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Prof. Dr. E. - W. Luthe, Fakultät Soziale Arbeit Stand 2018 Berechnungen mit jeweils neuen Regelleistungen, aktualisiert im Januar 2018 durch Moritz Nolting, M.S.M. Fälle zum Fürsorgerecht (SGB II und SGB XII)

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Prof. Dr. E. - W. Luthe, Fakultät Soziale Arbeit Stand 2018

Berechnungen mit jeweils neuen Regelleistungen, aktualisiert im Januar 2018 durch

Moritz Nolting, M.S.M.

Fälle zum Fürsorgerecht (SGB II und SGB XII)

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Luthe, IRS 2

Inhalt: Seitenzahl

. Einführung 4

. Zuordnung des Personenkreises 8

Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

. Berthold 10

Unter 25- Jährige, gesetzlicher Übergang von Unterhaltsansprüchen,

Ersatzanspruch, Eingliederungsmaßnahmen, Leistungswegfall)

. Happy Family 14

(Bedarfsgemeinschaft)

. Lotte 17

(Kombilohn, Nachrang, Bereinigung des Einkommens, Angemessenheit

Der Wohnung, Fortzahlung der Miete, Schonvermögen)

. Lotte „schwierig“ 24

(Kombilohn, Nachrang, Bereinigung des Einkommens, Angemessenheit

Der Wohnung, Fortzahlung der Miete, Schonvermögen)

. Pit 35

(Sanktionen, Vermögensminderung, Rechtsschutzmöglichkeiten)

Sozialhilfe(SGB XII)

. Hilde 41

(Hilfe zum Lebensunterhalt, anrechenbares Einkommen, Vermögen, Härterfall,

Mehrbedarf)

. Otto 46

( Hilfe in besonderen Lebenslagen, Leistungsausschluss, originäre Kranken-

Hilfe, Zuständigkeit)

. Peter 55

(Einkommenseinsatz, Schonbetrag, Zuständigkeit)

. Eingliederungsleistungen nach dem SGB II 59

. Prüfungsschema Fürsorgerecht 61

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Luthe, IRS 3

. Anhang I „Bedarf“ 65

. Anhang II §§ 76, 77 SGB IX 66

. Anhang III Individualisierungsgrundsatz 67

. Anhang IV Zuordnung SGB II / XII 68

. Anhang V Sonderbedarfe 69

. Anhang VI Freibetrag wg. Erwerbstätigkeit 70

. Anhang VII vom Bürger zum „Hartzer“ 71

. Anhang VII Anspruchsübergang / Grundsicherung 72

. Anhang IX Regelbedarfe 73

. Anhang X §87 Zumutbarkeit 74

. Anhang XI „Die Job – Bilanz“ 75

.Anhang XII angemessene Unterkunftskosten Braunschweig 2016 76

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Luthe, IRS 4

Einführung

1. Das alte System: Arbeitslosenhilfe und Sozialhil fe - „Gerechtigkeitslücke“

Das SGB II wurde eingeführt, um eine Gerechtigkeitslücke zu beseitigen (näher dazu

Luthe, siehe irs-bs.de, Service aktuell, „Gleichheitsprobleme mit Hartz IV“). Bis Ende

2004 bezogen Dauerarbeitslose nach Bezug des Arbeitslosengeldes I unbefristet die

sog. Arbeitslosenhilfe. Sie waren gegenüber den damaligen Sozialhilfeempfängern

privilegiert: Arbeitslosenhilfeleistungen orientierten sich nicht an einem einheitlichen

Bedarf, sondern am früheren Einkommen des Leistungsempfängers. Vermögen wurde

nicht auf die Leistung angerechnet. Angehörige wurden nicht herangezogen. Nicht

zuletzt wurde bei der Erwerbsverpflichtung des Arbeitslosenhilfebeziehers noch auf den

vorherigen Beruf Rücksicht genommen; dagegen musste bspw. der Sozialhilfe

empfangende Ingenieur jede nur erdenkliche Arbeit oder Arbeitsgelegenheit

wahrnehmen. Für diese Ungleichbehandlung von Arbeitslosenhilfebeziehern und

Sozialhilfebeziehern aber gab es keinen vernünftigen Grund. Denn ebenso wie die

Sozialhilfe wurde die Arbeitslosenhilfe nicht aus Sozialversicherungsbeiträgen, sondern

aus Steuern finanziert. Eigentumsähnliche Ansprüche wie etwa bei Beziehern von

Arbeitslosengeld I oder Altersrente konnten bei der Arbeitslosenhilfe somit nicht

entstehen. Es versteht sich fast von selbst, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit durch die

Annehmlichkeiten der Arbeitslosenhilfe künstlich verlängert wurden; man hatte es sich

in diesem System bequem eingerichtet. Damit ist seit 2005 endlich Schluss. „Hartz IV“

hat die Arbeitslosenhilfe abgeschafft, alle erwerbsfähigen Arbeitslosen (teilweise nach

Bezug von Arbeitslosengeld I) und ihre Angehörigen ins SGB II und alle Nicht-

Erwerbsfähigen ins SGB XII überführt.

2. Verfassungsrecht auf Existenzsicherung

In seiner populären Entscheidung vom 9.2.2010 zum Existenzminimum (zur

Entwicklung der Rechts auf Existenzminimum siehe Luthe, in Hauck/Noftz/Luthe,

Komm. zum SGB XII, Einführung – E 010, Rz 1 – 25) hat das

Bundesverfassungsgericht erstmalig ein einklagbares Verfassungsrecht des Bürgers

auf Sicherung seiner Existenz aus dem Menschenwürdeprinzip in Verbindung mit dem

Sozialstaatsgrundsatz anerkannt (Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG). Damit kann der

Bürger sogar Parlamentsgesetze zu Fall bringen, also insbesondere auch Regelungen

im SGB II - wie geschehen. Allerdings sagt dieses Recht nichts aus zu Art und Höhe

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Luthe, IRS 5

der staatlicherseits zu gewährenden Leistung. Dies fällt nach wie vor in den

Verantwortungsbereich des Parlaments. Das Bundesverfassungsgericht hat nur

bestimmte Anforderungen an den Prozess der Gesetzgebung formuliert. So muss der

Gesetzgeber vor allem genaue Ermittlungen über die Armutsproblematik und des

erforderlichen Bedarfs der Bürger anstellen; zudem hat er seine Entscheidungen

nachvollziehbar zu begründen. Sind diese Anforderungen gewahrt, ist er kraft des

Demokratieprinzips bei der näheren gesetzlichen Ausgestaltung des

Existenzminimums frei.

3. Grundsätze der öffentlichen Fürsorge

Rechtliche Grundsätze dienen dem näheren Verständnis des Gesetzes und seiner

korrekten Anwendung (näher zu den Grundsätzen des Fürsorgerechts Luthe/Dittmar,

Fürsorgerecht, 2. Aufl. 2007, S. 45-53, 240-244). Denn häufig ist das Gesetz

unbestimmt und muss ausgelegt werden. Dies gilt vor allem im Bereich des Ermessens

und bei den unbestimmten Rechtsbegriffen. Insbesondere die vorleistungsunabhängig

erbrachten Fürsorgeleistungen, die nicht (wie bspw. die Altersrente) der

Lebensstandardsicherung durch vorsorgende Beitragsentrichtung dienen, sondern nur

ein aktuell vorliegendes soziales Problem auf bescheidenem Leistungsniveau

beseitigen oder abmildern wollen, kennen folgende Grundprinzipien:

Bedarfsdeckungsgrundsatz: „Der vorhandene Bedarf muss lückenlos gedeckt werden.“

Dieser Satz bringt an sich Selbstverständliches zum Ausdruck, ist in der Umsetzung

jedoch nicht immer einfach. Denn häufig ist der Bedarf unklar. Dies kann zum einen

daran liegen, dass das Gesetz offene Formulierungen aufweist und hinsichtlich seiner

Leistungen interpretiert werden muss, zum anderen daran, dass die Sachlage – das

jeweilige soziale Problem – im Einzelfall schwierig zu ermitteln ist. Die Ermittlung der

Sachlage erfolgt in der Verwaltungspraxis typischerweise durch den Sozialarbeiter

(oder auch durch Ärzte oder Psychologen; vgl. §§ 20, 21 SGB X). Dieser aber muss

das Gesetz genau kennen; denn er ermittelt stets im Hinblick auf

Sozialleistungsansprüche des Bürgers, niemals also einfach ins Blaue hinein. So

kommt es zu einer Wechselwirkung zwischen Gesetzesnorm und Sachlage. Der

Bedarfsdeckungsgrundsatz verdeutlicht diese Verschränkung von Norm und Tatsache;

er ist insofern ein heuristisches Prinzip.

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Luthe, IRS 6

Subsidiaritätsprinzip (bspw. § 2 SGB XII; §§ 2, 3 Abs. 3, 5, 9 SGB II): „Die staatliche

Leistung ist stets nachrangig gegenüber eigenen Möglichkeiten der Selbsthilfe“ (auch

Nachranggrundsatz). Selbsthilfemöglichkeiten können sein

-eigenes Einkommen und Vermögen

- eigene Erwerbstätigkeit

- Hilfe von anderen Personen (bspw. Unterhaltsverpflichtete)

- Hilfe von vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträgern (bspw. Rentenversicherung

oder Krankenversicherung).

Das Subsidiaritätsprinzip wird aber auch institutionell verwendet, als Vorrang privater

Hilfe gegenüber staatlicher Hilfe (vgl. ansatzweise bspw. § 17 Abs. 1 SGB II, § 5 SGB

XII). Vor allem die Freie Wohlfahrtspflege beruft sich gern auf diesen Grundsatz – nach

dem Motto „Ihr gebt das Geld, wir bestimmen, was damit gemacht wird.“ Dieser

Auffassung wurden aber glücklicherweise bereits in den 1960er Jahren durch das

Bundesverfassungsgericht Grenzen gesetzt: Das Bestimmungsrecht über das „Ob“

und „Wie“ der Aufgabenerfüllung liegt beim Staat – auch dann, wenn er die Leistungen

durch beauftragte „Leistungserbringer“, also private Sozialunternehmen wie diejenigen

der Freien Wohlfahrtspflege ausführen lässt.

Individualisierungsgrundsatz (§ 33 SGB I, § 9 SGB XII): Bei der Anwendung des

Rechts und der Ermittlung der Leistung soll man die persönlichen Verhältnisse des

Betroffenen und in gewissen Grenzen auch dessen Wünsche – mithin den Einzelfall -

berücksichtigen. Der Individualisierungsgrundsatz macht sehr viel Sinn; man kann die

Betroffenen regelmäßig nur dort erreichen wo sie jeweils stehen: Schematisches

Verwaltungshandeln kommt hier nicht zum Ziel, läuft an den Problemen vorbei. Auch

hier zeigt sich wieder (s.o.), dass der zumeist im Außendienst tätige Sozialarbeiter die

Problemlage genau ermitteln muss, um den gesetzlichen Leistungsanspruch des

Betroffenen auslösen und um sodann im Einzelfall wirksam intervenieren zu können.

Die Verwaltungspraxis läuft leider häufig genau in die falsche Richtung – und wird

dadurch vor Gericht angreifbar (Stichwort „Textbausteine“, schematisch angewandte

Verwaltungsvorschriften, Kostenerwägungen als Grund für einen gezielt „unscharfen

Blick“ auf die Bedarfslage).

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Pauschalierte Bedarfsdeckung: Im Bereich der reinen Versorgungsleistungen (also

Ernährung, Unterkunft, Bekleidung usw.) ist der Gesetzgeber seit 2005 auf eine dem

Individualisierungsgrundsatz zuwiderlaufende Bedarfsdeckung durch

Pauschalleistungen umgestiegen. Dies bedeutet: Die Leistungsempfänger müssen

haushalten und für größere Anschaffungen ggf. ansparen; weitere Leistungen

außerhalb der Pauschale gibt es nur ausnahmsweise und auch nur auf Darlehensbasis

(§§ 24 SGB II, 37 SGB XII). Auf den Individualisierungsgrundsatz kommt es heute

deshalb weniger bei den Versorgungsleistungen, dagegen vor allem bei den

therapeutischen, medizinischen oder pädagogischen „Maßnahmen“ etwa für

Behinderte, Pflegebedürftige, Schwererziehbare an.

Fördern und Fordern: Diesen Grundsatz gibt es nur im SGB II (§§ 1 und 2).

Beim Grundsatz des Förderns (in § 1) handelt es sich um einen Appell an die

Leistungsträger, der Unterstützungsaufgabe des § 14 SGB II durch ein kompetentes

Fallmanagement (§ 15) und die Gewährung von Arbeitsanreizen (Freibeträge bei

Erwerbstätigkeit, Kinderbetreuung) gewissenhaft nachzukommen. Konzepte nach US-

amerikanischem Vorbild, für die allein ein größerer Abstand zwischen

Arbeitseinkommen und Leistungen Ausstiege aus der staatlichen Hilfe zur Folge hat,

werden damit verworfen.

Der Grundsatz des Forderns (in § 2) setzt gezielt auf die Beeinflussung der Motivation

des Leistungsempfängers und der sonstigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder durch

den in § 2 statuierten Vorrang eigener Erwerbstätigkeit vor staatlicher Hilfe, die

Verpflichtung zur Aufnahme jeder zumutbaren Erwerbstätigkeit (§§ 9, 10), den

vorrangigen Einsatz von Einkommen und Vermögen (§§ 9, 11, 12), die Bindung des

Hilfebedürftigen an die Festsetzung der Eingliederungsvereinbarung (§ 15) und die

Sanktionen bei Arbeitsverweigerung (§§ 31-32).

Kleiner Tipp: Schauen Sie mal bei juris `rein und lassen Sie sich in der Bibliothek

einloggen – auch für Hausarbeiten außerhalb der Rechtsfächer teilweise sehr

brauchbar.

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Luthe, IRS 8

Übersicht zur Zuordnung des Personenkreises

I. Leistungen des SGB II

a) Unterhaltsleistungen:

- Arbeitslosengeld II:

Für erwerbsfähige Personen (§§ 7 Abs. 1, 8 , 19 SGB II).

- Sozialgeld:

Für mit einer erwerbsfähigen Person in Bedarfsgemeinschaft lebende, nicht

erwerbsfähige Hilfsbedürftige, es sei denn, sie haben einen Anspruch auf

Grundsicherung für Ältere und dauerhaft Erwerbsgeminderte (§ 7 Abs. 3, 23 SGB II,

41 SGB XII).

- Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld

auch für Personen, die voraussichtlich weniger als 6 Monate im Krankenhaus

sowie Personen, die in einer stationären Einrichtung untergebracht sind und

mindestens 15 Std. Wöchentlich erwerbstätig sind (§ 7 Abs. 4 SGB II).

b) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit:

- Vorgenannte Personen (§§ 3, 14 – 18 SGB II; siehe am Ende dieses Skripts).

II. Leistungen des SGB XII

a) Unterhaltsleistungen:

− Hilfe zum Lebensunterhalt :

Für nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige es sei denn, sie leben in einer

Bedarfsgemeinschaft mit einer erwerbsfähigen Person (§§ 27 ff. SGB XII).

−Grundsicherung für Ältere und dauerhaft Erwerbsunfä hige :

Für Personen mit dauerhafter Erwerbsminderung und ab dem 65. Lebensjahr (§ 41

SGB XII; hier kein Sozialgeld nach SGB II, s.o.)

− Hilfe zum Lebensunterhalt auch für Ausländer ohne Arbeitserlaubnis (§ 8 Abs. 2

SGB II).

Unterhaltsleistungen des SGB XII beziehen ferner die nach § 7 SGB II vom SGB II

ausgeschlossenen Personen , insbesondere:

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- In Einrichtungen stationär Untergebrachte (§ 7 Abs. 4; länger als 6 Monate

s.o.).

- Bezieher von Altersrenten, Knappschaftsausgleichsle istungen und

ähnlichen Leistungen (§ 7 Abs. 4; hier ergänzende SGB XII – Leistungen).1

- Nicht erreichbare Personen sowie Auszubildende (§ 7 Abs. 4 a und 5 SGB II)

erhalten dagegen überhaupt keine Leistungen .

Der Ausschluss von Personen aus dem Leistungsbezug bedeutet jedoch nicht, dass

diese nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft gehören!

b) Besondere Leistungen des Fünften bis neunten Kap itels:

(§§ 47 – 74 SGB XII: Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für Behinderte, Hilfe

zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, Hilfe in

anderen Lebenslagen):

• Allgemein für Leistungsempfänger von Hilfe zu Lebensunterhalt sowie

Grundsicherung für Alte und Erwerbsgeminderte

• Für Personen, die zwar ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ansonsten aber

nicht die Besonderen Leistungen

• Für Personen, die Unterhaltsleistungen nach dem SGB II beziehen, deren Bedarf

allein durch Leistungen des SGB II aber nicht ausreichend gedeckt ist.2

Merke: Nach §§ 3 Abs. 3, 5 SGB II und § 21 SGB XII können Empfänger von

Unterhaltsleistungen des SGB II keine weiteren, ergänzenden Unterhaltsleistungen des

SGB XII beziehen. Die Leistungen sind im SGB II grundsätzlich abschließend geregelt.

