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www.allenovery.com Praxiswissen Arbeitsrecht Expertenforum Arbeitsrecht Veranstaltungen | News und Updates | Themenpapiere | Inhouse Training | Networking Im Fokus: HR Big Data Ausgabe 2/2015

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Praxiswissen Arbeitsrecht

Expertenforum Arbeitsrecht Veranstaltungen | News und Updates | Themenpapiere | Inhouse Training | Networking

Im Fokus: HR Big Data

Ausgabe 2/2015

Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015 1

www.allenovery.com

Inhalt

Editorial 2

Was uns beschäftigt – HR Big Data 3

Update Gesetzgebung – Das neue Mindestlohngesetz (MiLoG) 7

Entschieden – u.a. Urlaub nach fristloser Kündigung 10

Richtig umgesetzt – Sachgrundbefristung bei vorübergehendem Bedarf 14

Druckfrisch 17

60 Sekunden mit – Frank Schemmel 18

Wer und wo? 19

2 Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015

© Allen & Overy LLP 2015

Editorial HR an der Schwelle zu Industrie 4.0, Big Data & Crowdsourcing

Der technologische Wandel macht auch vor der HR-

Arbeit keinen Halt und wird künftig eine andere, angepass-

te Struktur und Herangehensweise der Personalabteilungen

erfordern und zu einer Höherqualifizierung von HR füh-

ren. Wir haben mit HR Big Data einen dieser Megatrends

in unserer jüngsten Ausgabe von The Bink Think mit dem

Titel „Data with destiny“ aus dem Blickwinkel eines inter-

nationalen Personalers beleuchtet und fassen für Sie in

diesem Newsletter die aus deutscher Sicht wichtigsten

Punkte zusammen. Verkehrsunternehmen etwa profitieren

bereits von Big Data, indem sie mittels eingekaufter Mobil-

funkdaten die Nutzung ihrer Verkehrsmittel analysieren.

Anonymisierte Mobilfunkdaten werden dabei als aggregier-

te Schwarm- und Massendaten für die Verkehrsstatistik

verwendet. Dies lässt schnell erkennen, welches Potential

Big Data im HR-Bereich bietet, etwa zum Zwecke von HR

Analytics im Recruitment und Personalentwicklungsbe-

reich. McKinsey nennt das in ihrem Quarterly aus März

2015 „Power to the new people analytics“.

Die Megatrends werden zudem neue Formen des Ein-

satzes von Arbeitskräften hervorbringen. Durch mobile

Technologien können Unternehmen beispielsweise ihre

Arbeit weltweit in virtuellen Clouds (Crowdsourcing)

organisieren. Die Stammbelegschaft wird reduziert und die

Zahl nicht dauerhaft beschäftigter Arbeitnehmer sinkt zu

Gunsten von flexiblen, selbständig beschäftigten Pro-

jektspezialisten. Diese Spezialisten werden projektübergrei-

fend im virtuellen Arbeitsraum organisiert und koordiniert.

Diese und andere moderne Arbeitsformen haben wir zu-

sammen mit Mandanten am 27. März anlässlich des Tref-

fens unserer globalen Arbeitsrechtsgruppe in Paris disku-

tiert. Den Auftakt zur Diskussion gab dabei Irene Mandl

von der European Foundation for the Improvement of

Living and Working Conditions (Eurofound), die eine

Studie zur Thematik

durchgefüht hat

(http://www.eurofound.europa.eu/publications/executive

-summary/2015/working-conditions-labour-market/new-

forms-of-employment-executive-summary).

Flexibilisierung durch Befristung ist ein gängiges Mittel für

Personalabteilungen. In unserer Rubrik „Richtig umge-

setzt“ zeigen wir auf, wie Sachgrundbefristungen bei

nur vorübergehendem Bedarf zu gestalten sind, um das

Risiko einer erfolgreichen Entfristungsklage zu minimie-

ren.

Flexibler Lohngestaltung wirkt das jüngst in Kraft getrete-

ne Mindestlohngesetz (MiLoG) entgegen. Die für die

Praxis wichtigsten Fragen, etwa zum Einsatz von Prakti-

kanten, der Berechnung des Mindestlohns, Auftraggeber-

haftung und den Sanktionen bei Verstößen gegen das

MiLoG beantworten wir im Newsletter. Im Februar hatten

wir hierzu bereits den Client Alert „Die Auftraggeberhaf-

tung nach dem Mindestlohngesetz“ verschickt.

Abgerundet wird die Themenauswahl wie immer durch

aktuelle Rechtsprechung der Arbeitsgerichte. Hier

springen insbesondere die BAG-Entscheidungen zum

Urlaub nach fristloser Kündigung sowie zur subsidiären

Arbeitgeberhaftung bei externer betrieblicher Altersver-

sorgung ins Auge.

In der Rubkrik „60 Sekunden mit“ stellen wir Ihnen

schließlich unseren Know-How Officer und Legal Project

Manager Frank Schemmel vor, der unser Arbeits-

rechtsteam von Düsseldorf aus seit einigen Monaten ver-

stärkt.

Wir wünschen Ihnen eine interessante und gewinnbrin-

gende Lektüre!

Mit besten Grüßen

Tobias Neufeld

Tobias Neufeld Partner [email protected]

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Was uns beschäftigt HR Big Data – arbeits- und datenschutzrechtlicher Rahmen

Der Begriff „Big Data“ ist seit einiger Zeit aus Fach-

presse und Wissenschaft nicht mehr wegzudenken.

Aufgrund der immensen Chancen durch Nutzung

von Big Data gibt es schon eine Vielzahl an Dienst-

leistern, die Big Data als „Erdöl der Zukunft“ be-

schreiben und verschiedene Nutzungskonzepte für

Unternehmen bereithalten. Bereits bei der Entwick-

lung eines Big Data-Konzepts – gerade im Bereich

HR – sollte aber auf eine datenschutzkonforme und

betriebsverfassungsrechtlich ordnungsgemäße Im-

plementierung geachtet werden.

Die Herausforderung bei Big Data besteht für Unterneh-

men darin, eine enorme Menge unterschiedlicher Daten

aus unterschiedlichen Quellen möglichst in Echtzeit präzi-

se so auszuwerten, dass sich hierauf unternehmerische

Entscheidungen stützen lassen. In diesem Zusammenhang

wird vielfach von den 3 Vs – variety, velocity und volume,

also Datenvielfalt, Datengeschwindigkeit und Datenmen-

ge, gesprochen. Die bisherige Datenverarbeitung und

-analyse bezog sich vorwiegend auf strukturierte Daten in

systematisierten Datenbanken. Aber gerade unstrukturierte

Daten aus verschiedenen Quellen ohne jegliche Systematik

(z.B. Social Media Daten) können wesentliche Informatio-

nen für Unternehmen enthalten, wobei es sich sowohl um

interne (z.B. von Mitarbeitern) als auch externe Daten

(z.B. aus sozialen Medien) handeln kann. Die Gewinnung

dieser Daten bietet einerseits großes Potential, stellt ande-

rerseits aber auch eine neue Herausforderung dar, da bis-

herige Analysemethoden und Herangehensweisen über-

dacht und angepasst werden müssen.

In Zeiten des Fachkräftemangels liegt die große Chance

von Big Data im HR-Bereich vor allem in „Talent Analy-

tics“. Ausgangspunkt kann beispielsweise die Frage sein,

mit welchen Datenerhebungen sich erkennen lässt, ob ich

einen passenden Mitarbeiter im Unternehmen oder Kon-

zern habe, den ich sodann ohne Recruitingkosten auf eine

passende Stelle setzen kann. Ein wichtiges Einsatzgebiet

von HR Big Data ist demgemäß die Personalrekrutierung.

Datenschutzrechtliche Grundprinzipien

Datenschutzrechtlich sind hierbei mehrere Punkte zu

beachten. Im deutschen Datenschutzrecht gilt das Verbot

mit Erlaubnisvorbehalt (§ 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzge-

setz – BDSG), wonach die Erhebung, Speicherung, Verar-

beitung, Nutzung sowie Übermittlung personenbezogener

Daten nur dann zulässig ist, soweit ein Erlaubnistatbestand

(z.B. eine Vorschrift im BDSG oder in einem anderen

Gesetz, eine Betriebsvereinbarung oder die Einwilligung

des Betroffenen) gegeben ist. Ausdrücklich erlaubt das

BDSG Big Data nicht. Vielmehr scheint Big Data insbe-

sondere dem datenschutzrechtlichen Prinzip der Zweck-

bindung (§§ 28, 32 BDSG) diametral entgegenzustehen.

