praxishandbuch insolvenz und arbeitsrecht - beck …€¦ · praxishandbuch insolvenz und...

13
Praxishandbuch Insolvenz und Arbeitsrecht von Bettina Nunner-Krautgasser, Gert-Peter Reissner 1. Auflage 2012 Praxishandbuch Insolvenz und Arbeitsrecht – Nunner-Krautgasser / Reissner schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Linde Verlag Wien 2012 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 7073 1394 9 Inhaltsverzeichnis: Praxishandbuch Insolvenz und Arbeitsrecht – Nunner-Krautgasser / Reissner

Upload: doanminh

Post on 18-Sep-2018

550 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Praxishandbuch Insolvenz und Arbeitsrecht

vonBettina Nunner-Krautgasser, Gert-Peter Reissner

1. Auflage 2012

Praxishandbuch Insolvenz und Arbeitsrecht – Nunner-Krautgasser / Reissner

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

Linde Verlag Wien 2012

Verlag C.H. Beck im Internet:www.beck.de

ISBN 978 3 7073 1394 9

Inhaltsverzeichnis: Praxishandbuch Insolvenz und Arbeitsrecht – Nunner-Krautgasser / Reissner

21

Allgemeines zum Insolvenzrecht: Grundlagen, Verfahrensarten, Schicksal des Schuldnerunternehmens

und Rechtsdurchsetzung

Bettina Nunner-Krautgasser

1. Grundlagen1.1. Begriff

Das Insolvenzrecht regelt eine Sondersituation, die dadurch charakterisiert ist,dass ein Schuldner die vermögensrechtlichen Ansprüche seiner Gläubiger nichtmehr vollständig erfüllen kann.1 Es handelt sich also um ein Instrument der (ge-samtheitlichen) Verwirklichung der Vermögenshaftung unter Knappheits-bedingungen;2 dementsprechend ist das Insolvenzrecht inhaltlich und funktionellals Haftungsrecht angelegt.3 Die Insolvenzgesetze sind normative Haftungs-ordnungen.

1.2. Zentrale Funktionen des Insolvenzrechts

1.2.1. FriedensfunktionDie „Urfunktion“ des Insolvenzrechts liegt in der Vermeidung von Konfliktenzwischen den betroffenen Gläubigern und damit in der Erhaltung des sozialenFriedens:4 Daher wird die normalerweise „individualistisch“ angelegte Rechts-durchsetzung im Insolvenzfall durch ein Modell kollektiver Rechtsverfolgungersetzt, das vor allem einen Wettlauf der Gläubiger um die bessere Priorität un-

1 Dazu ausführlich Nunner-Krautgasser, Schuld, Vermögenshaftung und Insolvenz (2007)205 ff.

2 Vgl etwa Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz (1999) 18;Ganter in Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg), Münchener Kommentar zur Insolvenzord-nung: InsO I2 (2007) Vor §§ 2 bis 10 Rz 5; Pape in Uhlenbruck (Hrsg), Insolvenzordnung13

(2010) § 1 Rz 1; vgl auch Dorndorf, Zur Dogmatik des Verfahrenszwecks in einem marktad-äquaten Insolvenzrecht, in FS Merz (1992) 31 (32 ff): Insolvenzverfahren als „Kollektiv-veranstaltung“ zur Haftungsverwirklichung.

3 In diesem Sinn insb Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts4 (2002) § 1 Rz 1 ff; ders, Euro-päisches internationales Insolvenzrecht (2002) Rz 1 f; ders, Strukturen der Insolvenzrechtein den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas, KTS 1998, 313; Häsemeyer, Insolvenzrecht4

(2007) Rz 1.11 ff; Dellinger/Oberhammer, Insolvenzrecht2 (2004) Rz 6 ff. Entsprechendesgilt sogar für das vom Gedanken des wirtschaftlichen Neubeginns („fresh start“) seit jeherungleich stärker als das kontinentaleuropäische Insolvenzrecht geprägte US-amerikanischeRecht; vgl Jackson, The Logic and Limits of Bankruptcy Law (1986) 3 ff.

4 Häsemeyer, Insolvenzrecht4 Rz 2.01 ff; Smid in Smid (Hrsg), Insolvenzordnung2 (2001) § 1Rz 34; ders, Grundzüge4 § 1 Rz 18 ff; Brehm, Der Bereicherungsanspruch im Insolvenzver-fahren – Gedanken zum Gleichbehandlungsgrundsatz, in FS Jelinek (2002) 15 (26).

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 21 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Bettina Nunner-Krautgasser

22

terbindet und auf eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung (s unten 1.4.1.) ab-zielt.5

1.2.2. Haftungsverwirklichungsfunktion

Jedes Insolvenzrecht dient notwendigerweise der Durchsetzung der Gläubiger-rechte; insoweit bezweckt es die optimale Gläubigerbefriedigung durch Ver-wirklichung der Vermögenshaftung.6 Dass die Verteilung an die Insolvenzgläu-biger nach dem Paritätsprinzip (s unten 1.4.1.) durchwegs nicht zu einer vollstän-digen Befriedigung ihrer Ansprüche führt, ändert nichts an der grundsätzlichenHaftungsverwirklichungsfunktion des Insolvenzrechts.7

