salamaleikum, bruderstaat...von özlem gezer und milos djuric (fotos hakan celik will verhindern,...

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Gesellschaft Salam aleikum, Bruder Staat Erziehung Eine ausgewählte Gruppe deutscher Muslime kämpft dagegen, dass aus Islamisten Terroristen werden. Sie arbeiten im Auftrag des Staates. Bis der Staat sie ver- dächtigt, selbst radikal zu sein. Eine Geschichte aus einem hysterischen Land. Von özlem Gezer und Milos Djuric (Fotos Hakan Celik will verhindern, dass ein junges Mädchen aus Mainz in den Krieg nach Syrien zieht, er klappt seinen Laptop auf und tippt das Wort „Vermerk" in die Betreffzeile einer E-Mail. Celik sitzt an einem leer geräumten Schreibtisch, er ist ein großer Mann,er muss den Kopf zu seinem Bildschirm hinunterbeugen, als würde er sich verneigen. Durch die Jalousien fallen Sonnenstrahlen auf sein Gesicht, sein schwarzer Bart ist dicht, seine Augen haben tiefe Ränder, er wirkt müde an diesem Montagmorgen in Frankfurt am Main, leise spricht er Satzfetzen vor sich hin; „Beratungsdynamik abgebrochen", „Verantwortung", „es herrscht akuter Handlungsbedarf". Das Mädchen, um das es in seinen Zeilen geht, ist 17 Jahre alt, eine Schülerin, die gegen vieles kämpft. Gegen ihre Mutter, die ihr sagt, zieh dein Kopftuch ab;und die zuschlägt, weil ihre Tochter das nicht tut. Gegen die Polizei, die zum Verhör lädt und sie fragt, du hast doch Verbindungen zum „Islamischen Staat", oder? Gegen ihre beste Freundin, die sie zur Hidschra drängt, zur Ausreise nach Syrien, am besten bald. Bei Hakan Celik läuft dieses junge Mädchen unter „Klientin 118". Er will Klientin 118 nicht verlieren, auch er kämpft jeden Tag, um junge Menschen wie sie. Er liest ein letztes Mal über seine Zeilen, klickt auf Senden. Der Empfänger seiner E-Mail ist der deutsche Sicherheits- apparat.Hakan Celik ist 37 Jahre alt, er trägt karierte Hemden, weil seine Frau sie liebt,und eine Gebetskette aus weißen Perlen,weil sie ihn beruhigt. Celik ist Islamwissenschaftler, hat Jura studiert ohne Abschluss und war früher Sozialarbeiter, Tellerwäscher in Hotels, Anzugverkäufer, Gabelstaplerfahrer. Heute ist er einer der gefragtesten Deradikalisierer des Landes. Er soll verhindern, dass aus Islamisten Terroristen werden. Er soll junge Mädchen, wie Klientin 118, davon abhalten, in den Krieg nach Syrien zu reisen. Er besucht IS-Kämpfer, wie den Klienten 37, die aus Syrien nach Deutschland zurückgekehrt sind, hinter deutschen Gefängnismauern und erzählt ihnen, was sie Gott sagen sol- len, damit der ihnen den Treueschwur an den Kalifen des „Islamischen Staats" ver- zeiht. Er will junge Männer, wie Klient 89, einen minderjährigen Flüchtling aus Af- ghanistan, nicht den Extremisten in Fuß- gängerzonen überlassen. Seine Beratungsstelle trägt einen Na- men, der das Motto einer Friedensdemo sein könnte, „Religiöse Toleranz statt Extremismus". Sie wurde vor drei Jahren von einem Berliner Verein gegründet, der jahrelang an der Deradikalisierung von Rechtsextremen arbeitete, heute kümmert er sich fast nur noch um Islamisten. Die Beratungsstelle in Frankfurt ist dem hessi- schen Innenministerium unterstellt und kostet den Staat 1,2 Millionen Euro im Jahr. Wenn man wollte, könnte man Hakan und seine Leute als Deutschlands Vor- zeigemuslime bezeichnen. Bevor der Tunesier Anis Amri vergange- nen Dezember mit einem Lkw in den Ber- liner Weihnachtsmarkt raste, konnten sie in Ruhe arbeiten. Sie beobachteten ihre Szene, ohne selbst beobachtet zu werden. Nach diesem Attentat war alles anders. Der amtliche Begriff des „Gefährders" kehrte in die Überschriften zurück, es gab ein Maßnahmenpaket von Innen- und Justizministerium, bei dem es um Abschiebung geht und um Absicherung, nicht um Vorsorge, nicht um Präven- tion,nicht um das Geschäft von Hakan Celik.Seit Anis Amri beobachtet der Staat so gründlich, wie es eben geht. Er beobachtet sogar die, die beobachten sollen. Wenn man wiederum selbst ein paar Wochen lang die Arbeit von Hakan Celik und seinen Leuten beobachtet, kann man erleben, wie es ist, wenn die Grenzen unscharf werden, wenn Islam und Islamismus eins werden, wenn Leute, die für Deradikalisierung zuständig sind, plötzlich selbst in den Verdacht geraten, radikal zu sein.Wenn aus Gutem Böses wird.Das Büro der Beratungsstelle liegt in der Leipziger Straße in Frankfurt, zwischen einer Dönerbude und einem Laden für Goldankauf. Am Eingang der Beratugs- stelle hängt in einem silbernen Rahmen die Unterschrift von Bundespräsident Gauck, sie DER SPIEGEL 18 / 2017