Big Data kann jedoch mit diesem Grundsatz und dem

BDSG in Einklang gebracht werden, wenn folgende Punk-

te beachtet werden.

Steht der Zweckbindungsgrundsatz Big Data entgegen?

Der Zweckbindungsgrundsatz, wonach personenbezogene

Daten nur für den Zweck verwendet werden dürfen, für

den sie erhoben wurden, ist im Rahmen von Big Data

nach geltendem Recht als problematisch einzustufen.

Diese Bedenken wird man zumindest bis zum Inkrafttre-

ten der EU-Datenschutz-Grundverordnung nicht so ein-

Einsatzgebiet von HR Big Data Big Data hilft sowohl bei der Erstellung eines Anforderungspro-fils, indem z.B. Kerncharakteristika erfolgreicher Mitarbeiter verglichen und zusammengetragen werden. Es hilft aber auch bei der Kandidatensuche, bspw. durch Analyse von Informatio-nen in sozialen Medien: in welchen relevanten Gruppen/Blogs ist ein potentieller Kandidat aktiv? Welche Personen befinden sich in seiner Freundesliste? Zudem kann Big Data bei der Bewertung von Kandidaten helfen, z.B. lassen bestimmte Fotos Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zu.

Aber auch in den Bereichen Talent Management, Personalpla-nung, Gesundheitsmanagement, Fluktuationsmanagement, Learning & Development und Motivationssteuerung kann Big Data Einsatz finden.

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© Allen & Overy LLP 2015

fach vom Tisch wischen können. Durch die Grundver-

ordnung können sich allerdings Änderungen ergeben, sieht

doch deren Entwurf (im Folgenden: DS-GVO-E) im

Hinblick auf Big Data gewisse Erleichterung vor. In Art. 6

Abs. 4 DS-GVO-E ist etwa angedacht, dass personenbe-

zogene Daten auch für andere als dem ursprünglichen

Zweck der Datenerhebung verarbeitet werden dürfen,

sofern ein sonstiger Rechtfertigungsgrund gegeben ist.

Kaum geeignet: Einwilligung der Betroffenen

Zu unterscheiden ist in der Praxis, ob lediglich eine Da-

tenverarbeitung personenbezogener Daten Unterneh-

mensangehöriger erfolgt, oder ob im Rahmen von Big

Data auch Informationen von unternehmensfremden

Dritten (z.B. in Social Media-Portalen oder bei anderen

konzernangehörigen Unternehmen) erhoben werden. Im

ersten Fall wäre eine vertragliche Grundlage, bspw. eine

Betriebsvereinbarung über die Datennutzung und

-verarbeitung erforderlich, aber auch ausreichend. Im

Gegensatz dazu wäre eine individuelle Einwilligungslösung

suboptimal, da insbesondere von Datenschutzbehörden in

Frage gestellt wird, ob per se eine Einwilligung im Arbeits-

verhältnis überhaupt eine valide Rechtfertigungsgrundlage

für die Datenverarbeitung sein kann. Angezweifelt wird

hierbei die erforderliche Freiwilligkeit der Einwilligung im

Arbeitsverhältnis.

Anders ist dies, soweit im Wege von Big Data auch Infor-

mationen von Dritten – also z.B. potentiellen Bewerbern –

gesammelt werden sollen. Nach derzeit geltendem Recht

ist in diesem Fall, je nachdem, welche Informationen kon-

kret erhoben wurden, die Einwilligung des Betroffenen

unumgänglich, um eine rechtskonforme Datenverarbei-

tung zu gewährleisten.

Alternative Lösung: Anonymisierung und Pseudonymisierung

Als anderer Lösungsansatz im Rahmen von Big Data wird

oft die Anonymisierung und Pseudonymisierung der zu

erhebenden/verarbeitenden Daten empfohlen. Denn

sowohl das BDSG als auch die EU-Datenschutz-

Grundverordnung finden generell nur dann Anwendung,

wenn „personenbezogene Daten“ betroffen sind. Voraus-

setzung dafür ist ein Bezug zwischen einer natürlichen

Person und den betreffenden Daten. Indem personenbe-

zogene Daten derart verändert werden, dass die Einzelan-

gaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse nicht

mehr oder nur noch mit einem verhältnismäßig großen

Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimm-

ten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet

werden können, wird die Anwendung der rigiden Daten-

schutzbestimmungen verhindert. Verfahren der Anonymi-

sierung und Pseudonymisierung sind also grundsätzlich

geeignete Mittel um im Rahmen von Big Data daten-

schutzrechtskonform zu agieren.

Ein Rückbezug der Daten auf die jeweilige Person muss

jedoch faktisch ausgeschlossen sein. Dies ist durch das

Unternehmen sicherzustellen. Dass dies in der Praxis nicht

unproblematisch ist, zeigen verschiedene Untersuchungen.

So sind laut einer Studie 87% der amerikanischen Bevölke-

rung anhand der demografischen Merkmale Geburtsda-

tum, Geschlecht und Postleitzahl identifizierbar.

Praxistipp In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass die typischen Generaleinwilligungsklauseln zur Datenver-arbeitung in Arbeitsverträgen zumeist nicht ausreichen, um eine Datenverarbeitung zu legitimieren.

Zudem ist das Institut der informierten Einwilligung i.d.R. kein praxistaugliches Mittel zur Rechtfertigung von Datenverarbei-tungsprozessen im Rahmen von Big Data, denn der Betroffene wäre vor Abgabe seiner Einwilligung konkret über Art, Umfang und Zweck der Datenverarbeitung und –nutzung ausreichend zu informieren, was bei Big Data naturgemäß nicht möglich ist.

Handlungsempfehlung Als valides Mittel der Anonymisierung im Rahmen von Big Data wird z.B. vom Landesbeauftragten für Datenschutz Schleswig-Holstein die Aggregierung von Daten empfohlen, indem eine größere Anzahl von Einzeldatensätzen zusammengeführt und als einheitlicher Gruppendatensatz weiterverarbeitet wird. Dabei sind diese einheitlichen Datensätze durch Variationen, z.B. Vertauschen von Begriffen oder Ersetzen von präzisen Begriffen durch allgemeine, weiter zu diversifizieren. Voraussetzung für dieses Vorgehen ist allerdings, dass die betreffenden Daten bereits strukturiert vorliegen, d.h. bei unstrukturierten Daten ist diese Methode nicht zielführend.

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Big Data und soziale Netzwerke

Wie oben angedeutet, ist ein weiterer Einsatzbereich von

HR Big Data im Rahmen des Recruiting die Auswertung

von Daten aus Foren, Blogs oder sozialen Netzwerken.

Sofern gewisse Anforderungen beachtet werden, ist ein

solches Vorgehen durchaus zulässig. Generell muss bezüg-

lich der Recherche in sozialen Medien und Erhebung von

Bewerberdaten nach der Zugänglichkeit der Daten sowie

der Orientierung des Netzwerks differenziert werden.

Die Recherche und Erhebung von Bewerberdaten über

Netzwerke wie Facebook oder MySpace mit privatem

Nutzungscharakter ist nach deutschem Datenschutzrecht

grundsätzlich unzulässig. Das Netzwerk wird überwiegend

für den privaten Austausch genutzt, die Informationen

dort sind dementsprechend nicht allgemein zugänglich.

Bei berufsorientierten Netzwerken (z.B. LinkedIn, XING)

stellt der Nutzer zwar seine Daten ebenfalls nicht für je-

dermann zur Verfügung, jedoch wollen sich Nutzer auf

solchen Netzwerken regelmäßig (auch) potentiellen Ar-

beitgebern präsentieren. Damit zielen berufsorientierte

Netzwerke gerade auf die Nutzung durch Unternehmen

bzw. deren Personaler als Portalmitglied ab, jedenfalls

überwiegt der berufsorientierte Austausch und nicht die

private Nutzung, so dass eine Datenerhebung in diesem

Fall prinzipiell zulässig ist. Entsprechendes gilt für öffent-

lich zugängliche, d.h. ohne vorherige Anmel-

dung/Registrierung nutzbare Foren und Blogs.

