schamanische wege 13

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Nr. 13 NATUR • WEISHEIT • HEILEN www.connection.de 31. Jg. B 6128 I/15 connection Schamanische Wege Nr. 13 Zurück zu den 9 Zurück zu den Wilden? Mit Beiträgen von oder über: Carlos Castaneda, Joseph Beuys, Geseko von Lüpke, Nana Nauwald, und die Tattoos der Kalinga Schweiz: 16,80 sFr, EU-Länder 9,40 Schamanische Wege Wilden ?

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Zurück zu den Wilden?

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Page 1: Schamanische Wege 13

Nr.13

NATUR • WEISHEIT • HEILENwww.connection.de 31. Jg. B 6128 I/15

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Mit Beiträgen von oder über: Carlos Castaneda, Joseph Beuys, Geseko von Lüpke, Nana Nauwald, und die Tattoos der Kalinga

Schweiz: 16,80 sFr, EU-Länder 9,40 €

SchamanischeWege

Wilden?

Page 2: Schamanische Wege 13

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Ab- oder zunehmende Wildheit?

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Powerpack »Schamanismus«

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www.connection.de 3connection Schamanische Wege 13

Wo kommen wir her, wo ge-hen wir hin? Diese Fragen

stellt sich der Mensch seit Jahr-tausenden. Er stellt sie sich indi-viduell, seine eigene Biografie be-treffend, ebenso wie kulturell,das Kollektiv betreffend. Neuer-dings stellt er sie auch die ganzeSpezies Mensch betreffend – wiesich das Leben auf der Erde ent-wickelt hat, von den Einzellernim Urozean über die Landlebe-wesen bis zu den Primaten, de-ren menschliche Abkömmlinge

vor 40.000 bis 60.000 Jahren Afrika verließen. Und was unsere Kulturen anbelangt, wo kommen die her? ImBereich des Religiösen und der Heilkunst kommen sie ausdem Schamanischen. Alle prähistorische Heilkunst und Reli-giosität wurzelt im Schamanischen.

Vergessliches Europa

In Europa scheint das Wissen, dass wir kulturell vom Scha-manismus herkommen, weniger stark verankert zu sein als inden anderen Kontinenten. Wir Europäer haben unsere Wur-zeln sehr gründlich verdrängt und vergessen. Amerika hat,unübersehbar, seine Indianer, Australien seine Aborigines,und das Subsahara-Afrika hat auch heute noch eine kaumüberschaubare Vielfalt schamanischer Kulturen. In Zentral-Asien hat der tibetische Buddhismus aus dem Bön so viel Scha-manismus in sich aufgenommen, dass man ihn fast schama-nisch nennen könnte, in Indien gilt das für den Hinduismus.Während Europa seine vorchristlichen Kulturen so gründlichvernichtet hat, dass es hier viel schwerer ist, mit unseren prähis -torischen Wurzeln, »unseren eigenen Wilden«, Kontakt auf-zunehmen – mit den Kulturen, die noch vor Landwirtschaft,Patriarchat und Christentum hier lebten. Kolonialismus und Industrialisierung gingen von Europa aus.Die Spaltung des Atomkerns und das Internet gingen vom eu-ropa-stämmigen Nordamerika aus. Naturvernichtung und dieBereitschaft zum militärischen Suizid sind zwar nicht eu-ropäische Phänomene, unser Kontinent hat dazu aber eine be-sondere Affinität – und, hoffen wir es, auch eine Affinität zumFinden eines Auswegs aus diesen menschengemachten Kri-sen. Auch in unserem Kontinent liegen die Wurzeln der Kul-turen im Schamanischen.

Ordnung und Wildnis

Wer heute, im Anthropozän, dem Erdzeitalter des Menschen,die politischen Nachrichten nicht nur als Hintergrundrau-

schen seiner privaten Lebensweise zu sich nimmt, weiß, dasseine neue Weltordnung für unser Überleben unerlässlich ist– eine neue Ordnung für uns alle, die wir auf der Erde leben.Diese neue Ordnung braucht einen Abschied von den Kultu-ren, die das Militär verherrlicht haben, und sie braucht einenfreundlicheren Bezug zur Natur, zum Ursprünglichen. Zu un-serer Herkunft. Und darin unabdingbar einen Bezug zur ei-genen inneren und äußeren Wildheit. Ordnung muss Chaos integrieren. Eine Ordnung, die das ge-fürchtete Chaos ihres eigenen Ursprungs bekämpft, wird sichmittels ihrer eigenen, unverstandenen Wildheit immer wie-der selbst vernichten. Ein »Zurück zu den Wilden« gibt es so

wenig, wie es für einen Erwachsenen ein Zurück in die Kind-heit gibt und fürs Internetzeitalter ein Zurück in die Steinzeit.Aber es gibt ein Anknüpfen an das, was damals war, an un-sere Wurzeln. Um von dort aus besser in die Zukunft schau-en zu können.Wenn wir wissen, woher wir kommen, wird die Orientierung,wohin wir denn gehen sollen – und überhaupt gehen können–, leichter sein.

Editorial

Wohin des Wegs, Wanderer?