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Page 1: Salamaleikum, BruderStaat...Von özlem Gezer und Milos Djuric (Fotos Hakan Celik will verhindern, dass ein junges Mädchen aus Mainz in den Krieg nach Syrien zieht, er klappt seinen

Gesellschaft

Salam aleikum,

Bruder StaatErziehung Eine ausgewählte Gruppe deutscher Muslimekämpft dagegen, dass aus Islamisten Terroristen werden. Siearbeiten im Auftrag des Staates. Bis der Staat sie ver-dächtigt, selbst radikal zu sein. Eine Geschichte aus einemhysterischen Land. Von özlem Gezer und Milos Djuric (Fotos

Hakan Celik will verhindern, dass einjunges Mädchen aus Mainz in den Kriegnach Syrien zieht, er klappt seinen Laptopauf und tippt das Wort „Vermerk" in dieBetreffzeile einer E-Mail. Celik sitzt aneinem leer geräumten Schreibtisch, er istein großer Mann,er muss den Kopf zuseinem Bildschirm hinunterbeugen, alswürde er sich verneigen. Durch dieJalousien fallen Sonnenstrahlen auf seinGesicht, sein schwarzer Bart ist dicht, seineAugen haben tiefe Ränder, er wirkt müdean diesem Montagmorgen in Frankfurt amMain, leise spricht er Satzfetzen vor sichhin; „Beratungsdynamik abgebrochen",„Verantwortung", „es herrscht akuterHandlungsbedarf". Das Mädchen, um dases in seinen Zeilen geht, ist 17 Jahre alt,eine Schülerin, die gegen vieles kämpft.Gegen ihre Mutter, die ihr sagt, zieh deinKopftuch ab;und die zuschlägt, weil ihreTochter das nicht tut. Gegen die Polizei, diezum Verhör lädt und sie fragt, du hast dochVerbindungen zum „Islamischen Staat",oder? Gegen ihre beste Freundin, die sie zurHidschra drängt, zur Ausreise nach Syrien,am besten bald. Bei Hakan Celik läuftdieses junge Mädchen unter „Klientin 118".Er will Klientin 118 nicht verlieren, aucher kämpft jeden Tag, um junge Menschenwie sie. Er liest ein letztes Mal über seineZeilen, klickt auf Senden. Der Empfängerseiner E-Mail ist der deutsche Sicherheits-apparat.Hakan Celik ist 37 Jahre alt,er trägt karierte Hemden, weil seine Frau

sie liebt,und eine Gebetskette aus weißenPerlen,weil sie ihn beruhigt. Celik istIslamwissenschaftler, hat Jura studiert ohneAbschluss und war früher Sozialarbeiter,Tellerwäscher in Hotels, Anzugverkäufer,Gabelstaplerfahrer. Heute ist er einer dergefragtesten Deradikalisierer des Landes.Er soll verhindern, dass aus IslamistenTerroristen werden. Er soll junge Mädchen,wie Klientin 118, davon abhalten, in denKrieg nach Syrien zu reisen. Er besuchtIS-Kämpfer, wie den Klienten 37, die ausSyrien nach Deutschland zurückgekehrtsind, hinter deutschen Gefängnismauernund erzählt ihnen, was sie Gott sagen sol-len, damit der ihnen den Treueschwur anden Kalifen des „Islamischen Staats" ver-zeiht. Er will junge Männer, wie Klient 89,einen minderjährigen Flüchtling aus Af-ghanistan, nicht den Extremisten in Fuß-gängerzonen überlassen.Seine Beratungsstelle trägt einen Na-men, der das Motto einer Friedensdemosein könnte, „Religiöse Toleranz stattExtremismus". Sie wurde vor drei Jahrenvon einem Berliner Verein gegründet, derjahrelang an der Deradikalisierung vonRechtsextremen arbeitete, heute kümmerter sich fast nur noch um Islamisten. DieBeratungsstelle in Frankfurt ist dem hessi-schen Innenministerium unterstellt undkostet den Staat 1,2 Millionen Euro im Jahr.Wenn man wollte, könnte man Hakanund seine Leute als Deutschlands Vor-