Big Data im Konzernverbund

Soll Big Data in einem Konzernverbund (auch im Inland!)

angewendet werden, so kann dies nur dann sinnvoll erfol-

gen, wenn alle relevanten Daten – sowohl strukturierte als

auch unstrukturierte – an die (in- oder ausländische) Kon-

zernmuttergesellschaft weitergeleitet werden und diese

dann mit den erforderlichen Ressourcen die betreffenden

Big Data-Analysen durchführt und im Anschluss die ge-

wonnenen Ergebnisse an die jeweiligen Tochtergesell-

schaften übermittelt.

Hierbei wird – auch außerhalb von Big Data – in der Pra-

xis oft übersehen, dass die Übermittlung personenbezoge-

ner Daten zwischen Konzernunternehmen wie jede andere

Datenverarbeitung einer datenschutzrechtlichen Legitima-

tion bedarf. Das deutsche Datenschutzrecht kennt kein

Konzernprivileg. Vielmehr sind Konzerngesellschaften

datenschutzrechtlich als Dritte einzustufen.

Beteiligungsrechte des Betriebsrats

Abgesehen von datenschutzrechtlichen Anforderungen ist

aus arbeitsrechtlicher Sicht beim Einsatz von HR Big Data

generell zu beachten, dass je nach Ausgestaltung der Pro-

zesse ein vorhandener Betriebsrat (bzw. Gesamt- oder

Konzernbetriebsrat) Mitbestimmungsrechte hat. Kommt

es nämlich, was bei HR Big Data regelmäßig anzunehmen

ist, zur Einführung und/oder Anwendung von techni-

schen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhal-

ten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, so

hat der Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfas-

sungsgesetz (BetrVG) ein Mitbestimmungsrecht.

Handlungsempfehlung Es bietet sich hierbei an, eine entsprechende Betriebsvereinba-rung mit dem Betriebsrat bezüglich des Einsatzes von HR Big Data zu schließen, insbesondere über den angedachten Um-fang und die Nutzung. Damit wird nicht nur das Mitbestim-mungsrecht des Betriebsrats gewahrt, sondern auch eine zuläs-sige vertragliche Regelung zur zweckfremden Verarbeitung personenbezogener Daten i.S.d. neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung geschaffen. Zudem zeigt die Erfahrung, dass Mitarbeiter wesentlich häufiger eine solche Datenverarbeitung akzeptieren, wenn sie wissen, dass das Konzept vom Betriebs-rat mitgetragen wird.

Praxistipp In der Praxis ist die konzernweite Datenübermittlung etwa durch verbindliche Unternehmensverträge absicherbar. Dabei sollten sich Konzerne an den detaillierten inhaltlichen Vorgaben der Vereinigung der nationalen Datenschutzbehörden (sog. Art. 29-Datenschutzgruppe) orientieren, um Datenschutzkonformität zu gewährleisten.

Dieses Vorgehen ist insbesondere auch im Hinblick auf die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung erforderlich. Zwar statuiert Art. 22 Abs. 3a DS-GVO-E eine Art europäisches Konzernprivi-leg, wonach gruppeninterne Datenweitergaben zwischen ver-bundenen Unternehmen unter erleichterten Voraussetzungen erfolgen können. Dies setzt aber voraus, dass ein angemesse-nes Datenschutzniveau, z.B. durch gruppeninterne vertragliche Regelungen, gesichert ist.

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Aufgaben von HR bei der Implementierung

HR Big Data bietet wie gesehen nicht nur viele Chancen

für Unternehmen, sondern ist auch mit (datenschutz-)

rechtlichen Risiken bzw. Anforderungen verbunden. Die

Herausforderung bei einer gesetzeskonformen Umsetzung

von HR Big Data besteht darin, Umfang und Zweck der

Datenanalysen so transparent, ausführlich und verständlich

wie möglich abzubilden und zu gestalten. Denn häufig

stört Mitarbeiter nicht vordringlich die Datenverarbeitung

an sich, sondern die Ungewissheit, was mit den Daten

bezweckt wird und wie diese verwertet werden. In der

Praxis hat sich gezeigt, dass bei Planung und Implementie-

rung von Big Data-Lösungen möglichst frühzeitig die

datenschutzrechtlichen Aspekte in die Gesamtkonzeption

zu integrieren sind (sog. „Privacy by Design“). Für HR-

Verantwortliche gilt es bereits jetzt anzufangen, alle HR-

relevanten Datenflüsse im Unternehmen zu ermitteln und

nachzuhalten. Ohne die konkreten Datenströme zu ken-

nen, können weder zuverlässige rechtliche Bewertungen

durchgeführt werden, noch lässt sich in diesem Fall Big

Data zielführend anwenden.

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Update Gesetzgebung Das neue Mindestlohngesetz (MiLoG)

Durch die Bestimmungen in § 1 Abs. 1, § 1 Abs. 2, § 20

MiLoG wurde in Deutschland mit Wirkung zum 1. Januar

2015 ein flächendeckender und branchenübergreifender

Mindestlohn eingeführt.

Die Auswirkungen dieser Neuerung sind freilich immens.

Abgesehen von denjenigen Branchen, in denen bereits

aufgrund der Geltung allgemeinverbindlicher Tarifverträ-

gen nach § 5 TVG, aufgrund nach dem AEntG erstreckter

Tarifverträge sowie – in der Zeitarbeitsbranche – aufgrund

von § 3a AÜG getroffener Anordnungen staatliche Löhne

festgelegt sind, ergibt sich nunmehr für jeden Arbeitgeber

die neue Situation, dass er an staatliche Vorgaben zur

Lohnhöhe gebunden ist.

Wir beantworten nachfolgend praktisch wichtige Fragen

zum MiLoG.

Sind Praktikanten Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Abs. 1 MiLoG?

Gemäß § 22 MiLoG sind Praktikanten im Sinne des § 26

BBiG unter bestimmten Voraussetzungen von der Gel-

tung des MiLoG ausgenommen. Danach darf der Prakti-

kant allein zu dem Zwecke eingestellt worden sein, berufli-

che Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche

Erfahrungen zu erwerben. Dabei ist in der Praxis bei der

Behandlung von Praktikanten vor dem Hintergrund des

MiLoG Vorsicht geboten. Es ist zu beachten, dass Prakti-

kanten, soweit sie nach § 26 BBiG zu behandeln sind, nur

unter den näher bezeichneten Voraussetzungen des § 22

Abs. 1 S. 2 Nr. 1-4 MiLoG (Pflichtpraktikum im Rahmen

der (Hoch-) Schulbildung, Orientierungspraktikum für bis

zu drei Monate, Praktikum als Einstiegsqualifizierung nach

dem SGB III) vom Anwendungsbereich des MiLoG aus-

geschlossen sind. Ferner gilt allgemein, dass Praktikanten –

unabhängig von ihrer Einordnung nach § 22 MiLoG und

§ 26 BBiG – in jedem Fall mindestlohnberechtigt sind,

wenn sie tatsächlich gar keine „echten“ Praktikanten son-

dern nur „Scheinpraktikanten“ sind und somit vielmehr

die Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffes erfüllen.

Unklar ist, wie Volontäre und Trainees in diesem Zusam-

menhang einzuordnen sind, wobei hier jedoch in der Pra-

xis oftmals ebenfalls die Voraussetzungen für eine Arbeit-

nehmereigenschaft des Volontärs/Trainees erfüllt sind und

diese Beschäftigtengruppe allein aus diesem Grund dann

mindestlohnberechtigt ist.

Welche Arbeitnehmergruppen sind ansonsten vom Geltungsbereich des MiLoG ausgeschlossen?

Kinder und Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsaus-

bildung bis zum Alter von 18 Jahren sind ebenfalls aus

dem Anwendungsbereich des MiLoG ausgeschlossen (§ 22

Abs. 2 MiLoG). Gleiches gilt gemäß § 22 Abs. 4 MiLoG

für einen Zeitraum von sechs Monaten für Arbeitnehmer,

die vor Aufnahme ihrer Beschäftigung langzeitarbeitslos

(d.h. ein Jahr oder länger arbeitslos) waren.

Wie berechnet sich der Mindestlohn von Arbeitnehmern ohne Stundenvergütung?