Befriedigung kraft Haftungsverwirklichung und Sanierung (s unten 1.2.3.)schließen einander keineswegs aus: Der Gedanke der Haftungsverwirklichungstellt auch in einem sanierungsfreundlichen Insolvenzrecht stets den funktionellenKern bzw den Ausgangspunkt der Regelungssystematik dar. „Haftungsverwirk-lichung“ ist nämlich nicht mit (zerschlagender) Verwertung und Verteilunggleichzusetzen, sondern bedeutet lediglich, dass der persönliche Haftungsfondseines Schuldners im Rahmen eines staatlichen, geordneten Verfahrens in Be-schlag genommen und in einer Weise behandelt wird, die den Verfahrenszielenbzw den im jeweiligen Verfahren zu berücksichtigenden Interessen entspricht.Wesentlich ist, dass die Gläubiger insoweit einen unmittelbaren (vom Schuldner-willen unabhängigen) Zugriff auf diesen Haftungsfonds haben.8 Als Mittel zurHaftungsverwirklichung kommt dabei keineswegs nur die Liquidation in Frage;vielmehr kann die Vermögenshaftung auch im Rahmen einer der verschiedenenSanierungsvarianten realisiert werden.9

1.2.3. Sanierungs- bzw Schuldbefreiungsfunktion

In der jüngeren Rechtsentwicklung hat die Sanierungsausrichtung des Insolven-zverfahrens zunehmend an Bedeutung gewonnen.10 Die Sanierung natürlicherPersonen wurde bereits durch die KO-Nov 1993 BGBl 1993/974 erleichtert, in-dem besondere Sanierungsinstrumente (Zahlungsplan, Abschöpfungsverfahren)eingeführt wurden.

Im Zusammenhang mit Unternehmerinsolvenzen ist zwischen der Sanierungdes Schuldners/Unternehmensträgers und der Sanierung des Unternehmenszu unterscheiden: So zielte etwa das IRÄG 1982 BGBl 1982/370 primär auf dieVerankerung der Erhaltung des Schuldnerunternehmens als eigenständiges Insol-

5 Ausführlich dazu Nunner-Krautgasser, Schuld 243 ff.6 Nunner-Krautgasser, Schuld 243 ff.7 Smid, Grundzüge § 1 Rz 12 spricht in diesem Zusammenhang von einer Befriedungsfunk-

tion (und nicht von einer Befriedigungsfunktion) des Insolvenzrechts.8 Nunner-Krautgasser, Schuld 243 ff und 293 f.9 Vgl auch Häsemeyer, Insolvenzrecht4 Rz 1.12.10 S dazu noch unten 3.

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 22 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Allgemeines zum Insolvenzrecht

23

venzziel ab;11 das IRÄG 1997 BGBl I 1997/114 hatte hingegen in erster Linie dieSanierung „würdiger“ Unternehmensträger im Auge.12 Das IRÄG 2010 BGBl I2010/29 hat wiederum (neben anderen Verbesserungen der Rahmenbedingungenfür Sanierungen) auch die Sanierung des Unternehmens erleichtert (vgl § 114b IOidF IRÄG 2010).

In einzelnen Insolvenzverfahren können beide Ziele parallel verfolgt werden;das ist insb dann der Fall, wenn ein vermögenserhaltender Sanierungsplan gem§§ 140 ff IO angestrebt wird. Das Insolvenzverfahren kann aber auch nur auf dieSanierung des Schuldners/Unternehmensträgers selbst angelegt sein (so insb imFall eines beabsichtigten Liquidationssanierungsplans bzw Verwertungsplans)oder nur die Sanierung des Unternehmens bezwecken (so insb im Fall einer sog„übertragenden Sanierung“,13 bei der das Schuldnerunternehmen auf einen neuen– bereits bestehenden oder erst zu schaffenden – Unternehmensträger transferiertwird).

1.2.4. Präventivfunktion

Ein effektives Insolvenzrecht übt auf die Akteure des Wirtschaftslebens diszipli-nierende Wirkung aus: Wenn es nämlich ein Insolvenzrisiko gibt, müssen sowohlSchuldner als auch Gläubiger bei der Begründung neuer Verbindlichkeiten vor-sichtiger sein. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt dabei auch die Stigmatisierung,die trotz des Vordringens des (aus dem US-amerikanischen Insolvenzrecht stam-menden) „Fresh-start“-Gedankens mit Insolvenzverfahren noch immer verbundenwird. Der größte Erfolg eines funktionierenden Insolvenzrechtssystems bestehtinsoweit darin, dass das Verfahren möglichst selten angewandt werden muss. DieInsolvenzstatistik steht dem keineswegs entgegen, denn auch das beste Insolvenz-recht kann das Phänomen „Insolvenz“ nicht völlig beseitigen, wohl aber sein Vor-kommen reduzieren.

1.3. Wesen des Insolvenzverfahrens

Das Insolvenzverfahren ist als Verfahren zur kollektiven Haftungsverwirklichung(ungeachtet seiner sanierungsfreundlichen Elemente) nach wie vor „General-exekution“ bzw „Gesamtvollstreckung“.14 Es ist gekennzeichnet durch einenunmittelbaren, gemeinschaftlichen Gläubigerzugriff auf das (pfändbare)Schuldnervermögen. Dass das Insolvenzverfahren als Mittel zur Haftungsver-wirklichung nicht nur die (zerschlagende) Verwertung und Verteilung, sondern

11 Vgl Nunner, Die Freigabe von Konkursvermögen (1998) 18.12 Konecny, 10 Jahre Insolvenz-Forum – 10 Jahre Insolvenzrechtsentwicklung, in Konecny

(Hrsg), Insolvenz-Forum 2003 (2004), 67 (81).13 Grundlegend zur „übertragenden Sanierung“ K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Un-

ternehmen (1990) 138 ff.14 Vgl Nunner-Krautgasser, Schuld 285 ff.