zeigemuslime bezeichnen.Bevor der Tunesier Anis Amri vergange-nen Dezember mit einem Lkw in den Ber-liner Weihnachtsmarkt raste, konnten siein Ruhe arbeiten. Sie beobachteten ihreSzene, ohne selbst beobachtet zu werden.Nach diesem Attentat war alles anders. Deramtliche Begriff des „Gefährders" kehrte indie Überschriften zurück, es gab einMaßnahmenpaket von Innen- undJustizministerium, bei dem es umAbschiebung geht und um Absicherung,nicht um Vorsorge, nicht um Präven-tion,nicht um das Geschäft von HakanCelik.Seit Anis Amri beobachtet der Staatso gründlich, wie es eben geht.Er beobachtet sogar die, die beobachtensollen. Wenn man wiederum selbst ein paarWochen lang die Arbeit von Hakan Celikund seinen Leuten beobachtet, kann manerleben, wie es ist, wenn die Grenzenunscharf werden, wenn Islam undIslamismus eins werden, wenn Leute, diefür Deradikalisierung zuständig sind,plötzlich selbst in den Verdacht geraten,radikal zu sein.Wenn aus Gutem Böseswird.Das Büro der Beratungsstelle liegt inder Leipziger Straße in Frankfurt, zwischeneiner Dönerbude und einem Laden fürGoldankauf. Am Eingang der Beratugs-stelle hängt in einem silbernen Rahmen dieUnterschrift von Bundespräsident Gauck,sie

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Projektkoordinator Celik, Mitarbeiter Taskinsoy (I.) in der Beratungsstelle in Frankfurt: Verzweifelte Eltern, ratlose Lehrer, wehrhafte Bürger

macht die Beratungsstelle zu einem der„ausgezeichneten Orte im Land der Ideen2016". Celik ist stolz auf diese Unter-schrift,sie gibt ihm das Gefühl, dass derStaat, den er schützen will, sieht, was ertut.Orientalische Teppiche bedecken denBoden, Koransuren die Wände, es erinnertan den Vorraum einer Moschee. HakanCelik kniet sich hin, drei Männer knienneben ihm, mit dem Gesicht zur Wand ge-dreht, ein „Allahu akbar" erklingt, „Gottist groß". Hakan ihr Projektkoordinator, wirdim Gebetsraum zum Vorbeter.Im Büro nennen sie ihn „abi", das ist tür-kisch und heißt „großer Bruder".

An einem Montagmorgen Anfang März,gleich nach dem Gebet, laufen die vierMänner über den schmalen Flur nach hin-ten in ihren Konferenzraum, sie setzen sich

an einen langen Tisch und klappen ihreLaptops auf. Celik verteilt Fälle, dieüber das Wochenende auf der Mailboxaufgelaufen sind:

„Ich rufe an, weil ich von Schülern ge-hört habe, die in der Moschee von Leutenangesprochen wurden, die vom IS sindund dort auf Akquise waren. Können Sieuns bitte helfen, uns schnell zurückrufen?"Celik sagt, jemand soll da anrufen unddie Sachlage klären, nächster Fall:

„Ort Grundschule: Junge sagt anderenKindern, sie sollen das Fleisch nicht essen,ist nicht halal, die essen es trotzdem, ermacht sie fertig, Kinder weinen. Er sagt,Frauen, die sich nicht bedecken, sindSchlampen. Der Sicherheitsleiter des ört-lichen Schulamts hat den Staatsschutz in-formiert, mit dem Hinweis: ,Wir haben hier

so ein auffälliges Kind, Eltern vielleichtSchläferzelle.' Lehrer verzweifelt."

