung in poetologischer Lyrik, Poetik und Ästhetiksteigt nach der Romantik noch.

Zugleich gilt es als problematisch, sich als Dichter selbst zu bespie-geln: Der Poet sei Mensch, ‚ganzer Mensch‘, fordern die Zeitgenossender 1830er Jahre, und gebe sich bloß als Mensch dem Leser preis. Daßdie dichterische Äußerung über das Dichter-Selbst gleichwohl zu denbeliebtesten literarischen Praktiken des nach-romantischen 19. Jahr-hunderts gehört, steht zu solchen Forderungen nicht im Widerspruch.Dichtergedichte der 1830er bis 70er Jahre schreiben Vorstellungen überden Dichter fest, die üblicherweise mit einem neuhumanistisch gepräg-ten Klassizismus verbunden waren: Sie bedenken die Frage, was denDichter als Menschen ausmache, wie sich diese Merkmale mit dem Rol-lenbild des Dichters bzw. mit der schriftstellerischen Tätigkeit vertra-gen und ob sich der Leser (noch) mit Gewinn dafür interessieren könne.In der Nachfolge der „Poesie der Poesie“ läßt sich deshalb zwar ein ver-bindliches neuhumanistisches Dichter- und Dichtungsbild finden, aberes wird unaufhörlich umgeschrieben und neu angelegt. Kurzum: Esträgt nur so lange, bis um 1900 bloß noch von einer poetologischen‚Differenzierung im Nebeneinander‘ gesprochen werden kann. Siekennt zwar allgemeine Problemlagen, aber keine verbindlichen Lösun-gen mehr.

So nachvollziehbar diese Geschichte – als eine Ideengeschichte derPoetiken – auf den ersten Blick wirkt, so kompliziert ist sie im litera-tur-, denk- und wissensgeschichtlichen Detail. Entwicklungen im Wis-sensgebiet der Poetik vollziehen sich im Wechselspiel von Einfluß und

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VII. Ergebnis382

Ablehnung zwischen Wissensgebieten und poetologischen Gattungen.Deshalb will ich die poetologischen Leistungen poetologischer Lyrikbeschreiben (1. Teil), um nach Kontinuität und Wandel der Poetiken‚von Novalis bis Rilke‘ zu fragen, wie sie sich auch im Blick auf nicht-poetologische Wissensgebiete entfalten (2. Teil).

1. Poetologische Leistungen poetologischer Lyrik

Poetologische Lyrik äußert sich über drei Bereiche poetologischenWissens:

(1) Die Produktionsseite oder den Autor. Sie findet besonders imWidmungsgedicht als Form der konkreten und persönlichen Ausein-andersetzung und im Dichtergedicht als Form abstrakter Auseinander-setzung mit dem Dichter Beachtung. Karl Ettlingers Der Dichter undRichard Pfeiffers Illustration des Texts für die populäre Zeitschrift DieJugend (1911) veranschaulichen diese Variante poetologischer Lyriknoch einmal idealtypisch.1 Dem Journalisten und Schriftsteller Ettlin-ger (1882–1939, Pseudonym: Karlchen) geht es um den Dichter als Rol-lenbild, nicht um das dichtende Individuum. Bei seinem Poeten han-delt es sich um einen Liebesdichter, der aus Liebe schreibt und dem da-für eine tiefe Einsicht in die Welt gewährt wird. Das Rollenbild, dasEttlinger entwirft, erfüllt alle Stereotype der romantischen Dichtervor-stellung – verkitscht und vergröbert für den populären Publikations-ort.

Wie verhält es sich im Laufe des 19. Jahrhunderts mit den Dichter-Typen, die hier zu einem Idealtypus verschmolzen werden? Der Dich-ter wandelt sich vom ‚poeta doctus‘ (der frühe Novalis der Vergil-Übersetzung) zum ‚poeta magus‘ (Novalis, Kerner), will ‚vates‘ werdenund scheitert (Hölderlin); nur selten spielt er mit beiden Positionen(Arnim). Die folgenden Jahrzehnte kennen eine Vielzahl von Dichter-bildern: den mythischen Sänger (Uhland), den armen und politischenDichter der Vormärz-Zeit (Herwegh, Freiligrath), die emanzipierteDichterin (Droste-Hülshoff), den Naturforscher (Droste-Hülshoff)und den ‚technischen Poeten‘ (Keller).2 Bis zum Beginn des Naturalis-mus aber erscheint das Bild vom ‚ganzen Menschen‘ als wirkungs-

1 Karl Ettlinger: Der Dichter, in: Die Jugend 2 (1911), S. 925.2 Vgl. auch Muschg 1957; Hinck 1994; Selbmann 1994; siehe auch die Beiträge von

Grimm, Kurz, Stadler, Schnell und Frommholz in Grimm 1992.

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1. Poetologische Leistungen poetologischer Lyrik 383

mächtigste Dichter-Vorstellung (Mörike, Vischer, Strauß); sie kann sichdes neuhumanistischen ‚Geistes‘ vor und nach 1848 versichert sein undfindet noch unter den ‚poetae docti‘ des Münchner Dichterzirkels Zu-stimmung.3

3 Zu den Ausnahmen zählt die Dichtung Storms und des frühen Keller.

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VII. Ergebnis384

Mit dem Naturalismus hebt der ‚vates‘-Kult neu an. Hier wird derDichter zum Helden ernannt und muß sich neuen ethischen Anforde-rungen stellen. Liebe, Leben und Natur reichen für die avantgardisti-sche Selbstbeschreibung nicht mehr aus. Statt dessen beschwören Poe-tiker Kampfgeist, Nationalstolz und Mut. Spätestens hier wird deut-lich, daß die Lyrik-Geschichte neben dem ursprünglichsten aller Sän-ger, neben Orpheus, mindestens einen zweiten kennt, der – neben ArnoHolz’ Phantasus – ihre dunkle Seite repräsentiert: Ixion.4 Der dubioseHimmelsstürmer gilt dem Naturalismus als der Held schlechthin, alsder Bezwinger von Gott und Mensch. In der Romantik scheiterte ernoch an diesem Vorhaben.

Die Folgezeit wiederum entwirft eine Fülle von Dichterbildern, de-ren radikalstes dasjenige des passiven Dichters ist, wie Rilke ihn ver-kündet. Er reagiert damit sowohl auf die naturalistische Emphase fürden ‚deutschen Helden‘ als auch auf populäre Ästhetiken um 1900. Ril-ke setzt Machs ‚unrettbares Ich‘ poetisch um. Der passive ‚reine‘ Dich-ter gibt sich als Mensch ganz auf und notiert nunmehr, was ihm einefremde, beängstigende und doch bereichernde Inspiration eingibt. Erempfängt dafür ewiges Leben, empfindet sich nicht mehr als sterblich,sondern betrachtet das dichtende Dasein als einen Zustand zwischenLeben und Tod.

Solche Selbstbespiegelungen ruhen auf bestimmten Topoi: auf einerRaum- und Zeitsemantik, die den Dichter aus dem weltlichen Gesche-hen heraushebt, ihn als besonders erscheinen läßt.5 Diese Unterschei-dungswut, der Autoren im Dichtergedicht freien Lauf lassen, und diesie immer neu inszenieren, legt die Vermutung nahe, daß es dabei nichtbloß um leere Topik und Ideologie gehen kann, sondern daß hier exi-stentielle Fragen auf dem Spiel stehen (Unterscheidungsfunktion). Eshilft deshalb wenig, Dichtergedichte als bloß zweitrangige Produktio-nen abzuwerten;6 vielmehr bleibt nach ihrer Bedeutung im jeweiligenhistorischen Kontext zu fahnden.

Ich will die poetologische Selbstverständigung des Dichters, die im-mer auch soziale und ethische Bedeutung hat (Funktion der Verständi-gung mit sich selbst), deshalb in den Vordergrund rücken. Als ein Bei-

4 Das läßt sich gegen die Orpheus-Emphase anführen, wie sie nicht nur die Germani-stik der 50er Jahre (Rehm 1972, 1. Aufl. 1950) auszeichnet.

5 Schlaffer zeichnet diese Topik als Idealtypus des Dichtergedichts im 19. Jahrhundertnach; ders. 1966.

6 Ich wende mich hier gegen Schlaffer 1996, S. 329 u. passim.

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1. Poetologische Leistungen poetologischer Lyrik 385

spiel gilt mir Droste-Hülshoffs An die Schriftstellerinnen in Deutsch-land und Frankreich – eine engagierte Aufforderung an Schriftstellerin-nen, sich von sozialen Zwängen zu emanzipieren und beherzt zur Fe-der zu greifen (Appellfunktion). Aber auch in anderen – weniger ein-sichtigen – Fällen geht es um die Selbstbestimmung des Dichters alsDichter: um spielerische, mitunter um sehr entschiedene und autobio-graphisch gemeinte Zuschreibungen. Sie sollen die eigene Tätigkeit alsbesonders gehaltvoll und geistreich auszeichnen, gelegentlich auch fürdie finanzielle Förderung empfehlen (Funktion der Selbstbehauptungund des Selbsterhalts). Sicher ist es kein Zufall, daß Dichtergedichte oftam Beginn oder an poetologischen Umbrüchen in der jeweiligen Au-tor-Laufbahn entstehen.

