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Facharbeit zur Kursserie Manuelle Therapie Examen November 2007 Inkontinenz nach Radikaler Prostatektomie von Sabine Schlüter Ganeo Akademie für ganzheitliche Neuro - Orthopädie Leiter: Wilko Huismann Inhaltsverzeichnis

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Facharbeit zur Kursserie Manuelle Therapie Examen November 2007

Inkontinenz nach Radikaler Prostatektomie von Sabine Schlüter Ganeo Akademie für ganzheitliche Neuro - Orthopädie Leiter: Wilko Huismann Inhaltsverzeichnis

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1. Zusammenfassung 2. Einleitung 3. Hauptteil 3.1. Anatomie der Prostata 3.1.1 Topographische Anatomie der Prostata 3.1.2. Männliche Harnröhre 3.2. Physiologie der Kontinenz beim Mann 3.2.1 Anatomie des M. sphinkter urethrae externus 3.2.2 Miktionsreflex 3.3 Hintergrundwissen Prostatakarzinom - Operationsverfahren - 3.4 Post- Prostatektomie- Inkontinenz - Pathophysiologie - 3.5 Diagnostik der Harninkontinenz 3.6.1 Vorlagen - Test (PAD - Test) 3.6.2 Klassifikation der Inkontinenz 3.6 Konservative Therapie 3.7.1 Inkontinenztraining 3.7.2 Biofeedback 3.7.3 Elektostimulation 3.7 Effektivität der Physiotherapie 4. Schlussfolgerung Literatur - / Bildquellenverzeichnis 1. Zusammenfassung

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Eine Folge der radikalen Prostatektomie ist trotz verbesserter Operationstechniken die

Harninkontinenz. Die Ursachen liegen in einer Dysfunktion des

Harnröhrenschließmuskels, der Blase oder des Nervensystems, da die Operation in das

Koninenzsytems des Mannes eingreift.

Anatomische, physiologische und pathophysiologische Kenntnisse des männlichen

Harnkontinenzmechanismus sind Voraussetzung, um die Zusammenhänge, die zur

Inkontinenz führen, zu verstehen. Die postoperative Inkontinenz kann durch eine auf den

verbliebenen Harnröhrenschließmuskel gerichtete Physiotherapie behandelt werden. Das

Kontinenztraining darf nicht auf Beckenbodenübungen reduziert sein.

Der Patient muss die Kontinenz wieder erlernen und gewinnt ein Stück Lebensqualität

zurück.

2. Einleitung Das Prostatakarzinom ist die häufigste Krebserkankung der männlichen Bevölkerung. Ab

dem 50. Lebensjahr treten bei fast jedem zweiten Mann Veränderungen der Prostata auf.

Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts in Berlin erkrankten im Jahr 2002 in

Deutschland 48 650 Männer neu an Prostatakarzinom, 1998 waren es 31 600

Neuerkrankungen. Die Häufigkeit von Prostatakrebs nimmt zu, was einerseits auf das

zunehmende Alter der Männer, andererseits auf die verbesserten Methoden zur

Früherkennung zurückzuführen ist. (vgl. Prof. Dr. Kurt Miller (2006), S. 1).

Die radikale Prostatektomie bzw. radikale Prostatavesikulektomie, wird nach wie vor als

Goldstandard zur Behandlung des lokal begrenzten Prostatakarzinoms beschrieben.

(vgl. Gasser, Thomas C.; Sulser, Tullio; Fichtner, Jan; Stief, Christian; Thüroff, Joachim W. (2004),

S. A- 2055).

60 % bis 90 % der Patienten sind nach der Operation zunächst inkontinent. Die

Inkontinenz hält zwischen einigen Wochen bis zu einem Jahr an. Zu einer bleibenden

Harninkontinenz kommt es bei 5 bis 10% der operierten Patienten.

(vgl. Wolfgang Ide / Winfried Vahlensieck (2003), S. 29).

Die konservative Therapie der Post- Prostatektomie-Inkontinenz ist in der Physiotherapie

ein Randgebiet.

Man findet nur wenig Literatur über die Behandllung und auch in der Ausbildung der

Physiotherapie wird meist nicht auf die Ursache und Behandlung der postoperativen

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männlichen Harninkontinenz eingegangen.

In der konservativen Therapie der Harninkontinenz sind hauptsächlich die klassischen

Beckenbodenübungen aus der postpartalen Rückbildungsgymnastik bekannt, die einst

vom amerikanischen Gynäkologen Kegel zur Behandlung der Beckenbodeninsuffizienz

bzw. Stressinkontinenz der Frau konzipiert wurden.

Daher stellt sich die Frage, ob die klassische Beckenbodengymnastik auch zur

Behandlung der postoperativen männlichen Harninkontinenz übernommen werden kann?

Welche Ursachen liegen der postoperativen männlichen

Inkontinenz zu Grunde?

