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von Samy Egli und Martin E. Keck Hintergrund und Modell chematherapie ist doch alter Wein in neuen Schläuchen», ist der Einwand, den man am häufigsten hört. Dem kann eigentlich nur zu- gestimmt werden, mit der Ergänzung, dass es sich beim Wein um eine Zusammenstellung von bewährten alten Traubensorten handelt, die gut harmonieren, und dass der neue Schlauch das Trinken angenehm macht. Eine andere, vielleicht noch treffendere Metapher für die sinnvolle Integration verschiedener bewährter Metho- den, wie es in der Schematherapie gemacht wird, wäre die einer Werkzeugkiste, welche man für das Handwerk der Psychotherapie benötigt. Da käme auch niemand auf die Idee, alle anstehenden Aufgaben mit immer dem gleichen Werkzeug auszuführen. Niemand würde versuchen, mit einer Säge einen Nagel einschlagen zu wollen, dafür würde man eben einen Hammer nehmen. Die Werkzeuge sind dabei keine neuartigen Instru- mente, es kommt viel mehr darauf an, dass sie gut sor- tiert und griffbereit sind und dass der Psychotherapeut sie je nach Indikation aus Störungsbild, Zustand des Pa- tienten und Phase der Therapie kompetent einzusetzen weiss. So entwickelte denn auch Jeffrey Young (1) die Sche- matherapie aufgrund fehlender Werkzeuge in der ko- gnitiven Verhaltenstherapie von Patienten mit chronischen, schwer zu behandelnden Depressionen – oft mit zusätzlichen Schwierigkeiten auf der Persönlich- keitsachse. Gerade bei der therapeutischen Arbeit auf der Persönlichkeitsachse und damit auf der Beziehungs- ebene ist die Gestaltung der therapeutischen Bezie- hung von besonderer Wichtigkeit, wie sie zum Beispiel in einem anderen wirkungsvollen Ansatz bei Persönlich- keitsstörungen, der klärungsorientierten Psychothera- pie nach Sachse (2), ebenfalls betrieben wird. In der Schematherapie bietet die Idee der begrenzten elterli- chen Fürsorge als Perspektive in der Beziehungsgestal- tung ein gutes Instrument zur Orientierung an den Grundbedürfnissen Bindung, Kontrolle, Selbstwert und Lust nach Grawe (3), aber auch zur Begrenzung und em- pathischen Konfrontation, wie es zum Beispiel auch beim disziplinierten persönlichen Einlassen im Cogni- tive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) nach McCullough (4) ganz ähnlich praktiziert wird. Modell Die Grundidee und damit das Modell der Schemathe- rapie wird durch das Konzept gebildet, dass sich im Leben bereits in der Kindheit ereignende Frustrationen von Grundbedürfnissen als entsprechende Lebenser- fahrungen in Form von emotionalen und kognitiven Mustern (den frühen maladaptiven Schemata, [1], Kas- ten 1) widerspiegeln beziehungsweise niederschlagen. Beim Versuch, die Grundbedürfnisse vor dem Hinter- grund dieser maladaptiven Schemata mit den früh im Leben oft noch eingeschränkten Bewältigungsmöglich- keiten (mit den Grundkategorien Überkompensation, Erduldung oder Vermeidung) zu befriedigen, entstehen immer wieder bestimmte, aktualisierte Wahrnehmungs- und Verhaltenszustände, die Modi (adaptiert nach [1], Kasten 2). Diese Modi – oder ein einzelner Modus – kön- nen als aktivierte innere Anteile betrachtet werden. Die Erlebens- und Verhaltensmuster aus Schemata und Modi schreiben sich unbewusst im Rahmen von ope- ranten Konditionierungsprozessen durch die ihnen innewohnenden Vorteile über die Lebensspanne fort. Sie bergen aber aufgrund der über die Jahre verän- derten Lebensumstände auch je länger desto mehr Nachteile, welche sich in Symptomen zeigen oder in psychischen Störungsbildern münden können. Die FORTBILDUNG Schematherapie: Ein moderner psychotherapeutischer Werkzeug- kasten mit bewährten Instrumenten Die Schematherapie ist Vertreterin eines modernen, integrativen und evidenzbasierten Psychothera- pieansatzes. Den Schwerpunkt der dabei integrierten Methoden bilden kognitive und verhaltens- basierte Techniken, aber auch erfahrungsorientierte Elemente sowie die therapeutische Beziehungs- gestaltung. Ein rasch verständliches Modell von Lebenserfahrungen (Schemata) und durch diese beeinflusste Befindlichkeits- und Verhaltenszustände (Modi) leiten den Patienten wie auch den Thera- peuten durch die Therapie. Die Integration der bewährten Methoden in einem eingängigen Modell machen die Schematherapie zu einem attraktiven Ansatz für das Verstehen und Verändern von proble- matischen Erlebens- und Verhaltensmustern, wie sie im Rahmen psychischer Störungen auftreten. 3/2015 PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE 4 Samy Egli Martin E. Keck «S