Poetologische Lyrik macht aus der Not der Selbstreflexion eine Tu-gend. Ganz anders als die Poetiken eröffnen Dichtergedichte einenzwar topisch vermittelten, im Detail aber variantenreichen und wech-selhaften Blick auf den Dichter in seinen unterschiedlichen Rollen. Da-bei ist es durchaus möglich, daß der jeweilige positive Entwurf vomDichter dem Dichter-Begriff nahekommt, wie er in einer bestimmtenPoetik und Ästhetik angelegt ist. Mitunter gibt ein Dichtergedicht(beispielsweise Goethes Der Sänger) der poetologischen Reformulie-rung des Dichterbilds sogar erst die Stichworte vor (Vorbildfunktionoder Quelle). Poetologische Lyrik wird – wenn auch abweichend –nicht selten in gelehrte, wissenschaftliche oder didaktische Poetiküberführt.

Eine weitere und wesentliche Leistung des Dichtergedichts bestehtdarin, daß es – anders als Poetiken und Ästhetiken – nicht nur die idea-lischen oder historisch-systematischen Seiten des Dichterbilds auf-nimmt, sondern gerade auch die Schattenseiten der Dichterexistenz be-leuchtet (Funktion des Selbstausdrucks): den verzweifelten, den an dereigenen Anforderung scheiternden (Hölderlin, Arnims Ixion) und denleidenden Dichter (Rilkes Keats-Gedichte). Das Widmungsgedicht er-laubt es darüber hinaus, poetologische Beziehungen unter den Dichternund Dichtergruppen zu klären (Kerner Die schwäbische Dichterschule;beziehungsstiftende Funktion), gegebenenfalls auch, direkte Kontro-versen auszutragen (polemische Funktion). Widmungsgedichte undDichtergedichte verleihen dem Dichter selbst ein poetologischesSprachrohr. Hier kann er sich polemisch äußern und poetologische Er-fordernisse behaupten; er wird sich selbst Empirie, Beleg und Heraus-forderung zugleich (empirische Funktion, experimentelle Funktion).Zu diesem Zweck muß er sich nicht der metaphysischen Sprache von

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VII. Ergebnis386

Poetik und Ästhetik bedienen, die Dichter-Kollegen und LesernSchwierigkeiten bereitet,7 sondern er kann seine Wahrnehmungen mitHilfe der alltagssprachlichen Wort- und Bildwelt veranschaulichen(Funktion der mehr oder minder direkten Ansprache an den Leser).

Poetologische Lyrik vom Typus des Dichter- und des Widmungsge-dichts übernimmt Funktionen, die den Dichter als Dichter betreffen(Funktion der Verständigung mit sich selbst, Funktion des Selbstaus-drucks), Funktionen, die ihm eine Position unter den Dichterkollegensichern (Unterscheidungsfunktion, Appellfunktion, beziehungsstif-tende oder polemische Funktion), die ihm einen Platz in Poetik, Ästhe-tik (Vorbildfunktion – sogar Quelle für Sekundärliteratur, empirischeFunktion, experimentelle Funktion) und in der Gesellschaft zuweisen(Funktion der Selbstbehauptung und des Selbsterhalts, Funktion dermehr oder minder direkten Ansprache an den Leser).

(2) Das Produkt: das literarische Werk im besonderen und allgemei-nen, die Literatur, die Lyrik oder die Poesie werden Gedichten über Ge-dichte, Literatur, Poesie, Lyrik, über Vers- und Strophenformen zuThemen. Der Typus poetologischer Lyrik, den sie ausprägen, ist – reinquantitativ – seltener als derjenige des Dichtergedichts. Widmet sichpoetologische Lyrik aber der Poesie, dann findet hier eine besondereForm der Selbstbespiegelung statt: eine Form, die nicht bloß Ausdruckdes Selbst ist, sondern die auf ein Konkret-Abstraktes sinnt, auf ein Er-gebnis oder auf ein Ideal, an dem sich das Ergebnis messen lassen muß.Ergebnis-Vorstellung und Ideal wandeln sich im Gang durch die hierbesprochenen Beispiele allerdings erheblich. Am Anfang steht die uni-verselle Ausdehnung des Poesie-Begriffs (F. Schlegel, Novalis), amEnde findet sich Vergleichbares: eine kosmogonische All-Einheit vonGesang und Welt (Rilke). Die Zwischenzeit aber kennt ein großesSpektrum ganz anderer Konzeptionen: ironische Zweifel an der uni-versellen Ausdehnung von Poesie (Rückert), die Beschreibung vonPoesie als Schmerz (Kerner), gebrauchslyrisch gebrochene autonomie-ästhetische Vorstellungen (Mörike), die Ansicht, Poesie diene dem Pri-vatvergnügen (Strauß), und Zweifel am lyrischen Ausdruck überhaupt(Bierbaum).

Dabei bewegt sich poetologische Lyrik zwischen zwei Extremen:zwischen dem bloß spielerischen Definitionsversuch (Droste-HülshoffPoesie) und dem programmatisch-polemischen Gedicht, das behauptet,ganz genau zu wissen, was Poesie sei (Beiträge zur naturalistischen An-

7 Vgl. darüber Abschnitt IV. 2. dieser Untersuchung.

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1. Poetologische Leistungen poetologischer Lyrik 387

thologie Dichter-Charaktere). Poetologische Lyrik, die nach Poesie,Literatur oder Lyrik fragt, gibt Raum für Zweifel an der Literatur, aberauch für emphatische Neu-Entwürfe. Sie fragt nach der Motivation desDichters und nach dem Verhältnis von Poesie, Welt und Wissen: nachdem Verhältnis von Natur und Dichtung beispielsweise (Kerner, Uh-land, Tennyson, Droste, Keller).

Anders als die Lyrik-Definitionen von Poetik und Ästhetik sind die-jenigen der poetologischen Lyrik also im Ergebnis offen. Die Absich-ten, die sich mit ihnen verbinden, variieren stark. Mitunter nehmen sieVorgaben von Theoriebildung oder populärer Wissenschaft auf, umdiese poetisch zu überhöhen (Rilke); an anderer Stelle entwickeln Poe-tik, Wissenschaftspoetik und Ästhetik ihren Lyrik-, Literatur- oderPoesie-Begriff erst selbst aus solchen Dichtungen (Strauß, Carriere,Borinski). Darüber hinaus fällt auf, daß die große Begeisterung, diePoetik, Ästhetik, Literaturkritik und Literaturgeschichte im Ausgangaus der Romantik mit dem Begriff der Poesie verbinden, von poetolo-gischer Lyrik bald gebrochen wird: Schon Rückert äußert sich skep-tisch in Anbetracht eines besonderen Poesie-Typus; die Droste be-stimmt den Begriff Poesie nurmehr zögerlich. Auch sprechen nur ver-schwindend wenige poetologische Gedichte des 19. Jahrhunderts überLyrik: Poetologische Lyrik, die um die Viefalt ihrer Formen wußte,meidet den voraussetzungsreichen Begriff von Lyrik, mit dem Poetikund Ästhetik zu kämpfen haben.

Für die Ebene poetologischer Lyrik, die sich mit dem Dichterwerkbefaßt, lassen sich demnach folgende Funktionen beschreiben: Funk-tion der Selbsterklärung, Funktion der Kritik bzw. polemische Funk-tion, empirische Funktion, experimentelle Funktion und – nicht zu-letzt – eine Vorbildfunktion für die gelehrte und wissenschaftliche Re-zeption von Dichtung.

(3) Die Rezeptionsseite: Leser, Buchmarkt, Kritik und Philologie.‚An den Leser‘ – so lautet der Titel der poetologischen Gedichte, diediesen Aspekt aufnehmen. Oft sind sie aber auch konkreter oder ‚adpersonam‘ betitelt, wie etwa Mörikes Gedicht an seinen Kritiker-Freund Vischer. Zu den Adressaten von poetologischer Lyrik gehörengebildete Interessenten, Käufer, Theoretiker, mitunter auch der vielbe-scholtene ‚Pöbel‘ oder das – in den 1830er/40er Jahren und ab 1880 sogerühmte – ‚Volk‘. Gedichte wie diese erfüllen sehr unmittelbareFunktionen der Kommunikation; sie sind der Ort für Beschwerde unddrücken Mißverständnis, Wohlwollen, kurz: einen bestimmten Wir-kungswillen aus. Hier versucht sich der Dichter der Rezeption dessen

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zu versichern, was er in Dichtergedichten und Gedichten über Poesieniederlegte.

Ästhetiken und Poetiken blenden den Bereich der Rezeption – abge-sehen von den empirischen oder experimentellen Ästhetiken – bis ins20. Jahrhundert hinein fast gänzlich aus. Demgegenüber geraten Fragender Rezeption in poetologischer Lyrik besonders in den Blick. DerGrund dafür liegt nicht selten in sozialhistorischen Tatsachen: im Streitüber einen Text oder über eine Dichtungskonzeption, möglicherweiseauch in mangelnder Wahrnehmung durch das Publikum oder in der no-torisch leeren Geldbörse des Autors. Für diese Untersuchung aber sindbesonders die Verhältnisse von lyrischer Produktion und gelehrter Re-zeption sowie von gelehrter Produktion und lyrischer Rezeption vonInteresse. Ein besonders spannender Fall ergibt sich dabei für Vischer:Als Wissenschaftler nimmt er das Ideal des ‚ganzen Menschen‘ in seineÄsthetik auf, beschreibt es – mit Hegel – vor dem Hintergrund der„Reflexionsbildung“ des Zeitalters und führt es in seiner poetologi-schen Lyrik zu einer einfachen Lösung: Sie liegt in der gebildeten Re-zeption von Kunst (siehe Gedicht und Sinn); Vischer entnimmt dieseLösung möglicherweise auch der Popularästhetik des ausgehenden18. Jahrhunderts.8

Gedichte, die die Rezeptionsseite thematisieren, haben werbendeund polemische Funktion, dienen der Selbstbehauptung oder sogar derSelbstverteidigung, nicht zuletzt der Selbsterklärung und dem ‚empiri-schen‘ Experiment mit dem Leser, mit fiktiven Reaktionen. Auf dieseWeise klärt sich poetologische Lyrik selbst über ihre eigenen Produk-tions- und Rezeptionsvoraussetzungen auf. Anders als Poetiken undÄsthetiken dient sie sich selbst als Versuchsobjekt: Was sich bewährt,wird weitergeführt, was nicht, bedarf der Veränderung. PoetologischeLyrik gibt deshalb notwendigerweise ein umfassenderes und historischflexibleres Bild von Literatur, Poesie und Lyrik, als es die Gattungender Ästhetik sowie der gelehrten, wissenschaftlichen und didaktischenPoetik überhaupt zeichnen könnten. Denn die Dichter sind strukturellim Vorteil: Sie wissen notwendigerweise mehr über sich und ihre Tätig-keit.