Im Folgenden möchte ich die Ursachen, die Behandlung und den Stellenwert der

Physiotherapie erläutern.

3. Hauptteil

3.1 Anatomie der Prostata

Die Prostata hat ungefähr die Form einer Eßkastanie. Sie wiegt 20-25 g, ist 3,2-4,2 cm

lang, 3,5-5 cm breit und 1,7-2,3 cm dick. Man unterscheidet eine Basis prostatae, die der

Harnblase zugewandt ist und den Abgang der Urethrae umgreift und eine Apex prostatae,

die dem Diaphragma urogenitale zugewandt ist.

Sie besteht aus 30-50 Einzeldrüsen, die durch Bindegewebe und glatte Muskulatur

verbunden sind und über Ausführungsgänge, Ductuli prostatici, in die Urethra münden. Die

Prostata wird von einer festen bindegewebigen Organkapsel, Capsula prostatica,

umgeben.

In der Prostatakapsel ist das neurovaskuläre Bündel eingebettet, das Gefäße und Nerven

für die Prostata selbst und für die Erektion enthält.

(vgl. T. Liem, T.k. Dobler, M. Puylert (2005), S. 511).

3.1.1 Topographische Lage der Prostata

Die Prostata liegt im extraperitonealen Raum zwischen Diaphragma urogenitale und

Harnblase und umgibt die Urethra. Die Prostata ist stabil durch folgende Ligamente im

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Beckenbindegewebe fixiert.

1. Lig. puboprostaticum

(von Prostata zur

Symphyse).

2. Lig.rectoprostaticum:

Von Prostata zum

Rectum und durch die

Laminasacro-recto-

genito-vesico-pubica,

Bindegewebszüge des

Subperitonealraumes,

die Os pubis und Os

sacrum und alle Organe

verankern, die

dazwischen liegen.

(vgl. T. Liem, T.K. Dobler, M. Puylaert (2005), S. 511).

Abb. 1: Rechte Hälfte des median durchtrennten Beckens eines erwachsenen Mannes.

3.1.2 Männliche Harnröhre

Die männliche Harnröhre

(Urethra masculina) ist ca. 25

cm lang und größtenteils

Harn- und Samenröhre

zugleich. Man unterscheidet

drei verschiedene Teile:

Die Pars prostatica, etwa

3,5 cm lang, zwischen

dem M. sphinkter urethrae

internus und M. sphinkter

externus. Hier befindet

sich der Samenhügel

(Colliculus seminalis)

mit den

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Ausführungsgängen der Samenblasen und prostatischen Drüsen.

Die Pars membranacea , die durch das Diaphragma urogenitale verläuft und in deren

Bereich der willkürlich innervierte M. sphinkter urethrae externus liegt.

Die Pars Cavernosa oder Spongiosa, die S-förmig bis zur Eichel verläuft.

(vgl. Jürgen Sökeland (2000), S. 14).

3.2 Physiologie der Kontinenz beim Mann

Die männliche Kontinenz wird physiologisch durch eine ausreichende Blasendehnbarkeit

und Detrusorstabilität während der Speicherphase bei gleichzeitig normotonem und

normoreaktivem Verschlussapparat (Blasenhals, Prostata, Sphinkter externus)

gewährleistet. (vgl. C. Hampel, Mainz (2004), S. 1).

Eine Blasenfüllung von 300 - 400 ml führt zu sensiblen Dehnimpulsen in der Blasenwand,

die den Drang bewusst werden lassen. Der urethrale Druck steigt durch die Kontraktion

der intrinsischen und extrinsischen Sphinkter und der Musculus detrusor wird durch das

sakrale Miktionszentrum gehemmt. Der Miktionsdrang kann mehrmals bis zum Wunsch

der Entleerung unterdrückt werden. (vgl. Vesprille - Fischer (1997), S. 46).

Der Blasenverschlussapparat, der vom M. sphincter vesicae internus gebildet und

vegetativ innerviert wird, umgreift den Blasenauslass elliptisch und verschließt als einzige

Struktur die innere Harnröhrenmündung (Ostium urethrae internum). Er trägt nur sekundär

zur Kontinenz bei. Seine

Hauptfunktion liegt darin eine

retrograde Ejakulation in die

Blase zu verhindern. Im Rahmen

einer transurethralen

Aushobelung der Prostata ist

bestätigt wurden, dass die

Resektion des M. sphinkter

vesicae verantwortlich für eine

retrograde Ejakulation aber

nicht für eine Harninkontinenz

ist.

Abb. 2: Paramedianer Sagittalschnitt,

Beckenorgane des Mannes.

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Somit ist der M. sphinkter urethrae externus, der die Harnröhre (pars membranacea)

hufeisenförmig distal der Prostata umgreift, durchaus in der Lage nach Resektion des

internen Sphinkters eine Kontinenz zu gewährleisten.