Dies gilt jedoch nicht für die besonderen Leistungen des Fünften bis Neunten Kapitels, so

dass der Empfänger von AlG II daneben noch bspw. Hilfen zur Überwindung besonderer

sozialer Schwierigkeiten oder Eingliederungshilfen für Behinderte aus dem SGB XII

beziehen kann.

1 Hier allerdings ist zu differenzieren: hat der Altersrentenbezieher das 65. Lebensjahr vollendet, erhält er

Grundsicherung nach § 41 SGB XII; ist der Altersrentenbezieher jünger als 65, bezieht er ergänzend zur Rente Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII.

2 Eingliederungshilfe nach SGB XII für erwerbsfähige Behinderte, die keine oder nicht ausreichende Eingliederungsleistungen nach § 16 Abs. 1 S. 2 SGB II erhalten und die auch keine vorrangigen Sozialversicherungsleistungen der Reha und Teilhabe behinderter Menschen in Anspruch nehmen können; Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten nach § 67 SGB XII, für die die allgemeinen Eingliederungsleistungen des SGB II nicht ausreichen.

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Luthe, IRS 10

Fall Berthold (SGB II)

Berthold (22 J., erwerbsfähig, arbeitslos, kein Einkommen und Vermögen) hat bislang bei

den nicht unvermögenden Eltern gewohnt. Er hatte gehört, dass das Jobcenter bei Auszug

aus dem Elternhaus „alles bezahlt“ und sich daher, ohne Rücksprache mit dem Jobcenter

eine eigene Wohnung genommen. Berthold hat noch keine Ausbildung.

I. Welche Leistungen des SGB II werden Berthold gezahlt?

II. Werden die Eltern von Berthold herangezogen?

III. Wie ist der Fall zu beurteilen, wenn Berthold von seinem Vater misshandelt wird?

IV. Wie ist der Fall zu beurteilen, wenn Berthold 26 Jahre alt ist, seine Dissertation

schreiben und sich diese Zeit durch Leistungen des SGB II finanzieren will?

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Luthe, IRS 11

Falllösung Berthold

Zu I.

Berthold bildete nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern.

Diese hatten nach § 9 Abs. 1 und 2 SGB II für seinen Unterhalt aufzukommen.

Voraussetzung für die Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung ist nach § 22

Abs. 5 SGB II zunächst die vorherige Zusicherung des kommunalen Trägers.

Generell aber werden Kosten für die Unterkunft nach § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II nicht

erbracht, wenn Personen, die das 25. Lebensjahr nic ht vollendet haben, vor der

Beantragung von Leistungen umziehen, um die Vorauss etzungen für den

Leistungsbezug herbeizuführen .

Dies ist hier der Fall; durch den Auszug brauchen die Eltern innerhalb der

Bedarfsgemeinschaft für Berthold nicht mehr aufzukommen. Berthold ist nunmehr

bedürftig und damit nach § 7 Abs. 1 SGB II anspruchsberechtigt.

Unterkunftsleistungen werden mithin nicht erbracht.

Unter 25-Jährige, die ohne Zusicherung der Behörde umziehen, erhalten nach § 20 Abs. 3

i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 SGB II jedoch noch 332 € bis zu r Vollendung des 25.

Lebensjahres.

Berthold hat nach § 34 Abs. 1 SGB II Ersatz zu leisten, weil er zumindest grob fahrlässig

die Voraussetzungen für die Leistung herbeigeführt hat. Dies kann geschehen, sobald er

wieder über Einkommen verfügt, aber auch schon während des Leistungsbezuges. In

diesem Fall wird der zu ersetzende Betrag in Höhe von 30 % mit dem für ihn

maßgebenden monatlichen Regelbedarf aufgerechnet (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB

II). Der Ersatzanspruch erlischt nach § 34 Abs. 3 in 3 Jahren, falls die Behörde in

diesem Zeitraum keinen Leistungsbescheid erlässt oder Leistungsklage erhebt.

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Luthe, IRS 12

Generell muss Berthold nunmehr eine zugewiesene Arbeit oder Arbeitsgelegenheit

aufnehmen oder auch an Eingliederungsmaßnahmen teilnehmen, soweit dies nach

§ 10 zumutbar ist.

Zu II.

Der gesetzliche Übergang von Unterhaltsansprüchen zwischen Verwandten (also auch

Eltern und Kindern) auf den Leistungsträger ist grundsätzlich ausgeschlossen (§ 33 Abs. 2

Nr. 2 SGB II). Dies gilt jedoch nicht für Unterhaltsansprüche von unter 25-Jährigen

gegen die Eltern, wenn erstere eine Erstausbildung noch nicht abgeschlossen haben

(§ 33 Abs. 2 Nr. 2 b SGB II).

Zu III.

Dann liegt ein schwerwiegender sozialer Grund nach § 22 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 SGB II vor.

Der Leistungsträger ist nunmehr zur Zusicherung verpflichtet (Rechtsanspruch!).

Unterkunftskosten werden ebenso wie die Regelleistung nach § 22 Abs. 2 SGB II in voller

Höhe übernommen.

Zu IV.

Mit 26 Jahren gehört Berthold nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern

(§ 7 Abs. 3 SGB II). Solange er mit den Eltern zusammenwohnt, bildet er eine eigene

„Bedarfsgemeinschaft“ und erhält bei Bedürftigkeit die volle Regelleistung . Die Eltern

können dann allenfalls noch über die Haushaltsgemeinschaft nach § 9 Abs. 5 SGB II

herangezogen werden (Berthold sollte daher besser bei den Eltern ausziehen).

Zieht Berthold aus, hat dies für sich genommen keine negativen Konsequenzen, auch

nicht für seine Eltern, die nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB II vom

Anspruchsübergang freigestellt sind (s.o.). Gleiches gilt, wenn Berthold bereits seit

längerem eine eigene Wohnung hat, die nunmehr durch das SGB II im Rahmen

angemessener Unterkunftskosten nach § 22 SGB II finanziert wird. Sind die Kosten

unangemessen, werden die Kosten dennoch in Höhe des angemessenen Anteils

übernommen (§ 22 Abs. 1 SGB II).

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Luthe, IRS 13

Auch findet kein Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II statt, da die Promotion

weder nach BAföG noch nach dem SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist.

Berthold muss jedoch einer zumutbaren Arbeit oder Arbeitsgelegenheit nachgehen und

an Eingliederungsmaßnahmen teilnehmen. Der in der Zumutbarkeitsregelung des § 10

SGB II aufgeführte wichtige Grund liegt nicht vor. Dieser erfordert eine Abwägung

zwischen dem individuellem und dem öffentlichen Interesse und ist nach den

Vorstellungen des Gesetzgebers grundsätzlich restriktiv auszulegen. Hierbei ist zu

berücksichtigen, dass die Grundsicherung, abgesehen von staatlich verordneten

Schulbesuchen, keine Leistung ist, die den Nachweis einer besonderen

wissenschaftlichen Befähigung fördert.

Verweigert Berthold die Aufnahme von Arbeit oder die Teilnahme an Maßnahmen werden

die Leistungen nach § 31a Abs. 1 SGB II zunächst gekürzt ; sie entfallen nach § 31 a

Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 31 b Abs. 1 S. 3 SGB II (einschließlich der Unterkunftskosten) bei

einem „weiteren wiederholten“ Pflichtverstoß für 3 Monate , wobei ein Wiederholungsfall

bereits dann gegeben ist, wenn dieser seit dem Beginn des letzten Minderungszeitraums

nicht mehr als ein Jahr zurückliegt (§ 31 a Abs. 1 S. 5). Allerdings gewährt das Gesetz

zahlreiche Ausnahmen vom vollständigen Leistungswegfall und bietet zumeist immer noch

ein „physiologisches Existenzminimum“ (etwa § 31 a Abs. 1 S. 6 und Abs. 3 S. 1).

Entscheidend ist nunmehr der Zeitraum von der erstmaligen Leistung bis zum

vollständigen Leistungswegfall.

Hierbei ist in Rechnung zu stellen

�dass vor jeder Absenkung der Leistung eine Anhörung stattzufinden hat

�Widerspruch und Klage nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung

haben

�der Absenkungszeitraum von jeweils 3 Monaten nach § 31 b Abs. 1 S. 1 SGB II im

auf den nach dem Absenkungsbescheid folgenden Monat beginnt

�dass es letztlich maßgeblich auf die Bearbeitungsgeschwindigkeit der Behörde

ankommt.

Der kürzeste hier denkbare Zeitraum beträgt in etwa 6 Monate.

Im Regelfall dürfte man bei vorsichtiger Schätzung aber wohl ein Jahr Zeit haben.

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Luthe, IRS 14

Fälle Happy Family (SGB II) Welche, in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Personen, bilden nach dem SGB II

eine Bedarfsgemeinschaft?

1.

•Hans, 46 J., erwerbsfähig

•Lotte, Ehefrau von Hans, 40 J., erwerbsfähig

•Gerd, Sohn von Hans und Lotte, 14 J., Schüler

•Maria, Mutter von Lotte, 68 J., Rentnerin

2.

•Otto, 56 J., bezieht eine Zeitrente (daher noch keine Grundsicherung nach SGB XII)

wegen voller Erwerbsminderung

•Vanessa, Tochter von Otto, 26 J., erwerbsfähig

•Ludwig, Sohn von Otto, 17 J., erwerbsfähig

Was ändert sich, wenn Vanessa erst 12 Jahre alt ist ?

3.

•Elke und Peter, beide 44 J., erwerbsfähig

•gemeinsame Tochter Susanne, 18 J., erwerbsfähig

•2-jähriges Enkelkind Sven (Sohn von Susanne)

Wie ist die Beurteilung, wenn Susanne nicht erwerbs fähig wäre?

4.

•Erika S., 38 J., erwerbsfähig

•Eva S., Tochter von Erika, 17 J., erwerbsfähig

•Ralf Z., 18 J., eheähnlicher Partner von Eva, erwerbsfähig

•Nadine S., 1 J., Tochter von Eva und Ralf

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Luthe, IRS 15

Falllösung „Happy Family“

Zu 1.

Hans – erwerbsfähiger Hilfebedürftiger, § 7 Abs. 3 Nr. 1

Lotte – nicht dauernd getrenntlebende Ehefrau, § 7 Abs. 3 Nr. 3 a

Gerd – minderjähriges unverheiratetes Kind, das nicht über eigenes Einkommen und

Vermögen verfügt, § 7 Abs. 3 Nr. 4. Könnte Gerd seinen Bedarf vollständig selbst decken,

wäre er der Bedarfsgemeinschaft nicht zuzurechnen.

Maria – gehört nicht zur Bedarfsgemeinschaft, aber zur Haushaltsgemeinschaft nach

§ 9 Abs. 5 SGB II (vgl. hier auch § 7 Abs. 4: „Rente“)

Zu 2.

Eine Bedarfsgemeinschaft bilden Sohn Ludwig als erwerbsfähiger Hilfebedürftiger (§ 7

Abs. 3 Nr. 1) und Otto als Elternteil, das mit dem erwerbsfähigen Kind zusammenlebt (§ 7

Abs. 3 Nr. 2).

Hätte Otto noch eine eheähnliche Partnerin (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 c) so würde auch diese, falls

sie nicht die (vorrangige) Voraussetzung einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach

Abs. 3 Nr. 1 erfüllt, durch Ludwig in die nach Abs. 3 Nr. 2 bestehende Bedarfsgemeinschaft

hineingezogen.

Vanessa gehört nicht zur Bedarfsgemeinschaft, weil sie älter als 25 ist, aber zur

Haushaltsgemeinschaft nach § 9 Abs. 5.

Vanessa 12 Jahre ? Sie ist nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 als Kind des nicht erwerbsfähigen Vaters

(Person nach § 7 Abs. 3 Nr. 2) zuzuordnen: Ludwig zieht dann seinen Vater in die

Bedarfsgemeinschaft und dieser die Tochter Vanessa.

Zu 3.

Nach § 7 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 a, Nr. 4 können die Eltern und Susanne eine Bedarfs-

gemeinschaft bilden. Sven hätte dann Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem

SGB XII. Diese Lösung ist aber unpraktisch.

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Luthe, IRS 16

Man sollte hier von 2 Bedarfsgemeinschaften ausgehen: Elke und Peter, Susanne und

Sven (letztere nach Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4)

Susanne nicht erwerbsfähig? In diesem Fall entfällt die Bedarfsgemeinschaft von

Susanne und Sven. Sie bildet mit ihren Eltern eine Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 1,

3 und 4) und erhält Sozialgeld nach SGB II. Sven erhält Hilfe zum Lebensunterhalt nach

dem SGB XII.

Zu 4.

Die erwerbsfähige minderjährige unverheiratete Eva könnte

- in einer Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und 4)

- in einer Bedarfsgemeinschaft mit Partner (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und 3 c) und Kind

(§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und 4) berücksichtigt werden.

In dieser Konkurrenzsituation entspricht die 2. Alternative besser der Lebenswirklichkeit.

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Luthe, IRS 17

Fall Lotte (SGB II)

Lotte, 40 Jahre alt, ist erwerbsfähig und arbeitslos. Sie hat bislang noch keine

sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt.

Sie lebt zusammen mit ihrem Ehegatten Hans. Hans, ebenfalls 40 Jahre alt, verdient

1.200, -- € brutto monatlich. Es ist November. Hans erhält am Monatsende deshalb zudem

1200, -- € brutto Weihnachtsgeld.

Er hat insgesamt 100, -- € Steuern und 100, -- € Sozialversicherungsbeiträge zu

entrichten. Für tägliche Fahrten hin und zurück zur bzw. von der Arbeit werden insgesamt

40 km mit dem eigenen PKW (Zeitwert 4000 €) zurückgelegt. Der nächstgelegene

Bahnhof ist 40 km entfernt. Für die Bahnfahrt würden monatlich Kosten in Höhe von 100, -

- € entstehen.

Die Kfz-Pflichtversicherung beläuft sich auf jährlich 240, -- €. Für eine private Haftpflicht-

und Hausratsversicherung fallen jährlich 150, -- € an.

Hans und Lotte haben Sparvermögen in Höhe von insgesamt 11.000 €, außerdem eine

Kapitallebensversicherung (nicht verwertbar vor Eintritt in den Ruhestand) mit einem

Rückkaufswert in Höhe von 15.000 €.

Lotte und Hans leben in einer 80 qm großen Wohnung. Hierfür zahlen sie als Kaltmiete

inkl. Nebenkosten (außer Heizung und Warmwasser) 6, -- €/qm. Für Heizung entstehen

monatlich Kosten in Höhe von 50, -- €.

Laut örtlichem Mietspiegel in Braunschweig liegt der Wert des durchschnittlichen Miet-

niveaus für eine Standardwohnung ab dem Baujahr 2000 für 60 qm im unteren Mietdrittel

bei 6,50 €/qm. Die Stadt Braunschweig hat diesen Wert für das einschlägige Stadtgebiet

als Quadratmeterhöchstmiete für die Angemessenheit der Unterkunftskosten in einer

Satzung (§ 22 b Abs. 1 SGB II) zugrunde gelegt. Die anfallenden Heizkosten sind

„angemessen“. Laut Verwaltungsvorschriften zu § 10 des Gesetzes über die soziale

Wohnraumförderung, welche die Stadt Braunschweig in der Satzung als angemessene

Wohnfläche zugrunde gelegt hat, sind folgende Wohnflächen angemessen:

- bei Alleinstehenden bis 50 qm

- bei 2 Personen 60 qm

- bei 3 Personen 75 qm

- bei 4 Personen 85 qm

- für jede weitere Person 10 qm mehr

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Luthe, IRS 18

Falllösung Lotte

I. Nachrang (§ 9) wegen Bedarfsgemeinschaft mit Han s

Lotte ist nur hilfebedürftig nach § 9 Abs. 1, insofern sie ihren Unterhalt nicht selbst oder

durch Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sicherstellen kann. In Bedarfsgemeinschaften

sind nach § 9 Abs. 2 auch Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen.

Lotte und Hans sind eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 a.

Fraglich ist jedoch, ob Hans nur das über seinem eigenen Unterhaltsbedarf liegende

Einkommen für Lotte einsetzen muss oder ob er auch dann Einkommen für Lotte

einsetzen muss, wenn er hierdurch selbst bedürftig wird (weil sein Einkommen für beide

nicht reicht). Früher, unter Geltung des BSHG, wurde letzteres als verfassungswidrig

angesehen.

Heute berufen sich die Sozialgerichte auf § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II, wonach es auf den

ungedeckten Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis zu den Einzelbedarfen

ankommt (vgl. auch § 2 Abs. 1 und 2). Dies bedeutet, dass sämtliches Einkommen und

Vermögen der Bedarfsgemeinschaftsmitglieder im Verhältnis zu ihren Einzelbedarfen auf

diese verteilt und letztlich von den Leistungen abgezogen werden muss – auch unter

vollem Einsatz des Einkommens der an sich gar nicht bedürftigen Person.

Hans muss sein Einkommen also auch dann für Lotte einsetzen, wenn er dadurch unter

das gesetzliche Leistungsniveau gedrückt und mithin selbst zum Fürsorgeempfänger wird,

auch wenn er seinen eigenen Unterhalt an sich selbst sicherstellen könnte. (Theoretisch

könnte der Leistungsträger dem Hans nunmehr eine besser bezahlte Erwerbstätigkeit

anbieten, insofern der Gesamtbedarf hierdurch sichergestellt werden kann).

