rund 700 kreative aus in der golden gallery werden ... · die totale transparenz, multi-funktionale...

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Foto: Delfino Sisto Legnani and Marco Cappelletti, Courtesy of OMA 116 FOCUS 20/2018 FOCUS 20/2018 117 LEBEN In Kopenhagen versucht das Büro des Star-Architekten Rem Koolhaas, die Zukunſt der Urbanität neu zu vermessen. In den Hauptrollen: Stahl, Beton, Glas. In der Nebenrolle: der Mensch Das Leben als Peepshow TEXT VON ULRIKE PLEWNIA Arbeiten Rund 700 Kreative aus Architektur und Design begegnen und vernetzen sich im „Blox“ Kunst In der Golden Gallery werden Ausstellungen präsentiert, derzeit Arbeiten von Olafur Eliasson Wohnen im Niedrigenergiehaus 22 Apartments, zwischen 100 und 200 Quadratmeter groß, rund 3300 bis rund 4000 Euro Monatsmiete ARCHITEKTUR

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LEBEN

In Kopenhagen versucht das Büro des Star-Architekten Rem Koolhaas, die Zukunft der Urbanität neu zu vermessen. In den Hauptrollen: Stahl, Beton, Glas. In der Nebenrolle: der Mensch

Das Leben als Peepshow TEXT VON ULRIKE PLEWNIA

ArbeitenRund 700 Kreative aus

Archi tektur und Design begegnen und vernetzen sich im „Blox“

KunstIn der Golden Gallery werden

Ausstellungen präsentiert, derzeit Arbeiten von Olafur Eliasson

Wohnen im Niedrig energiehaus

22 Apartments, zwischen 100 und 200 Quadratmeter groß, rund 3300

bis rund 4000 Euro Monatsmiete

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118 FOCUS 20/2018 FOCUS 20/2018

Sie trainieren am per-fekten Platz. Jeden-falls für Exhibitio-nisten. Das tiefgrüne Wasser des Hafens von Kopenhagen im Blick, schwitzen die

sehnigen Selbstoptimierer auf Laufbändern direkt vor den Augen von Flaneuren, die am Quai entlangschlendern. Auch Besucher im Inneren des komplett gläsernen Gebäudekomplexes „Blox“ beobachten sie durch die Scheiben. Die Architektin Ellen van Loon findet das „super“.

Die totale Transparenz, multi-funktionale Nutzung von Flächen, das Ineinanderübergehen von Räumen, das sei Prinzip. „,Blox‘ ist ein Haus für die Generation Selfie, für junge Leute. Die stellen sich gern zur Schau. Sie kommu-nizieren ständig miteinander.“

In der Tat ist „Blox“ mehr als ein Gebäude, es ist ein architek to-nisches Statement und ein städte- bauliches Experiment. Eine Pro-vokation, die in der 600 000-Ein-wohner-Stadt zwischen Öresund und Ostsee heftig diskutiert wird. Van Loon, Partnerin im Rotter-damer Office for Metropolitan Architecture (OMA), möchte zu Diskussionen anregen. Sie plan-te das Projekt zwölf Jahre lang. Am vergangenen Wochenende hat es eröffnet, rund 17 000 Besu-cher kamen. Bei einem Rundgang erklärt sie ihre Intentionen.

Etwas Gefälliges passte für die Star-Architekten um OMA-Alt-meister Rem Koolhaas nicht an jenen Bauplatz. Ein brutal urba-ner Ort, nahe dem Schloss Christi-ansborg mit Parlament und Regie-rung, an der einst arbeitsintensiven Hafenfront. Dazu eine verkehrs-reiche Straße, an der sich das ver-schachtelte Glasgebäude ausbrei-tet, mal düster, monströs wirkend, mal hell und elegant glänzend, je nach Wetter und Licht.

Statt eines hübschen Hauses entwarf OMA Kisten über Kis-ten. Glas, Stahl, Beton, kaum Holz, wenig Farbe. Der Bau soll die Arbeit zelebrieren, sie gleich-sam ausstellen, proklamiert van Loon. Mit „warmer“ dänischer

Hygge-Gemütlichkeit hat das nichts zu tun. Vielmehr setzen die OMA-Planer im Innern auf nüchterne Materialien wie Gitter-rost-Wände, beim Spielplatz auf dunklen Gummi. Sie frönen einer technoiden Industrieästhetik, die bereits 1992 in ihrer Rotterdamer Kunsthal begeisterte – oder irri-tierte.