Die Prostata ist ebenso in der Lage, durch ihre statische, drüsige und dynamische

glattmuskuläre Kompressionswirkung auf die Urethra eine Kontinenz aufrechtzuerhalten.

(vgl. C. Hampel, Mainz (2004), S. 1).

Desweiteren inserieren Fasern des M. levator ani in der Prostatakapsel, so dass auch

dieser Muskel in der Lage ist die Prostata und membranöse Harnröhre zu elevieren und zu

komprimieren.

Daher spricht man auch von einem integriertem Kontinenzpaket im Bereich der

membranösen Harnröhre. Dieses Kontinenzpaket wird gebildet aus der Mukosa,

fibroelastischen Elementen vermischt mit longitudinaler glatter Muskulatur,

quergestreiftem Sphinkter externus und der Muskulatur des Levator ani und ist eingerahmt

von einem Fasziensystem aus puboprostatischen / pubovesikalen Ligamenten,

Ligamentum arcuatum, Levatorfaszie mit prostatoischialen Ligamenten und Bindegewebe.

(vgl. O. Dombo, U. Otto (2004), S. 7- 8).

Ein intakter 3 Komponenten- Mechanismus des Harnröhrenverschlusses, der aus

Harnröhrenverschlussdruck, passiver Drucktransmission und aktiver Drucktransmission

besteht, ist ebenfalls von ausschlaggebender Bedeutung für die Kontinenz des Mannes.

(vgl. H. Heidler (2004),S. 17).

Untersuchungen mit Urethradruckprofilen von Jonas und Hohenfeller (1978) haben

ergeben, dass unter Ruhebedingungen der Verschlussdruck des M. sphinkter vesicae

internus ausreicht, jedoch unter Belastungsbedingungen der Einsatz vom M. sphinkter

urethrae externus erforderlich ist. Dieser 2- Komponenten- Verschluss wurde im

Tierversuch von Thüroff et. al. 1982 bestätigt. (vgl. O. Dombo, U. Otto (2004), S. 7- 8).

3.2.1 Anatomie des M. sphinkter urethrae externus

Der M. sphinkter urethrae externus ist von großer Bedeutung im

Harnblasenschließmuskelsystem des Mannes, da der interne Sphinkter nur sekundär zur

Kontinenz beiträgt. Der M. sphinkter urethrae externus muss nach der radikalen

Prostatektomie die Kontinenz alleine gewährleisten.

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Abb. 3: Diaphragma urogenitale beim Mann. Frontalschnitt durch das Becken.

Anatomische Studien von Dorschner et al. (1994), die bei 65 Verstorbenen durchgeführt

wurden und auf 30 000 histologischen Schnitten basieren, zeigen beim Mann einen von

der umgebenden Beckenbodenmuskulatur unabhängig existierenden M. sphinkter

urethrae externus. Eine Struktur, die dem M. transversus perinei profundus entspricht,

konnte nicht gefunden werden.

Der externe Schließmuskel besteht aus einem inneren, glattmuskulären , zirkulären

Anteil, der ein Teil der membranösen Harnröhre und für den unbewussten

Dauerverschluss verantwortlich ist, und einem äußeren quergestreiften Anteil, der bewusst

eingesetzt werden kann. (vgl. Wolfgang Ide / Winfried Vahlensieck (2003), S. 15-18).

Der glattmuskuläre Anteil wird von Dorschner als M. sphinkter urethrae glaber, der

quergestreifte Aneil als M. sphinkter urethrae transversotriatus bezeichnet.

Der externe Sphinkterapparat wird somit von autonomen und somatischen Fasern des

Nervensystems innerviert.

Histochemische Untersuchungen ergaben, dass der quergestreifte Sphinkter sich aus drei

Fasertypen zusammensetzt:

1. 35 % aus slow-twitch-Fasern, die sich langsam, mit wenig Kraft, und ermüdungsfrei

kontrahieren. Der Fasertyp, der nach distal hin abnimmt, soll für die Kontinenz unter

Ruhebedindungen verantwortlich sein.

2. 52 % aus fast-twitch- Fasern, die sehr schnell große Kraft entwickeln können und unter

Stressbedingungen wie Husten oder Niesen rekrutiert werden.

3. 13 % Fasern vom Intermediär -Typ, die als ermüdungsresistent angesehen werden.

(vgl. O. Dombo, U. Otto (2004), S. 8).

Auf Grund der Muskelzusammensetzung kann man annehmen, dass der externe

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quergestreifte Anteil des Schließmuskels durchaus in der Lage ist, in Ruhe und bei

plötzlichem intraabdominalen Druckanstieg die Kontinenz zu gewährleisten.

3.2.2 Miktionsreflex

Die Koordination von Blasen- und Schließmuskelfunktion wird durch ein aufwendiges

System von somatischen und vegetativen Nervenbahnen gesteuert, dessen

Reflexzentrum im Hirnstamm (pontines Miktionszentrum) liegt, welches wiederum von der

Großhirnrinde beeinflusst werden kann.

