prof. dr. nikolaus wolffu berlin, sommer 20061 der deutsche arbeitsmarkt seit 1945
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Der deutsche Arbeitsmarkt seit 1945
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Arbeit in der Makroökonomie
• Der Arbeitsmarkt ist ein Markt, allerdings mit Besonderheiten
– „Arbeit“ hat anders als Maschinen einen Eigenwillen, Arbeiter können ihren Arbeitsplatz verlassen und die Arbeit selbst bestimmt einstellen
– Die Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind häufig langfristig geregelt
– Institutionen beeinflussen den Arbeitsmarkt (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Tarifrecht, etc.)
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Einfache Konzepte
• Das Arbeitsangebot ist eine Funktion von Präferenzen über Konsum und Freizeit und deren relativem Preis
• Steigende Reallöhne pro Stunde haben theoretisch ambivalente Effekte auf das Arbeitsangebot, da es Substitutions- und Einkommenseffekte gibt
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Burda/ Wyplosz (1994), S. 152
Veränderung des Arbeitsangebots In Reaktion auf Veränderung des Reallohns
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Einfache Konzepte
• Empirisch gilt, dass der Substitutionseffekt (meist) positiv ist, aber mit sozialen Unterschieden: für verheiratete Frauen ist der Effekt stärker als für unverheiratete Frauen und für Männer
• Der Einkommenseffekt ist recht eindeutig negativ und scheint zu dominieren:
1870 1913 1938 1987
Jahresarbeitszeit (h) Person
Deutschland 2941 2584 2316 1620
USA 2964 2605 2062 1608
Reallohn (1870=100)
Deutschland 100 185 285 1227
USA 100 189 325 643
Burda/ Wyplosz (1994), S. 153
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Einfache Konzepte
• Das aggregierte Arbeitsangebot verhält sich aus (mindestens) zwei Gründen anders als das individuelle Arbeitsangebot
1. Die Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern wandelt sich: die Erwerbsquoten (Erwerbspersonen/ Erwerbsbevölkerung) von Frauen steigt langfristig
2. Die Anzahl der Menschen, die überhaupt auf dem Arbeitsmarkt Arbeit anbieten (bzw. suchen) verändert sich (u. a.) mit dem Reallohn
die aggregierte Arbeitsangebotskurve ist idR flacher als die individuelle, da bei steigenden Löhnen die Erwerbsbeteiligung vor - allem von Frauen - zunimmt
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Ad 1: Erwerbsquoten und Frauen und Männern
Entwicklung der Erwerbsquote nach Geschlecht 1882- 2003
0,00%
10,00%20,00%
30,00%
40,00%50,00%
60,00%
70,00%
80,00%90,00%
100,00%1
88
2
18
95
19
07
19
25
19
33
19
39
19
50
19
61
19
70
19
80
19
85
19
90
19
93
19
95
19
97
20
00
20
03
Frauen
Männer
Willms (1983, S. 35)/Franck (1998, S. 39) /Bundeszentrale für politische Bildung/ Statistisches Bundesamt (2001, S. 102)
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Ad 1: Erwerbsquoten und Frauen und Männern
Förster (1991), S. 18
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Einfache Konzepte
• Die Arbeitsnachfrage einer gewinnmaximierenden Unternehmung ist eine Funktion der verfügbaren Technologie und der relativen Faktorpreise von Arbeit und Kapital (…). Der Reallohn entspricht dem Grenzprodukt der Arbeit
• Der Reallohn steigt mit der Grenzproduktivität der Arbeit• Bsp. Cobb-Douglas Produktionsfunktion: Y = ALaK1-a, (mit 0< a< 1)• w=dY/dL=Aa(L/K)a-1 dw/dK, dw/dA > 0, dw/dL > 0
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Einfache Konzepte
• Die Beziehung zwischen Faktornachfrage und Faktorkosten wurde oft geschätzt; plausible Annahme dass Faktorpreise exogen sind
• Partielle Nachfrageelastizitäen: um wie viel Prozent verändert sich ceteris paribus die Nachfrage nach einem Faktor, wenn sein Preis oder der Preis anderer Faktoren sich um 1% erhöht?