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 23 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Bettina Nunner-Krautgasser

24

auch Sanierungsvarianten kennt, ist insoweit unerheblich, denn gerade ein Ver-fahren zur kollektiven Rechtsverfolgung muss auch wirtschaftlich sinnvolleStrukturen zur Haftungsverwirklichung bereitstellen. Entscheidend ist vielmehr,dass der persönliche Haftungsfonds als Zweckvermögen in einem geordneten,staatlichen Verfahren ohne Rücksicht auf den Schuldnerwillen haftungs-rechtlich in Beschlag genommen wird.15

Der „Vollstreckungskern“ des Insolvenzverfahrens ist allerdings durch zahl-reiche andere Verfahrenselemente überlagert:16 Insb ist das Insolvenzverfah-ren (anders als das Exekutionsverfahren) nicht als Titelvollstreckungsverfahrenangelegt; vielmehr stellt es in der Form des Feststellungsverfahrens iSd §§ 102 ffIO auch ein funktionelles Äquivalent zu einem Erkenntnisverfahren bereit. Da-neben existieren auch andere Verfahrenselemente, die der Vielfalt der Insolvenz-ziele (insb im Zusammenhang mit der Sanierungsausrichtung) Rechnung tra-gen.

Insgesamt ist das Insolvenzverfahren daher als Sammelverfahren mit eigen-ständigem Charakter17 zu qualifizieren.

1.4. Zentrale insolvenzrechtliche Prinzipien

1.4.1. Paritätsprinzip

Eines der tragenden insolvenzrechtlichen Prinzipien ist der insolvenzrechtlicheGleichheitsgrundsatz, das Paritätsprinzip (Prinzip der par conditio credito-rum). Er hängt unmittelbar mit der Friedensfunktion des Insolvenzrechts (s oben1.2.1.) zusammen und besagt, dass Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahrennicht nach ihrem Zuvorkommen, sondern gleichmäßig (quotenmäßig) befrie-digt werden. Das entspricht dem Gedanken, dass die Insolvenzgläubiger zu einerHaftungs- bzw Risiko- und Verlustgemeinschaft18 zusammengefasst werden.Daher ist solchen Gläubigern auch die individuelle Rechtsverfolgung währendeines anhängigen Insolvenzverfahrens versagt (Prozess- und Exekutionssperre;§§ 6 ff IO).

Gelegentlich wird der zentrale Stellenwert des Paritätsprinzips in der Leh-re angezweifelt: ZT wird es als bloßes „Verlegenheitsprinzip“19 qualifiziert.Dem steht eine Ansicht gegenüber, die im Paritätsprinzip die insolvenzspezifi-sche Ausprägung der ausgleichenden Gerechtigkeit erblickt und eine wechsel-

15 Nunner-Krautgasser, Schuld 293.16 Nunner-Krautgasser, Schuld 297.17 So auch Konecny, Konkurs ist ein Konkurs ist ein Konkurs, in FS Rechberger (2005) 301

(311 ff).18 Vgl Nunner-Krautgasser, Schuld 272 mwN.19 So insb Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1950) 7;

ders, Gläubigerordnung und Wertverfolgung, JBl 1949, 29 (30); vgl auch Brehm in FS Je-linek 24 ff.

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 24 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Allgemeines zum Insolvenzrecht

25

seitige Ausgleichshaftung der Insolvenzgläubiger mit ihren Forderungen an-nimmt.20

Das Paritätsprinzip gilt seit dem IRÄG 1982 BGBl 1982/370 an sich für alleungesicherten Gläubiger gleichermaßen (sog „klassenlose Insolvenz“). Eine ge-wisse Ausnahme stellen vor allem die anlässlich des GIRÄG 2003 BGBl I 2003/92 ausdrücklich als nachrangig eingestuften Forderungen aus Eigenkapital erset-zenden Gesellschafterdarlehen gem § 57a IO dar.

Nicht dem Paritätsprinzip unterliegen die Ansprüche bevorrechteter Gläubi-gerkategorien; darunter fallen Aus- und Absonderungsansprüche sowie Massefor-derungen.

1.4.2. Prinzip der Geldliquidation

Als Recht zur Verwirklichung der Vermögenshaftung eines Schuldners ist das In-solvenzrecht notwendigerweise vermögensbezogen. Die Vermögensbezogenheitäußert sich insb im fundamentalen insolvenzrechtlichen Grundsatz der Geld-liquidation.21 Wer sich als Gläubiger in einem Insolvenzverfahren beteiligen will,kann das nur tun, wenn er Befriedigung in Geld verlangt (vgl insb §§ 14 Abs 1IO).22 Der Grundsatz der Geldliquidation hängt mit dem insolvenzrechtlichenGleichbehandlungsgrundsatz eng zusammen, zumal eine gemeinschaftliche Haf-tungsverwirklichung nach dem Paritätsprinzip die Vergleichbarkeit und anteiligeKürzbarkeit der Gläubigerrechte erfordert. Entgegen dem ersten Anschein ist dieGeldliquidation aber nicht die unmittelbare Folge des Paritätsprinzips,23 denn einegeordnete Haftungsabwicklung mit Friedensfunktion könnte durchaus ohne eineformale Gleichbehandlung der teilnehmenden Gläubiger erfolgen. Vielmehr istdie Geldliquidation die Konsequenz aus der historischen Funktion des Insolvenz-verfahrens als Instrument zur kollektiven Verwirklichung der (nur Geldleistungs-ansprüche untermauernden) Vermögenshaftung; sie wurzelt in der (auf demGrundsatz der condemnatio pecuniaria basierenden) Generalexekution des römi-schen Rechts.24 Damit im Einklang steht, dass der Grundsatz der Geldliquidationdas Insolvenzverfahren im Grund in jeder geschichtlichen Epoche und in jedemRechtskreis beherrscht hat,25 während der Gleichbehandlungsgrundsatz in ver-schiedenen historischen Epochen durchaus unterschiedlich schwer gewichtetwurde.

