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Prof. Dr. Sigrid Michel 1 Vorlesung „Sozialmedizinische Grundlagen Sozialer Arbeit“

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Page 1: Prof. Dr. Sigrid Michel1 Vorlesung Sozialmedizinische Grundlagen Sozialer Arbeit

Prof. Dr. Sigrid Michel 1

Vorlesung

„Sozialmedizinische Grundlagen Sozialer Arbeit“

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Prof. Dr. Sigrid Michel „Sozialmedizinische Grundlagen Sozialer Arbeit“

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Definition der Sozialmedizin aufgestellt von der

Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und

Prävention:

Die deutsche Sozialmedizin hat sich zu einer eigenständigen

medizinisch-wissenschaftlichen Disziplin entwickelt. Die erste

sozialmedizinisch orientierte Zeitschrift in Deutschland erschien

bereits 1783. Durch das Wirken Rudolf Virchows erreichte die

Sozialmedizin im 19. Jahrhundert einen Höhepunkt. Die wachsenden

Steuerungsprobleme des modernen Gesundheitswesens

und die Herausbildung der heutigen, überwiegend chronischen

Volkskrankheiten bedeuten eine neue Herausforderung für das Fach.

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Prof. Dr. Sigrid Michel „Sozialmedizinische Grundlagen Sozialer Arbeit“

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Die Sozialmedizin ist eine angewandte medizinische Disziplin. Sie

untersucht mit präventiver Zielsetzung Auftreten und Verteilung der

Volkskrankheiten im Zusammenhang mit der sozialen und natürlichen

Umwelt. Sie befaßt sich ferner mit der Organisation des

Gesundheitswesens einschließlich der Einrichtungen der sozialen

Sicherung und seiner wissenschaftlichen Bewertung. Die Sozialmedizin

nutzt für ihre Aufgabe epidemiologische, klinische, sozialwissenschaftliche,

ökonomische und ökologische Methoden. Sie befaßt sich mit rehabilitativen

und versorgungsorientierten Ansätzen sowie allen Formen einer

präventiven Gesundheitsversorgung.

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Die Prinzipien von Grotjahn:

Grotjahn stellt in seiner bekanntesten Veröffentlichung, der klassischen

Sozialen Pathologie, welche im Jahre 1911 dass erste Mal erschien, eine

Reihe von Prinzipien auf, welche grundlegend für eine systematische

Untersuchung menschlicher Krankheiten unter sozialen Gesichtspunkten

sind:

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Die Prinzipien von Grotjahn:

1.) Die Bedeutung einer Krankheit vom sozialen Gesichtspunkt aus wird in

erster Linie von der Häufigkeit bestimmt, mit der sie auftritt.

2.) Es ist nötig, die Form ebenso wie die Häufigkeit zu kennen, mit der die

spezielle Krankheit am meisten auftritt.

3.) Die ätiologische Beziehung zwischen sozialen Lebensbedingungen und

Krankheit kann auf vier Arten ausgedrückt werden: soziale

Lebensbedingungen (a) können eine Prädisposition für eine

Krankheit schaffen oder begünstigen; (b) können selbst die Krankheit

unmittelbar verursachen; (c) können die Krankheitsursachen übertragen;

und (d) können den Verlauf einer Krankheit beeinflussen.

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Die Prinzipien von Grotjahn:

1.) Die Bedeutung einer Krankheit vom sozialen Gesichtspunkt aus wird in

erster Linie von der Häufigkeit bestimmt, mit der sie auftritt.

2.) Es ist nötig, die Form ebenso wie die Häufigkeit zu kennen, mit der die

spezielle Krankheit am meisten auftritt.

3.) Die ätiologische Beziehung zwischen sozialen Lebensbedingungen und

Krankheit kann auf vier Arten ausgedrückt werden: soziale

Lebensbedingungen (a) können eine Prädisposition für eine

Krankheit schaffen oder begünstigen; (b) können selbst die Krankheit

unmittelbar verursachen; (c) können die Krankheitsursachen übertragen;

und (d) können den Verlauf einer Krankheit beeinflussen.

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Die Prinzipien von Grotjahn:

1.) Die Bedeutung einer Krankheit vom sozialen Gesichtspunkt aus wird in

erster Linie von der Häufigkeit bestimmt, mit der sie auftritt.

2.) Es ist nötig, die Form ebenso wie die Häufigkeit zu kennen, mit der die

spezielle Krankheit am meisten auftritt.