Als Kind lernt man den

Miktionsreflex zu kontrollieren,

eine drohende Blasenentleerung bei

voller Blase zu verhindern

und trotz nicht gefüllter Blase eine Miktion frühzeitig auszulösen: man wird kontinent.

Die Basis des neurologischen Zusammenspiels von Gehirn, Rückenmark und peripheren

Fasern bilden die vier Funktionskreise von Bradley

Abb. 4: Einfluss des autonomen Nervensystems auf die und Scott (1974):

Blasenfunktion. (vgl. Hansjörg Melchior (2003),

S. 17-18).

Funktionskreis 1 verbindet das Frontalhirn mit den Strukturen des Reflexzentrums für die

Blasenfunktion im Hirnstamm; die Unversehrtheit dieses Funktionskreises ist die

Voraussetzung für die willkürliche Kontrolle des Miktionsreflexes: Mit der Maturation des

Gehirns im Kleinkindalter wird die Kontrolle des Miktionreflexes erlernt, mit den

Degenerationsprozessen im Alter

geht diese Fähigkeit wieder

verloren.

Funktionskreis 2 besteht aus den

sensiblen Nervenbahnen, welche

die Rezeptoren in der Blasenwand

mit dem Miktionszentrum im

Hirnstamm verbinden und von dort

über die motorischen Bahnen im

Tractus reticulospinalis dem

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sekundären Miktionszentrum im Sakralmark (S2-S4) zugeleitet werden.

Aufgabe dieses Funktionskreises ist es, den Miktionsreflex zu koordinieren.

Funktionskreis 3 dient der Koordination von Detrusor- und Spinktermuskulatur, von

Austreibungs- und Verschlussmechanismus. Die afferenten sensorischen Nerven der

intramuralen Dehnungsrezeptoren des Blasenmuskels werden mit den motorischen

Neuronen des Plexus pelvicus im Sakralmark verbunden.

Die Entspannung des Schließmuskels bei der Miktion bei gleichzeitiger Kontraktion des

Detrusors und die Anspannung des Schließmuskels in der Blasenfüllungsphase wird

gewährleistet.

Funktionskreis 4 ist für die supraspinale und die segmentale Innervation der

quergestreiften Spinktermuskulatur verantwortlich. Er enthält die sensiblen Nervenbahnen

in den Hintersträngen der Muskelspindeln und Sehnen zum Thalamus, die

Pyramidenzellen in der Area pudendalis und deszendierend den Tractus reticulospinalis

zum Sakralmark, von dort die somatischen Fasern des Plexus pelvicus und des

Nervus pudendus. Die willkürliche Anspannung des M. sphinkter urethrae externus wird

gesteuert. (vgl.. Hansjörg Melchior (2003), S. 17- 20).

Nach der Blasenentleerung kontrahieren sich die externen urethralen Muskeln und die

Muskeln des Beckenbodens, einschließlich des M. bulbocavernosus, während sich der

M. detrusor entspannt, so dass sich die Blase wieder füllen kann.

(vgl. Beate Carriere (2003), S. 40).

3.3. Hintergrundwissen Prostatakarzinom

- Operationsverfahren -

Die radikale Prostatektomie kann auf drei Arten durchgeführt werden:

1. Radikale retropubische Prostatektomie (RRP), durch Bauchschnitt.

2. Radikale perineale Prostatektomie (RPP), durch Schnitt am Damm, zwischen After und

Hodensack.

3. Radikale endoskopische Prostatektomie (REP).

(vgl. Gasser, Thomas C.; Sulser, Tullio; Fichtner Jan; Stief, Christian; Thüroff, Joachim W.

(2004), S. A- 2055).

Bei der radikalen Prostatektomie oder auch Prostatavesikulektomie genannt, wird die

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gesamte Prostata mit Samenbläschen sowie Samenleitern, der Urethrae pars prostatica,

ein Teil des Blasenhalses mit dem M. sphinkter vesicae internus sowie die regionalen

Lymphknoten entfernt. Anschließend wird die Harnblase zum äußeren Schließmuskel

heruntergezogen und über einen einliegenden Dauerkatheter mit Nähten an den

Harnröhrenstumpf adaptiert.

Falls tumorchirugisch sinnvoll und möglich, kann bei

allen drei Methoden das neurovaskuläre Bündel für

die Verbesserung der Erektionsfähigkeit und

Kontinenz geschont werden. (vgl. Gasser, Thomas C.;

Sulser, Tullio; Fichtner, Jan; Stief, Christian; Thüroff,

Joachim W. (2004), S. A- 2055).

Der Erhalt des Blasenhalses, Schonung der

puboprostatischen Bänder und der

Gefäßnervenbündel sowie das Belassen der

Samenblasenspitzen scheinen einen positiven Effekt

auf die postoperative Kontinenzleistung zu haben.