20 Häsemeyer, Die Gleichbehandlung der Konkursgläubiger, KTS 1982, 507; ders,Insolvenzrecht4 Rz 2.17 ff und 2.28 ff; vgl auch Smid, Grundzüge4 § 1 Rz 22.

21 Zum Grundsatz der Geldliquidation s Stürner in Kirchhof/Lwowski/Stürner, MünchKommInsO I2 Einleitung Rz 65 f.

22 Nunner, Rechtsfragen der Nachhaltigkeit konkursbedingter Forderungsveränderung, ÖJZ1998, 726 (728).

23 AA offenbar M. Roth, Individualleistung und Geldersatz im Rahmen der Interessenklage(1993) 162.

24 Nunner-Krautgasser, Schuld 270 ff.25 Nunner-Krautgasser, Schuld 270.

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 25 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Bettina Nunner-Krautgasser

26

1.4.3. Universalitätsprinzip

Anders als die Einzelexekution, die vom Grundsatz der Spezialität geprägt ist, er-fassen die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens grundsätzlich das gesamte derExekution unterworfene Schuldnervermögen („Sollmasse“). Dieses wird mitdem Eintritt der Wirkungen der Verfahrenseröffnung (§ 2 Abs 1 IO) vom Insol-venzbeschlag erfasst und damit den Gläubigern haftungsrechtlich zugewiesen.26

Nicht vom Insolvenzbeschlag erfasst ist nur das „an sich“ insolvenzfreie (un-pfändbare) Vermögen sowie Vermögen, das durch die zuständigen Insolvenzor-gane (etwa gem § 119 Abs 5 IO) aus der Insolvenzmasse ausgeschieden wurde.

Die Wirkungen eines österreichischen Insolvenzverfahrens erfassen grund-sätzlich auch Auslandsvermögen: Das gilt jedenfalls für ein in Österreich er-öffnetes Hauptinsolvenzverfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO;27

bloß territorial wirkt hingegen ein in Österreich eröffnetes Sekundär- bzwPartikularinsolvenzverfahren. Im österreichischen internationalen Insolvenz-recht ist der universelle Geltungsanspruch des österreichischen Insolvenzver-fahrens in § 237 Abs 1 IO verankert; seine Durchsetzung hängt freilich von derAnerkennung der österreichischen Insolvenzwirkungen durch den jeweiligenStaat ab.

2. Insolvenzrechtsreform 2010

2.1. Allgemeines

Am 1. 7. 2010 trat das Insolvenzrechtsänderungsgesetz (IRÄG) 201028 inKraft. Die damit verbundenen Änderungen der (seit 1914 bestehenden) Insolvenz-gesetze waren grundlegend und systemverändernd: Die Ausgleichsordnung(AO) wurde abgeschafft, die Konkursordnung (KO) reformiert und in „Insolvenz-ordnung (IO)“ umbenannt. Damit ersetzte Österreich das bisherige duale Systemvon Konkurs- und Ausgleichsverfahren durch ein flexibles Einheitsverfahren,das zur optimalen Haftungsverwirklichung sowohl das Mittel der Liquidation alsauch diverse Sanierungsvarianten zur Verfügung stellt. Auslöser für die Reformwar nicht zuletzt die berüchtigte Wirtschaftskrise, die einmal mehr vor Augenführte, dass das österreichische Insolvenzrecht zwar durchaus sanierungsfreund-lich war, hinsichtlich der Rahmenbedingungen für nachhaltige Sanierungen inder Insolvenz jedoch im internationalen Vergleich (insb gegenüber dem US-ame-rikanischen Insolvenzrecht, aber etwa auch gegenüber den Empfehlungen desUNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law) noch „nachhinkte“. Der Ge-

26 Näheres dazu s Henckel, Wert und Unwert juristischer Konstruktion im Konkursrecht, in FSWeber (1975) 237 ff; Nunner-Krautgasser, Schuld 308 ff.

27 VO (EG) 2000/1346 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren, ABl L 1.28 BGBl I 2010/29; ErlRV 612 BlgNR 24. GP, abgedruckt in Konecny (Hrsg), IRÄG 2010

(2010) 223 ff.

