sehen,was alzheimernicht sah!

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Alzheimer-Demenz Forschung Frankfurt 2/2007 29 Fortschritte in der Frühdiagnostik der Alzheimer-Demenz Die klinischen Symptome der Alzheimer-Demenz (AD) (siehe Seite 30) lassen sich regelhaft auf neuroanatomi- sche und neurofunktionelle Veränderungen des Gehirns beziehen, die sich nicht erst bei der histologischen Un- tersuchung nach dem Tod des Patienten feststellen las- sen. Bereits zu Lebzeiten manifestieren sie sich auf der makroskopischen Ebene und können somit durch mo- derne bildgebende Verfahren sichtbar gemacht werden. Über die Ausbreitung der Krankheit im Gehirn weiß man heute gut Bescheid: Die zerebralen Veränderungen nehmen regelmäßig von bestimmten besonders vulner- ablen neuronalen Strukturen ihren Ausgang, um sich dann in vorhersagbarer Weise auf andere Hirnregionen auszubreiten [siehe Estifanos Ghebremedhin und Tho- mas Deller, »Risikofaktoren der Alzheimer-Krankheit. Was verraten uns die Gene?«, Seite 91, Bild ]. Entspre- chend dem weithin anerkannten neuropathologischen Stadienmodell der Frankfurter Neuroanatomen Eva und Heiko Braak lassen sich die frühesten pathologi- schen Veränderungen bei der Alzheimer-Demenz im 3 von Johannes Pantel und Peter Uhlhaas Mit meisterhafter Präzision und einem zu- verlässigen Gespür für das Außergewöhnli- che seines Falles beschrieb Alois Alzheimer vor über 100 Jahren erstmals die feinge- weblichen (histologischen) Veränderungen derjenigen Krankheit, die später seinen Na- men tragen sollte. Gleichwohl konnte Alz- heimer mithilfe des Mikroskops und der da- mals modernsten Färbetechniken nur wenig über den Zusammenhang zwischen den zu Lebzeiten des Patienten beobachteten Krankheitssymptomen und spezifischen Ge- hirnveränderungen aussagen. Heute ist zwar der histologische Befund noch immer für die zuverlässige Sicherung der Diagnose Morbus Alzheimer notwendig, aber moderne Schnittbild- sowie elektrophysiologische Verfahren erlauben es erstmals, neuroanato- mische und neurofunktionelle Veränderun- gen zu Lebzeiten der Patienten zu erfassen. Neben ihrem unverzichtbaren Einsatz in der Au sschlussdiagnostik anderer schwerwiegen- der Gehirnerkrankungen wie Blutungen, Schlaganfälle und Tumore eröffnen diese Verfahren der klinischen Psychiatrie aufre- gende neue Forschungsperspektiven. Demenz mit modernen bildgebenden und elektrophysiologischen Verfahren erforschen Sehen, was Alzheimer nicht sah!

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Demenz mit modernenbildgebenden undelektrophysiologischenVerfahren erforschen

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A l z h e i m e r - D e m e n z

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Fortschritte in der Frühdiagnostik der Alzheimer-Demenz

Die klinischen Symptome der Alzheimer-Demenz (AD)(siehe Seite 30) lassen sich regelhaft auf neuroanatomi-sche und neurofunktionelle Veränderungen des Gehirnsbeziehen, die sich nicht erst bei der histologischen Un-tersuchung nach dem Tod des Patienten feststellen las-sen. Bereits zu Lebzeiten manifestieren sie sich auf dermakroskopischen Ebene und können somit durch mo-derne bildgebende Verfahren sichtbar gemacht werden.Über die Ausbreitung der Krankheit im Gehirn weißman heute gut Bescheid: Die zerebralen Veränderungennehmen regelmäßig von bestimmten besonders vulner-ablen neuronalen Strukturen ihren Ausgang, um sichdann in vorhersagbarer Weise auf andere Hirnregionenauszubreiten [siehe Estifanos Ghebremedhin und Tho-mas Deller, »Risikofaktoren der Alzheimer-Krankheit.Was verraten uns die Gene?«, Seite 91,Bild ]. Entspre-chend dem weithin anerkannten neuropathologischenStadienmodell der Frankfurter Neuroanatomen Evaund Heiko Braak lassen sich die frühesten pathologi-schen Veränderungen bei der Alzheimer-Demenz im