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von Samy Egli und Martin E. Keck

Hintergrund und Modellchematherapie ist doch alter Wein in neuenSchläuchen», ist der Einwand, den man amhäufigsten hört. Dem kann eigentlich nur zu-

gestimmt werden, mit der Ergänzung, dass es sich beimWein um eine Zusammenstellung von bewährten altenTraubensorten handelt, die gut harmonieren, und dassder neue Schlauch das Trinken angenehm macht. Eineandere, vielleicht noch treffendere Metapher für diesinnvolle Integration verschiedener bewährter Metho-den, wie es in der Schematherapie gemacht wird, wäredie einer Werkzeugkiste, welche man für das Handwerkder Psychotherapie benötigt. Da käme auch niemandauf die Idee, alle anstehenden Aufgaben mit immerdem gleichen Werkzeug auszuführen. Niemand würdeversuchen, mit einer Säge einen Nagel einschlagen zuwollen, dafür würde man eben einen Hammer nehmen.Die Werkzeuge sind dabei keine neuartigen Instru-mente, es kommt viel mehr darauf an, dass sie gut sor-tiert und griffbereit sind und dass der Psychotherapeutsie je nach Indikation aus Störungsbild, Zustand des Pa-tienten und Phase der Therapie kompetent einzusetzenweiss. So entwickelte denn auch Jeffrey Young (1) die Sche-matherapie aufgrund fehlender Werkzeuge in der ko-gnitiven Verhaltenstherapie von Patienten mitchronischen, schwer zu behandelnden Depressionen –oft mit zusätzlichen Schwierigkeiten auf der Persönlich-keitsachse. Gerade bei der therapeutischen Arbeit aufder Persönlichkeitsachse und damit auf der Beziehungs-ebene ist die Gestaltung der therapeutischen Bezie-hung von besonderer Wichtigkeit, wie sie zum Beispielin einem anderen wirkungsvollen Ansatz bei Persönlich-keitsstörungen, der klärungsorientierten Psychothera-

pie nach Sachse (2), ebenfalls betrieben wird. In derSchematherapie bietet die Idee der begrenzten elterli-chen Fürsorge als Perspektive in der Beziehungsgestal-tung ein gutes Instrument zur Orientierung an denGrundbedürfnissen Bindung, Kontrolle, Selbstwert undLust nach Grawe (3), aber auch zur Begrenzung und em-pathischen Konfrontation, wie es zum Beispiel auchbeim disziplinierten persönlichen Einlassen im Cogni-tive Behavioral Analysis System of Psychotherapy(CBASP) nach McCullough (4) ganz ähnlich praktiziertwird.

ModellDie Grundidee und damit das Modell der Schemathe-rapie wird durch das Konzept gebildet, dass sich imLeben bereits in der Kindheit ereignende Frustrationenvon Grundbedürfnissen als entsprechende Lebenser-fahrungen in Form von emotionalen und kognitivenMustern (den frühen maladaptiven Schemata, [1], Kas-ten 1) widerspiegeln beziehungsweise niederschlagen.Beim Versuch, die Grundbedürfnisse vor dem Hinter-grund dieser maladaptiven Schemata mit den früh imLeben oft noch eingeschränkten Bewältigungsmöglich-keiten (mit den Grundkategorien Überkompensation,Erduldung oder Vermeidung) zu befriedigen, entstehenimmer wieder bestimmte, aktualisierte Wahrnehmungs-und Verhaltenszustände, die Modi (adaptiert nach [1],Kasten 2). Diese Modi – oder ein einzelner Modus – kön-nen als aktivierte innere Anteile betrachtet werden. DieErlebens- und Verhaltensmuster aus Schemata undModi schreiben sich unbewusst im Rahmen von ope-ranten Konditionierungsprozessen durch die ihneninnewohnenden Vorteile über die Lebensspanne fort.Sie bergen aber aufgrund der über die Jahre verän-derten Lebensumstände auch je länger desto mehrNachteile, welche sich in Symptomen zeigen oder inpsychischen Störungsbildern münden können. Die