„Der Lehrer sieht in dem kleinen Jun-gen schon einen Erwachsenen vor sich,der mit der Kalaschnikow in der Hand inSyrien kämpft. Ruft ihn einer zurück undsagt ihm bitte, wir können gerne vorbei-kommen und ein Gespräch mit ihm füh-ren, und auch mit den Eltern. Aber wirwerden best immt keinen Islamismus-Workshop mit Grundschülern machen,das sind noch kleine Kinder, das gehtnicht", sagt Celik. Er kennt den TypLehrer, der Angst hat, etwas falsch zumachen, den richtigen Moment zuverpassen. Celik und seine Mitarbeitergehen oft an Schulen, sie reden mitSchülern, damit sie die Maschen vonExtremisten erkennen, sie reden mit Leh-

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Celiks Quartett in Frankfurt: Gott war schon immer da

„In meinem Viertel hören genug Leute auf mich,soll ich jetzt sagen, ich bin der Kalif von Offenbach?"

rern, damit die anfangen, ihren Schülerndie richtigen Fragen zu stellen.Sie landen alle bei ihnen, verzweifelteEltern, ratlose Lehrer, wehrhafte Bürger.Wer in Hessen meint, einen potenziellenTerroristen entdeckt zu haben, wählt dieNummer der Hotline. 15 Leute arbeiteninzwischen hier, aber die Kerntruppe, „dasQuartett", wie sie sich selbst nennen, sindCelik und drei andere Männer, die gemein-sam Islamwissenschaften studiert haben.Zum Quartett gehört Hakan ihr An- führer,schon als Teenager sammelte erUnterschriften gegen den Verkauf vonCoca-Cola in der Moschee, gegen die Er-öffnung einer Spielothek in seinem Viertel.Celik war schon immer der großeBruder.Zum Quartett gehören, nebenCuma Ülger, 29 Jahre alt. Er führt dieStatistiken, er weiß genau, wer welchen der137 Fälle gerade betreut. Celik nenntihnseine Festplatte, den „Generalsekretär".Ölger zitiert gern Kant, spielt Tischtennisund Fußball, er mag Regeln und Ordnung.Talha Taskinsoy, 28 Jahre alt, er trägteinen langen Bart, er macht gerade eineLow-Carb-Diät und achtet auf den Fluo-ridgehalt in seinem Wasser. elik sagt, ihmvertraue einfach jeder, er nennt TalhaTaskinsoy seinen „Familienminister".Tank Gürleyen, 28 Jahre alt, er sprichtdas beste Englisch unter ihnen, vielleichtist er deshalb im Quartett der „Außen-minister".Die Männer des Quartetts kommen auseiner Hochhaussiedlung in Offenbach, ausZechenhäusern in Dinslaken, aus einemkleinen Vorort von Bremen. Sie kennensich aus mit den Maschen der Radikalen.Schon als sie Kinder waren, begegnetensie den Seelenfängern, ohne anfällig zusein für sie. Für die vier war Gott schonimmer da, ihre Identität geklärt, ihre Wur-zeln stark, ihre Väter streng. Sie wurdenImame und Sozialarbeiter, spazierten mitjungen Muslimen durch den Palmengartenin Frankfurt, führten sie auf Kulturreisendurch Istanbul, Geld gab es nie dafür. Dieislamischen Verbände interessierten sichdamals kaum für Jugendarbeit in Mo-scheen, der deutsche Staat noch weniger.Wenn diese vier Männer gemeinsamdurch die Straßen von Frankfurt ziehen,dann sehen sie für Leute, die hinter allemFremden mutmaßlichen Terror vermuten,wahrscheinlich aus wie Terroristen kurzvor der Tat. Sie tragen dunkle Haare, langeBärte und Gebetskappen.Tank Gürleyens Handy klingelt, er gehtin einen Nebenraum und redet abwech-selnd deutsch und türkisch, in beiden Spra-chen redet er extrem schnell. Am anderenEnde der Leitung ist Klientin 118, das jungeMädchen aus Mainz: „Wir beruhigen unsjetzt erst mal, o.k.? Wir chillen. Wenn duangespannt bist, kannst du keine gutenEntscheidungen treffen", sagt Tank Gür-

leyen. Knapp 40 Minuten dauert das Ge-spräch. „Gott soll dich behüten", sagt erzum Abschied und legt auf. Hakan Celikkommt in den Raum, er will wissen, was losist mit Klientin 118.Zu seinem Team, dasjetzt wegen Klientin 118 zu einer Krisen-sitzung zusammenkommt, gehört auch eineFrau, die anonym bleiben möchte. Sie sagt,sie sei die Einzige gewesen, die einenZugang zu Klientin 118 bekommen habe.Eshabe mit dem Anruf einer Lehrerin begon-nen, die sich bei Celiks Truppe gemeldethabe, weil sich eine ihrer Schülerinnenmerkwürdig verändert habe.