II.Anspruchsberechtigung von Hans

1. Einsetzbares Einkommen von Hans nach § 11 SGB II

Hans verfügt über ein Brutto-Einkommen nach § 11 Abs. 1, denn hiermit bestreitet er

seinen laufenden Unterhaltsbedarf (insofern im Unterschied zum Vermögen). Einkommen:

1.200, -- € brutto. Das Weihnachtsgeld in Höhe von 1200, -- € ist nach § 11 Abs. 3 SGB II

ab November als Zuflussmonat zu berücksichtigen und auf einen Zeitraum von 6 Monaten

aufzuteilen, monatlich also 200, -- €.

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Luthe, IRS 19

�Bereinigung des Einkommens nach § 11 b (Absetzbeträ ge)

Von den 1.400, -- € Einkommen sind abzusetzen:

� Steuern 100, -- € (§ 11 b Abs. 1 Nr. 1)

� Pflichtbeiträge 100, -- € (§ 11 b Abs. 1 Nr. 2)

� Kfz-Pflichtversicherung 240, -- € jährlich (§ 11 b Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3

AlG II-VO), somit 20 € monatlich

� Hausrat- und Haftpflichtversicherung, monatl. 30, -- € als Pauschbetrag für die

„angemessene“ private Versicherung (§ 11 b Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg

II-VO); Pauschbetrag gilt auch, wenn realer Betrag unter 30 €

� Fahrtkosten für Pkw als Ausgaben für Erwerbstätigkeit (einfache Fahrt): 0,20 €, 20

km, 20 Arbeits-tage = 80, -- € monatlich ( § 11 b Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5

Alg II-VO). Die Fahrtkosten sind im Vergleich mit einem zumutbaren öffentlichen

Verkehrsmittel nicht unangemessen hoch; zudem wäre die Inanspruchnahme von

Bus und Bahn unzumutbar (§ 6 Abs. 2 Alg II-VO)

� Ein pauschaler Absetzungsbetrag von 100,-- € tritt nach § 11 b Abs. 2 S. 1 aus Ver-

einfachungsgründen an die Stelle der tatsächlichen Absetzungsbeträge des §11 b

Abs. 1 Nr. 3 bis 5. Beträgt das Bruttoeinkommen jedoch mehr als 400,-- € und wird

nachgewiesen, dass die Summe der Beträge nach § 11 b Abs. 1 Nr. 3 bis 5 den

Betrag von 100,-- € übersteigt, so wird jedoch nicht der pauschale

Absetzungsbetrag von 100,-- €, sondern werden die tatsächlich anfallenden

Beträge nach § 11 b Abs. 1 Nr. 3 bis 5 als Absetzbeträge gewährt (vgl. § 11 b Abs. 2

S. 2). Letzteres ist hier der Fall - endgültige Berechnung siehe unten. (Bei den

üblichen 450 €-Jobs ist dagegen zumeist nur die 100 €-Pauschale abzusetzen).

> Betrag nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Absatz 3 (Freibetrag bei Erwerbstätigkeit):

•die ersten 100, -- € werden bei der Berechnung nach § 11 b Abs. 3 nicht

berücksichtigt. Sie wurden bereits durch § 11 b Abs. 2 Satz 1 und 2 erfasst, also

entweder pauschal mit 100, -- € oder im Wege der tatsächlich anfallenden

Absetzbeträge nach § 11 b Abs. 1 Nr. 3 – 5. Die „ersten“ 100 € beziehen sich also auf

die Absetzbeträge des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5. Der eigentliche Freibetrag nach Abs. 3

beginnt erst ab 101 €.

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Luthe, IRS 20

•20 % von 900, -- € = 180,-- € ( § 11 b Abs. 3 Nr. 1)

•10 % von 200, -- € = 20, -- € (§ 11 b Abs. 3 Nr. 2)

(Die letzten 200 € des Einkommens von Hans werden nicht mehr berücksichtigt, weil

der Freibetrag nur Beträge bis 1200 € brutto erfasst; bei vorhandenen Kindern liegt die

Grenze bei 1500€, vgl. § 11 b Abs. 3 S. 3).

Freibetrag: 200, -- €

Anmerkung zum Thema Freibetrag bzw. Kombilohn:

Politisch wurden mit dem Ziel höherer Anreizwirkungen in Richtung Erwerbstätigkeit

bereits häufiger höhere Freibeträge diskutiert. Je höher aber der Freibetrag, desto mehr

Erwerbstätigenhaushalte wachsen als Aufstocker in den Leistungsbezug des SGB II

hinein. Denn sie werden durch vor allem hohe Freibeträge quasi künstlich arm gerechnet.

Die diskutierte Begrenzung hoher Freibeträge auf vormals Arbeitslose als

Gegenmaßnahme wäre eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber

Erwerbstätigen mit gleichem Einkommen. Sie wäre auch unter dem Aspekt der

Anreizwirkung nicht zu rechtfertigen, da sie Erwerbstätige ohne vormalige Arbeitslosigkeit

bei rationaler Wirtschaftskalkulation in umgekehrter Richtung zunächst in die

Arbeitslosigkeit treibt, weil nach Wiederaufnahme einer Arbeit fortan ein höheres

Kombieinkommen bezogen werden könnte. Eine ähnliche Wirkung – Anwachsen der Zahl

der Aufstocker - hat übrigens jedwede Erhöhung von Regelleistungen. In Vergessenheit

gerät bei allem, dass als typische Maßnahme zur Durchsetzung der Arbeitsaufnahme die

Sanktion zur Verfügung steht. Immerhin gilt das Subsidiaritätsprinzip (§ 9). Wozu dann

Anreize?

Vornahme der Bereinigung des Einkommens (Realisieru ng des

Nachrangs) :

1.400, -- € brutto

abzgl. 330, -- € Absetzbetrag nach § 11 b Abs. 1 Nr.1-5 (100+100+20+30+80 €)

abzgl. 200, -- € Freibetrag nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6

= 870, -- € einzusetzendes bereinigtes Einkommen

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Luthe, IRS 21

2. Vermögen:

� Das Kfz ist zwar verwertbar nach § 12 Abs. 1, aber nach Abs. 3 Nr. 2

Schonvermögen: Der Verkehrswert von 4000 € ist „angemessen“.

� Das Sparvermögen in Höhe von 11.000, -- € ist nicht verwertbar: Grundfreibetrag

von insgesamt 12.000, -- € (6.000, -- € pro Person nach § 12 Abs. 2 Nr.1). Der

Maximalwert nach Abs. 2 S. 2 wird mit 6000 € nicht überschritten. Zudem könnte

der Freibetrag für notwendige Anschaffungen von insgesamt 1.500, -- € (750,-- €

pro Person nach § 12 Abs. 2 Nr. 4) noch berücksichtigt werden, wenn

entsprechende Anschaffungen glaubhaft gemacht werden.

� Die Kapitallebensversicherung in Höhe von 15.000, -- € (max. 50.250 € nach S. 2)

ist als geschütztes Altersvorsorgevermögen ebenfalls nicht verwertbar (§ 12 Abs. 1,

Abs. 2 Nr. 3).

3. Unterhaltsbedarf für Hans

a) Regelleistung nach § 20 Abs. 4 = 374, -- €

b) Unterkunft und Heizung nach § 22

Übernommen werden die tatsächlichen angemessenen Aufwendungen

(§ 22 Abs. 1 S. 1). Zunächst zu den „ tatsächlichen“ Aufwendungen :

Lebt die Person mit anderen zusammen, sind die Kosten aufzuteilen. Die Wohnung

darf lt. Mietspiegel nicht mehr als 6,50 €/qm bei einer angemessenen Wohnfläche

von 60 qm (da 2-Personen-Haushalt) kosten. Der Preis quo Quadratmeter ist mit 6

€ angemessen; lediglich die Wohnungsgröße ist mit 80 qm unangemessen.

Unterkunftsbedarf für Hans (außer Heizung) somit zurzeit 240.-- €. Von diesen an

sich zu hohen Unterkunftskosten ist zunächst auszugehen, da die

Leistungsberechtigten noch eine zeitlang in der Wohnung verbleiben können (s.u.).

Allgemein kann zudem bspw. eine zu hohe Miete durch eine geringere Wohnfläche

ausgeglichen werden, ebenfalls ein niedriger Quadratmeterpreis durch eine größere

Wohnfläche, wenn hierdurch keine erhöhten Heizkosten entstehen.

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Luthe, IRS 22

�Bedarf von Hans

Regelleistung 374, -- €

+ ½ Miete 240, -- €

+ ½ Heizung 25, -- €

__________________________________

Bedarf 639, -- €

III. Anspruchsberechtigung von Lotte

1. Nachrang § 9 Abs.1

Lotte verfügt weder über Einkommen und Vermögen noch hat sie Ansprüche

gegenüber anderen Sozialleistungsträgern oder sonstigen Personen. Ggf.

bestehendes gemeinsames Vermögen wurde bereits bei Hans berücksichtigt.

2. Unterhaltsbedarf von Lotte

a) Regelleistung wie bei Hans, also 374, -- €

b) Unterkunft wie bei Hans, also 240, -- €

und Heizung wie bei Hans, also 25, -- €

_______

Bedarf 639, -- €

IV.Realisierung des Nachrangs im Rahmen der Bedarfs gemeinschaft

(§ 9 Abs. 1 sowie § 9 Abs. 2 S. 3)

Gesamtbedarf von Lotte und Hans als Bedarfsgemeinschaft: Nach § 9 Abs. 2 S. 3

(s.o.) muss das gesamte der Bedarfsgemeinschaft zur Verfügung stehende

Einkommen im Verhältnis zu den Einzelbedarfen eingesetzt werden:

1278, -- € Gesamtbedarf (2 mal 639, -- €) abzüglich 870, -- € bereinigtes

Einkommen = 408, -- € Gesamtbedarf.

−Verhältnis des Einzelbedarfs von Lotte bzw. Hans zum Gesamtbedarf: 50 %

−50 % von 408, -- € = 204, -- € Einzelbedarf

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Luthe, IRS 23

Lotte und Hans haben Anspruch (§ 7 Abs.1 und 2 „Berechtigte“) auf laufende Leistungen

zur Sicherung des Lebensunterhalts in Gestalt von Arbeitslosengeld II

(§ 19 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 3) in Höhe von jeweils 204, -- € monatlich.

V. Wohnungswechsel bzw. Fortzahlung der Miete

� Die tatsächlichen Unterkunftskosten liegen bei 480, -- € plus 50,- € Heizung.

Angemessen sind mit 60 qm nur 390, -- €. Für längstens 6 Monate ist der

„unangemessene“ Mietanteil für Hans und Lotte (also 2 x 45, -- €) jedoch zu

zahlen, es sei denn, ein früherer Wohnungswechsel ist möglich (§ 22 Abs. 1

S. 3). Spätestens nach 6 Monaten werden nur noch die angemessenen

Mietkosten übernommen.

� Beachte: Zieht der Leistungsempfänger von einer angemessenen Wohnung

um in eine ebenfalls angemessene, aber gleichwohl teurere Wohnung,

werden nur noch die bisherigen Kosten übernommen, es sei denn der

Umzug ist „erforderlich“ (§ 22 Abs. 1 S. 2, s.u.): etwa wenn die bisherige

Wohnung nicht aus den laufenden Leistungen bestritten werden kann, ferner

bei Vorliegen von sozialen, gesundheitlichen Gründen oder bei

Arbeitsaufnahme an einem anderen Ort.

� Der kommunale Träger (vgl. auch § 6 SGB II) muss jede neue Unterkunft

zusichern (§ 22 Abs. 4). Er ist zur verbindlichen Zusicherung der Übernahme

angemessener Kosten einer anderen Wohnung verpflichtet, wenn die

Aufwendungen „angemessen“ sind (§ 22 Abs. 4 S. 2). Angemessen sind die

Aufwendungen immer dann, wenn die Wohnung dem unteren

Mietpreisniveau des Mietspiegels entspricht. Ist der Umzug jedoch nicht

erforderlich, zählen die Kosten der bisherigen Wohnung nach Abs. 1 S. 2.

� Wohnungsbeschaffungskosten/Mietkautionen/Umzugskosten „können“ nach

vorheriger Zusicherung übernommen werden (§ 22 Abs. 6 S. 1). Die

Zusicherung hierfür „soll“ nach § 22 Abs. 6 S. 2 erteilt werden, wenn der

Umzug durch Behörde veranlasst oder dieser notwendig ist (etwa ungesunde

Wohnverhältnisse) oder wenn eine Unterkunft sonst nicht gefunden werden

kann (Vermieter besteht auf Kaution). Die Mietkaution soll als Darlehen

erbracht werden (§ 22 Abs. 6 S. 3).

� Die Stadt hat eine Satzung erlassen nach §§ 22 a i.V.m. 22 b SGB II.

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Luthe, IRS 24

Fall Lotte (SGB II) – dies ist die komplizierte, a n sich korrekte, didaktisch aber

untragbare Version des Falles. Das Ergebnis ist bei dieser Fallgestaltung aber in

beiden Falllösungen – Lotte einfach und Lotte kompliziert - gleich

Lotte, 40 Jahre alt, ist erwerbsfähig und arbeitslos. Sie hat bislang noch keine

sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt.

Sie lebt zusammen mit ihrem Ehegatten Hans. Hans, ebenfalls 40 Jahre alt, verdient

1.200, -- € brutto monatlich. Es ist November. Hans erhält am Monatsende deshalb zudem

1200, -- € brutto Weihnachtsgeld.

Er hat insgesamt 100, -- € Steuern und 100, -- € Sozialversicherungsbeiträge zu

entrichten. Für tägliche Fahrten hin und zurück zur bzw. von der Arbeit werden insgesamt

40 km mit dem eigenen PKW (Zeitwert 4000 €) zurückgelegt. Der nächstgelegene

Bahnhof ist 40 km entfernt. Für die Bahnfahrt würden monatlich Kosten in Höhe von 100, -

- € entstehen.

Die Kfz-Pflichtversicherung beläuft sich auf jährlich 240, -- €. Für eine private Haftpflicht-

und Hausratsversicherung fallen jährlich 150, -- € an.

Hans und Lotte haben Sparvermögen in Höhe von insgesamt 11.000 €, außerdem eine

Kapitallebensversicherung (nicht verwertbar vor Eintritt in den Ruhestand) mit einem

Rückkaufswert in Höhe von 15.000 €.

Lotte und Hans leben in einer 80 qm großen Wohnung. Hierfür zahlen sie als Kaltmiete

inkl. Nebenkosten (außer Heizung und Warmwasser) 6, -- €/qm. Für Heizung entstehen

monatl. Kosten in Höhe von 50, -- €.

Laut örtlichem Mietspiegel in Braunschweig liegt der Wert des durchschnittlichen Miet-

niveaus für eine Standardwohnung ab dem Baujahr 2000 für 60 qm im unteren Mietdrittel

bei 6,50 €/qm. Die Stadt Braunschweig hat diesen Wert für das einschlägige Stadtgebiet

als Quadratmeterhöchstmiete für die Angemessenheit der Unterkunftskosten in einer

Satzung (§ 22 b Abs. 1 SGB II) zugrunde gelegt. Die anfallenden Heizkosten sind

„angemessen“. Laut Verwaltungsvorschriften zu § 10 des Gesetzes über die soziale

Wohnraumförderung, welche die Stadt Braunschweig in der Satzung als angemessene

Wohnfläche zugrunde gelegt hat, sind folgende Wohnflächen angemessen:

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Luthe, IRS 25

- bei Alleinstehenden bis 50 qm

- bei 2 Personen 60 qm

- bei 3 Personen 75 qm

- bei 4 Personen 85 qm

- für jede weitere Person 10 qm mehr

Falllösung Lotte

I. Nachrang (§ 9) wegen Bedarfsgemeinschaft mit Han s

Lotte ist nur hilfebedürftig nach § 9 Abs. 1, insofern sie ihren Unterhalt nicht selbst oder

durch Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sicherstellen kann. In Bedarfsgemeinschaften

sind nach § 9 Abs. 2 auch Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen.

Lotte und Hans sind eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 a.

Fraglich ist jedoch, ob Hans nur das über seinem eigenen Unterhaltsbedarf liegende

Einkommen für Lotte einsetzen muss oder ob er auch dann Einkommen für Lotte

einsetzen muss, wenn er hierdurch selbst bedürftig wird (weil sein Einkommen für beide

nicht reicht). Früher, unter Geltung des BSHG, wurde letzteres als verfassungswidrig

angesehen.

Heute berufen sich die Sozialgerichte auf § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II, wonach es auf den

ungedeckten Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis zu den Einzelbedarfen

ankommt (vgl. auch § 2 Abs. 1 und 2). Dies bedeutet, dass sämtliches Einkommen und

Vermögen der Bedarfsgemeinschaftsmitglieder im Verhältnis zu ihren Einzelbedarfen auf

diese verteilt und letztlich von den Leistungen abgezogen werden muss – auch unter

vollem Einsatz des Einkommens der an sich gar nicht bedürftigen Person.

Hans muss sein Einkommen also auch dann für Lotte einsetzen, wenn er dadurch unter

das gesetzliche Leistungsniveau gedrückt und mithin selbst zum Fürsorgeempfänger wird,

auch wenn er seinen eigenen Unterhalt an sich selbst sicherstellen könnte. (Theoretisch

könnte der Leistungsträger dem Hans nunmehr eine besser bezahlte Erwerbstätigkeit

anbieten, insofern der Gesamtbedarf hierdurch sichergestellt werden kann).