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Wolf SchneiderHerausgeber von Connection Schamanische [email protected]

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Das Leben im Anthropozän und die Frage nach unserer Herkunft

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4 Zurück zu den Wilden?connection Schamanische Wege 13

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S. 10 S. 14 S. 18

S. 24 S. 30 S. 34

3 Editorial

6 Hier und Jetzt – Kurzmeldungen über die Natur, Naturvölker und Indigene

8 Henri David Thoreau in der Wildnis eines Bildes von Christina von Puttkamer

10 Wildnis und Zivilisation – Wolf Schneider findet die Wildnis ganz ordentlich und die Zivilisation ziemlich wild

14 Das Christentum und die Mystik der Naturvölker – Jürgen Wagner vergleicht die Monotheismen der Wüste mit den ekstatischen Religionen des Urwalds

14 Reisen in andere Wirklichkeiten in der toltekischen Tradition – Preston Haydon untersucht das Erbe von Don Juan Matus und Carlos Castaneda

24 Ubuntu – Geseko von Lüpke ist fasziniert von Südafrikas Philosophie der Verbundenheit

30 Fliegenpilz trifft Ayahuasca – Nana Nauwald begegnet in Moskau einer Spiri-Szene, die das Exotische liebt und mit dem Einheimischen fremdelt

34 Gebündelte schamanische Kraft – Julia Vitalis will die Natur und die schamanische TraditionEuropas mit vereinten Kräften heilen

38 Tätowierkunst bei einem Kriegerstamm – der Anthropologe Lars Krutak traf auf den Philippinen eine 94 Jahre alte Tätowiererin vom Stamm der Kalinga

Page 5: Schamanische Wege 13

www.connection.de 5connection Schamanische Wege 13

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S. 38 S. 46 S. 52

S. 63 S. 64

jS. 60

46 Eure Wildnis, unser Zuhause – Stephen Corry setzt sich für das Recht der Indigenen ein, ihre eigene Heimat pflegen zu dürfen

51 Innere Wildnis – Christian Salvesen gehörte zu den Wilden, die in den 70er Jahren ihre inneren Räume erforschten

52 Zeige deine Wunde – Rüdiger Sünner hat einen Film über Joseph Beuys gemacht, der den schamanischen Rebellen als verwundeten Heiler zeigt

60 Zurück zur Zivilisation – pflegebedürftig und abhängig von der Apparatemedizin, weiß Johannes Galli die Zivilisation wieder mehr zu schätzen

63 Bärinnenpfade – ein Portrait von Catalixx Cuna

64 Der schamanische Weg im 21. Jahrhundert – Sinchota D. Genzmer findet, dass dieser Weg für alle gut ist, auch heute noch

68 Bücher über die Magie der Heilung, Initiation und Liebe, die Heilige Erde und anderes

73 William Blake über Freude

74 Vorschau und Impressum

Page 6: Schamanische Wege 13

10 Schneider: Wildnis und Zivilisationconnection Schamanische Wege 13

Von Wolf Schneider

Wir Steinzeitmenschen im Internetzeitalter wollen das Beste von beidem

Wildnis& Zivilisation

Die moderne Sehnsucht nach der Natur und zur Wildnis ist eine Gegenbewegung, die sich von zu viel Ordnung, Zwang und

der ›Zuvielisation‹ zu befreien sucht, eine Hinwendung zum Einfachen und Ursprünglichen. Das ist sinnvoll und kann sehr

befreiend sein, wenn es nicht Innen und Außen verwechselt und die Natur und Wildnis zu sehr romantisiert und verkitscht

Page 7: Schamanische Wege 13

a, wir sollten uns der Zukunft zuwenden. Heute gestaltenwir sie, jeden Tag neu. Können wir dabei die Vergangen-heit ignorieren? Keinesfalls. Die Gestaltung der Zukunft

und die Erinnerung an die Vergangenheit, beides geschieht jain der ewigen Gegenwart. Das sollte nach all dem Hier-und-Jetzt-Hype der vergangenen drei, vier Jahrzehnte inzwischenjeder kapiert haben. Hellwach und geistesgegenwärtig wol-len wir sein, jetzt, immer wieder jetzt! Und das können wirbesser, wenn wir gut verwurzelt sind. Verwurzelt in einer kul-turellen, vielleicht auch geografischen Heimat, in einer weitzurück reichenden Historie, die wir verstehen und uns selek-tiv damit anfreunden und identifizieren. Von dort aus richtenwir unseren Blick weit hinaus auf eine lebenswerte Zukunft.

Weit zurück und weit voraus

Schon vor unserer Zeit haben diverse Revolutionäre mit großenPlänen für die Zukunft die Erfahrung gemacht, dass sozialeVeränderungen bessere Chancen haben, realisiert zu werdenund weit in die Zukunft hinein zu wirken, wenn sie ihre Vi-sionen mit weit Zurückliegendem verknüpfen. So wie es dieRenaissance-Menschen des 16. Jahrhunderts taten, die sich alsWiederbeleber der Antike verstanden und auf diese Weise dieNeuzeit begründeten. So greifen auch heutige soziale Bewe-gungen, die nachhaltig sein wollen, weit in die Vergangenheitzurück. »Nachhaltig« heißt ja nichts anders als weit in die Zu-kunft hineinreichend – bis in die siebte Generation nach unssollen wir vorausdenken, sagt ein indianisches Sprichwort. Für viele der heutigen sozial, ökologisch oder spirituell »Al-ternativen« (d.h. derer, die »es anders« machen) ist die Ver-gangenheit, in der sie sich verwurzelt fühlen, die Zeit vor derneolithischen Revolution. Die Zeit vor dem Patriarchat, in derdie Landwirtschaft begann, und mit ihr das Aufbewahren vonNahrungsmitteln, die Anhäufung von Besitz, vielleicht ent-stand sogar erst damals das persönliche »Eigentum«. Die Zeit,bevor die monotheistischen Religionen aufkamen und dieHochkulturen sich bildeten mit ihren Eliten wie dem Adel (derKriegerkaste) und dem Klerus (der Priesterkaste). In der Ein-fachheit und Natürlichkeit dieser Zeit fühlen wir uns behei-matet und wünschen uns dorthin zurück – wenn es dort dochnur Badezimmer mit fließend heißem Wasser gäbe und wirunsere Smartphones mitnehmen könnten!

