rundbrief juni 2015
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IIAALLAANNAA RRUUNNDDBBRRIIEEFF
Juni 2015
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA)
Präsident der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms:
Christopher Gregory Weeramantry Vizepräsident des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag i. R.
Träger des Alternativen Nobelpreises 2007
IALANA Geschäftsstelle Marienstr. 19-20 10117 Berlin
Tel.: (030) 20654857 Fax: (030) 20654858 E-Mail: [email protected] Homepage: www.ialana.de
Bankverbindung: IBAN: DE 64533500001000668083 BIC: HELADEF1MAR Sparkasse Marburg-Biedenkopf
Als gemeinnützig anerkannt durch Bescheide des Finanzamtes vom 21.02.90, 08.09.93, 26.02.97, 19.07.02, 15.11.05, 02.05.08, 06.06.11 u. 02.12.14. St.-Nr. 3125006329.
VORSTAND:
Vorsitzender:
Otto Jäckel Rechtsanwalt, Wiesbaden
Schatzmeister:
Dr. Peter Becker Rechtsanwalt, Lohfelden
Wolfgang Alban, Richter i.R., Berlin
Gerhard Baisch, Rechtsanwalt, Bremen
Jenny Becker, Berlin
Sören Böhrnsen, Rechtsanwalt Bremen
Dr. Philipp Boos, Rechtsanwalt, Berlin
Dr. Robin Borrmann, Frankfurt/Oder
Tomislav Chagall Rechtsreferendar, Frankfurt
Bernd Hahnfeld, Richter i. R., Köln
Prof. Dr. Hans-Joachim Heintze Bochum
Katja Keul Rechtsanwältin, Nienburg/ MdB
Prof. Dr. Martin Kutscha, Berlin
Prof. Dr. Manfred Mohr Völkerrechtler, Berlin
Jonas Popal, Bremen
Karim Popal ,Rechtsanwalt, Bremen
Dr. Ursel Reich, Berlin
Sabine Stachwitz Staatssekretärin a.D., Berlin
Eckart Stevens-Bartol Richter i. R., München
WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT:
Prof. Dr. Michael Bothe, Frankfurt
Prof. Dr. Wolfgang Däubler, Bremen
Dr. Dieter Deiseroth, Leipzig Bundesverwaltungsrichter
Prof. Dr. Erhard Denninger, Frankfurt
Dipl.-Pol. Annegret Falter, Berlin
Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano Völkerrechtler, Bremen
Prof. Dr. Martina Haedrich, Jena
Dr. Felix Hanschmann, Karlsruhe
Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg
Hans-Christof von Sponeck, Müllheim Beigeordneter des Generalsekretärs
der Vereinten Nationen
apl. Prof. Dr. Carmen Thiele Frankfurt/Oder
Prof. Dr. Herbert Wulf, Pinneberg
Geschäftsführer: Reiner Braun, Berlin
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde und Förderer der IALANA,
„Ihr Brief trifft mich wieder bei der Ilias! Das Studium derselben hat mich immer in
dem Kreise von Entzückung, Hoffnung, Einsicht und Verzweiflung durchgejagt, “
schreibt Goethe am 16. Mai 1798 an Schiller. Weiter heißt es: „Ich bin mehr als
jemals von der Einheit und Unteilbarkeit des Gedichts überzeugt, und es lebt
überhaupt kein Mensch mehr und wird nicht wieder geboren werden, der es zu
beurteilen imstande wäre“.
Ein Jahr später am 2. April 1799 übersandte er Schiller den ersten Gesang einer
eigenen Achilleis, mit der er an die Ilias von Homer anknüpfen wollte: „Ich schicke
das Manuscript, damit Sie es selbst lesen und ihm schärfer ins Auge sehen. Ich
habe den besten Muth zu dieser Arbeit und ersuche Sie um fortdauernden
Beistand.“
Auf seiner Italienreise 1786 hatte Goethe mit seiner Iphigenie auf Tauris schon
eine in Versen verfasste deutsche Nachdichtung der Orestie des Euripides
geschaffen.
Ohne die Literatur, das Theater, die Philosophie und die Wissenschaften der
griechischen Antike wäre die europäische Kultur gar nicht denkbar. Ohne
griechische Klassik keine Weimarer Klassik!
Allerdings gerät die von Griechenland ausgehende imaginierte kulturelle
Gemeinschaft der Europäer derzeit kräftig unter die Räder. Seit dem Beginn der
Finanzkrise 2009 werden die Mitgliedstaaten der EU nur noch nach ihrer
Funktionalität im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM
beurteilt. Alleiniges Kriterium ist, wie das von Milton Friedman in Chicago
verfasste und von dem Diktator Pinochet nach dem Putsch in Chile am 11.
September 1973 erstmals in reiner Form in die Praxis umgesetzte neoliberale
Bekenntnis des Glaubens an die Dreifaltigkeit: Rückführung der Staatsquote,
Privatisierung staatlicher Aufgaben und Deregulierung des Kapital- und
Arbeitsmarkts befolgt wird.
Mit der Losung „pacta sunt servanda“ wird dabei die neue Griechische Regierung
an den von den Vorgängerregierungen eingegangenen Verpflichtungen
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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festgehalten. Ein eigener Haushaltsspielraum der Regierung Griechenlands zur Linderung der durch die
Austeritätspolitik der Troika eingetretenen sozialen Not und damit ein Mindestmaß an nationaler Souveränität
steht heftig im Streit.
Wie es umgekehrt um die Validität und Durchsetzbarkeit von Forderungen bestellt ist, die Griechenland seit dem
II. Weltkrieg gegen Deutschland erhebt, ist Gegenstand einer aktuellen Auseinandersetzung, zu der wir mit
unserer Veranstaltung am 12. Mai 2015 im Festsaal der Humboldt-Universität einen wichtigen Beitrag geleistet
haben.
Was wir dort zu sagen hatten wurde aufmerksam registriert. Die Anwesenheit des ehemaligen deutschen
Botschafters in Griechenland und Co-Autors des derzeit am meisten verkauften Sachbuchs über die Krise in
Griechenland, Schultheiß, und des völkerrechtlichen Beraters der Bundesregierung, Prof. Tomuschat im Publikum
spricht ebenso für sich wie die Berichterstattung über die von Dieter Deiseroth vorgetragenen rechtlichen
Bewertungen im „Spiegel“.
Wir haben als IALANA Deutschland damit erneut gezeigt, dass wir dazu in der Lage sind, aus eigener Kraft solche
attraktiven Veranstaltungen zu organisieren und uns erfolgreich in den politischen und rechtspolitischen Diskurs
einzumischen.
In diesem Rundbrief finden Sie weitere Dokumente unserer Aktivitäten. Ihre Aufmerksamkeit möchte ich
besonders auf die vor uns stehende Diskussion über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu
Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik aus Anlass der jüngsten Entscheidung zum Waffenhandel am 12. Juni in
Berlin und auf unsere große Veranstaltung „Unser Nachbar NSA“ am 11./12. September in Wiesbaden sowie auf
die diesjährige Verleihung des Whistleblowerpreises im Oktober lenken.
Tragen Sie bitte durch Ihre aktive Beteiligung und persönliche Anwesenheit dazu bei, dass diese Veranstaltungen
zu großen Erfolgen werden.
Insbesondere bitte ich Sie sehr eindringlich auch um Ihre finanzielle Unterstützung. Wie Sie wissen, können wir
alleine aus den Mitgliedsbeiträgen weder unsere Geschäftsstelle mit den unverzichtbaren und unermüdlichen
Helfern, die unserem Geschäftsführer Reiner Braun zur Seite stehen, noch unser jährliches
Veranstaltungsprogramm stemmen. Dass die Mitglieder des Vorstands der IALANA sich allesamt ehrenamtlich
und ohne Kostenerstattung engagieren, ist mit Blick auf andere Organisationen der Zivilgesellschaft nicht
selbstverständlich und soll daher nicht unerwähnt bleiben. Jeden Euro, den Sie spenden, finden Sie als Gegenwert
auf unseren Veranstaltungen und in unseren Veröffentlichungen wieder.
What you see is what you get!
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Otto Jäckel
Editorial Team: Reiner Braun, Pascal Luig, Amela Škiljan, Lucas Wirl
Marienstraße 19-20
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Deutschland
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JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Vorankündigung:
Unser Nachbar NSA
Geheimdienste - Ausspähung von Bürgerdaten und „Intelligenter Krieg“
Tagung der IALANA in Wiesbaden
Spiegelsaal Walhalla
Mauritiusstr. 3a, 65183 Wiesbaden
(Informationen Stand: 25.05.2015; Programm wird Ende Juni veröffentlicht) Freitag, 11. September 2015 19.30 – 22.30 Uhr: öffentliche Veranstaltung Moderation: Otto Jäckel, Rechtsanwalt in Wiesbaden und Berlin, Vorsitzender der IALANA Referenten: - Wolfgang Neškovid (Richter am BGH a.D.): Parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste (Arbeitstitel) - Marcel Rosenbach (Journalist, Der Spiegel): Was wissen wir über die nachrichtendienstlichen Aktivitäten der NSA in Deutschland, speziell im Raum Frankfurt/Main, Wiesbaden und Mainz? (angefragt) - Christian Fuchs (Journalist, Die Zeit): Zur Rolle des US-AFRICOMMAND in Stuttgart und der US-Base Ramstein beim Einsatz bewaffneter Drohnen - Dr. Dieter Deiseroth (Richter am BVerwG): Nachrichtendienstliche Aktivitäten und das Recht Anschließend Diskussion mit den Referenten Samstag, 12. September 2015 Öffentliche Arbeitstagung „Nachrichtendienstliche Überwachung und ‚intelligenter’ Krieg“ Kurzvorträge mit jeweils anschließender Diskussion: 10.00 Uhr bis 13.30 Uhr Marcel Rosenbach (Journalist, Der Spiegel): Zur Rolle des US-European Headquarters und des Consolidated Intelligence Centers in Wiesbaden (angefragt) Wolfgang Neškovid (Richter am BGH a.D.): Zur Rolle des Geheimschutzbeauftragten (Arbeitstitel) Rolf Gössner (Rechtsanwalt, Vize-Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte): Wettrüsten im globalen Informationskrieg der Geheimdienste und schleichende Militarisierung der „Inneren Sicherheit“: Neue Sicherheitsarchitektur für den alltäglichen Ausnahmezustand?
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Prof. Stefan Katzenbeisser (TU Darmstadt): Möglichkeiten und Grenzen des Schutzes der Privatsphäre durch Technik gegen nachrichtendienstliche Ausspäh-Risiken Dieter Deiseroth (Richter am BVerwG): Rechtliche Rahmenbedingungen der Ausspähaktionen ausländischer und deutscher Nachrichtendienste – Rechtspolitischer Handlungsbedarf? 13.30 – 14.30 Uhr: Mittagspause 14.30 Uhr – 15:30 Uhr Dietrich Meyer-Ebrecht (Stellvertretender Vorsitzender des FIfF): Was ist die wissenschaftlich technische Basis (Informatik) für die nachrichtendienstlichen Überwachungen? Dr. Sandro Gaycken (Senior Researcher Cybersecurity & Cyberstrategy / ESMT European School of Management and Technology): „Nachrichtendienstliche Überwachung und ‚intelligenter‘ Krieg“ 15.30 – 17.00 Uhr Fortsetzung Vorstellung von Bürgerinitiativen
- Die Datenschützer Rhein Main - Humanistische Union (HU) - Forum InformatikerInnen für Frieden (FIfF)
17.00 Uhr Schlusswort Otto Jäckel, Rechtsanwalt in Wiesbaden und Berlin, Vorsitzender der IALANA Anmeldung per E-Mail an [email protected]
Whistleblower Preisverleihung 2015
In diesem Jahr 2015 steht die nächste Verleihung unseres Whistleblower-Preises an, der von IALANA und VDW gestiftet worden ist und seit 1999 im Zweijahres-Turnus verliehen wird. Er ist mit 3.000,-- Euro dotiert und kann durch private Zustiftungen aufgestockt werden. I. Als vorläufiger Termin für die Verleihung ist Freitag, der 16. Oktober 2015 in Aussicht genommen. Der Ort der Preisverleihung steht noch nicht fest. II. Jury-Mitglieder Unsere Jury besteht jetzt aus folgenden Personen: Gerhard Baisch, Rechtsanwalt, Bremen (IALANA) Christine Vollmer, Rechtsanwältin, Bremen (IALANA) Prof. Hartmut Grassl, Hamburg (VDW) Dr. Angelika Hilbeck, Zürich (VDW) Dr. Dieter Deiseroth, Leipzig/Düsseldorf (VDW und IALANA)
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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III. Arbeitsgrundlagen Der Jury-Arbeit zugrunde liegt die Basis-Vereinbarung zwischen VDW und IALANA über die Verleihung des Whistleblower-Preises. Die Entwicklung unserer bisherigen mehr als 15jährigen Aktivitäten zur Verleihung des Preises sind auf der IALANA-Homepage dokumentiert unter - http://www.ialana.de/arbeitsfelder/whistleblowing/whistleblower-preis Dort finden sich auch nähere Hinweise zu den jeweiligen Doku-Büchern zur Preisverleihung. Weitere Infos enthält ein Artikel, den Richter a.D. Bernd Hahnfeld (IALANA) verfasst hat: http://www.ialana.de/files/pdf/arbeitsfelder/whistleblowerpreis/W&F-Whistleblowerpreis-1.pdf IV. Kandidatenauswahl Alle Mitglieder und Freunde der IALANA haben die Gelegenheit, Ihre Anregungen und Vorschläge für Kandidaten/innen per E-Mail mit - Name, Vorname, Alter, Profession des/der Vorgeschlagenen - Kurzbegründung für den jeweiligen Vorschlag im Hinblick auf die vier Einzelkriterien unserer Basis-Vereinbarung an die Jury zu übersenden.
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Griechenlands aktuelle Entschädigungsforderungen an Deutschland und das
Recht – Veranstaltung der IALANA am 12.05. in Berlin
Wer als Staat gravierende Völkerrechtsverletzungen begeht, muss wissen, dass er für die daraus resultierenden
materiellen Schäden auch finanziell aufzukommen kommen hat. Das kann dazu beitragen, sich künftig
völkerrechtskonform zu verhalten.
Von Links: Prof. Dr. Rosemarie Will, MdB Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE), RA Otto Jäckel, MdB Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen), Prof. em.
Dr. Hagen Fleischer; ©Lucas Wirl
Wir sind davon überzeugt, dass es eine friedlichere Welt ohne Stärkung des Rechts nicht geben kann. Dafür
setzen wir uns ein – auf vielen Ebenen und Themenfeldern. Dabei bewegt uns auch die Frage, welche Rolle die
Geltendmachung und Durchsetzung finanzieller Ansprüche von Opfern militärischer Maßnahmen für die
Delegitimierung von Kriegen und die Verhinderung künftiger militärischer Konflikte spielen können.
Dies betrifft nicht nur das Einklagen von Amtshaftungsansprüchen vor deutschen Gerichten, wie im Falle des
Kosovo-Krieges ("Brücke von Vavarin") und des Afghanistan-Krieges ("Kundus-Massaker"). Das gilt auch für
Entschädigungsansprüche von Einzel-Opfern (wie z.B. im Falle des NS-Massakers in Distomo/Griechenland) und
staatliche Zahlungsansprüche. Aktuell geht es dabei u.a. um die Forderung der griechischen Regierung auf
Rückzahlung des NS-Zwangskredits von knapp 500 Millionen Reichsmark, der heute umgerechnet einen Wert von
ca. 11 Milliarden Euro haben soll. Die deutsche Bundesregierung entzieht sich einer Rückzahlung – wie ihre
Vorgängerinnen seit 1949 – weiterhin mit historisch und rechtlich fragwürdigen Argumenten. Das wollen und
können wir nicht hinnehmen. Wir suchen deshalb den öffentlichen Dialog mit der Politik.
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Am 12.05 fand in dem Festsaal der Humboldt Universität die mit ca. 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gut
besuchte Veranstaltung der IALANA zu „Entschädigungsforderungen an Deutschland und das Recht“ statt.
Wir dokumentieren in diesem Rundbrief die Thesen von Dieter Deiseroth. und den Beitrag des 1.
Botschaftssekretärs der Botschaft der Griechischen Republik in Deutschland
Vortrag von Wolfgang Gehrcke: https://goo.gl/MNEK18
Dr. Dieter Deiseroth: Völkerrechtlicher Kommentar zum Vortrag von Prof.
Hagen Fleischer (Athen)
Hauptthesen:
A. Entstehung von Entschädigungsansprüchen?
I. Anspruch aus völkerrechtlich unerlaubter Handlung
(völkerrechtliches Delikt)?