Praktische Probleme bereitet der Anknüpfungspunkt für

die Gewährung des Mindestlohnes, wonach der Mindest-

lohn auf einer Stundenbasis berechnet werden soll, soweit

ein Arbeitnehmer nicht pro Stunde vergütet wird und sich

ein Stundenlohn auch nicht aus der gewährten Vergütung

ableiten lässt (bspw. bei Stück- oder Akkordlöhnen). Wie

bspw. ein Zeitungszusteller, der pro zugestellter Zeitung

vergütet wird, aufgrund des MiLoG zu entlohnen ist, ist

§ 1 Abs. 1 MiLoG Mindestlohn Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindest-lohns durch den Arbeitgeber.

§ 1 Abs. 2 MiLoG Mindestlohn Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Januar 2015 brutto 8,50 Euro je Zeitstunde.

8 Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015

© Allen & Overy LLP 2015

bislang ungeklärt. Vorgeschlagen wird insoweit einen ver-

gleichbaren, auf Stundenbasis vergüteten Arbeitnehmer als

Vergleichsmaßstab heranzuziehen und die Vergütung

anderer Arbeitnehmer daran auszurichten. Vorzugswürdig

dürfte es jedoch sein, die tatsächlich für die Arbeitsleistung

benötigte Arbeitszeit innerhalb eines bestimmten Refe-

renzzeitraums zu bestimmen und diese anhand des Min-

destlohnstundensatzes zu vergüten.

Welche Leistungen an die Arbeitnehmer werden bei der Berechnung der gewährten Vergütung berücksichtigt?

Bislang noch nicht abschließend geklärt ist, welche an

einen Arbeitnehmer erbrachten Leistungen im Rahmen der

Frage, ob ein den Anforderungen des MiLoG gerecht

werdendes Entgelt gezahlt wurde, zu berücksichtigen sind.

Es stellt sich insbesondere die Frage, ob an den Arbeit-

nehmer geleistete Zulagen sowie Sachbezüge oder vermö-

genswirksame Leistungen bzw. Leistungen der betriebli-

chen Altersversorgung als Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 2

MiLoG anzusehen sind. Jedenfalls solche Zahlungen, die

der Arbeitgeber unmittelbar als Ausgleich für die erbrachte

Arbeitsleistung erbringt und die somit „funktional gleich-

wertig“ zur Leistung des Arbeitnehmers sind, sind bei der

Ermittlung, ob die Vergütung den Anforderungen des

MiLoG entspricht, zu beachten. Leistungen ohne Entgelt-

charakter wie bspw. die Zahlung von Aufwendungsersatz

oder Leistungen Dritter (Trinkgelder) sind unbeachtlich.

Sachbezüge sind wohl ebenfalls nicht zu berücksichtigen,

da das MiLoG insoweit die „Zahlung“ eines Geldbetrages

voraussetzt. Hinsichtlich Leistungen der betrieblichen

Altersversorgung und vermögenswirksamen Leistungen

fehlt nach einhelliger Ansicht in der Literatur im Hinblick

auf die Anwendung des MiLoG der funktionale Zusam-

menhang zur Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Inwie-

weit Zulagen und Zuschläge für besondere Formen der

Arbeitsleistung (Zuschläge für Nachtschicht, gefährliche

Arbeit, Schmutzzulagen, etc.) zu berücksichtigen sind, ist

noch nicht abschließend geklärt. Bonusleistungen, die

nicht als Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung ge-

zahlt werden (bspw. Treueboni), werden nicht berücksich-

tigt.

Was bedeutet diese Regelung für den Arbeitgeber?

Der Arbeitgeber trägt nicht nur die Verantwortung dafür,

seinen eigenen Arbeitnehmern den gesetzlichen Mindest-

lohn zu zahlen, sondern haftet darüber hinaus auch für

etwaige Sub- und Nachunternehmer, die von ihm bei der

Diensterbringung eingeschaltet werden. Zahlt ein Sub-

und/oder Nachunternehmer seinen eigenen Arbeitneh-

mern nicht den gesetzlich vorgesehenen Mindestlohn, so

haftet der Auftraggeber auch den Arbeitnehmern dieser

Sub- und Nachunternehmer auf Zahlung des Mindest-

lohns. Diese Bestimmung soll eine möglichst effektive

Durchsetzung des MiLoG gewährleisten und den Haf-

tungskreis für die betroffenen Arbeitnehmer erweitern.

Die Arbeitnehmer der Sub- und Nachunternehmer kön-

nen sich sofort an den Auftraggeber halten, ohne zuvor

gegen den eigenen Arbeitgeber vorgegangen zu sein, wobei

der Auftraggeber verschuldensunabhängig haftet. Der

Auftraggeber kann nach Zahlung des gesetzlichen Min-

destlohnes jedoch Regress bei Sub- und/oder Nachunter-

nehmer nehmen. Aufgrund der Gefahr, dass Sub- und

Nachunternehmer jedoch nicht zahlen können, ist beson-

dere Vorsicht bei der Auswahl von Drittunternehmen

geboten. Zudem ist das Haftungsrisiko des Auftraggebers

im Rahmen der Vertragsgestaltung mit den Sub- und

Nachunternehmern zu adressieren.

In diesem Zusammenhang möchten wir noch einmal auf

den im Februar von uns erstellten Client Alert „Die Auf-

traggeberhaftung nach dem Mindestlohngesetz“ verweisen.

Eine englische Version des Client Alerts steht ebenfalls für

Sie zum Download bereit.

§ 13 MiLoG Haftung § 14 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes findet entsprechende Anwendung.

Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015 9

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Welche Sanktionen treffen einen Ar-beitgeber abgesehen von § 13 MiLoG im Falle eines Verstoßes gegen das MiLoG?

Unwirksamkeit von Vereinbarungen, die den An-

spruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine

Geltendmachung beschränken oder ausschließen

(§ 3 MiLoG), so dass der Schutz des MiLoG

nicht durch abweichende Vereinbarung unterlau-

fen werden kann und der Arbeitnehmer den Ar-

beitgeber zumindest auf Zahlung des Mindest-

lohnes gemäß § 1 Abs. 1, § 1 Abs. 2, § 20 MiLoG

in Anspruch nehmen kann.

Gefahr des Ausschlusses von der Vergabe öffent-

licher Aufträge (§ 19 MiLoG).

Verstoß gegen Ordnungswidrigkeitentatbestand

des § 21 MiLoG mit einer Verpflichtung zur Zah-

lung eines Bußgeldes von bis zu EUR 500.000,00.

Gilt das MiLoG auch für nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer?

Das MiLoG stellt allein darauf ab, wo ein Arbeitnehmer

beschäftigt wird. Wird der Arbeitnehmer in Deutschland

beschäftigt, ist das MiLoG auf seine Tätigkeit anwendbar,

selbst wenn der Arbeitgeber nicht in Deutschland ansässig

ist und das Arbeitsverhältnis nicht deutschem Recht unter-

liegt. Zum Teil wird eine Anwendung des MiLoG für

lediglich kurzfristige Beschäftigungen in Deutschland

abgelehnt (bspw. Durchreise durch Deutschland im Rah-

men der Erbringung der Arbeitsleistung oder nur kurzzei-

tiger Montageeinsatz). Dies ist durch die höchstrichterliche

Rechtsprechung des BAG bisher jedoch noch nicht bestä-

tigt. Die in diesem Zusammenhang ebenfalls zu berück-

sichtigende Rechtsprechung des EuGH geht jedoch in

einem ähnlich gelagerten Fall davon aus, dass aus europa-

rechtlicher Sicht deutsche Mindestlohnregelungen auch für

aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland

entsandte Arbeitnehmer Anwendung finden müssen.

§ 20 MiLoG Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sind verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des § 1 Abs. 2 […] zu zahlen.