Idealisierung des Vergangenen

Deshalb beziehen sich viele der heutigen religiösen und hei-lerischen Erneuerungsbewegungen auf die heute noch exi-stierenden Naturvölker mit ihren Schamanen und die ihnenentsprechenden prähistorischen Kulturen. Also auf Lebens-weisen, die sich noch nicht patriarchal und stark hierarchischorganisierten und die Natur als unzerstörbare, endlos nutz-bare Ressource verstanden, die als gütig oder auch bedrohlichwahrgenommen wurde, aber nicht als pflegebedürftig.

Dass bei diesem Rückblick auf unsere Vergangenheit vielesidealisiert wird, ist aufgrund der starken Sehnsucht nach ei-nem anderen Leben wohl kaum vermeidbar. Die sozialen Ver-hältnisse der Frühmenschen werden idealisiert. Ihre Ernäh -rungs weise wird (vereinfacht und vermanscht mit Low-Carb-Diäten) als »Paläo-Diät« zum kulinarischen Trend. Der reli-giöse Naturbezug dieser Zeit wird verkitscht, und ihre Wirt-schaftsweise erscheint uns oft nur deshalb als weniger natur-zerstörerisch, weil die sozialen Gruppen kleiner und ihre Mit-tel der Zerstörung (z.B. Brandrodung) schwächer waren alsunsere heutigen. Die Frühmenschen waren nur selten kanni-balisch, aber sie waren auch nicht generell die »guten Wilden«unseres sehnsüchtigen Rückblicks auf eine verlorene Heimat,in der »alles gut« war.Dennoch können die Naturvölker und frühen Kulturen füruns Vorbildliches enthalten. Immerhin haben einige dieserKulturen Jahrtausende lang existiert, ohne den sie tragendenBiotop zu zerstören. Sie kamen mit Krankheiten zurecht, undihre Waffen waren nicht selbstmörderisch, sonst hätten sie janicht überlebt. Nicht alles, was alt ist, ist auch gut, aber waslange währt, beweist damit immerhin, überleben zu können.Das hat unsere heutige, hochtechnologisierte Kultur noch nichtbewiesen, in der viele Tendenzen auf einen baldigen Selbst-mord hinweisen.

Das Paradies

Wenn wir uns geistig zurückversetzen in unsere Vorgeschich-te, tendieren wir dazu, sie parallel zu unserer individuellen Bio-grafie als eine Art Kindheit unserer Kultur zu verstehen, undsind dabei in ähnlicher Weise verführt, in kindliche Gefühls-welten und Verhaltensweisen zu regredieren wie bei der Erin-nerung an die eigene individuelle Kindheit. »Werdet wie dieKinder«, soll Jesus gesagt haben. Hat er vergessen zu sagen»Werdet wie die Wilden«, in der Kindheit unserer Kultur, oderversteht sich das von selbst? Man kann die Frühzeit idealisie-ren als eine Zeit der Unschuld, als wir »noch nicht wussten, waswir tun«. Wie schön, wie süß. Wir waren unbewusst und un-schuldig, man konnte uns noch nicht zur Rechenschaft ziehenfür all das Schlimme, was wir taten. Wie paradiesisch! Aber dasist es auch nur in unseren Träumen. Tatsächlich haben »dieWilden« in der Regel einige Mühen, sich ihren Lebensunterhaltzu beschaffen, und ihr Leben war aufgrund von Krankheitenund »natürlichen« Gefahren viel kürzer als das unsere.

Prä- und Transrational

So findet man gerade bei den Verehrern der Naturvölker unddes Schamanischen häufig die Verwechslung von Prä- undTransrationalem. Eine sehr nützliche Unterscheidung, mit deruns Philosophen wie Jean Gebser und Ken Wilber beschenkthaben. Prärational ist das Denken und Fühlen des Menschen,bevor er, sei es biografisch oder kulturbiografisch, die Ratio alsHauptagenten seiner Entscheidungen einsetzte. Transrational

Schon vor unserer Zeit haben Revolutionäre mit Zukunftsplänen, die sich auf weit Zurückliegendes beziehen,

dadurch ihre Realisierungschancen verbessert

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ist sein Denken, Fühlen und Verhalten, nachdem er die Be-grenzung der durch die Ratio gesteuerten Lebensweise er-kannt und überwunden hat und nun als weiser Mensch auchseine Intuition und sein »Herz« im Sinne eines ganzheitlichen,in sich zentrierten Fühlens einsetzt. Spiritueller Kitsch ist einZeichen der Regression ins Prärationale. Spirituelle Kunst hin-gegen ist Ausdruck eines ganzheitlichen Verständnisses, mitTendenz zum Transrationalen.