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von Johannes Pantel und Peter Uhlhaas

Mit meis te rhaf te r P räz i s ion und e inem zu-ve r läss igen Gespür fü r das Außergewöhnl i -che se ines Fa l les beschr ieb A lo i s A lzhe imervo r über 100 Jahren e rs tmals d ie fe inge-webl ichen (h is to log ischen) Veränderungender jen igen Krankhe i t , d ie späte r se inen Na-men t ragen so l l te . G le ichwohl konnte A lz -he imer mi th i l fe des Mik roskops und der da -mals moderns ten Färbetechniken nur wen igüber den Zusammenhang zwischen den zuLebze i ten des Pat ienten beobachte tenKrankhe i t ssymptomen und spez i f i schen Ge-h i rnve ränderungen aussagen. Heute i s tzwar de r h i s to log ische Befund noch immerfü r d ie zuver läss ige S icherung der D iagnoseMorbus A lzhe imer notwendig , aber moderneSchni t tb i ld - sowie e lek t rophys io log ischeVer fahren e r lauben es ers tmals , neuroanato -mische und neuro funkt ione l le Ve ränderun-gen zu Lebze i ten der Pat ienten zu e r fassen.Neben ih rem unverz ichtbaren E insa tz in derAussch lussd iagnos t ik andere r schwerwiegen-der Gehi rnerk rankungen wie B lu tungen,Sch laganfä l le und Tumore e rö f fnen d ieseVer fahren der k l in i schen Psych ia t r ie auf re -gende neue Forschungsperspekt i ven .

Demenz mit modernen bildgebenden und elektrophysiologischenVerfahren erforschen

Sehen,was Alzheimer nicht sah!

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mittleren Temporallappen nachweisen. In diesem Stadi-um besteht klinisch noch keine Demenz, sondern allen-falls eine leichte kognitive Beeinträchtigung.

Entsprechend diesem Modell konnte in der vergan-genen Dekade in einer Vielzahl von Studien, die mitHilfe der Magnetresonanz-Tomografie (MRT) die Anato-mie des Gehirns differenziert abbilden, bereits bei Patienten mit leichtgradiger Alzheimer-Demenz ein aus-geprägter Gewebsverlust (Atrophie) im Bereich des me-dialen Temporallappens nachgewiesen werden (Über-sicht in: Pantel und Schröder, 2006). Die Volumenmin-derung betrug hier im Vergleich zu gleichaltrigengesunden Probanden im Gruppenmittel 30 Prozent undermöglichte eine Unterscheidung der leichtgradigenAlzheimer-Demenz von den Kontrollpersonen mit gro-ßer Genauigkeit. Basierend auf dem Braak-Modell warweiterhin zu erwarten, dass sich morphologische Verän-derungen des entorhinalen Kortex und des Hippocam-pus bereits viele Jahre – möglicherweise Jahrzehnte –vor Erreichen der klinischen Demenzschwelle manifes-tieren. Auch diese Hypothese konnte inzwischen ineiner eigenen MRT-Studie an älteren Personen mit leich-ter kognitiver Beeinträchtigung (LKB) [siehe »Leichtekognitive Beeinträchtigung« Seite 32 unten], die sichzum Teil in einem vorklinischen Stadium der AlzheimerKrankheit befanden, bestätigt werden (Übersicht in:Pantel et al., 2003). Diese Erkenntnisse können dieFrühdiagnostik deutlich verbessern und sind daher, ins-besondere in Hinsicht auf potenziell in Zukunft verfüg-bare Präventions- und Therapiemaßnahmen, von gro-ßer klinischer Relevanz.

Um in Zukunft eine breitere Anwendung der struk-turellen Messungen zu ermöglichen, erscheint die Ent-

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wicklung und Optimierung automatisierter Methodenzur präzisen Volumen- und Größenmessung der rele-vanten neuroanatomischen Strukturen vordringlich.Diesbezüglich wurde zwar in den letzten Jahren bereitseinige methodische Entwicklungsarbeit geleistet, bei-spielsweise der Einsatz artifizieller neuronaler Netze zur

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Von Alois Alz-heimer gezeichne-te histologischeTafel der Ver-änderungen imHirngewebe, diebei der Alzheimer-Demenz auftreten.

