reinhard richter bei ähnlichen bahnen, wie der göttinger ......entstandenen 750-mm-spurigen...

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entstandenen 750-mm-spurigen Kleinbahnen auf. Bei ähnlichen Bahnen, wie der Göttinger Klein- bahn oder der Kleinbahn Casekow – Penkun – Oder, lagen sie etwa doppelt so hoch. Die einfache, wenig vorausschauende Trassierung der für eine Schmalspurbahn viel zu langen Strecke mit den ständigen Chausseekreuzungen war dann auch ein wesentlicher Grund für die frühzeitige Stillegung im Jahre 1952, die das sogenannte Kleinbahnster- ben im Westteil Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg einläutete. Trotzdem war die LBQ eine Kleinbahn mit einem ganz eigenen, unverwechselbaren Flair, sowohl was die Fahrzeuge als auch die wunderschöne Kleinbahnarchitektur anbetrifft, und noch immer hat die Bahn viele Freunde. Besonders bedauerlich ist deshalb, daß, obwohl seit Jahren in Arbeit und vom Verlag Kenning angekündigt, noch immer kein repräsentatives Buch über den Pingel-Anton erschienen ist. Nach dem Tod des bekannten Au- tors Lothar Riedel (1929 – 2003) ist nun fraglich, ob es bis zum Hundertsten etwas wird, kommen soll es aber auf jeden Fall. Der Personenverkehr war für ländliche und damit auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft zugeschnit- tene Kleinbahnen ja stets ein notwendiges Übel, denn er war per se unrentabel. Für den Güterver- kehr hätten meist ein oder zwei Zugpaare am Tag ausgereicht. Mit der Gewährleistung von zwei oder drei zusätzlichen Zugpaaren, die stets mehr koste- ten als einbrachten, erkaufte sich das Kleinbahn- unternehmen die staatlichen, provinziellen und kommunalen Zuschüsse zum Bahnbau. In den am dünnsten besiedelten, dafür aber land- wirtschaftlich um so intensiver genutzten Regionen Deutschlands hatten Kleinbahnprojekte kaum eine Chance auf Unterstützung, denn Staat und Provinz lehnten es ab, Bahnen zu fördern, die, wie es hieß, hauptsächlich Privatinteressen nützten (gemeint sind hier vor allem die Zuckerfabriken und die gro- ßen Gutsbetriebe). Unbeachtet von der Kleinbahn- statistik hatte sich daher in Deutschland im Laufe der Jahre eine Kategorie von Schienenbahnen ent- wickelt, die ebenfalls den Interessen der Landwirt- schaft dienten und den Kleinbahnen in vielen Be- langen ähnlich bzw. ebenbürtig waren, zum einen was die Transportaufgaben, zum anderen was die Streckenlänge und den Fahrzeugpark anbetraf. Gemeint sind die Wirtschaftsbahnen der großen Zuckerfabriken, die im Jahre 1905 eine Strecken- länge von insgesamt über 1.200 km erreichten. Viele dieser Bahnen, die teilweise auch als Feld- bahn-Genossenschaft oder GmbH organisiert wa- ren, leisteten weit mehr als bloße Zubringerdienste für die Zuckerfabriken. Sie dienten ganzjährig der Versorgung der angeschlossenen Güter und Ge- meinden. Naturgemäß entstanden die meisten die- ser Bahnen im infrastrukurell weniger gut erschlos- senen Norden und Osten Deutschlands. Mit den je- weils verschmolzenen Werkbahnen Tuczno/Wierz- choslawice und Kruschwitz/Montwy stellten die beiden letzten ehemals deutschen Vertreter der Gattung „Rübenbahn“ im Vorjahr ihren Betrieb nach über 120 Jahren ein. Links: Lok QUAKENBRÜCK in Quakenbrück kurz nach der Eröffnung der Kleinbahn. Übrigens: Wer LBQ als Loks Bedeuten Qualm deutet, hat hundertprozentig Recht. Keine Diesellok hat je ein Rad auf die Gleise der Kleinbahn gesetzt. Alle Fotos soweit nicht anders angegeben: Slg Reinhard Richter 18 Die Museums-Eisenbahn 1/2004 Kleinbahn-Geschichte Das Jahr 1904 war in der Kleinbahngeschichte sicher eines der ruhigsten vor dem Ersten Weltkrieg. Nur acht neue Kleinbahnen wurden genehmigt und nur neun in den Vorjahren ge- nehmigte gingen in Betrieb. Immerhin erhöhte sich dadurch die Zahl der deutschen Kleinbah- nen auf 250, wovon 237 in Preußen lagen. Spitzenreiter blieb die Rheinprovinz mit 39 Bahnen, gefolgt von Brandenburg mit 25 und den Provinzen Sachsen und Pommern mit jeweils 24 selbständigen Kleinbahnen. Pommern besaß auch mit 1.347 km (Stand 1904/05) das strecken- mäßig mit weitem Abstand ausgedehnteste Kleinbahnnetz, während es die folgenden Provin- zen Schleswig-Holstein, Posen und Brandenburg nur auf 750, 729 und 721 km brachten. Unter den 1904 eröffneten Bahnen befinden sich einige, die auf den ersten Blick nicht als hundert- prozentig eigenständig erscheinen, obwohl sie bei Gründung rechtlich selbständige Unterneh- men darstellten (siehe hierzu die Anmerkungen der Tabelle). Reinhard Richter Kleinbahnjubiläen 2004 Nr. Eröffn. Spurweite Name der Kleinbahn 1 20. 1. 1.435 mm Klb. Kalk – Vingst – Rath-Heumar (Vorortbahn Köln – Königsforst) 2 1. 6. 750 mm Klb. Lingen – Berge – Quakenbrück 3 16. 8. 1.435 mm Klb. Celle – Wittingen 1) 4 1. 10. 1.435 mm Klb. Nauen – Velten 2) 5 1. 10. 1.435 mm Klb. Altrahlstedt – Volksdorf – Wohldorf 3) 6 29. 10. 1.000 mm Klb. Eckernförde – Owschlag 4) 7 14. 11. 1.435 mm Siegener Kreisbahn 5) 8 15. 11. 1.435 mm Klb. Lohne – Dinklage 6) 9 19. 11. 1.435 mm Klb. Hardenberg – Neuenburg Bemerkungen: 1) ab 1940 Privatbahn, 1944 an Osthannoversche Eisenbahnen (OHE) 2) 1924 an Osthavelländische Kreisbahnen (OHKB) 3) elektrischer Betrieb, nur zu etwa 1/3 in Preußen, zu 2/3 in der Freien und Hansestadt Hamburg gelegen 4) gemeinsam mit der bereits 1889 eröffneten Privatbahn Eckernförde – Kappeln betrieben 5) elektrischer Betrieb 6) im Großherzogtum Oldenburg gelegen Bis 1904 hatten sich das Verhältnis normal- zu schmalspurigen Kleinbahn bereits derart zu Gun- sten der Normalspur verschoben, daß nun den Schmalspurbahnen die gleiche Anzahl Normal- spurbahnen gegenüberstand. Gegen den Trend und die nachgewiesenen Vorteile der Anlage in Nor- malspur ignorierend, handelten nur noch wenige Kleinbahnplaner und nur, um ein wackeliges Kleinbahnprojekt mit möglichst geringen Mitteln doch noch zustande zu bringen, komme was da wolle. Eine dieser sehr spät zustande gekommenen eigen- ständigen Schmalspurbahnen war die Kleinbahn Lingen – Berge – Quakenbrück, deren prägnan- tes Kürzel LBQ auch 50 Jahre nach der Stillegung Schmalspurbahnfreunden leicht von der Zunge geht. Mit 24.066 M / km wies diese Kleinbahn auch die niedrigsten Baukosten aller nach 1892

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Page 1: Reinhard Richter Bei ähnlichen Bahnen, wie der Göttinger ......entstandenen 750-mm-spurigen Kleinbahnen auf. Bei ähnlichen Bahnen, wie der Göttinger Klein-bahn oder der Kleinbahn

entstandenen 750-mm-spurigen Kleinbahnen auf.Bei ähnlichen Bahnen, wie der Göttinger Klein-bahn oder der Kleinbahn Casekow – Penkun –Oder, lagen sie etwa doppelt so hoch. Die einfache,wenig vorausschauende Trassierung der für eineSchmalspurbahn viel zu langen Strecke mit denständigen Chausseekreuzungen war dann auch einwesentlicher Grund für die frühzeitige Stillegungim Jahre 1952, die das sogenannte Kleinbahnster-ben im Westteil Deutschlands nach dem ZweitenWeltkrieg einläutete.

