rainer maria rilke ich fürchte mich so vor der menschen wort ich fürchte mich so vor der menschen...

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Rainer Maria Rilke Ich fürchte mich so vor der Ich fürchte mich so vor der Menschen Menschen Wort Ich Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus: Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, und hier ist Beginn und das Ende ist dort. Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott, sie wissen alles, was wird und war; kein Berg ist ihnen mehr wunderbar; ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott. Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern. Die Dinge singen hör ich so gern. Ihr rührt sie an: sie sind starr und

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Page 1: Rainer Maria Rilke Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen

Rainer Maria Rilke

Ich fürchte mich so vor der Menschen Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

IchIch fürchte mich so vor der Menschen Wort.Sie sprechen alles so deutlich aus:Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,sie wissen alles, was wird und war;kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.Die Dinge singen hör ich so gern.Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.Ihr bringt mir alle die Dinge um.

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Rainer Maria Rilke

Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.

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Rainer Maria Rilke

HerbsttagHerbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;gib ihnen noch zwei südlichere Tage,dränge sie zur Vollendung hin, und jagedie letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,wird wachen, lesen, lange Briefe schreibenund wird in den Alleen hin und herunruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

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Rainer Maria Rilke

TanagraTanagra

Ein wenig gebrannter Erde,die von großer Sonne gebrannt.Als wäre die Gebärdeeiner Mädchenhandauf einmal nicht mehr vergangen;ohne nach etwas zu langenzu keinem Dinge hin,aus ihrem Gefühle führend,nur an sich selber rührendwie eine Hand ans Kinn.

Wir heben und wir dreheneine und eine Figur;wir können fast verstehenweshalb sie nicht vergehen, -tiefer und wunderbarerhängen an dem was warund lächeln: ein wenig klarervielleicht als vor einem Jahr.

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Stefan Zweig

NocturnoNocturno

Siehe die Nacht hat silberne SaitenIn die träumenden Staaten gespannt!Weiche verzitternde Klänge gleitenÜber das selig atmende LandFernhin in schimmernde Weiten.

Sanft wie eine segnende HandTönt und vertönt ihre WeiseLeise … so leise … so leise …

Und die Seele hebt ihre Schwingen- Silberne Klänge sind ihre Flügel –Weit über duftumsponnene Hügel

Durch der Täler verdämmernden ScheinSchwebt sie auf sehnsuchtgewiesener ReiseStill ins strömende Mondlicht hinein …

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Stefan George

Das Das Wort

Wunder von ferne oder traumBracht ich an meines Landes saum

Und harrte bis die graue nornDen Namen fand in ihrem born –

Drauf konnt ichs greifen dicht und starkNun blüht und glänzt es durch die mark ...

Einst langt ich an nach guter fahrtMit einem kleinod reich und zart

Sie suchte lang und gab mir kund:''So schläft hier nichts auf tiefem grund'‘

Worauf es meiner hand entrannUnd nie mein land den schatz gewann ...

So lernt ich traurig den verzicht:Kein ding sei wo das Wort gebricht.

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Karl Kraus

Das RätselDas Rätsel

Wenn andern sich ein Rätsel leicht gelöst,

so wird mir erst die Lösung rätselhaft.

Was andern sich in Freiheit drängt und stößt,

hat Raum mir in dem innersten Verhaft.

Zu vielem fühle ich die Kraft.

Doch hält ein Bild, dann eine Tür,

ein Ding, ein Wort, ein Stück Papier

mich zauberhaft.

Ich kann dawider nichts, und nichts dafür.

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Rainer Maria Rilke

Der PantherDer Panther

Im Jardin des Plantes, Paris Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbeso müd geworden, dass er nichts mehr hält.Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbeund hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,der sich im allerkleinsten Kreise dreht,ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,in der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupillesich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,geht durch der Glieder angespannte Stille -und hört im Herzen auf zu sein.

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Rainer Maria Rilke

TodesTodesererfahrung fahrung

Wir wissen nichts von diesem Hingehn, dasnicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund,Bewunderung und Liebe oder Haßdem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund

tragischer Klage wunderlich entstellt.Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen.Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen,spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.

Doch als du gingst, da brach in diese Bühneein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spaltdurch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne,wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.

Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlernteshersagend und Gebärden dann und wannaufhebend; aber dein von uns entferntes,aus unserm Stück entrücktes Dasein kann

uns manchmal überkommen, wie ein Wissenvon jener Wirklichkeit sich niedersenkend,so daß wir eine Weile hingerissendas Leben spielen, nicht an Beifall denkend.

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Rainer Maria Rilke

Wie meine Wie meine Träume nach dir schrein... nach dir schrein...

Wie meine Träume nach dir schrein. Wir sind uns mühsam fremd geworden, jetzt will es mir die Seele morden, dies arme, bange Einsamsein.

Kein Hoffen, das die Segel bauscht. Nur diese weite, weiße Stille, in die mein tatenloser Wille in atemlosen Bangen lauscht.

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Hugo von Hofmannstahl

TERZINEN ÜBER VERGÄNGLICHKEITTERZINEN ÜBER VERGÄNGLICHKEIT IIIWir sind aus solchem Zeug, wie das zu Träumen,Und Träume schlagen so die Augen aufWie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,

Aus deren Krone den blaßgoldnen LaufDer Vollmond anhebt durch die große Nacht.... Nicht anders tauchen unsre Träume auf,

Sind da und leben wie ein Kind, das lacht,Nicht minder groß im Auf- und NiederschwebenAls Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.

Das Innerste ist offen ihrem Weben;Wie Geisterhände in versperrtem RaumSind sie in uns und haben immer Leben.

Und drei sind Eins: ein Mensch, ein Ding, einTraum.

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Rainer Maria Rilke

Im SommerIm Sommer

Im Sommer trägt ein kleiner Dampferauf Moldauwogen uns nach Zlichovzu jenem Kirchlein, hoch und frei.Im blauen Nebel schwindet Smichov;-zur Rechten Flächen braun von Ampfer,zur Linken stolz die >Loreley<.

Wir legen uns an; und sieh, ein Alterbegrüßt uns leiernd: >>Hej, Slovane’ !<<Am Friedhofsrand dann lehnen wir.Hoch Blaut des Himmels Prachtzyane,und unser Träumen hebt, ein Falter,auf Sonnenflügeln sich zu ihr.

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Rainer Maria Rilke

Das Märchen von der VolkeDas Märchen von der Volke

Der Tag ging aus mit milden Tone,so wie ein Hammerschlag verklang.Wie eine gelbe Goldmelonelag groß der Mond im Kraut am Hang.

Ein Wölkchen wollte davon naschen,und es gelang ihm, ein paar Zolldes hellen Rundes zu erhaschen,Rasch kaut es sich die Bäckchen voll.

Es hielt sich lange auf der Flucht aufund sog sich ganz mit Lichte an;-da hob die Nacht die goldne Frucht auf:Schwarz ward die Wolke und zerrann.

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Rainer Maria Rilke

AbendAbend

Der Abend wechselt langsam die Gewänder, die ihm ein Rand von alten Bäumen hält; du schaust: und von dir scheiden sich die Länder, ein himmelfahrendes und eins, das fällt;

und lassen dich, zu keinem ganz gehörend, nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt, nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt -

und lassen dir (unsäglich zu entwirrn) dein Leben bang und riesenhaft und reifend, so dass es, bald begrenzt und bald begreifend, abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.