8 Die Frage nach der Rezeption aufklärerischer Popularästhetik in der Ästhetik undPoetik des 19. Jahrhunderts wäre eine eigene Untersuchung wert.

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2. Kontinuität und Wandel der Poetikenim 19. Jahrhundert

Friedrich Schlegels Postulat von der „Poesie der Poesie“ knüpft an die-se Einsicht an und nutzt sie für ein Literaturprogramm, das sich pole-misch gegen die frühneuzeitliche Normpoetik ebenso wie gegen klas-sizistische Vorstellungen von Literatur abgrenzt. Hier ging es aller-dings weniger darum, die Tragfähigkeit dieser Polemik, als vielmehrihre Wirkungen zu prüfen. Das Ergebnis erstaunt: Selbst in der Ro-mantik ist die reflexive Universalpoesie Schlegels umstritten. Er selbstmäßigt sie ironisch, und besonders der frühe Arnim veranschaulicht dieSchwierigkeiten, auf die ein derart weites Poesie-Verständnis trifft.

Am Beginn des Reflexionsdenkens steht – im Wissensgebiet der Poe-tik – deshalb zwar auch ein von Schlegel selbstgewählter Bruch mit vor-romantischen Poesie-Konzepten. Aber die Gemeinsamkeiten mit die-sen liegen auf der Hand: Novalis beispielsweise entwickelt ein Rollen-gedicht aus der ‚imitatio‘ des Vergil. Im Schema der ‚translatio‘ verweistder Orpheus des Novalis noch auf den mythischen Dichter, greift aberdie Mitleidspoetik in veränderter Form wieder auf und bemüht sichvorerst nur darum, sich von bestimmten Dichtungs-Konzepten (Hel-denpoetik, ‚Heilige Poesie‘) zu lösen. Um Arnims Ariel’s Offenbarun-gen steht es – ebenso wie seinem Ixion – ähnlich: Beide Texte lassen dieKontinuität spätaufklärerischer Literatur sichtbar werden; das Roman-Modell Wielands reicht – vermittelt über Arnim – selbst in die Roman-tik hinein, ja prägt mit seiner Polyperspektivität die Darstellungsmustervon Texten wie denjenigen des frühen Arnim vor.

Im Ausgang aus der Romantik, geleitet durch Hegels Kritik an der„Reflexionsbildung“ und an Friedrich Schlegel, angeregt durch JeanPauls Gegnerschaft zur „Poesie der Poesie“ und durch das Bildungs-konzept des Neuhumanismus fällt die „Poesie der Poesie“ insgesamtder Kritik anheim: Reflexionspoesie gilt als unfruchtbar; Poesie wirdauf die Aufgabe der Bescheibung von Welt, Leben und Individuumfestgelegt. Gleichwohl hat die Reflexionspoesie einen ungebremstenWillen zur Selbstverortung angestoßen, der sich in der poetologischenLyrik der folgenden Jahrzehnte ausdrückt. Zwar kehren poetologischeMotive und Themen dabei in der Form von Wellenbewegungen wieder,aber sie wandeln sich erheblich: Der Seher der Romantik beispielsweiseist schon bei Heine ein anderer – erst recht gilt dies für die Zeit um1900. Kontinuität und Bruch bestimmen die Geschichte der Poetiken:

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reflektierte Kontinuität und reflektierter Bruch. Für die Beschreibungsolcher Prozesse hält die Denk- und Wissensgeschichte zahlreiche Be-griffe bereit, die ‚unterhalb‘ der komplexen und voraussetzungsreichenEpochenbegriffe liegen. Sie erlauben es, diese Prozesse vergleichsweisevorsichtig und assoziationsfrei zu beschreiben:9(1) Subjektivierung, 1800–1880er Jahre. Kaum ein zweiter Begriff be-

währt sich für die Beschreibung der Entwicklung von Poetiken im19. Jahrhundert so sehr wie der Begriff der Subjektivierung.10 Denner erlaubt es, Entwicklungen in Poetik, Ästhetik und poetologi-scher Lyrik gleichermaßen zu verbinden: Am Beginn des 19. Jahr-hunderts ist das Subjekt nämlich endgültig entdeckt; die Wissen-schaften vom Menschen (Anthropologie, verbunden damit Er-kenntnislehre, Morallehre/Ethik und Bildungspädagogik, Medizinund auch der Magnetismus) tragen dazu bei. Ihre Erkenntnisse be-einflussen Ästhetik und Poetik; sie helfen sogar, beide Wissensge-biet systematisch neu zu begründen. Hegel wendet das Interesse fürden Menschen – wirkungsmächtig – auch auf seinen Begriff von Ly-rik an. Was er als ‚Innerlichkeit‘ beschreibt, die das Gedicht spiege-le, deuten seine Schüler mit Hilfe der Begriffe Subjektivität und Ob-jektivität neu; noch die psychologische Ästhetik um 1900 sprichtdafür vom Wechselspiel von Seele und Welt, das es zu untersuchengelte. Reflexionskritik einerseits, Begeisterung für die Subjektivitätandererseits – diese doppelte Einstellung hält das ‚Gros‘ der gelehr-ten, wissenschaftlichen und didaktischen Poetiken von den 1820erJahren bis in die 1880er Jahre zusammen. Ihre bevorzugten Dichterheißen Goethe und Mörike, und ihre poetologische Lyrik prägt undbestätigt das ‚subjektivistische‘ Bild von Poesie, das aber für ganzunterschiedliche Strömungen Pate steht: für neuhumanistische Poe-tiken, die sowohl einem klassischen als auch einem lebensweltlichenPoesie-Ideal folgen, für die Dichtung des Jungen Deutschlandund – nicht zuletzt – für die Poetik des Münchner Dichterkreises.

Für die Subjektivierung läßt sich deshalb zumindest von einerKoevolution poetologischer Konzepte in poetologischer Lyrik,aber auch von einer ‚Präevolution‘ sprechen.11 Die gelehrte und wis-

9 Die Beschreibung der unterschiedlichen, teils parallelen Entwicklungen lehnt sich andas Schema von Jörg Schönert (2002, S. 345) an.

10 Dazu die Bilanz in Todorow 1981, S. 238–240.11 Über die Beschreibungskonzepte siehe die Einleitung zu dieser Untersuchung (Ab-

schnitt 2.).

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senschaftliche Poetik folgt in diesem Fall der Lyrik nach; sie syste-matisiert, was Lyrik ‚performativ‘ vorgibt.

(2) Objektivierung, 1840er–1920er Jahre. Diese Untersuchung setztaber streng genommen auf der Gegenseite der Subjektivierung an:Sie widmet sich einem Genre der Lyrik, das sich per se mit Nicht-Subjektivem, nämlich mit Poesie und Poetik befaßt und bloß refle-xiv auf das Subjektivitäts-Postulat reagiert. In den 1840er Jahrenstehen der Subjektivierung auf dem Gebiet der sogenannten Refle-xionspoesie schließlich bewußte Tendenzen der Objektivierungentgegen. Sie beziehen ihr Beschreibungsinteresse für Poesie undWelt aus der Naturforschung (Droste) ebenso wie aus der Begeiste-rung für technische Erfindungen (Keller); beides wenden sie refle-xiv auf Poesie an, um diese zeitgemäß darzustellen. Gelehrte und di-daktische Poetik sowie Ästhetik erfassen solche Objektivierungenaber erst in den 1870er Jahren, und zwar unter dem Aspekt einer‚Positivierung‘ des Wissens.12 Poetik entwickelt sich seit dieser Zeitnach und nach zu einer wissenschaftlichen (Teil-)Disziplin; zuvorwidmete sie sich vor allem der normativ angeleiteten Ordnung vonLiteratur in Epochen und Gattungen – die topische Abwertung‚minderwertiger Reflexionspoesie‘ inbegriffen. Erst in Reaktion aufdie poetologischen Programmatiken des Naturalismus erkenntPoetik die Objektivierung von Lyrik an. Diese jedoch kann zu die-sem Zeitpunkt ihrerseits auf die ‚Entdeckung der (sozialen) Wirk-lichkeit‘ durch die politische Lyrik der Jungdeutschen und auf dieprogrammatischen Entwürfe des Realismus zurückgreifen.13

Auch im Falle der Objektivierung liegt also ein komplexesWechselverhältnis von poetologischer Lyrik, Poetik und nicht-pri-mär ästhetischen Wissensgebieten vor: Hat poetologische Lyrik perse an Objektivierungen Anteil, so nutzt sie diese zunächst, um sichals subjektiv darzustellen. Später folgt sie dem – bekannten – Musterder Adaptation gelehrten und wissenschaftlichen Wissens in Vers-form. Kaum setzt sie sich diesem jedoch aus, entsteht für das Wis-

12 Siehe Tendenz (5).13 Soziologische Poetiken, die dieses Wissensgebiet systematisch nutzen, setzen erst

am Beginn des 20. Jahrhunderts ein – nachdem die Soziologie (beispielsweise in denSchriften von Ludwig Gumplowicz) in den 1880er Jahren begann, sich von derStaatswissenschaft abzuheben und sich selbst zur Wissenschaft zu erklären. Für dieDiskussion soziologischer Bemühungen in der Poetik siehe Johannes M. Verweyen:Soziologie der Kunst, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissen-schaft 18 (1925), S. 223–230.