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Der FrankfurterArzt Alois Alzhei-mer (1864 –1915) beschriebvor mehr als 100Jahren erstmalsdie degenerativeErkrankung, diespäter seinen Na-men tragen sollte.

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A Fortschreitende Gedächtnisstörung (Merkfähig-keit, biographisches und semantisches Gedächtnis)

B Zusätzlich mindestens eines der folgenden Merkmale:– Beeinträchtigung des abstrakten Denkens und

Urteilsvermögens sowie der Orientierung

– Beeinträchtigung anderer höherer kognitiver Funktionen: Störungen der Sprache (Aphasie), komplexer Handlungen (Apraxie), des Erkennens (Agnosie) und des Lesens (Alexie) und des Rechnens (Akalkulie)

– Persönlichkeitsveränderungen und andere, sogenannte nicht kognitive Störungen(emotionale Labilität, depressive Symptome, Sinnestäuschungen, Wahn)

C Kriterien unter A und B sind so stark ausgeprägt, dass sie zu einer deutlichen Beeinträchtigungder Alltagskompetenz und Sozialbeziehungen führt

D Ausschluss anderer Ursachen (zum Beispiel Delir, depressive Pseudodemenz)

Diagnostische Kriterien der Demenz

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Mustererkennung. Die Verfahren erscheinen jedochfür eine breite Anwendung in der Routinediagnostiknoch nicht ausgereift, da die interessierenden neuro-anatomischen Strukturen häufig eine sehr komplexeund zum Teil variable Gestalt besitzen, wodurch bei An-wendung automatisierter Verfahren eine relativ hoheFehlerrate in Kauf genommen werden müsste. Ein viel-versprechender Ansatz besteht in der Anwendung soge-nannter voxelbasierter Verfahren (VBM), die sich auchzur längsschnittlichen Untersuchung regionaler Atro-phieraten eignen, das heißt, sie dokumentieren denzeitlichen Verlauf der Veränderungen mit dem Fort-schreiten der Krankheit. Im Gegensatz zum her-kömmlichen Vorgehen werden bei dieser Methodekeine Annahmen a priori über das Vorliegen atrophi-scher Veränderungen in einer bestimmten Hirnregiongemacht, sondern zwei Bilddatensätze automatisiertund in den jeweils anatomisch korrespondierendenBildpunkten verglichen. Hierdurch ist es nicht nur mög-lich, Unterschiede in der Konzentration und Ausdeh-nung bestimmter Hirngewebsanteile (etwa der grauenSubstanz) zwischen Personen mit verschiedenen Er-krankungen zu visualisieren, sondern beispielsweise

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auch die Abnahme eines bestimmten Hirngewebsanteilsim Zeitverlauf bei einer Person anschaulich darzustellen.

Das Fortschreiten der Erkrankungsichtbar machen

Bislang werden der Krankheitsverlauf beziehungsweisetherapeutische Effekte bei der Alzheimer-Demenz fastausschließlich durch Verhaltensbeobachtung oder unterAnwendung psychologischer Leistungstests beschrie-ben. Dies gilt sowohl für die klinische Routinesituationals auch für kontrollierte Therapiestudien. Mit dem Ein-satz bildgebender Verfahren verbindet sich die Hoff-nung, neben den klinischen und psychometrischen Va-riablen (wie den Ergebnissen standardisierter Gedächt-nistests) objektive, möglichst nicht invasive Messwerte(so genannte Surrogatmarker) des zugrunde liegendenKrankheitsprozesses zu etablieren. Legt man das Sta-dienmodell von Braak zugrunde, bietet sich auch in die-sem Kontext die längsschnittliche Untersuchung atro-phischer Veränderungen der medialen Temporallappen-strukturen (Hippocampus, entorhinaler Kortex) an.Dementsprechend haben wir in den vergangenen Jah-ren in einigen Pilotstudien verfolgt, wie atrophischeVeränderungen im Bereich des medialen Temporallap-pens zeitlich fortschreiten (Übersicht in: Pantel et al.,2002). Tatsächlich wiesen diese Studien bei der Alz-■6

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Einsatz artifizieller neuronaler Netze (ANN)

Mithilfe spezieller Bildauswertungs-Software lassen sich heute definierte neuro-anatomische Strukturen (hier am Beispiel der Hippocampus-Formation) automati-siert in ihrem Volumen erfassen und damit einer quantitativen diagnostischen Beur-teilung zuführen.