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Schematherapie:Ein moderner psychotherapeutischer Werkzeug-kasten mit bewährten Instrumenten

Die Schematherapie ist Vertreterin eines modernen, integrativen und evidenzbasierten Psychothera-

pieansatzes. Den Schwerpunkt der dabei integrierten Methoden bilden kognitive und verhaltens-

basierte Techniken, aber auch erfahrungsorientierte Elemente sowie die therapeutische Beziehungs-

gestaltung. Ein rasch verständliches Modell von Lebenserfahrungen (Schemata) und durch diese

beeinflusste Befindlichkeits- und Verhaltenszustände (Modi) leiten den Patienten wie auch den Thera-

peuten durch die Therapie. Die Integration der bewährten Methoden in einem eingängigen Modell

machen die Schematherapie zu einem attraktiven Ansatz für das Verstehen und Verändern von proble-

matischen Erlebens- und Verhaltensmustern, wie sie im Rahmen psychischer Störungen auftreten.

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Schemata sowie die Modi werden in der Schemathera-pie durch kognitive, verhaltens- und erfahrungsorien-tierte Methoden und die Therapiebeziehung expliziert,also bewusst und dadurch der Veränderung zugänglichgemacht. Das Ziel ist, durch eine verbesserte Selbst-regulationsfähigkeit die Grundbedürfnisse mit Strate-gien zu befriedigen, die weniger Nachteile haben oderin Störungssymptomen resultieren können.

Therapieablauf und WerkzeugeDie Schematherapie ist wie viele andere Psychothera-pien grundsätzlich in drei Phasen gegliedert: 1. eine Anfangsphase mit Diagnostik und Exploration;2. eine Hauptphase der Veränderung mit Problemak-

tualisierung und Problembewältigung;3. eine Schlussphase mit Transfer des Erlernten in den

Alltag, Ablösung von der Therapie und Rückfallprä-vention.

Dabei sind die Elemente nicht immer strikt den Phasenzugeordnet, so wird zum Beispiel schon früh und kon-tinuierlich in der Therapie darauf geachtet, erlernte Stra-tegien und neue Beziehungserfahrungen in den Alltagzu übertragen, und gleichzeitig kann es zum Beispielauch vorkommen, dass in einer späteren Phase der The-rapie einzelne Aspekte nochmals vertiefter exploriertwerden. Der Fokus in der ersten Explorationsphase be-steht allerdings darin, durch Anamneseerhebung, Fra-gebögen, aber auch Interaktionsbeobachtung in derTherapiesitzung sowie im stationären Setting im Stati-onsalltag die relevanten Schemata und Modi heraus-zuarbeiten und das Schema- und Modus-Modelleinzuführen. Daraus wird dann ein individuelles Ent-stehungs- und Erklärungsmodell der Symptome undBelastungen als Konsequenz von maladaptiven Bewäl-tigungsstrategien zur Bedürfnisbefriedigung erarbeitet.In einem nächsten Schritt werden daraus die therapeu-tischen Interventionen abgeleitet, welche mit den ver-schiedenen Werkzeugen umgesetzt werden. DieWerkzeuge können ebenfalls in allen therapeutischenPhasen eingesetzt werden. Sie werden grob unterteiltin kognitive, verhaltensbasierte und erfahrungsorien-tierte Instrumente sowie Techniken der Beziehungsge-staltung.

Orientiert man sich am Modusmodell für den Ablauf derTherapie, sind die Ziele:1. die dysfunktionalen Elternanteile bewusst zu ma-

chen und zu reduzieren;2. den Zugang zu den Gefühlen und Bedürfnissen des

Kindmodus zu finden;3. die Funktion von maladaptiven Bewältigungsmodi

bewusst zu machen;4. funktionale Alternativen aufzubauen und so 5. den Umgang mit den Bewältigungsmodi flexibler

zu machen, um Bedürfnisse besser befriedigen zukönnen, was dem gesunden Erwachsenenmodusentspricht, der im Sinne einer verbesserten Selbst-regulationsfähigkeit als Ziel der Schematherapie ge-stärkt werden soll.