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 26 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Allgemeines zum Insolvenzrecht

27

setzgeber verfolgte daher mit der Reform das generelle Hauptziel, das Insolvenz-recht (abermals) sanierungsfreundlicher auszugestalten;29 das Hauptaugenmerkgalt dabei der Unternehmerinsolvenz. Begleitende Neuerungen betrafen ua termi-nologische Anpassungen zum Zweck der „Entstigmatisierung“ des Insolvenzver-fahrens, gewisse Änderungen im Eröffnungsverfahren, erhebliche Beschränkun-gen der Rechte von Vertragspartnern,30 Modifikationen der Rechtsposition vonAbsonderungsberechtigten31 sowie Veränderungen im Anfechtungsbereich.32

2.2. Überblick über die Reform

Zur Verbesserung der Sanierungschancen in der Insolvenz wurden mehrere Maß-nahmen gesetzt: Die wohl einschneidendste Veränderung besteht in der Beseiti-gung der tradierten Zweispurigkeit der Insolvenzverfahren (Konkurs undAusgleich) und ihrer Ersetzung durch ein flexibles Einheitsverfahren namensInsolvenzverfahren, das als Sanierungsverfahren oder als Konkursverfahren be-ginnen kann. Regelungstechnisch wurde das bewerkstelligt, indem einerseits dieAusgleichsordnung (AO) abgeschafft und andererseits die Konkursordnung (KO)massiv reformiert und durch das „Bundesgesetz über das Insolvenzverfahren“ersetzt wurde. Das Ausgleichsverfahren war in der jüngeren Vergangenheit (bisauf zT spektakuläre Einzelfälle) praktisch wenig relevant gewesen;33 vielmehrspielten sich gerichtliche Sanierungen durchwegs (mittels Zwangsausgleichs) imKonkursverfahren ab, das – aufgrund zahlreicher Novellen – ohnedies bereits zueiner Art Einheitsverfahren geworden war.34 Die Abschaffung des Ausgleichsver-fahrens war daher zweifellos sachgerecht. Das Rad wurde anlässlich der Reformfreilich nicht neu erfunden; vielmehr wurden besonders sanierungstaugliche Ele-mente des alten Ausgleichsverfahrens durchaus in das neue Verfahrenskonzeptübernommen. Dazu zählen vor allem der Schutz von Bestandverhältnissen gem§ 12c IO (vgl § 12a AO aF),35 die Unwirksamkeit von Auflösungs- und Rücktritts-

29 ErläutRV 612 BlgNR 24. GP 1.30 Vgl dazu Nunner-Krautgasser/Pateter, Die Neuregelungen über Verträge im österreichi-

schen Insolvenzrecht, ZInsO 2011, 2068; Widhalm-Budak, Verhinderung der Vertragsauf-lösung und unwirksame Vereinbarungen, in Konecny (Hrsg), IRÄG 2010 (2010) 23.

31 Vgl dazu Reckenzaun, Neues bei Aus- und Absonderungsrechten, in Konecny (Hrsg), IRÄG2010 (2010) 95.

32 Vgl dazu König, Änderungen im Anfechtungsrecht, in Konecny (Hrsg), IRÄG 2010 (2010)79.

33 Im Jahr 2009 wurden von 6.902 Insolvenzen nur 39 als Ausgleichsverfahren abgewickelt;Zotter, Insolvenzstatistik 2009 für Österreich, ZIK 2010, 18 (19). Vereinzelt wurde aller-dings auch eine Aufwertung des Ausgleichsverfahrens vorgeschlagen; so Hochegger, Vor-schläge zur Reform des Ausgleichsverfahrens, ZIK 2005, 49.

34 Konecny, Das Verfahrensgebäude der Insolvenzordnung, in Konecny (Hrsg), IRÄG 2010(2010) 20; vgl auch Nunner-Krautgasser, Schuld 229 ff.

35 S dazu Konecny/Nunner-Krautgasser, Neuerungen bei Bestandverträgen durch das IRÄG2010, in Konecny (Hrsg), IRÄG 2010 (2010) 39 (46 ff).

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 27 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Bettina Nunner-Krautgasser

28

klauseln für den Insolvenzfall gem § 25b Abs 2 IO (vgl § 20e Abs 2 AO aF)36 so-wie die Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Verwalters bei unternehmerischtätigen Schuldnern (§§ 169 ff IO) im neuen Sanierungsverfahren.37

Die nunmehrige Verfahrensstruktur sieht im Überblick folgendermaßenaus: Ein nach dem 1. 7. 2010 eröffnetes Insolvenzverfahren38 kann – sofern der In-solvenzschuldner Unternehmer bzw juristische Person, Personengesellschaft oderVerlassenschaft ist – entweder als Sanierungsverfahren gem §§ 166 ff IO oderals Konkursverfahren ablaufen. Dabei handelt es sich jedoch um keine eigen-ständigen Verfahrensarten, sondern bloß um unterschiedliche Abläufe eines ein-heitlichen Insolvenzverfahrens.39 Diese (va in der Eingangsphase) differenziertausgestalteten Abwicklungstypen sind nicht zuletzt deshalb erforderlich, weil (oftauf Liquidation hinauslaufende) Konkursverfahren potentiell „ewig“ lang dauernkönnen, der Gesetzgeber des IRÄG 2010 aber insb rasche Sanierungen fördernwollte.40