1. Rechtswidrige schuldhafte Verletzung des „ius contra
bellum“: Anspruch Griechenlands als Opfer des deutschen
völkerrechtswidrigen Angriffskrieges vom 6. April 1941 bis
1944/45 aus Völkergewohnheitsrecht u.a. (Briand-Kellogg-
Pakt; Rechtsprechung des Nürnberger Militärgerichtshofs)
auf angemessene Entschädigung der dadurch erlittenen
materiellen Verluste
2. Rechtswidrige und schuldhafte Verstöße gegen des
Kriegsvölkerrecht („ius in bello“) während der kriegerischen
Besetzung Griechenlands 1941 – 1944/45 Art. 3 des IV. Haager Abkommens („Haager
Landkriegsordnung“- HLKO) vom 18.10.1907: grds. Anspruch des griech. Staates auf Schadensersatz
Der Vortag von Prof D. Hagen Fleischer ist als Video unter zu sehen: https://youtu.be/bGqrBwG8M5s
Die weiteren Beiträge dieser hochinteressanten Veranstaltung sind als Video dokumentiert.
Playlist der einzelnen Vorträge https://goo.gl/H79Wwh
Eröffnung durch Otto Jäckel: https://youtu.be/GGPyHhwmIIw
Eröffnung durch Prof. Dr. Rosemarie Will: https://youtu.be/XZU8xCzEH5M
Vortrag von Aristidis Radiopoulos: https://youtu.be/uskvVgRb2QY
Vortrag von Katja Keul: https://youtu.be/NM87bkVp5yY
Dr. Dieter Deiseroth; © Lucas Wirl
Der Vortag von Prof Hagen Fleischer ist als Video zu sehen unter: https://youtu.be/bGqrBwG8M5s .
Die weiteren Beiträge dieser hochinteressanten Veranstaltung sind als Video dokumentiert:
Playlist der einzelnen Vorträge: https://goo.gl/H79Wwh
Eröffnung durch Otto Jäckel: https://youtu.be/GGPyHhwmIIw
Eröffnung durch Prof. Dr. Rosemarie Will: https://youtu.be/XZU8xCzEH5M
Vortrag von Aristidis Radiopoulos: https://youtu.be/uskvVgRb2QY
Vortrag von Katja Keul: https://youtu.be/NM87bkVp5yY
Vortrag von Wolfgang Gehrcke: https://goo.gl/MNEK18
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wegen schuldhafter Verletzung von Regeln der HLKO durch die Besatzer; mögliche Ansprüche des
griechischen Staates z.B. nach Art. 52 Abs.3 u. Art. 53 Abs.2 Satz 2 der Anlage zur HLKO.
II. Anspruch aus Vertrag?
1. Ansprüche Griechenlands aus völkerrechtl. Abmachungen Deutschlands mit der griech.
Kollaborationsregierung von General Tsolakoglu u.a. (Darlehensvertrag?
Außenhandelsfinanzierungsvertrag? Auslandsanleihe/Schuldverschreibung? Vertrag sui generis?) –
Kommt in Betracht.
2. Ansprüche Griechenlands aus Pariser Reparationsabkommen v. 14.1.1946? – Deutschland keine
Vertragspartei.
III. Völkerrechtliche Herausgabe - oder Bereicherungsanspruch (Kondiktion)?
Anspruch auf Herausgabe desjenigen, was das deutsche Besatzungsregime ohne Rechtsgrund auf Kosten
des griechischen Staates oder griechischer Bürger zwischen 1941 und 1944/45 erlangt hat – kommt in
Betracht.
IV. Amtshaftungsanspruch nach dt. Recht?
§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bzw. Art. 131 der Weimarer Reichsverfassung: besteht nach über wiegender
Auffassung für Zeiten vor 1949 wohl nicht.
B. Erlöschen der Entschädigungsansprüche?
I. Erledigung durch Erfüllung der Ansprüche?
1. Pariser Reparationsabkommen vom 14.1.1946: nein - Volltext im Anhang als Anlage I - für
Griechenland: 7,1 Milliarden US-$ auf der Basis der Kaufkraft von 1938 (= 15 x 7.2, also ca. 106 Milliarden
US-$) - Griechenlands Anteil an Reparationsverpflichtungen Deutschlands: 7,05 %; Bezugsgröße
(Gesamtsumme jedoch nicht festgelegt) - Griechenland erhielt davon ca. 25 Millionen US-$; insoweit
Teilerfüllung.
2. 2. Vertrag vom 18.3.1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland
über Leistungen zugunsten griech. Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen
Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind - Volltext im Anhang als Anlage II - nur Entschädigung
für Verfolgung „aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“; andere Ansprüche
nicht ausgeschlossen (vgl. Notenwechsel der Regierungen zum Vertrag, insbesondere Note des griech.
Außenministers) - Zahlung von 115 Millionen DM durch Deutschland: insoweit Teil-Erfüllung.
II. Anspruchsverlust durch einseitigen Verzicht oder durch vertragliche Regelung?
1. Pariser Reparationsabkommen vom 14.1.1946 - Volltext im Anhang als Anlage I - kein Verzicht
Griechenlands; Deutschland am Abkommen nicht beteiligt.
2. Londoner Schuldenabkommen (LSA) vom 27.2.1953 - Volltext im Anhang als Anlage II - lediglich
Moratorium, kein Verzicht Griechenlands in Art. 5 Abs. 2 LSA: „Eine Prüfung der aus dem Zweiten
Weltkriege herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden
oder deren Gebiet von Deutschland besetzt war, und von Staatsangehörigen dieser Staaten gegen das
Reich und im Auftrage des Reichs handelnden Personen, einschließlich der Kosten der deutschen
Besatzung, der während der Besetzung auf Verrechnungskonten erworbenen Guthaben sowie der
Forderungen gegen die Reichskreditkassen, wird bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage
zurückgestellt.“
3. Dt. – Griech. Vertrag vom 18.3.1960 über Leistungen zugunsten griech. Staatsangehöriger -
Griechenland widerspricht im beigefügten Notenwechsel der deutschen Erledigungserklärung und behält
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sich die Geltendmachung weiterer Entschädigungsansprüche nach Ablauf des Moratoriums aus Art. 5 Abs.
2 des Londoner Schuldenabkommens v. 27.2.1953 ausdrücklich vor.
4. Vertrag über abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12.9.1990 („2+4-Vertrag“)
- Volltext im Anhang als Anlage IV
- Der Sache nach war der 2+4-Vertrag zwischen den vier Siegermächten USA, Sowjetunion, Vereinigtes
Königreich und Frankreich einerseits sowie der Bundesrepublik Deutschland und der DDR andererseits
eine friedensvertragliche Regelung, die das Moratorium in Art. 5 Abs. 2 des Londoner
Schuldenabkommens vom 27.2.1953 beendete (so auch BGH, Urteil vom 26.6.2003 – III ZR 245/98 – NJW
2003, 3488 <3490>. Der Begriff „Friedensvertrag“ oder „friedensvertragliche Regelung“ wurde vor allem
auf Wunsch der deutschen Regierung gewählt, um das Problem der Entschädigungsansprüche und
Reparationen nicht auf die Tagesordnung zu bringen (vgl. dazu u.a. Hans-Dietrich Genscher,
Erinnerungen, 1995, S. 845 f.; vgl. außerdem das vom Auswärtigen Amt im Mai 1990 an die deutschen
Auslandsvertretungen versandte Weisungspapier „Deutsche Einheit und Reparationen“).
- Im Text des 2+4-Vertrages werden Entschädigungs- und Reparationsansprüche weder thematisiert noch
geregelt.
- Griechenland war an dem 2+4-Vertrag nicht beteiligt; „Vertrag zu Lasten Dritter“ völkerrechtlich
unzulässig.
5. Charta von Paris vom 21.11.1990
- Volltext im Anhang als Anlage V
- Die „Charta von Paris“ wurde als Dokument von der KSZE-Sonderkonferenz der 57 KSZE-Staaten,
darunter Deutschland und Griechenland, beschlossen. Darin Fragen der Entschädigungs- und
Reparationsansprüche weder thematisiert noch geregelt. Deutschland beruft sich für seine nicht
überzeugende Rechtsbehauptung, Griechenland habe mit seiner Zustimmung zur Charta von Paris auf
solche Ansprüche verzichtet, auf die folgende Passage:
„Das nun ungeteilte und freie Europa fordert einen Neubeginn. Wir rufen unsere Völker dazu auf, sich
diesem großen Vorhaben anzuschließen. Wir nehmen mit großer Genugtuung Kenntnis von dem am
12.Sept. 1990 in Moskau unterzeichneten Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf
Deutschland.“
III. Verjährung oder Verwirkung?
1. Eine vertragliche Vereinbarung über die Verjährung
Zwischen Deutschland und Griechenland ist unstreitig, dass eine solche vertragliche Vereinbarung über
die Verjährung griechischer Entschädigungsforderungen gegen Deutschland nicht besteht.
2. Verwirkung
Eine Verwirkung (Unwirksamkeit) von Entschädigungs-Forderungen setzt im Völkerrecht zweierlei voraus:
a) langer Zeitablauf seit Fälligkeit der Forderung
b) ausdrückliches oder konkludentes Verhalten des Gläubigerstaates gegenüber dem Schuldnerstaat, dass
er künftig seine Forderung nicht mehr geltend machen wird.
Beide Voraussetzungen, insbesondere die zweite, dürften hier nicht gegeben sein, da Deutschland bis 1990 zur
Abwehr von Entschädigungsforderungen durchgehend auf das Londoner Schuldenabkommen verwiesen und die
Fälligkeit der griech. Forderungen bestritten hat. Griechenland hat vor 1990 und danach immer wieder seine
Entschädigungsansprüche angemeldet.
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Der damalige deutsche Bundeskanzler, Dr. Ludwig Erhard, erkannte die Vorläufigkeit des Vertrages von 1960 und
die Rechtmäßigkeit etwaiger griechischer Nachforderungen ausdrücklich an. Er »versicherte noch 1965 dem
damals in Bonn vorsprechenden Koordinierungsminister Andreas Papandreou (. . .) sobald die deutsche
Wiedervereinigung unter Dach und Fach sei, werde man die Zwangsanleihe zurückzahlen. Die Griechen gaben sich
mit diesem Versprechen zufrieden.« (FR, 22. November 1995).
Am 14. November 1995 übergab der Botschafter der Griechischen Republik, Dr. Bourloyannis-Tsangaridis, dem
Auswärtigen Amt eine diplomatische Note seiner Regierung. Darin bat er um Gespräche über
Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg, wobei zunächst über die Zwangsanleihe aus dem Jahr 1942
gesprochen werden sollte. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dr. Hartmann, erwiderte, »nach Ablauf von 50
Jahren seit Kriegsende und Jahrzehnten vertrauensvoller und enger Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik
Deutschland (. . .) habe die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren.« (Pressemitteilung des Auswärtigen
Amtes, 14. November 1995).
C. Optionen für die Durchsetzung der Ansprüche?
I. Klagen der Opfer oder des griech. Staates vor griechischen Gerichten?
- nein (Staatenimmunität; Urteil des IGH vom 3.2.2012)
II. Klage des griech. Staates vor Internationalem Gerichtshof in Den Haag?
- Text des Art. 36 des IGH-Statuts im Anhang als Anlage VI
- einseitige Klage durch Griechenland aufgrund obligatorischer Zuständigkeit nach Art. 36 Abs, IGH-Statut: nein;
- aufgrund beiderseitiger Zuständigkeits-Vereinbarung von D. und Griechenland nach Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut: ja
III. Antrag zum OSZE-Court of Conciliation and Arbitration in Genf
- Präsident: Prof. Christian Tomuschat (HU Berlin); Büro in Genf
- Volltext der „Convention on Conciliation and Arbitration within the OSCE“ vom 15.12.1992 (Stockholm-Konvention vom 15.12.1992 (von 33 der 57 OSZE-Staaten ratifiziert, darunter Deutschland und Griechenland) im Anhang als Anlage VIIa
- Liste der Signatarstaaten vom Januar 2014 im Anhang als Anlage VIIb
- Volltext der Verfahrensordnung des „Vergleichs- und Schiedsgerichtshofs innerhalb der OSZE“ vom 1.2.1997 im Anhang als Anlage VIIc
- Rede des Gerichtspräsidenten Prof. Christian Tomuschat vom 30.10.2014 im Anhang als Anlage VIId
IV. Klage der Opfer und/oder des griech. Staates vor deutschen Gerichten?
- für Ansprüche aus der Zeit vor 1945 wohl keine Durchsetzungschance (vgl. neueste Rspr. des BGH und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg)
D. Schlussfolgerungen 1. Bundespräsident Joachim Gauck hat Recht, wenn er jüngst in seinem in der Südd. Zeitung vom 1.Mai 2015
publizierten Interview erklärt hat:
"Wir sind ja nicht nur die, die wir heute sind, sondern auch die Nachfahren derer, die im Zweiten Weltkrieg eine Spur der Verwüstung in Europa gelegt haben - unter anderem in Griechenland, worüber wir beschämend lange wenig wussten. Es ist richtig, wenn ein geschichtsbewusstes Land wie unseres auslotet, welche Möglichkeiten von Wiedergutmachung es geben könnte.“
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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2. Völlig unabhängig von allen aktuellen Euro-Problemen ist es beschämend, wenn Vertreter der amtierenden
deutschen Bundesregierung bisher fortlaufend stereotyp zu den Entschädigungsforderungen Griechenlands
für die NS-Besatzungszeit erklären:
"Die Frage von Reparationen ist nicht mehr offen. Sie ist politisch und juristisch geklärt. Wir müssen endlich zur Sache kommen und nicht Ablenkungsdebatten führen. Es bringt nichts, gerade jetzt einen bilateralen Konflikt zwischen Athen und Berlin vom Zaun zu brechen".
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der Zeitschrift „Stern“ v. 18.3.2015
"Selbstverständlich fällt für uns der Komplex der Zwangsanleihe unter das Kapitel Reparationen und dieses Kapitel ist für uns rechtlich wie politisch abgeschlossen. Wir werden in dieser Frage keine Gespräche und Verhandlungen mit der griechischen Seite führen.“ Martin Jäger, Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU)
3. Deutschland sollte mit der griechischen Regierung unverzüglich Verhandlungen über die seit Jahren geltend
gemachten griechischen Entschädigungsansprüche für die NS-Besatzungszeit von 1941 bis 1944/45
aufnehmen und an der Klärung aller tatsächlichen und rechtlichen Streitfragen konstruktiv mitwirken.
4. Notfalls: Vergleichsverfahren vor dem OSZE-Vergleichs- und Schiedsgericht in Genf
Sollte die deutsche Bundesregierung in den nächsten Monaten weiterhin konstruktive Verhandlungen über die
griechischen Entschädigungsforderungen ablehnen, könnte die griechische Regierung beim OSZE-Vergleichs- und
Schiedsgerichtshof in Genf über die streitigen Tatsachen- und Rechtsfragen durch einseitigen Antrag (vgl. Art. 15
Abs. 1 der Verfahrensordnung) zunächst ein Vergleichsverfahren vor der „Conciliation Commission“ nach Art. 21
der Stockholmer „Convention on Conciliation and Arbitration within the OSZE“ einleiten; Deutschland könnte sich
dem nicht entziehen.
Ggf. kommt anschließend ein gemeinsam vereinbartes Schiedsgerichtsverfahren vor dem OSZE-Schiedsgericht
(„Arbitral Tribunal“) nach Art. 26 der Stockholmer Convention oder ein beiderseits vereinbartes Klageverfahren
vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag nach Art. 36 Abs. 1 des IGH-Statuts in Betracht.
Stellungnahme aus der Sicht der Regierung der Hellenischen Republik – Griechenlands
Von Aris Radiopoulos
1. Botschaftssekretär
Die Forderung der Griechischen Regierungen nach
Rückzahlung der Zwangsanleihe und der
Reparationen besteht bis heute durchgehend
ununterbrochen seit Ende des Zweiten
Weltkrieges. Sie wurde sowohl vor als auch nach
der deutschen Wiedervereinigung und zwar auf
höchster Ebene gestellt.
Von Rechts: I. Botschaftssekretär Aris Radiopoulos, Dr. Dieter Deiseroth, Prof. em. Dr. Hagen Fleischer, RA Otto Jäckel, Prof.em .Dr. Rosemarie Will; © Lucas Wirl
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Die Forderung nach Rückzahlung der Zwangsanleihe und der Reparationen stellt eine historische Verpflichtung
der neuen griechischen Regierung dar. Es ist unsere Pflicht gegenüber der Geschichte. Die neue griechische
Regierung wird bei dieser Forderung dem „Nationalen Ausschuss des Parlaments zur Einforderung der
Verpflichtungen Deutschlands gegenüber Griechenland“ eine zentrale Rolle beimessen, sowie Manolis Glezos, der
jahrelang mühsam kämpft, um dieser nationalen Verpflichtung nachzukommen. Manolis Glezos überbrachte
erneut diese Forderung nach Deutschland, als er am vergangenen Donnerstag auf Einladung der Opposition im
Bundestag eine Rede im Rahmen der Erinnerungsveranstaltung für das 70. Jubiläum seit Ende des Krieges hielt.