Trotzdem war die LBQ eine Kleinbahn mit einemganz eigenen, unverwechselbaren Flair, sowohlwas die Fahrzeuge als auch die wunderschöneKleinbahnarchitektur anbetrifft, und noch immerhat die Bahn viele Freunde. Besonders bedauerlichist deshalb, daß, obwohl seit Jahren in Arbeit undvom Verlag Kenning angekündigt, noch immerkein repräsentatives Buch über den Pingel-Antonerschienen ist. Nach dem Tod des bekannten Au-tors Lothar Riedel (1929 – 2003) ist nun fraglich,ob es bis zum Hundertsten etwas wird, kommensoll es aber auf jeden Fall.

Der Personenverkehr war für ländliche und damitauf die Bedürfnisse der Landwirtschaft zugeschnit-tene Kleinbahnen ja stets ein notwendiges Übel,denn er war per se unrentabel. Für den Güterver-kehr hätten meist ein oder zwei Zugpaare am Tagausgereicht. Mit der Gewährleistung von zwei oderdrei zusätzlichen Zugpaaren, die stets mehr koste-ten als einbrachten, erkaufte sich das Kleinbahn-unternehmen die staatlichen, provinziellen undkommunalen Zuschüsse zum Bahnbau.

In den am dünnsten besiedelten, dafür aber land-wirtschaftlich um so intensiver genutzten RegionenDeutschlands hatten Kleinbahnprojekte kaum eineChance auf Unterstützung, denn Staat und Provinzlehnten es ab, Bahnen zu fördern, die, wie es hieß,hauptsächlich Privatinteressen nützten (gemeintsind hier vor allem die Zuckerfabriken und die gro-ßen Gutsbetriebe). Unbeachtet von der Kleinbahn-statistik hatte sich daher in Deutschland im Laufeder Jahre eine Kategorie von Schienenbahnen ent-wickelt, die ebenfalls den Interessen der Landwirt-schaft dienten und den Kleinbahnen in vielen Be-langen ähnlich bzw. ebenbürtig waren, zum einenwas die Transportaufgaben, zum anderen was dieStreckenlänge und den Fahrzeugpark anbetraf.

Gemeint sind die Wirtschaftsbahnen der großenZuckerfabriken, die im Jahre 1905 eine Strecken-länge von insgesamt über 1.200 km erreichten.Viele dieser Bahnen, die teilweise auch als Feld-bahn-Genossenschaft oder GmbH organisiert wa-ren, leisteten weit mehr als bloße Zubringerdienstefür die Zuckerfabriken. Sie dienten ganzjährig derVersorgung der angeschlossenen Güter und Ge-meinden. Naturgemäß entstanden die meisten die-ser Bahnen im infrastrukurell weniger gut erschlos-senen Norden und Osten Deutschlands. Mit den je-weils verschmolzenen Werkbahnen Tuczno/Wierz-choslawice und Kruschwitz/Montwy stellten diebeiden letzten ehemals deutschen Vertreter derGattung „Rübenbahn“ im Vorjahr ihren Betriebnach über 120 Jahren ein.

Links: Lok QUAKENBRÜCK in Quakenbrück kurz nach derEröffnung der Kleinbahn. Übrigens: Wer LBQ als Loks

Bedeuten Qualm deutet, hat hundertprozentig Recht. KeineDiesellok hat je ein Rad auf die Gleise der Kleinbahn gesetzt.

Alle Fotos soweit nicht anders angegeben:Slg Reinhard Richter

18 Die Museums-Eisenbahn 1/2004 Kleinbahn-Geschichte

Das Jahr 1904 war in der Kleinbahngeschichte sicher eines der ruhigsten vor dem ErstenWeltkrieg. Nur acht neue Kleinbahnen wurden genehmigt und nur neun in den Vorjahren ge-nehmigte gingen in Betrieb. Immerhin erhöhte sich dadurch die Zahl der deutschen Kleinbah-nen auf 250, wovon 237 in Preußen lagen. Spitzenreiter blieb die Rheinprovinz mit 39 Bahnen,gefolgt von Brandenburg mit 25 und den Provinzen Sachsen und Pommern mit jeweils 24selbständigen Kleinbahnen. Pommern besaß auch mit 1.347 km (Stand 1904/05) das strecken-mäßig mit weitem Abstand ausgedehnteste Kleinbahnnetz, während es die folgenden Provin-zen Schleswig-Holstein, Posen und Brandenburg nur auf 750, 729 und 721 km brachten. Unterden 1904 eröffneten Bahnen befinden sich einige, die auf den ersten Blick nicht als hundert-prozentig eigenständig erscheinen, obwohl sie bei Gründung rechtlich selbständige Unterneh-men darstellten (siehe hierzu die Anmerkungen der Tabelle).

Reinhard Richter

Kleinbahnjubiläen 2004

Nr. Eröffn. Spurweite Name der Kleinbahn

1 20. 1. 1.435 mm Klb. Kalk – Vingst – Rath-Heumar (Vorortbahn Köln – Königsforst)2 1. 6. 750 mm Klb. Lingen – Berge – Quakenbrück3 16. 8. 1.435 mm Klb. Celle – Wittingen1)

4 1. 10. 1.435 mm Klb. Nauen – Velten2)

5 1. 10. 1.435 mm Klb. Altrahlstedt – Volksdorf – Wohldorf3)

6 29. 10. 1.000 mm Klb. Eckernförde – Owschlag4)

7 14. 11. 1.435 mm Siegener Kreisbahn5)

8 15. 11. 1.435 mm Klb. Lohne – Dinklage6)

9 19. 11. 1.435 mm Klb. Hardenberg – Neuenburg

Bemerkungen:1) ab 1940 Privatbahn, 1944 an Osthannoversche Eisenbahnen (OHE)2) 1924 an Osthavelländische Kreisbahnen (OHKB)3) elektrischer Betrieb, nur zu etwa 1/3 in Preußen, zu 2/3 in der Freien und Hansestadt Hamburg gelegen4) gemeinsam mit der bereits 1889 eröffneten Privatbahn Eckernförde – Kappeln betrieben5) elektrischer Betrieb6) im Großherzogtum Oldenburg gelegen

Bis 1904 hatten sich das Verhältnis normal- zuschmalspurigen Kleinbahn bereits derart zu Gun-sten der Normalspur verschoben, daß nun denSchmalspurbahnen die gleiche Anzahl Normal-spurbahnen gegenüberstand. Gegen den Trend unddie nachgewiesenen Vorteile der Anlage in Nor-malspur ignorierend, handelten nur noch wenigeKleinbahnplaner und nur, um ein wackeligesKleinbahnprojekt mit möglichst geringen Mitteln

doch noch zustande zu bringen, komme was dawolle.

Eine dieser sehr spät zustande gekommenen eigen-ständigen Schmalspurbahnen war die KleinbahnLingen – Berge – Quakenbrück, deren prägnan-tes Kürzel LBQ auch 50 Jahre nach der StillegungSchmalspurbahnfreunden leicht von der Zungegeht. Mit 24.066 M / km wies diese Kleinbahnauch die niedrigsten Baukosten aller nach 1892

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Kleinbahnjubiläen 2004 Die Museums-Eisenbahn 1/2004 19

Eine andere Art von Kleinbahn, die nicht so sehrder Landwirtschaft, sondern der verkehrlichen An-bindung einer bei den staatlichen Bahnbauten ab-seits gebliebenen Kleinstadt diente, stellte dieKleinbahn Hardenberg – Neuenburg in West-preußen dar. Derartige normalspurige Anbindungs-bahnen, von denen es besonders in Mitteldeutsch-land ungewöhnlich viele gab, waren meist kurz, somit 5,95 km auch die Kleinbahn vom Staatsbahn-hof Hardenberg an der Strecke Bromberg – Dir-schau zum an der Weichsel gelegenen 5.000-Ein-wohner-Städtchen Neuenburg im Kreis Schwetz, s.Foto S. 2 oben.