Voraussetzung für die Eröffnung eines Sanierungsverfahrens ist, dass derSchuldner selbst die Verfahrenseröffnung beantragt und noch vor der Eröffnungeinen zulässigen Sanierungsplan41 vorlegt (§ 167 Abs 1 IO). Der Sanierungsplanist der Nachfolger des Zwangsausgleichs, der sich bereits in der Vergangenheit als(nicht zuletzt im internationalen Vergleich) sehr erfolgreiches Sanierungsins-trument etabliert hatte.42 Grundsätzlich wird gem § 80 Abs 1 IO auch im Sanie-rungsverfahren ein Masseverwalter bestellt. Unter bestimmten, in § 169 IO nor-mierten Voraussetzungen steht dem Schuldner im Sanierungsverfahren allerdingsdie Verwaltung der Insolvenzmasse zu;43 das Verfahren wird dann als Sanie-rungsverfahren mit Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Verwalters be-zeichnet (§§ 169 ff IO). Auch dabei handelt es sich nicht um ein eigenständigesVerfahren, sondern lediglich um eine Sonderform des Abwicklungstyps „Sanie-rungsverfahren“.44 Das Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung unter Aufsichteines Verwalters ist rechtspolitisch besonders interessant, weil es als funktionellerNachfolger des abgeschafften Ausgleichsverfahrens konzipiert ist. Überzogen istallerdings die (gelegentlich vorgebrachte) Behauptung, das Ausgleichsverfahren

36 Ausführlich Widhalm-Budak, Verhinderung der Vertragsauflösung 29 ff; Nunner-Kraut-gasser, IRÄG 2010: Insolvenzverfahren und Vertragsauflösungssperre, in Konecny (Hrsg),Insolvenz-Forum 2009 (2010) 81 (100 f).

37 Näheres bei Riel, Die Eigenverwaltung gem §§ 169 ff IO, in Konecny (Hrsg), IRÄG 2010(2010) 131.

38 Zu den Neuerungen im Insolvenzeröffnungsverfahren s unten 6.2.39 Konecny, Verfahrensgebäude 2.40 Konecny, Verfahrensgebäude 2.41 Dazu Mohr, Der Sanierungsplan, in Konecny (Hrsg), IRÄG 2010 (2010) 117.42 Vgl dazu Klikovits, Der Zwangsausgleich – eine österreichische Erfolgsstory, ZIK 2004, 12.43 Bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen hat der Schuldner einen Rechtsanspruch

auf Eigenverwaltung; Riel, Eigenverwaltung 136.44 Konecny, Verfahrensgebäude 6 f.

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 28 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Allgemeines zum Insolvenzrecht

29

lebe im einheitlichen Insolvenzverfahren in Gestalt des neuen Sanierungsverfah-rens mit Eigenverwaltung regelrecht fort: Zum einen wurden – wie erwähnt – nureinzelne Bestimmungen des alten Ausgleichsverfahrens in das neue Verfahren-skonzept übernommen; lediglich insoweit kann (und muss) bei der Interpretationder neuen Regelungen der IO auch auf Judikatur zur AO zurückgegriffen wer-den.45 Und zum anderen orientiert sich das neue Insolvenzverfahren – mithin auchdas Sanierungsverfahren – generell an den Bestimmungen für Konkursverfahren.Das erkennt man insb daran, dass es auch im neuen Sanierungsverfahren (andersals früher im Ausgleichverfahren) eine (nach hA rechtsfähige46) Insolvenzmasse,neben einer Vollstreckungssperre auch eine Sperre von Zivilprozessen undAußerstreitverfahren, eine insolvenzspezifische Anfechtung sowie eine Berichts-tagsatzung und ein Feststellungsverfahren gem §§ 102 ff IO samt Prüfungstag-satzung gibt.

Liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Sanierungsverfahrensnicht vor, so ist bei Vorliegen materieller Insolvenz auf Antrag ein Konkursver-fahren zu eröffnen. Auch im „neuen“ Konkursverfahren sind aufgrund der Re-form erhebliche Änderungen zu verzeichnen, dies insb im Zusammenhang mit derUnternehmensfortführung.

Nach wie vor gibt es schließlich (neben dem „ordentlichen“ Konkursverfah-ren) das Schuldenregulierungsverfahren als Konkursverfahren für Verbrau-cher. Zu betonen ist, dass Verbrauchern das Sanierungsverfahren nicht offensteht.47

Das neue Insolvenzverfahren ist also sehr flexibel in seiner Ausgestaltung; esdeckt sowohl äußerst flotte, in der Öffentlichkeit vor allem bei Eigenverwaltungnur wenig wahrnehmbare Sanierungen als auch grundsätzlich zeitlich nicht limi-tierte Verwertungskonkurse ab. Die unterschiedlichen Ausdrücke, die bei der öf-fentlichen Bekanntmachung in der Insolvenzdatei48 zu verwenden sind, sind aberkeineswegs unwichtig, denn sie geben Aufschluss darüber, welche Verfahrens-regelungen anwendbar sind. So kann zB ein Zahlungsplan nur im Konkurs-, nichthingegen im Sanierungsverfahren vorgelegt werden.49

Im Zusammenhang mit der großen Systemänderung, die die Beseitigung derZweispurigkeit mit sich bringt, gibt es auch zahlreiche terminologische Modifi-kationen:50 Gem § 275 IO wurde insb der Begriff „Konkurs“ durchwegs durchden Begriff „Insolvenz“ ersetzt;51 der bisherige Zwangsausgleich heißt in seiner

45 Konecny, Verfahrensgebäude 8 f.46 Zur Organtheorie vgl statt vieler Nunner-Krautgasser, Schuld 253, 314 und 325; vgl auch

die Nachweise FN 130.47 ErlRV 612 BlgNR 24. GP 29.48 www.edikte.gv.at.49 Konecny, Verfahrensgebäude 6.50 ErlRV 612 BlgNR 24. GP 2, 5, 10, 29 und 36.51 Vgl zur Terminologie bereits Nunner-Krautgasser, Schuld 223 ff.