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VII. Ergebnis392

sensgebiet der Poetik neuer Beschreibungsbedarf: Erneut entwik-kelt sich poetologische Lyrik weiter, bevor gelehrte und wissen-schaftliche Poetik diese Entwicklungen erfassen können.

(3) Historisierung, 1830–1890. Das historistische Denk- und Ord-nungsmuster, das Ästhetiken ebenso wie gelehrte, wissenschaftlicheund didaktische Poetiken aufnehmen, trägt zu einer relativen Blind-heit für die Literatur der Gegenwart bei. Poetik differenziert sich abca. 1830 nochmals aus: in historisierende Texttheorie einerseits undin Literaturgeschichte andererseits. Dabei richten sich gelehrte, wis-senschaftliche und didaktische Poetiken auf „Totalität“, auf das li-terarische Ganze, wie es sich im Laufe der Jahrhunderte schriftstel-lerischer Tätigkeit zeigt; gelehrte und didaktische Poetiken (weni-ger die wissenschaftlichen) stellen „Textspeicher“ für solche Litera-tur dar, die sie unter selbstgesetzten – zumeist mehr oder minderklassizistischen – Gesichtspunkten für vorbildlich halten.14 Hegelsgeschichtsphilosophische Beschreibung der Epochenfolge und derGattungssystematik entfaltet hier ihre Wirkung. Poetologische Ly-rik weist demgegenüber – im engeren Sinne historische Lyrik, Vers-epen und Uhlands poetologische Lyrik ausgenommen – wenigeSpuren einer Historisierung auf.15 Poetologische Lyrik beschreibtsich vielmehr als ahistorisch, exemplarisch, preist die Wahrneh-mung des besonderen Moments. Das gilt selbst für die poetologi-sche Lyrik, die sich unmittelbar aus der Hegel-Rezeption speist undderen Autoren – wie Vischer und vermittelt durch Vischer auchMörike – ihre poetologischen Ansichten aus der hegelschen Ästhe-tik gewinnen. Gerade diese poetologische Lyrik kultiviert ihrSelbstbild von der herausgehobenen und besonderen Textproduk-tion, was auch an ihrem neuhumanistisch geprägten Verständnisvon Welt und Literatur liegt.

Für die Historisierung fällt es folglich schwer, Verbindungen vonpoetologischer Lyrik und Poetik zu den nicht-primär ästhetischenWissensgebieten zu ziehen. Poetik und poetologische Lyrik habengleich wohl an der allgemeinen Tendenz zur Historisierung Anteil,nehmen vor allem auf, was die historischen Wissenschaften bereit-stellen. Poetologischer Lyrik geht es dabei um kreative Adaptationenhistorischen Wissens, um poetologische Vorbilder und Gegenbilder.

14 Ich greife Merkmale frühneuzeitlicher Poetik nach Stöckmann (2001, S. 365–368)heraus.

15 Dazu Niefanger 2002.

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(4) Trivialisierung/Standardisierung, 1850er–1880er Jahre. Dabei wer-den Reflexionsgewinne immer wieder durch Trivialisierungen aus-geglichen. Trivialisierungen haben an jeder Phase der Lyrik-Ent-wicklung Anteil, treten aber gehäuft zu einem Zeitpunkt auf,der – wie die Lyrik der 1860er und 70er Jahre – festgefügte Musterfür eine ästhetische Lyrik-Produktion kennt und (proto-)realisti-scher poetologischer Lyrik vom Typus derjenigen Kellers undStorms nur eine randständige Position zuweist. Für die gelehrtenund didaktischen (weniger für die wissenschaftlichen) Gattungender Poetik und Ästhetik ließe sich in vergleichbarer Weise von einerStandardisierung sprechen. Sie tritt ein, wenn die Möglichkeiten zur„(Re-)Kombination“ poetologischen Wissens stillgestellt sind.16 Sobetrachtet wird Poetik des 19. Jahrhunderts aus zwei Gründen stan-dardisiert: zum einen mußte sie ihr Ausbildungsziel umstellen. Warsie in der Frühneuzeit für die Erziehung des ‚poeta doctus‘ zustän-dig, der sich in Rede und Schrift als ein gelehrter Christ auszuwei-sen hatte,17 so wird dieses Ausbildungsziel bereits mit der Wendungzu den Vorstellungen der Weimarer Klassik brüchig. Fortan dientPoesie der literarischen Bildung des Schülers, des Studenten und desLiteratur-Experten – all denen, die sich nicht mehr den Technikender Verfertigung von Texten, als vielmehr den historischen Erschei-nungsformen nationaler und ‚schöner‘ Literatur widmen. Im Zugeder Verwissenschaftlichung literarischen Wissens durch die Institu-tionalisierung der Philologien verarmt und bereichert Poetik ihrWissensgebiet zugleich: Es wird kanonisch und schließt sich vonder Literaturentwicklung selbst ab, öffnet sich damit aber für wis-senschaftliche Debatten und für den Anschluß an gängige wissen-schaftliche Überzeugungen. Standardisierung meint in diesem Sin-ne auch Spezialisierung, Differenzierung und Verwissenschaft-lichung.

(5) Positivierung (vs. Normierung), 1870–1910. Für ihre Verwissen-schaftlichung läßt sich Poetik im ausgehenden 19. Jahrhundert vorallem von der experimentellen oder psychologischen Ästhetik anre-

16 Den Begriff der (Re-)Kombination entnehme ich Stöckmann 2001, S.366–368.17 Wilhelm Wackernagel beispielsweise bezieht sich in seinen „Vorlesungen über die

Poetik“ (1836/37) noch ganz selbstverständlich auf den christlichen ‚Wertehorizont‘der Gelehrtenrepublik, wie er aus den Poetiken des 18. Jahrhunderts bekannt ist.Mehr noch: Mit dem Verweis auf die göttliche Sendung des Poeten steigert er wieder(sozusagen spät-romantisch), was Poetiken des späten 18. Jahrhunderts nurmehr di-stanziert aufnahmen.

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VII. Ergebnis394

gen, wie sie sich im Ausgang von Fechners Abhandlung Zur experi-mentalen Aesthetik (1871) entwickelte. Ästhetiken wie diese siedelnim Gebiet der Lehre von der ästhetischen Erkenntnis (in der Nach-folge von Alexander Gottlieb Baumgarten, Karl Philipp Moritz,Immanuel Kant, Johann Friedrich Herbart)18 und beziehen sich aufdie Erträge der frühen Psychologie. Sie lösen sich vom Gegenstandder Poetik, vom Text, und widmen sich der (ästhetischen) Wahrneh-mung überhaupt. Wissenschaftliche Poetik versucht, diese ästheti-schen Beschreibungsinteressen für das eigene Wissensgebiet zu ge-winnen. Wilhelm Diltheys und Wilhelm Scherers Bemühungen umeine deskriptiv-empirische Darstellung der ‚dichterischen Phanta-sie‘ stehen ‚paradigmatisch‘ dafür.19 Bereits im Jahr 1882 bilanziertKonrad Beyer im Blick auf dieses Vorhaben: „Wir sind heute imGegensatz zu einer früheren spekulativen Ästhetik so weit“, inPhysiologie und Physik die Fundamente von Ästhetik und Poetikzu erkennen und auch letztere mit Hilfe der „naturwissenschaftli-chen Methode“ zu untersuchen.20 In den 1910er Jahren aber ent-wickeln sich die Interessen an einer psychologischen oder experi-mentellen Poetik wieder auseinander – möglicherweise auch, weilder Anschluß an die Literatur der Gegenwart im Zeichen der Expe-rimentewissenschaft nur punktuell (etwa für Arno Holz) gelingt.Der Naturalismus der 1880er Jahre erweist sich unter dem Aspektder Positivierung nämlich noch als erstaunlich schwach; in seinerpoetologischen Lyrik kommt nur wenig zur Geltung, was Flaisch-len in seinem Essay über den Verlust der Illusionen so eindringlichschildert: das Erstarken von Technik, Naturwissenschaft und qua-si-religiösem Glauben an Vernunft und innerweltliches Heil. Nochim Jahr 1913 zeigt sich in einer Besprechung von Julius Harts Revo-lution der Ästhetik als Einleitung zu einer Revolution der Wissen-schaft (1909), daß die ästhetischen Bemühungen des ehemaligenNaturalisten dem Urteil des Wissenschaftlers nicht standhaltenkönnen.21 Der wissenschaftlichen Poetik aber werden ‚Erlebnis‘und ‚dichterische Phantasie‘ ihrerseits zu Floskeln für das geistes-und kulturwissenschaftliche Bemühen um die Poetik. Zeitgleich

18 Dazu Vollhardt 1995.19 Kindt u. Müller 2000, S. 699–702.20 Beyer 1882, I, S. 83.21 Hugo Spitzer: [Rez.], in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

8/1 (1913), S. 624–643.