3.) Die ätiologische Beziehung zwischen sozialen Lebensbedingungen und

Krankheit kann auf vier Arten ausgedrückt werden: soziale

Lebensbedingungen (a) können eine Prädisposition für eine

Krankheit schaffen oder begünstigen; (b) können selbst die Krankheit

unmittelbar verursachen; (c) können die Krankheitsursachen übertragen;

und (d) können den Verlauf einer Krankheit beeinflussen.

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4) Ursprung und Ursachen von Krankheiten werden nicht nur von sozialen

Faktoren bestimmt, sondern diese Krankheiten können ihrerseits auch

Einfluß auf soziale Lebensbedingungen haben, besonders durch ihren

Ausgang.

5) Im Falle einer Krankheit, die vom sozialen Standpunkt aus wichtig ist,

muß festgestellt werden, ob ärztliche Behandlung einen spürbaren Einfluß

auf ihr Vorkommen ausübt und ob ein möglicherweise erreichbarer

Therapieerfolg vom sozialen Standpunkt aus von Bedeutung ist.

6) Das Verhüten von Krankheiten oder die Einflußnahme auf den

Krankheitsverlauf durch soziale Maßnahmen erfordert Beachtung der

sozialen und ökonomischen Umweltbedingungen des Patienten.

Grotjahn entdeckte, daß viele Krankheiten von sozialer Bedeutung

chronischer Art waren und daß eine große Zahl davon vermeidbar war oder

wenigstens kontrolliert werden konnte.

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4) Ursprung und Ursachen von Krankheiten werden nicht nur von sozialen

Faktoren bestimmt, sondern diese Krankheiten können ihrerseits auch

Einfluß auf soziale Lebensbedingungen haben, besonders durch ihren

Ausgang.

5) Im Falle einer Krankheit, die vom sozialen Standpunkt aus wichtig ist,

muß festgestellt werden, ob ärztliche Behandlung einen spürbaren Einfluß

auf ihr Vorkommen ausübt und ob ein möglicherweise erreichbarer

Therapieerfolg vom sozialen Standpunkt aus von Bedeutung ist.

6) Das Verhüten von Krankheiten oder die Einflußnahme auf den

Krankheitsverlauf durch soziale Maßnahmen erfordert Beachtung der

sozialen und ökonomischen Umweltbedingungen des Patienten.

Grotjahn entdeckte, daß viele Krankheiten von sozialer Bedeutung

chronischer Art waren und daß eine große Zahl davon vermeidbar war oder

wenigstens kontrolliert werden konnte.

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4) Ursprung und Ursachen von Krankheiten werden nicht nur von sozialen

Faktoren bestimmt, sondern diese Krankheiten können ihrerseits auch

Einfluß auf soziale Lebensbedingungen haben, besonders durch ihren

Ausgang.

5) Im Falle einer Krankheit, die vom sozialen Standpunkt aus wichtig ist,

muß festgestellt werden, ob ärztliche Behandlung einen spürbaren Einfluß

auf ihr Vorkommen ausübt und ob ein möglicherweise erreichbarer

Therapieerfolg vom sozialen Standpunkt aus von Bedeutung ist.

6) Das Verhüten von Krankheiten oder die Einflußnahme auf den

Krankheitsverlauf durch soziale Maßnahmen erfordert Beachtung der

sozialen und ökonomischen Umweltbedingungen des Patienten.

Grotjahn entdeckte, daß viele Krankheiten von sozialer Bedeutung

chronischer Art waren und daß eine große Zahl davon vermeidbar war oder

wenigstens kontrolliert werden konnte.

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Epidemiologie:

Aufgabe der empirischen epidemiologischen Forschung ist es, die Eigenschaften des pathischen Prozesses durch geeignete Variablen abzubilden und dann deren Häufigkeit und/oder Ausprägung zu zählen bzw. zu messen. Bei der Interpretation des Modells Ist zu beachten, daß in quantitativen epidemiologischen Untersuchungen jeder dieser Punkte und jedes der Intervalle durch Verteilungen darzustellen ist. Entsprechend den methodischen Bedürfnissen epidemiologischer Forschung lassen sich die Krankheiten nach sechs Merkmalen typisieren. Hieraus oder ggf. aus der Kombination dieser Merkmale ergeben sich epidemiologische Krankheitstypen:

• Ursprungszeitraum: konstant variabel• Verursachung: dispositionell - expositionell• Latenzzeit: kurz - lang• Heilbarkeit: ja - nein• Krankheitsdauer: kurz - lang• Wiederholbarkeit: ja - nein

entnommen aus: "Sozialmedizin systematisch"; Prof. Dr. Jens-Uwe Niehoff; UNI-MED S. 88; Lorch/Würtemberg 1995

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Epidemiologische Arbeit zielt darauf ab, die in aller Regel komplexen

ätiologischen Zusammenhänge von Gesundheitsstörungen in ihren

quantitativen Beziehungen zu klären und richtig zu beschreiben. ...