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 29 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Bettina Nunner-Krautgasser

30

modifizierten Form nunmehr (wie erwähnt) Sanierungsplan; außerdem wird derbisherige „Gemeinschuldner“ jetzt generell „Schuldner“ genannt. Diese Änderun-gen waren zum einen wegen der neuen Regelungen eines einheitlichen Verfah-rensgebäudes notwendig, zum anderen sollen sie aber auch den verstärkten Sanie-rungscharakter des Insolvenzverfahrens zum Ausdruck bringen und zu einer ge-wissen „Entstigmatisierung“ des Insolvenzverfahrens beitragen. Dahinter stehtdie Hoffnung, Schuldner zu einer früheren Insolvenzantragstellung bewegen zukönnen. Die bisherigen Erfahrungen aus der Praxis zeigen in der Tat, dass es fürviele Schuldner durchaus einen Unterschied macht, ob sie (wie bisher) in Konkursgehen müssen und in diesem Verfahren einen Zwangsausgleich beantragen kön-nen, oder ob sie sich von vornherein in einem Sanierungsverfahren mit einemSanierungsplan entschulden können.

In materieller Hinsicht für die Sanierungstauglichkeit des neuen Rechts un-gleich wichtiger sind freilich diverse substantielle Änderungen wie die Reduk-tion der bisherigen 40-%-Quote für den Ausgleich auf eine 30-%-Quote fürden Sanierungsplan bei Eigenverwaltung (§ 169 Abs 1 Z 1 lit a IO)52 sowie dieÄnderung der zur Annahme des Sanierungsplans notwendigen Mehrheits-erfordernisse (§ 147 Abs 1 IO)53: Wie bereits nach der alten Rechtslage sind in-soweit zwei Mehrheiten erforderlich, nämlich eine Kopf- und eine Summen-mehrheit. Das Erfordernis der einfachen Kopfmehrheit der bei der Tagsatzunganwesenden stimmberechtigten Insolvenzgläubiger ist unverändert geblieben.Reduziert wurden allerdings die Voraussetzungen für das Erreichen der Sum-menmehrheit: Hier kommt es nur noch darauf an, dass die Gesamtsumme derForderungen der zustimmenden Gläubiger mehr als die Hälfte (nach alterRechtslage: mehr als drei Viertel) der Gesamtsumme der bei der Tagsatzung an-wesenden stimmberechtigten Insolvenzgläubiger beträgt. Diese Maßnahme ist –wie die Praxis bereits zeigt – durchaus geeignet, insb notorische „Ausgleichs-störer“ zu entmachten und damit Sanierungen zu erleichtern.

Ein weiterer, überaus wichtiger Punkt ist die durch das IRÄG 2010 bewirkteVeränderung der Rechtsstellung der Vertragspartner eines Insolvenzschuld-ners. Bestimmte Gruppen von Vertragspartnern – zB Bestand- oder Leasinggeber– müssen infolge der Reform nämlich erhebliche Einbußen in ihrer Rechtsstellunghinnehmen, weil ihre Vertragsauflösungsrechte generell massiv beschnitten wur-den (§§ 25a und § 25b IO).54

Besonders zu betonen ist, dass auch die Rechtsposition der AN eines Insol-venzschuldners modifiziert wurde;55 insoweit wurde das rechtliche Schicksal der

52 Vgl dazu ErlRV 612 BlgNR 24. GP 30; Riel, Eigenverwaltung, 137.53 ErläutRV 612 BlgNR 24. GP 2 und 22; Mohr, Sanierungsplan, 121.54 Vgl dazu Nunner-Krautgasser/Pateter, ZInsO 2011, 2068; Widhalm-Budak, Verhinderung

der Vertragsauflösung, 23.55 Vgl dazu Weber-Wilfert, Arbeitsrechtliche Änderungen des IRÄG 2010, in Konecny (Hrsg),

IRÄG 2010, 59.

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 30 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Allgemeines zum Insolvenzrecht

31

Arbeitsverhältnisse primär an die neuen Verfahrensgebäude der IO angepasst. Dieallgemeinen Vertragsauflösungsbeschränkungen des § 25a IO gelten jedoch nichtfür Arbeitsverträge.

Weitere Neuerungen betreffen vor allem die Veränderung der Rechtspositi-on von Aus- und Absonderungsberechtigten56 sowie eine punktuelle Modifi-kation im Anfechtungsbereich.57

Die bisherigen Erfahrungen mit der IO sind grundsätzlich erfreulich: Es zeigtsich va, dass das Modell „Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung unter Auf-sicht eines Verwalters“ in der Praxis erheblich besser angenommen wird als dasabgeschaffte Ausgleichsverfahren. Aber auch die sonstigen Neuerungen werdenweitgehend positiv bewertet. Insofern ist der großen Insolvenzrechtsreform 2010jedenfalls Erfolg zu bescheinigen.