Während seines mehrtägigen Deutschlandaufenthalts diskutierte er bei Veranstaltungen in diversen Städten
(Hanau, Frankfurt a.M., Hamburg, Berlin) mit dem deutschen Publikum über die griechische Forderung.
Trotz der Verbrechen des Dritten Reiches und der Schergen Hitlers, die die ganze Welt in Schutt und Asche gelegt
hatten, trotz des absoluten Bösen, das sich im Holocaust manifestiert hat, wurde Deutschland durch eine Fülle
von Initiativen und Maßnahmen geholfen.
Und das war richtig.
Nicht zuletzt auch durch Streichung der Schulden, die seit dem ersten Weltkrieg auf den Schultern des Landes
lasteten und 1953 auf der Schuldenkonferenz von London vertraglich abgeschrieben wurden ebenso wie durch
die Unsummen, die von Seiten der Alliierten für den Wiederaufbau des Landes zur Verfügung gestellt wurden. Das
Londoner Abkommen erkennt dabei zugleich an, dass die aus dem Zweiten Weltkrieg anfallenden
Entschädigungszahlungen abschließend in einem Friedenvertrag zu regeln seien, welcher jedoch bis zum Jahre
1990, aufgrund der Teilung Deutschlands, nicht existierte.
Die Wiedervereinigung hat die juristische und politische Grundlage für die abschließende Lösung des Problems
geschaffen. Fortan schwiegen jedoch alle deutschen Regierungen, beriefen sich auf juristische Schlupflöcher,
schoben eine Auseinandersetzung mit der Thematik auf und vor sich her.
Sieht so eine moralisch integre Haltung aus?
Die griechische Regierung hat ein juristisches Problem im Rahmen des Völkerrechts angeschnitten, auf das wir uns
berufen. Diese Initiative, also diese Forderung nach Reparationen bzw. in Bezug auf das Stichwort Zwangskredit
ist übrigens nichts Neues, sie wurde auch in der Vergangenheit gestellt. Das hängt auch nicht mit der
augenblicklichen Krise, mit der Position Griechenlands in der Eurozone und mit der Notwendigkeit zusammen,
schnell eine Lösung zu finden, um voranzukommen. Das ist ein rein bilaterales Thema, das für uns vor allen
Dingen eine ethische Wertung hat.
Die notwendige Konkretisierung und technische Sichtung der Thematik ist Sache der Experten, Juristen und
Historiker. Die griechische Regierung versichert, dass sie der Thematik mit der gebotenen Sensibilität, mit
Verantwortungsbewusstsein und Aufrichtigkeit und der Bereitschaft zu Verständigung und Dialog nähern wird.
Nicht weniger erwarten wir jedoch auch von Seiten der Bundesregierung. Und zwar aus politischen, historischen,
symbolischen aber auch moralischen Gründen.
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
13
Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (NPT)
vom 27.04 bis 22.05.2015
In dem Interview mit John Borroughs werden die Gründe für das Scheitern deutlich, sie liegen im Wesentlichen in
der neuen Konfrontationspolitik zwischen der NATO und Russland.
Ohne Illusionen, aber mit viel Engagement war die IALANA während und vor der NPT-Konferenz in New York
aktiv. Wir sind ein Teil der weltweiten Bewegung für die Abschaffung aller Atomwaffen und haben unseren
Protest gegen die Aufrüstungspolitik aller offiziellen und inoffiziellen Atommächte deutlich vorgetragen.
Die IALANA war in New York beteiligt
-- an der Internationalen Konferenz mit mehr als 600 Teilnehmern. Wir sprachen im Plenum und organsierten drei
Arbeitsgruppen,
-- an der großen Friedensdemonstration mit mehr als 7500 Teilnehmerinnen,
-- an drei Side Events während der NPT-Konferenz zu "Atomwaffen in Europa zu "Atomwaffenstrategien der
Friedensbewegung" zu der Klage der Marshall Islands gegen die Atomwaffenstaaten vor dem Internationalen
Gerichtshof,
-- an der Jahrestagung von Abolition 2000.
Beigelegt zu diesem Rundbrief finden Sie die Zeitung der IALANA, die wir für die verschiedenen Aktivitäten und
die PolitikerInnen/Diplomaten in New York erstellten (online abrufbar auf http://goo.gl/V3jTgN).
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Abrüstung als deklamatorische Floskel
Von Kristine Karch, International Network of Engineers and scientists for global responsibility (INES)
Neues Deutschland, http://goo.gl/unmUxl
Acht Millionen Menschen fordern die Abschaffung von Atomwaffen, dennoch steht ihre Modernisierung bevor
Vom 27.04. bis 22.05.2015 fand in New York die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages statt.
Zahlreiche Aktionen der Friedensbewegung begleiten die Verhandlungen.
Der Atomwaffensperrvertrag wurde von 191 Staaten unterzeichnet und beinhaltet neben dem Verbot der
Weiterverbreitung von Atomwaffen auch die verbindliche Aufforderung, regelmäßig über die Reduzierung aller
Atomwaffen zu verhandeln, mit dem Ziel, sie eines Tages vollständig abzuschaffen. Seit Jahrzehnten ist die
Verpflichtung der Staatengemeinschaft, diese Massenvernichtungswaffen zu eliminieren, im
Atomwaffensperrvertrag festgeschrieben. Doch Fortschritte bei der Umsetzung dieser oft bekräftigten
Verpflichtung sind kaum spürbar. Auch bei dieser Konferenz ist es mehr als fraglich, ob sie zu belastbareren
Ergebnissen kommt, als die letzte vor fünf Jahren - und diese wurden nicht erfüllt.
Aufgrund der Ukraine-Krise haben sich die Spannungen zwischen den USA und Russland massiv erhöht, die USA
haben angekündigt den INF-Vertrag zu kündigen, mit dem die atomaren Mittelstreckenwaffen aus Europa
verbannt wurden, und arbeiten an der Modernisierung ihrer Atomwaffen in einem Ausmaß, das einer
Neustationierung gleichkommt. Davon betroffen sind auch die 20 im rheinland-pfälzischen Büchel lagernden US-
Atomwaffen. Die Bundesregierung unterstützt diese Aufrüstung durch die Zusage, die Trägersysteme zu
modernisieren. Widerspricht die nukleare Teilhabe der BRD schon dem NPT-Vertrag, so ist die Modernisierung ein
weiterer Eskalationsschritt und verschwendet Milliarden von Euro, die sinnvoller für Flüchtlingshilfe und andere
soziale Aufgaben eingesetzt werden sollten.
Hoffnungsvoller stimmen da die Nicht-Paktgebunden Staaten (NAM), die kritisierten, dass die 2010 vereinbarte
Konferenz über die Errichtung einer Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten
noch nicht stattgefunden hat. Die 120 Staaten mahnten die Aufnahme von Verhandlungen über eine
Nuklearwaffenkonvention an und legten einen Aktionsplan vor, der eine weltweite Konferenz im Rahmen der UN
im Jahr 2018 beinhaltet.
Herausragend aus Sicht der Friedensbewegung war der Beitrag der von Atomtests besonders betroffenen
Marschall Inseln, die ihre Klage vor dem Internationalen Gerichtshof gegen alle neun Atomwaffenstaaten
untermauerten und zu so etwas, wie dem atomaren Weltgewissen werden.
Parallel zu der Konferenz wirbt die internationale Friedensbewegung auf den Straßen New Yorks für Abrüstung
und die Abschaffung aller Atomwaffen. Angeführt von den Hibakushas, den Überlebenden der
Atombombenabwürfe und ihrem »Nie wieder Hiroshima« zogen 7500 Friedensaktivist_innen aus über 20 Ländern
durch die Stadt, um ihrer Forderung nach Abschaffung aller Atomwaffen Nachdruck zu verleihen. Auf dem
anschließenden Friedensfest wurden mehr als acht Millionen Unterschriften gegen Atomwaffen an die Hohe UN-
Repräsentantin für Abrüstungsfragen, Angela Kane und die Vorsitzende der NPT-Konferenz, Taous Feroukhi
übergeben, die sich darauf positiv in ihrer Eröffnungsrede bezog. Die meisten dieser Unterschriften wurden in
Japan gesammelt.
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Zuvor hatten mehr als 600 internationale Teilnehmer_innen der »Peace&Planet-Konferenz« über Alternativen zu
Krieg und Atomwaffen und Wege zu einer nuklearfreien, friedlichen, gerechten und nachhaltigen Welt diskutiert.
Intensiv wurde dabei über die Unterstützung der Marshall Inseln beraten und mögliche Schritte hin zu einer Welt
ohne Atomwaffen erarbeitet, sei es durch einen Kernwaffenteststopp-Vertrag, wie er seit 1996 der
internationalen Staatengemeinschaft zur Ratifizierung vorliegt, sei es durch eine Nuklearwaffenkonvention. Die
Unterstützung der NAM-Konferenz und die Aktivitäten zum 70. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima
und Nagasaki standen ganz oben auf der Aktionsplanung.
The 2015 NPT Review Conference: Robust Debate But No Agreement
Von John Burroughs, Director, Lawyers Committee on
Nuclear Policy, UN Office of IALANA
26 May 2015
Late on 22 May, last day of the 2015 Nuclear Non-
Proliferation Treaty (NPT) Review Conference, the diplomats
and civil society representatives assembled at United Nations
Headquarters in New York City learned that there would be
no agreed outcome. The US, UK, and Canada stated that they
could not accept the agreement, contained in the draft Final
Document, on convening of a conference to advance a zone
free of Weapons of Mass Destruction in the Middle East.
The agreement provided that if states in the regions could not
agree on an agenda, the conference would nonetheless be
convened by the UN Secretary-General by 1 March 2016. Thus
it could have taken place without Israel’s consent or
participation.
The US position has consistently been that it cannot allow the possibility of such a development, on the theory
that it would isolate Israel and subject it to unwarranted criticism. The 2010 NPT Review Conference had
committed to the holding of a conference on a WMD Free zone in the Middle East by 2012. This has been resisted
by Israel, which insisted that regional security issues must be addressed along with WMD issues, and no
conference was held between the 2010 and 2015 Review Conferences.
Based on closing statements, notably from the Non-Aligned Movement and the Permanent Five, it appears there
would have been consensus by all states parties present on a Final Document if there had been agreement on the
Middle East portion. However, it must also be said that most non-nuclear weapon states took a very critical view
of the draft outcome, for good reason.
The problem with NPT Review Conference commitments on disarmament made over the last 20 years is not so
much that they have not been strong enough. Rather the problem is that they have not been implemented by the
NPT nuclear weapon states. Coming into the 2015 Review Conference, many non-nuclear weapon states were
John Burroughs,
Fotoquelle: http://goo.gl/Jtt3aO
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
16
focused on mechanisms and processes to ensure implementation, as well as timelines for completion. The Non-
Aligned Movement proposed a standing body to monitor compliance, and the immediate commencement of
negotiations on a convention to prohibit and eliminate nuclear weapons. Neither were acceptable to the nuclear
weapon states. However, there could have been some at least modest gains.
Quite detailed reporting by the nuclear weapon states was “encouraged” by the draft Final Document. And it
“recommended” that the General Assembly establish an open-ended working group to “identify and elaborate”
effective disarmament measures, including a stand-alone or framework agreement for the achievement and
maintenance of a world free of nuclear weapons. However, the provision also recommended that the working
group proceed by consensus, which could have given nuclear weapon states the ability to block progress.
Another important push, led by Austria, was for the Final Document to reflect the results of the three conferences
on the humanitarian impacts of nuclear weapons held since 2013 in Oslo, Nayarit, Mexico, and Vienna. While
preferred language was considerably watered down, the humanitarian initiative figured prominently in the draft
Final Document. Notably, the first point of the forward looking plan declared that in light of the consequences of
nuclear explosions, “it is in the interest of humanity and the security of all peoples that nuclear weapons never be
used again”. Austria and other states had strongly urged the addition of the phrase “in any circumstance,”
reflecting the language of the prohibition in the Chemical Weapons Convention. This was resisted by the nuclear
weapons states. Nonetheless, as a matter of common understanding, as the Marshall Islands indicated in its
closing statement, “never” is quite clear.
In general, debate in the Review Conference revealed deep divisions over whether the nuclear weapon states
have met their commitments to dealer, reduce and eliminate their arsenals and whether modernization of
nuclear arsenals is compatible with achieving disarmament. The nuclear weapon states largely succeeded in
keeping provisions on these issues out of the draft Final Document.
Thus a reference in an earlier draft to the “slow pace” of implementation of disarmament commitments was
struck. Also struck was a call for the cessation of qualitative improvement of nuclear arsenals designed to support
new military missions or provide new military capabilities. A provision emphasizing the need for a phased removal
of all nuclear weapons from high alert levels was greatly watered down to encouragement of consideration of
further practical measures to reduce the operational status of nuclear weapons. And a restatement of the 2010
affirmation of the need for compliance with international law, including international humanitarian law, was cut.
In its closing statement on behalf of 49 states, Austria well captured the widespread frustration with the positions
of the nuclear weapon states, stating: “The exchange of views that we have witnessed during this review cycle
demonstrates that there is a wide divide that presents itself in many fundamental aspects of what nuclear
disarmament should mean. There is a reality gap, a credibility gap, a confidence gap and a moral gap.”
If the nuclear weapon states displayed a business as usual attitude, the approach of non-nuclear weapon states
was characterized by a sense of urgency, illustrated by the fact that by the end of the Conference over 100 states
had signed the “Humanitarian Pledge” put forward by Austria. It commits signatories to efforts to “stigmatize,
prohibit and eliminate nuclear weapons in light of their unacceptable humanitarian consequences”.
NPT Review Conferences have failed in the past to produce consensus outcomes, in 1980, 1990, and 2005,
without irreparably damaging the non-proliferation and disarmament regime. The consequences of the failure
this time around are hard to assess. It may be a real blow to progress in the Middle East. This is unfortunate in
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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view of the opportunity presented by the emerging agreement on Iran’s nuclear program, which had elements
that can be applied region-wide (for example, no reprocessing of plutonium).
On the other hand, due to the positions of nuclear weapon states, the disarmament provisions in the draft Final
Document did not advance much beyond previous Final Documents, and an agreed outcome could have been
used as a shield by the nuclear weapon states. The lack of an agreed outcome may serve to spur further
determined action by non-nuclear weapon states, in the General Assembly, where for example an open-ended
working group could still be established, and outside of the UN and NPT frameworks as well.
The Total Illegality of Nuclear Weapons and the Imperative Need for Their Abolition
24 April 2015 Message of Judge Christopher Weeramantry Former Vice-President, International Court of
Justice Co-President, International Association of
Lawyers Against Nuclear Arms Weeramantry International Center for Peace
Education and Research Colombo, Sri Lanka
(which Jackie Cabasso read out in the opening plenary)
It gives much pleasure to send a message to the Peace and Planet Conference, held by civil society on
the eve of the 2015 NPT Review Conference.
Never since the human race evolved has it faced a danger so devastating to all its past achievements
and so destructive of its future expectations as it faces today. Thousands of weapons are today
assembled in the arsenals of the world, each of which, even by itself, is fraught with greater peril to all
humanity and to future generations then all the brutality of all the weapons cumulatively used in the
wars of past centuries. The cruelty of all the tyrants of the past pales into insignificance in comparison
with the proven cruelty of the nuclear weapon.
Yet, the legal professions of the world, the governments of the world, the religious assemblies of the
world, the educational systems of the world and the general public of the world, who should be crying
out from the rooftops for the immediate abolition of the weapon, are not even heard in the corridors of
power.
It is amazing that this danger should have continued not merely to exist but also to expand in intensity
through nearly three generations after the brutality of the weapon was demonstrated to all the world
through its use in Hiroshima and Nagasaki. We, who should now be at the very apex of human
Jackie Cabasso at the Peace and Planet Conference; ©Lucas Wirl
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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civilization, seem on the contrary to be ready at a moment’s notice to plunge all humanity into the very
depths of brutality.
This is what the nuclear weapon means to every citizen on planet earth and every citizen who will
inhabit the planet for a thousand generations to come. Future generations, whose inherent rights to
health and a pure environment are being trampled under-foot by our generation, would raise their
hands in disbelief that a weapon of such known brutality should have been permitted to remain on the
planet. They would be even more shocked to know that these weapons were permitted to increase in
intensity through three generations, and even more surprisingly through three generations during which
human rights and the rights of future generations have been the subject of much attention.
The next time a nuclear weapon is used it will not be on a helpless target, with no possibility of
retaliation. In a world of multiple conflicts, of proliferation of nuclear weapons, of burgeoning terrorist
movements, of spreading knowledge regarding their manufacture, of easy availability of raw materials
and of a plenitude of funds for this purpose, the need for control and elimination of nuclear weapons is
a thousand times greater than it was in the days of Hiroshima and Nagasaki.