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Luthe, IRS 26

III.Anspruchsberechtigung von Hans

1. Einsetzbares Einkommen von Hans nach § 11 SGB II

Hans verfügt über ein Brutto-Einkommen nach § 11 Abs. 1, denn hiermit bestreitet er

seinen laufenden Unterhaltsbedarf (insofern im Unterschied zum Vermögen). Einkommen:

1.200, -- € brutto. Beim Weihnachtsgeld in Höhe von 1200, -- € liegt eine sog. einmalige

Einnahme vor. Hier muss zunächst die Einmaleinnahme nach § 11 b Abs. 1 Satz 2

bereinigt werden, d.h. aus dem Bruttobetrag muss der bereinigte Nettobetrag berechnet

werden, indem (siehe nochmals Satz 2) die Absetzbeträge („Belastungen“) nach § 11 Abs.

1 Satz Nr. 1, 2, 5 und 6 vom „Brutto“ der Einmaleinnahme abgezogen werden. Sodann gilt:

verbleibt bei voller Berücksichtigung des bereinigt en Betrages im Bedarfsmonat

noch ein Hilfebedarf, so muss die Einmaleinnahme in demjenigen Monat

angerechnet werden, indem sie gewährt wird („zuflie ßt“). Entfällt der Hilfebedarf

jedoch im Zuflussmonat, weil die Einmaleinnahme so hoch ist, dass selbst unter

Abzug der Absetzbeträge noch so viel übrig bleibt, dass der Bedarf der

Leistungsberechtigten hierdurch voll gedeckt wird, dann gilt § 11 Abs. 3 Satz 4 :

Nunmehr ist die einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig

aufzuteilen und mithin im jetzigen und den späteren Bedarfsmonaten in Anrechnung zu

bringen. Für unser weiteres Vorgehen bedeutet das: wir rechnen zunächst die

Absetzbeträge aus. Sodann berechnen wir den objektiven Bedarf (ohne Berücksichtigung

von Eigenmitteln). Zum Schluss ziehen wir von der Einmaleinnahme (!) die Absatzbeträge

ab, um zu sehen, ob der Bedarf durch die Einmaleinnahme zusammen mit den sonstigen

Einnahmen des Monats gedeckt ist oder nicht. Falls dieser nicht gedeckt ist , muss die

Einmaleinnahme voll angerechnet werden. Falls dieser gedeckt ist erfolgt die Aufteilung

der Einmaleinnahme auf 6 Monate. Übersteigt die Höhe der Absetzbeträge die

Einmaleinnahme muss derjenige Betrag, der über der Einmaleinnahme liegt, zudem noch

von den restlichen Einnahmen abgezogen werden.

Als Grund für dieses umständliche Verfahren dürfte sich der Gesetzgeber gedacht haben,

dass das Jobcenter mit dem sofortigen Abzug von Absetzbeträgen bei der

Einmaleinnahme (anstatt „einfach“ die Bruttobeträge der vorhandenen Einnahmen plus

Einmaleinnahme zu addieren und hiervon sodann die Absetzbeträge abzuziehen) in vielen

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Luthe, IRS 27

Fällen diese als Rechenposten endgültig bereits beim ersten Mal der Bedarfsberechnung

vom Tisch haben dürfte und in den nächsten Monaten also nicht aufpassen muss, etwaige

über die Monate aufzuteilende Teilbeträge jeden Monat wieder abzuziehen. Ich persönlich

meine, dass ist Blödsinn, weil die gesetzliche Verfahrensweise im Vergleich zur kurz

angedeuteten einfachen Variante in der Praxis erheblich höhere Fehlerrisiken haben dürfte

(bitte an dieser Stelle mal darüber nachdenken, dass eine wesentliche

Existenzberechtigung von Ministerien darin liegt, ständig für Reformnachschub zu sorgen

und an Gesetzesänderungen herumzubasteln, sei dies nun sinnvoll oder auch nicht).

�Bereinigung des Einkommens nach § 11 b (Absetzbeträ ge)

- Steuern 100, -- € (§ 11 b Abs. 1 Nr. 1)

� Pflichtbeiträge 100, -- € (§ 11 b Abs. 1 Nr. 2)

� Kfz-Pflichtversicherung 240, -- € jährlich (§ 11 b Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3

AlG II-VO), somit 20 € monatlich

� Hausrat- und Haftpflichtversicherung, monatl. 30, -- € als Pauschbetrag für die

„angemessene“ private Versicherung (§ 11 b Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-

VO); Pauschbetrag gilt auch, wenn realer Betrag unter 30 €

� Fahrtkosten für Pkw als Ausgaben für Erwerbstätigkeit (einfache Fahrt): 0,20 €, 20

km, 20 Arbeits-tage = 80, -- € monatlich ( § 11 b Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5

Alg II-VO). Die Fahrtkosten sind im Vergleich mit einem zumutbaren öffentlichen

Verkehrsmittel nicht unangemessen hoch; zudem wäre die Inanspruchnahme von Bus

und Bahn unzumutbar (§ 6 Abs. 2 Alg II-VO)

� Ein pauschaler Absetzungsbetrag von 100,-- € tritt nach § 11 b Abs. 2 S. 1 aus Ver-

einfachungsgründen an die Stelle der tatsächlichen Absetzungsbeträge des §11 b

Abs. 1 Nr. 3 bis 5. Beträgt das Bruttoeinkommen jedoch mehr als 400,-- € und wird

nachgewiesen, dass die Summe der Beträge nach § 11 b Abs. 1 Nr. 3 bis 5 den

Betrag von 100,-- € übersteigt, so wird jedoch nicht der pauschale Absetzungsbetrag

von 100,-- €, sondern werden die tatsächlich anfallenden Beträge nach § 11 b Abs. 1

Nr. 3 bis 5 als Absetzbeträge gewährt (vgl. § 11 b Abs. 2 S. 2). Letzteres ist hier der

Fall - endgültige Berechnung siehe unten. (Bei den üblichen 450 €-Jobs sind dagegen

zumeist nur 100 €-Pauschale abzusetzen).

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Luthe, IRS 28

> Betrag nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Absatz 3 (Freibetrag bei Erwerbstätigkeit):

•die ersten 100, -- € werden bei der Berechnung nach § 11 b Abs. 3 nicht

berücksichtigt. Sie wurden bereits durch § 11 b Abs. 2 Satz 1 und 2 erfasst, also

entweder pauschal mit 100, -- € oder im Wege der tatsächlich anfallenden

Absetzbeträge nach § 11 b Abs. 1 Nr. 3 – 5. Die „ersten“ 100 € beziehen sich also auf

die Absetzbeträge des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5. Der eigentliche Freibetrag nach Abs. 3

beginnt erst ab 101 €.

•20 % von 900, -- € = 180,-- € ( § 11 b Abs. 3 Nr. 1)

•10 % von 200, -- € = 20, -- € (§ 11 b Abs. 3 Nr. 2)

(Die letzten 200 € des Einkommens von Hans werden nicht mehr berücksichtigt, weil

der Freibetrag nur Beträge bis 1200 brutto erfasst).

Freibetrag: 200, -- €

Anmerkung zum Thema Freibetrag bzw. Kombilohn:

Politisch wurden mit dem Ziel höherer Anreizwirkungen in Richtung Erwerbstätigkeit

bereits häufiger höhere Freibeträge diskutiert. Je höher aber der Freibetrag, desto mehr

Erwerbstätigenhaushalte wachsen als Aufstocker in den Leistungsbezug des SGB II

hinein. Denn sie werden durch vor allem hohe Freibeträge quasi künstlich arm gerechnet.

Die diskutierte Begrenzung hoher Freibeträge auf vormals Arbeitslose als

Gegenmaßnahme wäre eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber

Erwerbstätigen mit gleichem Einkommen. Sie wäre auch unter dem Aspekt der

Anreizwirkung nicht zu rechtfertigen, da sie Erwerbstätige ohne vormalige Arbeitslosigkeit

bei rationaler Wirtschaftskalkulation in umgekehrter Richtung zunächst in die

Arbeitslosigkeit treibt, weil nach Wiederaufnahme einer Arbeit fortan ein höheres

Kombieinkommen bezogen werden könnte. Eine ähnliche Wirkung – Anwachsen der Zahl

der Aufstocker - hat übrigens jedwede Erhöhung von Regelleistungen. In Vergessenheit

gerät bei allem, dass als typische Maßnahme zur Durchsetzung der Arbeitsaufnahme die

Sanktion zur Verfügung steht. Immerhin gilt das Subsidiaritätsprinzip (§ 9). Wozu dann

Anreize?

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Luthe, IRS 29

Vornahme der Bereinigung des Einkommens (Realisieru ng des

Nachrangs) :

Zunächst müssen, wie anfangs dargestellt, bestimmte Absetzbeträge, nämlich

ausschließlich diejenigen nach § 11 b Abs. 1 Satz 2 Nummer 1, 2, 5 und 6, von

der Einmaleinnahme abgezogen werden:

1.200 brutto Einmaleinnahme

abzgl. 100 € (Steuern), 100 € (Sozialversicherung), 80 € (Fahrtkosten als

notwendige Ausgaben bei Erwerbstätigkeit), 200 € (Freibetrag für Erwerbstätige)

= 720 €

Jetzt die Preisfrage: Entfällt der Bedarf von Hans und Lotte durch die reguläre

Einnahme von 1.200 € plus der bereinigten Einmaleinnahme von 720 € = 1.920

€?

Sollte dies der Fall sein, dann gilt ein anderes Spiel: In diesem Fall müssen wir

sämtliche Absetzbeträge des § 11 b Abs. 1, insofern diese anfallen (und nicht nur

diejenigen nach § 11 b Abs. 1 Nr. 1, 2, 5 und 6, siehe § 11 b Abs. 1 Satz 2)

berücksichtigen. Entfällt der Bedarf nicht , brauchen nach dieser Systemlogik

nur die bereits nach § 11 b Abs. 1 Nr. 1, 2, 5 und 6 berechneten Absetzbeträge

berücksichtigt zu werden, also ohne § 11 b Abs. 1 Nr. 3 und 4. Diese Variante,

wonach der Bedarf nicht entfällt, würde wegen der N ichtberücksichtigung

von Versicherungen/Altersvorsorgebeiträgen und ggf. einer Pauschale (§

11 b Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 2) auf anderes Ergebn is hinauslaufen als in

der anderen vereinfachten Falllösung des Falles Lot te.

Um zu schauen, welche Variante zählt (Bedarf entfällt oder entfällt nicht) müssen

wir aber zunächst den objektiven Bedarf ausrechnen, dazu später.

Gesetzt den Fall der Bedarf entfällt erhalten wir in der Berechnung bei unserer

Falllösung des „schwierigen Falles Lotte“ jedoch das gleiche Ergebnis wie in

der anderen vereinfachten Falllösung des Falles Lot te.

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Luthe, IRS 30

Dann ist eine Aufteilung auf 6 Monate vorzunehmen unter Berücksichtigung

sämtlicher Absetzbeträge (und unter Einschluss der in unserem Fall jedoch

nicht einschlägigen jetzt auch zu berücksichtigenden Pauschale nach § 11 b Abs.

2) gilt folgende Rechnung:

1.400, -- € brutto = 1200 € Einmaleinnahme aufgeteilt auf 6 Monate = 200 € plus

1.200 € Arbeitsentgelt (bereits im Bedarfsmonat sind jetzt die auch auf die

weiteren Monate aufzuteilenden Teilbeträge der Einmaleinnahme zu

berücksichtigen)

abzgl. 330, -- € Absetzbetrag nach § 11 b Abs. 1 Nr.1-5 (100+100+20+30+80 €)

abzgl. 200, -- € Freibetrag nach § 11 b Abs. 1 Nr. 6

= 870, -- € einzusetzendes bereinigtes Einkommen

- - Man könnte es sich didaktisch einfach machen und schlicht auf das alles

verkomplizierende Problem der „Einmaleinnahme“ im Fall verzichten. Das aber

ist auch nicht so toll. Das Skript geht mit „Lotte einfach“ und „Lotte schwierig“

mithin den Kompromissweg. - -

2. Vermögen:

� Das Kfz ist zwar verwertbar nach § 12 Abs. 1, aber nach Abs. 3 Nr. 2

Schonvermögen: Der Verkehrswert von 4000 € ist „angemessen“.

� Das Sparvermögen in Höhe von 11.000, -- € ist nicht verwertbar: Grundfreibetrag

von insgesamt 12.000, -- € (6.000, -- € pro Person nach § 12 Abs. 2 Nr.1). Der

Maximalwert nach Abs. 2 S. 2 wird mit 6000 € nicht überschritten. Zudem könnte

der Freibetrag für notwendige Anschaffungen von insgesamt 1.500, -- € (750,-- €

pro Person nach § 12 Abs. 2 Nr. 4) noch berücksichtigt werden, wenn

entsprechende Anschaffungen glaubhaft gemacht werden.

� Die Kapitallebensversicherung in Höhe von 15.000, -- € (max. 50.250 € nach S. 2)

ist als geschütztes Altersvorsorgevermögen ebenfalls nicht verwertbar (§ 12 Abs. 1,

Abs. 2 Nr. 3).

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Luthe, IRS 31

3. Unterhaltsbedarf für Hans

c) Regelleistung nach § 20 Abs. 4 = 374 -- €

d) Unterkunft und Heizung nach § 22

Übernommen werden die tatsächlichen angemessenen Aufwendungen

(§ 22 Abs. 1 S. 1). Zunächst zu den „ tatsächlichen“ Aufwendungen :

Lebt die Person mit anderen zusammen, sind die Kosten aufzuteilen. Die Wohnung

darf lt. Mietspiegel nicht mehr als 6,50 €/qm bei einer angemessenen Wohnfläche

von 60 qm (da 2-Personen-Haushalt) kosten. Der Preis quo Quadratmeter ist mit 6

€ angemessen; lediglich die Wohnungsgröße ist mit 80 qm unangemessen.

Unterkunftsbedarf für Hans (außer Heizung) somit zurzeit 240.-- €. Von diesen an

sich zu hohen Unterkunftskosten ist zunächst auszugehen, da die

Leistungsberechtigten noch eine zeitlang in der Wohnung verbleiben können (s.u.).

Allgemein kann zudem bspw. eine zu hohe Miete durch eine geringere

Wohnfläche ausgeglichen werden, ebenfalls ein niedriger Quadratmeterpreis durch

eine größere Wohnfläche, wenn hierdurch keine erhöhten Heizkosten entstehen.

�Bedarf von Hans

Regelleistung 374, -- €

+ ½ Miete 240, -- €

+ ½ Heizung 25, -- €

__________________________________

Bedarf 639, -- €

III. Anspruchsberechtigung von Lotte

1. Nachrang § 9 Abs.1

Lotte verfügt weder über Einkommen und Vermögen noch hat sie Ansprüche

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Luthe, IRS 32

gegenüber anderen Sozialleistungsträgern oder sonstigen Personen. Ggf.

bestehendes gemeinsames Vermögen wurde bereits bei Hans berücksichtigt.

2. Unterhaltsbedarf von Lotte

c) Regelleistung wie bei Hans, also 374, -- €

d) Unterkunft wie bei Hans, also 240, -- €

und Heizung wie bei Hans, also 25, -- €

_______

Bedarf 639, -- €

V.Realisierung des Nachrangs im Rahmen der Bedarfsg emeinschaft

(§ 9 Abs. 1 sowie § 9 Abs. 2 S. 3)

Preisfrage: Entfällt der Bedarf von Hans und Lotte durch die reguläre Einnahme

von 1.200 € plus der bereinigten Einmaleinnahme von 720 € = 1.920 €? Hans

und Lotte haben im Bedarfsmonat einen objektiven Bedarf in Höhe von jeweils

639 €, also beide zusammen in Höhe von 1.278 € (s.o.). Nach § 11 Abs. 3 Satz 4

entfällt somit der Leistungsanspruch von Hans und Lotte, weil sie im jetzigen

Bedarfsmonat durch die Einmaleinnahme insgesamt mehr Geld zur Verfügung

haben als sie gemessen an ihrem objektiven Bedarf zum Leben brauchen (1.920

anstatt 1.278 €).

Jetzt beginnt der ganze Mist von vorne: Jetzt ist die einmalige Einnahme auf

insgesamt 6 Monate gleichmäßig aufzuteilen (§ 11 Abs. 3 Satz 4) und dem

regulären Einkommen hinzuzurechnen.

Das im Bedarfsmonat verfügbare Brutto-Einkommen beläuft sich auf 1.400 €

(=Arbeitsentgelt plus Teilbetrag der Einmaleinnahme in Höhe von 200 €). Der

Absetzbetrag nach § 11 b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 beläuft sich auf

870 €.

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Luthe, IRS 33

Somit gilt folgende Rechnung : Gesamtbedarf von Lotte und Hans als

Bedarfsgemeinschaft: Nach § 9 Abs. 2 S. 3 (s.o.) muss das gesamte der

Bedarfsgemeinschaft zur Verfügung stehende Einkommen im Verhältnis zu den

Einzelbedarfen eingesetzt werden:

1278, -- € Gesamtbedarf (2 mal 639, -- €) abzüglich 870, -- € bereinigtes

Einkommen = 408, -- € Gesamtbedarf.