Das Modusmodell hat mit seinem Konzept der Persön-lichkeitsanteile Verwandtschaft mit der Transaktionsana-lyse mit den Anteilen Kindheits-, Erwachsenen- undEltern-Ich (5).

Kognitive WerkzeugeHierzu zählen typische Techniken aus kognitiven Thera-pierichtungen, wie wir sie von prominenten Vertreternwie Beck (6) kennen. So werden zum Beispiel negativeautomatische Gedanken erfasst und zu funktionalenÜberzeugungen umstrukturiert. Das Schematherapie-spezifische ist die Einordnung der negativen automati-schen Gedanken im Modusmodell als dysfunktionaleElternbotschaften, wobei gleichzeitig aus Ich-Gedankenoder Botschaften Du-Botschaften gemacht werden,womit eine Ich-Dystonie hergestellt wird und damiteine bessere Distanzierungs- und Kontrollmöglichkeiterreicht wird. Ausserdem wird auch bei diesen kogniti-ven Interventionen der Wahrnehmungsfokus durch denTherapeuten immer wieder auch auf emotionale undkörperliche Aspekte hingelenkt, wodurch eine bessereerfahrungsorientierte Verankerung mit der Aktivierungvon mehr Sinneskanälen und dadurch mehr neurona-len Verknüpfungen erreicht wird. Ähnliche Aspekte wer-den zum Beispiel auch von Grawe (3) in seinem Buch«Neuropsychotherapie» beschrieben.

Verhaltensbasierte WerkzeugeVerhaltensbasierte, musterdurchbrechende Technikenwerden diese Instrumente in der Schematherapie auchgenannt. Hierzu zählen klassische verhaltenstherapeu-tische Elemente wie zum Beispiel Hausaufgaben mitAufbau von positiven Aktivitäten im Alltag (Ressourcen-aktivierung als therapieübergreifender Wirkfaktor in derPsychotherapie nach Grawe) oder auch Rollenspiele(Problembewältigung als therapieübergreifender Wirk-faktor in der Psychotherapie nach Grawe). Eine schema-therapeutisch-spezifische Variante eines Rollenspiels istzum Beispiel das Durchspielen verschiedener innererAnteile, also Modi, durch verschiedene Teilnehmer imGruppensetting. Da in dieser Übung negative dysfunk-tionale Botschaften und dadurch verletzte und abge-wertete Persönlichkeitsanteile aktualisiert werden,

Kasten 1: Frühe maladaptive Schemata

1. Verlassenheit/Instabilität 2. Misstrauen/Missbrauch (und Misshandlung) 3. Emotionale Entbehrung4. Unzulänglichkeit/Scham5. Soziale Isolierung/Entfremdung6. Abhängigkeit/Inkompetenz7. Anfälligkeit für Verletzungen oder Krankheiten8. Verstrickung/unterentwickeltes Selbst 9. Versagen10. Anspruchshaltung/Grandiosität11. Unzureichende Selbstkontrolle/Selbstdisziplin12. Unterwerfung 13. Selbstaufopferung 14. Streben nach Zustimmung und Anerkennung15. Negativität/Pessimismus16. Emotionale Gehemmtheit17. Unerbittliche Standards18. Bestrafungsneigung

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findet auch hier eine Emotionsaktivierung statt (Pro-blemaktualisierung als therapieübergreifender Wirkfak-tor in der Psychotherapie nach Grawe).