Neben der Versorgung der Bevölkerung und dersich entwickelnden Industrie war den Initiatorender Kleinbahn sehr an einem dichten Personenver-kehr mit Anschluß an alle Züge der Staatsbahn ge-legen. So suchte die Betreiberin dieser Kleinbahn,die Ostdeutsche Eisenbahn-Gesellschaft (OEG),nach einer rentablen Form der Betriebsführung.Waren bei einer öffentlichen Bahn erst einmal einebestimmte Zahl von Personenzügen mit den kom-munalen Trägern bzw. Aktionären vertraglich ver-einbart, hatten die Kleinbahnen meist wenig Mög-lichkeiten, die Zugzahl nachträglich zu reduzieren.

Als probates Mittel den Verkehr wenigstens etwasrationeller durchzuführen erbot sich schon früh derEinsatz von Triebwagen. Der ursprüngliche Plan,die Kleinbahn Hardenberg – Neuenburg analog der1898 eröffneten, ebenfalls in Westpreußen gelege-nen Stadtbahn Briesen zu elektrifizieren, mußteaufgegeben werden, da sich der Bau eines dazunotwendigen städtischen Elektrizitätswerkes nichtrealisieren ließ. Daraufhin erprobte die OEG hiereinen Dampfmotorwagen, zu dem nähere Angabenleider fehlen. Der erhoffte Erfolg stellte sich jedochnicht ein. Im Bericht der Kleinbahngesellschaft fürdas Geschäftsjahr 1905/06 ist zu lesen: „Der ange-kaufte Motorwagen bewährte sich (...) nicht undmußte bald nach seiner Einstellung wieder ausran-giert und der Verkaufsfirma zur Verfügung gestelltwerden. Der Wagen hat die ihm zugemuteten Lei-stungen nicht erfüllt. Er war nicht imstande, An-hängewagen auf der Strecke, die nur eine Steigungvon 1 : 80 aufweist, zu schleppen und blieb mitun-ter sogar ohne Anhängewagen auf der Streckestecken.“ Die OEG brach die Versuche schließlichab und führte den normalen Lokomotivbetrieb mitzwei Maschinen der Lenz-Gattung d ein. Auch einvon der OEG ab 1905 auf der Haffuferbahn einge-setzter Rowan-Dampftriebwagen verschwand balddarauf spurlos von der Bildfläche.

Oben: Lok LBQ 2 (HANOMAG 4013/03) schied vor 1930 ausdem Bestand aus. Der Fotograf fand sie 1973 in Kujawien beider Zuckerfabrik Brzesc Kujawski als CBK 3 wieder. Durchden neuen Kessel (Fitzner 10.979/1941) und einen O&K-Kamin ist ihr Äußeres verändert. Foto: Lars-Olov Karlsson

Mitte: Eröffnung der Kleinbahn Altrahlstedt – Volksdorf mitTw 2 und Ehrengästen, Bf. Volksdorf, 1. 10. 1904,Foto: Slg. Harald Kindermann

Unten: Der Jubilar Kleinbahn Nauen – Velten wurde mit zweiDampflokomotiven des Typs pr. T 3 eröffnet (Schwartzkopf1904/3304 u. 5). Dampflok N.V. 1 (links, ab 1949 DR 896126) samt Personal und noch mit Abdunkelung vor derLampe, 1946 in Spandau-Johannesstift. Hinten rechts LokB.Sp. 6, Foto: Slg. Joachim Rodatz

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20 Die Museums-Eisenbahn 1/2004 Kleinbahnjubiläen 2004

Oben: Personenverkehr auf der Kleinbahn Nauen – Velten inden Anfangsjahren. An der idyllisch gelegenen Haltestelle

Nauen Stadtforst hält ein gemischter Zug.

Links: An der gleichen Stelle aufgenommen wurde 1904/05 diese „Sonntags-Garnitur“ mit drei Personenwagenhinter einem der drei alten B-Kuppler der OHKB mit hohem

Kamin, jedoch ohne Übergangseinrichtungen. Es handelt sichum Lok 3 (Vulcan 1892/1308), die am 22. 12. 1905 an die

Kleinbahn Strausberg – Herzfelde abgegeben wurde.

S. 21 oben: Zeichnung Reinhard Richter

S. 21 unten: Umfangreiche Gleisanlagen, jedoch nur einbescheidenes Stationsgebäude besaß der Abzweigbahnhof

Bötzow, hier Ende der 1920er Jahre. Auf dem vorderen Gleisfuhren von hinten rechts kommend die Züge aus Spandau ein,

auf dem linken Gleis die Züge Nauen – Velten.

Den Siegeszug des Triebwagens bei deutschen ne-benbahnähnlichen Kleinbahnen vor 1945 kann manin drei Etappen beschreiben. Ein, wie im vorherge-henden Absatz gezeigt wurde, weitgehend unerfor-schtes Kapitel der deutschen Kleinbahngeschichtesind die Experimente mit einer neuen Generationvon Dampftriebwagen, die etwa 1904 begannen.Ihnen folgten ab etwa 1914 erste Einsätze von Ben-zoltriebwagen, eine Entwicklung die durch den Er-sten Weltkrieg und die folgende Inflationszeit ver-zögert wurde, sich aber nach 1924 verstärkt fort-setzte. Die Weltwirtschaftskrise und die zunehmen-de Verteuerung der Triebwagen ließen auch dieseEntwicklung stagnieren. Gerade in jener Zeit derwachsenden Buskonkurrenz verlangte das Publi-kum eine höhere Zugzahl, die nur durch den Ein-satz von Triebwagen auf wirtschaftliche Weise zuerreichen war. In ihrer Not bestellte sich die Leh-niner Kleinbahn 1930 bei Lindner einen Triebwa-gen ohne Antrieb und hoffte, diesen in besserenZeiten nachrüsten zu können. Mit der wirtschaftli-chen Erholung begann dann ab 1933 der Siegeszugdes Dieseltriebwagens.

Die Osthavelländischen Kreisbahnen

Für den Einsatz ganz besonderer Triebwagen wardie sogenannte Bötzow-Bahn bekannt, deren Ge-schichte, speziell die Triebwagengeschichte, ausAnlaß der Eröffnung der ersten kreiseigenen ostha-velländischen Strecke Nauen – Velten im Jahre1904 näher betrachtet werden soll.

Um die Besitzverhältnisse der normalspurigenKleinbahnen im Ost- und Westhavelland herrschtoft Verwirrung. Als erste nach dem preußischenKleinbahngesetz vom 28. 7. 1892 erbaute normal-spurige Kleinbahn gingen die von der GmbH Lenz& Co. erbauten und betriebenen Osthavelländi-schen Kreisbahnen (OHKB) am 4. 10. 1893 anden Start. Trotz des Plurals im Namen handelte essich nur um eine 16,4 km lange Strecke, die vomBahnhof Nauen an der Hamburger Bahn immersüdlich bis Ketzin bzw. Ketzin Hafen führte. Dabeikreuzte sie im km 7,2 bei Neugarten bzw. Röthehofmittels einer Brücke die Lehrter Bahn, zu der 1896ein Verbindungsgleis hergestellt werden konnte.

Ihre Rentabilität gewann die Kleinbahn vor allemaus den beiden Zuckerfabriken an den Endpunkten;in Nauen sogar eine der größten Deutschlands. Inden folgenden Jahren verdiente die Bahn auchdurch die heute als „Mülltourismus“ bezeichneteVerbringung von Berliner Hausmüll auf die großenDeponien an der Strecke. Bereits 3 1/2 Jahre nachder Eröffnung löste man den Vertrag mit Lenz &Co. und übernahm die Betriebsführung selbst.