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streitet man sich über den Sinn und Zweck analytisch-deskriptiverund normativer Orientierungen in der Poetik (Theodor A. Meyer,Rudolf Bosch).22 Im Ergebnis zeigt sich, daß sich Poetik entwederzur analytisch-deskriptiven Darstellung historischer Poetikenoder23 – in den zahllosen Schulpoetiken des 19. Jahrhunderts – zurasketischen Darstellung und Übung von Form und Stil entwickelt.24

Für die Tendenz zur Positivierung gilt demzufolge – ähnlich wiefür diejenige zur Objektivierung –, daß poetologische Lyrik undPoetik die Wissensentwicklung zwar verfolgen, sie aber nur zöger-lich in die eigenen Beschreibungsmuster übernehmen. Poetologi-sche Lyrik neigt dabei auch der Gegenseite zu: der Wissenschafts-skepsis, also einer Position, die sich aus ethischen Vorbehaltenspeist. Für dieses ethische Wissen erweist sie sich als stärker rezep-tiv als für wissenschaftliche Erkenntnisse. Die nachstehende Ten-denz könnte mit diesem Umstand zusammenhängen.

(6) ‚Differenzierung im Nebeneinander‘, 1890–1930. So sehr sich ge-lehrte und didaktische Poetiken auch noch floskelhaft um ethischeHandlungsanweisungen mühen – das Feld ethischen Orientie-rungswissens geben sie im Zuge dieser Entwicklung frei; auch dieLiteratur der historischen Gegenwart zwischen 1890 und 1930 ent-schwindet ihrem Blick.25 Hier setzen die Autorpoetiken ein, die sichin Essay, Brief und poetologischer Lyrik literarisch darbieten. Siefüllen die Lücken, die gelehrte, wissenschaftliche und didaktischePoetiken offen lassen und stellen neue Kommunikationsangebotebereit. Weil Autorpoetiken schnell verfertigt werden können, er-weisen sie sich als zeitgemäße, als moderne Beobachtungs- und Ver-ständigungsmedien. Doch nicht allein der Faktor Zeit kommt ihnenentgegen. Sie dürfen und sollen auswählen, bloß einzelnes und nichtdie Literatur in ihrer Totalität abbilden. Mehr noch: Sie wollen In-novation garantieren, sich polemisch abgrenzen, Literatur aus erster

22 Siehe Storim (2002) für die Ästhetiken des Monismus und Neu-Kantianismus.23 Solche deskriptiven Poetiken beginnen bereits in den 1880er Jahren; zu den promi-

nentesten zählt Borinski 1883. Untersuchungen darüber fehlen – eine weitere Auf-gabe für das geplante Nachfolgeprojekt zu dieser Untersuchung (wie Anm. I., 61).

24 Auch die Schulpoetiken von Bernhard Dieckhoff (1832) bis hin zu Leo Wolf-Grüt-ter (1929) wurden noch nicht einmal bibliographisch erschlossen – eine Aufgabe fürein Anschlußprojekt (wie Anm. I., 61); siehe auch Werner 1996, S. 318–324.

25 Hier trifft nun zu, was Todorow (1981) aber schon für die Frühphase des 19. Jahr-hunderts beschreiben will, daß sich wissenschaftliche Poetik und Literatur vonein-ander lösen.

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VII. Ergebnis396

Hand aufnehmen und programmatisch Neues bieten – in einer Ver-mischung zeitdiagnostischer Spekulationen, zivilisations- und kul-turkritischer Überlegungen, populärwissenschaftlicher Erkenntnis-se, formaler und inhaltlicher, nicht selten ethischer, sozialer und po-litischer Forderungen. Um 1900 erweisen sich Autorpoetiken des-halb als gängige, aber eben bloß als partikulare Beobachtungs- undVerständigungsmedien. Mit ihnen gewinnt auch die poetologischeLyrik vermehrt an Bedeutung: Während sich seit den 1820er/25erJahren vor allem die ‚poetae minores‘ um die Poetik bemühten, er-reicht sie nun wieder den lyrischen ‚Höhenkamm‘. Nicht anders alsin der Romantik stellt sich jetzt nahezu jeder lyrische Text als poe-tologisch dar. Um 1900 und noch in den 1920er Jahren erscheint dieBeschreibung ‚Differenzierung im Nebeneinander‘ (Georg Simmel)deshalb als angemessenste: Es liegt eine Vielfalt poetologischerSelbst- und Fremdentwürfe vor, die sich aus dem weitläufigen Ge-biet der Lebensreform, der Weltanschauungsliteratur, der Zivilisa-tionskritik, der Populär- und Geheimwissenschaft speist und inganz unterschiedlichen Gattungen äußert.

Im Ergebnis stehen Bereichstrennungen: Wissenschaft und Poesie fal-len auseinander, lassen sich nur noch im Medium des populären Zeit-schriftenbeitrags vermitteln – auf Kosten gelehrter, didaktischer oderwissenschaftlicher Bedeutung und zugunsten eigenwilliger Synthesen.Um 1900 gelingt es gelehrter, wissenschaftlicher und didaktischer Poe-tik nicht mehr, populäre, wissenschaftliche und lyrische Verständi-gungsformen gleichermaßen systematisch einzufangen. Deshalb ver-liert Poetik ihren Sinn als eine ebenso systematische wie handlungslei-tende Wissenschaft. Sie bleibt Formlehre und geht nach und nach indie analytisch-beschreibende Einführungsliteratur der Philologienüber.26

Diese Untersuchung sollte dazu beitragen, die Wahrnehmung für dasVerhältnis von gelehrter, wissenschaftlicher und didaktischer Poetik,von Ästhetik und poetologischer Lyrik zu schärfen: auch hinsichtlichder Aufnahmebereitschaft von Literatur für Wissen, vor allem aber imBlick auf die kognitive Leistung von Literatur selbst. Daß Literatur einesolche Leistung erbringt, zeigen die vorliegenden Interpretationen und

26 Über Emil Staigers „Grundbegriffe der Poetik“ (1. Aufl. 1946, 5. Aufl. dtv 1983,8. Aufl. Atlantis-Verlag 1968) läßt sich eine kontinuierliche Linie bestimmen, die indie Einführungsliteratur für die Literaturwissenschaft mündet; zur Einführungslite-ratur ab Staiger Schönert 2001.

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die Beschreibung der poetologischen Funktionen poetologischer Lyrik.Um den Blick darüber hinaus – spekulativ – auf die ‚longue durée‘ derLeistung poetologischer Lyrik für das Wissenschaftsgebiet der Poetikzu lenken: Literatur ist mehr als die schöne Form für ‚hartes Wissen‘,mehr als ein Medium der Veranschaulichung komplexer Sachverhalte.Ihr kommt (mitunter) sogar eine eigene quasi-wissenschaftliche Funk-tion zu: Sie stiftet Empirie. Schnell und mit Blick auf alle Lebensberei-che vermag sie, auf neue kognitive und handlungspraktische Anforde-rungen zu reagieren und nötigt gelehrte, wissenschaftliche und didak-tische Poetiken ‚in the long run‘, diese Reaktionen wahrzunehmen.

Die literarischen und gedanklichen Herausforderungen vor allemder Romantik trugen ganz wesentlich dazu bei, das literarische Be-wußtsein für diese Fähigkeiten von Literatur zu schärfen. FriedrichSchlegel stellte die radikalsten Forderungen an die literarische Selbst-und Fremd-Erkenntnis. Daß er sie sogleich wieder ironisch zurück-nahm, läßt die Grenzen eines Unternehmens erahnen, das ganz auf diepoetische Weltwahrnehmung und -gestaltung vertrauen wollte. Wenndiese Untersuchung die kognitiven Leistungen von Literatur betont,dann will sie in diesem Sinne auch auf Grenzen für dieselbe hinweisen:Literatur mag sich selbst beschreiben und erkennen können, aber siestellt sich nicht allein diese Aufgaben. Literatur befindet sich in einemkomplexen Netz von Motivationen und Wirkungsvorstellungen; sieunterhält und erfindet. Schon aus diesem Grund gilt es, ihren Erkennt-nisleistungen professionell zu mißtrauen, um ihre Aussagen verstehen,einordnen und aus ihrem Zusammenspiel mit anderen Wissensgebietenbegreifen zu können: Hier setzt wissenschaftliche Poetik heute ein.Mehr steht ihr nicht mehr zu Gebote – es sei denn, sie entwickelte sichwieder zu einer normativen ‚Ars poetica‘.

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VIII. Abbildungs- und Literaturverzeichnis

Die Untersuchung wurde im März 2003 abgeschlossen; später erschienene odererst später durch den Leihverkehr öffentlicher Bibliotheken zugängliche Bei-träge konnten nur in Ausnahmefällen (beispielsweise Hildebrand 2003; Koch2002) berücksichtigt werden.

1. Abbildungen

COLLECTION AT KEATS HOUSE; HAMPSTEAD

Keats on his death-bed, by Joseph Severn.

KUNSTHISTORISCHES MUSEUM; WIEN

GG 269. Antonio Carracci: Lautenspieler.GG 274. Correggio (d. i. Antonio Allegri): Jupiter und Jo (ca. 1531–34),

Lwd. 163,5 x 74 cm.GG 276. Correggio (d. i. Antonio Allegri): Ganymed (ca. 1531–34),

Lwd. 163,5 x 70,5 cm.GG 1612. Bernardo Strozzi: Lautenspieler.

MAURITSHUIS; DEN HAAG

253. Jan Brueghel u. Peter Paul Rubens: Das irdische Paradies mit Sündenfallvon Adam und Eva (um 1615), Lwd. 74,3 x 114,7 cm.

2. Quellen

a) Ungedruckte Quellen und Archivalien

DEUTSCHES LITERATURARCHIV; MARBACH AM NECKAR

Arnim 1820–1830. Arnim, Ludwig Achim v. an Kerner, Justinus, [1820–1830],1 Br., 4 Bl., A: Kerner, 48423, KN 46.