Erkenntnisse aus epidemiologischer Forschung sind entscheidende

Grundlagen für die Gesundheitsförderung, die Krankheitsprävention, die

Gesundheitspolitik, aber auch für die Beratung und Behandlung

einzelner kranker Menschen.

Einführung in die moderne Epidemiologie" Anders Ahlbohm Staffan Norell

Deutsche Fassung von C. Bode und K. Bergmann S. 5;

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1. Was ist Epidemiologie?

Die Epidemiologie befaßt sich wissenschaftlich mit der Verbreitung

von Krankheiten in der Bevölkerung. ...

(Das Wort Epidemiologie setzt sich aus den griechischen Worten epi=über,

demos=das Volk, und logos=die Lehre zusammen, und beschreibt "die

Lehre von dem, was mit dem Volk geschieht")

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2. Maße der Krankheitshäufigkeit

Absolute Häufigkeiten und Häufigkeiten in Relation zur

Bevölkerungsgröße

Zunächst sollten Maße der Krankheitshäufigkeit grundsätzlich unabhängig

von der Größe der Bevölkerung sein. Dazu wird die Zahl der

Erkrankungsfälle in Relation zur Zahl der Personen einer Bevölkerung

gesetzt.

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Inzidenz und Prävalenz

Maße der Krankheitshäufigkeit können sich sowohl auf die Anzahl der bestehenden Fälle als auch auf die Anzahl der Neuerkrankungsfälle beziehen. das Maß der Prävalenz gibt an, welcher Bevölkerungsanteil an der fraglichen Erkrankung zu einem bestimmten Zeitpunkt leidet. Die Maße der Inzidenz beschreiben dagegen die Häufigkeit des Auftretens neuer Erkrankungsfälle innerhalb eines Zeitraumes...Die Inzidenz gibt die Größe des Zustromes vom Zustand der Nichterkrankung zum Zustand der Erkrankung an.

Die Größe der Krankheitsprävalenz hängt offensichtlich von der Inzidenz ab, da eine größere Anzahl Neuerkrankter die Zahl der bestehenden Fälle in der Tendenz erhöhen wird; aber wird auch von der Krankheitdauer beeinflußt... Die Krankheitdauer selbst hängt von der zur Genesung benötigten Zeit oder von der Überlebenszeit mit der Erkrankung ab.

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Prävalenz

      Anzahl der Personen, die eine Krankheit zu einem bestimmten Zeitpunkt haben

P= ---------------------------------------------------------------------------     Anzahl der Personen in der Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt

Cumulative Inzidenz:

       Anzahl der Personen, die an einer Krankheit innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erkranken   

CI= ---------------------------------------------------------------------------------       Anzahl der Personen in der Bevölkerung zu Beginn des Zeitraumes

Die cumulative Inzidenz gibt daher die Größenordnung der Bevölkerung an, die von einem krankheitsfreien Zustand (im Sinne der betrachteten Erkrankung) zu Beginn des Zeitraumes in einen Krankheitszustand innerhalb des Zeitraumes wechselt. Der Zähler ist also eine Untergruppe des Nenners. Einfach ausgedrückt ist die cumulative Inzidenz der Anteil der gesunden Personen, die die Krankheit innerhalb eines bestimmten Zeitraumes bekommen. Alternativ kann man sie als das durchschnittliche Risiko für Personen innerhalb der Bevölkerung betrachten, an der Krankheit während eines Zeitraumes zu erkranken.