Sie hätten es dann gemacht wie immer, sagtCeliks Mitarbeiterin, sie seien zu zweit indie Schule gegangen und hätten erst malganz allgemein einen Workshop über diedeutsche Salafistenszene gegeben. Daraushabe sich dann der persönliche Kontakt zuder Schülerin ergeben, die später zurKlientin 118 wurde. In vielen Einzel-gesprächen kam heraus, dass Klientin 118ein typischer Fall war, ein Trennungskindauf Sinnsuche. Ein Mädchen, das in einerMcDonald's-Filiale auf ein anderesMädchen traf, das einen Gesichtsschleiertrug. Klientin 118 freundete

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dete sich schließlich mit dieser Frau an,die schon damals tief in der deutschen Is-lamistenszene steckte und bis heute jungeFrauen für den Gotteskrieg anwirbt.Celiks Mitarbeiterin war eigentlich aufeinem guten Weg mit Klientin 118. Sieglaubte, dass sie die junge Frau aus demStrudel befreien könnte. Aber dann gerietsie selbst in einen Strudel, erzeugt vonselbst ernannten Muslimjägern, eiferndenJournalisten und Behörden, die Angst ha-ben, Fehler zu machen. Am Ende war Ha-kan eliks Frauenbeauftragte kaltgestellt.Sie darf nicht mehr an ihr Diensttelefongehen. Sie sieht zu, wie Klientin 118 ihrenKollegen langsam entgleitet und kannnichts dagegen tun. Seit Wochen steht sieselbst unter Verdacht, eine Extremistin zusein. Sie ist vom Dienst suspendiert.Es begann ganz klein, mit einem Blog-eintrag, in dem sie zum ersten Mal mitvollem Namen erwähnt und beschuldigtwurde, mit „Hardcore-Islamisten" zu ver-kehren. Der Grund dafür war, dass sie alsVorsitzende eines Frauenvereins gemein-sam mit einem anderen Verein einen Is-lamprediger zu einem Vortrag eingeladenhatte. Dieser zweite Verein allerdings wur-de vom Verfassungsschutz beobachtet, ge-nauso wie der Prediger. Hakan Celikhatte gesagt, wenn sie nur mit Leuten redenwürden, die so tickten wie sie selbst,dann wären sie überflüssig. Das bedeuteaber auch, dass sie manchmal mit Leutenreden müssten, die für andere Radikalesind.Den Blogeintrag hatte SigridHerrmann-Marschall geschrieben.Celiknennt die Frau nur „Siggi", sie bezeichnetsich selbst als Islamismusexpertin, hältVorträge zum Thema Salafismus undbetreibt ein Blog mit dem Namen„Vorwärts und nicht vergessen". Sie istder Typ Mensch, den man seit einiger Zeitunter dem Begriff „besorgter Bürger"kennt.Sie verabredet sich zum Gesprächam Frankfurter Hauptbahnhof, sitzt beiBurger King und bestellt einen Doppel-Whopper und eine Cola light. Sie ist einegroß gewachsene Frau Anfang fünfzig,trägt rotes Haar und hat lange, lackierteFingernägel.Sie wischt über ihr Telefonund sagt, es sei ein sehr spannender Tagheute. Sie zitiert aus Meldungen, die„gerade bei ihr einlaufen", über einenVerein, der verboten wurde und auf den siedie Staatsschützer schon„lange vorher"aufmerksam gemacht habe.Wenn sie soredet, könnte man den Eindruck be-kommen, sie sei die Chefin einerSonderkommission. „Ich würde auch lieberauf dem Sofa sitzen und Kakao trinken",sagt sie, aber das gehe nicht. In den vergan-genen Wochen habe sie nie mehr als fünfStunden Schlaf pro Nacht gehabt, weil soviel zu tun sei.Auf den Verein der Frau,die für Celiks Team arbeitet, habe siebereits letzten Sommer hingewiesen.Wenn man ihr entgegnet,dass Dialog