Moreover, when the weapons start flying in both directions, all scientific studies make it patently clear
that a nuclear winter will result, blotting out sunlight from large sections of the planet, devastating
crops, depriving all humanity of food and reducing human life to the darkness of the Stone Age.
It is remarkable also that world religions and systems of humanitarian thought for thousands of years
have condemned the use of hyper-destructive weapons. For example Hinduism, over three thousand
years ago, condemned the use of a hyper-destructive weapon which was said to have the potential to
ravage the enemy’s countryside and decimate its population. The Lateran Council in the twelfth century
condemned the use of even the crossbow as being too cruel to be used in warfare. Islamic law
condemned even the use of a poisoned arrow.
Humanitarian law has for centuries condemned the use of weapons that cause unnecessary suffering.
Yet, strangely enough, the nuclear weapon defies all these prohibitions and hangs like the sword of
Damocles over the entire human race. The Dum-dum bullet which explodes on entering the victim’s
body was condemned in the 19 century as too cruel to be used amongst civilized nations, yet strangely
enough the nuclear weapon persists.
The weapon contradicts every principle of humanitarian law, every principle of international law and
every principle of religious teaching. Either its days are numbered or the days of human civilisation are
numbered.
It is for us to make the choice.
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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The NPT Phoenix – Success from the ashes of failure? Nuclear disarmament initiatives may survive the failure of the 2015 NPT Review Conference. United Nations forums could move them forward. Unfold Zero, http://www.unfoldzero.org/npt-phoenix-success-ashes-failure
The States Parties to the nuclear Non-Proliferation Treaty failed spectacularly to reach agreement on a final
conference document on 22 May after four weeks of negotiations at the United Nations in New York. The failure
masks the fact that some real gains were made during the course of the negotiations. This included a number of
proposals in the draft final document that appeared to have found agreement by the NPT Parties. If acted upon,
these proposals might be able to produce a phoenix from the ashes of the failed conference.
The conference collapsed on the Middle East issue. The United States, UK, Canada and possibly some others could
not accept a call for the United Nations to convene a conference in March 2016 on establishing a Middle East
zone free of nuclear weapons and other weapons of mass destruction. Their objection arose because it has not
yet been possible to secure agreement by Israel to participate in such a conference. According to the UN
guidelines on establishing nuclear-weapon-free zones, they should be arrived at freely by the States in the region.
UN Security Council meets with Phoenix mural behind
On the other hand, the establishment of such a zone was a core part of the agreement in 1995 to extend the NPT
indefinitely, and was a vital part of the agreements of the 2000 and 2010 NPT Review Conferences. Progress on
this issue is important to all States Parties to the NPT, and especially to the Arab countries and Iran. They perceive
Israel’s undeclared nuclear weapons program as threatening their security and undermining the nuclear non-
proliferation regime. Indeed, the Arab countries and Iran are required to accept NPT verification and compliance
measures as non-nuclear States, while Israel – a State believed to be nuclear armed - is exempt from these. This is
seen as a double standard and discriminatory.
The collapse of the NPT Review Conference over the Middle East nuclear weapon free zone (NWFZ) issue is,
therefore, very serious. However, it has not appeared to derail the warming relationship between Iran and the six
power countries (Chiba, France, Germany, Russia, UK and the US) which have succeeded in an interim agreement
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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on the control and verification of Iran’s nuclear energy program. Indeed, when the US and UK announced on May
22 their unwillingness to support a 2016 conference on a Middle East NWFZ, Iran did not immediately condemn
these countries for their double standards. Instead, Iran called for a suspension of the NPT Review conference to
allow further negotiations to try to reach a compromise. Although unsuccessful, this sign of good faith from Iran
bodes well for the continued negotiations with the six powers, who aim to reach a final deal with Iran.
The proposal to hold a UN conference on a Middle East NWFZ in 2016 regardless of whether Israel will join is not
necessarily dead. It could be taken up by the UN General Assembly, a forum which unlike the NPT, does not
always operate by consensus. However, to move ahead without agreement of Israel and without the support of
all NPT Parties could weaken the conference, turning it into a grandstanding event, and possibly reducing further
the likelihood of Israel joining any process to establish such a zone.
There were a number of other developments at the NPT Review Conference that could make a breakthrough in
multilateral negotiations for global nuclear disarmament. Such negotiations have been blocked in the Conference
on Disarmament (CD) for nearly 20 years. The developments include the increased support for the Austria Pledge
(now re-named the Humanitarian Pledge), a shift in focus from the CD to the United Nations as a whole to
advance nuclear disarmament initiatives, and a general agreement (paragraph 154 (19) of the NPT draft outcome
document) to establish a UN Open Ended Working Group on nuclear disarmament.
The Humanitarian Pledge, announced by Austria at the end of the Vienna Conference on the Humanitarian Impact
of Nuclear Weapons in December 2014, includes a commitment to ‘close the legal gap’ to prohibit and eliminate
nuclear weapons. During the course of the NPT review Conference the number of countries endorsing the pledge
increased from 65 to over 100. This elevates the political commitment to nuclear disarmament by those States
signing. It also provides flexibility on the options for the legal gap to be filled, in order to ensure a critical mass
and maximum effectiveness on which-ever legal instrument or instruments are negotiated.
Global 'wave goodbye to nuclear weapons' launched at the Peace and Planet rally in New York on the eve of the NPT Review Conference
Austria, along with members of the New Agenda Coalition (Brazil, Egypt, Ireland, Mexico, New Zealand and South
Africa), emphasized that the pledge is not a specific call for a ban treaty (that could be negotiated without waiting
for the nuclear-armed States). Rather, the NAC submitted a working paper outlining a range of options. These
include a nuclear weapons convention (i.e. a treaty which includes all nuclear-armed States), a framework
agreement, a ban treaty (as an interim measure), or a hybrid arrangement including a range of measures.
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
21
Another group of countries (Australia, Belgium, Canada, Colombia, Czech Republic, Denmark, Estonia, Finland,
Germany, Hungary, Italy, Japan, Lithuania, Netherlands, Poland, Portugal, Slovakia, Spain, Sweden and Ukraine)
submitted a proposal for the pursuit of a range of ‘building blocks’ toward a nuclear weapon free world. UNIDIR
and the International Law and Policy Institute (ILPI) advanced ideas in this proposal further in a research paper on
Effective Measures: Builders and Blockers. A key point in the paper is that 'States have different roles to play to
complete the nuclear disarmament puzzle' and can therefore focus on different 'building blocks' in a
complementary fashion.
Previous NPT Review Conferences have tasked the Conference on Disarmament to negotiate nuclear
disarmament steps and/or a comprehensive agreement on nuclear disarmament. However, the CD which
operates by consensus has been blocked from undertaking any such negotiations for nearly 20 years. At the 2015
NPT review Conference there was a shift towards advancing nuclear disarmament in the full range of UN
disarmament bodies. This was promoted by a number of groups including the Nordic Five (see recommendation
15 of the working paper of Denmark, Finland, Iceland, Norway and Sweden), and was included in the draft final
outcome document.
Indeed, there was a call in the document for the UN General Assembly (UNGA) to re-establish an Open Ended
Working Group (OEWG) to develop effective measures (legal and other) for the achievement and maintenance of
a nuclear-weapon-free world. Civil society groups including the International Association of Lawyers Against
Nuclear Arms and UNFOLD ZERO, promoted the re-establishment of an OEWG at the NPT Conference, and will
now focus on getting this agreed at the UNGA in October. If such a body is established by the UNGA, it could
provide a forum to discuss the options outlined by the NAC and Building Blocks groups, find common ground
between them and pave the way for actual negotiations.
Cuba has proposed that such negotiations should aim to draft a comprehensive nuclear abolition treaty (nuclear
weapons convention) ready for adoption at the UN High Level Conference which will be held no later than 2018.
Ireland, in its concluding statement at the NPT Review Conference, indicated that, regardless of the NPT
Conference outcome, the New Agenda Coalition would continue developing the options outlined in their working
papers.
Nuclear disarmament initiatives are also moving ahead in other UN bodies. The Marshall Islands has launched a
case against the nuclear armed States in the International Court of Justice on implementation of their nuclear
disarmament obligation. Marshall Islands, which was very active in the 2015 NPT Review Conference, is calling on
the Court to instruct the nuclear weapon States to initiate multilateral negotiations for a nuclear weapons
convention within one year of the court’s judgement.
UNFOLD ZERO was also promoting other UN-based nuclear disarmament initiatives at the NPT Review
Conference, including a proposal for the UN Security Council and UNGA to affirm the illegality of the targeting of
populated areas with nuclear weapons.
The International Day for the Total Elimination of Nuclear Weapons on September 26 will provide a good
opportunity to build public awareness, elevate the nuclear disarmament issue up the political ladder and publicize
these initiatives at the United Nations. Other civil society coalitions involved in the NPT Review Conference are
joining UNFOLD ZERO to focus on September 26 and the United Nations as a key opportunity to take forward
nuclear abolition proposals. These include Peace and Planet and Global Wave, which presented a nuclear
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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abolition petition signed by over 7 million people to the Conference, organized a huge rally and march in New
York and inspiring actions in more than 50 other countries.
Nuclear Disarmament: The Fierce Urgency of Now
Statement of Peter Weiss
Co-President of the IALANA
Civil Society Presentation, May 1, 2015
Madam President, Your Excellencies, Ladies and Gentlemen, my name is Peter
Weiss and I am Co-President of IALANA, the International Association of
Lawyers Against Nuclear Arms. I call your attention to our paper, “Nuclear
Disarmament: The Road Ahead”, which is available outside this room. It
contains our legal analysis of the nuclear weapons issue and our
recommendations for going forward.
But I want to speak to you today more as a citizen of this endangered world than as a lawyer. I had the privilege of
addressing an NPT Review Conference once before, in 2000. Not a great deal has changed since then, except that
I am 15 years older and approaching my 90th birthday. I therefore have an urgent request to put before you, dear
distinguished delegates: Make the nuclear weapons free world happens, which, to listen to their speeches, all
world leaders desire, but make it happen in my lifetime.
It should not be difficult. You, more than any other body, have the power to do it. Every long march requires a
first step. This conference should end with a decision to launch a process to start drafting a convention or treaty
that will define the path leading to the total elimination of the thousands of nuclear weapons that now threaten a
catastrophe of unimaginable proportions. That path should be subject to effective verification and be completed
within a reasonable, fixed time line.
Oslo, Nayarit and Vienna have demonstrated that continuing the nuclear arms race is the devil’s work, while a
child could understand that a world without nuclear weapons is infinitely preferable to one in which such
weapons exist. The failure to take a first step toward total nuclear disarmament can only be understood as
unwillingness to embark on the road to zero.
The nuclear weapons story has had its heroes. The Hibakusha who keep the memory of Hiroshima and Nagasaki
alive so that no one else will ever have to suffer as they did; Lt. Col. Petrov, who paid with the loss of his career
for refusing to carry out a procedure that could have plunged the world into nuclear holocaust; the tiny Republic
of the Marshall Islands which has taken all nine nuclear armed states to the International Court of Justice for their
failure to carry out their disarmament obligation; Sister Megan Rice, the 85 year old nun who is spending three
Peter Weiss,
Source: http://goo.gl/i7KW2h
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
23
years in prison for pouring some of her own blood on the wall of a building housing enough weapons grade
uranium to manufacture thousands of nuclear weapons.
What we need now is a heroic state, or coalition of states, who will risk the displeasure of the powerful nuclear
weapon states by leading the way to a world not just free of, but liberated from, the curse of nuclear weapons. I
have faith that such states are represented in this chamber today. But please remember: In my lifetime.
Board Meeting der IALANA am 02.05.2015 in New York
Von Reiner Braun
Während der NPT Konferenz traf sich auch das Board der internationalen IALANA zu einer Sitzung.
Neben einen kritischen Revue der ersten Woche der NPT-Konferenz, bei der vor allem die Blockadehaltung gegen
die nukleare Abrüstung durch die Atomwaffenstaaten scharf kritisiert wurde, befasste sich das Board mit den
nächsten Aktivitäten der internationalen IALANA.
Dabei wurden die folgenden Beschlüsse gefasst:
1. Die neugegründete Sektion der IALANA in der Schweiz wurde in die „IALANA Familie“ aufgenommen,
2. Die nächste „General Assembly“ der internationalen IALANA wurde für den Zeitraum März- Mai 2016 in
die Schweiz einberufen. Diese soll verbunden werden mit einem Seminar zum Thema „Frieden durch
Recht“,
3. Alle Sektionen der IALANA wurden gebeten, ihren Mitgliedsbeitrag in größtmöglichen Umfang und
rechtzeitig zu bezahlen. Die Finanzierung der internationalen IALANA über die deutsche Sektion ist nicht
länger möglich,
4. Dem langjährigen Vorsitzenden Judge Weeramanty wurde für seine aufopferungsvolle Arbeit gedankt und
er wurde zum Ehrenvorsitzenden der IALANA ernannt. Auf der nächsten General Assembly soll die
Führungsstruktur der internationalen IALANA neu bestimmt werden,
5. Die Unterstützung des „Marshall Island Case“ soll intensiv fortgesetzt, dieser Fall Laufend und aktualisiert
in den einzelnen Länder bekannt gemacht und für seine Unterstützung geworben werden.
Peace through law needs change of conditions
Von Peter Becker
Co-Präsident der IALANA
Im Jahr 1997 gründeten prominente Mitglieder von Thinktanks, insbesondere des Enterprise Institutes, das den
Republikanern nahesteht, das „Project for the New American Century“ (PNAC). Zu den Gründern zählte etwa
Robert Kagan, Ehemann der amerikanischen Diplomatin Victoria Nuland („fuck the EU“, „Merkels Moskau-Zeug“),
Mitglieder waren Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, Richard Perle, Gordon Libby etc. Primäres Ziel
des PNAC war die Festigung der weltweiten amerikanischen Hegemonie, vor allem durch Ausbau der militärischen
Übermacht, mit wachsender Bedeutung der weltweiten Militärstützpunkte.
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Eine besondere Rolle spielte dabei das Völkerrecht. Das PNAC verfocht ein unilaterales Verständnis: Maßgeblich
sein sollten die US-amerikanischen Maßstäbe. In Wikipedia heißt es dazu:
„Als ‚Weltpolizist‘ hätten die Vereinigen Staaten die Macht, in einer chaotischen ‚hobbesianischen‘ Welt für die Einhaltung von Recht und Gesetz gemäß den von den USA gesetzten Maßstäben zu sorgen – wenn es sein muss auch ohne Absprache oder Rücksichtnahme auf Verbündete und andere supranationale Organisationen, Verträge und sonstige Rechtsverbindlichkeiten (Unilateralismus). Darin sehen alle Kritiker einen klaren geschichtlichen Rückfall hinter die mühselig errungenen Fortschritte im Völkerrecht seit dem Westfälischen Frieden.“
1998 richtete der PNAC einen Brief an den amerikanischen Präsidenten Bill
Clinton und forderte einen Regime Change im Irak, der – nachdem prominente
Mitglieder des PNAC wie Cheney und Rumsfeld an die Macht gekommen waren –
im Jahr 2003 auch umgesetzt wurde, mit verheerenden Folgen. Dass ein solcher
militärischer Regime Change nur mit einer Verletzung des Gewaltverbots in Art. 2
Abs. 4 UNC zu erreichen war, spielte keine Rolle. Mit anderen Worten: Die
politische Führung der USA, die seit 2001 an der Macht war, verkündete praktisch
als Regierungsprogramm, sich nicht mehr an das Völkerrecht halten zu wollen.
Wie kann man die weltweite Geltung des Völkerrechts durchsetzen? Das Wichtigste dürfte sein, dafür zu sorgen,
dass die Politik weiß, was Völkerrecht ist und dass sie sich daran halten muss. Was die US-Politik angeht, reicht es
offenbar nicht aus, dass amerikanische Präsidenten Juristen sind. Bill Clinton und seine Frau sind Juristen. Bill
Clinton hielt das nicht davon ab, einen Regime Change in Jugoslawien durchzusetzen. Jedenfalls trat er der
Absicht seiner Außenministerin Madeleine Albright nicht entgegen, den Krieg gegen Jugoslawien ohne Mandat
des Sicherheitsrates durchzuführen und die ganze NATO, auch Deutschland, auf diesen Kurs zu bringen, obwohl
die NATO nach Art. 1 des Vertrages verpflichtet ist, sich an die UN-Charta zu halten. Stattdessen wurde
behauptet, ein solcher Krieg sei auch als „humanitäre Intervention“ zulässig, die aber eine Selbstermächtigung
darstellt und sich daher nicht auf die UN-Charta stützen kann. Man sieht, es reicht nicht aus, dass es eine UN-
Charta gibt und dass die Mitglieder – eigentlich selbstverständlich – verpflichtet sind, sich daran zu halten.