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Leichtgradige mediale temporale Atrophie bei einem 65-jährigem Probanden mit leichter kognitiver Beeinträchtigung(a) im Vergleich zu einem gleichaltrigen kognitiv unbeein-trächtigten Probanden (b). Die MRT-Aufnahmen wurden miteinem 1,5 Tesla Scanner unter Verwendung einer T1-gewich-teten MPRAGE-Sequenz erstellt.

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Bei der Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT; früherKernspintomografie) handelt es sich um ein Schnitt-bildverfahren, das der Messung und Visualisierungvon Struktur (Anatomie) und Funktion (beispielswei-se die regionale Hirndurchblutung) biologischer Ge-webe dient. Durch gleichzeitiges Anlegen eines ex-trem starken statischen und eines relativ schwachendynamischen Magnetfeldes in Kombination mit varia-blen Radioimpulsen wird im gemessenen Gewebe dieAussendung sehr schwacher elektromagnetischer Sig-nale induziert. In Abhängigkeit von den biochemi-

schen und biophysikalischen Eigenschaften des Ge-webes und der Abfolge (Sequenz) der variablen Mag-netfelder und Radioimpulse werden Signale unter-schiedlicher Intensität erzeugt, die in Schichtbildermit unterschiedlichen optischen Kontrasten umge-rechnet werden.

Am Brain Imaging Center (BIC) in Frankfurt ste-hen der Forschung zwei Hochfeld-MR-Tomografenmit einer Magnetfeldstärke von drei Tesla zur Verfü-gung. Dies entspricht dem 60-Tausendfachen desMagnetfeldes der Erde.

Magnet-Resonanz-Tomografie

a

b

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ten kognitiven Beeinträchtigung (LKB) untersucht. Ent-sprechend haben wir in einer eigenen Untersuchung inZusammenarbeit mit Dr. Ulrich Pilatus vom Institut fürNeuroradiologie der Universitätsklinik Frankfurt (Direk-tor Prof. Dr. Friedhelm Zanella) MR-spektroskopischeVeränderungen bei der leichten kognitiven Beeinträch-tigung erfasst und in Abhängigkeit vom klinischen Ver-lauf längsschnittlich analysiert. Dabei konnten wir zeigen, dass bereits bei der leichten kognitiven Beein-trächtigung die Metaboliten NAA und Cre signifikanterniedrigt waren. Interessanterweise ließ sich aber eineweitere Abnahme der Konzentration dieser Metaboliteim Hirngewebe nur bei denjenigen Personen mit leichterkognitive Beeinträchtigung messen, die im Verlauf vonzirka drei Jahren eine Demenz entwickelten, währenddie Werte bei den kognitiv stabilen Personen konstantblieben. Auch in dieser Untersuchung war der Verlustkognitiver Fähigkeiten umso stärker ausgeprägt, je grö-ßer die Abnahme von NAA und Cre ausfiel. Diese Pilot-studie erbrachte somit erste Hinweise, dass MR-spektro-skopisch gemessene Metabolite (insbesondere NAA) beider leichten kognitiven Beeinträchtigung als Surrogat-marker eines (in Richtung Demenz) fortschreitendenneurodegenerativen Krankheitsprozesses eingesetzt wer-den können. Das Einsatzgebiet derartiger Verfahren istin Zukunft sicherlich ganz wesentlich in der objektivie-renden Untersuchung von Therapieeffekten zu sehen.

