rené küng - kunst und natur

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RENÉ KÜNG KUNST UND NATUR EINE LEBENSLANGE BEZIEHUNG CHRISTOPH MERIAN VERLAG

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Für den Künstler René Küng ist die Natur Inspirationsquelle. Hier findet er seine Materialien, deren Formensprache er aufnimmt und weiterentwickelt. Dieser Dialog führt Küng an archetypische Motive heran, die in Skulpturen von grosser Schönheit ihren Ausdruck finden. Die Publikation bietet in einem umfassenden, vor Ort entstandenen Bildteil Einblick in das Werk des Künstlers, das in der gleichnamigen Ausstellung im Park des Hofguts Mapprach im Kanton Basellandschaft zu sehen ist. Sie zeigt etwa 35 Skulpturen aus allen Schaffensphasen und hält die unerwarteten Ein- und Ausblicke auf die Skulpturen in den verschiedenen Gartenräumen fest. Ein unvergleichliches Zusammenspiel von Kunst und Natur in einem über 100 Jahre gewachsenen Kulturdenkmal wird erlebbar.

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René KüngKunst und natuR eine lebenslange beziehung

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Seit über 3000 Jahren wird in China und Indien mit Steinen Musik er-zeugt. Auch für René Küng ist es eine tiefe innere Erfahrung, dass Steine Klänge hervorbringen können; dazu braucht es nicht einmal einen Schlä-gel, denn die Klänge wohnen in seinem synästhetischen Empfinden den Steinen selbst inne: In zahllosen Variationen durchziehen sie das umfang-reiche Werk des Künstlers. Paradigmatisch ist eine bereits 1957, im Jahr der ‹Künstlerwerdung› René Küngs, entstandene Miniaturplastik, die den mythischen thrakischen Sänger Orpheus zeigt, wie er die Hörner eines Tieres zu einer Lyra formt und damit gleichsam die Musik aus der Natur hervorbringt. Später sind es die vom Wind umspielten Harfen und Lauten aus Holz oder Stein, welche die universelle Musik einfangen. Oder wie es Nicolaj van der Meulen ausgedrückt hat: «Zwischen den steinernen Saiten der Harfen spielen die Elemente ihr Lied. Wer die Skulpturen umschreitet und aufmerksam hinblickt, vermag das Gesehene auch zu hören: Küngs musikalische Bildwerke lehren uns, die Natur zu hören.» In den 1980er-Jahren löste der intensive Gesang des blinden Vor-sängers einer ägyptischen Wandertruppe, die im Rahmen der Konzert-reihe Chants sacrés du monde in einer romanischen Kirche der Provence auftrat, bei René Küng eine Art Vision aus: Er sah, wie die menschliche Stimme sich in einer Treppenlinie zum Himmel erhebt – ein Bild, das er dann in den Canti aus Holz oder Stein, später auch aus Metall, materia-lisierte. Als deren Weiterentwicklung können die filigranen Nachtmusiken der 2000er-Jahre gelten, die aus schmalen, emporstrebenden Bändern bestehen und die Assoziation an Notenlinien erwecken. René Küngs Skulpturen sprechen also nicht nur die visuelle und die taktile Sinneswahrnehmung an, von ihnen geht vielfach auch ein imagi-närer auditiver Reiz aus. In manchen Werken, wie Erntelandschaft oder Stillleben mit Zitrone, wird darüber hinaus die olfaktorische Wahrneh-mung angesprochen, und die steinerne Gemüseplatte (1986) verspricht gar gustatorische Genüsse. Wie die Sinne, so verschränken sich bei René Küng auch die künst-lerischen Gattungen. Seit den 1970er-Jahren überträgt er immer wieder die malerische Gattung des Stilllebens ins Dreidimensionale, zuerst als Guckkästchen mit hineinmodellierten Töpfen, Krügen und Vasen aus bemaltem Ton, dann als Arrangements von ausgesuchten Steinen. Seine aufragenden, filigranen Skulpturen aus Holz oder Metall wirken wieder-um wie Versuche, in die Luft zu zeichnen. René Küngs Arbeitsweise lässt sich denn auch mit der geläufigen Berufsbezeichnung ‹Bildhauer› nur ungenau erfassen. Zwar hat er eine Lehre als Steinmetz absolviert und dabei alle wichtigen Techniken der Steinbearbeitung durch Werkzeuge und Maschinen erlernt. In seiner künstlerischen Tätigkeit beschränkt er – soweit er mit Stein und Holz