10 Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015

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Entschieden Geschäftsführer – Rechtsweg zum Arbeitsgericht

BAG v. 22 Oktober 2014 – 10 AZB 46/14

Das BAG hat in seinem Beschluss entschieden, dass eine

Abberufung des Geschäftsführers nach Klageerhebung

zum Wegfall der Fiktion des § 5 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG

führt und den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet,

wenn die Abberufung vor einer rechtskräftigen Entschei-

dung über die Rechtswegzuständigkeit erfolgt. Damit gibt

das BAG seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach die

Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nur dann begründet ist,

wenn der Kläger bereits zum Zeitpunkt der Klageerhe-

bung wirksam als Geschäftsführer abberufen war. War ein

Geschäftsführer zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirksam

abberufen, blieb für die Klage einzig der Rechtsweg zu den

ordentlichen Gerichten und nicht zu den Arbeitsgerichten

zulässig. Nunmehr ist auch eine nach Klageerhebung er-

folgte Abberufung als nachträglicher zuständigkeitsbe-

gründender Umstand im Rahmen des Verfahrens nach

§ 17 Abs. 3 GVG zu berücksichtigen, solange noch keine

rechtskräftige Entscheidung über die Rechtswegzuständig-

keit ergangen ist.

Bewertung Die Entscheidung des BAG ist dahingehend bemer-

kenswert, dass es im Streitfall gar nicht auf die Frage

ankam, ob eine Geschäftsführerabberufung nach

Klageerhebung zum Wegfall der Fiktion des § 5 Abs.

1 Nr. 3 ArbGG führen würde. Denn die Bekanntgabe

der Abberufungsentscheidung erfolgte gegenüber

dem Geschäftsführer bereits vor Klageerhebung. Da-

mit hätte § 5 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG bereits nach bisheri-

ger Rechtsprechung keine Sperrwirkung entfaltet. Im

Ergebnis ist der Rechtsprechungsänderung des BAG

keine erhebliche Bedeutung beizumessen. Denn in

der Praxis erfolgt die Abberufung des Geschäftsfüh-

rers grundsätzlich bereits unmittelbar nach der Zu-

stellung der Kündigung und damit vor einer etwaigen

Klageerhebung. Zudem ändert der Rechtspre-

chungswandel des BAG nichts an dem Umstand, dass

zur Begründung der Zuständigkeit des Arbeitsge-

richts das Vorliegen einer „arbeitsrechtlichen Strei-

tigkeit“ nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG erforderlich ist.

An dieser Voraussetzung wird es aber in der Regel

nicht scheitern.

Keine Altersdiskriminierung bei Festlegung eines Höchstbetrags im Sozialplan

LAG Nürnberg v. 12. November 2014 – 2 Sa 317/14

Das LAG Nürnberg hat im Berufungsverfahren eines

Klägers, dessen Abfindung im Rahmen eines Sozialplans

auf einen Höchstbetrag (Euro 100.000) gekürzt wurde,

entschieden, dass eine solche sog. Kappungsgrenze bei

einer Abfindung, die sich nach Einkommen und Betriebs-

zugehörigkeit bestimmt, weder eine Altersdiskriminierung

noch einen Verstoß gegen den betriebsverfassungs-

rechtlichen Gleichheitsgrundsatz darstellt. Die Entschei-

dung wurde damit begründet, dass Zweck einer Abfindung

nicht darin läge, eine Gegenleistung für Betriebstreue zu

erbringen, sondern die aus der Entlassung resultierenden

Nachteile für die Arbeitnehmer abzumildern. Demnach

können die Betriebsparteien eine Kappungsgrenze vorse-

hen mit dem Ziel, die mit der Staffelung nach Betriebszu-

gehörigkeit einhergehende Bevorzugung zu beschränken.

Dass von der Kappungsgrenze mehr ältere als jüngere

Arbeitnehmer betroffen sind, stelle daher auch keine mit-

telbare Altersdiskriminierung dar. Folgerichtig hat das

LAG Nürnberg die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Bewertung Praktische Relevanz entwickelt das Urteil, indem es

zeigt, dass die Betriebsparteien weiterhin bei der

Ausgestaltung von Sozialplänen ihren Gestaltungs-

spielraum zur Erreichung legitimer Ziele nutzen

können, ohne sich zugleich dem Vorwurf einer Dis-

kriminierung auszusetzen. Die Entscheidung des

LAG Nürnberg stellt eine konsequente Fortführung

der Rechtsprechung des BAG dar, das zuletzt bei

abgewandelter Sachverhaltskonstellation in seiner

Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015 11

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Entscheidung vom 26. Mai 2009 – 1 AZR 198/08 bei

einem nach dem AGG zu beurteilenden Sozialplan

eine Höchstbegrenzung – auch unter Berücksichti-

gung des Gemeinschaftsrechts – nicht beanstandet

hat.

Schulung eines Betriebsratsmitglieds zur kritischen Begleitung einer Einigungsstelle

BAG v. 20. August 2014 – 7 ABR 64/12

Nach dem Beschluss des BAG gehört es zu den Aufgaben

des Betriebsrats, die Verhandlungen in der Einigungsstelle

zu begleiten und sich mit deren Vorschlägen kritisch aus-

einanderzusetzen. Um diese Aufgabe in eigener Kompe-

tenz wahrnehmen zu können, kann auch die Schulung

eines – in die Einigungsstelle – entsandten Betriebsrats-

mitglieds erforderlich sein. Die Schulung durch die in die

Einigungsstelle entsandten externen Beisitzer – so lag der

Fall hier – ist aber ungeeignet für den Zweck, eine kriti-

sche Begleitung der Einigungsstelle zu gewährleisten, und

damit nicht erforderlich im Sinne von

§ 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG. Hierdurch könne nämlich der

Zweck, eine kritische und unabhängige Auseinanderset-

zung mit den Vorschlägen der Einigungsstelle zu ermögli-

chen, nicht erreicht werden. Das BAG stellt in seinem

Beschluss klar, dass die Erforderlichkeit der Schulung auch

nicht mit der Tätigkeit eines Betriebsratsmitglieds in der

Einigungsstelle begründet werden kann, da diese Tätigkeit

nicht zu den Aufgaben des Betriebsrats und seiner Mitglie-

der gehört.

Bewertung Dem Beschluss des BAG ist zuzustimmen. Zum ei-

nen setzt er der Kostenerstattungspflicht von Arbeit-

gebern Grenzen und macht deutlich, dass nicht jede

angebotene Schulung für Betriebsratsmitglieder auch

„erforderlich“ i.S.d § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG ist. Zum

anderen hat die Entscheidung klargestellt, dass strikt

zwischen den Tätigkeiten als Betriebsrat und einer

Tätigkeit als Beisitzer im Rahmen einer Einigungs-

stelle zu trennen ist. Nichtsdestotrotz darf nicht ver-

kannt werden, dass das BAG die Erforderlichkeit des

Schulungsbedarfs im konkreten Fall nur aufgrund der

ungewöhnlichen Sachverhaltskonstellation – Perso-

nenidentität zwischen Beisitzern und Schulungsrefe-

renten – verneint hat und eine abweichende Beurtei-

lung bei anderer Fallkonstellation möglich erscheint.

Unwirksamer Widerrufsvorbehalt zur Anpassung der Dauer der Arbeitszeit

LAG München v. 26. Juni 2014 – 3 Sa 30/14

Das LAG München hat entschieden, dass eine einseitig

vom Arbeitgeber vorgegebene Regelung in einer Zusatz-

vereinbarung, die den Arbeitgeber berechtigt, die regelmä-

ßige individuelle Wochenarbeitszeit aus Auslastungsgrün-

den, aufgrund innerbetrieblicher Umstrukturierung oder

wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten in der konkreten

Arbeitsaufgabe zu widerrufen mit der Folge, dass dann die

(niedrigere) betriebliche Arbeitszeit gilt, den Arbeitnehmer

unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB

benachteiligt und unwirksam ist. Dies gilt selbst dann,

wenn ein Widerrufsvorbehalt auch zugunsten des Arbeit-

nehmers bei Vorliegen persönlicher Belange vorgesehen

ist, da hier eine Umgehung der Kündigungsvorschriften

insbesondere im Hinblick auf § 2 KSchG vorliegt. Darüber

hinaus ist eine solche Regelung nach

§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB wegen Verstoßes gegen das Trans-

parenzgebot unwirksam, wenn sie auf eine arbeitsvertragli-

che Regelung verweist, in der sich der Arbeitgeber die

Änderung der dann geltenden betrieblichen Arbeitszeit

vorbehalten hat.

Bewertung Ein Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der

Dauer der Arbeitszeit, das wegen der arbeitszeit-

abhängigen Vergütung auch diese reduziert, ist ein

Eingriff in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses.