Neuroanatomische und neurophysiologische Verän-derungen, die mit spezifischen kognitiven Funktionsstö-rungen einhergehen, lassen in gewissem Rahmen Rück-schlüsse auf die neuronale Grundlage der gestörtenFunktion zu. Sie können daher unter anderem zur neu-ropsychologischen oder psychopathologischen Modell-bildung beitragen. So konnte in einer eigenen Untersu-chung (Pantel et al., 2004) ein signifikanter Zusammen-hang zwischen Volumenminderungen im Bereich desrechten mittleren Temporallappens (in dem sich auchder für die Gedächtnisbildung entscheidende Hippocam-pus befindet) und Leistungen in einem Merkfähigkeits-test belegt werden. Das weist darauf hin, dass die bei derAlzheimer-Demenz als Leitsymptom geltende Merkfä-higkeitsstörung wesentlich auf krankhafte Veränderun-gen im mittleren Temporallappen zurückzuführen ist.

Gestörte Aktivierungsmuster und autobiografische Erinnerung

Moderne bildgebende Verfahren können aber nochmehr, als pathologische Veränderungen des Hirngewe-bes sichtbar zu machen. Aus dem Verfall des Gewebes

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Nicht jede vorübergehende Vergesslichkeit im Alltagstellt schon gleich einen abklärungsbedürftigen Be-fund dar. Ein gewisses leichtgradiges Nachlassen ko-gnitiver Leistungen kann bereits ab dem 30. Lebens-jahr auch ohne krankhafte Ursachen eintreten. Diesbetrifft vor allem die »Leichtigkeit« des Lernens.

Wenn Gedächtnisstörungen ab dem 60. Lebensjahrallerdings deutlich über einen Zeitraum von Monatenzunehmen, bereits Gelerntes unabhängig von der Ta-gesform oder vorübergehenden Konzentrationsstö-rungen plötzlich unwiederbringlich verloren geht,

dann ist Sorge angebracht. Spätestens wenn man vonAngehörigen oder anderen nahen Personen auf Defi-zite aufmerksam gemacht wird oder die kognitivenStörungen bereits die Alltagsaktivität stören, sollte ei-ne ärztliche Untersuchung erfolgen. Standardisiertepsychologische Leistungstests ermöglichen dann denVergleich mit Normwerten gleichaltriger und gleichgebildeter Vergleichgruppen.

Weiterführende Untersuchungen (zum Beispielmit der MRT) erlauben den Ausschluss organischerVeränderungen des Gehirns.

Leichte kognitive Beeinträchtigung

1 Antenores Cingulum2 Sulcus temporalis superior R3 Sulcus frontalis inferior L4 Hippocampus L5 Hippocampus R6 Gyrus frontalis mde. R

7 Ventrales Striatum L/R8 Präcuneus L/R9 Gyrus temporalis med. L10 Gyrus frontalis inferior R11 Gyrus postcentralis12 Sulcus occipito-parietalis L

13 Gyrus frontalis inferior L14 Gyrus postcentralis R17 Sulcus infraparietalis15 Gyrus postcentralis R16 Gyrus parietalis inferior R

Regionaler Verlust an Hirngewebe bei Kranken im Vergleich zu Gesunden

Visualisierung pathologischer Hirnveränderungen mittels voxelbasierter Morpho-metrie (VBM). Verteilung regionaler Atrophie bei Patienten mit leichtgradiger Alzhei-mer-Demenz im Vergleich zu gleichaltrigen Kontrollpersonen.

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heimer-Demenz jährliche mittlere Atrophieraten vonHippocampus und entorhinalem Kortex zwischen – 2,7Prozent und – 9,8 Prozent nach, die die eher geringenAtrophieraten bei gesunden älteren Probanden deutlichübertrafen (bei Gesunden beträgt die mittlere Atrophie-rate ungefähr 1 bis 1,5 Prozent). Der relative jährlicheVolumenverlust der medialen temporalen Strukturenwar bei Alzheimer-Demenz darüber hinaus mit demFortschreiten der kognitiven Defizite signifikant korre-liert. Entsprechend wird die volumetrische Messungmedialer Temporallappenstrukturen heute tatsächlichzum objektiven Verlaufsmonitoring im Rahmen neuererTherapiestudien eingesetzt.