Stefan HeSS

im reich der sinne

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arbeitet – seine Eingriffe mit Messer, Meissel und weiteren technischen Hilfsmitteln auf ein Minimum, sodass die ursprüngliche Form der ver-wendeten Materialien weiterhin erkennbar bleibt. Häufig besteht seine Arbeit vor allem im Arrangieren, im Komponieren von vorgefundenen Steinen und Ästen in ihrer natürlichen Gestalt. «Für mich sind die ein-zelnen Elemente wie Buchstaben», äussert sich der Künstler selbst zum behutsamen Umgang mit seinen Werkstoffen. Stets pflegt er einen inten-siven Dialog mit seinen Materialien, deren Eigenheiten und natürliche Ge-stalt die Genese eines Werkes massgeblich mitbestimmen. Entscheidend ist dabei das Sehen: Aus Erinnerungsbildern und den hinter den Werk-stoffen erkannten ‹Urbildern› formt sich im Kopf und unter den Händen des Künstlers ein neues Werk. Manche Grossplastik hat ihren Vorläufer in einem kleinformatigen Werk. Nicht selten entstehen aber die grossen Werke ohne jeglichen plas-tischen Entwurf; dem Künstler genügt dann eine flüchtige Bleistiftskizze, um die sich aus dem inneren und äusseren Sehen herausdestillierende Formgebung zu fixieren. Bei dieser fast meditativen Tätigkeit befindet sich René Küng allein im Austausch mit seinen Werkstoffen. Einzig seiner Frau Silvia billigt er zu, durch unbefangene Kommentare auf die Gestal-tung eines im Entstehen begriffenen Werkes einzuwirken, und auch dies – wie er im Gespräch schmunzelnd hinzufügt – eher widerwillig. Etwas anders vollzieht sich der Arbeitsprozess in Metall, da René Küng nur mit ‹natürlichen› Materialien und nicht – wie manch Plastiker seiner Generation – mit Industrieschrott arbeitet. Entweder dienen ihm Metalle dazu, in Stein und Holz erprobten Bildthemen neue Ausdrucks-möglichkeiten abzugewinnen und auch kleine Serien, sogenannte Mul-tiples, herzustellen. Oder sie ermöglichen es ihm dank ihrer Formbarkeit Bildideen auszudrücken, die in festen mineralischen oder organischen Substanzen kaum umsetzbar wären.

InSpIratIonen Einen massgeblichen Einfluss auf René Küngs Schaffen haben auch die Orte, die er sich zum Arbeiten und Wohnen ausgesucht hat. Allschwil und Schönenbuch, Les Bois in den jurassischen Freibergen und Le Beaucet in der Provence, aber auch vorübergehende Aufenthaltsorte wie die Balearen- Insel Ibiza, Rom, das Tessin, Irland, Nordafrika und die griechische Insel Naxos haben in René Küngs Œuvre in Form von neuen Materialien und Bildthemen einen sichtbaren, meist andauernden Niederschlag gefunden. Auf Ibiza etwa begann Küng zu zeichnen und in Ton und Holz zu arbei-ten, im Jura baute er seine ersten Skulpturen aus Tannenästen, darunter die ersten Leitern, im Tessin erschloss sich ihm der dort auf dem Land