Nichtsdestotrotz hat die bisherige BAG-

Rechtsprechung keinen Anlass zur Annahme gege-

ben, dass Änderungsvorbehalte hinsichtlich der Ar-

beitszeit und damit des Arbeitsentgelts generell als

eine unangemessene Benachteiligung des Arbeit-

nehmers zu qualifizieren sind. In seinem Urteil vom

12 Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015

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7. Dezember 2005 – 5 AZR 535/04 hat es die formu-

larvertragliche Vereinbarung einer durch den Arbeit-

geber einseitig abrufbaren Verlängerungs-

möglichkeit unter bestimmten Grenzen für zulässig

erklärt. Jedoch überzeugt die Argumentation des LAG

München dahingehend, dass es sich bei dem vorlie-

genden Widerrufsgrund der „innerbetriebliche(n)

Umstrukturierung“ nicht mehr um Flexibilisierung –

so aber im Fall des BAG – sondern um eine dauerhaf-

te Verkürzung der Arbeitszeit des Arbeitnehmers

handele. Es bleibt abzuwarten, wie die Entscheidung

des BAG in der Revision (10 AZR 551/14) ausfällt.

Pflicht zur Prüfung der Betriebsrentenanpassung bei versicherungsförmigem Durchführungsweg ausgeweitet

BAG v. 30. September 2014 – 3 AZR 617/12

Führt der Arbeitgeber eine Zusage der betrieblichen Al-

tersversorgung extern durch eine Pensionskasse oder eine

Direktversicherung durch, besteht für ihn unter den Vo-

raussetzungen des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG die Mög-

lichkeit von seiner nach § 16 Abs. 1 BetrAVG bestehen-

den Pflicht zur Prüfung einer Anpassung der laufenden

Rentenleistungen befreit zu werden. Danach müssen von

Pensionskasse/Direktversicherung sämtliche auf den Ren-

tenbestand entfallenden Überschussanteile zur Erhöhung

der laufenden Leistungen verwendet werden und zur Be-

rechnung der garantierten Leistungen der nach § 65 Abs. 1

Nr. 1 lit. a VAG festgesetzte Zinssatz zur Berechnung der

Deckungsrückstellungen darf nicht überschritten werden.

Durch die Entscheidung des BAG wurde der Anwen-

dungsbereich dieses Ausnahmetatbestandes, der auch

Escape-Klausel genannt wird, erheblich eingeschränkt.

Zwar entschied das BAG die lange umstrittene Streitfrage,

ob die Escape-Klausel für regulierte und deregulierte Pen-

sionskassen gleichermaßen gilt, unter Bezugnahme auf die

Entstehungsgeschichte und Gesetzesbegründung der

Norm dahingehend, dass keine Unterschiede bei der An-

wendung der Escape-Klausel hinsichtlich der verschiede-

nen Pensionskassenarten zu machen sind. Allerdings solle

die Escape-Klausel in keinem Fall für Anpassungsansprü-

che hinsichtlich laufender Leistungen Anwendung finden,

die auf einer vor dem Inkrafttreten der Deckungsrückstel-

lungsverordnung (DeckRV) erteilten Versorgungszusage

beruhen. Durch die Bezugnahme der Escape-Klausel auf

die in § 65 VAG geregelte Ermächtigung des Finanzminis-

teriums zum Erlass der DeckRV, habe der Gesetzgeber

zum Ausdruck bringen wollen, dass der zeitliche Anwen-

dungsbereich der Escape-Klausel auf solche Versorgungs-

zusagen begrenzt sei, die dem Geltungsbereich der

DeckRV überhaupt unterliegen. Für vor Inkrafttreten der

DeckRV erteilte Versorgungszusagen seien die Vorausset-

zungen der Escape-Klausel schon gar nicht erfüllbar, wes-

halb diese Bestimmung somit vor Inkrafttreten der

DeckRV am 16. Mai 1996 nicht gelten könne.

Bewertung

Die Entscheidung des BAG überrascht, wurde doch

bisher weder in der juristischen Literatur noch in der

Rechtsprechung angezweifelt, dass die Escape-

Klausel auch für vor dem Inkrafttreten der DeckRV

erteilte Versorgungszusagen Anwendung findet, zu-

mal eine den zeitlichen Anwendungsbereich der Es-

cape-Klausel einschränkende Überleitungsvorschrift –

wie in § 30c Abs. 1 BetrAVG zur Geltung des § 16

Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG – nicht besteht. Da das BAG

einen Vertrauensschutz für Altfälle explizit ausge-

schlossen hat, ergeben sich für Arbeitgeber aufgrund

des Urteils des BAG erhebliche Haftungsrisiken.

Zum einen ist zu beachten, dass die eventuell bereits

auf den externen Versorgungsträger abgestreifte An-

passungspflicht in Zukunft für vor dem 16. Mai 1996

erteilte Versorgungszusagen wiederauflebt. Zum

anderen können Arbeitnehmer auch rückwirkend

Anpassungs(prüfungs)ansprüche gegenüber ihren

Arbeitgebern geltend machen, falls die von den exter-

nen Versorgungsträgern vorgenommenen Anpassun-

gen das Niveau der Anpassung nach § 16 Abs. 1 Be-

trAVG nicht erreicht haben.

Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015 13

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Urlaub nach fristloser Kündigung

BAG v. 10. Februar 2015 – 9 AZR 455/13

Bisher konnte der Arbeitgeber vorsorglich für den Fall der

Unwirksamkeit einer von ihm erklärten außerordentlichen

Kündigung den Urlaub des Arbeitnehmers allein durch

(unwiderrufliche) Freistellung gewähren, soweit hilfsweise

neben der fristlosen auch eine ordentliche Kündigung

erklärt wurde. Im konkret vom BAG zu entscheindenden

Fall kündigte der Arbeitgeber außerordentlich, hilfsweise

ordentlich und nahm folgenden Passus in die Kündigungs-

erklärung auf:

„Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweisen fristgemäßen Kündigung

werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher

Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbrin-

gung Ihrer Arbeitsleistung freigestellt.“

Nach neuer Ansicht des BAG setzt die Erfüllung des

Anspruchs auf Urlaub gem. § 1 BUrlG neben der Freistel-

lung auch die Zahlung der Vergütung voraus. Deshalb

gewähre ein Arbeitgeber durch eine Freistellungserklärung

in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub,

wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor

Antritt des Urlaubs zahle oder vorbehaltlos zusage.

Bewertung

Das Urteil, welches bisher nur als Pressemitteilung

vorliegt, überrascht in mehrerlei Hinsicht. Verwun-

derlich ist zunächst, dass sich das BAG überhaupt

mit der Frage einer ordnungsgemäßen Urlaubsge-

währung durch Freistellung nach fristloser Kündi-

gung auseinandersetzt, obwohl nach dessen Auffas-

sung der Anspruch auf Urlaubsabgeltung durch Ver-

gleich erledigt worden war. Zudem ändert das BAG in

seinem obiter dictum noch seine Rechtsprechung.

Ausweislich der Pressemitteilung ist mit einer Rück-

kehr zur sog. „Einheitstheorie“ zu rechnen. Bisher

hat das BAG den Urlaubsanspruch lediglich als Be-

freiung von der Arbeitspflicht gesehen. Der Anspruch

auf Arbeitsentgelt werde hierdurch nicht berührt.

Diese Rechtsprechung steht allerdings nicht im Ein-

klang mit europäischem Recht seit der „Schulz-

Hoff“-Entscheidung des EuGH, wonach der An-

spruch auf Jahresurlaub und der Anspruch auf Zah-

lung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines ein-

zigen Anspruchs (sog. Einheitsanspruch) gelten.

Daraus folgen strengere Anforderungen an die Erfül-

lungshandlung des Arbeitgebers als dies nach natio-

nalem Recht derzeit der Fall ist. Dies scheint das

BAG mit der vorliegenden Entscheidung wohl zu

korrigieren und zu seiner Rechtsprechung zurückzu-

kehren, die es bereits Mitte der 70er Jahre vertreten

hatte. Nach der Pressemitteilung ist folglich die Ur-

laubserledigung in den obengenannten Fällen erheb-

lich erschwert bzw. verteuert.