Die Aussteiger

»Aussteiger« aus der Gesellschaft gab es wohl schon immerund in allen Kulturen. Teils stiegen sie nur aus der Massen-hypnose ihres jeweiligen Mainstreams aus, teils vor allem ausderen Lebensweise. Teils war das Aussteigen sogar in den ge-sellschaftlichen Konventionen vorgesehen, etwa für den Wer-degang eines Schamanen oder als Eremitage in diversen Hoch-kulturen. In Indien wurden Aussteiger tendenziell eher als Heilige ver-ehrt denn im profanen Europa oder China, wo der Mainstreamder Gesellschaft sie meist einfach nur als verrückt erklärte. EinAussteiger im Sinne unseres heutigen Verständnisses war wohlder Grieche Diogenes von Sinope, von dem die Anekdote über-liefert ist, dass er in einer Tonne gelebt habe und sich von Alex-ander »dem Großen« nichts anderes wünschte, als dass er ihmaus der Sonne gehe. Nach ihm waren auf jeden Fall auch diein Ägypten und Syrien lebenden »Wüstenväter« des frühenChristentums Aussteiger.Im europäischen Mittelalter gab es Eremiten ähnlich denenAsiens, wenn auch seltener. Seit der Romantik wird dann derBegriff des Aussteigens auch in einigen nicht-religiösen Krei-sen populär: Eichendorff und Seume kann man sicherlich Aus-steiger nennen, weil sie in ihrer Liebe zur Natur und dem ein-fachen Leben auf Annehmlichkeiten der Zivilisation verzich-teten. Bedeutend für den Hang zum Aussteigen aus der Zivi-

lisation im modernen Europa ist auch Rousseau, der diesmit seinem Aufruf »Zurück zur Natur« wirkmächtig pro-pagierte, aber nicht selbst vorlebte. Hundert Jahre näheran unserer Zeit liegt der Nordamerikaner Thoreau, der1845 für zwei Jahre eine Blockhütte bezog und darübersein berühmtes Buch »Walden. Oder das Leben in denWäldern« schrieb. Zu einer bedeutenden Subkultur des profanen Main -streams in Europa wurden die Aussteiger aber erst ab An-fang des 20. Jahrhunderts mit der Wandervogelbewe-gung, die noch einigermaßen gesellschaftskonform war,und mit radikaleren Figuren wie dem Maler und Kom-munarden Karl Wilhelm Diefenbach und dessen SchülerGusto Gräser, der im Jahr 1900 im Tessin die Künstler-kolonie des Monte Vérita gründete. Und dann mit denHippies und Aussteigern der 70er und 80er Jahre, die als»Alternative« eine bedeutende Ressource kultureller In-novation für den immer mehr von ökologischem und spi-rituellem Geistesgut beeinflussten Mainstream wurden.

War es das schon?

Heute suchen nicht nur Freaks und Aussteiger, sondern auchManager, Celebrities, Lehrer, Ausgebrannte aus den Führungs -etagen und ehemalige Karrieristen jeglicher gesellschaftlichenHerkunft in Visionquests nach Antworten aus der Natur unddem eigenen Inneren. Geld, Macht und die Anerkennung vonSeiten versteifter Autoritäten machen eben noch nicht glück-lich, und auch ein intaktes Familienleben erfüllt noch nicht alleBedürfnisse, irgendwann fragt sich jeder Mensch: War es dasschon? Und beginnt nach einem tieferen Lebenssinn zu su-chen. Wofür das Eintauchen in die eigene innere Wildheitschon mal ein guter Anfang sein kann. Wer in Nachtträumen oder wacher Alltags-Introspektion dereigenen inneren Wildheit begegnet, wird nicht mehr so leichtIndigene als »Wilde« verkitschen und auch nicht das Chaoseiner wilden Kindheit romantisieren. Ich kenne kein Kind, dasvon allein sein Kinderzimmer aufräumt, und doch suchen allenach Ordnung, Orientierung, Halt und Wiederkehr des Glei-chen. Und auch »die Wilden« vom Amazonas haben ihre ei-gene Kultur mit ihren eigenen Regeln, die ihnen Rhythmusund Ordnung geben.

Dionysos und Apollo

Chaos und Ordnung, diese Grundprinzipien menschlichenDaseins und Seinsverständnisses wechseln einander ab.Manchmal bedingen sie einander sogar: Ordnung führt zuChaos und Chaos zu Ordnung. Sie stehen sich polar gegen -über, so wie die griechische Antike sie in den GötterfigurenDionysos und Apollo gegenüberstellte: Dionysos der Wilde,Berauschte, und Apollo, der Ordnung, Form und Schönheitrepräsentierte. Wenn ein Zwangsneurotiker mit seinem Ord-nungstick sein inneres Chaos zu bezähmen versucht, steht da

12 Schneider: Wildnis und Zivilisationconnection Schamanische Wege 13

Seit der Romantik wird der Begriff des Aussteigens auch in einigen nicht-religiösen Kreisen populär