mit Extremisten nützlich sein kann, sagtsie: Da halte ich nichts von. Sie hält über-haupt wenig von Hakan Celiks Team, unddeshalb war es eigentlich logisch, dass sieda genauer hinsehen musste. Sehr schnellgeriet dann auch Celiks Familienmini-ster Talha Taskinsoy in Siggis Visier unddamit in ihr Blog. Er war nach Abu Dhabizu einer Friedenskonferenz geflogen, hatteBilder davon auf seinem Facebook Ac-count hochgeladen und Prediger„geliebteGelehrte" genannt.Geliebte Gelehrte?Prediger? Davon hält Sigrid Herrmann-Marschall nichts. Diese Prediger sind fürsie „große antisemitische Problembären",die Konferenz, die der Familienministerbesuchte, nennt sie in ihrem Blog nur„Muslimbruder-Kungel-Treff". Sie posteteBilder von Talha Taskinsoy, veröffentlichteseinen Namen und ordnete ihrenBlogeinträgen folgende Suchbegriffe zu:„Muslimbrüder", „Antisemitismus",„Un-terwanderungsstrategien".Sie arbeite beiihren Blogeinträgen sehr systematisch,sagt sie. Sie filze Facebook-Seiten von„der Salafistenszene", schaue nach, werwelche Texte teile, sie verfolge dannProfile, decke Verbindungen auf,streue ein wenig ihre Meinung darüber,stelle es auf ihr Blog und poste den Linkdazu auf ihrer Facebook-Seite, auf der sieknapp 2000 Freunde hat.Sigrid Herrmann-Marschall hat sich damit einen Namen alsSalafistenjägerin gemacht. Ihr Namestand oft in der Zeitung,es gab Beiträgeüber sie im Fernsehen, damals kämpfte siegegen die Koranverteiler,die in deutschenFußgängerzonen Jugendliche fischten.Siggi stellte sich im kurzen Rock vor dieSalafisten und hielt Plakate in die Luft,auf denen stand: „Ihr Kind könnte dasNächste sein."Sigrid Herrmann-Marschall hat viel zu erzählen, sie sagt,sie kenne sie alle: die Fußfessel-Islamisten, die Caritas-Islamisten, denislamistisch-radikalisierten Buben,den siewiedererkenne, wenn er später mitabgehackten Köpfen in Syrien posiere. Wosie auch hinsieht, überall erkennt sie Pro-blembären: europäische Problembären, in-ternationale Problembären, regionale Pro-blembären, ebensolche wie die im Teamvon Hakan Celik.Wenn Sigrid Herrmann-Marschall allein leben würde in ihrerWelt, dann könnte es Hakan Celik egalsein, was sie denkt, was sie schreibt, wensie versorgt mit ihren Hinweisen. Aber soist es ja nicht.Mitte Januar kamen zweiStaatsschützerin Celiks Büro in derLeipziger Straße. Sie führten eine ArtGefährderansprache mit den beidenMitarbeitern, die Herrmann-Marschallins Visier genommen hatte. DieStaatsschützer sagten ihnen, sie sollten jetztmal eine Zeit lang „die Füße still halten",keine Vorträge mehr in „falschen Mo-scheen", keine „falschen Gäste" einladen,keine missverständlichen Posts auf Face-

book.Celik sagt, es seien lange Gesprächegewesen, die Beamten hätten zufrieden ge-wirkt beim Abschied, von einer Suspendie-rung habe damals keiner gesprochen.Ein paar Wochen später schickte einJournalist für den Hessischen RundfunkFragen zu der Reise des Familienministersnach Abu Dhabi, und er wollte noch vielmehr wissen: Wie der Mitarbeiter TalhaTaskinsoy sich bei seiner Arbeit an Schulenvon der Mission abgrenze? Wie seine Sichtauf eine mögliche Totengedenkfeier für ei-nen IS-Kämpfer sei? Ob er die ideologischeund organisatorische Nähe der in Abu Dha-bi besuchten Prediger zur Muslimbruder-schaft teile und welchen Einfluss die Ideo-logie dieser Prediger auf seine Arbeit inder Demokratie-Pädagogik hätte?Zum Abschluss seiner Mail merkt derJournalist an, dass die gleichen Fragen na-türlich auch an das Innenministerium ge-gangen seien, da die Tätigkeiten der Mit-arbeiter ja schließlich aus der „öffentlichenHand" bezahlt werden.Ein paar Tagespäter rief jemand vom hessischenInnenministerium bei Hakan Celiks Chefin Berlin an. Er sagte ihm, eine„Freistellung der beiden Mitarbeiter seijetzt dringend angeraten".Es war EndeFebruar, Hakan Celik saß in seinemArbeitszimmer, als die Nachricht ausBerlin kam, er zog seine Gebetsketteaus der Hose und begann damit, sich selbstFragen zu stellen. Was ist los mit demStaat, für den ich jeden Tag durch die Stra-ßen ziehe, für den ich kämpfe, dessen Ver-fassung ich auswendig aufsagen kann?Es waren die Tage, in denen er damitbegann, im Internet nach seiner eigenenBeratungsstelle zu suchen. „Waren Sala-fismus-Berater selbst Extremisten?", dasfand er bei Focus Online. „Salafismus-Experten unter Verdacht", das fand erbei Faz.net. Auf Twitter fand er Bilderseiner beiden suspendierten Mitarbeiter,„RADIKALISIERUNG" stand in rotenDruckbuchstaben darunter. Die Geschich-ten über seine Leute waren aufgemachtmit Bildern von Mainstream-Salafistenwie Sven Lau, manchmal sah man auchFotos von Koranverteilern. Vom Innen-ministerium hörte er nur, dass Sicher-heitsprüfungen gegen „alle" Mitarbeiterliefen. Justizvollzugsanstalten ließen mit-teilen, dass seine Mitarbeiter erst malnicht mehr kommen sollten, um mit Ge-fangenen zu reden. Lehrer sagten Work-shops an Schulen ab.Auf YouTube fandCelik ein Video, in dem sprach einerjener Extremisten, gegen die er jahrelanggekämpft hatte. Der Extremist sagte:„Wer selbst gestern noch vermeintlichRadikale bekämpfte, steht heute selbst amPranger der Behörden, wir haben keineSchadenfreude, wir wollen solidarischsein, beten für die Brüder." Bei