Vorschau (BAG): 21. April 2015, 3. Senat Betriebsrentenanpassung – wirtschaftliche Lage des Versorgungschuldners – Berechnungsdurchgriff

17. Juni 2015, 4. Senat Bezugnahmeklausel und Gleichstellungsabrede – Dynamisierung – Anwendung der „Alemo-Herron-Rechtsprechung“?

23. Juni 2015, 9. Senat Berechnung der Urlaubsvergütung nach dem RTV – Berücksichtigung im Referenzzeitraum geleisteter Überstunden

14 Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015

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Richtig umgesetzt Sachgrundbefristung bei vorübergehendem Bedarf

Befristete Arbeitsverträge stellen nach dem Teilzeit- und

Befristungsgesetz (TzBfG) grundsätzlich die Ausnahme

dar und sind daher nur bei Einhaltung strenger Anforde-

rungen (ausnahmsweise) zulässig. Hintergrund ist, dass

durch eine Befristung keine zwingenden Kündigungs-

schutzbestimmungen umgangen werden sollen. Im Hin-

blick auf die Anforderungen an eine wirksame Befristung

ist zunächst zu unterscheiden zwischen der Befristung mit

sachlichen Grund (auch Sachgrundbefristung genannt) und

der kalendermäßigen Befristung ohne sachlichen Grund

(auch Zeitbefristung genannt).

Die kalendermäßige Befristung unterliegt einer zeitlichen

Beschränkung (max. 2 Jahre und bis zu dieser Gesamtdau-

er von zwei Jahren nur höchstens drei Verlängerungen)

und es darf nicht zuvor bereits ein Arbeitsverhältnis zwi-

schen dem Unternehmen und dem Mitarbeiter bestanden

haben, dessen Arbeitsverhältnis (zeitlich) befristet werden

soll (§ 14 Abs. 2 TzBfG). Das BAG hatte das Verbot der

Zuvor-Beschäftigung (u.a. aus verfassungsrechtlichen Grün-

den) insoweit gelockert, als eine Zuvor-Beschäftigung

nicht mitzählen soll, die zurzeit der Neubegründung eines

befristeten Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurück-

liegt (BAG v. 6. April 2011 – 7 AZR 716/09, NZA 2011,

905). Eine Entscheidung des BVerfG liegt hierzu jedoch

noch nicht vor. Auch hat sich kürzlich noch das LAG

Baden-Württemberg (v. 21. Februar 2014 – 7 Sa 64/13)

für ein umfassendes Zuvor-Beschäftigungsverbot ausge-

sprochen. Auch für weiter zurückliegende Arbeitsverhält-

nisse sollte daher – wenn möglich – das Zuvor-

Beschäftigungsverbot beachtet werden.

Ist eine kalendermäßige Befristung unzulässig, z.B. bei

Überschreiten der 2-Jahres-Grenze oder im Falle einer

Zuvor-Beschäftigung, kommt nur noch eine Befristung

mit sachlichem Grund in Betracht. Hierzu enthält § 14

Abs. 1 TzBfG eine (nicht abschließende) Aufzählung von

sachlichen Gründen.

Besonders praktisch relevant sind hier neben der Erpro-

bungsbefristung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG) insbeson-

dere die Befristung wegen eines nur vorübergehenden betriebli-

chen Bedarfs an der Arbeitsleistung und die Befristung zur

Vertretung eines anderen Mitarbeiters.

Während bei der Befristung zur Vertretung in der Regel

eine unmittelbare Verknüpfung zwischen dem Ausfall eines

Mitarbeiters und seiner Vertretung durch einen anderen

Mitarbeiter besteht (z.B. typisch bei Elternzeit- oder

Krankheitsvertretung), können sich hinter einer Befristung

wegen nur vorübergehenden Bedarfs komplexe Strukturen

zur Verteilung einzelner Aufgaben verbergen. Dies kann

z.B. der Fall sein, wenn ein Mitarbeiter für ein vorüberge-

hendes Projekt besonders qualifiziert ist und dessen (Dau-

er-) Aufgaben zur Schaffung von Kapazitäten vorüberge-

hend an andere Mitarbeiter verteilt werden müssen. Ggf.

müssen von diesen Mitarbeitern wiederum Aufgaben

„wegverteilt“ werden usw. Für solche Ketten muss dann

jeweils in Bezug auf jeden Mitarbeiter und die jeweiligen

Aufgaben ein ursächlicher Zusammenhang nachgewiesen

werden können. Hierzu gehört, dass konkret dargelegt

wird, zu wie viel Prozent welcher Mitarbeiter welche Auf-

gaben für welche Dauer wahrnimmt. Insoweit bestehen

nach der Rechtsprechung (BAG v. 17. März 2010 – 7 AZR

640/08, NZA 2010, 633, 634) strenge Anforderungen,

insbesondere diese:

Es muss im Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses

mit hinreichender Sicherheit zu erwarten sein, dass nach dem

vorgesehenen Arbeitsvertragsende für die Beschäfti-

gung des befristet eingestellten Mitarbeiters in dem

Betrieb kein dauerhafter Bedarf mehr besteht. Hier-

über hat das Unternehmen bei Abschluss des befristeten

Arbeitsvertrags eine Prognose zu erstellen, der konkrete

Anhaltspunkte zu Grunde liegen müssen.

Die tatsächlichen Grundlagen für die Prognose über

den nur vorübergehend bestehenden Arbeitskräftebe-

darf hat das Unternehmen im Prozess darzulegen.

Wird die Befristung auf einen zusätzlichen Arbeits-

kräftebedarf im Bereich der Daueraufgaben gestützt, hat

das Unternehmen darzutun, auf Grund welcher Um-

stände bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags

davon auszugehen war, dass künftig nach Ablauf der

mit dem befristet beschäftigten Mitarbeiter vereinbar-

ten Arbeitsvertragslaufzeit das zu erwartende Arbeits-

Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015 15

© Allen & Overy 2015 15

pensum mit dem vorhandenen Stammpersonal würde erle-

digt werden können.

Es reicht also insbesondere nicht aus darzulegen, dass

durch ein neues Projekt mit erwarteten Arbeitsstunden x

ein zusätzlicher Beschäftigungsbedarf von x Arbeitsstun-

den für entsprechend einen oder mehrere (Teilzeit-

/Vollzeit-) Mitarbeiter entsteht. Gleichermaßen reicht es

für eine Befristung wegen vorübergehenden Bedarfs nicht

aus, durch den Abschluss befristeter Arbeitsverträge eine

Art Personalreserve für Daueraufgaben mit der Begrün-

dung vorzuhalten, die Beschäftigungssituation sei derzeit

insgesamt nicht abzusehen. Hier können dann nur die

Möglichkeiten der Zeitbefristung genutzt werden (max. 2

Jahre, keine Zuvor-Beschäftigung).

Reminder Formalien

Ergibt die Prognose, dass der Arbeitsvertrag mit dem

Sachgrund des vorübergehenden Bedarfs gerechtfertigt

werden kann oder liegen die Voraussetzungen für eine

Zeitbefristung vor, dürfen auch die allgemein für Befris-

tungen geltenden Formalien nicht außer Acht gelassen

werden.

So ist insbesondere die Schriftform für jede Befristungsab-

rede zu beachten. Ein Austausch von Kopien, Ausferti-

gungen per Telefax/E-Mail, eine Bestätigung der Befris-

tungsabrede durch den Mitarbeiter nur auf einer Kopie des

arbeitgeberseitigen (Verlängerungs-) Schreibens usw. ist

unzureichend; vielmehr müssen Originalunterschriften der

Parteien auf derselben Urkunde erfolgen (§ 14 Abs. 4

TzBfG, § 126 Abs. 1, 2 BGB). Wichtig ist zudem, dass das

Schriftformerfordernis schon bei der Vereinbarung der

Befristung eingehalten wird. Es reicht also grundsätzlich

nicht aus, dass z.B. die Unterschriften unter einem Ar-

beitsvertrag mit Befristungsabrede nur per E-Mail/pdf-

Datei vor Arbeitsantritt ausgetauscht werden und die Par-

teien die Originalunterschriften dann erst nach Arbeitsan-

tritt nachholen, selbst wenn dies am ersten Arbeitstag

erfolgt, der Mitarbeiter aber zuvor schon tätig geworden ist

(hier können bereits wenige Stunden der Arbeitsleistung

vor Einhaltung der Schriftform schädlich sein). Dies ergibt

sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes,

wird aber aus § 14 Abs. 4 TzBfG allgemein abgeleitet

(„Die Befristung … bedarf zu ihrer Wirksamkeit der

Schriftform“; zu den Folgen der (tatsächlichen) Weiterar-

beit nach Ablauf der Befristung vgl. auch § 15 Abs. 5

TzBfG).