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Page 9: Schamanische Wege 13

einem Übermaß an äußerer Ordnung ein Übermaß an inne-rem Chaos gegenüber, beide Seiten verstehen einander nichtin ihrem Bezug und treiben sich so zu Extremen. Und über-strukturierte, zwanghafte Gesellschaften produzieren wildeTräume und – im Falle des »die Wilden« kolonisierenden Eu-ropa – die romantischen Figuren einerseits des »edlen Wilden«(hierzulande entspricht ihr die des Naturburschen), anderer-seits des gefährlich unberechenbaren Unzivilisierten, der kei-ne Schulbildung »genossen« hat, durch die er diszipliniertwurde.Um die eigene innere Wildheit und das Dionysische in sichselbst verstehen und ausleben zu können, ist wildes Tanzengut, wilder Sex, Wanderungen in menschenloser Natur, dortdraußen übernachten, mehrtägige Visionquests, Kindern beimSpielen zusehen, ihnen eine Ordnung bieten, in der sie ihreWildheit ausleben können, mit Tieren leben. In Wirtschaft, Ge-sellschaft, Politik: Brainstorming, Experimente und Variantenzulassen, Randgruppen ehren, Verrücktheit wertschätzen.

Ordentliche Natur

Die Natur, ach, die Natur … darüber wird so viel geredet. Je-der scheint darüber Bescheid zu wissen. Sie wird verkitscht

und romantisiert, man dichtet ihr an, was man will, und im-mer finden sich Beispiele, das Behauptete sowohl zu belegenwie auch zu widerlegen. Sie ist groß, wild und ordentlich, undaus ihrer Wildnis und Ordnung, da kommen wir her. Nichtnur aus ihrer Wildnis, auch aus ihrer Ordnung! Denn in derNatur geht es nicht nur wild, sondern auch sehr ordentlich zu.Die DNA bestimmt genau, was reproduziert werden soll, daist kaum ein Raum für Improvisation und Spontis. Die Zell-membran lässt nur ganz bestimmte Moleküle durch, die an-deren müssen draußen bleiben, und so machen es auch dieHaut, der Darm, Tiergesellschaften und menschliche Clans –und das Ego. Das lehnt bestimmte Behauptungen über mich,wer ich bin, ab und heißt andere willkommen. Es hat ebenauch in der wilden Natur, inner- und außerhalb von uns, al-les seine Ordnung. n

In der Natur geht es nicht nur wild, sondern auch sehr ordentlich zu

www.connection.de 13connection Schamanische Wege 13

Wolf Schneider, Jg. 1952. Autor, Redakteur, Kursleiter. Stu-dium der Naturwissenschaften und Philosophie (1971–75) inMünchen. 1975–77 in Asien. 1985 Gründung der ZeitschriftConnection. Seit 2007 Theaterspiel & Kabarett.Kontakt: [email protected]

Ein Workshop mit der chilenischen Heilerin Astrid Brinck

Unsere Kultur hat es uns nicht gelehrt, wie mit den unterschiedlichen Energien und Kräf-ten von Männern und Frauen umzugehen ist. Zahllose Traumata und Missverständnisse verhindern das gemeinsame Wachstum und

-schätzung einen ‚wilden Frieden‘ zwischen den Geschlechtern zu leben, braucht es Felder

-

Leitung:Ort: Seminarhaus in SüddeutschlandTermin: 7. – 10. Mai 2015Kontakt:

Visionssuche für Männer & Frauen

Es gibt Zeiten in Deinem Leben, da ist es nötig, alles hinter Dir zu lassen. Zeit hinaus zu gehen und mit Gott alleine zu sein, mit der Natur und ihren Wesen. Und an diesem einsamen Platz

Pilger allein mit den Wesen der Natur. Und an diesem einsamen Ort geht der Mensch auf In-

seine Gemeinschaft, auf das sie weiter beste-

Leitung: Gabriele KauppOrt: RegensburgTermin: 22. Juli – 4. August 2015Kontakt:

Männer – Visionssuche 2015

12 Tage für die Grundfragen des Lebens:

Wer bin ich?

Wo stehe ich?

Was will ich ins Leben bringen?

Wer ist meine Gemeinschaft?

Leitung: Ort: Termin:Kontakt:

Im Herz der „Grünen Hölle“

„Wilder Frieden“Die heilige Balance zwischen Männern & Frauen

Allein in der Wildnis auf dem Weg zu sich selbst

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30 Nauwald: Fliegenpilz trifft Ayahuascaconnection Schamanische Wege 13

E ndlich in Sibirien! Genug über sibirischen Schamanis-mus gelesen, genug von echten sibirischen Fliegenpilz-ritualen gelesen und mich danach gesehnt.

Es begann in Irkutsk. Begleitet von meiner russischen Freun-din, die seit sechs Jahren in Moskau meine Seminare mit Na-turritualen und rituellen Körperhaltungen und Trance nachDr. F. Goodman organisiert, begann mein sibirisches Scha-manen-Abenteuer damit, dass ich im 13. Stock in einem großenWohnzimmer ein Seminar hielt.

Ayahuasca in Sibirien?