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omnipräsente Granit als Werkstoff und in der Provence empfing er einen starken Impuls zum Arbeiten in Kalkstein und motivische Anregungen, wie etwa die Steinbücher oder die von romanischen Kirchenportalen an-geregten Tore. Erweisen sich Natur und Landschaft als prägende Faktoren im künst-lerischen Schaffen von René Küng, üben Werke anderer Künstler keinen manifesten Einfluss auf ihn aus. Zwar gibt es durchaus Bildhauer, die Küng beeindruckt haben, etwa Eduardo Chillida, in dessen Werk er sich 1962 anlässlich einer Ausstellung in der Basler Kunsthalle vertiefte, oder der Aristide Maillol sowie dem Kubismus nahe stehende Franzose Henri Laurens, doch sind auch sie für ihn zu keinen unmittelbaren Vorbildern geworden. Überhaupt veränderte sich bei René Küng das Formenvokabular nur langsam, ohne je augenfällig auf Strömungen im Kunstbetrieb zu reagie-ren. Überschaubar ist das Themenspektrum: Es umfasst ausgewählte Himmelskörper, Landschaften, Tiere und Pflanzen, mythologische und transzendente Wesen, menschliche Artefakte, wie Räder, Fenster und die bereits genannten Leitern, Bücher und Musikinstrumente, sinnträchtige oder wegweisende Zeichen, geometrische Formen, aber auch optisch nicht wahrnehmbare Entitäten, wie Jahres- und Tageszeiten oder die Musik. Im Lauf des künstlerischen Werdegangs kam es immer häufiger auch zu Motivüberschneidungen, was schon Werktitel wie Mondleiter, Fenster mit Apfel, Sonnentor und Venustor anzeigen. Eine untergeordnete Rolle als Bildthema spielt dagegen der Mensch; er erscheint nur in mythologischer Gestalt sowie in reduzierter Form als Torso, Steiwybli oder Venusdreieck. Zeichenhaft tritt auch der Künstler selbst vereinzelt in seinem Werk in Erscheinung – als Buchstabe K. Auf René Küngs Werk wurden immer wieder Begriffe wie ‹Symbol› und ‹Archetyp› bezogen. Tatsächlich sind dem Künstler kulturhistorische Bedeutungsreflexe durchaus bewusst und auch die Archetypenlehre von C. G. Jung ist ihm nicht unbekannt, doch bilden sie für ihn keinesfalls den entscheidenden Referenzhorizont. Bei allem Interesse für Literatur und Kulturgeschichte ist er kein intellektueller Künstler. Seine Arbeitsweise ist mehr intuitiv, meditativ, wobei auch eine spielerische Note mitschwingt. Ausserdem verdient die technisch-handwerkliche Seite besondere Beach-tung. So hat sich René Küng noch als junger Künstler gegenüber einem Journalisten dahin geäussert, dass jedes Handwerk eine gute Vorbereitung für einen künstlerischen Beruf darstelle und er selber die Ausbildung zum Grafiker an der Kunstgewerbeschule vor allem deshalb abge brochen habe, weil ihm ein ‹rauer› Beruf vorgeschwebt habe. Solche Äusse rungen erinnern an die Kunsttheorie der Renaissance, in der im Zusammen-hang mit dem Paragone, dem ‹Wettstreit der Künste›, die ‹difficoltà›

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(Schwierigkeit), die ‹fatica› (Anstrengung) und die ‹asprezza› (Rauheit) des bildhauerischen Berufes herausgestrichen und je nach Standpunkt positiv oder negativ bewertet wurden. So hat sich René Küng im Lauf seines Lebens ein stupendes handwerkliches Können in verschiedenen Gebieten – nament lich in der Steinbearbeitung, in der Wagnerei und im Schmieden – angeeignet; darüber hinaus zeugen etwa seine aus einzel-nen Steinstücken zusammengefügten Speichenräder von hervorragenden konstruktiven Fähigkeiten. Wichtige Kenntnisse hat er während seiner Steinmetzlehre erworben – neben verschiedenen Techniken der Stein bear-bei tung auch das Herstellen von Werkzeugen und damit Grundlagen des Schmiedehandwerks. Viele Fertigkeiten hat er sich überdies durch Beob-achten – etwa von spanischen Schiffbauern – oder schlicht durch ‹lear-ning by doing› angeeignet: Künstlerische und handwerkliche Kreativität lassen sich bei René Küng nicht voneinander trennen. Wiewohl der Künstler in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiern kann, sind seine Schaffenskraft und die Lust ungebrochen, seinen Werk-stoffen und seiner Umgebung im Zwiegespräch immer wieder neue Facet-ten abzugewinnen. Auf die Frage, wohin das beharrliche Weiterschreiten und behutsame Erweitern der Werkfolgen noch führen werden, scheint es nur eine Antwort zu geben, wie sie Aurel Schmidt bereits 1983 formuliert hat: «Zurzeit ist alles offen».

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a contre-vent2012, Granit (Lavorgo), 155 × 120 × 19 cm

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BLaueS Mondtor2012, Quarzit, 162 × 40 × 26 cm

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venuSSäuLe1999, Granit (portugal) / Bronze, 230 × 33 × 33 cm

dreIeck2014, Granit (Lavorgo), 156 × 142 × 21 cm

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ScaLaruota2004, kalkstein, 153 × 90 × 20 cm

nacHtkreISzeIcHen 2002, Holz (kirschbaum), 240 × 230 × 90 cm

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I Sette dIavoLI2009, Granit (andeer), 205 × 120 × 75 cm

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MondLeIter 2014, Holz (tanne), H 450 cm

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GroSSe venuS1991, Granit (andeer), 130 × 163 × 24 cm

LunatIco2014, Granit (andeer), 210 × 67 × 30 cm

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SaHara varIatIon2006, eisen, 130 × 180 × 110 cm

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