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2. Quellen 399

Strauß 1839. Strauß, David Friedrich an Tieck, Ludwig, Stuttgart 21.3.1839,2 Bl., A: Strauß, 45.889.

Vischer 1848. Vischer, Friedrich Theodor an Kerner, Justinus, Reutlingen,21.4.184[8], 2 Bl. 8°, A: Vischer, 33.498.

GUNDOLF-ARCHIV; INSTITUTE OF GERMANIC STUDIES;UNIVERSITY OF LONDON

Voß 1847. Voß, Abraham (Hg.): Deutschlands Dichterinnen (Vom 1500 bis1846). In chronologischer Folge hg. v. A.V. Düsseldorf 1847.

RILKE-ARCHIV; GERNSBACH

Kassner 1913 [1]. Kassner, Rudolf: Der indische Gedanke. Leipzig 1913.Kassner 1913 [2]. Kassner, Rudolf: Der indische Gedanke. Leipzig 1913 [Bin-

dung in weißem Pergament mit Goldaufdruck].Kassner 1900. Kassner, Rudolf: Die Mystik, die Künstler und das Leben. Über

englische Dichter und Maler im 19. Jahrhundert. Leipzig 1900.Rathenau 1917. Rathenau, Walther: Von kommenden Dingen. Berlin 1917.Spengler 1918. Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse ei-

ner Morphologie der Weltgeschichte. Bd. 1. München 1918.C. Vogl 1917. Vogl, Carl: Unsterblichkeit. Vom geheimen Leben der Seele und

der Überwindung des Todes. Dachau 1917.

b) Gedruckte Quellen

Allen 1977. Allen, Grant: Physiological Aesthetics. New York: Garland Pub-lishers 1977 (Nachdruck London 1877).

Andechs 1860. Andechs, Maria v. [d. i. Baronin v.Leinburg] (Hg.): Pandora. Einweltpoetisches Stammbuch. Leipzig 1860.

Anon. 1847. Anonymus (Hg.): Die politische Lyriker unserer Zeit. Ein Denk-mal mit Portraits und kurzen historischen Charakteristiken. Leipzig: Ver-lagsbureau (Arnold Ruge) 1847.

Anon. 1857. Das Mädchen aus der Fremde. Album aus des Auslands Dichter-garten. Sondershausen 1857.

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Arnim 1912. Arnim, Ludwig Achim v.: Ariel’s Offenbarungen, hg. v. Jacob Mi-nor. Weimar 1912 (Neudruck 1. Aufl. Göttingen 1804).

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IX. Namenregister 463

IX. Namenregister

Das Register enthält die Namen lebender Personen des Untersuchungszeitraums sowiedie Namen der historischen Personen, auf die sie sich beziehen.

Abernethy, John 320Akenside, Mark 211Albert-Lasard, Lou 365Allegri, Antonio siehe CorreggioAman, Elisabeth 374Andreas-Salomé, Lou 339, 345, 374,

377Anonymus (Vergil-Kommentator) 34Arent, Wilhelm 278, 281–284, 288Ariost, Lodovico 38Arndt, Ernst Moritz 206Arnim, Bettina v. 55Arnim, Ludwig Achim v. 29 f.,

55–104, 115, 122, 141, 280f., 382,385, 389

Arouet, François Marie siehe VoltaireAuerbach, Berthold 194, 199–201Avenarius, Richard 331Bachofen, Johann Jakob 345, 361Bailey, Benjamin 317 f.Balzac, Honoré de 143Banner, Adolf siehe BuchheimBarret Browning, Elisabeth 229, 293,

373Barthel, G. Emil 231Baskerville, Alfred 113Batsch, August Johann Georg Carl

251Baudelaire, Charles 21, 143, 230 f.,

295, 336Bauer, Bruno 272Bauer, Ludwig 111, 147Baumgarten, Alexander Gottlieb 394Baur, Ferdinand Christian 107Beaulieu-Marconnay, Edmund 293Beckmann, Mathilde Josephine Katha-

rine 244

Beethoven, Ludwig van 228Bembo, Pietro 97Bentham, Jeremy 328Béranger, Jean-Pierre de 231 f.Beresford, B.[…] 113Bergson, Henri 326, 330, 332Bernard, Thalès 231Bernays, Adolph 113, 204Bernus, Alexander v. 302 f., 305Bertuch, Friedrich Justus 251Bethge, Hans 26Betz, Louis-Paul 199Beyer, Konrad 17, 394Bierbaum, Otto Julius 277, 284–286,

386Biese, Alfred 331Bismarck, Otto v. 134, 200Blake, William 292 f., 359Bleibtreu, Carl 281, 283Blüher, Hans 364Blumenbach, Johann Friedrich 317Bodmer, Johann Jacob 198Böhme, Jacob 107, 112Bölsche, Wilhelm 331Boileau-Despréaux, Nicolas 319Boisserée, Sulpiz 182Bonifatius 87Bonstetten, Karl Viktor v. 57Borchardt, Rudolf 292Borinski, Karl 17 f., 287, 387, 395Borutin, Sidonie Nádherny v. 296, 304Bosch, Rudolf 395Bouterwek, Friedrich 203Brachmann, Louise 257 f.Brandes, Georg 194, 198 f., 232, 313,

319Breitinger, Johann Jacob 198

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IX. Namenregister464

Bremer, Johann Peter 97Brentano, Clemens 56, 74–76, 92,

100 f., 141Brizeux, Auguste 231Brockes, Barthold Heinrich 144, 148,

252 f.Broicher, Daisy 113Brooks, Charles T. 113Browning, Robert 229, 292 f.Bruchmann, Karl 331Bruckmann, Elsa 362Bruckmann, Hugo 362Brueghel, Jan d. Ä. 59, 79–83Buchheim, Karl Adolph (Pseudonym

Adolf Banner) 113, 204Büchler, Karl 331Bünau, Henriette v. 244Bürger, Gottfried August 31Burke, Edmund 329Burne-Jones, Edward 292 f., 309Burns, Robert 211Burt, Mary Anne 113Butler, W.[...] A. 210, 212Byron, George Gordon Noël Lord

191 f., 210–212, 215, 228, 292Calzabigi, Raniero de’ 36Camões, Louis 58, 60, 67 f., 85, 270Campbell, Thomas 211Carlyle, Thomas 182, 203Carmichael, Gershom 321Carracci, Agostino 59, 71Carracci, Antonio 58, 63–65Carriere, Moriz 3, 17 f., 155, 387Celtis, Konrad 16Cervantes Saavedra, Miguel de 191Chamisso, Adalbert v. 206, 231 f.Châteaubriand, François René Augu-

ste Vicomte de 370Chaucer, Geoffrey 218Cleopatra 36Coleridge, Samuel Taylor 205, 211,

308 f.Colvin, Sidney 298Conradi, Hermann 278–283, 288Cooper, Anthony Ashley siehe Shaf-

tesburyCooper, Sir Astley Parson 316 f.Corneille, Pierre 177

Cornwall, Barry (Bryan W. Procter)210, 212, 294

Correggio (Antonio Allegri) 59, 62,68, 72–78, 82

Coypel, Charles Antoine 69Crabb Robinson, Henry 203, 315Da Vinci, Leonardo 374Dahn, Felix 267, 288Dante Alighieri 68, 143Daumer, G.[…] F. 193Denham, Sir John 211Derleth, Ludwig 362Dessoir, Max 331Dickens, Charles 143Dieckhoff, Bernhard 395Diest, Heinrich 114Dilthey, Wilhelm 394Domenichino 59, 68Dostojewski, Fjodor 143Dowson, Ernest 292 f.Dr. Mises siehe FechnerDroste-Hülshoff, Annette 241–261,

271, 382, 385–387, 391Dryden, John 211Du Prel, Carl 330 f.Düringsfeld, Ida v. (Pseudonym The-

kla) 247, 259Eichendorff, Joseph v. 21, 143, 206,

255Eliot, George (Mary Anne Evans) 205Eliot, Thomas Stearns 142, 371Elliott, Ebenezer 211Elze, Karl 213Emerson, Ralph Waldo 210, 345Engel, Eduard 206Engels, Friedrich 204Ettlinger, Karl (Pseudonym Karl-

chen) 382 f.Etzel, Gisela 299 f., 302 f., 305Euripides 44Evans, Mary Anne siehe George EliotFaucci, Carlo 68Fechner, Gustav Theodor (Pseudonym

Dr. Mises) 155–157, 159, 191, 328f.,360, 394

Feuerbach, Ludwig 134, 205, 271–273Fichte, Johann Gottlieb 27, 50 f.Fischer, Th.[…] A. 214

Page 479: Pott, Sandra - Poetiken

IX. Namenregister 465

Flaischlen, Cäsar 262 f., 277, 288–290,394

Fontane, Theodor 275, 280Frazer, Sir James George 360Freiligrath, Ferdinand 12, 205–224,

226 f., 231 f., 240 f., 244, 268, 274,293 f., 305, 382

Freiligrath, Käthe 229Freytag, Gustav 362Friedrich I. 148Frimmel, Th.[…] v. 63, 68Frischlin, Nicodemus 147Füger, Heinrich Friedrich 59, 72Fyfe, Andrew 317Gall, Franz Joseph 87Galletly, H. Campbell 113Gaudy, Franz Freiherr 231Gautier, Théophile 319Geibel, Emanuel 21, 204, 206, 213,

220 f., 227–229, 233 f., 237, 263 f.,268, 278

Genovese, Prete (Bernardo Strozzi)58, 65 f.