Erfahrungsbasierte WerkzeugeEine stärkere erfahrungsbasierte Orientierung kommtin der Schematherapie auch dadurch zustande, dass beiallen angewendeten Techniken ein Fokus auf die Emo-tionen und die Körperwahrnehmungen gelegt wird.Spezifische erfahrungsbasierte Werkzeuge in der Sche-matherapie sind zum Beispiel die Stuhlarbeit und dieImaginationsübungen. Die Imaginationsübungen wer-den ähnlich wie bei hypnotherapeutischen Ansätzendurchgeführt; die möglichen Variationen sind zahlreich.Der Patient schliesst die Augen, und der Therapeut leitetgegebenenfalls nach einer kurzen Entspannungsphasedie Erinnerung an eine Szene aus der Kindheit ein. Aus-gangspunkt kann dabei zum Beispiel eine aktuelle be-lastende Emotion sein, die dann gleichzeitig als«Brücke» zurück in die Kindheit dient. Durch die Imagi-nation wird eine höhere emotionale Aktivierung unddamit eine bessere motivationale Klärung erreicht. Zu-sätzlich können in der Veränderungsphase der Therapiedie Imaginationen nicht nur explorativ-klärend, sondernauch verändernd durchgeführt werden. Diese habendann viele Ähnlichkeiten zum Beispiel mit demImagery-Rescripting aus der Trauma-Therapie nachSmucker (7). Auch hier können in der VorstellungHelferfiguren, eigene erwachsene Anteile oder der The-rapeut eine kompetente Bedürfnisbefriedigung unter-stützen. Die Idee ist dabei nicht, die Vergangenheit oderdie Erinnerungen zu ändern, sondern bei den durch dieVeränderung der Vorstellungen gemachten korrektivenbedürfnisbefriedigenden Erfahrungen die Emotionenzu aktivieren (motivationale Klärung als therapieüber-greifender Wirkfaktor in der Psychotherapie nachGrawe). Diese können dann auch ausserhalb der Vor-stellung auf der Verhaltensebene besser als motivatio-nale Basis für funktionale Bewältigungsstrategien zurBedürfnisbefriedigung dienen. Ausserdem können be-lastende Emotionen, die im gegenwärtigen Alltag auf-tauchen, so besser in aktuelle und vergangene Anteileunterschieden werden, was zu einer Entlastung führt.Ein anderes gut für die Schematherapie passendesWerkzeug ist die aus der Gestalttherapie (8) stammendeStuhlarbeit. Dabei werden die verschiedenen innerenAnteile auf Stühle gesetzt und miteinander in Dialoggebracht, wobei der Patient in Abwechslung alle Anteileselber spielt, der Therapeut unterstützt dabei. DieseTechnik hilft, die inneren Anteile besser einordnen unddamit kontrollieren zu können. So wird es auf diese Artzum Beispiel einfacher, den Zugang zu verletzten An-teilen zu finden (Kindmodi), mehr Distanz zu den dieVerletzungen auslösenden Anteilen (dysfunktionaleElternmodi) zu gewinnen, die maladaptiven Bewälti-gungsstrategien (Beschützermodi) flexibler zu handha-ben und die funktionalen Strategien zur Bedürfnis-befriedigung (gesunder Erwachsenen-Modus) zu stär-ken.

Werkzeuge der BeziehungsgestaltungDie Beziehungsgestaltung bildet einen zentralen thera-pieübergreifenden Wirkfaktor in der Psychotherapieund ist auch in der Schematherapie ein therapeutisches

Werkzeug, das konstant aktiv ist. Was bei Grawe diekomplementäre oder motivorientierte Beziehungsge-staltung ist, wird in der Schematherapie im Konzept derbegrenzten Nachbeelterung (Reparenting) umgesetzt.Dabei versucht der Therapeut, den Patienten im Sinnevon korrektiven Erfahrungen dabei zu unterstützen,seine Grundbedürfnisse zu befriedigen. Wenn also zumBeispiel ein Patient früher bei Fehlern immer bestraftoder abgewertet wurde, achtet der Therapeut darauf,zum Beispiel, wenn der Patient zu spät kommt, ihn nichtzu bestrafen oder zu kritisieren. Wenn sich ein solchesVerhalten oft wiederholt, setzt der Therapeut Grenzenim Sinne einer empathischen Konfrontation, indem erdem Patienten aufzeigt, was das Verhalten für Auswir-kungen auf die Sitzung und den Therapeuten hat, undes wird gemeinsam nach einer Lösung gesucht. DieseInterventionstechniken werden ähnlich zum Beispielauch im CBASP beim disziplinierten persönlichen sich-Eingeben und der interpersonellen Diskriminations-übung umgesetzt.

Anwendung/Indikation,Forschung und AusblickWie in der Einleitung erwähnt, wurde die Schemathe-rapie für therapieresistente Fälle entwickelt, es handeltsich aber um ein transdiagnostisches Modell. Die Wirk-samkeit der Schematherapie konnte vor allem im Be-reich der Persönlichkeitsstörungen gezeigt werden (9).Es werden aber auch Ansätze zur Behandlung der chro-nischen Depression (10) und anderer Störungsbilderbeschrieben. Viele Studien zur Schematherapie fokus-sieren auf ein längerfristiges ambulantes Behandlungs-setting und Persönlichkeitsstörungen, insbesondereBorderline-Persönlichkeitsstörungen. Die klinische Er-

Kasten 2: Modi

Dysfunktionale ElternmodiFordernde Modi: Fordern (emotional oder leistungsorientiert) immer mehr, es istnie gut genug.Abwertende und bestrafende Modi: Werten ab, bestrafen, verletzen oder vernach-lässigen.