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Einfache Konzepte
Burda/ Wyplosz (1994), S. 160
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Die historische Entwicklung von Arbeitsangebot, Arbeitsnachfrage und Reallöhnen
(Bundesrepublik)
1. Bevölkerung und Teilnahme am Erwerbsleben
2. Zusammensetzung dieses Arbeitsangebots
3. Reallöhne
4. Arbeitslosigkeit
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Die historische Entwicklung
Henning (1988), S. 196
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Die historische Entwicklung
• In den 1950er Jahren herrscht ein großes Angebot an Arbeitskräften (Flüchtlinge, Heimkehrer), dennoch sinkt die Arbeitslosigkeit
• Zu Beginn der 1960er Jahre wird der Faktor Arbeit in der Bundesrepublik (etwas später auch in der DDR) knapp, 1960 ist die Zahl der offenen Stellen größer als die Zahl der Arbeitslosen:
– Dynamisches Wirtschaftswachstum mit hoher Arbeitsnachfrage – Geburtenschwache Jahrgänge treten ins Erwerbsleben ein– Verlängerte Ausbildungszeiten, verkürzte Arbeitszeiten– 1961: Mauerbau
• Nach ersten Ansätzen 1955 werden seit ca 1960 systematisch Arbeitskräfte aus nicht-EWG-Staaten angeworben: Spanien, Griechenland (1960),Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965), Jugoslawien (1968) „Gastarbeiter“
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Die historische Entwicklung
• Die Anwerbung war nicht auf Dauer angelegt („Gastarbeiter“), aber die angeworbenen Arbeitskräfte werden unentbehrlich:
• Diese Arbeitskräfte aus nicht-EWG-Staaten werden überwiegend in Bereichen mit geringer Entlohnung und geringem sozialen Prestige eingesetzt
• Mit der Krise ab 1973 wird die Anwerbung gestoppt Anreize zu bleiben
• (in der DDR gab es mit der Anwerbung von „Vertragsarbeitnehmern“ aus Statten wie Vietnam, Kuba, Angola und COMECON-Staaten eine ähnliche Entwicklung, jedoch in deutlich geringerem Umfang)
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Die historische Entwicklung
0
500.000
1.000.000
1.500.000
2.000.000
2.500.000
3.000.000
1954 1957 1960 1963 1966 1969 1972 1991 2003
BeschäftigteausländischeArbeitnehmer
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Die historische Entwicklung
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Die historische Entwicklung
Hinrichs/ Giebel-Felten (2002)
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Kann man Arbeitslosigkeit verstehen?
• Warum sind die Reallöhne in der Krise nicht gesunken?• War die Krise evtl. gar eine Folge „zu hoher“ Reallöhne?
• Der Arbeitsmarkt ist von starken institutionellen Regelungen beeinflusst, die direkt oder indirekt die Marktmechanismen beeinflussen
• Schematisch lässt sich das einfach abbilden: – LD (Arbeitsnachfrage als Funktion von Reallohn, Technologie,
Kapitalkosten, etc.), – LS (hier einfach inelastisch), – WS (aggregiertes Lohnsetzungsverhalten als Funktion von gesetzlichen
Regelungen, Verhandlungsmacht, etc.)
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Arbeitslosigkeit
• Theoretischer Rahmen (siehe Franz 2003, Abschnitt 9.2)• QERU: quasi-equilibrium rate of unemployment
WS
LSLD
LD‘C
B
AD
Ec EBE00
wA
wB
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Arbeitslosigkeit
• Vollbeschäftigung bei A: dazu müsste WS im Schnittpunkt von LS und LD liegen
• Im Beispiel sind wir in Gleichgewicht B: AL von E0-EB
QERU: Lohnsetzungsverhalten stimmt mit Arbeitsnachfrage überein, obwohl es einen Arbeitsüberschuss gibt
• Tatsächliche AL oft zusätzlich anders bedingt: negativer Konjunkturschock kann LD auf LD‘ verschieben AL steigt auf E0-EC wir sind in C
Dauerdebatte: wo sind wir? In B oder in C? • Strukturelle AL: alles was LD und WS verschieben kann:
technologische Entwicklung, inflexibler Lohnbildungsprozess, kompliziertes Arbeitsrecht
auch strukturelle AL ist gemacht, nicht gegeben
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Institutionelle Faktoren der Lohnbildung
• In der Diskussion werden meist zwei Faktoren hervorgehoben:
1. Abschlüsse der Tarifpartner im Rahmen der Tarifautonomie
2. Gesetzlich geregelte Personalzusatzkosten („Lohnnebenkosten“)
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Ad 1: Tarifabschlüsse
• Seit dem Tarifvertragsgesetz vom April 1949 herrscht in der Bundesrepublik Tarifautonomie, geschützt durch das Grundgesetz (Art 9 Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit):
• Tarifpartner schließen ohne staatliche Eingriffe (aber ergänzt um ein freies Schlichtungswesen) Abschlüsse ab, die für den jeweiligen Bereich bindend sind
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Ad 1: Tarifabschlüsse
Flächentarifgebundenheit der Beschäftigten in Prozent
0
10
20
30
40
50
60
70
80
1995 1996 1998 1999 2000 2001 2002 2003
West
Ost
Quelle: IAB - Betriebspanel
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Ad 2: Lohnnebenkosten
• Neben der Entlohnung für geleistete Arbeit/ Arbeitszeit (Direktentgelt) fallen in zunehmendem Maße weitere Kosten für den Arbeitgeber an, die zum Teil gesetzlich vorgeschrieben, zum Teil freiwillig sind
• Etwa Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Lohnzahlung für gesetzliche Urlaubs- und Feiertage, Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung etc.
