sicca-syndrom: anamnese und grundlagen der therapie · der kenntnisse der pathophysiologie des...

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P.b.b. GZ02Z031108M, Verlagspostamt: 3002 Purkersdorf, Erscheinungsort: 3003 Gablitz Homepage: www .kup.at/ mineralstoffwechsel Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche P.b.b. GZ02Z031108M, Verlagspostamt: 3002 Purkersdorf, Erscheinungsort: 3003 Gablitz Indexed in SCOPUS/EMBASE/Excerpta Medica www.kup.at/mineralstoffwechsel Österreichische Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie Österreichische Gesellschaft für Rheumatologie Offizielles Organ der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des Knochens und Mineralstoffwechsels Member of the Sicca-Syndrom: Anamnese und Grundlagen der Therapie Markovic O, Cernak M, Bilek J Nepp J Journal für Mineralstoffwechsel & Muskuloskelettale Erkrankungen 2009; 16 (2), 67-71

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P . b . b . G Z 0 2 Z 0 3 1 1 0 8 M , V e r l a g s p o s t a m t : 3 0 0 2 P u r k e r s d o r f , E r s c h e i n u n g s o r t : 3 0 0 3 G a b l i t z

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P . b . b . G Z 0 2 Z 0 3 1 1 0 8 M , V e r l a g s p o s t a m t : 3 0 0 2 P u r k e r s d o r f , E r s c h e i n u n g s o r t : 3 0 0 3 G a b l i t z

Indexed in SCOPUS/EMBASE/Excerpta Medicawww.kup.at/mineralstoffwechsel

Österreichische Gesellschaftfür Orthopädie und

Orthopädische Chirurgie

ÖsterreichischeGesellschaft

für Rheumatologie

Offizielles Organ derÖsterreichischen Gesellschaftzur Erforschung des Knochens

und Mineralstoffwechsels

Member of the

Sicca-Syndrom: Anamnese und

Grundlagen der Therapie

Markovic O, Cernak M, Bilek J

Nepp J

Journal für Mineralstoffwechsel &

Muskuloskelettale Erkrankungen

2009; 16 (2), 67-71

T h o m a s S t a u d i n g e r

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J MINER STOFFWECHS 2009; 16 (2) 67

Einleitung

Das Trockene Auge ist eine der häufigsten Erkrankungen desvisuellen Apparates. Bedingt durch die Komplexität der Ent-stehung und die Beschwerdenvielfalt ist eine effektive Thera-pie schwer einzustellen. Die Frustration der Patienten ist wegender krankheitsbedingten, deutlich erniedrigten Lebensqualitätund dem oft unklar erscheinenden Therapieansatz beträchtlich.Zusätzlich belastend ist die meist sehr lange Therapiedauer,häufige Persistenz der Beschwerden und hohe Rezidivrate.

Um die Therapie von Seiten eines fachfremden Arztes zu ini-tiieren, ist vor allem das Grundverständnis für die Pathologieals auch der anamnestische Zugang zum Patienten interessant.So kann auf die ersten Beschwerden eingegangen und dieWartezeit bis zum Augenfacharztbesuch überbrückt werden!

Der Tränenfilm wird von der Tränendrüse und den akzessori-schen Drüsen produziert. Die akzessorischen Drüsen bestehenaus Lipid-produzierenden Zeiss-, Moll-, Maibom-Drüsen undetwa vierzig wässrige Phase produzierenden Krause’schen,Wolfring’schen Drüsen. Diese exokrinen Drüsen sind im sub-konjunktivalen Gewebe lokalisiert. Gelegentlich werden zu-sätzliche Drüsenstrukturen in der Plika, in der Karunkel oderinfraorbital nachgewiesen [1]. Der Tränenfilm hat eine Dicke von5–7 µm und eine Gesamtmenge von 5–12 µl. Er ist aus einerinneren Mucinphase = Proteinphase, einer wässrigen Phase