Für den Bauherrn Realdania passt das. Die Stiftung beschäf-tigt sich mit dem Trendthema Nachhaltigkeit und nahm die Herausforderung an, den lange nur als Parkfläche und Spielplatz genutzten Raum für die Stadt zurück zugewinnen. Just dort, wo seit 1960 rund 70 Bauversuche gescheitert waren, steht jetzt ihr Konglomerat aus Kuben.

Entrée ganz unten und Ausstel-lungsflächen, Café und Büroräu-men auf mehreren Ebenen im ganzen Haus. Durch diese Anord-nung ergeben sich Begegnungen, mehr Zusammenarbeit, hofft die Planerin. „Wie eine Krake soll das DAC seine Arme in andere Berei-che ausstrecken, die anderen mit Architektur verseuchen.“ Auch wenn die Wortwahl unglücklich erscheint, Ellen van Loon bleibt dabei: „Blox“ sieht sie als Versuch, mit Räumen innovativ umzuge-hen, ein Kontrapunkt zu introver-tierten dänischen Gebäuden.

Am liebsten hätte sie (fast) alle Abgrenzungen weggelassen, die Türen stünden immer offen.

Leben und Arbeiten als Peep-show. Absolute Offenheit kann auch totale Kontrolle bedeuten, doch das scheint die Architek-tin nicht zu stören. Dass jegli-che Privatheit für die Arbeitneh-mer wegfällt, irritiert van Loon nicht. Einige Co-Worker haben den Luftraum über ihren Tischen schon mit Kunststoffwänden abgetrennt.

Van Loon erzählt, dass sie als Siebenjährige in ein Internat kam. Seither könne sie sich „überall konzentrieren“, sagt die Verfech-terin von Großraumbüros, die in ihrer Profession ohnehin Standard sind. Sie gibt aber auch zu, dass sie sich zum Schreiben von Texten gern in ihr Zimmer zurückzieht.

Flexible Nutzungen, fließende Grundrisse. Von diesem Architek-tentraum, den schon Mies van der Rohe und Le Corbusier verfolgten, lässt sie nicht ab. Wie und ob ihre Visionen sich erfüllen, wird sich bald zeigen. Aus Erfahrung weiß die 55-Jährige, dass Nutzer ein Jahr brauchen, um das Potenzial ihrer Räume zu erkennen.

Konventionen sollte man auch mal über Bord werfen, fordert Ellen van Loon. Die Dänen kämen ihr eher steif vor. In einer Podi-umsdiskussion über Städtebau kritisiert die selbstbewusste Frau deren „Konsensgesellschaft“. In der gleichen Runde erzählt sie, wie sie und ihre Mitarbeiter nach der Preview und dem fei-nen Mittagessen mit Königin

Das Glashaus „Blox“ ist ein Generalangriff auf die dänische Hygge-Philosophie

Provokation Der neue Komplex „Blox“ am Hafen von Kopenhagen überspannt eine Straße

Mitmachkunst Eine Besucherin im „Shadow Room“ von Olafur Eliasson

Transparenz Van Loon setzt auf Blickachsen im ganzen Gebäude

Chefplanerin Architektin Ellen van Loon entwarf „Blox“. Sie ist die

einzige Frau unter neun OMA-Partnern

Treppenhaus Der Design-

Store ist stufenförmig

angelegt

Krake Die Räume des

Architektur-zentrums ziehen

sich durch den ganzen Bau

Rückzug Auf der dritten Etage residiert

die Co-Working- Community von

„Blox Hub“

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„Blox“ ist ein Megaprojekt mit 27 000 Quadratmeter Nutzfläche, in dem unterschiedliche Mieter der Kreativbranche logieren: das Dänische Architektur Zentrum (DAC), das Dänische Design Zen-trum, „Blox Hub“, eine Co-Wor-king-Gemeinschaft, „Blox Eats“, ein Ableger von Claus Mey-ers Gourmetlokal „Noma“ mit Außenterrasse, der Fitness-Club, ein Spielplatz und, ganz oben, 22 Apartments zum Mieten.

Ein Tempel für ExhibitionistenIm Zentrum befindet sich das Architekturmuseum DAC. Es zeigt eine eher brave Schau über Wohnungsbau in Dänemark. Das Museum beansprucht den meis-ten Platz, mit einem großzügigen

Millionen Euro

kostete das multifunktionale

Gebäude auf einem schwierigen

Bauplatz

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120 FOCUS 20/2018

Mar grethe die restlichen Wein-flaschen leerten. Zum ersten Mal konnten die beiden Chefplane-rinnen van Loon und Adrianne Fisher und einige Mitarbeiter ihr Projekt genießen, auf einer Ter-rasse sitzend, den blauen Himmel über sich. Als van Loon von oben hi nunterblickt und die he raus-schießenden Autos sieht, freut sie sich: Das habe was Zenartiges.