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Inzidenz:

   Anzahl der Erkrankungsfälle, welche in einem Zeitraum in einer Bevölkerung

auftretenI= ------------------------------------------------------------------------------------    Summe der Zeiträume, in denen jeder einzelne in der Bevölkerung an der

Krankheit erkranken konnte

Das Grundprinzip besteht darin, daß die Gesamtzahl aller Personen, die

irgendwann vom "krankheitfreien" in den "erkrankten" Zustand wechseln,

das Produkt dreier Faktoren ist: der Bevölkerungsgröße, der Länge des

Zeitraumes und der "Morbiditätskraft", die auf die Bevölkerung

einwirkt...Man erhält sie, indem man die Anzahl der Erkrankungsfälle durch

das Produkt der Bevölkerungsgröße und die Dauer des Zeitraumes teilt,

gleichbedeutend als würde man die einzelnen Zeiträume eines jeden

einzelnen in der Bevölkerung addieren. Indem man die Anzahl der

Erkrankungsfälle durch die "Risikozeit" teilt, wird die Dauer des

Beobachtungszeitraumes berücksichtigt.

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Rohe und Spezifische Maße

Die oben beschriebenen Maße der Krankheitsverbreitung lassen sich für die

gesamte Bevölkerung oder getrennt für einzelne Teile der Bevölkerung

berechnen. Im ersten Fall spricht man von "rohen Maßen", im zweiten von

"spezifischen Maßen"

"Einführung in die moderne Epidemiologie" Anders Ahlbohm Staffan Norell

Deutsche Fassung von C. Bode und K. Bergmann "2. Maße der

Krankheitshäufigkeit" S.13-16; MMV Medizin Verlag München 1991

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3. Krankheiten und Diagnose

Bevor man etwas über die Häufigkeit einer Krankheit aussagen kann, muß

entschieden werden, welche der beobachteten Personen an dieser erkrankt

sind und welche nicht. Diese Klassifikation erreicht man, indem

man jeden einzelnen unter Verwendung von Beschwerden, Befunden und

Tests untersucht und die gemachten Beobachtungen mit diagnostischen

Kriterien vergleicht. Dieses Klassifikationssystem läßt sich auf

die verschiedenen Krankheiten anwenden.

Grundsätzlich können die der Diagnose zugrunde liegenden Variablen von

subjektiven Beobachtungen des Patienten (Beschwerden), subjektiven

Beobachtungen des Untersuchers (Befund) oder von objektiven

Beobachtungen (Tests) bestimmt sein.

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Diagnostische Kriterien

Werden strenge Kriterien verwendet, so besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, daß Personen, die nicht an der Krankheit erkrankt sind, als erkrankt eingestuft werden, jedoch ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, daß einige der an der Krankheit erkrankten als nicht an ihr erkrankt klassifiziert werden.

1. Beschwerden, Befunde, Tests:

Die Ergebnisse werden zum einen durch die subjektive Beurteilung der Patienten (Beschwerden) und des Untersuchers (Befunde) beeinflußt, zum anderen durch die Genauigkeit der Untersuchungsmethode. Die Reproduzierbarkeit läßt sich häufig durch standardisierte Untersuchungsmethoden und Klassifikationsschemata verbessern.

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2. Diagnostische Kriterien

Die Auswahl der diagnostische Kriterien beeinflußt die Wahrscheinlichkeit,

daß nichterkrankte Personen als krank klassifiziert werden und umgekehrt.

Für eine Vielzahl von Erkrankungen existieren noch keine wohldefinierten

diagnostischen Kriterien.

3. Klassifikation von Erkrankungen:

Für unklare und nicht genauer spezifizierte Fälle bietet das

Klassifikationssystem mehrere ähnliche Diagnosen und Überschriften an. In

manchen Fällen wird es unvermeidbare Probleme bereiten, aus den vielen

Klassifikationsmöglichkeiten eine auszuwählen.

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Eine fehlende Übereinstimmung zwischen der Häufigkeit von Diagnosen

und Erkrankung stellt daher stets eine potentielle Fehlerquelle

epidemiologischer Untersuchungen dar.

"Einführung in die moderne Epidemiologie" Anders Ahlbohm Staffan Norell

Deutsche Fassung von C. Bode und K. Bergmann "3. Krankheit und

Diagnose" S.21-29; MMV Medizin Verlag München 1991

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4. Sensivität und Spezifität

Mit "Sensivität" bezeichnet man die Wahrscheinlichkeit, daß eine erkrankte Person

als erkrankt klassifiziert wird, mit "Spezifität" die Wahrscheinlichkeit, daß eine

gesunde Person als gesunde Person definiert wird.