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Kleinbahnjubiläen 2004 Die Museums-Eisenbahn 1/2004 21

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In Röthehof schlossen ab 28. 3. 1901 die Westha-velländischen Kreisbahnen (WHKB) an. Obwohldie beiden Strecken Röthehof – Roskow – Bran-denburg Dom (später Krakauer Tor) und Roskow –Brandenburg Altstadt von den OHKB gebaut undbetrieben wurden, war die Bahn ein kommunalesUnternehmen und gehörte dem Kreis Westhavel-land. Die OHKB ihrerseits waren trotz des eben-falls im Bahnnamen enthaltenen Wortes „Kreis“als Aktiengesellschaft organisiert. Ungewöhnlichan den WHKB war vor allem, daß der westhavel-ländische Kreistag ein Kleinbahnunternehmen mithohen finanziellen Aufwendungen erbauen ließ,das nicht auf die Kreisstadt ausgerichtet war, son-dern vor allem dem Osthavelland und der kreisfrei-en Stadt Brandenburg wirtschaftliche Impulse gab.Von dieser Solidarität mit der Landwirtschaft imKreisrandgebiet profitierte auch eine Vielzahl vonZiegeleibetrieben, die sich entlang des durch FritzeBollmann bekannten Beetzsee angesiedelt hatten.

Um einen direkten Anschluß des Kreisgebietes andas aufblühende Wirtschaftszentrum Spandau, dasdamals noch nicht zu Berlin gehörte, zu bekom-men, hatte der osthavelländische Kreistag bereits1900 beschlossen, neben einer normalspurigenKleinbahnverbindung Nauen – Velten auch eineZweigstrecke Bötzow – Spandau herzustellen.Wiederum traten die OHKB als Bauunternehmerund zukünftiger Betriebsführer der projektiertenBahnen auf. Während die 25,7 km lange Streckenach Velten bereits am 1. 10. 1904 in Betrieb ge-

22 Die Museums-Eisenbahn 1/2004 Kleinbahnjubiläen 2004

Aufschlüsselung des Bestandes an Lokomder OHKB

Art der Betriebmittel OHKBNauen –Ketzin

3/3-gek. Naßdampflokomotiven 23/3-gek. Heißdampflokomotiven 22/3-gek. Lok, 1938 gebraucht gekauftvierachsiger Triebwagen, 150-PS-Dieselzweiachsige Triebwagen, 90-PS-Diesel 2vierachsige Triebwagenanhänger 1zweiachsige Personenwagen II./III. Kl. (zweiachsige Personenwagen III. Kl. (

Stand 1938, Quelle: Geschäftsbericht der OHKB 1938

Oben: Dampflok N.V. 2 (Schwarzkopf 1904/3305), ab 1949DR 89 6127, am 1. 11. 1964 dem Bw Haldensleben überstellt

und dort im August 1965 fotografiert. Foto: Günter Fiebig

Mitte: Die für die 1908 eröffnete Strecke Bötzow – Spandau beschafften zwei Lokomotiven erhielten in Fortsetzung derLokbezeichnungen N.V. 1 und 2 die Bezeichnungen B.Sp. 3und 4 und sollen gemäß der Literatur eigentlich Schwester-

maschinen gewesen sein (Borsig 1907/6.481 und 6.482). Dochder Vergleich der Bilder Mitte und unten weckt Zweifel.Dampflok B.Sp. 3 vor dem zerstörten Bahnhofsgebäude

Spandau-Johannesstift, 30. 4. 1950, Foto: Norbert Loßberger

Unten: Dampflok B.Sp. 4 im Bahnhof Spandau-Johannesstift,Sommer 1948

3 Fotos: Slg. Joachim Rodatz

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Kleinbahnjubiläen 2004 Die Museums-Eisenbahn 1/2004 23

motiven, Triebwagen und PersonenwagenB/WHKB

N-V B-Sp WHKB SumNauen – Bötzow –Velten Spandau

2 4 4 121 3

1 11 1

1 31 28 ) 5 139 ) 1 10

(erg.)

hen konnte, verzögerte sich die Fertigstellung derZweigstrecke nach Spandau, da man sich mit derStadt Spandau bis 1906 nicht über einen Platz fürAnlage des Kleinbahnhofes einigen konnte. Da dieStaatsbahn beabsichtigte, den Bahnhof Spandaugrundlegend umzubauen, endete die am 1. 7. 1908eröffnete „Bötzow-Bahn“ zunächst nach 11,7 kmim Bahnhof Spandau Johannesstift. Nachdem ab15. 12. 1909 ein provisorischer Anschluß nachSpandau für den Güterverkehr hergestellt wordenwar, konnte am 1. 5. 1912 das 5,5 km lange Rest-stück bis Spandau West dem Verkehr übergebenund der Personenverkehr aufgenommen werden.

Während die WHKB zeit ihres Bestehens Eigen-tum des Kreises Westhavelland blieb, kauften dieOHKB im Jahre 1925 die beiden Strecken desKreises Osthavelland. Bereits 1913 war eine direk-te Gleisverbindung mit der eigenen Stammstreckein Nauen hergestellt worden. Bis dahin hatte sichder Ketziner Bahnhof südlich und der Veltenernördlich des ebenerdig angelegten StaatsbahnhofsNauen befunden. Als dieser 1913 erweitert unddabei hochgelegt wurde, bot sich die Möglichkeit,die Veltener Strecke mit einer Unterführung eben-falls an den südlich gelegenen Kleinbahnhof anzu-schließen. Dieser mußte dazu erweitert werden,und so wurde der Kleinbahnhof der Schmalspur-bahn nach Rathenow (RSPN) weiter an die Hinter-höfe gedrückt. Auch bei Kleinbahnen unter sichgab es also eine „Rangordnung“.

Oben: Dampflok B.Sp. 6 (Henschel 1914/12.900), 1949 in DR89 6305, 31. 12. 1963 ausgemustert, 1932 im BahnhofSpandau Johannesstift, Foto: Slg. Joachim Rodatz

Mitte: Der Triebwagenschuppen in Spandau Johannesstiftwar durch Bomben zerstört. Dennoch wurde er weitergenutzt.Im Sommer 1946 wurde Lok OHKB 3“ (Vulcan 1895/1435)im Lokschuppen abgelichtet. Foto: Slg. Joachim Rodatz

Unten: Bahnhofsgebäude in Nauen

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Oben: Triebwagen 6001, der spätere Tw 1 zusammen mit zweiBeiwagen der eh. Spandauer Straßenbahn auf

einem Werbefoto der AEG.

Mitte: Der spätere Tw 1 auf der Straßenbahnlinie 120Spandau West – Hennigsdorf, 1923,

Foto: AEG Slg. Dietmar Weber-Werning

Unten: Vergleich der Ursprungsausführung und dem letztenUmbau aus den 1950er Jahren, Zeichnungen

Slg. Günter Fiebig, Joachim Rodatz

Seite 25 oben: Ähnliche Benzoltriebwagen bei der Straßen-bahn Stockholm, AEG-Prospekt, 1925,

Slg. Wolf-Dietrich Groote

Seite 25 Mitte: Rahmen und Maschinenanlage bauartähnli-cher Triebwagen der Compania Nacional de Tramvias Quito

(Equador), Foto: Jahnke, Oeltriebwagen

24 Die Museums-Eisenbahn 1/2004 Kleinbahnjubiläen 2004

Page 8: Reinhard Richter Bei ähnlichen Bahnen, wie der Göttinger ......entstandenen 750-mm-spurigen Kleinbahnen auf. Bei ähnlichen Bahnen, wie der Göttinger Klein-bahn oder der Kleinbahn

Die Benzolbahn Spandau – HennigsdorfDie Osthavelländischen Kreisbahnen existiertenwie alle ländlichen Kleinbahnen hauptsächlichvom Güterverkehr. 1939 gab es 54 z. T. recht langePrivatanschlüsse. Der zunächst ständig zunehmen-de Personenverkehr war nach 1920 rückläufig undnahm speziell auf der Bötzow-Bahn rapide ab. Sokam es mit der „Benzolbahn“, im Volksmund auch„Bunzelbahn“ bezeichnet, zu einer interessantenKooperation, zwischen OHKB, Berliner Straßen-bahn und der Allgemeinen Electrizitäts-Gesell-schaft (AEG).