sowie einer äußeren Lipidphase zusammengesetzt. Die Mucin-phase wird von Drüsen der Bindehaut, den akzessorischenDrüsen und teilweise der Tränendrüse produziert und bildeteine dünne, innerste Schicht auf der Augenoberfläche. DerenFunktion ist die Verankerung des gesamten Tränenfilms auf derHornhautoberfläche, was durch die kohäsiven Kräfte (bipolareBindungskräfte) der Mucin-Moleküle in den zwischenzellulärenRäumen der Hornhautzellen bewerkstelligt wird. Daran bindetdie wässrige Phase, welche vor allem von der Glandula lacrima-lis produziert wird. Die Funktion der wässrigen Phase ist dieBefeuchtung der Augenoberfläche, das ermöglicht die Gleit-fähigkeit der Lider und hat eine reinigende Funktion (Ab-transport von Schadstoffen). Die wässrige Phase wird nachaußen von einer äußeren Lipidphase bedeckt, die vor allemin den Maibom’schen Drüsen der Lider sezerniert wird unddie rasche Verdunstung der Tränenflüssigkeit verhindern soll(Abb. 1).

Der gesunde Tränenfilm trägt entscheidend zur Abbildungs-qualität im Auge, Ernährung der Hornhaut und antimikrobiellenAbwehr bei. Quantitative oder qualitative Tränenfilmstörungen

Sicca-Syndrom: Anamnese und Grundlagender Therapie

O. Markovic1, M. Cernak 2, J. Bilek , J. Nepp3

Aus der 1Augenabteilung, KH Hietzing, 2Augenabteilung, AKH Linz und der 3Klinikfür Augenheilkunde und Optometrie der Medizinischen Universität Wien

Korrespondenzadresse: Dr. Ognjen Markovic, KH Hietzing mit NeurologischemZentrum Rosenhügel, A-1130 Wien, Wolkersbergenstraße1,E-Mail: [email protected]

Kurzfassung: Das „Trockene Auge“ ist eine deram häufigsten gestellten Diagnosen in der Augen-heilkunde. Die multifaktorielle Genese und dieVielfalt der zusätzlichen belastenden Faktorenergeben einen schwierigen therapeutischen Zu-gang. Als Antwort auf diese Komplexität ist diegezielte Anamnese des Trockenen Auges vonhöchster Bedeutung.

Der gesunde Tränenfilm besteht aus dreiSchichten: der innersten Mucin- oder Protein-phase, der mittleren wässrigen Phase und äuße-ren Lipidphase. Jede einzelne dieser Phasen kannspezifische pathologische Veränderungen auf-weisen, häufig sind es aber gemischte Phasen-störungen, die zum Sicca-Syndrom führen.

Die Einleitung der Therapie sollte als Produktder Kenntnisse der Pathophysiologie des Tränen-films und einer ausführlichen Anamnese erfol-gen. Zum Unterschied zum Facharzt, welchemeine breite Palette an Untersuchungsmethoden

zur Quantifizierung und Charakterisierung der Er-krankung zur Verfügung steht, hat der fachfrem-de Arzt vor allem die Beschwerdesymptomatikals Leitlinie zur Therapieeinleitung. SubjektiveBeschwerdequalitäten des Patienten könnenpathologischen Veränderungen am Tränenfilmzugeordnet werden. Aus dieser Zuordnung kanneine zielführende, der Phasenstörung entspre-chende Therapie hergeleitet werden.

Abstract: Sicca-Syndrome, anamnesis andbasic therapeutic approach. The dry eye syn-drome is one of the most frequent diagnoseddiseases in ophthalmology. The complex gen-esis and the variety of the additional stress fac-tors result in a difficult therapeutic access. As ananswer to this complexity, the tool of selectiveanamnesis is of high importance. The healthy

tear film consists of three layers, the internalmucin also called protein layer, in the middle theaqueous layer and the external lipid layer. Eachparticular of these layers can show specific patho-logical changes, it is however the mixed layerpathologies that leads frequently to the Sicca thesyndrome. The introduction of the therapy shouldresult as product of tear film pathophysiologyknowledge and a detailed anamnesis. Comparedto the ophthalmologist, who has a broad spec-trum of methods for quantification and charac-terisation of the disease, the non ophthalmolo-gist can utilize only specific complains andsymptoms expressed by the patient. As guide-line to introducing the therapy, subjective quali-ties of complaints can be correlated to specificpathological changes in the tear film. From thiscorrelation a layer pathology targeted therapycan be deduced. J Miner Stoffwechs 2009; 16(2): 67–71.