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Krisensitzung in der Beratungsstelle: Wie viel Muslim darf es sein?

Der Klient 37 redet jetzt nicht mehr vom Höllenfeuer,sondern vom Arbeitsamt.

stand vom Gegner? Hakan Celik warwütend, als er das sah. Celik und seineLeute saßen am Konferenztisch und warendamit beschäftigt, Journalistenanfragen zubeantworten, Rechtfertigungen zuschreiben, Anwälte mit dem Themen-schwerpunkt „Rufmord im Netz"herauszusuchen, ihre privaten Rechtsschutz-versicherungen zu kontaktieren. Sie saßenin Hintergrundgesprächen mit Lokalpoliti-kern und Richtern und hörten sie sagen,„dass doch alle faule Äpfel in den eigenenReihen hätten". Sie wurden gefragt, ob esnicht besser wäre, wenn sie weniger mit denBetroffenen über das Kalifat sprechen wür-den, mehr über „unsere Demokratie"?Die grundsätzliche Frage dahinter war:Wie viel Muslim darf es sein? Wie viel ver-trägt dieses nervöse Land gerade? Die Ant-wort in diesen Tagen hieß: Nichts, nichtmal ihre Vorzeigemuslime von gestern.In diesen Tagen saß Cuma Ülger, der Ge-neralsekretär, über Stunden stumm vor sei-nem Computer und listete die ehrenamt-lichen Tätigkeiten der 15 Mitarbeiter auf,weil inzwischen Sicherheitsprüfungen ge-gen alle Mitarbeiter der Beratungsstelle lie-fen. Ülger schrieb dem Innenministerium,was seine Kollegen in ihrer Freizeit so allesmachen: „Vegan Connection Gelnhausen,Mitglied bei Kaleidoskop e. V., Reit- undFahrverein Düdelsheim-Stockheim e. V.,Tischtennis bei SV Blaugelb".Er schickte die E-Mail ab und überprüfteeine Powerpoint-Präsentation, die sie überihre Arbeit erstellt hatten. Er wollte wissen,ob dabei irgendetwas missverständlich sei.Er fand eine Stelle, in der sie einen Klien-ten mit „Salam aleikum Bruder" begrüßen.„Soll ich das Salam aleikum jetzt rauslö-schen?", fragte er in die Runde. Eine mus-limische Begrüßung, die so viel bedeutetwie „Grüß Gott"? „Klar, Mann, sie werfen