3.4 Post- Prostatektomie- Inkontinenz

- Pathophysiologie -

Die nach der radikalen Prostatektomie auftretende Harninkontinenz ist zu 34 % durch eine

Sphinkterschwäche, in 30 % durch eine Detrusorüberaktivität und in 36 % durch eine

gemischte Belastungs- und Dranginkontinenz zurückzuführen. (vgl. H. Heidler (2004), S.

17).

Myogene Sphinkterschädigung, eine nicht ausreichende Länge der funktionellen Urethra

und eine gestörte Blasenfunktion verursachen die nach der Operation auftretende

Harninkontinenz.

Folgende pathophysiologische Ursachen führen zu der iatrogen bedingten

Harninkontinenz:

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1. Anatomie nach der radikalen Prostatektomie

Die Anatomie des unteren Harntraktes hat sich nach der Operation verändert.

Blasenhals und vesikourethrale Anastomose nehmen den Platz der Prostata ein und

werden von den distalsten Fasern des M.levator ani umgeben, die vorher in die

Prostatakapsel inserierten. Die funktionelle Urethralänge, die normalerweise 2,5 bis 3 cm

beträgt, ist nach der Operation auf 1,5 cm verkürzt. Blasenhals und

Anastomose sind vorübergehend ödematös und unelastisch.

Nahtmaterial und Anastomosentechnik beeinflussen ebenfalls die funktionelle

Urethralänge und die Gewebeelastizität. (vgl. Dombo O., Otto U., S. 10).

Die Folge daraus ist ein Defekt im 3- Komponenten- Harnröhrenverschlussdruck. Die

passive Drucktransmission ist vermindert auf Grund der verkürzten funktionellen

Harnröhrenlänge. Das Vorliegen einer geschlossenen suprasphinktären Harnröhre von 2

cm ist Voraussetzung für die Kontinenz.

Die aktive Drucktransmission ist vermindert in Folge einer verminderten reflektorischen

Kontraktionsleistung der Sphinkter- und Beckenbodenmuskulatur. (vgl. Heidler H., (2004), S.

18).

Außerdem fehlt durch die Resektion des internen Sphinkters ein Baustein im

Kontinenzsytem . Die Kontinenz wird nur noch durch den M. sphinkter externus

gewährleistet.

Unterbrechung der Nn. pelvici führen ebenfalls zumindest vorübergehend zu Störungen

der Speicher- und Entleerungsreflexe der Harnblase.

2. Detrusorüberaktivität

Fall und Lindström weisen darauf hin, dass die Spannungsrezeptoren der Blasenwand

eine sehr dynamische Sensitivität haben, die man sich nicht statisch - konstant vorstellen

sollte. So ist es denkbar, dass bei anhaltend niedrigem Volumen Anpassungsvorgänge

stattfinden, die zu früheren Detrusorkontraktionen bei bereits geringerern Druckreizen

führen. Dabei reagiert der Blasenwandrezeptor nicht nur auf intrinsische Füllungsreize,

sondern auch auf externen Druck, z.B. durch Husten . Mit der Besserung der

Sphinkterfunktion tritt dann auch oft eine Normalisierung der Blasenfunktion ein.

Foote et al. veröffentlichen 1991 Daten über eine prospektive urodynamische

Untersuchung von 26 Männern nach radikaler retropubischer Prostatektomie. Nach einem

Follow-up von 12 Monaten fanden sich noch 15 inkontinente Patienten, davon wiesen 10

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eine persistierende Blasendysfunktion auf, die nach der Operation entstanden war. Die

Autoren folgern daraus eine mögliche Denervierung des Blasenhalses oder

Veränderungen der Blasenreaktion auf Füllungsreize als Reaktion auf die veränderte

subvesikale Anatomie.

Chao und Mayo untersuchten ebenfalls speziell die Frage an 74 konsekutiven Patienten,

ob nun Sphinkter oder Detrusor für die Inkontinenz verantwortlich seien. Sie fanden eine

alleinige Detrusorinstabilität bei 4 %, bei 39 % eine Stressinkontinenz mit

Blasenfunktionsstörung und bei 57 % eine reine Stressinkontinenz. Das mittlere Follow-up

betrug 3,8 Jahre, so dass die Autoren zu dem Schluss kommen, dass die

Detrusorüberaktivität ein temporäres Problem sei.

(vgl. Dombo O. Otto U. (2004), S. 10-11).

Außerdem kann nach radikaler Prostatektomie im Anastomosenbereich eine Obstruktion

entstehen, die eine weitere Ursache einer postoperativen Dranginkontinenz darstellt.

3. Sphinkterläsion

Harrison und Abrams sind auf Grund ihrer Urodynamik - Studien zu dem Ergebnis

gekommen, dass die Patienten nach einer radikalen Prostatektomie mit Inkontinenz als

sphinktergeschädigt und damit stressinkontinent betrachtet werden müssen, da auf

Grund der engen Nachbarschaft von Apex prostatae und distalem Sphinkter eine

Schädigung unvermeidlich ist. (vgl. Dombo O.,Otto U. (2004), S. 10).