Abbildung 1: 1. Gesamter Tränenfilm, 2. Lipidphase, 3. Wässrige Phase, 4. Protein-phase = Mucinphase

For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.

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können schwere Funktionsstörungen und Erkrankungen zurFolge haben.

Die Differentialdiagnostik des Sicca-Syndroms umfasst einbreites Spektrum von unterschiedlichen Erkrankungen (Tab.1). Um die Pathologien des komplexen Tränenfilms bestim-men zu können, sind neben der Anamnese eine Spaltlampen-untersuchung, die Bestimmung der Tränenfilmaufreißzeit(Break up-time, BUT, Abb. 2), Färbungen (Fluoreszein, Ben-galrosa, Lissamingrün [Abb. 3, 4]), Schirmer-Test (Abb. 5),Lipidinterferenz-Messung (Dicke der Lipidphase), LIPCOF-Bestimmung (Lid parallel corneal folds, Abb. 6) und ggf. eineBindehautimpressionszytologie durchzuführen.

Anamnese

Das Ziel der Anamnese ist die Erfassung des subjektiven Be-schwerdebildes, persönlicher Daten, vorausgegangener Er-krankungen, Einflussfaktoren und Effektivität der bisherigenTherapie. Als Antwort auf die Komplexität der verursachen-den Faktoren haben zahlreiche Autoren standardisierte Frage-bögen entworfen [2–4]. In den bisherigen Bemühungen, einepräzise Anamnese zu definieren, haben sich vier Komponentenherauskristallisiert.

I. Subjektive BeschwerdenDie subjektiven Beschwerden des Patienten haben immer einekorrespondierende Pathologie, welche das typische Beschwer-debild produziert.

Trockenheit wird verursacht durch Veränderung der Osmola-rität [5] der Tränenflüssigkeit, welche meistens durch eineMinimierung der wässrigen Phase erfolgt.

Kratzen: Das Zeichen von Rauigkeit der Augenoberfläche kannbei schon länger bestehenden und ausgeprägten Benetzungs-störungen beobachtet werden.

Brennen signalisiert eine Entzündung der Augenoberflächedurch einen nicht mehr zu kompensierenden physikalischenReiz der Reibung.

Abbildung 2: Break up-time (Tränenfilmaufrisszeit) ist ein Maß für die Tränenfilm-stabilität, am Foto sieht man das Aufreißen der Tränenfilms als schwarzen, sich ver-größernden Fleck.

Abbildung 3: Bengalrosa-Färbung färbt abgestorbene Zellen (vor allem Becherzel-len) bei mangelndem Schutz durch die Proteinschicht.

Abbildung 4: Lissamingrün färbt apoptotische Zellen an der Augenoberfläche.

Abbildung 5: Schirmertest als Maß für die Reizproduktion von Tränenflüssigkeit,pathologisch sind Werte unter 5 mm.

Abbildung 6: Lid-parallele Falten der Bindehaut.

Tabelle 1: Differentialdiagnostik der Keratokonjunktivitis sicca

1. Blepharitis2. Lagophthalmus, Lidschlussinsuffizienz3. Allergische Konjunktivitis4. Toxische/chemische Konjunktivitis5. Keratitis photoelektrika6. Infektiöse Konjunktivitis7. Bakterien, Viren, Chlamydien8. Infektiöse Keratitis9. Staphylokokken-induzierte marginale Keratitis

10. Thygeson-Keratitis11. Neurotrophische Keratitis12. Superiore Limbuskeratitis13. Kontaktlinsen-assoziierte Konjunktivitis14. Episkleritis, Skleritis15. Iridozyklitis16. Systemerkrankung mit assoziierter Keratitis17. Diabetes mellitus, seborrhoische Dermatitis, Atopie, Psoriasis18. Glaukomanfall19. Subtarsaler Fremdkörper20. Verletzung

Lid-paralleleFalten derBindehaut

Sicca-Syndrom

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Juckreiz ist vor allem in Verbindung mit Allergien oder Über-empfindlichkeiten zu sehen.

Fremdkörpergefühl kann bei ausgeprägter Rauigkeit derOberfläche mit oft schon beginnender Epithelschädigung auf-treten.