Meine Überzeugung ist: Der Kampf für die Verbindlichkeit des Völkerrechts muss von unten angepackt werden,
d.h. von den Nationalstaaten, dort wieder dadurch, dass die Grundsätze des Völkerrechts – insbesondere ihr
friedenswahrender Charakter – zum Ausbildungsprogramm der Universitäten gehört. Es muss selbstverständlich
sein, dass sich ein Staat an das Völkerrecht zu halten hat. Das ist selbst bei einem Rechtsstaat wie Deutschland
nicht selbstverständlich. Das zeigt die Beschlussfassung im Deutschen Bundestag am 16. Oktober 1998, bei der die
große Mehrheit der Parlamentarier für eine – völkerrechtswidrige – „humanitäre Intervention“ stimmte. Dagegen
waren aber zwei prominente Juristen, nämlich Burkhard Hirsch (FDP) und Edzard Schmidt-Jortzig (SPD), damals
Justizminister im Kabinett Schwarz/Gelb. Es war insbesondere die deutsche IALANA, die schon zur
Beschlussfassung im Deutschen Bundestag Stellungnahmen von Völkerrechtlern organisierte und veröffentlichte.
Dieter Deiseroth, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der IALANA, war der erste, der in einer juristischen
Fachzeitschrift eine völkerrechtliche Einordnung der „humanitären Intervention“ vornahm.
Peter Becker,
Fotoquelle: http://goo.gl/7ql7Co
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
25
Die deutsche Verfassung kennt ein Friedensgebot mit den Bestandteilen Art. 25 und 26 GG. Nach Art. 25 sind die
wesentlichen Grundsätze des Völkerrechts Bestandteile des Bundesrechts, auch das Gewaltverbot, nach Art. 26
ist der Angriffskrieg verboten. Nach Art. 25 kann sich auch der Bürger auf die Grundsätze des Völkerrechts
berufen. Es ist aber bis heute umstritten, ob er auch eine Verletzung des Gewaltverbots monieren und die
Staatsgewalt verpflichten kann, Verletzungen des Gewaltverbots zu unterlassen oder auszuräumen. Das würde
etwa für die US-Kriegführung von der amerikanischen Air Base Ramstein (ABR) aus gelten. In der deutschen
Rechtsprechung gibt es bisher keinen einzigen Fall, in dem sich ein Bürger mit Erfolg gegen Verletzungen des
Gewaltverbots von deutschem Boden aus gewehrt hätte. Dabei hat sich Deutschland im 2+4-Vertrag von 1990
dazu bekannt, dass von deutschem Boden aus nie mehr Krieg geführt werden dürfe.
Ich trete seit langem für die Etablierung eines Fachs „Friedensrecht“ in der deutschen Rechtswissenschaft und in
der juristischen Ausbildung ein. Dabei war selbst in unserer Vereinigung am Anfang umstritten, ob es ein
„Friedensrecht“ überhaupt gibt. Erster Markstein war dann die Durchführung unseres Kongresses „Frieden durch
Recht?“ im Jahr 2009 in der Berliner Humboldt-Universität. Aus diesem Kongress ist ein sehr interessantes Buch
hervorgegangen, das über die Geschäftsstelle der IALANA erhältlich ist. Abgedruckt sind etwa Aufsätze von Dieter
Deiseroth zum Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta, von Andreas Fischer-Lescano: Subjektive
Rechte und völkerrechtliches Gewaltverbot oder von mir zum Rechtsschutz gegen verfassungswidrige
Kriegsführung Aber bis zur Etablierung eines Ausbildungsfachs Friedensrecht in der universitären Ausbildung bis
hin zur Herstellung eines Gefühls für die Bedeutung des Völkerrechts in der deutschen Richterschaft ist es noch
ein weiter Weg.
In der Schule muss es gehen um Friedensbildung: Mit welchen didaktischen Vorgehensweisen gewinnt man
SchülerInnen (und die Lehrerschaft) dazu, Verständnis für das Entstehen von Konflikten und ihre Schlichtung zu
entwickeln? Wie kann es gelingen, die Komplexität der Handlungen der Staaten zu vermitteln und mit der Illusion
aufzuräumen, nur militärische Gewalt könne Konflikte „lösen“? Das Gegenteil ist richtig. Aber: Die „zivile
Konfliktbearbeitung“ – gerade auch mit rechtlichen Mitteln – muss schon in der Schule beginnen, um sich dann im
Deutschen Bundestag durchzusetzen. Deswegen plädiere ich auch für die Ausweitung der Parlamentsbeteiligung
über den Einsatz der Bundeswehr hinaus auf das staatliche Engagement zur Beilegung von Konflikten.
Parlamentsbeteiligungsgesetz
Die große Koalition hat im Koalitionsvertrag vereinbart, das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu Gunsten einer
Verlagerung der Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr auf die Regierung zu ändern. Am
18.05.2015 führte die Bundestagsfraktion der Linken eine parlamentarische Anhörung von Sachverständigen zur
geplanten Revision des Parlamentsbeteiligungsgesetzes durch. Neben Willi Wimmer, ehemaliger
Parlamentarischer Staatssekretär im BMVG, sprach auf dieser Veranstaltung als Sachverständiger auch Otto
Jäckel.
Wir dokumentieren im Folgenden seinen Beitrag:
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Parlamentsbeteiligungsgesetz
Verfassungsrechtliche Schranken für eine Revision der Parlamentsbeteiligung
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Schriftliche Fassung des Vortrags in der Anhörung von Sachverständigen im Reichstagsgebäude zu Berlin auf Einladung der Bundestagsfraktion Die Linke
Von Otto Jäckel
1. Problemstellung
Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD vereinbart, das Parlamentsbeteiligungsgesetz einer
Revision zu unterziehen: „Wir wollen die Beteiligung des Parlaments an der Entscheidung über den
Einsatz deutscher Soldaten auch angesichts vermehrter Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit unseren
Partnern sicherstellen. Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldaten in integrierten Strukturen und
Stäben auf NATO- und EU-Ebene muss mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein.“
Ausgangspunkt für die Erarbeitung eines entsprechenden Gesetzesvorschlags zur Novellierung des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes in der hierzu eingesetzten Rühe-Kommission ist zunächst eine Analyse
der in Rede stehenden Integrationsprozesse Deutschlands in Strukturen der NATO sowie in die
Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU.
Im Ergebnis der Anhörung entsprechender Sachverständiger wurden für den sich vertiefenden
Integrationsprozess im Wesentlichen folgende Punkte genannt.
Für den Bereich der NATO:
- Integration in die ständigen Stäbe der NATO
- Integration in die künftig verlegefähigen operativen Hauptquartiere der NATO in Brunssum, Neapel
und Ulm
- Strategische Aufklärung durch AWACS
- Aufklärung durch das zu installierende drohnengestützte System Alliance Ground Surveillance (AGS)
- NATO Response Force
- Deutsch-Französische Brigade
- Deutsch-Niederländische Brigade
- Smart Defense Projekte
- Rahmennationen-Konzept
- Beteiligung an Ausbildungs- und Beratungsmissionen
Für den Bereich der EU:
- EU Battle Groups
- Europäisches Lufttransportkommando (EATC)
- Pooling
- Sharing
In der Kommission wurde teilweise die These vertreten, das Vertrauen in einen verlässlichen Beitrag
Deutschlands zu diesen integrierten und arbeitsteiligen Projekten sei in Frage gestellt. Als Anlass für die
Zweifel an der Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit des deutschen Beitrags wird auf den zweimaligen
Rückzug Deutschlands aus AWACS-Einsätzen und die Nichtbeteiligung Deutschlands an dem Krieg gegen
Libyen verwiesen. Offen bleibt dabei, inwiefern sich aus den genannten Beispielen ein
Novellierungsbedarf bezüglich des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ableiten lassen soll, denn der
Deutsche Bundestag hat seit Statuierung des Parlamentsvorbehalts durch das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 12.07.1994 und das Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes am
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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24.03.2005 in keinem einzigen Fall einen Antrag der Bundesregierung auf Genehmigung eines
Auslandseinsatzes der Bundeswehr verweigert oder etwa beschlossen, die Bundeswehr aus einem
solchen Einsatz zurückzuholen.
Die in der Kommission geäußerten Positionen zu einem Reformbedarf reichen von dem Vorschlag, die
Entscheidung über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr durch Vorratsbeschlüsse des Bundestages im
Einzelfall der Regierung zu übertragen und dem Bundestag lediglich ein Rückholrecht einzuräumen bis
dahin, es bestehe überhaupt kein Bedarf zu einer Änderung. Wie sich einem Bericht in der Süddeutschen
Zeitung vom 09.05.2015 entnehmen lässt, soll sich die Kommission inzwischen auf einen Vorschlag
geeinigt haben, der darauf hinausläuft, dass der Bundestag künftig besser über Einsätze des geheim
operierenden Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr informiert werden soll. Die von Teilen der
Union geforderte Bereitstellung von Einheiten der Bundeswehr durch Vorratsbeschlüsse mit
Rückholvorbehalt habe sich nicht durchgesetzt. Allerdings solle in das Gesetz aufgenommen werden, dass
etwa Ausbildungsmissionen auch ohne vorherigen Beschluss des Bundestages als genehmigt gelten, wenn
Waffen nur zur Selbstverteidigung oder für die Ausbildung mitgeführt würden. Weiterhin soll zukünftig
eine Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich sein, wenn deutsche Soldaten in internationalen
Hauptquartieren oder Stäben eingesetzt seien, sich dabei aber nicht in einem Kriegsgebiet befänden oder
Waffen bedienten.
Da der konkrete Gesetzesvorschlag der Kommission jedoch noch nicht in seinem genauen Wortlaut
vorliegt, können nachfolgend lediglich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
abzuleitende Hinweise gegeben werden, aus denen sich Schlussfolgerungen betreffend die
Verfassungsmäßigkeit oder –Widrigkeit möglicher Änderungsvorschläge ziehen lassen.
2. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem „Out Of Area „ /AWACS“ – Urteil vom 12.07.1994
zum Parlamentsvorbehalt und die Regeln des Parlamentsbeteiligungsgesetzes
Die Out Of Area – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.07.1994 enthält 3 Elemente. Zum
einen wird darin der globale Einsatzbereich der NATO im Unterschied zu seinem ursprünglichen
Vertragszweck (Verteidigung im nordatlantischen Bereich) auch ohne Zustimmungsgesetz des deutschen
Bundestages für rechtmäßig erklärt. Eine Debatte im Deutschen Bundestag und ein Meinungs- und
Willensbildungsprozess in der deutschen Öffentlichkeit über diese wesentliche Änderung des
Einsatzbereichs der NATO wurde damit verhindert.
Zum zweiten erklärte das Bundesverfassungsgericht die NATO zu einem „System kollektiver Sicherheit“
vergleichbar mit der UNO. Dies entsprach dem Wunsch der Bundesregierung und geschah entgegen den
eigenen Verlautbarungen der NATO, die sich selbst stets als Verteidigungsbündnis verstanden hatte, was
auch der nahezu einhelligen Auffassung hierzu im völkerrechtlichen Schrifttum entsprach. Damit wurde
die NATO aus der Legitimationskrise geführt, in die sie nach dem Ende des Kalten Krieges und der
Auflösung des Warschauer Vertragsbündnisses als verbliebenes Verteidigungsbündnis geraten war. Die
Qualifizierung der NATO als System kollektiver Sicherheit ist eklatant unzutreffend – schon weil sie die
Aufnahme von Staaten, die mit ihr in einem Interessenwiderspruch stehen, ablehnt. Dies kann an dieser
Stelle jedoch nicht weiter vertieft werden.
Als Kompensation – um für diese schwer verdauliche Kost gesellschaftspolitische Akzeptanz zu finden –
kreierte das Bundesverfassungsgericht den Parlamentsvorbehalt für bewaffnete Einsätze der Bundeswehr
im Ausland. Da dieser Parlamentsvorbehalt sich nicht aus einer Vorschrift des Grundgesetzes ableiten
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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ließ, begründete das Bundesverfassungsgericht dieses verfassungsrechtliche Gebot aus der historischen
deutschen Rechtstradition.
Das Verfassungsgericht stellte zunächst fest, dass das Parlament für den Fall eines bewaffneten Angriffs
auf einen NATO-Bündnispartner durch das Zustimmungsgesetz zum NATO-Beitritt zwar bereits
grundsätzlich gebilligt habe, dass deutsche Streitkräfte beim Eintritt des Bündnisfalles zum Einsatz
kommen. Auch in diesem Fall bedürfe es jedoch noch der –regelmäßig vorhergehenden-
parlamentarischen Entscheidung über den konkreten Einsatz. Ebenso treffe dies zu für den Einsatz
bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, und
zwar unabhängig davon, ob es sich um Blauhelmeinsätze oder Einsätze mit Zwangsbefugnissen nach
Kapitel VII der UN-Charta handele. Nicht der Zustimmung des Bundestages bedürfe die Verwendung von
Personal der Bundeswehr für Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland, sofern die Soldaten dabei nicht
in bewaffnete Unternehmungen einbezogen seien.
Bei Gefahr im Verzug sei die Bundesregierung berechtigt, den Einsatz von Streitkräften vorläufig zu
beschließen und zu vollziehen. Die Bundesregierung müsse jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend
mit dem Einsatz befassen. Die Streitkräfte seien zurückzurufen, wenn es der Bundestag verlange. Einen
Einsatz bewaffneter Streitkräfte sei nach der Bedeutung des zu fassenden Beschlusses grundsätzlich
aufgrund einer Erörterung im Plenum des Bundestages zu beschließen. Eine entsprechende
Initiativbefugnis stehe dem Bundestag jedoch ebenso wenig zu wie eine Abänderung der
Regierungsvorlage. Insofern gebe es nur Zustimmung oder Ablehnung.
Jenseits dieser Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehalts ist es nach der
Entscheidung des Verfassungsgerichts Sache des Gesetzgebers, Form und Ausmaß der parlamentarischen
Mitwirkung auszugestalten. Dabei kann es angezeigt sein, im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen
die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des möglichen
Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration
vorgezeichnet ist.
Mit dem Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter
Streitkräfte im Ausland vom 24.03.2005, das bis heute unverändert fort gilt, hat der Gesetzgeber sich an
den vorgenannten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts orientiert und diese umgesetzt.
Nach §1 Abs. 2 des ParlBG bedarf der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des
Geltungsbereichs des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundestages. Nach § 2 Abs. 1 liegt ein Einsatz
bewaffneter Streitkräfte vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete
Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu
erwarten ist. § 3 enthält die Anforderungen an den von der Regierung zu stellenden Antrag an das
Parlament, insbesondere die damit verbundenen Informationspflichten. § 4 regelt das vereinfachte
Zustimmungsverfahren, von dem erkennbar bislang noch nicht Gebrauch gemacht worden ist. § 5
normiert das Verfahren der nachträglichen Zustimmung bei Gefahr im Verzug, § 6 die
Unterrichtungspflichten der Bundesregierung, § 7 das Verfahren bei Verlängerung von Einsätzen und § 8
das Rückholrecht, von dem bislang ebenfalls noch kein Gebrauch gemacht wurde.
3. Die AWACS-Einsatz Entscheidung (Türkei) des Bundesverfassungsgerichts zur Definition der
zustimmungspflichtigen „bewaffneten Unternehmung“
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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In dem Verfassungsrechtsstreit über die deutsche Beteiligung an AWACS Flügen über der Türkei während
des Irak-Krieges hatte die Bundesregierung die Auffassung vertreten, eine „bewaffnete Unternehmung“
im Sinne des § 2 Abs. 1 ParlBG und damit das Erfordernis der Parlamentsbeteiligung liege erst vor, wenn
deutsche Soldaten bewaffnete Gewalt tatsächlich anwenden. In seiner hierzu ergangenen Entscheidung
vom 7.5.2008 – 2 BvE 1/03 – hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, bei einem derart engen
Verständnis des Parlamentsvorbehalts könne der Deutsche Bundestag seinen rechtserheblichen Einfluss
auf die Verwendung der Bundeswehr nicht hinreichend wahrnehmen. Seine Entscheidung bezöge sich
dann nicht mehr auf den Zeitpunkt der Einsatzentscheidung, sondern regelmäßig auf einen der
Entscheidung nachgelagerten Zeitpunkt, in dem der Streitkräfteeinsatz mit allen seinen damit
verbundenen praktischen Handlungsnotwendigkeiten bereits begonnen hat. Überschritte erst die
Anwendung militärischer Gewalt die Grenze der Zustimmungsbedürftigkeit, könnte von einer „regelmäßig
vorhergehenden“ parlamentarischen Beteiligung nicht mehr gesprochen werden. (Rn. 75) .