Bereits 1911 hatte sich die AEG bei den politi-schen Gremien Hennigsdorfs dafür stark gemacht,die Spandauer Straßenbahn bis Hennigsdorf auszu-bauen, damit die Mitarbeiter des im Ausbau be-findlichen Werkes in Spandau wohnen bzw. ihreKinder zu dortigen höheren Schulen schickenkönnten. Um den Einfluß auf die Infrastrukturpoli-tik zu untermauern, wollte die AEG sogar dieGrundauslastung der Straßenbahnlinie garantieren.Das Vorhaben mag am Ersten Weltkrieg geschei-tert sein, so daß es zehn Jahre später im kleinerenMaßstab – eben als Benzolbahn – neu aufgegriffenwurde. Ein AEG-Prospekt von 1923 berichtet:

„Anfang Januar 1923 (Abnahmefahrt war der 8.1., d. Red.) wurde zwischen Spandau-West undHennigsdorf, wo sich umfangreiche Fabrikanlagender AEG mit über 7.200 Angestellten und Arbeiternbefinden, eine unmittelbare Bahnverbindung her-gestellt. Erleichtert wurde die Anlage der regelspu-rigen Bahn, die ausschließlich dem Personenver-kehr dient, dadurch, daß auf dem größten Teil derStrecke Gleise schon vorhanden waren, deren Be-nutzung der Unternehmerin von den Eigentümernzugestanden wurde. Von Spandau aus werden zu-ächst etwa 4 km Rillengleis der Berliner Straßen-bahn befahren, an diese schließen sich rund 6 kmVignolgleise der Osthavelländischen Dampfklein-bahn und weiter etwa 1,5 km staatliches Ladegleis(eh. Munitionsdepot Hennigsdorf, d. Red.) an. DerRest von 1 km bis zur AEG-Lokomotivfabrik inHennigsdorf wurde neu gebaut.

Da auf der neuen Strecke mit einem lebhaften Ver-kehr vorläufig nur bei Schichtwechsel gerechnetwerden konnte, wäre bei den großen Zugpausender elektrische Oberleitungsbetrieb wegen der ho-hen Anlagekosten unwirtschaftlich gewesen. Eswird deshalb der Verkehr mit AEG-Triebwagendurchgeführt. Die Wagen sind dem kleinsten dervorhandenen Streckenprofile, dem der BerlinerStraßenbahn, angepaßt und haben wegen derscharfen Streckenkrümmungen einen nur kurzenRadstand.“

Der spätere Betriebsleiter Gebauer beschrieb 1940in einem Fachartikel das Zustandekommen:

„(...) Triebwagen, die im Jahre 1922 von der NAGan die AEG-Lokomotivfabrik Hennigsdorf bei Ber-lin geliefert wurden. Die AEG nahm seiner Zeit mitihrem Werk in Hennigsdorf den Bau von Dampf-lokomotiven neu auf. Die Verbindung von Hennigs-dorf, überhaupt der nördlichen Industriegebietevon Berlin nach dem in der Luftlinie sehr nahenSpandau hat immer nur über Berlin geführt, weilalle anderen Verbindungen durch die Havel, überdie eine Brücke nicht vorhanden ist, behindertsind. Bei der Betrachtung dieser örtlichen Lagekam man auf den Gedanken, für den damals gro-ßen Bedarf der Lokomotivfabrik die geschultenKräfte, die in dem Spandauer Bezirk zur Verfügungstanden, heranzuziehen.“

Für den heute gerne mit der Albtalbahn als „Karls-ruher Modell“ in Verbindung gebrachten Misch-betrieb von Eisenbahn- und Straßenbahnfahrzeu-gen waren vor 80 Jahren die gleichen Probleme zulösen, die Gebauer beschreibt:

„Es ergab sich also hier die nicht alltägliche Not-wendigkeit, Fahrzeuge laufen zu lassen, die teil-weise im Straßenbahn- und teilweise im Eisen-bahnbetrieb fahren sollten. Der Durchführungstanden einige Schwierigkeiten entgegen: Straßen-bahnräder haben lediglich eine Breite von rd. 75bis 80 mm, Eisenbahnräder dagegen eine solchevon über 130 mm. Straßenbahnräder müssen eineverhältnismäßig geringe Breite haben, weil sonstdas die Schienen einfassende Pflaster zu Schwie-rigkeiten Veranlassung gibt, andererseits fallen je-doch Räder, die schmaler sind als 90 mm, mangelsgenügend breiter Auflagefläche in die Herzstückeder Normalbahnweichen. Es wurde versucht, dieSchwierigkeit zu überbrücken, indem die Breite derRadreifen zunächst auf 96 mm festgesetzt wurde, sodaß sie die Breite der Straßenbahnschienen nichterheblich überdeckten, andererseits jedoch für nor-male Herzstücke gerade ausreichten. Es zeigte sichallerdings bald, daß dies Maß für ausgefahreneHerzstücke nicht ausreichte. Zunächst wurde Ab-hilfe gesucht dadurch, daß die Herzstücke ausge-

füllt wurden, so daß die Radreifen u. U. ein gerin-ges Stück fielen und dann wieder aufkletterten. Einvoller Ausgleich war mit Rücksicht auf die höherenSpurkränze der Lokomotiven nicht möglich. DieGeschwindigkeit mußte beim Befahren dieserHerzstücke entsprechend ermäßigt werden. Seit-dem diese Maßnahme durchgeführt ist, haben sichin diesem Betrieb, der nunmehr seit 17 Jahrenläuft, keinerlei Anstände mehr ergeben.

Mit Rücksicht auf die gleichzeitige Benutzung vonStraßenbahn- und Eisenbahngleisen waren auchdie Wagenkästen der Triebwagen nach Straßen-bahnabmessungen, die wesentlich kleiner als Voll-bahnabmessungen sind, bemessen worden. ... DieFahrzeuge hatten das bei dem damaligen Stand derEntwicklung immerhin beachtliche geringe Ge-wicht von rd. 10 t und eine Geschwindigkeit von 40km/h, ihre Aufnahmefähigkeit beträgt etwa 50 Per-sonen. (...)

Der Betrieb wurde von der Berliner Verkehrs-AG(BVG) übernommen; die Triebwagen fuhren im re-gelmäßigen Verkehr mit Anschluß an den Vorort-verkehr der Reichsbahn bei Bahnhof Spandau Westbis zu der Haltestelle in Hennigsdorf. Der ersteFahrplan zeigt 8 Fahrten täglich in jeder Rich-tung.“

Kleinbahnjubiläen 2004 Die Museums-Eisenbahn 1/2004 25

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Rechts und unten: Tw 6003, 1925,Foto u. Zchn.: Dessauer Waggonfabrik, Slg. Günther Fiebig

Eine Ungenauigkeit in obiger Darstellung sei korri-giert: Betriebsführerin der in Anlehnung an die bis-herige Linie 20 als Linie 120 bezeichneten Verbin-dung war die Berliner Straßenbahn und die BVGerst mit ihrer Gründung zum 1. 1. 1929. Die AEGstellte zwei Triebwagen zur Verfügung (6001 und6002), die Berliner Straßenbahn vier Beiwagen1482 – 1485 (ex 1529 – 1532) von der ehemaligenSpandauer Straßenbahn. Die Straßenbahnfahrzeugeblieben im Straßenbahnbetriebshof PichelsdorferStraße beheimatet und erhielten neben breiterenRadreifen auch verschließbare Türen.

Die Fahrzeit für die 12,3 km lange Strecke betrug40 Minuten, und es durften bis zu zwei Beiwagenangehängt werden. Entgegen dem Üblichen bei derBerliner Straßenbahn gab es auf der Benzolbahneinen Entfernungstarif. Die Linie begann auf demBahnhofsvorplatz von Spandau-West, führte durchdie Seegefelder, Potsdamer, Neuendorfer undSchönwalder Straße und dann Schönwalder Allee.An der bisherigen Straßenbahn-EndhaltestelleSpandau-Johannesstift lag die Einführung in denBahnhof der OHKB. Außer an den bereits beste-henden Haltepunkten Bürgerablage und Papenber-ge wurden zwei weitere Haltestellen Wichernstraßeund Kraftwerk eingerichtet. Die Einführung in den

Bahnhof Spandau-Johannesstift der OHKB wurdevom Aufsichtsbeamten der OHKB überwacht, undab dort ging es als gesicherte Zugfahrt nach Nie-der-Neuendorf weiter.