            Anzahl der Erkrankten, die als erkrankt klassifiziert werdenSensivität = ------------------------------------------------------------                   Gesamtzahl der Erkrankten

                   Anzahl der Gesunden, die als gesund klassifiziert werdenSpezifität = --------------------------------------------------------                   Gesamtzahl der Gesunden

Wenn die Anforderungen an eine Person, als erkrankt bezeichnet zu werden,

strenger definiert werden, das heißt, k wird nach rechts verschoben, dann wird die

Sensivität abnehmen und die Spezifität ansteigen.

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Screeninguntersuchungen

Bei der Beurteilung der Effektivität eines Screeningtests muß diese Art der

Fehlklassifikation bedacht werden; des weiteren hängt die Effektivität einer

solchen Untersuchung von den Kosten und der Belastbarkeit von

Patienten und Gesellschaft, der Art der weiteren Untersuchungen und

Therapien sowie von den Vorteilen, die sich für die wirklich Erkrankten durch

einen frühzeitigen Therapiebeginn ergeben, ab.

„Einführung in die moderne Epidemiologie" Anders Ahlbohm Staffan Norell

Deutsche Fassung von C. Bode und K. Bergmann "Sensivität und Spezifität" S.31-35; MMV

Medizin Verlag München 1991

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5. Vergleichende Maße von Krankheitshäufigkeiten

In epidemiologischen Untersuchungen wird üblicherweise die

Krankheitshäufigkeit von Personen, die ein bestimmtes Merkmal aufweisen,

mit der entsprechenden Krankheitshäufigkeit solcher Personen verglichen,

bei denen dieses Merkmal nicht vorhanden ist.

Die so verglichenen Gruppen bezeichnet man in der Regel als "exponiert"

und "nicht exponiert", ganz gleich ob sich diese Exposition beispielsweise

auf den sozioökonomischen Status, Cholesterinwerte oder die erbliche

Vorbelastung bezieht. Ein derartiger Vergleich ist die Grundlage für alle

Analysen von Zusammenhängen zwischen Exposition und

Krankheitshäufigkeit.

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Absolute und relative Vergleiche

Der Vergleich kann entweder absoluter oder relativer Art sein. Absoluten

Vergleichen liegt die Differenz  unterschiedlicher Krankheitshäufigkeiten

zwischen einer exponierten und einer nicht exponierten Gruppe zugrunde.

Relative Vergleiche beruhen im Gegensatz dazu auf dem Verhältnis (ratio)

zwischen der Krankheithäufigkeit der exponierten und der nicht exponierten

Gruppe.

Eine Möglichkeit, die Validität dieses Vergleiches zu erhöhen, besteht darin,

eine sogenannte "Standardisierung" durchzuführen. Dafür muß man sich

klar machen, daß eine rohe Rate ein gewichteter Mittelwert schichten- oder

stratumspezifischer Raten ist, wobei die Gewichtung proportional zu der

Anzahl der Personen oder Personenjahre in jeder Schicht ist.

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Um die Altersverteilung zu standardisieren, werden die rohen Raten so

neuberechnet, als wäre die Altersverteilung der beiden Gruppen

identisch mit der einer Normalbevölkerung.

Prinzipiell sollte die Standardbevölkerung die Verteilung der Bevölkerung

reflektieren, für die die Bedeutung von Einflußgrößen abzuschätzen ist; bei

der Umsetzung dieses Prinzips ergeben sich jedoch oft Unsicherheiten.

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Vergleiche auf der Basis verschiedener Maße der

Krankheitshäufigkeit

Oft ist es vorteilhaft, die Inzidenzrate als Maß der Krankheithäufigkeit

anzuwenden. Daher ist das Verhältnis der Inzidenzraten (oder deren

Differenz, die rate difference) häufig als Maß der Wahl beim Vergleich

von Krankheitshäufigkeiten.

Verlängert man die Risikozeiträume, dann nähert sich das Verhältnis zweier

cumulativer Inzidenzen einander an, während das Verhältnis zweier

Inzidenzraten von der Verlängerung des Beobachtungszeitraums nicht beeinflußt wird.

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Risikofaktoren und Ursachen von Krankheiten

Ursachen von Erkrankungen

Manchen Ereignisse oder Erscheinungen treten so zuverlässig als

regelmäßige Folge auf, daß man von Ursache und Wirkung sprechen kann.