George, Sophie 258George, Stefan 22, 142 f., 264, 288,

291–293, 346, 362Gervinus, Georg Gottfried 170, 175Ghezzi, Giuseppe 79Gide, André 302 f., 306, 312, 314, 341,

353, 370, 372Glover, Richard 38Gluck, Christoph Willibald 36 f.Goethe, Johann Wolfgang v. 16 f.,

107 f., 112, 137, 141, 143, 150–152,154 f., 159, 163, 178, 180–184,189–192, 199, 203, 307, 385, 390

Gok, Johanna Christiana (Mutter Höl-derlins) 54

Gok, Karl (Bruder Hölderlins)Goll, Claire siehe Studer-GollGoll, Iwan 372, 377 f.Gonzaga, Frederico 72Gothein, Eberhard 299Gothein, Marie Luise 298–300, 302,

305Gottschall, Rudolf 3, 21, 287Gottsched, Johann Christoph 97Grätsch, J.[…] 59, 71 f.

Gray, Thomas 211Grimm, Jacob 120Grimm, Wilhelm 120Grotius, Hugo 323Grün, Anastasius 18, 113Grüning, H.[…] 228Gumplowicz, Ludwig 391Gundlach, Fitz 238Gundolf, Elisabeth 334, 375, 380Gundolf, Friedrich 108, 142–145, 299,

326Hallam, Arthur 295Hahn-Hahn, Ida Gräfin 242, 258Halévy, Léon 177, 230 f., 233–240Haller, Albrecht v. 316 f.Hamsun, Knut 143Harbou, Sophie v. 224 f., 227Hardenberg, Friedrich v. siehe Nova-

lisHart, Heinrich 21 f., 263, 278Hart, Julius 21 f., 263, 278, 394Hartley, David 322Hartmann, Moritz 231Hasenclever, Sophie 231Hatfield, James Taft 113Hauffe, Friederike 359Hausenstein, Wilhelm 355Hazlitt, William 294, 314–316, 320–329Hebbel, Christian Friedrich 254Hederich, Benjamin 31, 92Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 16,

19, 28, 42, 105–107, 109 f., 112, 120,124, 126–128, 151, 158–164,166–168, 171, 174, 196f., 204 f., 214,229, 272, 274, 285, 388–390, 392

Heine, Heinrich 3, 21, 188 f., 196, 198Hemans, Felicia 212Henckell, Karl 233, 278–283, 288Herbart, Johann Friedrich 170, 394Herbert, M.[…] 247Herder, Johann Gottfried 178–181,

184, 188, 199, 201, 204Hertzberg, Wilhelm Adolf Boguslaw

217–219, 221, 223, 226Herwegh, Georg 232, 268, 382Hettner, Hermann 276Heyse, Paul 156, 198, 221, 233, 268,

330

Page 480: Pott, Sandra - Poetiken

IX. Namenregister466

Hildegard v. Bingen 247Hobbes, Thomas 322, 325Hölderlin, Friedrich 28 f., 42–55,

95–97, 99, 103f., 114 f., 128, 143,293, 300, 382, 385

Hoffinger, Josepha v. 259Hoffmann von Fallersleben, Heinrich

173–175, 184, 187 f., 195, 197, 200,206

Hofmannsthal, Hugo v. 22, 264, 291,308, 326

Hogarth, William 196, 329Holbein, Hans 377Holmström, Tora Vega 339 f.Holz, Arno 22, 277 f., 282 f., 288, 384,

394Homer 40, 143Hoods, Thomas 211Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 11,

31, 62, 130, 234f.Hotho, Heinrich Gustav 105 f., 120,

158 f., 163, 171Hugo, Victor 199, 231 f., 238Hulewicz, Witold 338Humboldt, Wilhelm v. 108Hume, David 314, 320–323, 327 f.,

331, 360Hunt, Leigh 211 f., 293 f., 318Hunt, William Holman 298Hunter, John 320Hutcheson, Francis 321 f., 329Hutten, Ulrich v. 148Iffland, August Wilhelm 203Immermann, Karl 147Iselin, Isaak 270Jaenichen-Woermann, Hedwig 365James, William 357, 360Jean Paul (Jean Paul Friedrich Rich-

ter) 22, 149, 188, 191, 252f., 389Johnson, Ben 208–212Jung, Frieda 258 f.Kant, Immanuel 27, 170, 394Kappus, Franz Xaver 366, 369Karl V., Kaiser 72Karlchen siehe EttlingerKassner, Rudolf 292 f., 295, 306–314,

331 f., 344, 351–356, 370, 378Keats, George 297

Keats, John 199, 211 f., 215, 240,291–320, 323–332, 341, 353, 355,370, 379, 385

Kegel, Max 223Keller, Gottfried 21, 143, 261, 264f.,

267–277, 280, 382 f., 387, 391, 393Kempner, Friedrike 260Kerner, Justinus 18, 110–120, 124,

126, 128, 131–133, 135, 141, 147, 156,184, 206, 267–272, 275–277, 288,344, 359 f., 382, 385–387

Keyserling, Hermann Graf 344,356–359, 361, 364, 366, 368, 370, 379

Kiniger, Vincenz Georg 72Kinkel, Gottfried 204Kippenberg, Katharina 337, 366Klages, Ludwig 362 f.Klee, Paul 355Kleinpaul, Ernst 17Kleukens, Friedrich Wilhelm 299Klinger, Friedrich Maximilian 307Klopstock, Friedrich Gottlieb 15, 28,

38, 40, 112, 148, 161, 198, 209Klossowska, Baladine 335Knoop, Gertrud Ouckama 373, 375Koch, Max 199Körner, Theodor 204, 206, 212, 234,

254Köstlin, Reinhold 139Kotzebue, August v. 76, 89, 203La Rochefoucauld, François de 322Labé, Louise 373Lachmann, Karl 123Lafontaine, August 76, 203Lamartine, Alphonse de 231 f., 238Landon, Letitia Elizabeth 211Landor, Walter Savage 292Laun, Adolf 280Lavater, Johann Caspar 88Lechter, Melchior 379Lee, Vernon (Violet Paget) 329Leibniz, Gottfried Wilhelm 24Lenau, Nicolaus 204Lesser, Friedrich Christian 252Lessing, Gotthold Ephraim 189, 199,

234Leunis, Johannes 251 f.Leuthold, Heinrich 230, 233–240

Page 481: Pott, Sandra - Poetiken

IX. Namenregister 467

Lichnowsky, Mechtilde 366 f., 370,379

Liliencron, Detlev v. 284Lindemann, Wilhelm 259Linke, Oscar 102, 280 f., 283Lipps, Theodor 295, 325–327,

329–331Lipsius, Justus 83Litzmann, Berthold 286Longfellow, Henry Wardsworth

210–212Lotze, Rudolf Hermann 325 f., 329 f.Ludwig, Otto 267Lukian von Samosata 97–100, 102Luther, Martin 88, 206, 300Mac Donald, George 113Mach, Ernst 295, 326, 331f., 360, 384Mackay, Charles 229Mackenzie, Henri 203Macpherson, James 57Madeleine, Marie 247Märklin, Christian 148Maeterlinck, Maurice 365, 371Mallarmé, Stéphane 230, 295, 336,

371, 373 f.Mandeville, Bernard de 322Mangan, James Clarence 113Manzoni, Alessandro 143Maratta, Carlo 59, 79Marc, Franz 375Marcus Antonius 36Martin, Nicolas 231, 234Marx, Karl 204, 263, 272Maximilian II. 234, 237Mellich, J.[…] L. 113Meltzl von Lomnitz, Hugo 199Mendelssohn-Bartholdy, Felix 206,

228Menzel, Wolfgang 115–117Mereau, Sophie 90Meyer, Conrad Ferdinand 21, 133,

264, 278Meyer, Richard Moritz 277Meyer, Theodor A. 395Michelangelo Buonarroti 62Mieris, Franz d. J. 58, 67Millais, Sir John Everett 298Milnes, Richard Monckton 291, 298 f.

Milton, John 38, 40, 211Minor, Jacob 63, 88Mörike, August 130, 132Mörike, Eduard 107–112, 117, 119,

124, 128–147, 156 f., 159, 164,169–172, 185, 204, 244, 267f., 274,276, 330, 383, 386f., 390, 392

Moltke, Helmuth v. 135Monteverdi, Claudio 35Moos, Xaver v. 339, 341, 374Moritz, Karl Philipp 394Morris, William 292 f., 299Mozart, Johann Amadeus 89Mühl, Dory Von der 338, 341Mühlenfels, Ludwig v. 203Müller, Wilhelm 155, 206Müller-Freienfels, Richard 331Mundt, Theodor 170, 194–198Musil, Robert 349Musset, Alfred de 231–233Niethammer, Friedrich Immanuel 108Nietzsche, Friedrich 19, 143, 171, 198,

343, 351, 379Nitschmann, Heinrich 230, 237–240Novalis (Friedrich v. Hardenberg)

27–42, 56, 93 f., 103, 149, 288, 380,382, 386, 389

Opitz, Martin 209Oppen, Edward A. 113Ovid (Publius Ovidius Naso) 40, 335,

342, 380Paget, Violet siehe LeePaoli, Betty 243Pater, Walter 309Pesme, François Louis de (Seigneur de

Saint-Saphorin) 79Pfeiffer, Richard 382 f.Pichler, Johann Peter 68 f.Pindaros 95–97, 99, 151, 161f., 188Platen-Hallermünde, August Graf v.