uns vor, dass wir an Schulen missionieren,dann kannst du doch nicht eine Präsenta-tion rausschicken, wo Salam aleikum drinsteht", antwortete ihr Außenminister.„Warum nicht?", fragte der General-sekretär. „Wir sagen doch aber immer Sa-lam aleikum".„Lass es stehen, wenn ichnicht mehr Salam aleikum sagen darf, dannkündige ich",sagte Hakan Celik.Vier Wochen lang ging es so weiter, je-den Tag Krisensitzung im Konferenzraumder Leipziger Straße, dann bekam HakanCelik einen Anruf von seinen Chefs ausBerlin, sie sagten ihm, dass das Innen-ministerium Entwarnung gegeben habe.Die Suspendierung sei aufgehoben. Siekönnten die Arbeit wieder aufnehmen.Sonst, so erinnert sich Hakan Celik sagtensie nicht viel. Es ging um ihre Existenz,aber dieses Telefonat war so, als hätte dieAutowerkstatt angerufen und gesagt:Motor läuft wieder.Es gibt keine Pressemitteilung vom In-nenministerium, keine Entschuldigungen,keine Erklärungen. Niemand sagt: Tut unsleid, aber wir sind eben auch nur Teil einerGesellschaft, die nicht mehr richtig unter-scheiden kann. Zwischen böse und gut,zwischen Fake und Wirklichkeit. Dienichts mehr falsch machen will und dabeiviele Fehler macht.Hakan Celik sagt, die Entwarnung seiso leise gewesen, dass er bis heute nichtganz begriffen habe, dass es wirklich vor-bei ist. Er gibt den Namen seiner Bera-tungsstelle bei Google ein, auf der Suchenach Richtigstellungen. Er findet eine Spal-tenmeldung im „Wiesbadener Kurier", inder vom Innenminister mitgeteilt wird,dass „die sicherheitsbehördliche Zuverläs-sigkeitsüberprüfung" der Mitarbeiter keine„tatsächlichen Anhaltspunkte für extremis-

tische Bestrebungen" ergeben habe. Er hatdie Spalte fotografiert und auf seine Face-book-Seite hochgeladen. Das Bild ist ver-zerrt, kaum lesbar, aber es sind bis heutedie einzigen offiziellen Zeilen, die belegen,dass man Team Celik wieder trauenkann.Es ist schon weit nach 18 Uhr,Dienstschluss eigentlich, aber in derSitzecke des Gebetsraums sitzt nochimmer Klient 37,er kommt oft vorbei, willTee trinken und reden. Klient 37 war dererste IS-Rückkehrer auf einer deutschenAnklagebank,er wurde zu dreieinhalbJahre Haft verurteilt.Bei ihrer erstenBegegnung saß Klient 37 in einerFrankfurter Zelle und fürchtete dasHöllenfeuer. Knapp ein halbes Jahr trugHakan Celik Bücher über das islamischeRecht in seine Zelle, jede Woche lasen siedrei Stunden in der Literatur. Klient 37 soll-te verstehen, wie komplex die HeiligeSchrift ist, verstehen, dass man nicht einehalbe Sure aus dem Koran lesen und dannin den Krieg nach Syrien ziehen kann.Hakan Celik sagte ihm: Gott verzeiht,entschuldige dich einfach bei ihm. Er sagteihm, das Kalifat des IS sei kein echtes Ka-lifat, der selbst ernannte Kalif Baghdadikein Kalif, dein Treueschwur also nichtswert, das Höllenfeuer dir fern. Eines Tageswurde Celik konkreter.„Hey, in meinemViertel in Offenbach hören auch genugLeute auf mich, soll ich jetzt sagen, ich binder Kalif von Offenbach? 2000 Idioten fol-gen einem Hochstapler in Syrien, und dudenkst, da ist das wahre Kalifat für Millio-nen Muslime auf dieser Welt?"Seit Klient 37 aus der Haft entlassen ist,redet er nicht mehr übers Höllenfeuer. Ersitzt in der Gebetsecke, auf dem Tischsteht Kamillentee, neben ihm sitzt HakanCelik und arbeitet daran, dass Klient37 nicht noch mal entgleist.„Wir müssen jetzt mal Bewerbungen fürdich rausschicken, du hast doch Lust aufwas mit Computer, oder?"Klient 37: „Ichhabe mir überlegt, Hakan, ich will lieberdas durchziehen, was ich im Knastangefangen habe. Nur ein Jahr, dannhabe ich meine Maler-Ausbildungfertig."„Ok, dann lass doch mal redenmit deiner Sachbearbeiterin."Klient 37: „Ich kläre das selbst mit Ar-beitsamt, ich sage denen, ich will Malermachen. Ich kann es ja mal versuchen."

Solange Klient 37 nicht mehr vom Höl-lenfeuer redet, sondern vom Arbeitsamt,solange es Geschichten gibt wie seine,müssen diese Geschichten erzählt werden.Damit Hakan Celik weitermachenkann,wenn er mal wieder Probleme hatmit dem Land, das er liebt.Mail: [email protected]

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