Auf 28. 1. 1925 ist die Genehmigungsurkunde da-tiert. Konzessionär war die AEG-Bahnabteilung,Betriebsführerin die Berliner Straßenbahn Be-triebs-GmbH, Name des Unternehmens „Spandau-West-Hennigsdorfer Kleinbahn“ und Genehmi-gungsende der 31. 3. 1945 (!).

1925 beschaffte die Berliner Straßenbahn einenweiteren Benzoltriebwagen von der Dessauer Wag-gonfabrik, der im Wagenkasten weitgehend demBerliner Straßenbahn-Typ T 24 entsprach und dieBetriebsnummer 6003 erhielt. Gemäß Gebauer sol-len die drei Triebwagen in den folgenden Jahrentäglich rund 300 km Laufleistung erbracht haben,das wären 12 Fahrtenpaare auf der Benzolbahn.Somit ist zu vermuten, daß die genannte Lauflei-stung nicht die spezifische jeden Triebwagens dar-stellt, sondern die „Flottenleistung“.

Die Berliner Straßenbahn projektierte 1928 mit ei-ner Umtrassierung der Linie 120 über die Neuen-dorfer Straße, Streitstraße und Neuendorfer Allee

und erst in Nähe des Haltepunktes Kraftwerk eineneue Einführung in die Kleinbahn-Strecke derOHKB zu bauen. Doch dazu kam es nicht.

Wie der Mitbenutzungsvertrag 1923 zustande ge-kommen war, ist unklar, doch versuchten dieOHKB, ihn kurze Zeit später wieder loszuwerden.1929 kamen AEG und OHKB endlich zu einerEinigung, der OHKB-Geschäftsbericht von 1929führt dazu aus:

„Die seit Jahren schwebenden Verhandlungen mitder AEG wegen der Auflösung des Mitbenutzungs-vertrages Spandau Johannesstift – Nieder Neuen-dorf sind abgeschlossen. U. a. werden uns die dreibisher auf dieser Linie 120 der BVG laufendenbenzol-mechanischen Triebwagen übereignet. Da-für ist bereits mit dem Bau eines Triebwagenschup-pens in Nauen begonnen worden.“

Mit der BVG schloß die OHKB im Juni 1929 einenbis zum 31. 3. 1950 befristeten (ab dann still-schweigende Verlängerung um jeweils 2 Jahre)Vertrag über die Elektrifizierung und Nutzung dervon der BVG befahrenen Strecke Johannesstift –Nieder-Neuendorf. Die BVG hatte dafür jährlich9.000 Mark zzgl. 3 Pf/Wg-km Trassengebühr zuzahlen sowie den Triebwagen 8003 und zwei Bei-wagen an die OHKB zu übereignen. Auch dieKonzession für den Abschnitt Nieder-Neuendorf –Hennigsdorf-Rathenaustraße ging auf die BVGüber.

Bereits zum 11. 11. 1929 nahm die BVG den elek-trischen Betrieb auf der Linie 120 auf, wofür siesechs Triebwagen der ehemaligen Teltower Kreis-bahnen mit Scherenstromabnehmern, breiterenRadreifen und Signalpfeifen ausrüstete. Damit gingeine Fahrplanverdichtung von 13 auf 21 Zugpaarenmit 33 Minuten Fahrzeit einher. Nach Abbruch derentbehrlich gewordenen Wagenhalle am bisherigenEndpunkt Hennigsdorf konnte die Straßenbahn-strecke am 23. 7. 1931 um 900 m bis zum BahnhofHennigsdorf verlängert werden. Ab 25. 1. 1945verkehrte die Linie nur noch zwischen Spandau-Johannesstift und Hennigsdorf und ruhte ab Mai1945 ganz.

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Rechts: Benzoltriebwagen8001 (ex 6001) amBahnhof Spandau West,1929, Foto: Friedrich Grünwald

Unten: Traktionswechselbei der Straßenbahnlinie120 im Jahre 1929. Vorder Wagenhalle inSpandau Johannesstift ste-hen einer der LHL- undder Dessauer Benzol-Triebwagen. Links wirdeiner der für den Einsatzauf Kleinbahngleisen spe-ziell präparierten elektri-schen Triebwagen derBVG präsentiert.Foto: Slg. SigurdHilkenbach

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Oben: Unmittelbar nach der Übernahme wurde Tw 2 noch mitder Betriebsnummer BVG 8002 im Bahnhof Spandau-

Johannesstift abgebildet, Foto: Slg. Joachim Rodatz

Mitte: Tw 1, Nauen, um 1935, Foto: Norbert Loßberger

Unten: Durch den entfallenen Fahrwerkschutz und diegrößeren Räder „hochbeinig“ wirkender Tw 2 mit Anhänger

um 1935 in Nauen

Triebwageneinsatz auf den OHKB

Den OHKB war es darum gegangen, im Personen-verkehr mit eigenen Triebwagen konkurrenzfähigzu sein. Neben den drei Benzoltriebwagen über-nahm man auch zwei vierachsige Beiwagen vonder BVG (Tw A 1 und 2). Dabei handelt es sich umzwei 1912 für die Uferbahn Schmöckwitz – Grü-nau gebaute Straßenbahnanhänger mit einem Fas-sungsvermögen von 100 Fahrgästen, die seit 1926abgestellt waren. Übrigens hatte die am südöstli-chen Rand Berlins gelegene Gemeinde Schmöck-witz die Uferbahn 1912 ebenfalls mit Benzoltrieb-wagen (von Deutz) eröffnet. Jene erwiesen sichallerdings dem Verkehr so wenig gewachsen, daßdie Strecke ein halbes Jahr später bereits elektrifi-ziert worden war.

Die drei rund sieben Jahre alten Benzoltriebwagenliefen nunmehr parallel zu den Dampfzügen unterdem Fahrdraht der Straßenbahn. Sie wurden fürden Kleinbahnbetrieb modifiziert. U. a. demontier-te man den Fahrwerksschutz, verbreiterte dieRadreifen auf 120 mm und veränderte die Außen-lampen sowie die Bedienelemente. Tw 1 und 2erhielten Radsätze mit 100 cm Durchmesser, stattbisher 80 cm, um in Anbetracht der flachen Topo-graphie die Geschwindigkeit anheben zu können.Interessanterweise behielt die OHKB die vom Stra-ßenbahnbetrieb übernommene leichte Mittelkupp-lung bei.

Zunächst waren alle drei Triebwagen in neuerzweifarbiger Lackierung auf den Relationen Nauen– Velten und Bötzow – Spandau eingesetzt. Dochschon 1931 wurden zwei Triebwagen und einer derTriebwagenanhänger dem separaten Betriebsmit-telbestand der Strecke Nauen – Ketzin zugeteilt. Imfolgenden Jahr meldete die Kleinbahn, daß fast dergesamte Personenverkehr auf Triebwagen umge-stellt worden sei.

Der Personenverkehr auf der Strecke SpandauWest – Bötzow ging nicht nur durch die Konkur-renz der Straßenbahn ab 1923 ständig zurück, auchdie von den OHKB 1929 eingerichtete Omnibus-linie Spandau West – Johannesstift – Schönwaldeentzog den Zügen Fahrgäste. Fuhren 1911 nochsieben Zugpaare, waren es 1929 noch drei, undMitte der 1930er Jahre verkehrte nur noch eindurchgehendes Dampfzugpaar sowie ein Triebwa-genpaar Bötzow – Nieder Neuendorf. Dort mußteman in die Straßenbahn umsteigen. Als die Omni-buslinie der OHKB 1936 bis Bötzow verlängertworden war, konnte der Personenverkehr auf derBötzow-Bahn ganz eingestellt werden. Der Güter-verkehr blieb weiterhin beträchtlich, vor allem

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durch mehrere hinzugekommene militärische An-schlüsse. Der bedeutendste war der 1938 gebautezum Fliegerhorst Schönwalde. Für das Militärper-sonal und die Zivilangestellten der Einrichtungsetzten die OHKB ab Juni 1938 eine Triebwagen-einheit mit Tw 1 auf der Direktverbindung Span-dau West – Schönwalde ein, die allerdings beiKriegsausbruch durch eine Buslinie ersetzt wurde.