KindmodiVerletzte Modi: Verletzte Gefühle, zum Beispiel Ängstlichkeit oder Einsamkeit.Wütende Modi: Wut bei Grenzverletzungen oder nicht gestillten Grundbedürfnis-sen.Undisziplinierte, impulsive Modi: Fehlende Grenzen und Frustrationstoleranz.Glückliche Modi: Genuss, Lust, Spiel und Spass, Flow-Erleben.

BewältigungsmodiErduldende Modi: Sich unterwerfen, aushalten, erstarren.Vermeidende Modi: Flüchten, sich distanzieren.Überkompensierende Modi: Das Gegenteil des Schemas machen, kämpfen, Schutzdurch Angriff.

Gesunde Erwachsenen-ModiSich kümmernde Modi: Gefühle und dahinter stehende Bedürfnisse wahrnehmenund sich funktional darum kümmern.Begrenzende Modi: Begrenzung und Schutz vor Abwertungen und Verletzungen.

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Herr B. ist ein 34-jähriger Informatiker mit Führungsverant-wortung. Er ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Erkam mit der aktuell dritten depressiven Episode zur zwei-ten stationär-psychiatrischen Behandlung. Vor einemMonat hatte er in der Firma die Verantwortung für einneues Projekt übernommen, im Privatleben standen dieEinschulung des älteren Kindes sowie die Unterstützungder pflegebedürftigen Eltern an. Vor diesem Hintergrundsei es in den letzten Wochen zu vermehrten Ein- undDurchschlafstörungen mit Antriebs- und Energieverlust,Gedankenkreisen und Konzentrationsstörungen, Freud-losigkeit, Selbstwertverlust, sozialem Rückzug sowie ge-reizter und depressiver Stimmung mit Schuld-, Versagens-gefühlen und Hoffnungslosigkeit gekommen, bis hin zuGedanken, sich das Leben zu nehmen. Die Erhaltungsthe-rapie mit Psychopharmakologie durch Escitalopram10 mg/Tag, sowie mit ambulanter kognitiver Verhaltens-therapie mit einer Sitzung alle zwei Wochen war in der ge-genwärtigen Belastungssituation nicht mehr suffizient,sodass Herr B. zur stationären Neueinstellung und Intensi-vierung der Behandlung kam. Neben der Optimierung dermedikamentösen Behandlung aufgrund einer ausführli-chen somatischen, neurologischen und genetischen Dia-gnostik sowie Bewegungs-, Sport-, Ergo-, Musik- undKunsttherapie, sozialdienstlicher und pflegerischer Unter-stützung, erhielt Herr B. Schematherapie einmal wöchent-lich im Einzel- und zweimal wöchentlich im Gruppen-setting. Allerdings wurde auch durch die anderen Berufs-gruppen an schematherapeutischen Zielen und mit schema-therapeutischem Vokabular gearbeitet, einfach über denjeweils anderen berufsgruppenspezifischen Zugang. In derEinzeltherapie erhielt er eine Einführung in das Modell derSchematherapie und es wurden die wichtigsten Schemataund Modi durch Fragebögen, die Anamnese und Inter-aktionsbeobachtung erhoben. In seiner ersten erfahrungs-orientierten Einstiegsübung in der Gruppe, dem Ressour-cengeflecht, bei dem sich alle Gruppenmitglieder einenWollknäuel zuwerfen, während sie ein Ende in der Handhalten und das mit einer Stärke von sich verbinden, die siein die Gruppe einbringen, erlebte sich Herr B. zum erstenMal wieder mit einer seiner positiven Eigenschaften als Teileiner Gemeinschaft. Dies befriedigte sein Bindungs- undSelbstwertbedürfnis. Anhand der Fragebögen und der An-amnese hatte sich vor allem das Schema «Unerbittliche An-sprüche» als beeinflussend für Herrn B. herausgestellt. Dies führte – zusammen mit seinem erduldenden Bewäl-tigungsmodus, alles perfekt machen zu wollen und immerder Beste sein zu müssen – zwar in seinem Alltag dazu, dasser dem inneren Druck, dass es nie gut genug war und ernur für Leistung Anerkennung verdient hatte, oft gerechtwerden konnte und so nicht allzu oft darunter litt, führteaber zusammen mit der derzeitigen psychosozialen Belas-tungssituation auch zu einer Erschöpfung seiner Kräfteund Überforderung, die sich in der Symptomatik einer er-neuten depressiven Episode zeigte. In Rahmen einer Einzelsitzung und einer damit einherge-henden Imagination konnte Herr B. in der Vorstellungs-übung das zurzeit oft auftauchende Gefühl, nicht gutgenug zu sein, als Brücke zurück in seine Kindheit nutzen.Oft wurde er in seiner Kindheit geschlagen oder auf sein