Nicht erforderlich ist hingegen, dass im Arbeitsvertrag

angegeben wird, ob es sich um eine Befristung mit oder

ohne Sachgrund handelt. Insoweit bezieht sich das Schrift-

formerfordernis nur auf die Befristungsabrede an sich,

nicht auf deren Rechtfertigung. Allerdings sollte intern

dokumentiert sein, auf welcher Grundlage die Befristung

erfolgt, um diese in einem etwaigen Prozess später darle-

gen und beweisen zu können (vgl. zur Dokumentation

auch den Hinweis).

Wichtig ist noch, dass die Verlängerung eines befristeten

Arbeitsvertrages nicht dazu genutzt wird, neben der blo-

ßen Laufzeit des Arbeitsvertrages weitere Änderungen zu

vereinbaren (selbst bei Änderungen zugunsten des Mitar-

beiters), denn dann handelt es sich nicht um eine Verlänge-

rung des bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses, sondern

um den Neuabschluss eines Arbeitsverhältnisses (BAG v.

23. August 2006 – 7 AZR 12/06, AP TzBfG § 14 Verlän-

gerung Nr. 1). Ein solcher Neuabschluss wäre insbesonde-

re schädlich bei einer Zeitbefristung wegen des Verbots

der Zuvor-Beschäftigung. Begrifflich verlangt zudem die

Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages nach herr-

schender Meinung zeitlich den nahtlosen Anschluss der Ver-

längerung an das bisherige befristete Arbeitsverhältnis und

die Verlängerung noch während der Laufzeit des befriste-

ten Arbeitsvertrages (selbst eine Unterbrechung von nur

einem Tag/einem Wochenende wird hier für schädlich

erachtet).

Hinweis Fehler bei der Befristungsabrede können zu einem unbefriste-ten Arbeitsverhältnis führen (§ 16 Satz 1 TzBfG). Der Mitarbei-ter muss dies erst innerhalb von drei Wochen nach dem ver-einbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages mit einer Entfristungsklage vor dem Arbeitsgericht geltend machen (§ 17 Satz 1 TzBfG). Bei längerfristigen Arbeitsverträgen stellt sich daher ggf. erst Jahre nach Abschluss der Befristungsab-rede heraus, ob die Befristung wirksam war. Daher empfiehlt sich eine aussagekräftige schriftliche Dokumentation hierzu schon vor Abschluss der Befristungsabrede, z.B. durch eine standardisierte Arbeitshilfe.

16 Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015

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Für die Sammlung Folgender Baustein kann für eine Arbeitshilfe zur Sachgrundbefristung für die Ermittlung/Dokumentation eines nur vorübergehenden betrieblichen Bedarfs an einer Arbeitsleistung verwendet werden (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG):

Prognose Sachgrundbefristung vorübergehender Bedarf:

Auflistung der einzel-nen Aufgaben für die Zielstelle gemäß Stel-lenbeschreibung

Zeitlicher Anteil einzelne Aufgabe an Wochen-arbeitszeit [z.B. 40 Wochenstunden] in ca. %

Prognose bei Abschluss Arbeitsvertrag/Verlängerung ist, dass die einzelne Auf-gabe zum [bitte Datum eintragen]:

1) wegfällt zu [bitte Zahl eintragen] %; und/oder

2) umverteilt wird zu [bitte Zahl eintragen] % auf [bitte Name anderer Mitarbeiter eintragen], denn dort wer-den dann Kapazitäten frei, um Aufgabe zu überneh-men

Bitte konkrete Gründe für Prognose nennen (ggf. Nach-weise dazu benennen/ beifü-gen); bei Umverteilung auf andere Mitarbeiter konkret für alle beteiligten Mitarbeiter auch benennen, warum dort zu der Zeit Kapazitäten im erfor-derlichen Umfang (%) frei werden (Kontrollüberlegung: Summe der Aufgaben, die wegfallen/umverteilt werden = 100% und zeitliche Überein-stimmung bei mehreren Mitar-beitern?)

Ggf. Begründung für zeitliches Ausei-nanderfallen prog-nostizierte Dauer Aufgabe und ge-plante Befristungs-dauer

1. [Beschreibung Aufgabe]

[z.B. 15%]

2. [Beschreibung Aufgabe]

[z.B. 10%]

3. [Beschreibung Aufgabe]

[z.B. 5%]

4. [Beschreibung Aufgabe]

[z.B. 25%]

5. [Beschreibung Aufgabe]

[z.B. 20%]

6. [Beschreibung Aufgabe]

[z.B. 25%]

Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015 17

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Druckfrisch Publikationen

Thema Medium Autor(en)

Vergütung bei Banken im Spannungsfeld von Arbeits- und

Aufsichtsrecht

NZA 3/2015 Dr. Hans-Peter Löw

Anja Glück

Mitarbeiterbeteiligung in der Unternehmenskrise – Instrument zur

Verbesserung der Kapitalstruktur und Liquiditätsausstattung

Betriebs-Berater 8/2015 Boris Blunck

Anti-Stress-Verordnung – richtige Diagnose, falsche Therapie! ASU Zeitschrift für medizinische

Prävention

Tobias Neufeld

Bei Interesse an einzelnen Beiträgen wenden Sie sich bitte an [email protected] oder den/die Autor(en).

Veranstaltungen

Ort, Datum Referent(en)

Personal Nord – Podiumsdiskussion zum Thema „Rechtliche Anforde-

rungen beim Recruiting und im Umgang mit Social Media im internati-

onalen Vergleich“

Hamburg, 6. Mai 2015 Markulf Behrendt

Bei Interesse an einer der genannten Veranstaltungen kontaktieren Sie bitte Ihren gewohnten Ansprechpartner oder den Referenten.

18 Praxiswissen Arbeitsrecht | 2/2015

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60 Sekunden mit… Frank Schemmel (Know-How Officer, Düsseldorf)

Frank Schemmel Tel +49 211 2806 7455 [email protected]

Heute Morgen: Ihr erster Gedanke nach dem Aufstehen?

Mit dem Fahrrad oder zu Fuß ins Büro?

Ihr letztes Buch?

Rebecca Gablé – Der dunkle Thron

Tee oder Kaffee

Matcha Latte

Pizza oder Pasta?

Pizza Diavolo und Pasta mit Meeresfrüchten

Meer oder Berge?

Meer

Rotwein oder Weißwein?

Eiswein

Nächstes Urlaubsziel?

Schnorchelurlaub auf den Malediven

Tatort oder Traumschiff?

Tatort

Studiert in?

Augsburg und Nishinomiya (Japan)

Ihr Lieblingsthema als Anwalt?

Betrieblicher Gesundheitsschutz (insb. Stress und Burn-out im Arbeitskontext)

Wen würden Sie gern einmal persönlich kennen lernen?

Hayao Miyazaki (japan. Regisseur)

Was schätzen Sie an Ihren Kollegen am meis-ten?

Teamspirit, Offenheit und spezieller Humor

Ihre letzte CD?

ALi – Turning Point

Ihr Motto?

Das Alte sagt: So wie ich bin, bin ich seit je. Das Neue sagt: Bist du nicht gut, dann geh! (Bertolt Brecht – Leben des Galilei)

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Wer und wo? Düsseldorf

Tobias Neufeld, LL.M. Tel. +49 211 2806 7120 [email protected]

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Yukiko Hitzelberger-Kijima Tel. +49 211 2806 7113 [email protected]

Vera Luickhardt Tel. +49 211 2806 7116 [email protected]

Chinh Nguyen Tel. +49 211 2806 7977 [email protected]

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Boris Blunck Tel. +49 69 2648 5860 [email protected]

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Dr. Bettina Scharff Tel. +49 89 71043 3133 [email protected]

Hamburg

Markulf Behrendt Tel. +49 40 82 221 2171 [email protected]

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Sören Seidel Tel. +49 40 82 221 2154 [email protected]

Dr. David Wagner Tel. +49 40 82 221 2175 [email protected]

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