Nach 1930 wurde die Ersatzteilbeschaffung für dieBenzoltriebwagen immer schwieriger. 1933 gelanges der Kleinbahn jedoch, von einer Waggonfabrik,die mit dem Material ursprünglich die Produktionvon Triebwagen aufnehmen wollte, vier kompletteAntriebseinheiten (Motor, Getriebe und Antriebs-welle) zu beschaffen, die in den folgenden Jahrenals Ersatzteilspender dienten.

Obwohl sich damals Dieselmotoren als Antriebedurchsetzten und Dieselkraftstoff wesentlich billi-ger als Benzol war, sah die OHKB von einem Um-bau der Benzoltriebwagen ab. Denn die erhebli-chen Unterschiede in den Drehzahlbereichen hättenauch den Tausch der Getriebe und somit insgesamtzu hohe Umbaukosten bedeutet. Statt dessen er-hielten 1934/35 alle Triebwagen probehalber Holz-gasgeneratoren, um die von den neuen Machtha-bern propagierte Unabhängigkeit von ausländi-schen Treibstoffen zu gewährleisten, bzw. bei ein-geschränkter Ölversorgung den Betrieb aufrechthalten zu können. Die Kraftstoffkosten konntendurch die Umstellung von Benzol auf Holzkohlehalbiert werden, was die Leistungsminderung umetwa 20 % verschmerzen ließ. Die straßenbahnbe-dingt schmaleren Fahrzeuge ließen die Anbringungder Holzgasgeneratoren seitlich neben den Wagen-kästen zu.

Der in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wiederzunehmende Personenverkehr und das Alter derTriebwagen zwang die Kleinbahn 1938, die Fahr-zeuge den erhöhten Anforderungen anzupassen.Gebauer erläuterte 1940 das Vorgehen:

„Nachdem diese Fahrzeuge nunmehr etwa 16 Jah-re ihren Dienst für öffentlichen Verkehr geleistethatten, wurde die Frage einer Neubeschaffung er-wogen. Ehe jedoch ein bestimmter Entschluß ge-faßt werden konnte, traten die bekannten Schwie-rigkeiten bei der Werkstoffbeschaffung und bei denLieferzeiten ein. Es mußte also versucht werden,die Wagen für weiteren Betrieb instand zu setzen.Da die Gesellschaft bereits in größerem UmfangeJunkers Dieselmotoren für Omnibuszwecke ver-wendete, wurde beschlossen, auch für die Triebwa-gen solche Motoren einzubauen, und so wurden zu-nächst in 2 Fahrzeugen 90-PS-Dieselmotoren ohneGetriebeänderung eingebaut.

Oben: Tw A 2 Mitte der 1930er Jahre, Nauen,Foto: Willy Esch

Mitte: Tw 1 oder 2 mit Holzgasgenerator, 12. 6. 1936, Nauen,Foto: Carl Jürgens

Unten: Tw 3 mit Holzgasgenerator, um 1934,Foto: Norbert Loßberger

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Auch die Aufbauten besonders des einen Fahrzeu-ges waren soweit abgenutzt, daß eine Erneuerungdringlich wurde. Verhandlungen mit Wagenbauan-stalten ergaben derartige Lieferzeiten, daß auf an-derem Wege Abhilfe gesucht werden mußte. Es ge-lang unter Beibehaltung des Untergestells, das sichbei genauer Untersuchung noch als betriebssicherergab, mit Hilfe einer kleinen Kraftwagenaufbau-ten-Fabrik einen zeitgemäßen Aufbau, der ganzkurzfristig lieferbar war, auf dieses Untergestell zusetzen. Dieser Aufbau hatte neben einem neuzeitli-chen Aussehen auch den Vorzug, daß er dem Ei-senbahnprofil angepaßt werden konnte, er infolge-dessen erheblich aufnahmefähiger wurde. Des wei-teren wurde ein 120-PS-Junkers-Dieselmotor ein-gebaut und ein neues Getriebe zu der Umdre-hungszahl des Motors passend von der Mylius-Ge-triebe GmbH bezogen, so daß es ermöglicht wurde,im Laufe von wenigen Monaten ein Fahrzeug zuerhalten, das voraussichtlich noch eine Anzahl vonJahren Dienst tun wird und auch in der Lange ist,2 Anhänger mitzunehmen, also beachtliche Perso-nenzahlen befördern kann.

Da nicht damit zu rechnen ist, daß sich in absehba-rer Zeit Kaufmöglichkeiten von neuen Fahrzeugenergeben werden, und da neuerdings eine erhebli-che Steigerung des Personenverkehrs eingetretenist, ist in Aussicht genommen, dieselbe Maßnahme,d. h. die Beschaffung von neuen Aufbauten auf diealten Untergestelle auch noch für den zweiten unddritten Triebwagen und für die beiden Anhängewa-gen auszuführen. Die Vorteile bestehen darin, daßzur Zeit (der Krieg war ausgebrochen, WB) über-haupt etwas geschaffen werden kann und ferner,daß die Lieferzeiten kurz sind und die Kosten weitunter denen von Neufahrzeugen liegen.“

Die OHKB bestellten 1938 zwei Triebwagen TypMosel bei der Waggonfabrik Wismar, nach derenEintreffen die alten Benzoltriebwagen ausgemu-stert werden sollten. Doch als die neuen Triebwa-gen Tw 5 und Tw 6 geliefert wurden, brach derKrieg aus, und der Personenverkehr stieg in unge-ahnte Höhen. Und kaum in Betrieb genommensetzte eine führerlose Dampflok Tw 6 am 13. 11.1939 im Bahnhof Etzin wieder außer Gefecht.Schaden: 14.000 RM. So wurde die oben beschrie-bene Modernisierung vorgenommen.

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Oben: Der „fliegende Nauener“ (der hintere Wagen),Foto: Havelländische Rundschau, 1937

Mitte: Tw 2 mit Anhänger, Nauen, ca. 1938,Foto: Peter Boehm

Unten: Tw 1 nach dem Umbau, ca. 1939/40, Foto:Verkehrstechnik 13/1940

S. 33 oben: Tw 1, 3 und 2 im Bw Nauen der OHKB, 1938,Foto: Slg. Joachim Rodatz

kleines Foto oben: Der selbe Lokschuppen am 31. 10. 1996,Foto: Joachim Rodatz

S 33 unten: Tw 1 im Winter 1938, Spandau-Johannesstift,Foto: Slg. Joachim Rodatz

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Die OHKB mußten ihren Namen 1942 weisungs-gemäß in Osthavelländische Eisenbahnen ändern.Das fortan verwendete Kürzel OHE führte späteroft zu Verwechslungen mit den 1944 entstandenenOsthannoverschen Eisenbahnen. Anders als bei an-deren Bahnen und als einige Quellen behaupten,kam der Triebwageneinsatz bei den OHKB/OHEwährend des Krieges nie ganz zum Erliegen. Nochim März 1945 war ein Exemplar im Einsatz, denndie zum Teil überalterten Dampflokomotiven ge-nügten nicht annähernd dem Umfang des großen-teils als kriegswichtig angesehenen Güterverkehrauf der Kleinbahn und den Anschlußbahnen. Oftmußten Güterzüge in zwei Teilen zum Bestim-mungsbahnhof gebracht und von der ReichsbahnLeihloks angefordert werden.

Quasi nebenbei waren überwiegend im Arbeiter-verkehr für die Rüstungsindustrie so viele Fahrgä-ste zu befördern, wie nie zuvor; 1942 waren es1.243.000. Noch vor Kriegsende war man gezwun-gen, die beiden Wismarer Triebwagen mit stärke-ren Motoren auszustatten, da sie sich mit den rela-tiv schwachen 90-PS-Junkers-Motoren den Anfor-derungen nicht mehr gewachsen zeigten. In denletzten Kriegstagen kam WHKB-Tw 4 abhanden.

Nach Kriegsende befanden sich die OHE-Triebwa-gen in der sowjetischen Besatzungszone und wur-den später von der DR übernommen. Zunächst wa-ren sie aber von 1946 bis 1949 auch auf der Rela-tion Spandau Johannesstift – Bötzow bzw. Span-dau Johannesstift – Hennigsdorf (Ersatz für die imApril 1945 eingestellte Straßenbahnlinie 120) ein-gesetzt. Von 1949 bis 1952 kam es infolge derSpaltung Berlins und verschiedener Gleisdemonta-gen auch zur Trennung des östlichen und westli-chen Verkehrsgebietes der Bötzow-Bahn unddurch den Bau des Havelkanals zur Stillegung desAbschnitts Bötzow – Nieder Neuendorf auf DDR-Gebiet.