Die Traumatisierung des M. sphinkter externus und des umliegenden Gewebes kann

ebenso als ein Schutzmechanismus der Körpers interpretiert werden, da durch das

Trauma eine nozizeptive Affernzquelle besteht. Im Sinne dieses Schutzmechanismus

reagiert die Schließ- und Beckenbodenmuskulatur mit hyper- bzw. hypotoner

Tonusänderung. (vgl. Beate Carriere (2003), S. 84).

3.5 Diagnostik der Harninkontinenz

Die Aufgabe der ärztlichen Diagnostik ist es herauszufinden, ob der Detrusor überaktiv ist

oder ob eine Obstruktion (Abflusshindernis) besteht. Desweiteren sollte die Sphinkter-

externus-Funktion überprüft werden.

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Die eindeutige Diagnose über den Nachweis einer Belastungsinkontinenz, bzw. das

Vorliegen einer gemischten Belastungs- und Dranginkontinenz erfolgt über urodynamische

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3.5.2 Klassifikation (Einteilung ) der Inkontinenz

Nach dem Urinverlust im PAD - Test lassen sich vier Schweregrade der Inkontinenz nach

den ICS- Kriterien einteilen:

⇒ Grad I = bis 2 g Harnverlust

⇒ Grad II = 2 bis 10 g Harnverlust

⇒ Grad III = 10 bis 50 g Harnverlust

⇒ Grad IV = über 50 g Harnverlust

Der klinische Schweregrad der Stressinkontinenz wird nach Ingelmann/Sundberg (1952) in

drei Kategorien eingeteilt:

⇒ Grad I = Harnverlust beim Husten, Niesen, Pressen und schwerem Heben

⇒ Grad II = Harnverlust beim Gehen, Bewegen, Aufstehen

⇒ Grad III = Harnverlust im Liegen

⇒ Grad IV = Harnverlust auch im Liegen

(vgl. Wolfgang Ide / Winfried Vahlensieck (2003), S. 24).

Der Schweregrad der Inkontinenz ist sicherlich auch davon abhängig in wie weit schon vor

der Operation Probleme vorhanden waren. In prospektiven Studien sahen Aboseif et al.

bei 88 % präoperative Auffälligkeiten (hyperreflexive Blase, instabiler Sphinkter,

Sphinkterdyssynergie). (vgl. Dombo O., Otto U. (2004), S. 11).

3.6 Konservative Therapie

In der Literatur wird einheitlich beschrieben, das die Post-Prostatektomie-Inkontinenz mit

Kontinenztraining, Biofeedback und Elektrostimulation behandelt werden kann. Das

Therapiekonzept kann befundorientiert mit reflextherapeutischen Verfahren, viszerale

Behandlungstechniken, Narbenbehandlung und manuelle Therapie ergänzt werden.

(vgl. I.-H. Pages (2004), S. 32).

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3.6.1 Kontinenztraining

Die Rehabilitationsklinik Quellental / Bad Wildungen hat speziell für prostatektomierte

Patienten ein innovatives multimodales Behandlungskonzept entwickelt. Der

physiotherapeutische Ansatz stützt sich auf zwei Arbeitsthesen:

⇒⇒⇒⇒ Die Kontinenz ist ein zerebraler Vorgang der im sensiblen und motorischen Kortex

beginnt und durch viele efferente und afferente Nervenfasern gesteuert wird.

Auf Grund der Operation hat sich die Situation im Körper verändert, es muss

eine neue Bahnung der Steuerungsmechanismen stattfinden.

⇒⇒⇒⇒ Die muskelphysiologische Zusammensetzung des externen Schließmuskel aus slow -

und fast - twitch - Fasern.

(vgl. U. Otto, P. Grosemanns, W. Hoffmann, O. Dombo (1998), S. 35).

Das Hauptziel der Physiotherapie ist, den externen Schließmuskel bezüglich Ausdauer

(Ruhetonus) und Schnellkraft so zu programmieren, dass die urethrale Verschlusskraft der

körperlichen Belastung standhält. Der Patient muss zwischen agonistisch, antagonistisch

und synergistisch arbeitender Muskulatur unterscheiden können. Dies ist dann gegeben,

wenn der Patient folgende Teilziele erreicht:

⇒ Der Patient hat gelernt den externen Schließmuskel selektiv wahrzunehmen und mit

geringer Kraft den Schließmuskel zu tonisieren.

⇒ Er spürt den Detrusordruck bei voller Harnblase als Signal zum Wasserlassen.

Auf diesen Miktionsreiz hin kann er die Blase willkürlich und restharnfrei entleeren.