Die Magnet-Resonanz-Spektroskopie (MRS) ist einweiteres nicht-invasives MRT-Verfahren, mit dem amGehirnstoffwechsel beteiligte Substanzen (Metabolite)quantifiziert werden können. Einige dieser Metabolite,wie N-Acetyl-Aspartat (NAA), Myo-Insoitol (mI), Krea-tin (Cre) und Cholin (Cho), können auch als Marker fürneurodegenerative Erkrankungen, wie Morbus Alzhei-mer, dienen. Bislang haben nur wenige Studien welt-weit MR-spektroskopische Veränderungen bei der leich-

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folgt zwangsläufig auch eine Störung der Signalverar-beitung – nicht nur in den betroffenen Hirnarealen, son-dern auch im Zusammenwirken mit gesunden Teilen desGehirns. Wir haben drei Bereiche ausgemacht, in denenMessungen mittels funktioneller Magnet-Resonanz-To-mografie (fMRT) Aussagen über gestörte neuronale Ak-tivierungsmuster erlauben: autobiografisches Erinnern,Defizite in der visuellen Wahrnehmung sowie die Stö-rung der parallelen Datenverarbeitung im Gehirn.

Die Untersuchung der autobiografischen Gedächtnis-leistungen bietet sich an, weil sie häufig bereits bei derfrühen Alzheimer-Demenz gestört ist. Zur Klärung derFrage, welche Veränderungen auf der Hirnebene dafürverantwortlich sind, wurde dieses klinische Phänomenbei Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigungvon Diplom-Psychologin Silke Matura aus der Arbeits-gemeinschaft Gerontopsychiatrie mittels fMRT unter-sucht. Während der Erinnerung an wichtige Lebenser-eignisse waren sowohl bei der leichten kognitiven Beeinträchtigung als auch bei kognitiv unauffälligenÄlteren solche Hirnregionen aktiv, die eine wichtige Rol-le für die Verarbeitung von Informationen mit Selbstbe-zug spielen: der mediale präfrontale Kortex und dasposteriore Cingulum. Bei kognitiv unbeeinträchtigtenÄlteren fand sich allerdings eine stärkere Aktivierungdieser Hirnregionen im Vergleich zu den Patienten mitleichter kognitiver Beeinträchtigung. Möglicherweisebesitzen also die autobiografischen Erinnerungen dergesunden Probanden einen stärkeren Selbstbezug alsdie der Patienten. Wenn wir uns an Ereignisse aus unse-rer Lebensgeschichte erinnern, wird das so genannte»Arbeits-Selbst« aktiv, das an der Suche nach wichtigenInformationen über uns selbst beteiligt ist. Erinnern wiruns etwa an unseren ersten Kuss, rufen wir gleichzeitigauch andere Informationen ab. Beispielsweise erinnernwir gleichzeitig, in welcher Stadt wir damals gewohnthaben, wie alt wir waren oder in welche Klasse wir ge-gangen sind. Den Sitz des »Arbeits-Selbst« vermutetman im präfrontalen Kortex. Die reduzierte Aktivierung

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in dieser Region bei den Patienten mit leichter kogniti-ver Beeinträchtigung könnte ein Hinweis darauf sein,dass deren »Arbeits-Selbst« weniger aktiv an der Suchenach autobiografischen Erinnerungen beteiligt ist – dassdie autobiografischen Erinnerungen also nicht mehr sostark mit selbstbezogenen Informationen verknüpft sind.

Gestörte Koordination der Hirnaktivität

Neben den Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistun-gen bei der Alzheimer-Demenz nehmen auch Defizitein der visuellen Wahrnehmung einen wichtigen Platzein, die erhebliche Einschränkungen der Lebensqualitätverursachen. Die hirnorganischen Grundlagen und Me-chanismen visueller Wahrnehmungsstörungen bei Pa-tienten mit Alzheimer-Demenz sind jedoch wenig er-forscht. Unsere eigenen Forschungsergebnisse weisendarauf hin, dass bei Alzheimer-Demenz-Patienten dieFähigkeit abnimmt, Stimuluselemente zu kohärentenObjektrepräsentationen zu integrieren. Wir untersuch-ten Patienten mit Alzheimer-Demenz im Vergleich zu

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Fortschreiten hippocampaler Atrophie bei einer 73-jährigenPatientin mit Alzheimer-Demenz im Verlauf eines Jahres. Imgleichen Beobachtungszeitraum war klinisch eine deutlicheVerschlechterung des Demenz-Syndroms festzustellen.