−Verhältnis des Einzelbedarfs von Lotte bzw. Hans zum Gesamtbedarf: 50 %

−50 % von 408, -- € = 204, -- € Einzelbedarf

Lotte und Hans haben Anspruch (§ 7 Abs.1 und 2 „Berechtigte“) auf laufende Leistungen

zur Sicherung des Lebensunterhalts in Gestalt von Arbeitslosengeld II

(§ 19 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 3) in Höhe von jeweils 204, -- € monatlich.

V. Wohnungswechsel bzw. Fortzahlung der Miete

� Die tatsächlichen Unterkunftskosten liegen bei 480, -- € plus 50,- € Heizung.

Angemessen sind mit 60 qm nur 390, -- €. Für längstens 6 Monate ist der

„unangemessene“ Mietanteil für Hans und Lotte (also 2 x 45, -- €) jedoch zu

zahlen, es sei denn, ein früherer Wohnungswechsel ist möglich (§ 22 Abs. 1

S. 3). Spätestens nach 6 Monaten werden nur noch die angemessenen

Mietkosten übernommen.

� Beachte: Zieht der Leistungsempfänger von einer angemessenen Wohnung

um in eine ebenfalls angemessene, aber gleichwohl teurere Wohnung,

werden nur noch die bisherigen Kosten übernommen, es sei denn der

Umzug ist „erforderlich“ (§ 22 Abs. 1 S. 2, s.u.): etwa wenn die bisherige

Wohnung nicht aus den laufenden Leistungen bestritten werden kann, ferner

bei Vorliegen von sozialen, gesundheitlichen Gründen oder bei

Arbeitsaufnahme an einem anderen Ort.

� Der kommunale Träger (vgl. auch § 6 SGB II) muss jede neue Unterkunft

zusichern (§ 22 Abs. 4). Er ist zur verbindlichen Zusicherung der Übernahme

angemessener Kosten einer anderen Wohnung verpflichtet, wenn die

Aufwendungen „angemessen“ sind (§ 22 Abs. 4 S. 2). Angemessen sind die

Aufwendungen immer dann, wenn die Wohnung dem unteren

Mietpreisniveau des Mietspiegels entspricht. Ist der Umzug jedoch nicht

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Luthe, IRS 34

erforderlich, zählen die Kosten der bisherigen Wohnung nach Abs. 1 S. 2.

� Wohnungsbeschaffungskosten/Mietkautionen/Umzugskosten „können“ nach

vorheriger Zusicherung übernommen werden (§ 22 Abs. 6 S. 1). Die

Zusicherung hierfür „soll“ nach § 22 Abs. 6 S. 2 erteilt werden, wenn der

Umzug durch Behörde veranlasst oder dieser notwendig ist (etwa ungesunde

Wohnverhältnisse) oder wenn eine Unterkunft sonst nicht gefunden werden

kann (Vermieter besteht auf Kaution). Die Mietkaution soll als Darlehen

erbracht werden (§ 22 Abs. 6 S. 3).

� Die Stadt hat eine Satzung erlassen nach §§ 22 a i.V.m. 22 b SGB II.

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Luthe, IRS 35

Fall Pit (SGB II)

Pit – Bezieher von AlG II – weigert sich, im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit auf der

städtischen Toilette als Kassierer zu arbeiten.

Außerdem weigert er sich zeitgleich, an einer ärztlichen Untersuchung teilzunehmen, bei

der ermittelt werden soll, ob sein Gesundheitszustand derartige Arbeiten zulässt.

Schließlich hat Pit sein kürzlich geerbtes Vermögen in Höhe von 50.000 € während der

Zeit des Leistungsbezuges für eine Weltreise und Freundinnen ausgegeben.

1)Welche Sanktionen kommen nach SGB II in Betracht?

2)Wie ist der Fall zu beurteilen, wenn Pit zwischen Juni 2010 und Januar 2011

insgesamt 2 Mal die Aufnahme bzw. Ausführung der Arbeitsgelegenheit verweigert hat,

deshalb letztmalig eine Leistungskürzung bis Ende April 2011 erhalten hat und er im

Dezember 2011 erneut eine Arbeitsgelegenheit verweigert?

3)Welche Rechtsschutzmöglichkeiten hat Pit?

4)Welche Sanktionen kommen in der ersten Stufe im obigen Grundfall in Betracht,

wenn Pit 24 Jahre alt wäre?

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Luthe, IRS 36

Falllösung Pit

1. Grundfall

a) Verweigerung der Arbeitsaufnahme: 30 % der maßgebenden Regelleistung nach

31 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 31 a Abs. 1 S. 1 (fällt ggf. zusammen mit § 31 Abs. 1 Nr.

1; dies wäre jedoch als einheitliche Handlung zu werten, daher nur 1 x

Absenkung); auch kein „wichtiger Grund“ nach § 31 Abs. 1 S. 2.

b) Verweigerung der ärztlichen Untersuchung: 10 % des maßgebenden

Regelbedarfs (§ 32 Abs. 1).

Die Minderung tritt einer Minderung nach § 31 hinzu (§ 32 Abs. 2).

c) Pit hat sein gesamtes Vermögen in der Absicht vermindert, die Voraussetzungen

für den Bezug von AlG II herbeizuführen (§ 31 Abs. 2 Nr. 1). Hinsichtlich der

„Absicht“ genügt bedingter Vorsatz. Folge: 30% Minderung des maßgeblichen

Regelbedarfs (§ 31 a Abs. 1).

d) Ergebnis: Regelleistung nach § 20 416, -- €

- 2 x 30 % von 416, -- € - 249,60 €

- 1 x 10 % von 416, -- € - 41,60 €

________

Absenkungsbetrag 291,20 €

in der ersten Stufe für 3 Monate (§ 31 b Abs. 1 S. 3) ab Folgemonat nach

Absenkungsbescheid (Abs. 1 S. 1).

Pit erhält nur noch eine Regelbedarfsleistung in Höhe von gerundet 124,80 €

e) Voraussetzung ist in den Fällen des § 31 und 32 jedoch die vorherige „Belehrung

über die Rechtsfolgen“ (§ 31 Abs. 1 S. 1, § 32 Abs. 1 S. 1). Dies hat grundsätzlich

am Anfang des Leistungsbezuges zu erfolgen. Außerdem muss der Betroffene vor

jedem Absenkungsbescheid angehört werden (§ 24 SGB X). Schließlich darf der

Hilfebedürftige keinen „wichtigen Grund“ haben; dies sind in jedem Fall alle

Gründe, die zur Unzumutbarkeit der Arbeit nach § 10 führen.

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Luthe, IRS 37

Der Hilfebedürftige trägt hierfür die Beweislast.

Grundsätzlich können sich mehrere Sanktionszeiträume auf erster Stufe

überschneiden, wenn die Pflichtverletzungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten

angefallen sind und die Sanktionen deshalb zu unterschiedlichen Zeiten verhängt

wurden (Bsp.: Verweigerung der Arbeit im Juli, Absenkungsbescheid im August,

Sanktionszeitraum von September bis November; Verweigerung des Arztbesuchs

im August, Absenkungsbescheid im September, Sanktionszeitraum von Oktober bis

Dezember; somit Überschneidung mit Leistungskürzung von insgesamt 40 % im

Oktober und November).

f) Minderung der Regelleistung um mehr als 30 % nach § 31 a Abs. 3 Satz 1: Die

Regelleistung nach § 20 ist hier um 70 % gemindert. Nunmehr „können“ in

angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen (etwa Gebrauchtkleidung)

oder geldwerte Leistungen (Wertgutscheine) erbracht werden. Dies „muss“

geschehen, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem

Haushalt leben (§ 31 a Abs. 3 S. 2). Da die Sanktionsvorschriften nach dem Willen

des Gesetzgebers Sanktionscharakter und nicht therapeutischen Charakter haben,

verläuft die äußerste Grenze der Leistungsversagung im Rahmen des „Kann-

Ermessens“ dort, wo der Hilfebedürftige in seiner Gesundheit Schaden nehmen

würde. Die Behörde hat zur Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen den

Fall vermehrt unter Kontrolle zu halten (etwa durch psychosoziale Betreuung nach §

16 a). Dies alles folgt aus der staatlichen Pflicht zum Schutz der Gesundheit nach

Art. 2 Abs. 2 GG, die bei der Ausübung des eingeräumten Ermessens und der

Bestimmung des angemessenen Umfangs zu berücksichtigen ist.

2. Mehrfache gleichartige Pflichtverletzungen

a) Bei jeder „weiteren wiederholten“ Pflichtverletzung nach § 31 entfällt das

ALG II vollständig (§ 31 a Abs. 1 S. 3). Mehrere Meldeversäumnisse nach § 32

addieren sich jedoch nur und treten den Minderungen nach § 31 a hinzu (§ 32 Abs.

2). Das ALG II umfasst die Regelleistung und die Unterkunftskosten (§ 19 Abs. 1).

Die wiederholte Pflichtverletzung setzt eine Gleichartigkeit bei den

Pflichtverletzungen voraus (nicht etwa bei Arbeitsverweigerung und Verstoß gegen

Meldepflichten). Das ist hier der Fall.

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Luthe, IRS 38

Überdies darf ein Wiederholungsfall seit Beginn des jeweils vorangegangenen

Sanktionszeitraums nicht länger als ein Jahr zurückliegen (§ 31 a Abs. 1 S. 5).

Der Beginn des letzten Sanktionszeitraums war der 1. Februar 2011. Begeht Pit

also bis zum 1. Februar 2012 eine weitere gleichartige Pflichtverletzung, so wird

diese noch berücksichtigt. Die Pflichtverletzung im Dezember 2011 führt mithin zu

einer „weiteren wiederholten Pflichtverletzung“ und damit zum vollständigen

Leistungsentzug (§ 31 a Abs. 1 S. 3). Unerheblich ist, dass die ersten beiden

Pflichtverletzungen nicht innerhalb des 1-Jahres-Zeitraumes liegen.

Allerdings „kann“ sich die Sanktion anstatt des Leistungswegfalls auf eine Kürzung

(lediglich) der Regelleistung um 60 % beschränken, wenn der Hilfebedürftige sich

nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen (§ 31 a Abs. 1 S. 6). Im

Rahmen des Ermessens ist eine Erfolgsprognose hinsichtlich der Pflichtenerfüllung

anzustellen und die staatliche Pflicht zur Vermeidung sanktionsbedingter

Gesundheitsschädigungen in Rechnung zu stellen (s.o.). Zudem kann der Träger

nach § 31 a Abs. 3 bei einer Minderung um mehr als 30 % - also auch im Falle einer

gänzlichen Leistungsversagung - in angemessenem Umfang ergänzende

Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen (§ 31 a Abs. 3 S. 1). Im

Übrigen aber soll die um mehr als 60 % abgesenkte Regelleistung hinsichtlich der

Unterkunftskosten an den Vermieter gezahlt werden (§ 31 a Abs. 3).

b) Dauer und Zeitpunkt der Absenkung:

Der Leistungswegfall erfolgt nach § 31 b Abs. 1 S. 1 und S. 3 ab Folgemonat

des feststellenden Sanktionsbescheides für 3 Monate.

c) Eine Übernahme ggf. anfallender Mietschulden nach § 22 Abs. 8 kommt nicht

in Betracht, da dies voraussetzt, dass Leistungen für Unterkunft und Heizung

„erbracht“ werden, was als Folge des Leistungswegfalls nicht der Fall ist. Zudem

wird bei einer Minderung um mehr als 60 % die Leistung ohnehin direkt an den

Vermieter gezahlt, so dass normalerweise keine Mietschulden entstehen dürften (§

31 a Abs. 3 S. 3).

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Luthe, IRS 39

3. Rechtsschutz

Widerspruch und Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung (§ 39 Nr.

1). Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung im Eilverfahren aber nach § 86 b

Abs. 1 Nr. 2 SGG ganz oder teilweise anordnen, wenn das Hauptsachverfahren für

den Kläger überwiegende Erfolgsaussichten bietet. Im Übrigen ist durch Einlegung

von Widerspruch und (nach erfolgtem Widerspruchsverfahren) Klage auch das

Hauptsacheverfahren zu eröffnen.

4. Pit 24 Jahre

a) Begrenzung auf Unterkunftsleistungen auf erster Stufe

Es gilt § 31 a Abs. 2: Bei Verstößen nach § 31 werden bereits auf „ersten Stufe“ nur

noch Leistungen für Unterkunft und Heizung gewährt, die jedoch direkt an den

Vermieter gezahlt werden, wenn Minderung des Regelbedarfs um mindestens 60 %

vorliegt; Ziel ist, Mietschulden möglichst zu vermeiden (§ 31 a Abs. 3 S. 3). Es

„können“ in angemessenem Umfang Sachleistungen oder geldwerte Leistungen

erbracht werden (§ 31 a Abs. 3 S. 1). Außerdem „können“ bei den unter 25-Järigen

bei vollständigem Leistungswegfall wieder Leistungen für Unterkunft und

Heizung erbracht werden, wenn der Hilfebedürftige sich zur Übernahme seiner

Pflichten nachträglich bereit erklärt (§ 31 a Abs. 2 S. 4). Unterste

Interventionsgrenze ist Unterernährung bzw. gesundheitliche Schäden

(„angemessener Umfang“). Schließlich „kann“ die Behörde bei Jüngeren den

Wegfall oder die Kürzung in Höhe der Bedarfe nach §§ 20 und 21 auf 6 Wochen

begrenzen (§ 31 b Abs. 1 S. 4); diese Verschonungsmöglichkeit vermeidet also nur

Kürzungen in Höhe der Bedarfe für die Regelleistung und für Mehrbedarfe.

b) Vollständiger Wegfall auf zweiter Stufe

Ein vollständiger Leistungswegfall erfolgt hier bereits bei „wiederholter

Pflichtverletzung“ (§ 31 a Abs. 2 S. 2). Allerdings „kann“ die Behörde – siehe zuvor -

bei Jüngeren den Wegfall oder die Kürzung in Höhe der Bedarfe nach §§ 20 und 21

auf 6 Wochen begrenzen (§ 31 b Abs. 1 S. 4). Wiederum „können“ bei den unter

25-Järigen bei vollständigem Leistungswegfall wieder Leistungen für Unterkunft

und Heizung erbracht werden, wenn der Hilfebedürftige sich zur Übernahme seiner

Pflichten nachträglich bereit erklärt (§ 31 a Abs. 2 S. 4). Schließlich „können“

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Luthe, IRS 40

wiederum in angemessenem Umfang Sachleistungen oder geldwerte

Leistungen erbracht werden (§ 31 a Abs. 3 S. 1).

Anhörung und Belehrung über die in § 31 oder § 32 vorgesehenen Rechtsfolgen

nicht vergessen!

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Luthe, IRS 41

Fall Hilde

(Hilfe zum Lebensunterhalt) Hilde , 26 Jahre alt, ist behindert und erhält Eingliederungshilfe nach SGB XII in Form

einer beruflichen Ausbildung, ist Diabetikerin und wurde nach §§ 8, 44a SGB II als

erwerbsunfähig eingestuft.

Eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit ohne Besserungsaussicht liegt nach amtsärztlichem

Gutachten jedoch nicht vor; mangels erforderlicher Vorversicherungszeiten erhält sie auch

keine Rente wegen Erwerbsminderung.

Sie lebt zusammen mit ihrer 10-jährigen Tochter Lisa .

Gewährt wird Kindergeld in Höhe von 194,-- € und 250,-- € Unterhalt für Lisa.

Die 60 qm-Wohnung kostet warm 500,-- €; die Kosten sind angemessen.

Hilde besitzt ein Grundstück mit einem Verkehrswert von Höhe von derzeit 50.000,-- €;

dieses ist Bauerwartungsland.

Außerdem hat Hilde Einnahmen aus der Untervermietung eines möblierten Zimmers in

Höhe von 100 € monatlich.

Bestehen Ansprüche auf Hilfe zum Lebensunterhalt?

Anm.: Laut Verwaltungsvorschrift beträgt der Ernährungsmehrbedarf für Diabetiker 100 €.

Es gelten die bundesdurchschnittlichen Regelbedarfsstufen, da das betroffene Land in

unserem Fall keine eigenen Regelsätze unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten

erlassen hat.

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Luthe, IRS 42

Falllösung Hilde

Vorbemerkungen: Hilde ist nicht erwerbsfähig im Sinne des SGB II und kann deshalb

Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht beziehen. Gleiches gilt für die

Tochter, da diese erst 10 Jahre alt ist (vgl. § 7 Abs. 1 und 2 SGB II). Grundsicherung für

dauerhaft Erwerbsunfähige nach § 41 Abs. 3 SGB XII kommt im Fallbeispiel für Hilde

ebenfalls nicht in Betracht. Im Regelfall ist diese Leistung erst erhältlich, wenn die

Rentenversicherung die Erwerbsminderungsrente nach § 102 Abs. 2 SGB VI unbefristet

gewährt, also nach neun Jahren.

Dies ist der im SGB XII zu beachtende Vergleichsmaßstab auch dann, wenn eine

Rentenversicherung für den Betroffenen nicht besteht. Im besonderen Einzelfall, wenn von

Anfang an eindeutig ist, dass eine volle Erwerbsminderung mit einer insofern bestehenden

Resterwerbsfähigkeit von nicht mehr als drei Stunden täglich (vgl. § 43 Abs. 2 SGB VI) im

Sinne des § 41 Abs. 3 SGB XII vorliegt, sind Leistungen der Grundsicherung für dauerhaft

Erwerbsunfähige jedoch möglich.