⇒ Trotz körperlicher Anstrengung bleibt er kontinent, sogar unabhängig von der

Tageszeit.

Er kann ausreichend speichern (physiologische Blasenfüllung), so dass er sich traut

normal viel zu trinken. (vgl. Ute Michaelis (2005), S. 22).

Das Kontinenztraining sollte folgende Therapieziele beinhalten:

Schulung des Patienten über Anatomie des Beckens, Physiologie der Blase.

Mobilisation der Wirbelsäule, Becken, Hüftgelenke, Diaphragma, Blase und

Dünndarm.

⇒ Steigerung der Durchblutung, Verbesserung der Blasenentaltung in der

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Füllungsphase.

(vgl. U.Otto, P. Grosemanns, W. Hoffmann, O. Dombo (1998), S. 35).

Therapie von Störfeldern, z. B. Operationsnarben, Schmerzen im Bereich der

Damm- und Bauchmuskulatur, Fehlstellungen vom Sakroiliakal- und

Sakroccoygealgelenk, Funktionsstörungen der Wibelsäulensegmente

Th 10 - Th 12 und der Rippengelenke zur Senkung der sympathischen

Reflexaktivität.

Wahrnehmungs- und Differenzierungstraining.

⇒ Harnöhrengefühl aufbauen, d.h. Patient soll imaginär einzelne Urintropfen

anhalten, die sich in der Harnröhre befinden. Differenzierung von Harnröhre und

Rektum.

sensomotorisches Training.

⇒ Verbesserung der Steuerung durch das zentrale Nervensystem, d.h. die Kontrolle

und das bewusste Einsetzen des externen Schließmuskels mit unterschiedlicher

Spannungsintensität soll verbessert werden.

Sphinkterspannung plus Bewegung .

⇒ Anspannungsintensität und Anspannungsdauer sollten nach den

Gesetzmäßigkeiten der Trainingslehre auch auf den M. sphinkter externus

dosiert werden.

(vgl. Wolfgang Die / Winfried Vahelnsieck (2003), S. 42, S. 53 S. 73, S. 108).

Adl - Training.

⇒ Übertrag der erworbenen Fähigkeiten von Sensomotorik und Kraft auf den Alltag.

blasenedukative Verhaltensberatung und Berücksichtigung von Blasendysfunktion.

⇒ Patient sollte nicht vorsorglich zur Toilette gehen, damit keine Irritation zwischen

Nervensystem und Blase entsteht.

Der Aufbau des Kontinenztrainings bei prostatektomierte Patienten sollte auch an die

klassischen Phasen der Wundheilung angepasst sein. Generell kann nach Entfernen des

Katheters stufenweise mit dem Kontinenztraining begonnen werden. Der Patient sollte

auch darüber informiert werden, dass er die Übungen des Kontinenztrainings im

Durchschnitt sechs Monate durchführen muss, bis sich eine ausreichende Kontinenz

einstellt. (vgl. Wolfgang Die / Winfried Vahlensieck (2003), S. 86).

Studien belegen (van Campen et al. 2000, Parek et al. 2003, Chang et al. 1998, Poree et

al. 2001) , dass vor der Operation ein angepasstes Kontinenztraining zur Senkung der

Inkontinenzrate zu empfehlen ist. (vgl. Beate Carriere (2003), S. 412).

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3.6.2 Biofeedback

Das Biofeedback-Training ist eine aus der Psychologie entstammende Lernstrategie. Es

handelt sich um ein “Lernen durch Verstärkung”, daher ist es für jene Patienten sinnvoll,

die den externen Schließmuskel nicht realisieren können.

Hierbei wird mittels eines akustischen oder optischen Signals dem Patienten die

Kontraktionsleistung des M. sphinkter urethrae externus zurückgemeldet. Bei Männern

nach radikaler Prostatektomie werden in der Regel Rektalelektroden verwendet, dabei

sollte der die Spannung aufnehmende Teil des Sensors möglichts in der Nähe des

M. sphinkter urethrae externus plaziert sein.

Eine weitere Form des Biofeedbacktrainings ist die Videoendoskopie.

Sie sollte nur bei Patienten eingesetzt, bei denen durch das bisherige Kontinenztraining

keine Verbesserung eingetreten ist und den externen Schließmuskel nicht im Körper

spüren können. Der Arzt führt ein Endoskop in die Harnröhre so weit ein, bis er den

externen Schließmuskel sehen kann und das Bild wird auf einen Fernsehschirm für alle

Anwesenden sichtbar gemacht.

Der Arzt kann somit den willkürlichen Verschluss des M. sphinkter urethrae

transversostriatus begutachten und der Patient erhält eine definitive Information darüber,

ob er den Schließmuskel auch wirklich anspannt. Der behandelnde Physiotherapeut sollte

mit anwesend sein, da entsprechende Übungen während der Videoendoskopie

durchgeführt werden können.

(vgl. Wolfgang Ide / Winfried Vahlensieck (2003), S. 104, S. 112).