Noch vor dem Seminar sprachen mich aufgeregt zwei jungeMänner an und berichteten mir stolz, dass sie gerade aus Peruzurückgekommen seien. Sie waren zwei Wochen in Cuzco ge-Von Nana Nauwald

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In der Moskauer Spiri-Szene kennt kaum jemandsibirische Schamanen aus eigener Erfahrung.Umso lieber reisen sie nach Amazonien und nehmen dort am boomenden Ayahuasca-

Tourismus teil, der dort sowohl die begehrtePflanze massenhaft ernten lässt, wie auch auf die

Indigenen-Gemeinden in einer Weise wirkt, wiedie Touristen das kaum je zur Kenntnis nehmen

Notizen vom globalen Schamanismus-Markt

Fliegenpilz trifftAyahuasca

Fliegenpilzfrau auf einem Frühstücksbrett, Russland

2009: Die im Dorf nochreich grünende Ayahuasca

Page 11: Schamanische Wege 13

wesen und hatten dort in einem Nachbarort bei einer Scha-manin Ayahuasca getrunken.Ich setzte mein bestes Pokerface auf, atmete einmal tief durchund blickte einen Moment lang aus dem Fenster, hinaus aufden mächtigen Fluss Irkut, der hier in die Angara fließt. An-gara – der mythenumwobene Fluss mit dem berühmten Scha-manenstein kurz bevor sie, die Angara, den Baikalsee verlässt.Sie wird auch als einzige Tochter des Baikal bezeichnet, da siedessen einziger Abfluss ist. Zuflüsse, »Söhne« genannt, gibtes dagegen über 300, die in den Baikalsee fließen.So dicht am Herzen des traditionsreichen Schamanismus Si-biriens höre ich das in meinen Ohren seit einiger Zeit schmer-zende Wort »Ayahuasca«.

Exotisches ist interessanter

Interessiert fragte ich die beiden jungen Männer nach dem Na-men der Schamanin. Und wieder ging mein Blick hinaus zumgroßen Fluss: Die Ayahuasca gebende »Schamanin« entpupptesich als ein junge Frau aus Großbritannien. Die Frage, ob ichihnen raten würde, diese »Schamanin« nach Irkutsk einzula-den, haben die beiden Männer mir nach meinem Seminar nichtmehr gestellt. »Wisst ihr denn, wo die Pflanzen wachsen, die ihr getrunkenhabt?« – »Ja, im Dschungel«, war ihre Antwort. »Aber dort-hin zu gehen hatten wir Angst.«»Habt ihr denn schon Rituale hier bei euch mit einheimischenBurjat-Schamaninnen gemacht?« war meine nächste Frage.Kopfschütteln war die wortlose Antwort.

Trends kommen aus dem Westen

Es sind schwierige Zeiten für Menschen im »neuen« Russland.Aus ihrer Geschichte heraus verständlich, betreten sie mit un-sicheren Schritten spirituelle Wege, die abseits der Kirchen lie-gen. Die Verunsicherung bezieht sich nicht nur auf den Ver-lust der gesellschaftlich einst feststehenden Werte, sondernauch auf alle Wege, die in der Sowjetzeit zu betreten verbotenwaren. Sibirischer Schamanismus gehörte auch dazu. Dazugehört ebenso, dass alle Angebote für spirituelle Wege auswest lichen Gesellschaften kommen – auch wenn die Ursprüngeeiniger dieser Wege, wie etwa Yoga, andere kulturelle Wur-zeln haben als die unsrigen. »Wir Westler« kennen schon al-les in der Spirit-Szene, haben alles schon gemacht, von Oshoüber schamanisch Reisen bis zu Reiki, alles was jetzt in Mos -kau neu und »in« ist.Und nun Ayahuasca. So ist es seit etwa zwei bis drei Jahren:Wer in Moskau Therapeutin oder Psychologin ist und nochnicht in Peru war, noch nicht »getrunken hat«, gilt in dieserSzene nicht mehr viel.

Zuerst die Heimat entdecken

Seit einigen Jahren schon bedrängt mich meine Freundin, diemich in Moskau organisiert und Psychologin ist, dass ich siemit nach Peru nehmen soll.»Lena«, sagte ich ihr darauf, »ich habe auf Google Earth ge-sehen, dass zur russischen Föderation ein Teil gehört, der ›Si-birien‹ heißt.« Worauf Lena bestätigend nickte. »Und dann«,so fuhr ich fort, »habe ich bei uns im Fernsehen Berichte überSchamaninnen in Sibirien gesehen, die dort wieder mehr undmehr öffentlich wirken.« Wieder nickte Lena bestätigend. »Bist du denn schon in diesem Teil deiner Heimat gewesen?« Wieder war betretenes Kopfschütteln die Antwort. »Solangedu nicht mit mir in Sibirien warst, in diesem Teil deines Hei-matlandes, solange kannst du nicht mit mir nach Peru in ›mein‹Dorf am Amazonas fahren«, war meine etwas hinterlistigeAntwort …

Ayahuasca-Tourismus

Nachdem ich dann zweimal mit ihr in Sibirien war, fuhr siemit mir nach Peru, zur Familie des alten, traditionell arbei-tenden Schamanen, bei der ich seit 14 Jahren Gast bin. Nun istihre Arbeit als Psychologin in Moskau wieder etwas »wert«,nun hat sie Ayahuasca getrunken! Im letzten Jahr hatte ich die große Ehre, in der Akademie derrussischen Wissenschaften, in der dortigen anthropologischenSektion, einen Vortrag über die schamanische Tradition desVolkes der Shipibo am Ucayali in Peru zu halten. Nicht uner-wähnt ließ ich die rasanten Veränderungen in diesem Volkdurch die wachsenden Ayahuasca-Touristen-Ströme, die glück -licherweise hauptsächlich die entsprechenden Ayahuasca-Tou-risten-Zentren bei Iquitos bevölkern. Empört sprach mich nach

Die Moskauer Schamanismus-Fans wollen nach Amazonien. Sibirien kennen sie nicht

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2014: Karge Ayahuascaernteim gleichen Dorf

Page 12: Schamanische Wege 13

meinem Vortrag eine sehr junge Frau an: Sie sei vier Wochenin Peru gewesen, in einem der von mir im Vortrag erwähntenZentren bei Iquitos, und sie habe über zwanzigmal Ayahuas-ca getrunken. Der »Schamane« habe ihr ein »Schamanenlied«zum Heilen gegeben, nur für sie, und nun sei sie Schamaninund singe in Moskau diesen Heilgesang und gebe ihren Klien -ten Ayahuasca.