Für den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt kommt es nach dem BVerfG somit nicht darauf
an, ob sich bewaffnete Auseinandersetzungen im Sinne eines Kampfgeschehens bereits verwirklicht
haben, sondern darauf, ob nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und
tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen
konkret zu erwarten ist. Die bloße Möglichkeit, dass es bei dem Einsatz zu bewaffneten
Auseinandersetzungen komme, reiche nicht aus, vielmehr bedürfe es hinreichend greifbarer tatsächlicher
Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen
Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden könne. Hierfür
müsse aus den Umständen des Falles und der politischen Gesamtlage heraus eine konkrete militärische
Gefahrenlage bestehen, die eine hinreichende Nähe zur Anwendung von Waffengewalt und damit zur
Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete Auseinandersetzung aufweise. Für die Beurteilung
komme es auf die besonderen Umstände des konkreten Einsatzes an. Ein Anhaltspunkt für die drohende
Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen besteht, so das Gericht, wenn sie
im Ausland Waffen mit sich führen und ermächtigt sind, von ihnen Gebrauch zu machen.
Was den AWACS-Einsatz anbelangt, erklärte das Gericht, wer im Rahmen einer bewaffneten
Auseinandersetzung für den Waffeneinsatz bedeutsame Informationen liefert, eine die bewaffnete
Operation unmittelbar leitende Aufklärung betreibt, ist in bewaffnete Unternehmungen einbezogen,
ohne dass er selbst Waffen tragen muss. Der AWACS-Einsatz im Luftraum der Türkei wurde von dem
Bundesverfassungsgericht dementsprechend als militärische Unternehmung beurteilt, die der vorherigen
Zustimmung des Deutschen Bundestages bedurft hätte.
4. Das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30.06.2009 zum Verhältnis zwischen generellen
Beistandsklauseln in NATO- und EU-Vertrag zum einzelfallbezogenen wehrverfassungsrechtlichen
Parlamentsvorbehalt
In seinem Lissabon-Urteil vom 30.06.2009 befasste sich das Gericht auch mit den Implikationen, die sich
aus der Beistandspflicht im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates
ergeben. Danach schulden die anderen Mitgliedstaaten gemäß Art. 42 Abs. 2 EUV-Lissabon dem
angegriffenen Staat alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung im Einklang mit Art. 51 der
Charta der Vereinten Nationen. Hierzu führt das Gericht unter Rn. 237 der Entscheidung aus, jede
Einfügung in friedenserhaltende Systeme, in internationale oder supranationale Organisationen eröffne
die Möglichkeit, dass sich die geschaffenen Einrichtungen, auch und gerade wenn deren Organe
auftragsgemäß handeln, selbständig entwickeln und dabei eine Tendenz zu ihrer politischen
Selbstverstärkung aufweisen. Hieraus folge, dass das Zustimmungsgesetz und die innerstaatliche
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Begleitgesetzgebung so beschaffen sein müssten, dass die europäische Integration weiter nach dem
Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung erfolge, ohne dass für die Europäische Union die Möglichkeit
bestehe, sich der Kompetenz-Kompetenz zu bemächtigen oder die Verfassungsidentität der
Mitgliedstaaten, hier des Grundgesetzes, zu verletzen.
Die europäische Vereinigung auf der Grundlage einer Vertragsunion souveräner Staaten dürfe nicht so
verwirklicht werden, dass in den Mitgliedstaaten kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der
Lebensverhältnisse mehr bleibe. Zu den wesentlichen Bereichen demokratischer Gestaltung zählt das
Bundesverfassungsgericht unter Rn. 249 der Entscheidung insbesondere das militärische Gewaltmonopol.
Unter Rn. 255 führt das Gericht weiter aus, der konstitutive Parlamentsvorbehalt für den Auslandseinsatz
der Bundeswehr sei integrationsfest. Damit sei von Verfassungswegen keine unübersteigbare Grenze für
eine technische Integration eines europäischen Streitkräfteeinsatzes über gemeinsame Führungsstäbe,
für die Bildung gemeinsamer Streitkräftedispositive oder für eine Abstimmung und Koordinierung
gemeinsamer europäischer Rüstungsbeschaffungen gezogen. Nur die Entscheidung über den jeweiligen
konkreten Einsatz – so das Gericht – hängt von der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages
ab.
Zum Inhalt der unionsrechtlichen Beistandspflicht nach Art. 42 EUV-Lissabon führt das Gericht unter Rn
386 ff aus, diese gehe nicht über die Beistandspflicht nach Art. 5 des NATO-Vertrages hinaus. Diese
umfasse nicht zwingend den Einsatz militärischer Mittel, sondern gewähre den NATO-Mitgliedstaaten
einen Beurteilungsraum hinsichtlich des Inhalts des zu leistenden Beistands. Die Mitgliedstaaten haben
dadurch die Möglichkeit, sich gegenüber der Beistandspflicht auf prinzipielle inhaltliche Vorbehalte zu
berufen.
Der Vertrag von Lissabon ermächtige den Rat zwar zu Beschlüssen über Missionen, „bei deren
Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann“, Art. 43 Abs. 1 und Abs. 2
EUV-Lissabon. Die Formulierung „zivile und militärische Mittel“ könnte auch konkrete mitgliedstaatliche
Streitkräftekontingente einschließen. Nach bisherigem Verständnis waren militärische Beiträge aber
niemals rechtlich, sondern allenfalls politisch geschuldet.
5. Schlussfolgerungen
5.1. Es ist anzunehmen, dass das Bundesverfassungsgericht die in der AWACS/Türkei Entscheidung
genannten Kriterien bezüglich des Eingreifens des Parlamentsvorbehalts bei Maßnahmen der
strategischen Aufklärung – sei es durch AWACS-Flugzeuge oder das derzeit neu installierte Drohnen-
gestützte Alliance-Ground-Surveillance-System – auch in zukünftigen Fällen anwenden wird.
5.2. Aus der Entscheidung ergibt sich zugleich, dass eine grundsätzlich nachgelagerte Entscheidung des
Deutschen Bundestages, wie sie die Befürworter einer generellen Vorratsbeschlussregelung mit
Rückholvorbehalt vertreten, nicht die Billigung des Verfassungsgerichts finden würde.
5.3. Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts besteht weder nach dem NATO-Vertrag
noch nach dem EU-Vertrag eine generelle militärische Beistandsverpflichtung. Ob Deutschland
überhaupt Beistand leistet und wenn ja, durch welche zivilen oder militärischen Mittel, bleibt einer zu
treffenden Einzelfallentscheidung vorbehalten. Im Falle der Wahl militärischer Mittel bedarf es der
vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz.
5.4. Humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen der Streitkräfte, bei denen Waffen lediglich zum Zweck
der Selbstverteidigung mitgeführt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen und
Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden, sind schon nach dem Wortlaut des § 2
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Abs. 2 S.2 ParlBG, der Entscheidung des BVerfG vom 12.7.1994 folgend, von dem Anwendungsbereich
des Gesetzes ausgenommen.
5.5. Jeder Einsatz deutscher Soldaten, sei es in ständigen Stäben der Bündnisorganisationen, in operativen
Einsatzstäben, in integrierten kämpfenden Truppen wie der NATO Response Force, den Battle Groups
der EU, in der Deutsch-Niederländischen oder der Deutsch-Französischen Brigade oder in
selbständigen nationalen Einheiten der Bundeswehr unterliegt unabhängig von dem Erfordernis der
im Einzelfall durchzuführenden Parlamentsbeteiligung der strikten Bindung an Deutsches
Verfassungsrecht und damit dem Friedensgebot des Grundgesetzes . (folgend aus der Präambel
…“dem Frieden in der Welt zu dienen“, dem Bekenntnis in Art. 1 Abs. 2 GG zum „Frieden und der
Gerechtigkeit in der Welt“, dem Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegs und dem Verbot aller
Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche
Zusammenleben der Völker zu stören in Art. 26 Abs.1 S.1 GG, dem Verbot von Vereinigungen, die sich
gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten in Art. 9 Abs. 2 GG, der Bindung an Recht und
Gesetz in Art. 20 Abs. 3 GG und an die allgemeinen Regeln des Völkerrechts in Art. 25 GG) sowie dem
Gewaltverbot in Art 2 Ziff. 4 der UN-Charta und dem Gebot der friedlichen Streitbeilegung in Art. 2
Ziff. 3 der UN-Charta. . Hiervon gibt es nur zwei Ausnahmen. Zum einen eine Ermächtigung zu einem
bewaffneten Einsatz durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Charta,
wenn dieser zuvor gemäß Art. 39 UN-Charta eine Verletzung, Störung oder Bedrohung des Friedens
festgestellt hat oder im Falle des Vorliegens einer Notwehr- oder Nothilfesituation gemäß Art. 51 der
UN-Charta aufgrund eines vorangegangenen bewaffneten Angriffs. Jeder andere Einsatz, der sich
nicht an diese verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben hält, würde eine Aggression darstellen,
einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, wie dies das Bundesverwaltungsgericht in seiner
Entscheidung vom 21.6.2005 – 2 WD 12/04 – für den Fall des im Jahr 2001 gegen den Irak
begonnenen Krieges zu Recht erkannt hat.
Otto Jäckel; © Lucas Wirl
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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Brief an den russischen Botschafter
Sehr geehrter Herr Botschafter,
IALANA setzt sich seit Jahrzehnten gegen nukleare und andere Massenvernichtungswaffen sowie gegen die
Drohung mit deren Einsatz ein. Wir wenden uns auch gegen die "Nukleare Teilhabe" Deutschlands und anderer
NATO-Nichtatomwaffen-Staaten und fordern die Einhaltung und strikte Erfüllung des Nichtverbreitungsvertrages,
insbesondere auch der in Art. VI NPT normierten Abrüstungsverpflichtungen. Aktuell erfüllen uns Nachrichten
über die Möglichkeit eines Einsatzes russischer Atomwaffen im Ukraine-Konflikt mit großer Sorge.
Ausweislich eines in den Medien am 15. März 2015 verbreiteten TV-Interviews soll der Präsident der Russischen
Föderation Wladimir Putin dem Interviewer gegenüber geäußert haben, auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise
habe er es nicht ausschließen können, das Nuklearwaffenarsenal der Atommacht notfalls in Bereitschaft zu
versetzen. Auf die Nachfrage des Journalisten, ob er damit meine, dass Russland zum Atomwaffeneinsatz bereit
gewesen sei, soll Präsident Putin erklärt haben: „Wir waren bereit, sie einzusetzen. Ich habe meinen
internationalen Amtskollegen ganz klar gesagt, es sei historisches Gebiet mit einer russischen Bevölkerung. Die
Menschen dort sind in Gefahr und wir werden sie niemals im Stich lassen.“
Sollten diese Meldungen zutreffen, hätte sich Präsident Wladimir Putin unseres Erachtens in Widerspruch gesetzt
zum geltenden Völkerrecht, wie es der Internationale Gerichtshof in Den-Haag (IGH) in seinem Rechtsgutachten
vom 8. Juli 1996 eingehend dargelegt hat. In diesem hat das Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen, das
für die verbindliche Interpretation des Völkerrechts zuständig ist, entschieden, dass der Einsatz von Atomwaffen
und auch bereits dessen Androhung grundsätzlich („generally“) gegen die Regeln des Völkerrechts verstößt, die
für bewaffnete Konflikte gelten, insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des sog. humanitären Völkerrechts
(„ius in bello“).
Der erste dieser Grundsätze ist auf den Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte ausgerichtet und legt die
Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten fest; die Staaten dürfen Zivilisten nie zum
Angriffsziel machen und dürfen demnach nie Waffen einsetzen, die – wie die Atomwaffen – unterschiedslos zivile
und militärische Ziele treffen. Dem zweiten Grundsatz zufolge ist es verboten, Kombattanten unnötiges Leiden zu
bereiten. Dementsprechend ist es strikt untersagt, Waffen einzusetzen, die ihnen vermeidbare Schmerzen und
Leiden zufügen. Ein weiterer Grundsatz des humanitären Völkerrechts verbietet zudem die Anwendung von
Waffen, deren Wirkung sich nicht auf bestimmte Staatsgebiete begrenzen lässt, sondern unter Verletzung des
Neutralitätsprinzips auch Nachbarländer in Mitleidenschaft zieht.
Staaten haben deshalb hinsichtlich der von ihnen eingesetzten Waffen keine uneingeschränkte Wahl der Mittel.
Atomwaffen können, nach allem was wir wissen, die Anforderungen des humanitären Völkerrechts nicht erfüllen.
Soweit der IGH in seinem Rechtsgutachten vom 8. Juli 1996 erklärt hat, er könne keine endgültige Aussage über
die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Einsatzes von Atomwaffen durch einen Staat zur Selbstverteidigung in
einer extremen Situation, in der es um das Überleben („the very survival“) geht, treffen, ergibt sich auch daraus
kein bestehendes Recht zum Atomwaffeneinsatz. Der Gerichtshof hat diese Aussage im Hinblick auf das nicht
belegte und nicht überprüfte Vorbringen einiger Atomwaffenmächte ihm gegenüber getroffen, das sich auf die
angeblich künftig mögliche Entwicklung so genannter „sauberer“ Atomwaffen bezog. Dies hat der damalige
Präsident des Gerichtshofs, Prof. Mohammed Bedjaoui, ausdrücklich mehrfach klargestellt. Solche „sauberen“
Atomwaffen relativ geringer Sprengkraft, die angeblich keine langanhaltenden nuklearen Verstrahlungen und
JURISTEN UND JURISTINNEN GEGEN ATOMARE, BIOLOGISCHE UND CHEMISCHE WAFFEN JUNI 2015
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keine länderübergreifenden nuklearen Großschäden auslösen sollen, gibt es bisher nicht. Die in den Arsenalen der
Atommächte existierenden einsatzfähigen Atomwaffen haben diese Eigenschaften nicht.
Wir möchten noch hinzufügen: Das Überleben („the very survival“) der Russischen Föderation stand und steht
ohnehin weder im Krimkonflikt noch in der Ukraine-Krise auf dem Spiel. Selbst nach der Argumentation der
russischen Regierung ging und geht es auf der Krim und in der Ukraine allein um den Schutz der russischen
Bevölkerungsgruppen vor Menschenrechtsverletzungen sowie um geostrategische Sicherheitsinteressen
Russlands angesichts der erfolgten und möglicherweise weiterhin geplanten Erweiterung des NATO-
Vertragsgebietes. Daran ändert auch nichts, dass diese NATO-Osterweiterung eklatant politischen Zusagen
widerspricht, die Russland von den USA und anderen NATO-Staaten im Zusammenhang mit der deutschen
Wiedervereinigung und der Charta von Paris nach 1989/1990 gegeben worden sind.
Uns allen sollte stets bewusst sein, dass ein Einsatz von Atomwaffen durch Russland oder einen anderen
Atomwaffenstaat zu einem "Schlagabtausch" zwischen Atomwaffenmächten führen könnte, der letztlich in einer
Menschheitskatastrophe enden würde, in der es für alle kein "survival" mehr gibt.
Wir bitten Sie, geehrter Herr Botschafter Wladimir Grinin, um Aufklärung über den Wahrheitsgehalt der Präsident
Putin zugeschriebenen Äußerungen und gegebenenfalls um eine Stellungnahme zur Vereinbarkeit dieser
Erklärung mit dem geltenden Völkerrecht.
Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch geben könnten.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Otto Jäckel Bernd Hahnfeld Dr. Peter Becker Rechtsanwalt Richter i.R. Rechtsanwalt Vorsitzender Vorstand Co-Vorsitzender
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Bundeswehreinsatz im Nordirak
Erklärung der IALANA
Bundeswehreinsatz im Nordirak: Jenseits des Grundgesetzes
1. Die Mehrheit des Deutschen Bundestages hat am 29.1.2015 auf Antrag der Bundesregierung (BT-Drs. 18/3561)
der Entsendung von „bewaffneten deutschen Streitkräften“ bis zum 16.1.2016 mit „bis zu 100 Soldatinnen und
Sol-daten“ in den Nordirak zugestimmt. Der Einsatz soll der „Ausbildungsunter-stützung“ von „Sicherheitskräften
der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“ gegen die Terrororganisation ISIS dienen,
die sich selbst auch „Islamischer Staat (IS)“ nennt. Die Bundeswehr soll beraten, ausbilden, führen und Lagebilder
durch das militärische Nachrichten-wesen erstellen. Zudem ist dabei die Entsendung von Offizieren „im Rahmen
der internationalen Allianz gegen ISIS“ in die Stäbe der irakischen Streitkräfte und der US-geführten
Kriegskoalition vorgesehen. Außerdem wird der Bundestagsbeschluss von der Bundesregierung als Mandat für
weitere deutsche Waffenlieferungen („militärische Ausrüstung“, vgl. Ziff. 3 des BT-Beschlusses) in die Region
angesehen.