3.6.3 Elektrostimulation

Bei der Elektrostimulation werden ebenfalls Analsensoren verwendet. Dabei wird

elektrischer Strom in die Körpergewebe geleitet, wodurch entweder Nerven (N.pudendus)

oder Muskelzellen gereizt werden. Es folgt eine 15 minütige anale Elektrostimulation mit

einer Frequenz von 30- 50 Hz, einer Stimulationszeit von 5 Sekunden und einer

Pausenzeit von 5 bis 10 Sekunden . (vgl. I.-H. Pages (2004), S. 33).

Die Elektrostimulation sollte nur dann ergänzend eingesetzt werden, wenn ein

physiologisches Anspannen und Trainieren der Schließmuskulatur nicht möglich ist.

Die pereanale Elektrostimulation ist besonders effektiv bei der drittgradigen

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Stressinkontinenz, sollte aber nicht auf Grund der positiven Ergebnisse bei der Stimulation

der Beckenbodenmuskulatur der Frau unkritisch auf den Mann übertragen werden, da

eine Verbesserung der Sensomotorik nicht möglich ist.

(vgl. U. Otto., P.Grosemanns, W.Hoffmann, O.Dombo (1998), S.37).

3.7. Effektivität der Physiotherapie

Das differenzierte Kontinenztraining hat sich in zahlreichen randomisierten Studien, die die

Klinik Quellental / Bad Wildungen durchgeführt hat, als sehr effektiv erwiesen. Mit Hilfe

des alleinigen täglichen Kontinenztrainings konnte innerhalb von 3 - 4 Wochen eine

Verbesserung des Stressgrades erzielt werden. Die Ergebnisse an 745 prostatektomierte

Patienten mit persistierender Inkontinenz zeigen, dass man mit einem innovativen

Kontinenztraining, einer begleitenden Diagnostik und Therapie die Funktionsstörung in 90

% der Fälle beseitigen kann. Die mittlereVerlaufsbeobachtung betrug 10,5 Monate nach

der Operation.

Die Frührehabilitation erwies sich als besonders effektiv, es wird empfohlen die

Harninkontinenz frühstmöglich zu behandeln.

Häufige Ursachen, die nicht zu einer Verbesserung der Inkontinenz führen , könnten sein:

⇒ eine falsche Physiotherapie nach der klassischen Methode nach Kegel (1951) oder

Reduktion der Therapie auf gluteale Kontraktionen.

⇒ verkürzte funktionelle Verschlusslänge, hypotoner Detrusor und instabile Blase.

⇒⇒⇒⇒ relative Anastomosenenge.

⇒⇒⇒⇒ länger bestehende Anastomoseninsuffizienz.

⇒ cerebrale Insuffizienz / neuronale Dysfunktion.

⇒ Diabetes mellitus.

⇒ Multimorbidität. (vgl. U. Otto, P. Grosemanns, W. Hoffmann, O. Dombo (1998), S. 37).

4. Schlussfolgerung

Die postoperative Harninkontinenz, eine gemischte Belastungs- und Dranginkontinenz, ist

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primär auf die myogene Sphinkterläsion zurückzuführen. Die Ursachen beruhen nicht auf

ein Funktionsdefizit der Beckenbodenmuskulatur.

Diese Tatsache wird auch dadurch bestätigt, dass bei Patienten bei denen eine radikale

perineale Prostatektomie mit Verletzung der Beckenbodenmuskulatur durchgeführt wurde,

keinen größeren Harnverlust verzeichnen als Patienten nach einer retropubischen

Prostatektomie. (vgl. Wolfgang Ide / Winfriede Vahlensieck (2003), S. 39).

Daher sind klassische Beckenbodenübungen, bei denen Beckenbodenmuskulatur und

Schließmuskulatur komplex im Sinne von Massenkontraktionen anspannen, nicht indiziert

für die Therapie der männlichen Harninkontinenz.

Beim Kontinenztraining des Mannes muss der Schwerpunkt auf den von der

Beckenbodenmuskulatur unabhängig arbeitenden äußeren Schließmuskel gerichtet sein.

Auf Grund der veränderten Situation im Körper müssen kognitive Lernziele, Verbesserung

der Sensomotorik und die neurologische Bahnung anstelle von Kräftigungsübungen im

Vordergrund stehen.

Die Wiedererlangung der Kontinenz bedeutet für den Patienten ein Lernprozess.

Das Kontinenztraining beinhaltet eine komplexe befundorientierte Therapie mit

lernpsychologischen und neurophysiologischen Ansatzpunkten und sollte von der

klassischen Beckenbodengymnastik getrennt werden.

Daher sollte in der Physiotherapie die Behandlung der postoperativen männlichen

Harninkontinenz genauer differenziert und definiert werden, da man zwischen männlicher

und weiblicher Harninkontinenz unterscheiden muss

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