Missbrauch verläuft im Geld-Sand

Der »Schamane«, von dem sie da sprach, war früher, bevor ersein großes Zentrum bei Iquitos aufgemacht hatte, ein für sei-ne Gemeinschaft heilsam und engagiert arbeitender Schama-ne. Ich kannte ihn gut, deshalb habe ich nichts mehr dazu ge-sagt. Ausgerechnet dieser in Insider-Kreisen berühmte Mannhatte in den letzten Jahren in seinem Zentrum mehrfach imRitual sich an Frauen vergangen, die unter der Wirkung vonAyahuasca standen. Die Anzeigen, die einige der Frauen sichdaraufhin trauten zu tätigen, verliefen bei der peruanischenPolizei im Geld-Sand.Nun reist dieser Mann seit vorigem Jahr höchstpersönlich nachMoskau, gibt in Therapeuten- und Psychologenzirkeln Aya -huasca und ist ein umjubelter Schamanen-Star. Ja, Sibirien ist noch weiter entfernt von Moskau als Peru.

Der Geist der Ayahuasca

Ayahuasca, auch Yagé genannt, die Liane der Seele, ermög-licht bei vielen der Traditionen indigener südamerikanischerVölker die Verbindung zu Geistern und Bewusstseinswelten.Der psychoaktiv wirkende Sud besteht aus zwei Pflanzen: der

Liane Ayahuasca (Banisteriopsis caapi) und denBlättern des Strauches Chacruna. Er wird in stun-denlanger Arbeit gekocht, oft auch schon dabeibesungen. Dem Sud können mit heilwirkendenAbsichten auch Tabak und andere Pflanzen zu-gesetzt werden. Der Geist der Ayahuasca lässt den SchamanenVerborgenes sehen, Ursachen von Krankheitenerkennen, und er stellt durch seine Gesänge, dieIcaros, die Harmonie im Einzelnen und der Ge-meinschaft wieder her. Die meisten der indige-nen Völker Südamerikas nutzen die Kraft en-theogener Pflanzen zum »Sehen«. Es wird ver-mutet, dass die Völker Amazoniens über 200 die-ser pflanzlichen Substanzen kennen und nutzen.Auch in unseren europäischen Kulturen sindPflanzen-Schätze wohlbekannt, die in veränder-te Bewusstseinszustände führen. Im Zustand desvisionären Sehens lassen sie die Welten des Be-wusstseins und ihre inneren Zusammenhänge er-kennen. Vielfältig öffnen sich »vor unserer Haus -türe« Wege und zeigen sich Mittel, in diesen Zu-stand des Sehens, des Erkennens zu gelangen, vor

allem die »kleinen Pilzfreunde« sind hier zu nennen. Als ich im Ayahuasca-erfahrenen »Expertenkreis« in Moskaudie freundlichen bewusstseinsöffnenden Pilze erwähnte, auchauf tiefe Trancezustände sibirischer Schamanen durch Trom-meln hinwies, hatten alle schon davon gelesen. Gelesen!

Geld, Geld, Geld statt Geist

Meine Versuche, auf die Hintergründe und Folgen diesesAyahuasca-Tourismus hinzuweisen, hörten sie sich mit ge-schlossenen Ohren an, so wie dies auch in unseren mitteleu-ropäischen Seminar-Welten der Fall ist: Erst haben wir west-lichen Nationen den Menschen in Südamerika ihre Land ge-nommen, dann ihre Bodenschätze, dann ihre Wälder, dazu be-glücken wir sie heute mit Monokulturen von Soja-Anbau undPalmölplantagen, um unseren Hunger nach »richtiger«, ve-ganer Nahrung zu stillen. Und nun nehmen wir ihnen mit unserer auf exotische Scha-manen-Erfahrungen ausgerichteten Gier auch noch die kläg-lichen Reste ihrer geistigen Welt – und tauschen sie gegen denallen Geist übertrumpfenden Wert ein: Geld, Geld, Geld! Und lassen uns einlullen von den großartigen Versprechun-gen der Zentrums-Leiter, sie würden das Geld aus den Aya -huasca-Einnahmen an die Gemeinschaften weiterverteilen.Kaum eines von diesen wohltönenden Prospekt-Versprechenwird erfüllt, es profitieren mit wenigen Ausnahmen nur dieFamilien des Clans, dem das jeweilige Zentrum gehört.Unser Ayahuasca-Geld hat tiefe Schnitte in die Gemeinschaf-ten geschlagen. Immer noch ist es so, dass ein Ayahuasca-Ge-ber in einer gut besuchten Ritual-Nacht mehr verdient als diegesamte Gemeinschaft eines kleinen Dorfes in einem Jahr. Die

32 Nauwald: Fliegenpilz trifft Ayahuascaconnection Schamanische Wege 13

Erst haben wir diese Länder militärisch und wirtschaftlich erobert, nun nehmen wir ihnen auch noch die kläglichen Reste ihrer geistigen Welt

Das Kochen der Ayahuasca

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Autos und Motorboote der Ayahusaca-Geberwerden immer größer, die Goldkettchen im-mer dicker, währenddessen die Verelendungin den Dörfern wächst und die wirtschaftlicheNot mehr und mehr junge Menschen in dieElendsviertel treibt, und Familienväter in dieStädte oder an die Küste zur Orangen ernte.