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Mithilfe der Magnetresonanzspektroskopie ist es möglich, die Konzentration bio-chemischer Komponenten des Hirnstoffwechsels (Metabolite) zu quantifizieren unddamit den Verlauf der Alzheimer-Krankheit objektiv zu messen.

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Aktivierungsmuster der Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung beimAbruf autobiografischer Erinnerungen. Mediale Ansicht. A = linke Hemisphäre /B =rechte Hemisphäre (p < 0.001).

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Fortschreitender Schwund der Gehirnmasse bei Demenz

Baseline 1-Jahreskatamnese

Hirnstoffwechsel bei Alzheimer-Demenz

10

8

6

4

2

04 3 2 ppm

tCr

TMA

tNAA

MI

Autobiografische Erinnerung

LKB Patienten Kontrollgruppe

q(FDR) < 0,010–8,00

–4,058,00

4,05t(69)

p < 0,000132

q(FDR) < 0,010–8,00

–4,058,00

4,05t(69)

p < 0,000066

A B

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Prof. Dr. Johannes Pantel, 44, ist BHF-Stiftungsprofessor für Gerontopsychiatriean der Klinik für Psychiatrie, Psychoso-matik und Psychotherapie der Universi-tät Frankfurt. Er studierte in Münster,Heidelberg und London Medizin, Philo-sophie und Psychologie. Seine Facharzt-ausbildung absolvierte er zunächst inEssen (Neurologie), dann am Universi-tätsklinikum Heidelberg (Psychiatrie und

Psychotherapie). Hier war er auch viele Jahre als Oberarzt mitden klinischen Schwerpunkten Allgemein- und Akutpsychia-trie, Gerontopsychiatrie und Suchtmedizin tätig. Nach seinerHabilitation (2001) und Forschungsaufenthalten in Iowa undBoston (Harvard Medical School) nahm er im Jahr 2003 denRuf an die Universität Frankfurt an. Wissenschaftlich hat er

sich insbesondere mit gerontopsychiatrischen Themen, der Demenzforschung,dem Einsatz bildgebender Verfahren sowie der Versorgungsforschung beschäftigtund auf diesen Gebieten mehr als 120 Publikationen in zum Teil führenden inter-nationalen Fachzeitschriften veröffentlicht.

Dr. Peter Uhlhaas, 34, studierte Psychologie an der Univer-sity of Stirling, Schottland. Forschungsaufenthalte führtenihn an das Weill-Medical College der Cornell University, NewYork, und an das Macquarie Center for Cognitive Science,Macquarie University, Sydney, Australien. Seine Forschungs-schwerpunkte sind die neurophysiologischen Grundlagenneuropsychiatrischer Störungen. Er arbeitet seit dem 1. Ja-nuar 2003 am Max-Planck-Institut für Hirnforschung inFrankfurt und im Labor für Neurophysiologie und Neuroima-ging der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapieund Psychosomatik.

Patienten mit anderen Demenzformen (vaskulärer undfrontotemporaler Demenz), Personen mit leichter ko-gnitiver Beeinträchtigung sowie gesunde Probanden mitHilfe eines Konturintegrationsparadigmas. Das Kon-turintegrationsparadigma erlaubt die präzise Messungvon frühen Integrationsprozessen in Arealen desmenschlichen Gehirns, die für die visuelle Informations-verarbeitung von Bedeutung sind. Patienten mit Alzhei-mer-Demenz zeigten ein spezifisches Defizit in der Inte-gration von Konturen mit einem Signal-Rauschverhält-nis von D > 1. Patienten mit frontotemporaler Demenz,vaskulärer Demenz sowie Patienten mit leichter kogniti-ver Beeinträchtigung zeigten keine Defizite in der Kon-turintegration. Des Weiteren konnten wir nachweisen,dass die beeinträchtigte perzeptuelle Organisation beiPatienten mit Alzheimer-Demenz mit kortikaler undsubkortikaler Pathologie in visuellen Arealen korrelier-te. Diese Befunde lassen den Schluss zu, dass Patientenmit Alzheimer-Demenz ein spezifisches Defizit in der In-tegration vom Stimuluselement zur kohärenten Objek-trepräsentation aufweisen, das in Zusammenhang miteinem anatomischen Diskonnektionssyndrom im okzi-pitalen Kortex stehen könnte. Diese Defizite könntenbeispielsweise zu einer fragmentierten Wahrnehmungbeziehungsweise zu einer Beeinträchtigung in der Un-terscheidung von relevanten und nicht relevanten Rei-zen im Alltag führen.