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Ad 2: Lohnnebenkosten
0
5
10
15
20
1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000
Rentenvers. Krankenvers. Arbeitslosenv.
Pflegevers. Gesamt
Betragssätze zur Sozialversicherung (Arbeitgeberanteile in %)
Stat BAmt, IdW
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Ad 2: Lohnnebenkosten
70,1
75,5
79,2 80,3 80,377,778,277,9
77,477,4
82
66,666,966,265,965,767,9
66,3
50
55
60
65
70
75
80
85
1978 1981 1984 1988 1992 1996 2000 2001 2002 2003 2004
Westdeutschland Ostdeutschland
Personalzusatzkostenquote im Produzierenden Gewerbe
Stat BAmt, IdW
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70
81
88
92
100
101
103
103
108
110
112
115
60 70 80 90 100 110 120
Italien
Kanada
UK
Japan
Deutschland
Schweden
Niederlande
Dänemark
Norwegen
USA
Frankreich
Belgien
72
73
84
84
88
88
88
88
90
94
99
100
60 70 80 90 100 110
Kanada
Japan
Frankreich
USA
Belgien
Dänemark
Niederlande
Schweden
Italien
UK
Norwegen
Deutschland
Arbeitsproduktivität 2003 (D=100) Lohnstückkosten 2003 (D=100)
OECD, Deutsche Bundesbank, IdW, US State Department
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Ad 2: Lohnnebenkosten
• Das Problem sind offenbar weniger die hohen Lohnnebenkosten als die –auch gemessen an der Produktivität - hohen Lohnstückkosten
kann man über (gesetzlich vorgeschriebene) Lohnnebenkosten einfacher verhandeln als über Tarifabschlüsse?
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Folgen
• Haben die hohen Löhne zu verstärkter Substitution von Arbeit durch Kapital geführt?
• Oder eher zu einer Verlagerung von Produktion ins Ausland (über Verdrängung bzw. Standortverlagerung) auf Grund gesunkener Gewinnerwartungen?
• Die Entwicklung der Investitionsquote ist hier interessant (die ihrerseits allerdings auch von Faktoren wie Steuerlast, gesetzlichen Abschreibungsregeln, etc. beeinflusst wird)
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Folgen
Investitionsquote (Anlageinvestitionen/ Bruttoinlandsprodukt), Deutschland (1950-60: BRD ohne Saar und Berlin, 1960-1990 BRD, 1991-2004
Deutschland)
0
0,05
0,1
0,15
0,2
0,25
0,3
Investitionsquote
StatBAmt
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Folgen
Anteile an Ausrüstungs- und Bauinvestitionen an den gesamten Anlageinvestitionen,Deutschland (1970-1990 BRD, 1991-2004 Deutschland)
0
0,05
0,1
0,15
0,2
0,25
0,3
0,35
0,4
0,45
0,5
Ausrüstungsinvestitionen Bauinvestitionen
StatBAmt
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Folgen
• Deutschland hat heute das Zwillingsproblem von hoher Arbeitslosigkeit und einer niedrigen Investitionsquote, die wiederum die Arbeitsproduktivität beeinflusst
• Die im internationalen Vergleich und gemessen an der Arbeitsproduktivität hohen Lohnstückkosten sind sicher ein wesentlicher Teil des Problems
• Teil einer Lösung müssen daher sowohl – weitere Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und– Senkung der gesetzlichen Personalzusatzkosten
• …als auch Anreize zur Erhöhung der Investitionsquote (v.a. Ausrüstungsinvestitionen) sein