Ausverkauf der begehrten Lianen

Staunend habe ich im letzten September be-obachtet, wie mit Ayahuasca-Lianen vollge-packte Pick-ups Staub aufwirbelten, als sie insnächste Dorf fuhren. »Woher holen die dieAyahuasca?« fragte ich den jungen Schama-nen im Dorf. »Aus dem Berg dschungel« –»Und warum, wofür holen sie so viel?« – »Hierbei uns im Flussdschungel haben wir nichtsmehr, wir haben alle Pflanzen verbraucht«,war die trockene Antwort. »Und im Nachbar-ort brauen sie jetzt andauernd Ayahuasca, siebringen es kistenweise nach Lima.« – »NachLima?« – »Oh ja, in Lima ist Ayahuasca jetzt sehr modern, dakommen auch viele Europäer hin zum Trinken, die nicht inden Dschungel fahren wollen. Viele Italiener. Wir verschickenAyahuasca sogar nach Mexiko, die sind ganz wild danach.«In den Dörfern am Fluss, für die der Verkauf von Ayahuascaein leichtes, gutes Geld einbringt, wird den Menschen lang-sam bewusst, dass auch die »Dschungelapotheke«, die für deneigenen Gebrauch immer reich gefüllt war, demnächst aus-verkauft sein wird, wenn nicht für jede abgeschlagene Lianeein neuer Setzling gepflanzt wird. Ich verdanke der Lehrerin Ayahuasca tiefe Einsichten und heil-same Stärkungen. Ich achte sie so sehr, dass ich den Mut habe,nach 16 Erfahrungsjahren in Amazonien diese Kritik anzu-bringen, und ich verweise darauf nicht nur in diesem Artikel.Wir müssen auf unserer Suche nach Erkenntnis Verantwor-tung übernehmen auch für unser Handeln gegenüber den Men-schen und Wesen, von denen wir Erkenntnis erhoffen. AuchSpiritualität kennt Gier, Eitelkeit, Machtstreben. Der hungri-ge Esoterik-Einfall in die Welten der Menschen und PflanzenAmazoniens hat leider auch mit diesen Begriffen zu tun.

Angst vor den Burjat-Schamaninnen

Ich hatte das Glück, mit meiner Moskauer Gruppe an einemjährlichen Schamanen-Clan-Treffen im Baikal teilzunehmen.Mächtig waren die Trommeln, beeindruckend das sorgsame,lange Rufen ihrer Ahnen und Geister in der Vorbereitung aufdas Ritual ihrer Trance. Und dann der Moment, als die Trance einsetzt: die wilden Be-wegungen und Sprünge, die so rau, fremd veränderte Stim-me der Schamaninnen! Und dann rasen sie brüllend mit ihrem»schamanischen Segensstock« auf die Menschen zu, die Frau-

en nehmen den Segen mit ihrer wie ein Auffangbecken ge-schürzten Bluse auf, die Männer zupfen am Ausschnitt ihresT-Shirts und lassen den Segen der Schamanin dort oben hin-ein fallen. In diesem Moment, als die Schamanin wild her-umrannte, mit dem Ritualstock fuchtelte und Unverständli-ches brüllte, verschwanden eilig alle aus meiner MoskauerGruppe aus der Nähe des Ritualplatzes. »Die Schamaninnenhaben uns Angst gemacht«, sagten sie später übereinstim-mend. »Bei den Schamanen in Peru ist es schöner«, sagte eineTeilnehmerin, »die singen so sanft die ganze Nacht.«Und noch eine Notiz aus der internationalen Schamanenwelt:Eine Burjat-Schamanin gab mir für mein neues Buch ein lan-ges Interview. Ich bat sie, mir zu sagen, was ich ihr als Ge-gengeschenk geben könne. »Ich hätte gerne, dass du für michein Fliegenpilzritual machst«, war ihre Antwort. n

Bücher von Nana Nauwald: Der Gesang des schwarzen Jaguar – mein Leben bei den Schamanes des Amazonas,Ullstein TB 2003, 8,95 €Das Lachen der Geister – meine Reise zu den Schamanen, Magie und Rituale am Amazonas,Kindle Edition 2015, 6,99 €.und viele andere

Wir müssen auf unserer Suche Verantwortung übernehmen auch für unserHandeln gegenüber den Menschen und Wesen, die davon betroffen sind

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Nana Nauwald, geb. 1947. Künstlerin, Au-torin, Dozentin für Rituale der Wahrneh-mung, erforscht seit 30 Jahren schamani-sche Bewusstseinswelten. Autorin mehre-rer Bücher über Wahrnehmung, Natur -erfahrung, Schamanismus. www.ekstatische-trance.de, www.visionary-art.de, www.feuerfrau.com

Trommelnde Burjat-Schamaninnen