I. Nachrang nach § 2 SGB XII

1. Bedarfsgemeinschaft:

Hilde wird voraussichtlich Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen. Sie bildet mit Lisa

deshalb eine Bedarfsgemeinschaft nach § 27 Abs. 2 S. 3 SGB XII und muss mit

ihren Eigenmitteln grundsätzlich für Lisa einstehen. Leistungen nach dem SGB II

kann Lisa nicht erhalten, da sie noch nicht 15 Jahre alt ist (§ 7 Abs. 1 SGB II). Wäre

Lisa 15 Jahre alt, würde sie mit ihrer Mutter eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7

Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 4 SGB II bilden und erhielte Arbeitslosengeld II, die Mutter

Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II.

(Eventuell vorhandenes Einkommen und Vermögen von Kindern kann für die

Sozialhilfe ihrer Eltern nur im Rahmen der Haushaltsgemeinschaft nach

§ 39 SGB XII berücksichtigt werden).

2. Einkommen, § 82 SGB XII

a) - Kindergeld als Einkommen von Lisa nach § 82 Abs. 1?

Kindergeld gilt nach § 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII als Einkommen des

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Luthe, IRS 43

(minderjährigen) Kindes . An sich ist Kindergeld nach BKGG eine Leistung für

die Eltern, wird aber aus rechnerischen Gründen im SGB II den Kindern

zugerechnet. Die Frage, ob Kindergeld als Leistung des

Familienlastenausgleichs nach § 83 SGB XII als Einkommen angerechnet wird,

hat sich damit erledigt.

Exkurs : Elterngeld , so könnte man meinen, wird nach § 83 SGB XII nicht als

Einkommen angerechnet, weil es einem anderen Zweck dient als der

Versorgung der Familie, nämlich der Sicherstellung der Erziehung der Kinder.

Allerdings gibt es keine ausdrückliche Zweckbestimmung im

Bundeselterngeldgesetz, so dass mangels Erfüllung der gesetzlichen

Voraussetzungen automatisch § 82 gilt und das Elterngeld damit angerechnet

werden muss. Zudem gibt es mit § 10 Abs. 5 BEEG (Bundeselterngeldgesetz)

eine spezielle Bestimmung, die die Anrechnung auf die Sozialhilfe ermöglicht.

Nur wenn bei der Geburt des Kindes Einkommen erzielt wurde, bleibt das

Elterngeld bis 300 € anrechnungsfrei (§ 10 Abs. 4 S. 2 BEEG).

(„Einkommen“ ist etwa auch Verletztenrente aus SGB VII, Übergangsgeld nach

SGB IX oder das Krankengeld nach SGB V, das ebenso wie die Sozialhilfe, also

„zweckgleich“, der Unterhaltssicherung dient; Nicht zweckgleich:

Pflegeleistungen, Landesblindengeld, Arbeitsförderungsgeld).

.

- Außerdem erhält Lisa Unterhalt in Höhe von 250 €. Auch dies ist

„Einkommen“ im Sinne des § 82 Abs. 1.

Gesamteinkommen Lisa: 444 € (Kindergeld und Unterha lt)

b) Hilde hat Einkünfte aus Vermietung in Höhe von 100 €.

Nach § 7 Abs. 4 der DVO zu § 82 SGB XII (VO-Ermächtigung vgl. § 96) sind bei

möblierten Zimmern 70 % der Roheinnahmen anzusetzen, es sei denn, es

werden geringere Einkünfte nachgewiesen, mithin 70 € Einkommen.

Lisa verfügt somit über Einkommen in Höhe von 444,-- €,

Hilde in Höhe von 70,-- €.

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Luthe, IRS 44

3. Vermögen, § 90 SGB XII

Das Grundstück von Hilde könnte nach § 90 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII auch

Schonvermögen sein. Allerdings wurde dies von Hilde nicht nachgewiesen (etwa

Baupläne). Das insofern nicht geschonte Vermögen aber ist zurzeit nicht

verwertbar (§ 91 SGB XII), da eine Wertsteigerung ansteht und der sofortige

Verkauf eine Härte bedeuten würde. Sozialhilfe wird deshalb als Darlehen

gewährt. Das Sozialamt kann die Rückzahlung des Darlehens durch eine

Grundschuld absichern.

II. Leistungen

1. Anspruch von Hilde , §§ 19 Abs. 1 S. 1, 27 a, 29 SGB XII

Der notwendige Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen (vgl. 27 b) ist in §

27 dem Grunde nach geregelt. § 27 a erfasst die Bedarfspositionen (Abs. 1), die

Regelbedarfsstufen als grundsätzliche Vorgabe (Abs. 2), die Regelsätze (Abs. 3)

und den abweichenden Sonderbedarf für laufende Leistungen (Abs. 4). Die

Regelbedarfsstufen sind in § 8 des Regelbedarfsermittlungsgesetzes geregelt

(vgl. hierzu § 28 SGB XII). Sie sind im Bundesdurchschnitt maßgebend (§ 28 Abs. 2

SGB XII). Aus den Regelbedarfsstufen werden die Regelsätze gebildet (§ 29 Abs. 1

i.V.m. § 27 a Abs. 3 SGB XII), es sei denn, die Länder nehmen eine abweichende

Festsetzung der Regelsätze unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten vor

(§ 29 Abs. 2 SGB XII). Die jährliche Fortschreibung der Regelbedarfe erfolgt durch

Verordnung (§§ 28 a, 40 SGB XII). Die Anpassung erfolgt jedoch durch Gesetz,

wenn eine neue Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegt (§ 28 SGB XII).

a) notwendiger Lebensunterhalt § 27 a Abs. 1 - 3, SGB XII i. V. m.

§ 8 Abs. 1 Nr. 1 Regelbedarfsermittlungsgesetz sowie VO:

409 €

b) - Mehrbedarf nach § 30 Abs. 4 = 35 % von 416 € = 145,60 €

- Mehrbedarf, § 30 Abs. 3 Nr. 2 = 12 % von 416 € = 49,92 €

- Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5: = 100,-- €

laut Verwaltungsvorschrift für Diabetiker.

Insgesamt an Mehrbedarf: 295,52 €

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Luthe, IRS 45

c)Unterkunft und Heizung nach § 35 Abs. 1 und 2 SGB XII (500 €):

Kosten angemessen, also pro Person 250,-- € = 250,-- €

d)Einmalige Bedarfe § 31 SGB XII: nein

�Gesamtbedarf Hilde: 961,52 €

�Abzüglich Einkommen von: 70,-- €

�Laufende Leistungen somit in Höhe von 891,52€

als Darlehen

2. Anspruch von Lisa

a)Notwendiger Lebensunterhalt : 19 Abs. 1 S. 1, 27 a, 29 SGB XII

nach §§ 27 a i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 Regelbedarfsermittlungsgesetz sowie VO (s.o.

bei Hilde),

also 296,-- €

b)Unterkunft und Heizung: (wie bei Hilde) 250,-- €

�Gesamtbedarf Lisa: 546,-- €

�Abzüglich Einkommen von: 444,-- €

�Laufende Leistungen somit in Höhe von 102,-- €

ebenfalls als Darlehen, da Hilde ihr Grundstück in der Bedarfsgemeinschaft des §

27 Abs. 2 S. 3 SGB XII auch für Lisa einsetzen muss.

c) Bildung und Teilhabe für Lisa , §§ 34 – 34 a.

Lisa erhält Leistungen für Bildung und Teilhabe, nämlich für Schulausflüge und

Klassenfahrten (§ 34 Abs. 2 SGB XII), für Schulbedarf (§ 34 Abs. 3), ggf. für die

Schülerbeförderung (§ 34 Abs. 4), ggf. für die Lernförderung (§ 34 Abs. 5), für

Mittagsverpflegung (§ 34 Abs. 6) und für die kulturelle Betätigung (§ 34 Abs. 7).

Abgesehen von der Schülerbeförderung werden die Leistungen durch Gutscheine

oder Direktzahlungen an die Anbieter erbracht (§ 34 a Abs. 2).

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Luthe, IRS 46

Fall Otto (SGB II und XII)

(Hilfe in besonderen Lebenslagen nach SGB XII und Grundsicherung nach SGB II)

Otto, 40 Jahre, von Beruf Gastwirt, mittlerweile insolvent, leidet lt. amtsärztlichem

Gutachten an „Alkoholismus und chronischer Fettleber“. Eine stationäre Behandlung wird

vom Amtsarzt für dringend erforderlich gehalten. Otto hat weder Ansprüche an die

Sozialversicherung noch an eine Privatversicherung. Er ist ohne Einkommen und

Vermögen und wurde nach §§ 8, 44 a SGB II als erwerbsunfähig eingestuft.

Die Entziehungskur in der Waldsteinklinik kostet pro Tag 250,-- €. In den ersten 4 Wochen

soll die Entzugsbehandlung stattfinden, im folgenden Monat die Entwöhnungsbehandlung

und verschiedene Integrationsmaßnahmen.

Otto lebt mit der 35-jährigen Karin zusammen (auszugehen ist von einer eheähnlichen

Gemeinschaft), die einer Erwerbstätigkeit nachgeht und nach Abzug aller maßgeblichen

Kosten (wie etwa Steuern u. Sozialversicherungsbeiträge, vgl. § 11 Abs. 2 SGB II) über ein

bereinigtes Einkommen von 715,-- € verfügt (§§ 11 Abs. 2, 30 SGB II). Vermögen liegt bei

Karin nicht vor.

Für die angemessene 60 qm-Wohnung zahlt sie insgesamt 400 €, zusätzlich eine

Heizungspauschale von 50 €.

Otto weigert sich, der seit 2009 auch für Selbstständige geltende

Krankenversicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz

nachzukommen.

Danach müssen alle Personen, die nicht GKV beitreten, bei einem

Versicherungsunternehmen eine Krankenversicherung für die stationäre und ambulante

Heilbehandlung abzuschließen. Konsequenzen bei Weigerung: Bußgeld und

Beitragsnachzahlung.

Otto lässt sich hiervon nicht beeindrucken: er könne zurzeit ohnehin nichts zahlen, da er

bedürftig sei.

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Luthe, IRS 47

Allerdings ist Otto später einmal (vielleicht) zum Kostenersatz verpflichtet, weil er – so

§ 103 SGB XII – „für sich … durch vorsätzliches … Verhalten die Vorraussetzung für die

Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat.“ Anders gesagt: Er hat keine Versicherung

angeschlossen, die nach § 2 SGB XII vorrangig zur Leistung verpflichtet gewesen wäre

und erfüllt damit die Anspruchsvoraussetzungen der sozialhilferechtlichen Krankenhilfe,

wenn ihm die Aufbringung der Mittel hierfür zurzeit nicht möglich und auch nicht

zuzumuten ist (vgl. § 19 Abs. 3 SGB XII).

�Nach welchem Gesetz werden welche Leistungen gewährt?

�Ist der Anspruch von Otto auf Hilfe im Hinblick auf sein Alkoholproblem erfüllt?

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Luthe, IRS 48

Falllösung Otto

Vorbemerkungen: Otto verfügt weder über Einkommen noch Vermögen und lebt mit Karin

im gemeinsamen Haushalt; sie bilden möglicherweise eine Bedarfsgemeinschaft. In

diesem Fall, wo der nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige mit einer erwerbsfähigen Person

zusammenlebt, bezieht der erwerbsfähige Hilfebedürftige bei Bedürftigkeit

Arbeitslosengeld II, der nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige Sozialgeld nach SGB II.

Deshalb muss zunächst geprüft werden, ob die Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II für

ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen kann oder hiernach Unterhaltsleistungen erhält.

Das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld sichern jedoch nur den Lebensunterhalt.

Behandlungsleistungen werden im Regelfall im Rahmen der Sozialversicherung des

insofern mit Bezug von Arbeitslosengeld II pflichtversicherten Hilfebedürftigen für diesen

und dessen in der Familienversicherung mitversicherten Angehörigen erbracht. Der

eheähnliche Partner aber wird von der Familienversicherung nicht erfasst,

vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V. Zwar sind seit 2007 Personen ohne reguläre KrankenV in

der KV grundsätzlich gesetzlich pflichtversichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V). Dies gilt nach

§ 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V jedoch nicht für den in § 5 Abs. 5 SGB V genannten

Personenkreis, mithin nicht für hauptberuflich Selbstständige wie im Fall des Otto.

Allerdings ist Otto nach § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz auch als

Selbstständiger nunmehr zum Abschluss einer privaten Versicherung verpflichtet, wenn er

der gesetzlichen Versicherung nicht beitreten will.

Grundsätzlich sind SGB XII-Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 5 Abs. 2

SGB II und § 21 SGB XII ausgeschlossen , wenn der Hilfebedürftige einen

Unterhaltsanspruch nach dem SGB II geltend machen kann. Der Ausschluss gilt jedoch

nicht für die „Besonderen Leistungen“ des SGB XII (vormals Hilfe in besonderen

Lebenslagen). Diese sind nach § 2 SGB XII (Nachranggrundsatz) gleichwohl nur

nachrangig zu gewähren, wenn also Leistungsansprüche gegenüber anderen

Leistungsträgern nicht bestehen. Insbesondere Ansprüche gegen die KV liegen bei Otto

mangels Versicherungspflicht nicht vor. Deshalb müssen für Otto die Kranken- und

Rehaleistungen des SGB XII geprüft werden.

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Luthe, IRS 49

I. Leistungen nach SGB II

(Leistungen des SGB II stehen im Fallbeispiel nicht im Vordergrund und werden nur in

Kurzform behandelt).

1.Berechtigung §§ 7, 8, 9 SGB II (Otto und Karin)

a)Otto und Karin sind zwischen 15 und 65 Jahre alt (§ 7 Abs. 1 Nr. 1)

b)Erwerbsfähigkeit: Es ist nicht absehbar, dass Otto auf absehbare Zeit, d. h. in den

nächsten 6 Monaten, erwerbsfähig sein wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 8 Abs. 1).

c)Bedarfsgemeinschaft § 7 Abs. 2 und 3: Otto und Karin sind eine

Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c, Abs. 3a.

d)Leistungsausschluss bei stationärer Unterbringung , § 7 Abs. 4: Bei stationärer

Unterbringung entfällt der Anspruch nach SGB II; dies gilt jedoch nicht, wenn die

Person für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus untergebracht ist. Hiervon

ist auszugehen; Otto soll nach dem Sachverhalt zunächst für vier Wochen stationäre

Behandlung erhalten.

e)Hilfebedürftigkeit § 7 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 9: wenn Einkommen und Vermögen

nicht ausreichen(§ 9 Abs. 1 Nr. 2). In einer Bedarfsgemeinschaft sind Eigenmittel des

Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2). Verfügbare Eigenmittel: hier nur Einkommen

nach § 11; die Bereinigung nach § 11 b Abs. 1 wurde bereits vorgenommen, also 715,--

€.

f) Allerdings durfte bislang nach der alten BSHG-Rechtslage ein erwerbstätiges Mitglied

der Bedarfsgemeinschaft, das seinen eigenen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann,

durch seine Heranziehung für den Angehörigen aus verfassungsrechtlichen Gründen

nicht selbst bedürftig werden. Nur das den eigenen gesetzlich garantierten Unterhalt

übersteigende Einkommen durfte für den Angehörigen eingesetzt werden. Die

Sozialgerichte sehen dies heute jedoch anders als die früher zuständigen

Verwaltungsgerichte: Wegen § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II, wonach es bei der

Hilfebedürftigkeit auf das Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf ankommt,

muss der Einkommensbezieher sein Einkommen für die anderen s elbst dann

einsetzen, wenn er dadurch selbst hilfebedürftig wi rd. Prüfungstechnisch bedeutet

dies, dass der Bedarf sowohl von Otto als auch von Karin berechnet werden muss und

insbesondere das Einkommen von Karin auf beide Partner aufgeteilt werden muss.

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Luthe, IRS 50

2. Leistungen §§ 19 – 21 SGB II

a)Bedarf Karin :

- da erwerbsfähig ALG II (§§ 19 i. V. m § 20 Abs. 4) = 374 €

- Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs.1: 50 % von 450,-- € = 225,-- €.

Gesamt: 599 €

b) Bedarf Otto: Sozialgeld nach §§ 19 Abs. 1 i.V.m. 23 SGB II und Unterkunft /

Heizung :

wie bei Karin, also

Gesamt: 599,-- €.

3. Gegenüberstellung von Bedarf und Eigenmitteln:

Der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft beträgt das Zweifache von 599 €, also

insgesamt 1198,-- €. Karins bereinigtes Einkommen beträgt 715 €. Der ungedeckte

Gesamtbedarf nach II § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II beläuft sich somit auf 483,-- €

(1198 € abzgl. 715 €).

Da der Individualbedarf von Karin und Otto gleich ist, hat jeder von ihnen einen

Anspruch auf Leistungen in Höhe von 241,50 €. Karin und Otto beziehen die

Leistungen auf Antrag (§ 37). Karin kann die Leistung entgegennehmen (§ 38).

Die Geldleistung wird auf das inländische Konto überwiesen (§ 42) und monatlich

erbracht sowie für 12 Monate bewilligt (§ 41 Abs. 3).