In weiterführenden Studien untersuchen wir dieelektrophysiologischen Korrelate der beeinträchtigtenperzeptuellen Organisation bei der Alzheimer-Demenz.

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Neuere Modelle zur Pathophysiologie der Alzheimer-Demenz gehen davon aus, dass der zugrunde liegendePathomechanismus nicht in wenigen beschränktenSchädigungsherden, sondern in einer Störung der Koor-dination verteilter Hirnaktivität besteht (Uhlhaas & Sin-ger, 2006). Als Mechanismus für die Koordination derhochgradig parallelen und verteilten Informationsverar-beitung haben Singer und Mitarbeiter die Hypotheseentwickelt, dass verteilte neuronale Antworten überSynchronisation oszillatorischer Aktivität zusammenge-bunden werden (Singer, 1999). Der methodische An-satz zur Erforschung der neuronalen Synchronisation

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Autobiografisches Gedächtnis bei LKB-Patienten

–8,00

–3,778,00

3,77t(69)

p < 0,000343

A) B)

Aktivierungsmuster von Patienten mit leichter kognitiverBeeinträchtigung (LKB) im Vergleich zu gesunden Kontrollpro-banden beim Abruf autobiografischer Erinnerungen. Die An-sicht zeigt die rechte Hemisphäre (p < 0.001).

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Das Konturintegrationsparadigma beruht auf einer Anord-nung von Gaborelementen. Die Relation zwischen der Dichteder Hintergrundelemente und der Ausrichtung der Elementeinnerhalb der Kontur definiert das Signal-Rauschverhältnis(Delta/D). Bis zu einem Wert von D >1 kann eine Kontur durchdie rezeptiven Felder einzelner Neurone im primären visuellenKortex kodiert werden, man kann also im „Schneegestöber“eine Kontur ausmachen (In A befindet sich oben rechts einKreis) Im Gegensatz dazu erfordert die Wahrnehmung vonKonturen mit einem Signal-Rauschverhältnis von D < 1 eineIntegration zwischen rezeptiven Feldern von Neuronen, demso genannten Assoziationsfeld, das auf lateralen Verschaltun-gen basiert (B, die Kontur befindet sich unten links). DieWahrnehmung der Kontur in Abb. B erfordert etwas Übung.Sollte ein Proband die Kontur nicht wahrnehmen können, istdies kein Hinweis auf eine Demenz.

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Die Autoren

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als Pathomechanismus der Alzheimer-Demenz bestehthier in der Ableitung von elektroenzephalografischen(EEG) beziehungsweise magnetoenzephalografischen(MEG) Signalen, die mithilfe von Zeitfrequenzanalysen-methoden auf ihren Frequenzgehalt und vor allem aufPhasensynchronisation zwischen Oszillationen hin un-tersucht werden. Diese Methoden erlauben es, die neu-ronale Aktivität mit hoher zeitlicher Auflösung zu erfor-schen.

Interdisziplinäre Alternsforschung

Moderne bildgebende und elektrophysiologische Ver-fahren erlauben Einblicke in Struktur und Funktion des

lebenden Gehirns, die sich in Diagnostik und Therapieder Alzheimer-Demenz, aber auch zur Aufklärunggrundlegender Funktionsweisen des menschlichen Ge-hirns, nutzen lassen. Letztlich handelt es sich bei vielender vorgestellten Forschungsprojekte und Ansätze umangewandte Neuroanatomie und -pathologie, die je-doch unbedingt auf der Basis einer sorgfältigen klini-schen Beobachtung und Verhaltensbeschreibung stehensollte. Das vorgestellte Forschungsspektrum stellt darü-ber hinaus ein ausgezeichnetes Beispiel dafür dar, dassAlternsforschung heute nur im interdisziplinären Kon-text gelingen kann. ◆

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