Zimmer geschickt, wenn seine Schulnoten nicht gut genugwaren. Durch diese Erkenntnis, welche aufgrund der emo-tionsaktivierenden Imaginationsübung nicht nur aufkognitiver, sondern auch auf emotionaler Ebene stattge-funden hatte, konnte sich Herr B. in zukünftigen Situatio-nen besser von dem inneren aktualisierten Gefühl desVersagens distanzieren und es adäquater in die Vergan-genheit der eigenen Lebensgeschichte anstatt in der Ge-genwart einordnen. Weil sich der Therapeut ebenfalls indie Vorstellungsübung begeben hatte und Herrn B. dortals kleines Kind in Schutz genommen und damit seineGrundbedürfnisse nach Bindung, Sicherheit und Selbst-wertschutz erfüllt hatte, konnte Herr B. die mit der Bedürf-nisbefriedigung verbundenen positiven Gefühle erleben,die er in Zukunft als Motivation und Richtungsweiser füreine adäquate Bedürfnisbefriedigung nutzen konnte. InPaargesprächen konnte er in der Folge durch ein Trainingsozial kompetenter Kommunikation mit seiner Frau bessereinüben, in Konflikten die Kritik von ihrer Seite nicht immerbis über seine Grenzen hinaus zu erdulden und es rechtmachen zu wollen, sondern seine Grenzen früher auf eineadäquate Art und Weise zu verbalisieren und seine Bedürf-nisse einzubringen. Innerhalb der therapeutischen Bezie-hung machte der Therapeut nonverbal und verbaldeutlich, dass Herr B. keine Bestrafung zu befürchten hatte,wenn er etwas nicht gut genug gemacht hatte, und kon-frontierte ihn mit dem Druck, den er auf sich, auf die The-rapie und damit auch auf den Therapeuten ausübte, dassimmer alles perfekt sein sollte. Sowohl durch die begrenzteelterliche Fürsorge (Orientierung an und Unterstützung beider Erfüllung von Grundbedürfnissen) wie auch durch dieempathische Konfrontation (Erläuterung der negativenAuswirkungen der Schemata und Modi auf die therapeu-tische Beziehung) waren korrektive Erfahrungen auf derBeziehungsebene möglich. Damit reduzierte sich die la-tente Befürchtung von Bestrafung im Alltag und das Ge-fühl, nicht gut genug zu sein, wenn er etwas nicht perfektgemacht hatte, was in einem reduzierten Leistungs- unddamit Leidensdruck resultierte. In der Gruppe wurde an-hand einer Situationsanalyse ein aktuelles Modusmodellaufgestellt, wobei einige Gruppenmitglieder im interaktio-nellen Rollenspiel die Rollen einzelner Modi, also innererAnteile von Herrn B., übernahmen. In der eigenen Rolle desModus des inneren Kindes konnte Herr B. dabei nochmalsdurch die aktivierten Emotionen Zugang zu den Grund-bedürfnissen finden, diese in der Rolle des gesunden Erwachsenen-Modus erfüllen und den Modus des dysfunk-tionalen Elternteils (der Ungenügen bestraft) begrenzenund entmachten. Mit einiger Übung im Umgang mit deneigenen Modi, also aktivierten Zuständen oder inneren An-teilen, konnte Herr B. sich schliesslich bei den Belastungs-tests im Arbeitsumfeld vom inneren Anteil des Drucksdeutlich entlasten, was zu weniger Überforderung unddamit auch zu einer Reduktion der depressiven Sympto-matik führte. Nach einer achtwöchigen stationären Thera-pie führte Herr B. diese in ambulanter Behandlung einmalin der Woche im Einzelsetting und im Gruppensettingzur Erhaltungstherapie fort. Im Verlauf wurde schliesslichdie Gruppentherapie gestoppt und die Einzeltherapie erstin der Frequenz reduziert und dann auch gestoppt.