2. Damit wird Deutschland immer stärker in einen Krieg verwickelt, dessen En-de nicht abzusehen ist. Im Irak und
in Syrien tobt kein Religionskrieg, sondern ein Machtkampf um Ressourcen und Einflussphären entlang ethnischer
Linien: Schiitische, sunnitische und kurdische Machteliten wollen mit Waffengewalt Gebiete und Menschen unter
ihre Kontrolle bringen, nachdem im Gefolge des völkerrechtswidrigen US-Krieges gegen das Saddam-Hussein-
Regime seit 2003 staatliche Strukturen dort immer mehr zerfallen sind. Die Bomben des US-geführten Luftkrieges
töten nicht nur IS-Kämpfer, sondern immer auch Zivilisten („Kollateralschäden“). Dies schafft neue Opfer und
schürt Hass bei den Überlebenden und ihren Angehörigen. Das führt dem IS und anderen Terrororganisationen
immer neue Anhänger und Sympathisanten zu. Es ist absehbar: Im Gefolge dessen werden sich Terror und Gegen-
terror dann immer stärker auch „gegen den Westen“ wenden.
3. Der jetzt von der Mehrheit des Bundestages gebilligte Einsatz der Bundeswehr ist mit dem Grundgesetz nicht
vereinbar. Wie das Bundesverfassungs-gericht zuletzt in seinem „Lissabon-Urteil“ vom 30.6.2009 feststellte, ist
der Auslandseinsatz der deutschen Streitkräfte nach dem Grundgesetz „außer im Verteidigungsfall nur in
Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit erlaubt (Art. 24 Abs. 2 GG).“ (Rn. 254). Ein Mandat zum Einsatz von
Streitkräften im Nordirak hat der UN-Sicherheitsrat weder Deutschland noch anderen Staaten erteilt. Kurzerhand
behauptet die Bundesregierung nun, bei den sich an Kampfeinsätzen gegen den IS beteiligenden Staaten handele
es sich um ein solches „System“. Dem hat bereits der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem
Gutachten zu dieser Frage mit Recht widersprochen. Ad hoc gebildete Koalitionen von „willigen“ Staaten sind
eben nicht die von Art. 24 Abs. 2 GG gemeinten „Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit“. Der jetzt
beschlossene Bundeswehr-Einsatz erfolgt weder „im Rahmen und nach den Regeln“ der UNO noch mit Billigung
der UNO durch die NATO. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes stellt denn auch fest, dass mit dem
Bundeswehreinsatz im Nordirak „verfassungsrechtliches Neuland“ betreten werde. Das ist nichts anderes als eine
höfliche Umschreibung für den Verfassungsbruch. Das Grundgesetz bricht, wie das BVerfG zu Recht festgestellt
hat, „mit allen Formen des politischen Machiavellismus und einer rigiden Souveränitätsvor-stellung, die noch zu
Beginn des 20. Jahrhunderts das Recht zur Kriegsführung – auch als Angriffskrieg – für ein selbstverständliches
Recht des souveränen Staates hielt.“ Es „will die Mitwirkung Deutschlands an internationalen Organisationen,
eine zwischen den Staaten hergestellte Ordnung des wechselseitigen friedlichen Interessenausgleichs und ein
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organisiertes Miteinander in Europa.“ (Rn. 222). Die zahlreichen Konflikte in der Welt von heute lassen sich durch
Militäreinsätze und den Export von immer mehr Waffen eben nicht lösen. Statt die Kriegsökonomie und die
„Spirale des Terrors“ noch weiter anzuheizen, gilt es, an den Ursachen anzusetzen und geeignete politische
Initiativen zur Gegensteuerung einzuleiten – gerade darin bewährt sich „globale Verantwortung“ im Einklang mit
dem Grundgesetz! Die „Übernahme globaler Verantwortung“ kann sich die Bundesregierung offenbar wieder
einmal nur in Gestalt des Einsatzes von militärischer Gewalt vorstellen. Dabei ist Krieg, wie Willy Brandt immer
wieder betont hat, nicht die „ultima ratio“, sondern die „ultima irratio“. Nicht zuletzt auch die Münchner
„Sicherheitskonferenz“ soll offenbar dem Zweck dienen, die mit Recht skeptische Bevölkerung Deutschlands
darauf einzustimmen, dass die Beteiligung der Bundeswehr an kriegerischen Auseinandersetzungen auf
Krisenschauplätzen rund um die Welt immer mehr zur „Normalität“ wird. Diesem verfassungswidrigen Treiben
setzen wir unseren entschiedenen Protest entgegen!
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8. Mai 2015: Erinnern – bewahren- Frieden: Der „Schwur von Buchenwald“
ist hochaktuell
Von Reiner Braun, Kristine Karch, Pascal Luig, Lucas Wirl
Es waren vielleicht die bewegendsten Eindrücke des 8. und 9. Mai 2015: Zehntausende Menschen, Familien,
Junge und Alte, Deutsche und Ausländer zogen stundenlang durch Berlin zu den beiden Mahnmalen im Tierpark
und im Treptower Park.
Sie legten Blumen nieder.
„Blumen für den Frieden“
Sie verharrten in Ruhe,
Gedenken und Trauer und
gedachten der Toten des 2.
Weltkrieges, besonders
der 27 Millionen Toten der
Sowjetunion. Die
Menschen waren aber
auch fröhlich und
optimistisch, sie erinnerten
sich an die Befreiung
Europas von der Geisel des
Faschismus und feierten
diesen Sieg der Völker.
Eine tiefe Sehnsucht nach Frieden prägte die stundenlangen Züge von Menschen an beiden Ehrenmälern
Besorgnis über die aktuelle Situation prägten viele Gespräche. Immer wieder wurde betont: Frieden und
Partnerschaft mit Russland ist der Unterpfand einer friedlichen Entwicklung in Europa. Eine tiefe
Friedenssehnsucht prägte diese oft spontanen, familiären Friedensmanifestationen.
Viele – aber lange nicht alle – kamen aus den verschiedenen Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Ausländische
KollegInnen oft aus Ländern, die 1945 noch kolonial unterjocht waren, nahmen aktiv teil. Bringen Sie einen neuen
Friedenwillen in die deutsche Gesellschaft, werden auch sie aktiver, engagierter für den Frieden? Gedanken, die
einer vertiefenden Diskussion bedürfen.
Matthias Platzeck sprach am Ehrenmal im Berliner Tiergarten der Initiative KONTAKTE-KOHTAKTbI und warnte
davor, diesen Tag umzudeuten. Wenn schon unsere östlichen Wertenachbarn sich alle Mühe geben, um einige
Seiten aus dem Geschichtsbuch zu zerren, sollten wir [Deutschland] uns der Verantwortung umso mehr stellen.
Im Treptower Park feierten am 9.05. schon traditionell viele u.a. mit der VVN-Bund der Antifaschisten unter dem
Motto „Wer nicht feiert, hat verloren“
Beeindruckend vor allem durch die vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die spontan vorbeikamen und
dabeiblieben war das Friedensfestival, das vom 8.05. - 10.05.2015 auf dem Breitscheidplatz, mit der
Unterstützung der Gemeinde der Kaiser Wilhelm Gedächtnis Kirche, durchgeführt wurde. Die IALANA war einer
© Lucas Wirl
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der Unterstützer dieser Veranstaltung und mit Referierenden aktiv beteiligt. Tausende TeilnehmerInnen
diskutierten aktuelle friedenspolitische, aber auch humanistische Herausforderungen und beteiligten sich aktiv
und passiv an vielfältigen kulturellen Aktivitäten. Eine sinnvolle Veranstaltung, gerade um Interessierte aber noch
nicht Aktive einzubeziehen und die Gesellschaft weiterhin für den Frieden zu sensibilisieren.
Über 60 dezentrale Veranstaltungen vervollständigten das Berliner Programm.
Beendet wurden diese vielfältigen Erinnerungs- und Friedensaktionen in Berlin durch die Demonstration, die von
der Berliner Friedenskoordination organisiert wurde und auf eine breite Unterstützung durch viele
Friedensinitiativen und Organisationen weit über Berlin hinaus stieß. In ihrem Mittelpunkt standen unter dem
Motto: „70 Jahre Befreiung - Nein zu Krieg und Faschismus - Für eine Politik der Verständigung und
Konfliktlösung“ die aktuellen friedenspolitischen Herausforderungen.
2000 Menschen demonstrierten am 10.05.2015 durch Berlin. Ihre zentrale Aussage war, wir müssen den Frieden,
die Abrüstung und besonders das Nein zum Krieg gegen die offizielle Politik durch mehr Druck auf der Straße
erstreiten. In den beeindruckenden Worten der 90- jährigen Antifaschistin Erika Baum hieß es: „Ihr müsst den
Frieden fest in eure Hände nehmen, das ist die Lehre des 8. Mai 1945“. Peter Sodann verwies in sehr persönlichen
Erinnerungen auf die Notwendigkeit der Freundschaft mit Russland heute und die Zurückweisung der
interessensgebundenen Hetze. Oskar Lafontaine sprach in seinen per Video zugeschalteten Worten von der
Notwendigkeit, die Friedensbewegung neu zu entwickeln und zu stärken. Bezug nehmend auf den französischen
Sozialisten Jean Jaurès verwies er auf den untrennbaren Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg. Rolf Becker,
Schauspieler und aktiver Gewerkschafter verdeutlichte in eindringlichen Worten den Zusammenhang von Krieg
und Faschismus. Antifaschismus ist die Grundlage aller Friedensaktionen. In Worten und Taten zog sich dieses
wie ein roter Faden durch die Redebeiträge und die beeindruckenden kulturellen Beiträge dieser Demonstration.
Deutlich war auf der Demonstration auch die Trennung von allen, die nicht zur Friedensbewegung gehören.
Diese Demonstration war der Abschluss eines intensiven Aktionswochenendes der Friedensbewegung – auch in
Berlin.
Wichtig war auch: Die Ankündigungen von Rechtsradikalen und Faschisten, in Berlin zum 8.05.2015
aufzumarschieren und „zu stürmen“ blieben Luftblasen. Die Anzahl der Rechtsradikalen war minimal. Es bleibt
aber die Notwendigkeit tagtäglicher Aufmerksamkeit: „Wehret den Anfängen“.
Viele der Aktionen in Deutschland wurden in breiten Bündnissen und Koalitionen vorbereitet, die oft von der
VVN-BDA initiiert waren.
Einen vollständigen Überblick darzulegen, ist uns wenige Tage nach dem 8.05.2015 leider nicht möglich, es gab
aber viele dezentrale Veranstaltungen überall in der Republik, oft wie auch in Berlin mit aktiver IALANA
Beteiligung. So sprach u.a. Bernd Hahnfeld in Köln.
Besonders hervorzuheben ist die Demonstration in Bochum, zu der die neu gegründete Initiative
„Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für Frieden und Solidarität“ am 9.05. 2015 nach Bochum aufgerufen
hatte. Ca. 500 TeilnehmerInnen folgten diesem Aufruf. In seiner Rede sprach sich das ehemalige
Vorstandsmitglied der IG Metall Horst Schmitthenner eindringlich für eine engere Zusammenarbeit von Friedens-
und Arbeiterbewegung für eine friedliche, solidarische und humane Gesellschaft aus.
Viele weitere dezentrale – oft kleinere Aktionen – prägten in vielen Städten und Dörfern das Bild des 70.
Jahrestages der Befreiung. Geprägt vom Dank an die Befreier und tiefer Sorge um die Bedrohung des Friedens,
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besonders durch den Konfrontationskurs des Westens gegenüber Russland waren diese Veranstaltungen und
Aktionen die Antwort auf die Politik der Bundesregierung, diesen Tag mehr zur Anklage gegen Russlands als zur
Entwicklung einer Politik des Dialogs und der gemeinsamen Sicherheit umzudefinieren. Offizielle Feierlichkeiten
z.B. der in Städten und Kommunen waren eher die Ausnahme, gewerkschaftliches und kirchliches Engagement
eher selten.
In das Bild der Verweigerung des Dankes an die Befreier passt die sogenannte „Feier des Heeres“ am 9.05. 2015 in
Berlin, um des Beitritts der BRD zur NATO vor 60 Jahren zu gedenken. Über 100 Friedensaktivistinnen machten
mit ihrem Protest und besonders mit lauten Trillerpfeifen deutlich, was sie davon hielten.
Die Gefahr der Uminterpretation des 8. Mai, die vielfältigen Gefahren einer Geschichtsrevision, sind bei vielen
offiziellen und medialen Diskussionen um den 8. Mai deutlicher als zuvor hervorgetreten. Ihnen gilt es überall
entschieden entgegenzutreten, sind sie doch auch untrennbar mit einer weiteren Militarisierung der Gesellschaft
verbunden.
Die aktuellen Kriege und die Politik der Konfrontation des Westens gegen Russland sind große friedenspolitische
Herausforderungen. Werden wir diesen Herausforderungen als Friedensbewegung gerecht? Diese Fragen stellen,
heißt sie auch im Zusammenhang mit den Aktionen um den 8.Mai mit Nein zu beantworten. Ein Blick in die
Geschichte des 50. Und 60. Jahrestages der Befreiung zeigt, dass gerade Jahrestage der Befreiung mit großen,
eindrucksvollen Demonstrationen unter Beteiligung der Friedensbewegung verbunden waren.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber wir können möglicherweise aus ihr lernen, dass wieder mehr und
gemeinsame Aktionen sinnvoll wären.
Gedenk- und Friedensfest 2015
Von Tobias Falk – Praktikant bei der IALANA bis Mitte Mai2015
„Past-Presence-Peace“ – unter diesem Motto fand das diesjährige Gedenk- und Friedensfest vom 08. bis 10. Mai
auf dem Breitscheidplatz und in
der Kaiser-Wilhelm-
Gedächtniskirche in Berlin statt.
Gemeinsam mit zahlreichen
weiteren Organisationen, unter
ihnen auch die IALANA, hatte der
Förderverein Friedensfestival
Berlin e.V. ein buntes Programm
auf die Beine gestellt, das bei fast
durchweg sonnigem Wetter eine
Vielzahl an Besuchern auf den
Breitscheidplatz lockte und zum
dortigen Verweilen einlud.
© Lucas Wirl
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Auf der Bühne gab es ein musikalisches Programm zu sehen, dass von Soul über Hip-Hop bis hin zu Rock für jeden
Geschmack etwas zu bieten hatte. Das Konzert „Past-Presence-Peace“ in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
stellte hierbei aufgrund der einmaligen Akustik ein besonderes Highlight dar. Es gab zudem Podiumsgespräche,
die sich mit friedenspolitischen Themen auseinandersetzten, und an denen sich unter anderem auch
Holocaustüberlebende und Flüchtlinge beteiligten, um ihre Lebenserfahrungen mit dem Publikum zu teilen.
Daneben existierte auch ein vielfältiges Rahmenprogramm. Es wurden Workshops angeboten, Ausstellungen
gaben Einblicke in verschiedene Aspekte von Krieg und Frieden, zahlreiche Organisationen präsentierten sich mit
Informationsständen und Kinder und Jugendliche konnten sich bei Mitmach-Aktionen selbst einbringen.
Gemäß seinem Motto: „Past-Presence-Peace“ diente das Gedenk- und Friedensfest dazu, den Opfern der
Vergangenheit zu gedenken, das Bewusstsein der Menschen für das Leid, das vielen durch Krisen und Konflikte
auch in der Gegenwart noch widerfährt, zu schärfen und die Menschen zu animieren sich für eine lebens- und
liebenswerte Zukunft zu engagieren. Hierfür hat es einen wichtigen Beitrag leisten können.
Ansprache zum Gedenken am 9. Mai 2015 in Köln Von Bernd Hahnfeld, Richter i.R. Vorstand IALANA Deutschland Vor 70 Jahren endete der 2. Weltkrieg.
Wir gedenken der vielen Millionen Opfer in aller Welt,
und heute insbesondere der 27 Millionen Toten der
Sowjetunion.
Wir werden niemals vergessen, dass sie den größten
Blutzoll des Krieges und der Befreiung Deutschlands
von der Diktatur des Faschismus getragen haben.
„Aber wenn wir nicht mehr wollen, dann gibt es nie wieder
Krieg.“ Tucholsky hat 1921 einen scheinbar einfachen Weg
der Kriegsverhütung gezeigt.
Die Wirklichkeit war und ist komplizierter. Geschockt durch die Folgen des 1.Weltkrieges schafften es die
Staatsmänner 1928 mit dem Briand-Kellogg-Pakt zwar, den Krieg als Mittel der Politik international zu ächten.
Allein es fehlte die Kraft und vielleicht auch die Einsicht, geeignete Maßnahmen zur Durchsetzung dieses
völkerrechtlichen Verbotes zu schaffen. Immerhin wurde die völkerrechtliche Ächtung des Krieges von 62 Staaten
ratifiziert und gilt auch heute noch in Deutschland als unmittelbares, alle Bewohner verpflichtendes Recht.
Nach 1918 verhinderten eine europäische Grippe-Pandemie mit zig-Millionen Todesopfern, die
Weltwirtschaftskrise, der Frust über die Bedingungen des Versailler Vertrages, ein schwach entwickeltes
Demokratie-Verständnis und der fortbestehende Nationalismus Wege zur friedlichen Verständigung. So wurden
die Deutschen empfänglich für extreme politische Ansichten und letztlich auch für die faschistische Diktatur. Der
menschenverachtende Eroberungs- und Vernichtungskrieg des NS-Regimes war die Fortsetzung des 1.