Das Konzept der Verursachung wurde in der Philosophie, speziell in

der Wissenschaftstheorie (Taylor 1967), grundlegend diskutiert. Innerhalb

der Epidemiologie untersucht man Ursachen von Erkrankungen mit dem

Ziel, diese zu erklären oder eventuell das Auftreten dieser

Erkrankungen zu vermeiden. Daher geht man von einer kausalen

Verbindung dann aus, wenn die Krankheitshäufigkeit beim Fehlen eines

spezifischen Merkmals von Personen oder ihrer Umgebung niedriger

wäre als bei dessen Vorliegen.

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Prof. Dr. Sigrid Michel „Sozialmedizinische Grundlagen Sozialer Arbeit“

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… eine Krankheit mehrere hinreichende Ursachen haben kann, welche

darüber hinaus eine oder mehrere beitragende Ursachen gemeinsam

aufweisen können.

Für jede einzelne Krankheitsursache läßt sich eine entsprechende

attributable Proportion berechnen. Dieses Maß gibt  den Anteil aller

Krankheitsfälle an, die dieser Ursache zuzuordnen sind, oder anders

gesagt, den Anteil aller Krankheitsfälle an, die nicht aufgetreten wären, hätte

man die Urasche eliminiert.

"Einführung in die moderne Epidemiologie" Anders Ahlbohm Staffan Norell

Deutsche Fassung von C. Bode und K. Bergmann "5. Vergleichende Maße von

Krankheitshäufigkeit" S.37-45; MMV Medizin Verlag München 1991

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6. Demographie

Die Demographie heißt übersetzt Bevölkerungslehre.

Beispiele:

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Regionale Verteilung

Die regionale Verteilung ist deutlich dargestellt in den beiden

Graphen:

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Sozialepidemiologie

Sozialepidemiologie: Fragestellungen, Methoden und ErgebnisseFragestellungen und Methoden von Bernhard Badura

Die Sozialepidemiologie verbindet Fragestellungen und Methoden der Sozialwissenschaften mit denen der herkömmlichen medizinischen Epidemiologie. Ähnlich wie dieser geht es ihr letztlich um die Klärung gesundheits- bzw. krankheitsrelevanter Kausalzusammenhänge.

Während die traditionelle Epidemiologie hierbei Fragestellungen nachgeht, die sich aus dem biomedizinischen Modell herleiten lassen, geht es der Sozialepidemiologie um die Aufklärung der seit Jahrhunderten beobachteten offenkundigen Zusammenhänge zwischen Gesellschaft und Gesundheit.

aus "Gesundheitswissenschaft Psychologie"

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Biologische Konzepte:

Der Lebensprozess ist irreversibel, endlich und existenziell auf einen beständigen Austausch mit der umgebenden Welt angewiesen. Deshalb heißt Leben immer auch Krankheit, Altern und Tod. Leben erfordert unumgänglich die – potentiell auch gefährdende – Auseinandersetzung mit der Umwelt.

Im Zusammenhang naturwissenschaftlicher und biomedizinischer Auseinandersetzung mit Krankheit interessieren pathogenetische Grundmechanismen, wie z.B.:

• Phylogenetische und ontogenetische Adaptionsmängel• Störungen der Differenzierung, der Reifung und des Wachstums• Spezifische Reaktionsmechanismen des Körpers auf äußere Reize und • Einwirkungen• Funktionsmängel/ Strukturstörungen• Regulationsmängel• Störungen der Informationsleitung• Genetische Determinationen

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Sozialwissenschaftliche Konzepte

Makrokonzepte:

Menschen sind sozial verschieden. Das trifft auch auf die Möglichkeiten zu,

sich mit Gefährdungen auseinanderzusetzen.

Mit dem Wandel der sozialen Strukturen und der Lebensbedingungen

wandeln sich auch die Häufigkeit des Krankwerdens und das Spektrum der

vorkommenden Krankheiten in einer Bevölkerung (Morbidität).

Die Morbidität wird so zu einem Indikator sozialer Zustände wie des sozialen

Wandels.

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Prof. Dr. Sigrid Michel „Sozialmedizinische Grundlagen Sozialer Arbeit“

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Risikofaktoren sind Merkmale, die eine Bevölkerung hinsichtlich der

Verschiedenheit von Erkrankungen oder Sterbefällen in einem bestimmten

Zeitraum differenzieren. Diese Merkmale können potentiell ursächlich oder

nur Indikatoren für das Vorliegen besonderer Risiken sein. Auch hier gilt,

dass die Bezeichnung eines Sachverhalts als Risikofaktor nur in Bezug auf

eine definierte Wirkung sinnvoll ist.

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