Ellen van Loon ist ein offe-ner, kommunikativer Mensch, so wie jene, die sie sich im „Blox“ als Kreative wünscht. Die Frau wirkt sympathisch und nahbar, obwohl sie bei OMA 50 Pro-zent des Umsatzes betreut, dar-unter Prestigeprojekte wie das Außenministerium in Den Haag und die Nationalbibliothek von Katar. Manche sehen van Loon als wichtigste Galionsfigur bei OMA neben Rem Koolhaas, 74 – oder gar als dessen Nachfolgerin.

Privatsphäre nur auf der ToiletteEllen van Loon hilft, dass sie weiß, wie die jüngere Generation tickt. Das erfährt sie von ihren Töchtern, die 16 und 19 Jahre alt sind. Weil die Architektin selten zu Hause ist, firmiere sie als „Sugarmama“. Oft spendiere sie Karten für Kon-zerte, sogar für Raves, die sie dann besuchen. Für ihre Arbeit an The Factory in Manchester erkundet sie, warum die Jungen einige Locations cool finden.

Eine Befreiung vom oft be-schränkten Denken ihres Hei-matlands brachte van Loon, die in ihrer Geburtsstadt Rotter-dam ein Baudenkmal aus dem 19. Jahrhundert bewohnt, ausge-rechnet ein Auslandsaufenthalt in Deutschland: von 1991 bis 1996 arbeitete sie in Berlin, zuletzt mit Norman Foster am Umbau des Reichstags. Auf die Expertise deutscher Ingenieure schwört sie seitdem. Und schwärmt von dem „Blox“-Parkhaus deutscher Prove-nienz. Vollautomatisch werden 350 Autos untergebracht und bewegt.

Und dann zeigt die Architektin das Design eines Ortes, der in die-sem Hort des Zukünftigen beina-he klassisch wirkt: die schicken, schwarz-weißen Toiletten, unisex, wie in Dänemark üblich, aber mit durchgezogenen Wänden. Privat-sphäre, ganz altmodisch. n

Swinging SixtiesÜberall in der dänischen Kapitale trifft man auf Ikonen wie den Panton Chair.

Junge Designer beleben die Klassiker neu

StillebenToller Shop für Leuchten,

Keramik, Textilien vom gleichnamigen Design-Duo

Illum BolighusWenn es um Wohndesign geht, führt hieran kein Weg

vorbei: Das Kaufhaus von 1925 im Strøget bietet das Beste aus Skandinavien

Louisiana35 Kilometer nördlich: das

bedeutendste Museum für

moderne Kunst in Dänemark.

Einfach schön

COOLE LÄDEN FÜR SCHÖNE DINGE

„Paté Paté“Superbeliebtes Restaurant im Meat Packing District. Mediterran-orientalische Küche. Tapas-Prinzip, also kleine Teller, viel probieren und tauschen. Exzellente Fischgerichte, guter Wein

„Hotel Alexandra“Ideal für Retro-Freaks und Freunde skandi- navischen Designs. Alle Zimmer sind mit Originalen aus den 50ern und 60ern möbliert. Zentrale Lage unweit vom Rathaus

Meat Packing DistrictNach New Yorker Vorbild: Wo sich heute ein hippes Publikum vergnügt, wurde einst geschlachtet. Die Ausgehgegend. Markt, Bars und Lokale mit Namen wie „Fleisch“, „BioMio“ und „Mother“

„Axel Guldsmeden“ Dezentes Bali-Flair und dänische Behaglichkeit im leicht angeranzten Bahnhofsviertel. Geschmackvoll, gastlich, originell. 202 Zimmer, Spa, schöne Lounge und Bar zum Entspannen

ESSEN HOTELS

KlassikerAuch diese

Bodenlampe ist ein Klassiker: Sie wurde

1960 von Arne Jacobsen entworfen und wird von Louis Poulsen hergestellt

Kopenhagen

Besuch im Design-

Hotspot Shoppen, flanieren,

essen in der Kapitale

EmmaDie Stelton-

Kaffeekanne, neu interpretiert,

pastellfarben, rundlicher – New

Danish Design

„Noma“Eines der besten

Lokale der Welt. Die Gründer René

Redzepi und Claus Meyer zelebrieren nordische Küche

Das Leben ist schön.Wenn man weiß, wie es geht.

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