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Luthe, IRS 51

II. Leistungen nach SGB XII (vgl. §§ 5 SGB II, 21 S GB XII)

Otto ist weder sozialversichert noch familienversichert.

Nach § 2 Abs.2 SGB XII vorrangige Sozialleistungsträger sind somit nicht vor-

handen. Auch besteht keine vorrangige private Absicherung im Krankheitsfall. Zu

prüfen sind somit die besonderen Leistungen des SGB XII.

1.1.1.1. § 67 SGB XII, Hilfe zur Überwindung besonderer soz ialer Schwierigkeiten :

Besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten vorhanden? Nein,

keine Ausgrenzungssymptomatik nach § 1 Abs. 3 VO zu § 69; im Übrigen gilt der

„interne“ Nachrang nach § 67 S. 2.

2.2.2.2. § 47 SGB XII, vorbeugende Gesundheitshilfe : Nur wenn Sucht im

Anfangsstadium. Dies ist hier nicht der Fall.

3.3.3.3. § 48 SGB XII, Krankenhilfe : Die Krankenhilfe des SGB XII wird seit Einführung der

generellen Versicherungspflicht nach dem Versicherungsvertragsgesetz von

Deutschen nur noch selten in Anspruch genommen; ausgeweitet haben sich jedoch

die Leistungen für Menschen aus Süd(ost)europa, die im Zuge der EU-Freizügigkeit

nach Deutschland kommen, um hier ein besseres Leben zu haben (vgl. auch § 23

Abs. 1 und 3 SGB XII). Voraussetzung ist eine „Krankheit“. Alkoholsucht gilt

rechtlich als Krankheit. Otto ist entgegen seiner Verpflichtung weder gesetzlich noch

privat versichert. Deshalb muss die Sozialhilfe die Kosten übernehmen. Otto ist im

Fall eines Falles jedoch nach § 103 Abs. 1 SGB XII später ggf. zum Ersatz der

Behandlungskosten verpflichtet, weil er die Hilfebedürftigkeit durch seine

Weigerung zur Absicherung des Krankheitsrisikos vorsätzlich herbeigeführt hat. Ist

die originäre Krankenhilfe nach § 48 S. 1 SGB XII (Hilfe als Leistung des

Sozialamts) oder die abgeleitete Krankenhilfe nach § 48 S. 2 SGB XII (Hilfe als

Leistung durch die KV) einschlägig?

Zwar gelten die Regelungen der abgeleiteten Krankenhilfe für Empfänger von SGB

XII-Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII, was bei Otto

voraussichtlich der Fall ist (§ 264 Abs. 2 S. 1 SGB V). Zusätzliche Voraussetzung ist

nach § 264 Abs. 2 S. 2 SGB V jedoch der Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt

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Luthe, IRS 52

nach SGB XII für mindestens einen Monat; dies ist bei Otto jedoch nicht der Fall. Er

erhält somit die originäre Krankenhilfe des SGB XII und nicht die abgeleitete

Krankenhilfe unter Inanspruchnahme der KV. Die insofern zu gewährenden

Leistungen entsprechen den üblichen Leistungen der gesetzlichen

Krankenversicherung (§ 52 Abs.1 S.1 SGB XII). Otto erhält die

Entzugsbehandlung als Krankenbehandlung (entspr. § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB V), die

Entwöhnung als Reha (§§ 27 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. 40 SGB V).

Ein Bedarfsanteil für Gesundheitspflege ist in der Regelleistungsbemessung bei §

20 Abs. 1 SGB II berücksichtigt. § 24 SGB II (Abweichende Erbringung von

Leistungen ) ist zu in besonderen „unvorhersehbaren“ Fällen prüfen.

4. Eingliederungshilfe:

- Voraussetzungen , § 53 SGB XII

a)Nach § 53 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 2 SGB IX und § 3 Nr. 3 Eingliederungshilfe

VO (zu § 60 SGB XII) liegt eine Behinderung vor. Im Sinne des Gesetzes ist die

Teilhabefähigkeit bei Otto wesentlich eingeschränkt.

b)Erfolgsprognose (§ 53 Abs. 1 und Abs. 3 SGB XII): Es besteht im Fall von Otto

Aussicht, dass die Behinderung beseitigt und er in die Gesellschaft eingegliedert

werden kann.

c)Personen mit einer „anderen“ Behinderung (etwa weniger als 6 Monate Dauer

der Beeinträchtigung, § 53 Abs. 1 S. 2: „Kann“)

d)Bei von Behinderung bedrohten Menschen (§ 53 Abs. 1 und 2) ist der

Nachrang gegenüber der Krankenhilfe zu beachten, falls diese ausreicht (Abs. 2)

e)Liegen die Voraussetzungen vor, besteht ein Rechtsanspruch auf die Leistung

(Ausnahme Abs. 1 S. 2 „Kann“)

- Leistungen, § 54 SGB XII

Grundsätzlich gibt es 5 Leistungsgruppen :

- „Insbesondere“ Leistungen des SGB XII

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Luthe, IRS 53

- die in § 54 Abs. 1 SGB XII in Bezug genommenen Leistungen des SGB IX

- Leistungen nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 – 5 mit teilweiser Konkretisierung in EinglhVO,

- § 54 Abs. 2 :Besuchshilfen

- § 54 Abs. 3: Hilfe für die Betreuung in der Pflegefamilie.

Otto erhält medizinische Reha nach § 54 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 26 Abs. 2 SGB IX;

auch § 26 Abs. 3 SGB IX. Die Leistungen entsprechen jedoch den Reha-Leistungen

der KV (§ 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Hinsichtlich der Dauer von Reha-Maßnahmen

vgl. § 40 Abs. 3 SGB V. Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ in § 40 Abs. 1

SGB V ist zu beachten. Art und Umfang der Leistung werden nach § 40 Abs. 3 SGB

V nach Ermessen gewährt.

Das SGB IX gilt im Übrigen nur, wenn die einzelnen Leistungsgesetze nichts

Abweichendes regeln (§ 7 SGB IX und § 53 Abs. 4 SGB XII). So setzt § 53 SGB

XII im Gegensatz zu § 2 SGB IX eine „wesentliche“ Behinderung voraus!

5. Pflegeleistungen § 61 SGB XII

Voraussetzung ist, dass man Hilfe benötigt bei den täglichen Verrichtungen des

§ 61 Abs. 1 S 1 i. V. m. Abs. 5. Das ist bei Otto nicht der Fall.

Ergebnis : Es besteht sowohl Anspruch auf Krankenhilfe als auch auf

Eingliederungshilfe durch den Sozialhilfeträger. Es sind sowohl die erforderliche

Akutversorgung (Entzug) als auch die Reha-Leistungen (Entwöhnung,

Arbeitserprobung usw.) als Leistung der Krankenhilfe ebenso wie als Leistung der

Eingliederungshilfe für Behinderte möglich. Nunmehr kommt es im Rahmen der

Abgrenzung darauf an, welche Hilfe am wirksamsten ist (grundsätzlich die

Eingliederungshilfe, da umfassender) und welcher Hilfezweck dominiert (hier

zunächst die Entzugsbehandlung als Krankenhilfe). Da der Entzug Voraussetzung

aller weiterer Maßnahmen ist, dominiert hier die Krankenhilfe. Dies schließt spätere

berufliche oder soziale Teilhabeleistungen nach § 54 SGB XII i. V. m. SGB IX nicht

aus. Die Entscheidung für die Krankenhilfe hat für Otto Konsequenzen: er muss

„zuzahlen“, was bei Leistungen der Eingliederungshilfe in Hinblick auf § 54 Abs.1

S.2 SGB XII noch nicht geklärt ist.

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Luthe, IRS 54

Sachliche Zuständigkeit: Für die Krankenhilfe nach § 97 Abs. 1 SGB XII der

örtliche Träger. Für die spätere Eingliederungshilfe nach § 97 Abs. 3 SGB XII der

überörtliche Träger, es sei denn, Landesrecht trifft eine andere Bestimmung (§ 97

Abs. 3 SGB XII).

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Luthe, IRS 55

Fall Peter (SGB XII)

(Hilfe in besonderen Lebenslagen)

�Peter ist 55 Jahre alt und schwerstpflegebedürftig (§ 64 b Abs.1 Nr. 4 und 5).

Pflegeversicherungsleistungen erhält er nicht. Er bezieht vom Sozialhilfeträger deshalb

ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 728,-- €. Denn die Pflege wird von seiner Frau

sichergestellt.

�Die angemessenen Unterkunftskosten für die gemeinsame Wohnung betragen

monatlich 500,-- €. Die Ehefrau verfügt über ein bereinigtes Einkommen (§ 82 Abs. 2

SGB XII) von monatlich 2.086,-- €. Anmerkung: in der Rechtspraxis geht man beim

Begriff des Einkommens in § 85 Abs. 1+2 gewöhnlich vom „bereinigten“ Einkommen

aus. Dies widerspricht jedoch dem Gesetzeswortlaut. Danach ist „Einkommen“ das in §

82 Abs. 1 geregelte Bruttoeinkommen; § 82 Abs. 2 regelt dagegen allein die

Absetzbeiträge. In diesem Fall wird jedoch die Handhabung in der Praxis zugrunde

gelegt, also das „bereinigte“ Einkommen.

�Der Sohn studiert und wird von den Eltern unterhalten; für seine „Studentenbude“

zahlt er 100,-- € monatlich.

a) Prüfen Sie, ob und in welcher Höhe eine Eigenleistung verlangt werden kann!

Nach der zu § 87 Abs. 1 SGB XII erlassenen Verwaltungsvorschrift sind bei

Pflegebedürftigkeit von länger als einem halben Jahr 75 % des die

Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens einzusetzen.

b) Welcher Leistungsträger ist sachlich und örtlich zuständig?

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Luthe, IRS 56

Falllösung Peter (SGB XII)

I.Nachrang §§ 2 Abs. 1, 19 Abs. 3

Die besonderen Leistungen des SGB XII werden nach § 19 Abs. 3 nur gewährt,

soweit dem Leistungsberechtigten und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft

lebenden Angehörigen die Aufbringung der Mittel aus Einkommen und Vermögen

nicht zuzumuten ist. Laut Sachverhalt liegt ein bereinigtes Einkommen (§ 82 SGB

XII) in Höhe von 2.086,-- € vor. Dieses muss jedoch nur dann eingesetzt werden,

wenn es über der sich nach § 85 SGB XII berechnenden Einkommensgrenze liegt

und der Einsatz des übersteigenden Einkommens nach § 87 Abs. 1 SGB XII

zumutbar ist. Zusätzlich ist zu prüfen, ob ein Fall des § 88 SGB XII vorliegt.

II.Einkommensgrenze

Peter ist volljährig; anwendbar ist deshalb § 85 Abs. 1 SGB XII:

•Grundbetrag nach § 85 Abs. 1 Nr. 1

= das Zweifache der Regelbedarfsstufe 1 = 832 -- € (2 x 416-- €)

•(Tatsächliche Gesamt-)Kosten der Unterkunft

nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 = 500,-- € (Ehegatten)

sowie 100,-- € (Sohn)

•Familienzuschlag nach § 85 Abs. 1 Nr. 3 =

70 % von Regelbedarfsstufe 1 (416 €), gerundet =

für den nicht getrennt lebenden Ehegatten aufgerundet 292 €

für den überwiegend unterhaltenden Sohn aufgerundet 292 €

Einkommensgrenze: 2.016,-- €

Einkommen: 2.086,-- €

Einkommen über der Einkommensgrenze: 70,-- €

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Luthe, IRS 57

III. Einsatz des Einkommens über der Einkommensgren ze, § 87 SGB XII

1. Das Einkommen übersteigt die Einkommensgrenze um 70,-- €.

Nach § 87 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist in diesem Fall die Aufbringung der Mittel in

„angemessenem“ Umfang zuzumuten . Welcher Betrag oberhalb der Grenze

einzusetzen ist, ist variabel und vom Einzelfall abhängig. Die Begriffe

Angemessenheit und Zumutbarkeit sind ein von den Gerichten voll kontrollierbare

unbestimmter Rechtsbegriffe. Bei der Auslegung dieser Begriffe sind die Vorgaben

des § 87 Abs. 1 S. 2 zu beachten:

• Art des Bedarfs (etwa längere Beeinträchtigung der Gesundheit, Gefährdung des

Hilfeprozesses bei Eigenmitteleinsatz);

• Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen (etwa eingesetzte

Eigenmittel vor Inanspruchnahme des Trägers);

• besondere Belastungen (Schulden, zukünftige Kosten im Zusammenhang mit ihr);

• sonstige Grundsätze der Sozialhilfe (Individualisierungsgrundsatz des

§ 9 Abs. 1, familiengerechte Hilfe nach § 16, Menschenwürde nach § 1).

Nach dem Sachverhalt sind besondere Belastungen usw., die über das normale

Maß der Pflegebedürftigkeit hinausgehen, allenfalls im Blick auf die vermutlich

längere gesundheitliche Beeinträchtigung von Peter („Art des Bedarfs“) zugrunde

zu legen. Dies wird durch die bestehende und hierzu ergangene

Verwaltungsvorschrift aufgegriffen (hier: 75 % des die Grenze übersteigenden

Einkommens als zumutbarer Einkommenseinsatz bei längerer Pflegebedürftigkeit =

25 % bleiben mithin frei).

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Luthe, IRS 58

2. Überdies gilt hier § 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII: „Mindestens“ 60 % des

übersteigenden Einkommens bleiben anrechnungsfrei, da Peter

schwerstpflegebedürftig nach § 64 Abs. 3 ist.

Wenn laut Verwaltungsvorschrift generell Pflegebedürftige – wie im vorstehenden

Beispiel – um 25 % geschont werden, kann dieser Betrag nach wohl überwiegender

Meinung hinzugerechnet werden:

Insgesamt 85 % von 70 € = 59,50 €.

70,-- € übersteigendes Einkommen

- 59,50 € Schonbetrag

__________

10,50 € zumutbarer Einkommenseinsatz

III. Einsatz des Einkommens unter der Einkommensgre nze nach § 88 SGB XII

Diese Vorschrift ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Beachte: Auch wenn

Einkommen unterhalb der Einkommensgrenze eingesetzt werden muss, darf dies jedoch

nicht dazu führen, dass die Bedarfsgemeinschaft hierdurch bedürftig wird. Der

Unterhaltsbedarf ist daher die unterste Grenze des Einkommenseinsatzes.

V. Zuständigkeit

Sachlich zuständig ist nach § 97 Abs.3 Nr.2 SGB XII der überörtliche Träger, es

sei denn, nach Abs. 2 wurde durch Landesrecht ein anderer bestimmt.

Allerdings können die überörtlichen Träger örtliche Träger nach Landesrecht

heranziehen (§ 99 Abs. 2).

Örtlich zuständig ist der Träger, in dessen Bereich sich die Leistungs-

berechtigten tatsächlich aufhalten (§ 98 Abs. 1 SGB XII). Für stationäre Leis-

tungen siehe § 98 Abs. 2 SGB XII.

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Luthe, IRS 59

Anmerkungen zum Bereich der „aktiven“ Eingliederung sleistungen nach

SGB II

1. Allgemeines

a)Vorgaben zur Eingliederung = §§ 3, 14, 15, 15 a, 16, 16 a-e, 54 SGB II

b) Im Regelfall Ermessen beim „Ob“ und „Wie“ der Maßnahmen : §§ 3 Abs.1, 16 Abs.

1, SGB II;

§ 3 Abs. 5 SGB III

c)Voraussetzung ist bei einigen Leistungen das Vorliegen von

Vermittlungshemmnissen :

Hohes Lebensalter, Migrationshintergrund, fehlende schulische oder berufliche

Qualifikation, gesundheitliche Einschränkungen, Sucht- und Schuldenprobleme,

lange Arbeitslosigkeit.

d)Weitere Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe sind nicht ausgeschlossen

(§§ 5 Abs. 2 SGB II; 10 Abs. 3 S. 2 SGB VIII: der Vorrang des SGB II gilt jedoch nicht,

wenn nicht die Eingliederung in das Erwerbsleben, sondern die psychosoziale

Unterstützung im Vordergrund steht).

e)Leistungsempfänger können sein: Hilfebedürftige, Arbeitgeber, Träger (vgl. zum

Trägerbegriff § 21 SGB III: Leistungserbringer und solche Träger, die Leistungen nicht

selbst durchführen, sondern durch Dritte durchführen lassen).

f) Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II als Grundvoraussetzung (deshalb keine

präventiven Leistungen zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit möglich).

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Luthe, IRS 60

g)Effektivitätsprobleme bei staatlicher Eingliederung:

• Mitnahmeeffekt: Der AN wäre auch ohne Förderung beschäftigt worden; der

AG „nimmt die Förderung nur mit.“

• Locking-In- Effekt: Während der Teilnahme an der Maßnahme geht wertvolle

Zeit der eigenen Arbeitsplatzsuche durch den AN verloren.

• Stigmatisierungseffekt: Geförderte AN gelten nach Teilnahme häufig als

arbeitsentwöhnt, die Maßnahmen als nicht praxistauglich bzw. als zu wenig

auf individuelle Kompetenzen der geförderten Personen abgestimmt

(Überforderung oder Unterforderung).

• Förderfalle“: Staatliche Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote

vermindern den Anreiz bei Unternehmen, selbst in die Qualifizierung des

Personals zu investieren.