3. Sanierungen und Insolvenzverfahren

Die Zielrichtung der Insolvenzrechtsreform 2010, Sanierungen (noch) mehr alsbisher zu erleichtern, ist höchst erfreulich und entspricht aktuellen Erfordernis-sen. Sie ist allerdings in der österreichischen Insolvenzrechtssystematik nichtsRevolutionäres: Denn auch der Konkurs verfolgte bereits nach der Stammfas-sung der KO 1914 nicht nur das Ziel der bestmöglichen Haftungsverwirk-lichung und – damit verbunden – der optimalen Gläubigerbefriedigung, son-dern war auch auf Sanierung ausgerichtet;58 dies ursprünglich freilich noch ineher bescheidenem Ausmaß, also in Form des Zwangsausgleichs in seiner dama-ligen Ausprägung. Zahlreiche Reformen trugen in diesem Fall zu einer sanie-rungsfreundlicheren Ausgestaltung nicht nur des Ausgleichs-, sondern auch desKonkursrechts bei. Besonders zu erwähnen sind hier vor allem das IRÄG 1982BGBl 1982/370 und das IRÄG 1997 BGBl I 1997/114, die veritable Systemver-änderungen mit sich brachten: Das IRÄG 1982 unterband etwa formularmäßigeUnternehmensschließungen bei Konkurseröffnung; mit dem IRÄG 1997 wurdedas sog „Verfahrensgebäude“ für Unternehmensfortführungen im Konkurs ein-geführt, das im Rahmen der nunmehrigen Reform lediglich weiterentwickeltwurde. Österreich verfügte damit bereits vor der Reform über ein grundsätzlich(auch für Sanierungen) durchaus taugliches Insolvenzrechtssystem, das bloß ge-wisser Verbesserungen bedurfte.

56 S Reckenzaun, Aus- und Absonderungsrechte, 95; Widhalm-Budak, Die Änderungen durchdas IRÄG 2010 bei Absonderungsrechten und bei der Anfechtung, in Konecny (Hrsg), In-solvenz-Forum 2009, 105.

57 Der Streit um die Anfechtbarkeit „nachteiliger Rechtsgeschäfte“ hat die Reform nichtunerheblich verzögert und hätte fast das Zustandekommen der IO verhindert. Nähereszur Neuregelung König, Anfechtungsrecht 79; Widhalm-Budak, Absonderungsrechte116 ff.

58 Nunner-Krautgasser, Schuld 243 ff.

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 31 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11

Bettina Nunner-Krautgasser

32

Auffallend ist, dass der – gesetzlich nicht definierte – Begriff der Sanierungnach wie vor eher vage verwendet wird: Erstens bleibt oft verborgen, dass die Sa-nierung nicht nur ein eigenständiges Insolvenzziel, sondern – neben der Liquida-tion (im Wege von Verwertungskonkurs oder nach neuer Terminologie von Liqui-dationssanierungsplan bzw Verwertungsplan) – auch ein Mittel zur Umsetzungder Insolvenzziele darstellt.59 Das ist schon daran erkennbar, dass das Ziel derbestmöglichen Gläubigerbefriedigung bekanntlich im Rahmen einer Sanierungoft eher zu erreichen ist als im Rahmen einer Liquidation. Die Insolvenzziele unddie Mittel zu ihrer Umsetzung werden allerdings bedauerlicherweise nach wie vorhäufig verwechselt oder miteinander verquickt,60 typischerweise wird dann ausge-führt, der Konkurs ziele auf Verwertung bzw Zerschlagung ab. Richtig ist viel-mehr, dass die Zerschlagung schon vor der Reform immer nur Mittel zur Umset-zung des Insolvenzziels der bestmöglichen Haftungsverwirklichung im Konkurs,aber niemals selbst Insolvenzziel war.

Zweitens wird in der insolvenzrechtlichen Literatur häufig nicht ausreichendzwischen der Sanierung des Unternehmensträgers und der Sanierung des Unter-nehmens unterschieden. Auch für das moderne Insolvenzrecht ist jedoch eineausreichende Klarstellung erforderlich, ob es in concreto um eine Sanierung desUnternehmensträgers und/oder des Unternehmens geht: Diese Unterscheidungspielt für die Strategie in jedem einzelnen Insolvenzverfahren eine Rolle; sie istaber auch für die Legistik wichtig:61 Die nunmehrige Systematik im Gefolge desIRÄG 2010 deckt im Grunde sämtliche Spektren ab: Zur Verfügung gestellt wer-den zum einen Varianten der Sanierung des Unternehmensträgers, und zwarim Wege der vermögenserhaltenden Sanierung (nunmehr mittels Sanierungs-plans), die durchwegs gleichzeitig mit einer Sanierung des Unternehmens einher-geht, bzw im Wege einer Sanierung des Unternehmensträgers iVm einerLiquidation (nunmehr mittels Liquidationssanierungsplans bzw Verwertungs-plans). Zum anderen gibt es die Varianten der Sanierung des Unternehmens;dies wiederum in Form einer vermögenserhaltenden Sanierung oder aber inForm einer „übertragenden Sanierung“. Die letztere Variante wurde durch dasIRÄG 2010 insofern erleichtert, als die Zulässigkeit der Unternehmensfortfüh-rung im Insolvenzverfahren von der Möglichkeit eines Sanierungsplans entkop-pelt wurde.62

59 Nunner, Freigabe 17; Nunner-Krautgasser, Schuld 219 und 232.60 Bestechend klar hingegen die Differenzierung bei Henckel, Rezension K. Schmidt, Wege

zum Insolvenzrecht der Unternehmen, ZIP 1991, 133 (134); ders, Insolvenzrechtsreformzwischen Vollstreckungsrecht und Unternehmensrecht, in FS Merz (1992) 197 (199); dersin Jaeger, Insolvenzordnung I (2004) § 1 Rz 2.

61 S schon oben 1.2.3.62 S dazu Reckenzaun, IRÄG 2010 - Insolvenzordnung (2010) 98 f und 124. Dazu noch unten

7.2.2.

Insolvenz-und-Arbeitsrecht.book Seite 32 Dienstag, 5. Juni 2012 11:15 11