Unter Treuhandschaft des Berliner Senats führteeine in Spandau-Johannesstift gebildete Betriebs-verwaltung den Betrieb des in Berlin befindlichenTeils der ehemaligen OHE. Hier endete am 21. 8.1950 der Personenverkehr. Bis dahin fuhr manzwei Zugpaare am Tag von Spandau West nachNieder Neuendorf, wo Anschluß nach Nauenbestand, nun von der Deutschen Reichsbahn betrie-ben.

Über Schicksal und Einsatz der alten Kleinbahn-triebwagen unter der Ägide der Deutschen Reichs-bahn gibt es nur wenige und z. T. widersprüchlicheAngaben. 1953 begann der Umbau der ZweiachserTw 1 und 2, in dessen Ergebnis bis 1957 zweiTriebwagen entstanden, bei denen Rahmen undWagenkästen so weitgehend erneuert worden seinsollen, daß man fast von einem Neubau ausgehenkann.

Oben: TwA 2 nach dem Umbau, ca. 1940, Foto: Delius

Mitte: Tw 3 unterwegs von Nauen nach Spandau-Johannesstift, 1944, Foto: Slg. Joachim Rodatz

Unten: Tw 3 nach einem 1944 erlittenen Unfall bei Bötzow imBahnhof Spandau-Johannesstift. Der Triebwagen wurde repa-

riert. 1949 übernahm in die DR als als 133 503,Foto: Slg. Joachim Rodatz

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Rätselhaft ist das Schicksal des ehemaligen Tw 3.Auch er war 1940 für eine Modernisierung vorge-sehen, deren Ausführung jedoch zweifelhaft ist.Auch ist nicht bekannt, ob die OHE ihn nach einem1944 erlittenen schweren Unfall instand setzenkonnte. Obwohl er 1949 die DR-Nummer 133 503bekam, lassen sich keine Hinweise auf seinen Ein-satz finden. 1955 wurde er ausgemustert. Sowohlzu Tw 2 als auch zu Tw 3 findet sich der Hinweisauf einen Einsatz nach der Ausmusterung als Auf-setzwagen für den Plattformbetrieb der Oberweiß-bacher Bergbahn. Es könnte sich jedoch bei einemder Wagen um eine Verwechslung handeln. Belegtist, daß 1960 ein ehemaliger OHKB-Triebwagenmit 24 Sitzplätzen bei der Bergbahn vorhandenwar. Ein Foto zeigt einen Wagen, dessen Äußeresnoch weitgehend dem Zustand nach der Moderni-sierung von 1940 entspricht. Da die Aufsetzwagennicht als Fahrzeuge, sondern als Geräte ohne Be-triebsnummern geführt wurden, läßt sich die Iden-tität nicht mehr ermitteln.

Auch über den Verbleib der modernen TriebwagenNr. 5 und 6 vom Typ Mosel liegen nur spärlicheInformationen vor. Beide erhielten 1949 DR-Num-mern, doch Ex-Tw 6 wurde, obwohl erst 1967 offi-ziell ausgemustert, bereits 1955 abgestellt. Derehemalige Tw 5 bekam anscheinend nochmalsneue Motoren, denn spätestens ab 1960 war er mitzwei 150-PS-Deutz-Motoren unterwegs. Er kamjedoch nicht mehr auf seiner Heimatstrecke zumEinsatz, sondern auf Strecken östlich Berlins, wur-de 1966 abgestellt und vier Jahre später ausgemu-stert.

Mitte: Tw 1 nach dem weiteren Umbau 1957 durch das RawDessau als Triebwagen DR VT 135.501“, Bw Luckau, 15. 5.1966, Foto: Günter Fiebig

Unten: Der eh. Tw 2 oder 3 als Aufsetzwagen der Oberweiß-bacher Bergbahn, 20. 5. 1974, Foto: Henkel

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Auch auf den beiden Strecken der WHKB kam ab 1927 einTriebwagen zum Einsatz, der zwar Eigentum des Kreises

Westhavelland war, aber als Tw 4 in das Nummernschemader Betriebsführerin integriert wurde. Hierbei handelt es sich

um ein besonderes Exemplar, das einen Markstein in derTriebwagengeschichte darstellte. Hinter der Fabriknummer

148 verbarg sich nämlich der erste Triebwagen der Deut-schen Werke Kiel (DWK), der 1921 noch in der typischen

Spitzmaus-Form an die niederländische DampfstraßenbahnLESM geliefert worden war, die ein Jahr später in der LTMaufging. Man war jedoch mit dem zu großen Fahrzeug nicht

zufrieden. Nachdem es durch eine Dampflok beschädigt wor-den war, gab man es zurück an das Werk und beschaffte eine

kleinere Variante. Nach zwei Werksumbauten 1924 (nunFabriknummer 48) und 1927, bei denen u. a. die spitzen Stirn-

seiten begradigt wurden, kam der Triebwagen mit abermalsneuer Fabriknummer ins Westhavelland. Mit über 80 Sitz- und

Stehplätzen genügte er im normalen Verkehr auch ohneBeiwagen den Anforderungen. Im Berufs- und

Ausflugsverkehr fuhr der Vierachser mit ein oder zwei norma-len Personenwagen im Schlepp. 1938 erhielt der Triebwagen

einen Dieselmotor mit 150 PS Leistung.

Oben: Testfahrt des Ursprungswagens des Tw 4 1921 imBahnhof Kirchbarkau (Klb. Kiel – Segeberg) mit Güterwagen

Mitte: Tw 4 in Rötehof, um 1935, Slg. Wolf-Dietger Machel

Unten: Tw 5 oder 6 (Wismar Typ Mosel) in Spandau West,Foto: Peter Boehm

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Oben: Tw 5 als DR 137 523 im Raw Dessau, 1960,Foto: K. u. F. Leyer

Mitte: Hamsterzug mit Lok B.Sp. 3 im Bahnhof Spandau-WestDR, Sommer 1946, Foto: Slg. Joachim Rodatz

Unten: Wagen Ci 32, Spandau-Johannesstift, 30. 4. 1950,Foto: Norbert Loßberger

Der Personenverkehr auf den Strecken der ehema-ligen Osthavelländischen Kreisbahnen in der DDRendete am 1. 11. 1964 auf der Relation Nauen –Velten und am 22. 5. 1966 auf der StammstreckeNauen – Ketzin.

Nach der Wende versuchte die West-BerlinerOHE, die 1972 in eine Aktiengesellschaft umge-wandelt worden war, wieder im Osthavelland Fußzu fassen, war jedoch vom Pech verfolgt. Die über-raschende Schließung der Mülldeponie Vorketzin,für dessen Versorgung die Gesellschaft über dreiMillionen Mark in ein Umschlagzentrum für Preß-müllcontainener investiert hatte, brachte einen her-ben Rückschlag. Ein weiteres Debakel war derFortfall der Bedienung des Kraftwerks Oberhavelin Spandau nach dessen Schließung von einem Tagauf den anderen im Jahre 2000.

Seit zwei Jahren geht es für das Unternehmen, andem der Kreis Havelland als Zusammenschluß deralten Kreise Ost- und Westhavelland mehrheitlichbeteiligt ist, jedoch wieder bergauf. Die Hälfte desUmsatzes erzielt die OHE heute mit Baulogistik,die andere Hälfte mit Zugleistungen (z. B. Schot-terzüge für den Bau von ICE-Strecken) und denBetrieb von Anschlußbahnen. Genannt seien hierdas Güterverkehrszentrum Berlin West bei Wuster-mark, die Firma Orenstein & Koppel und diePremnitzer Industriebahn. Zukunftsorientiert sinddie Bemühungen um ein Güter-Terminal in Frank-furt (Oder) im Hinblick auf die EU-Osterweite-rung. Daß die OHE in absehbarer Zeit wieder eineStrecke mit Personenverkehr in der Region über-nehmen wird und damit zu ihren Wurzeln zurück-kehrt, ist nicht jedoch geplant.