Weltkrieges mit noch wirksameren Waffen und Strategien. Die Verwüstung großer Teile Europas und Asiens, über
Bernd Hahnfeld
Quelle: http://goo.gl/LyCT0r
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50 Millionen Tote in aller Welt – Soldaten und Zivilisten - und mehr als 5 Millionen Tote in Deutschland waren die
Folge.
Auf mehreren Konferenzen haben sich die Alliierten über die Behandlung Deutschlands nach seiner Niederlage
auseinandergesetzt. Trotz stark gegensätzlicher Interessen einigten sich Josef Stalin, der US-Präsident Harry
Truman sowie Winston Churchill und sein Nachfolger Clement Attlee in Potsdam vom 17. Juli bis zum 2. August
1945 unter anderem wie folgt (ich zitiere):
„Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet, und die Alliierten treffen nach gegenseitiger
Vereinbarung in der Gegenwart und in der Zukunft auch andere Maßnahmen, die notwendig sind, damit
Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedrohen kann. Es
ist nicht die Absicht der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven. Die Alliierten wollen dem
deutschen Volk die Möglichkeit geben, sich darauf vorzubereiten, sein Leben auf einer demokratischen und
friedlichen Grundlage von neuem wieder aufzubauen.“ (Abschnitt III des Schlussprotokolls)
Das ursprüngliche Ziel der Zerstückelung Deutschlands gaben die Alliierten damit auf, vereinbarten jedoch
Gebietsabtretungen und die Einteilung in vier Besatzungszonen. Große Teile der deutschen Bevölkerung und der
politischen Elite haderten mit der Entwicklung und blieben der Ideologie des NS-Staates verhaftet. Sie weigerten
sich, das Kriegsende als Befreiung von der Diktatur des Nationalsozialismus zu akzeptieren. Erst 40 Jahre nach
dem Kriegsende fand Bundespräsident Richard von Weizsäcker den Mut, dies im Bundestag öffentlich zu erklären.
Nach der Gründung der Bundesrepublik 1949 setzte sich Konrad Adenauer mit dem Konzept der Verankerung der
Bundesrepublik im westlichen Bündnis durch - aus Angst vor der Expansion der Sowjetunion und gegen den
Widerstand Kurt Schumachers, der davor warnte, dass die Westintegration eine Wiedervereinigung unmöglich
mache.
West-Deutschland verdrängte die Schuldgefühle und profitierte wirtschaftlich von dem Aufbau des zerstörten
Landes. Militärisch übte es Abstinenz – auch nach der Wiederbewaffnung, die unter Adenauer gegen starke
innenpolitische Widerstände 1955 gleichzeitig mit dem NATO-Beitritt beschlossen wurde. Die neu geschaffene
Bundeswehr hatte im Zeitalter des Kalten Krieges und der atomaren Hochrüstung nur marginale Bedeutung. Sie
wäre mit der gesamten deutschen Bevölkerung das erste Opfer eines (atomaren) Krieges zwischen den Blöcken
geworden. Der militärische Einsatz der Bundeswehr war zudem durch die Verfassung strikt auf die Verteidigung
des Bundesgebietes und durch Beistandspflichten im Rahmen der NATO beschränkt.
International war die Situation seit 1945 durch einen bedeutsamen Wertewandel geprägt.
Mit der bereits 1945 vereinbarten UN-Charta schufen zunächst 51 Staaten ein internationales Instrument der
Verhinderung und Eindämmung von Kriegen. Das allgemeine Gewaltverbot verpflichtet die Staaten, auf
Androhung und Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen zu verzichten. Kriegsführung ist
seitdem nur legal als Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe oder als Maßnahme des UN-Sicherheitsrats - nach
der ausdrücklichen Feststellung der Bedrohung oder des Bruchs des Friedens oder einer Angriffshandlung. Zum
besseren Verständnis möchte ich betonen, dass die häufigen Verstöße dieses zwingende Völkerrecht nicht
unwirksam machen. Abweichendes Völkergewohnheitsrecht entsteht so nicht. Es käme übrigens auch kein
Mensch auf die Idee, aus der Vielzahl der Diebstähle oder Morde auf die Unwirksamkeit der
Strafrechtsvorschriften über Diebstahl oder Mord zu schließen!
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Mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation 1989-1992 änderte sich die militärpolitische Situation für Deutschland.
Seit dem Wegfall ihres Feindbildes suchte die NATO unter der Führungsmacht USA nach neuen Aufgaben. Ohne
die völkerrechtlich notwendige Änderung des NATO-Vertrages erweiterten die Mitglieds-Staaten die NATO-
Strategie und dehnten das Einsatzgebiet weltweit aus. Die Bundesregierungen folgten schrittweise – aber
ebenfalls ohne die vorgeschriebene Änderung des Grundgesetzes. Vermeiden wollte man offensichtlich die
politische Diskussion im notwendigen Gesetzgebungsverfahren. In kleinen Schritten wurde die Bevölkerung an
ständig umfassendere Militäreinsätze der Bundeswehr gewöhnt, begleitet von der wohlwollenden
Berichterstattung der meisten Medien.
Im UN-System nicht vorgesehene Rechtfertigungen wurden schlichtweg erfunden, so
- die humanitäre Intervention
- die präventive Verteidigung
- der Präemptivschlag.
So kam es 1999 schließlich unter der rot-grünen Bundesregierung zur ersten aktiven Kriegsbeteiligung seit dem
2.Weltkrieg, als im Jugoslawienkrieg auch deutsche Kampfpiloten durch Bombenabwürfe aus 6.000 m Höhe
vergewaltigten Frauen und vertriebenen Kosovaren „halfen“- ohne UN-Mandat und damit völkerrechtswidrig.
Mit der Verteidigung der Menschenrechte wurden auch alle künftigen Kriegs-Einsätze der Bundeswehr
begründet. In Ländern, die dafür weder entwickelt noch bereit waren, sollten westliche Demokratien
durchgesetzt werden – militärisch! Die Wahrheit wurde dem Volk verschwiegen: Die Verfolgung von Macht- und
Wirtschaftsinteressen und die Absicht, in unbequemen Staaten einen Regimewechsel zu erreichen.
Welche Chancen hat Deutschland 1989/90 gehabt und nicht wahrgenommen?
- Die 1989 begonnenen Verhandlungen zur Schaffung einer europäischen Friedensordnung hätten weiter
verfolgt werden können. 1990 wurde die „Charta von Paris“ verabschiedet. Sie sah vor, der KSZE als
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit Kompetenzen für die Konfliktvermeidung und
Konfliktregelung zu verschaffen. Stattdessen wurde unter der Führung der USA entgegen den bei den
2+4-Verhandlungen gegebenen Zusagen die NATO nach Osten ausgeweitet und Russland in die Isolation
getrieben.
- Deutschland hätte in internationalen Konflikten die UN-Institutionen in Anspruch nehmen und diese so
stärken können. Die UN ist das einzige von der Weltgemeinschaft zur Konfliktschlichtung und
Krisenbewältigung geschaffene System der kollektiven Sicherheit. Stattdessen hat die Bundesregierung an
internationalen Militäreinsätzen im sogenannten „Verteidigungsbündnis“ oder einer „Koalitionen der
Willigen“ teilgenommen oder sie unterstützt.
- Wie das Grundgesetz in Art. 24 Absatz 3 fordert, hätte sich Deutschland zur Regelung zwischenstaatlicher
Streitigkeiten uneingeschränkt der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag
unterwerfen sollen. Stattdessen hat es einen Vorbehalt erklärt, der alle Bundeswehreinsätze im Ausland
und zudem die militärische Nutzung deutschen Staatsgebietes der Rechtsprechung des IGH entzieht!
- Deutschland hätte das zivile Konflikt-Monitoring und die zivile Konfliktschlichtung ausbauen können - in
Erfüllung der Erklärung in Art. 2 Satz 1 des „2+4-Vertrages“ vom 12.9.90, die lautet: „Die Regierungen der
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Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärungen,
dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird.“
Noch ist alles offen: Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan sieht die historische Chance gerade für
Deutschland, substantielle Beiträge zur Stärkung des internationalen regelbasierten Systems zu leisten, das zur
Entschärfung von Spannungen dringend gebraucht werde.
Afghanistan 2015 - Frieden in Afghanistan? Vergessen?
Afghanistan 2015 – nach den Wahlen und dem sogenannten Abzug der NATO-Truppen. Afghanistan 2015 –
täglich sterben Menschen.
13. Juni 2015 Düsseldorf, Salzmannbau
16:00 – 19:00 Informations- und Diskussionsveranstaltung
19:30 – 21:30 gemeinsames Afghanisches Abendessen und
Kulturprogramm
Veranstalter: deutsch-afghanisches Friedensnetzwerk, mit
Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Afghanistan ist aus den Schlagzeilen der Medien und dem Interesse der großen Politik verschwunden. In den
letzten Monaten sind aber bedeutende Veränderungen geschehen: ein neuer neoliberaler Staatspräsident
Aschraf Ghani, eine Regierung der großen Koalition mit seinem Hauptwidersacher Abdullah Abdullah. Aber die 13
vorgeschlagenen MinisterInnen werden vom Parlament nicht bestätigt.
13 Jahre Krieg der NATO und Beteiligung der Bundeswehr geht zu Ende, der Abzug der NATO-Truppen setzte sich
fort, 12.000 Soldaten aber bleiben mit einer neuen Ausbildungsmission in Afghanistan, kriegerische Einsätze
werden fortgesetzt – der Krieg geht weiter, die Terroranschläge der Taliban ebenfalls.
Ist die politische Situation nicht noch gefährlicher geworden? Die Weltbank spricht von einer desaströsen
ökonomischen und sozialen Situation – stimmt das? Was ist mit Frauenrechten, für die „der Westen“ angeblich in
den Krieg gezogen ist? Sind die einzigen Gewinner die Warlords und die Drogendealer? Gibt es Chancen für eine
Verständigung mit den Taliban, ist diese überhaupt verantwortlich? Formiert sich eine neue Opposition? Unter
welchen Bedingungen ist ein echter Frieden möglich? Mit oder ohne ausländische Truppen? Welche roten Linien
gibt es bei den bewaffneten Gegnern der Kabuler Regierung, die einen ernsthaften Friedensprozess gefährden?
Welche Gemeinsamkeiten gibt es, die eine Plattform für alle AfghanInnen bzw. für die Mehrheit der AfghanInnen
darstellt, um aufbauend darauf für Frieden zu arbeiten?
Fragen, die durch die aktuelle Situation eher zugespitzter auf der Tagesordnung stehen.
Was ist mit der Friedensbewegung? Afghanistan abgehakt oder weiter eine Herausforderung im Ringen um den
Frieden?
Wir wollen diese und weitere Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven diskutieren auf einer öffentlichen
Veranstaltung.
Programm:
16:00 Eröffnung und Begrüßung: Kristine Karch, Düsseldorf, deutsch-afghanisches Friedensnetzwerk
16:15 – 19:00 Information und Diskussion
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• Afghanistan nach den Wahlen – Aktuelle innenpolitische Lage
Karim Popal, deutsch-afghanischer Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied der IALANA
• Entwicklung der Frauen und Menschrechte
Fereshta Nori, afghanische Journalistin, Frauenrechtlerin, Niederlande
• Afghanistan im geopolitischen Kontext
Dr. Matin Baraki, Hochschullehrer Universität Marburg, Experte für Afghanistan
• Anforderungen an eine Friedenspolitik in Afghanistan - Wahida Kabir, Kommission für Frieden und
Freiheit in Afghanistan
• Aufgaben der Friedensbewegung in Deutschland - Reiner Braun, Geschäftsführer der IALANA, deutsch-
afghanisches Friedensnetz
Moderation: Hannelore Tölke, Sprecherin DFG-VK NRW und Lucas Wirl, Geschäftsführer
NaturwissenschaftlerInnen Initiative für Frieden und Verantwortung
Ab 19.30 bis 21.30 gemeinsames Afghanisches Abendessen und Kulturprogramm
Einführung in den Abend: Kristine Karch
Ukraine – Brücke zwischen West und Ost
Kampagne für Kooperation
Von Reiner Braun und Andreas Buro
Wir, die Arbeitsgruppe Ukraine aus der ‚Kooperation für den Frieden’, der größten Dachorganisation von
Friedensgruppen in Deutschland, setzen uns zum Ziel, eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts nach Kräften zu
unterstützen. Dazu wollen wir in Deutschland diejenigen Kräfte miteinander in Verbindung und vielleicht auch zur
Zusammenarbeit bringen, die sich für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts einsetzen. Wir wissen dabei die
Mehrheit der Bevölkerung auf unserer Seite, aber auch viele Gruppierungen wie zum Beispiel die IPPNW-Ärzte
mit ihrer Aussage: „Wir weigern uns, Feinde zu sein.“ Das entspricht auch unseren Vorstellungen.
Die Beschlüsse von Minsk im Februar 2015 bieten eine Basis, die Waffen in der Ukraine dauerhaft zum Schweigen
zu bringen. Diese Beschlüsse müssen realisiert und von der Organisation für Europäische Sicherheit und
Zusammenarbeit (OSZE) wirksam kontrolliert werden. Auch wenn das geschieht, ist die Gefahr der Eskalation der
Konfrontation nach wie vor gegeben. Wechselseitige Beschuldigungen führen nicht zur Abwendung von Gefahren,
sondern können Anlass zu unfriedlichem Verhalten geben. Die gegenseitigen Sanktionen beschädigen ebenfalls
die Beziehungen. Die übergeordnete West-Ost-Konfrontation ist mit einem Waffenstillstand in der Ukraine nicht
aufgehoben.
Deshalb bedarf es einer beständigen gesellschaftlichen Zusammenarbeit der Kräfte in Deutschland, die sich
darum bemühen, Konfrontation in Kooperation zu wandeln. Hierzu wollen wir beitragen. Die Ukraine darf nicht
Zankapfel zwischen West und Ost sein, sondern soll und kann immer noch zur Brücke zwischen West und Ost
werden. Das liegt im Interesse aller Menschen dieser großen Region, die Frieden und nicht Krieg wollen.
Befreundung statt Verfeindung heißt unsere Devise!
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Wir gehen davon aus, dass die wichtigsten Konfliktpunkte zwischen EU-Europa und Russland ausgeräumt werden
können, wenn die Ukraine nicht Teil eines Militärbündnisses wird und wenn sie gleichrangige und abgestimmte
wirtschaftliche Beziehungen nach Ost und West unterhält (Brückenfunktion). Dazu ist es notwendig, die
Sicherheitsinteressen und Ängste der Ukraine und anderer osteuropäischer Staaten ernst zu nehmen. Für die
Ukraine, wie für Ost und West wäre dies eine Win-Win Situation. Wir werden einen Fahrplan (road map) als eine
Denkmöglichkeit zu diesem Ziel nach der Sommerpause der Öffentlichkeit zur Diskussion vorlegen. Dabei hoffen
wir auf eine abgestimmte Zusammenarbeit mit vielen anderen gleichgesinnten Kräften in Deutschland.
Sie – Bürger und Bürgerinnen, Verbände, Kirchen, Gewerkschaften und Parteien bitten wir, für eine friedliche
Lösung des Ukraine-Konflikts einzutreten und mit ihren eigenen Möglichkeiten in der Öffentlichkeit Stellung zu
beziehen. Wir bitten Sie, uns ihre Erklärungen, die wir auf unserer Plattform speichern und für alle zugänglich
machen wollen, zukommen zu lassen an [email protected]. Wir erhoffen uns dadurch eine größere
Zustimmung für eine friedliche Lösung des Konflikts in der deutschen Öffentlichkeit. Dabei sind wir uns sehr
bewusst, dass es auch Kräfte gibt, die dazu neigen, Konfrontation voran zu treiben, militärische Optionen in
Betracht zu ziehen. und dafür auch mediale Unterstützung erhalten.
Wir sagen, Friede und Zusammenarbeit zwischen West und Ost sind notwendig, möglich und dienen allen. Helfen
wir, damit die Ukraine zur Brücke zwischen West und Ost wird und sich Konfrontation zu Kooperation wandelt.
Erst so entsteht für die Ukraine und ihre heterogene Gesellschaft Freiraum für eigenständige demokratische
Entwicklung und wirtschaftliche Konsolidierung.
Wir bitten Sie, die hier skizzierten Ziele zu unterstützen und den Versuch gemeinsamer Bemühungen zu wagen.
>>Quo vadis NATO? – Herausforderungen für Demokratie und Recht<<
Aktuelle Daten und Informationen zur NATO-Strategie, sowie
alle Beiträge des Kongresses in Bremen zur Außen- und Sicherheitspolitik
der NATO
http://frieden-durch-recht.eu/