133, 204, 263, 278Platon 24, 188Pope, Alexander 143, 234Pound, Ezra 371Prinzhorn, Wilhelmine 217, 224,

226 f., 240Procter, Bryan W. siehe CornwallPseudo-Longin 49

Page 482: Pott, Sandra - Poetiken

IX. Namenregister468

Racine, Jean 143, 177Raffaelo Santi 62, 172Rathenau, Walther 344, 346–350, 355,

372, 376Reboul de Nimes, Jean 231Reimarus, Hermann Samuel 148Reventlow, Franziska Gräfin zu 362Reynolds, John Hamilton 294, 318Richter, Jean Paul Friedrich siehe Jean

PaulRilke, Clara 362Rilke, Rainer Maria VI, 20, 240, 264,

291, 294–306, 309 f., 312, 314, 326,330–380, 382, 384, 386f.

Rimbaud, Arthur 230Ringseis, Emilie 259 f.Rodin, Auguste 379Rogers, Samuel 211 f.Rosa, Joseph 63 f., 67, 71, 73, 77Roscommon 213Rosenkranz, Karl 170Rossetti, Christina 229Rossetti, Dante Gabriel 292 f., 309Rossetti, William Michael 298Rousseau, Jean-Jacques 360Rubens, Peter Paul 79–83Rudolph II., Kaiser 73, 77Rückert, Friedrich 156, 183–188,

192 f., 386 f.Rüdiger, Elise 245Rugard, M.[…] 217, 222, 224 f., 240Ruge, Arnold 119, 272Sänger, Eduard 299Saint-René Taillandier, M.[…] 206Saint-Saphorin, Seigneur siehe PesmeSand, George 172Sappho 247Savery, Roelant 80Schack, Adolf Friedrich Graf v. 221,

293Schiller, Friedrich 15, 24, 41, 49, 108,

113, 137, 143, 152f., 155, 162, 164,189, 204, 211 f., 234

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph28, 42, 46, 112

Schenkendorf, Max v. 206Scherer, Wilhelm 394Scherr, Johannes 192 f., 200 f.

Schlegel, August Wilhelm 26, 42, 61,75 f., 90, 147, 150, 153–155, 175, 204,323

Schlegel, Friedrich 15, 22–27, 42, 61 f.,75, 82, 90, 95, 103, 109–111, 113, 129,148, 150–153, 155, 174, 191, 195f.,201, 209, 386, 389, 397

Schleiermacher, Friedrich 203Schlitz, Caroline Gräfin 70Schönermark, Werner 208, 231, 233 f.,

237Schröder, Rudolf Alexander 299Schubert, Franz 206Schücking, Levin 245Schuler, Alfred 344–346, 350,

361–370, 372, 377, 379Schumann, Robert 206Schwab, Gustav 111, 206Scott, Walter 211, 218, 234Seeliger, H.[...] J.D.A. 208, 213, 217,

219–222, 224–227, 240Severn, Joseph 296, 300–303Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper,

third Earl of 321Shakespeare, William 56, 91, 143,

208 f., 308 f., 324Shelley, Percy Bysshe 210, 215, 292Simmel, Georg 396Sinclair, Isaak v. 54Sizzo, Margot 369Smith, Adam 314, 321 f., 325, 327Smith, Alexander 210Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 170,

204Southey, Robert 211 f.Spengler, Oswald 343–346, 367, 370,

379Spinoza, Baruch de 28 f., 300Spitzer, Hugo 394Staël, Germaine de 191 f.Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu

34 f.Stolterfoth, Adelheid v. 242, 258Storm, Theodor 21, 264, 278, 383, 393Strauß, David Friedrich 107, 109–112,

115, 117–119, 125, 128, 134–136, 138–158, 164, 170–172, 185, 205, 267, 269,272–274, 276, 343, 383, 386f.

Page 483: Pott, Sandra - Poetiken

IX. Namenregister 469

Streckfuß, Karl 181Striggio, Alessandro 35Strodtmann, Adolf 198 f., 204, 214 f.,

222–224, 226, 233, 319Strozzi, Bernardo siehe GenoveseStuck, Franz v. 379Studer-Goll, Claire 339 f., 377 f.Sturm, August 231Sulzer, Johann Georg 136, 166Swinburne, Algernon Charles 229,

292 f.Tasso, Torquato 38Taylor, William 203Tennyson, Alfred Lord 206, 210,

214–230, 293, 295, 309, 387Tennyson, Hallam 218Thekla siehe DüringsfeldTieck, Ludwig 110, 129, 148, 150, 153,

174, 190 f., 201Titchener, Edward Bradford 327Tiziano Vecelli 62Tolstoj, Lev Nikolaevic Graf 143Triller, Daniel Wilhelm 144, 252Tyard, Pontus de 97Uffenbach, Zacharias Conrad v. 80Uhland, Ludwig 110–113, 117–128,

133, 137, 141 f., 156, 159, 163f., 167,171, 184, 189, 197, 204, 206, 210,212, 264, 382, 387, 392

Urbas, Otto v. 208, 231Valéry, Paul 230, 295, 336, 371–377van der Voort, Pieter de la Court 80Vergil (Publius Vergilius Maro)

31–40, 382, 389Verhaeren, Emil 300Verlaine, Paul 230Verwey, Albert 362Verweyen, Johannes M. 391Viehoff, Heinrich 330 f.Vischer, Friedrich Theodor 3,

107–112, 117, 119, 124–126,133–148, 154 f., 157–159, 163–172,185, 189, 196 f., 267, 274, 276, 329,

343, 383, 387 f., 392Vischer, Robert 159, 329Vogeler, Heinrich 365Vogl, Carl 344, 356, 359–361, 365, 370,

379Vollheim, Karl 222 f., 240Voltaire (François Marie Arouet) 143,

148Voß, Johann Heinrich 37Vulpinus, Theodor 230, 238–240Wackernagel, Wilhelm 393Wagner, Richard 300Waiblinger, Wilhelm 111, 114 f., 128Walther von der Vogelweide 123, 212Waser, Johann Heinrich 97Webb, Cornelius 294Weiniger, Otto 364Wenzel, Peter 81Werner, Richard Maria 330 f.Wetz, Wilhelm 199Whitman, Walt 345Wieland, Christoph Martin 24, 31, 56,

87, 91, 97–100, 102 f.Wienbarg, Ludolf 150, 183 f., 188–194,

197, 280Willdenow, Carl. L. 256Wolf-Grütter, Leo 395Wolff, Christian 24Wolff, Eugen 18, 113Wolff, Oskar Ludwig Bernhard 213Wolfskehl, Karl 362Woodhouse, Richard 307Wordsworth, William 208–211Worringer, Wilhelm 330, 375Wundt, Wilhelm 295, 325–327, 330Zampieri, Domenico siehe Domeni-

chinoZapp, August 229Zelter, Carl Friedrich 182Zimmermann, Robert 170Zimmermann, Rudolf 368Zoozmann, Richard 113Zur Linde, Otto 277, 284

Page 484: Pott, Sandra - Poetiken

de Gruyter Literaturw

issenschaft

■ Mimesis - Repräsentation - ImaginationLiteraturtheoretische Positionen von Aristoteles bis zumEnde des 18. JahrhundertsHerausgegeben von Jörg Schönert und Ulrike Zeuch

2004. Ca. 384 Seiten. Gebunden.

ISBN 3-11-017758-7

Untersucht werden literaturtheoretische Positionen von der Antike bis 1800.

Vergessene historische Dimensionen werden freigelegt und Antworten auf die

Frage nach der Tragfähigkeit der Kategorie ,literarischer Text‘ (der Literatur im

engeren Sinn) gesucht. Der interdisziplinäre Zugang erlaubt es, ideenge-

schichtliche Kontexte in ihrer für die Literaturtheorie bestimmenden

Bedeutung angemessen zu berücksichtigen. Besondere Aufmerksamkeit erhält

dabei der Zeitraum zwischen Früher Neuzeit und 1800.

Aus dem InhaltJ. Schönert/U. Zeuch: Einleitung · S. Büttner: Zur Dichtungstheorie Platons ·

A. Schmitt: Das Verhältnis von Logik und Poetik als Teil des aristotelischen

Organon in den Poetik-Kommentaren des Mittelalters · W. Freytag: Deskrip-

tionslehre der hochmittelalterlichen Poetiken im Kontext der ‚artes‘ · G. Eifler:Der Nibelunge nôt. Was heißt: Authentische Dichtung als Sagenstoff? ·

B. Kappl: Deutung und Umformung zentraler Begriffe der Aristotelischen

Poetik, vor allem des Mimesisbegriffs, in der Literaturtheorie des Cinquecento ·

R. Stillers: Literaturbegriff und Bildhaftigkeit in der frühen italienischen

Renaissance · K. Münchberg: Probleme ästhetischer Immanenz bei Tasso ·

U. Zeuch: Was ist Literatur? Aporien in der Literaturtheorie seit der frühen

Neuzeit · J. Leonhardt: Zur Diskussion um die Literatursprache im interkultu-

rellen Vergleich: Rom der Antike, Renaissance und 18. Jahrhundert · R. Leon-hardt: McDonalds ist einfach gut: Der neuzeitliche Niedergang klassischen

beatitudo-Verständnisses – und seine aktuelle Unverzichtbarkeit · G. Gabriel:Der Begriff der Fiktion. Zur systematischen Bedeutung der Dichtungstheorie

der Aufklärung · F. Uehlein: „Chartae Socraticae“. Lord Shaftesburys Literatur-

theorie · L. Danneberg: Ganzheitsvorstellungen und Zerstückelungsphantasien –

zur Wahrnehmung ästhetischer Eigenschaften an Texten in der zweiten Hälfte

des 18. Jahrhunderts · M. Moog-Grünewald: Was ist Dichtung?

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