Fallbeispiel

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fahrung zeigt, dass die Schematherapie aber auch ineinem kürzeren, stationären Setting bei Störungsbildernwie Erschöpfungsdepressionen wirksam sein kann. Am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München wirddeshalb eine Psychotherapiestudie durchgeführt, beider Schematherapie mit kognitiver Verhaltenstherapiebei depressiven Störungen im stationären und tagklini-schen Setting verglichen wird. Es handelt sich hierbeium die erste kontrollierte Studie dieser Art. Dabei liegtein Hauptinteresse der Studie nicht nur auf den beidenTherapierichtungen, wobei die kognitive Verhaltens-therapie auch als Teilmenge der Schematherapie gese-hen werden kann, sondern auch auf der Wirksamkeitder spezifischen jeweiligen Instrumente und Werk-zeuge. Wesentliches Ziel der Studie ist die Erarbeitungbiologischer, psychophysiologischer, bildgebender undgenetischer sowie epigenetischer Parameter und derenImplikationen für eine differenzielle Therapieindikationim Sinne eines Biomarker-gestützten Therapiealgorith-mus im Sinne der personalisierten Medizin. �

Korrespondenzadresse:Dr. Samy Egli

Max-Planck-Institut für PsychiatrieKlinik für Psychiatrie und Psychotherapie,

Psychosomatik und NeurologieD-80804 München

E-Mail: [email protected]

Literatur:

1. Young JE. et al.: Schema Therapy. A Practitioner´s Guide. GuilfordPress, New York, 2003.

2. Sachse R.: Klärungsorientierte Psychotherapie. Hogrefe, Göttingen,2003.

3. Grawe K.: Neuropsychotherapie. Hogrefe, Göttingen, 2004.

4. McCullough JP.: Treatment of Chronic Depression: Cognitive Beha-vioral Analysis System of Psychotherapy. Guilford Press, New York,2000.

5. Berne E et al.: Transactional Analysis in Psychotherapy. Snowballpu-blishing, 2009.

6. Beck AT et al.: Cognitive Therapy of Depression, Guilford, New York,1979.

7. Smucker MR., Dancu CV: Cognitive-Behavioral Treatment for AdultSurvivors of Childhood Trauma: Imagery, Rescripting and Reproces-sing. Jason Aronson, New York, 1999.

8. Perls F.: Grundlagen der Gestalt-Therapie. Einführung und Sitzungs-protokolle. Klett-Cotta, Stuttgardt, 12. Auflage, Übersetzung von RossM, 2013.

9. Bamelis LLM et al.: Results of a Multicenter Randomized ControlledTrial of the Clinical Effectiveness of Schema Therapy for PersonalityDisorders. Am J Psychiatry 171, 305–322, 2014.

10. Renner F et al.: Treatment for Chronic Depression Using Schema The-rapy. Clinical Psychology: Science and Practice, 20, 166–180, 2013.

Merksätze:

� In der Schematherapie geht es um das Be-wusstmachen von unbewussten Erlebens- undVerhaltensmustern, die in der individuellen Le-bensgeschichte entstanden sind.

� Durch die bewusst gemachten Muster wird esim Sinne einer verbesserten Selbstregulations-fähigkeit ermöglicht, die Grundbedürfnissefunktionaler zu befriedigen.

� Die verbesserte Bedürfnisbefriedigung führtzu einer Reduktion von Belastungen und Sym-ptomen im Rahmen psychischer Störungen.

� In der Schematherapie werden bewährtepsychotherapeutische Werkzeuge unterschied-licher Psychotherapieansätze in einem plau-siblen und gut verständlichen Modell inte-griert.

� Bei den eingesetzten Werkzeugen handelt essich um Instrumente, die primär entweder denBereichen kognitive Methoden, verhaltensori-entierte Techniken, erfahrungsbasierte Ele-mente oder der therapeutischen Beziehungs-gestaltung zugeordnet werden können.

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