• Positivselektion: Gefördert werden vor allem die leistungsstärkeren AN, die

auch ohne Förderung einen Arbeitsplatz finden würden (näher zum Ganzen

Luthe, Bildungsrecht 2003, 280 ff.).

Als Alternative wird diskutiert: Vollständiger Wegfall jeglicher Förderleistungen;

stattdessen Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und Abbau von

Personal in der Arbeitsverwaltung mit dem Ziel der Absenkung der Arbeitskosten.

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Luthe, IRS 61

Prüfungsschema Fürsorgerecht Luthe Übersicht zu den Leistungen: SGB II 1. Unterhaltsleistungen mit AlG II und Sozialgeld 2. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit SGB XII 1. Unterhaltsleistungen - Hilfe zum Lebensunterhalt - Grundsicherung im Alter und bei (dauerhafter) Erwerbsminderung 2. Besondere Leistungen („Leistungen des Fünften bis Neunten Kapitels“, §§ 47 bis 74). Diese werden bestimmten Problemgruppen unabhängig von der Frage der Erwerbsfähigkeit gewährt. Diese Leistungen stehen – im Unterschied zu den Unterhaltsleistungen des SGB II (vgl. §§ 3 Abs. 3, 5 Abs. 2 S. 2 SGB II) - mithin auch den Leistungsempfängern des SGB II zur Verfügung! SGB II A. Organisation Träger: Bundesagentur und kommunaler Träger in § 6 bilden gemeinsame Einrichtung nach § 44 b. Diese hat zwei Organe – den Geschäftsführer (§ 44 d) und die Trägerversammlung (§ 44 c). Kommune finanziert Unterkunft, Bundesagentur alles andere (§ 6) oder: Optionskommune in alleiniger kommunaler Trägerschaft (§ 6 a). Ausschüsse: Bund-Länder-Ausschuss (§ 18 c), Kooperationsausschuss (§§ 18 b, 44 e), örtlicher Beirat (§ 18 d); sie sind für die strategische Planung von Programmen und Zielvereinbarungen (§ 48 b) zuständig und zum Teil Konfliktschlichtungsinstanz. B. Leistungen I. Nachrang öffentlicher Fürsorge 1. Grundsätze: Selbstverantwortlichkeit § 2, Einsatzgemeinschaft/Haushaltsgemeinschaft §§ 7 und 9 Abs. 5, Bedürftigkeit § 9

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Luthe, IRS 62

2. Eigenmittel a) Zumutbare Arbeit § 10; Sanktionen §§ 31-32 b) Einkommen § 11 .V. m. AlG II-VO; aa) Nicht als Einkommen zu berücksichtigende Positionen § 11 a bb) Absetzbeträge § 11 b c) Vermögen § 12 i.V.m. AlG II-VO aa) Absetzbeträge § 12 Abs. 2 bb) Schonvermögen § 12 Abs. 3 d) Leistungen Dritter § 5, 9, Abs. 1, § 12 a 3. Sonstige Instrumente zur Durchsetzung des Nachrangprinzips: Anspruchsübergang § 33, Ersatzansprüche § 34, Erbenhaftung § 35 II. Unterhaltsleistungen 1. Grundsätzliche Anspruchsberechtigung § 7 Abs. 1 und 2 2. Arbeitslosengeld II und Sozialgeld § 19 Abs. 1 a) Regelleistung § 20, Besonderheiten beim Sozialgeld § 23 (Kinder!) b) Mehrbedarfe § 21, besonderer Mehrbedarf § 21 Abs. 6 c) Unterkunft und Heizung § 22, Angemessenheit der Kosten auch durch Kommune bestimmbar § 22 a – c, Übernahme von Mietschulden § 22 Abs. 8 d) Abweichende Erbringung von (Sonder-)Leistungen § 24, insb. einmalige Leistungen § 24 Abs. 3 e) Sonderregelung bei Reha/ Zuschuss zu Beiträgen für private KV und PflegeV §§ 25, 26 f) Übernahme Mietschulden § 22 Abs. 5 g) Besondere Unterhaltsleistungen für Auszubildende § 27 (ausnahmsweise Zuschuss zu den Unterkunftskosten und Darlehen) 3. Leistungen für Bildung und Teilhabe a) Voraussetzung für Leistungen des SGB II: keine Bildungsleistungen nach § 6 b BKGG (für Bezieher des Kinderzuschlages oder von Wohngeld) § 19 Abs. 2 b) Ausflug/Klassenfahrten, Schülerbeförderung, Lernförderung, Mittagessen in Schule, Kulturpauschale von 10 € § 28 c) Erbringung durch Gutscheine und Direktzahlungen § 29 III. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit 1. Grundsätze: § 2, § 3 Abs. 1 bis 2 b 2. Eingliederungsvereinbarung § 15 3. Leistungen §§ 16 bis 16 g IV. Leistungserbringungsrecht §§ 17, 18 V. Letzter Schritt: Leistungen abzgl. Eigenmittel = Bedarf

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Luthe, IRS 63

SGB XII Träger: Örtliche und überörtliche Träger nach §§ 3 , 97, 98 (Sozialämter und Nds. Landesamt für Soziales, Jugend und Familie) I. Nachrang öffentlicher Fürsorge 1. Grundsätze: Nachrang § 2, Einsatzgemeinschaft § 19 und § 27 Abs. 2 und § 43 Abs. 1, Haushaltsgemeinschaft § 39 2. Eigenmittel a) Zumutbare Tätigkeit § 11 Abs. 3 und 4, Sanktion § 39 a b) Einkommen § 82 i.V.m. RVO, zweckgleiche Leistungen § 83 c) Vermögen § 90 i.V.m. RVO d) Sonstige Instrumente: Einschränkung der Leistung § 26, Anspruchsübergang §§ 93 und 94, Kostenersatz §§ 102 ff. II. Unterhaltsleistungen 1. Grundsätzliche Anspruchsberechtigung § 17 2. Hilfe zum Lebensunterhalt a) Voraussetzungen § 27, grundsätzlicher Umfang und Festlegung durch Regelsätze § 27 a b) abweichende Festlegung § 27 a Abs. 4 c) Notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen § 27 b d) Festlegung und Fortschreibung von Regelbedarfen §§ 28 – 29 e) Mehrbedarf § 30 f) Einmalige Bedarfe § 31 g) Beiträge für die private Kranken- und Pflegeversicherung § 32 und Vorsorge § 33 h) Bedarfe für Bildung und Teilhabe aa) Ausflug/Klassenfahrten, Schülerbeförderung, Lernförderung, Mittagessen in Schule, Kulturpauschale von 10 € § 34 bb) Erbringung durch Gutscheine und Direktzahlungen § 34 a i) Einzelfall-Sonderbedarf § 37 j) Unterkunft und Heizung § 35, Angemessenheit der Kosten auch durch Kommune bestimmbar § 35 a k) Übernahme von Mietschulden § 36 3. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung §§ 41 ff. a) Voraussetzungen § 41 b) Leistungen § 42 c) Besonderheiten beim Einsatz von Einkommen und Vermögen § 43, auch § 94 Abs. 1

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Luthe, IRS 64

III. Besondere Leistungen (des Fünften bis Neunten Kapitels) 1. Leistungsvoraussetzungen und Leistungen §§ 47 bis 74 2. Nachrang (hier ausnw. Nachrang nach den Leistungen prüfen, da der Einkommenseinsatz von der einschlägigen Leistung abhängig) a) Einkommen §§ 82 und 83 aa) Einkommensgrenze § 85 bb) Einkommen über der Einkommensgrenze § 87 cc) Einkommen unter (und über) der Einkommensgrenze § 88 dd) Einkommensberechnung bei mehrfachem Bedarf § 89 ee) Sonderregelung zum Einkommenseinsatz bei Leistungen für Behinderte § 92 ff) Sonderregelung zum Einkommenseinsatz bei Einrichtungsunterbringung § 92 a b) Vermögen § 90 (wie bei HzL) c) Besonderheiten beim Anspruchsübergang § 94 Abs. 2 IV. Allgemeine Aktivierung §§ 10 Abs. 2, 11, 12 V. Leistungserbringungsrecht § 5 Abs. 3, §§ 75 bis 81 VI. Letzter Schritt: Leistungen abzgl. Eigenmittel = Bedarf

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Luthe, IRS 65

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Luthe, IRS 66

§ 76 SGB IX Leistungen zur Sozialen Teilhabe

(1) Leistungen zur Sozialen Teilhabe werden er- bracht, um eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleich-

tern, soweit sie nicht nach den Kapiteln 9 bis 12 erbracht werden. Hierzu gehört, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverant-

wortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen. Maßgeblich sind die Ermittlungen und

Feststellungen nach den Kapiteln 3 und 4. §77

Leistungen für Wohnraum (1) Leistungen für Wohnraum werden erbracht, um

Leistungsberechtigten zu Wohnraum zu verhelfen, der zur Führung eines möglichst selbstbestimmten, eigen- verantwortlichen Lebens geeignet ist. Die Leistungen

umfassen Leistungen für die Beschaffung, den Umbau, die Ausstattung und die Erhaltung von Wohnraum, der den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Be-

hinderungen entspricht. Juris-Gesetzes-Kommentar zum SGB IX: Die Leistungen müssen hierfür geeignet sein. Zudem müssen sie als generelles Erfordernis erforderlich sein;3 insofern müssen sie zur Teilhabe der behinderten Person beitragen.4 Voraussetzung ist also eine positive Prognose der Maßnahmeeignung, an deren Nachweis und deren Intensität wegen § 4 Abs. 1 SGB IX („mildern“, „mindern“) jedoch keine übertriebenen Anforderungen zu stellen sind. Die Erforderlichkeit der Hilfe erfordert ferner eine Wertung der behinderungsbedingten Beeinträchtigungsintensität unter Berücksichtigung des Kostenaufwandes: je größer die Beeinträchtigungsintensität und je geringer die Kosten umso erforderlicher die Hilfe – und umgekehrt. Hilfe nach § 77 SGB IX wird insofern nur in dem Maß gewährt, in dem auch Nichtbehinderte entsprechende Bedürfnisse befriedigen können.5 Denn Ziel der steuerfinanzierten sozialen Fürsorgeleistungen ist der Schutz vor sozialer Ausgrenzung. Bei der Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums muss auf die Lebensgewohnheiten abgestellt werden, die auch von der Bevölkerung in „bescheidenen Verhältnissen“ geteilt werden, sodass eine soziale Ausgrenzung aus wirtschaftlichen Gründen vermieden wird.6 Allerdings sollte klar gesehen werden, dass das Gesetz nicht die Sicherstellung eines sozialen Existenzminimums bezweckt. Es zählen vorrangig die Ziele des § 4 SGB IX; nur als ein möglicher Belang neben anderen individuellen Faktoren der Teilhabe kann das „bescheidene“ Lebensführungsniveau mithin maßstäbliche Bedeutung entfalten. Frage: rollstuhlgeeigneter Umbau einer neuen Wohnung? Auch wenn der Behinderte bereits seit kurzem in einer entspr. Wohnung lebt, aber umziehen will?

3 LSG Sachsen-Anhalt v. 04.12.2013 - L 4 P 28/08; SG Koblenz v. 26.08.2013 - S 8 KR 355/13. 4 BSG v. 23.08.2013 - B 8 SO 24/11 R. 5 Thüringer Landessozialgericht v. 22.12.2008 - L 1 SO 619/08 ER. 6 Bayerisches Landessozialgericht v. 26.02.2010 - L 8 SO 55/09 sowie Bayerischer Verwaltungsgerichtshof v.

23.09.2009 - Au 3 K 03.748.

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Luthe, IRS 67

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Luthe, IRS 68

� SGB II

Zuordnung SGB II / XII

Erwerbsfähige Personen und Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft

Erwerbsfähigkeit §8 SGB II a) Bedarfsgemeinschaft §7 Abs. 3 SGB II

„Bedürftigkeit“ §9 SGB II Grundvoraussetzung

b) Einsatzgemeinschaft z.B. §9 Abs. 2 SGB II

c) Haushaltsgemeinschaft z.B. §9 Abs. 5 SGB II

Ansonsten SGB XII

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Luthe, IRS 69

Sonderbedarfe

I. Einzelfall – Sonderbedarf nach §21 Abs. 6 SGB II (Besonderer Bedarf, der nicht in

der Regelleistung berücksichtigt wurde) Beihilfe!

Das Bundeverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 09.02.2010 festgestellt, dass

unabweisbarer laufender (nicht einmaliger) Bedarf als sogenannter Härtefall geltend

gemacht werden kann, wenn dieser bisher nicht vom Regelsatz gedeckt ist.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat gemeinsam mit der Bundesagentur

für Arbeit zur praktischen Umsetzung der Vorgaben des Urteils nun eine nähere Definition dieser

Härtefälle im Wege einer Geschäftsanweisung an die örtlichen Träger herausgegeben.

Nach dieser nicht abschließenden Aufzählung sind die folgenden Bedarfe im Rahmen

der Härtefallregelung über die Regelleistung hinaus zu übernehmen:

- In Ausnahmefällen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (Hautpflegeprodukte

bei Neurodermitis, Hygieneartikel bei ausgebrochener HIV – Infektion oder

ähnliches)

- Putz- oder Haushaltshilfen für Rollstuhlfahrer, sofern diese gewisse Tätigkeiten im

Haushalt nicht ohne fremde Hilfe erledigen können und keine Hilfe von anderen erhalten

- Regelmäßige Fahrt- oder Übernachtungskosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts

mit den Kindern

- Im Einzelfall Kosten für Nachhilfeunterricht, sofern hierfür ein besonderer Anlass

besteht (z.B. langfristige Erkrankung, Todesfall in der Familie). Weiterhin muss die

Aussicht auf Überwindung des Nachhilfebedarfes innerhalb eines Zeitraums von

sechs Monaten, längstens bis zum Schuljahresende bestehen. Schulische

Förderkurse und ähnliche Angebote sind jedoch vorrangig zu nutzen.

Darüber hinaus stellt die Geschäftsanweisung im Rahmen einer Negativliste klar, dass auch in

Zukunft über den Regelsatz hinaus keine Kosten für die folgenden Bedarfe übernommen werden:

- (Praxisgebühr)

- Bekleidung für Übergrößen

- Brille

- Waschmaschine (sofern nicht im Rahmen der Erstausstattung)

- Zahnersatz

- Orthopädische Schuhe

II. Einzelfall – Sonderbedarf nach §24 Abs. 1 SGB II (der Bedarf ist in der

Regelleistung berücksichtigt, er reicht aber ausnahmsweise nicht aus) � Darlehen!

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Luthe, IRS 70

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Luthe, IRS 71

Wie man aus Bürgern „Hartzer“ macht

1) Ausgangsfall – status quo

- Gesetzliches Existenzminimum

800€

- Einkommen (brutto) 800€

- Absetzbetrag wg. Erwerbstätigkeit 100€ (als Beispiel)

- Freibetrag wg. Erwerbstätigkeit (20%) 140€

- Berücksichtigungsfähiges Einkommen 560€

- Leistung = 240€

2) Ausweitung Freibetrag

- Gesetzliches Existenzminimum 800€

- Einkommen (brutto) 1200€

- Absetzbetrag wg. Erwerbstätigkeit 100€ (als Beispiel)

- Freibetrag wg. Erwerbstätigkeit (50%, 20%) 490€

- Berücksichtigungsfähiges Einkommen

- Leistung = 190 €

610€

3) Ausweitung von Leistung und Freibetrag

- Gesetzliches Existenzminimum

1000€

- Einkommen (brutto) 1800€

- Absetzbetrag (Steuern, Sozialvers., wg. Erwerbst. 600€ (als Beispiel)

- Freibetrag wg. Erwerbstätigkeit (60%, 30%) 600€

- Berücksichtigungsfähiges Einkommen

- Leistung = 400€

600€

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Luthe, IRS 72

SGB XII: Anspruchsübergang Grundsicherung

§ 43 SGB XII:

- Bedarfs bzw. Einsatzgemeinschaft nur zwischen Partnern (Abs. 1)

- Unterhaltsansprüche gegenüber Eltern bzw. Kinder bleiben unberücksichtigt, wenn diese Einkommen unterhalb 100.000 € haben (Abs. 5), dann Grundsicherung, dann § 94 Abs. 1 S. 3

- Vermutung (Abs. 5 Satz 2) - Angaben verlangen (Abs. 5 Satz 3) - Wenn Anhaltspunkte dann Auskunft (Abs. 5 Satz 4) - Kein Anspruch, wenn Einkommen über 100.000 € (Abs. 5 Satz 6)

Zahlt der Unterhaltspflichtige nicht, dann HZL dann § 94 Abs. 1 Satz 1!!

§ 94 SGB XII:

- Regelfall in Abs. 1 Satz 1 (z.B. bei Pflege der Angehörigen)

- Ausnahme Grundsicherung in Abs. 1 Satz 3

- Sonderfall: bei Unterhaltsansprüchen volljähriger Behinderter/Pflegebedürftiger gegenüber den Eltern in Abs. 2

- „Härte“ in Abs. 3

Fall: Eltern beziehen Grundsicherung, Kinder über 1 00.000€, alle leben in gemeinsamem Haushalt.

- Einsatzgemeinschaft? - Anspruchsübergang?

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Luthe, IRS 73

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Luthe, IRS 74

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