Müdigkeit der Augen beruht auf einer Muskelermüdung derLider. Bei unzureichender Befeuchtung und somit Erhöhungder Reibung der Augenoberfläche muss die Lidmuskulaturgegen einen größeren Widerstand arbeiten.

Tics/Spasmen sind oft das Produkt nervaler Spannung, dieseführen zu psychogener Insuffizienz der Lidfunktion und Lid-schlussinsuffizienz. Bei Spasmen kommt es zum Auspressender Tränenflüssigkeit von der Augenoberfläche und dadurchzur Minimierung der Befeuchtung des Auges.

Druck/Schmerz entsteht sowohl bei vorhandenen Epithel-schäden am Auge als auch als unspezifische Reizung.

Verklebte, nicht bakteriell infizierte Augen sind das Ergebniseiner Phasenstörung am Auge, welche zur Ausflockung derProteinschicht führt und damit ein zähes Sekret produziert.

II. Ophthalmologische Vorgeschichte der AugenOkuläre Erkrankungen wie Entzündungen, Lidfehlstellungen,operative Eingriffe und Verletzungen beeinflussen die Be-feuchtung der Augen maßgeblich. Insbesondere durch Opera-tionen und Verletzungen kommt es zu Veränderungen derAugenoberfläche mit Zunahme der Rauigkeit der Oberflächeund damit zu Fremdkörpergefühl und Benetzungsstörungen.

Zeitpunkt des Auftretens des Sicca-Syndroms fällt oft mit „lifeevents“ einher. Sowohl der Arbeitswechsel und die damit ver-bundenen neuen Raumbedingungen (z. B. Klimaanlage), aberauch ein Wohnortswechsel (z. B. Luftfeuchtigkeit, Industrie-gebiet) können ein Neuauftreten hervorrufen. Nicht nur äußereFaktoren können klar zeitlich zugeordnet werden, auch Lebens-abschnitts-Übergänge wie Wechseljahre sind ein sehr häufigerVerursacher.

Subjektive Auslöser: Es hat sich aus den bisherigen Erfahrungengezeigt, dass die subjektive Erklärung der Beschwerden desPatienten großen Wert hat. Somit können nicht nur objektive,sondern auch subjektive, sehr spezifische und von Seiten desUntersuchers oft nicht sofort nachvollziehbare Auslöser (z. B.

Bettwäschewechsel, neues Waschmittel, Haus-Ausmalen usw.)eine große Rolle spielen.

Die Sicca-Vorgeschichte, welche meistens über Jahre zurück-verfolgt werden kann, besteht aus dem bisherigen Verlauf derErkrankung, mit Phasen der Besserung und Rezidiven. DieGeschichte der zuvor angewandten Mittel spielt eine ent-scheidende Rolle. Durch die Erfassung der Verträglichkeitund Effektivität dieser können sehr wertvolle Informationenüber die Störung des Tränen-Systems gewonnen werden.

III. ÄtiologieDie vielschichtige Entstehungsgeschichte des Sicca-Syndromswird von externen und internen Faktoren gebildet, welche sichgegenseitig beeinflussen und verstärken können. Vier großeRichtungen werden unterschieden.

Immunologisch: Das Sjögren-Syndrom (Tab. 2) ist der promi-nenteste und zugleich auch der meist erforschte Vertreter dieserGruppe. Insbesondere die krankheitsassoziierten Antikörper,obwohl nicht alle mit hoher Sensibilität, ermöglichen einebessere Diagnostik.

1.) Antinukleäre AK mit einer bis zu 80 %igen Sensibilität,aber niedrigen Spezifität, wobei jenseits des 60. Lebens-jahres Zellkern-Antikörper bei Gesunden in relativ hohemProzentsatz auftreten können (Männer bis 15 %, Frauenbis über 30 %). Sie können Titer von 1:320 bis 1:640, sel-ten aber höher erreichen. Antikörper höherer Titer sind alspathologisch anzusehen.

2.) SS-B/La: Sensibilität > 95 %3.) SS-A/Ro: Sensibilität > 95 %, Spezifität 94 % bei positi-

vem Schirmer-Test.Subspezifitäten: anti-Ro p52 und -Ro p60 finden sich meistgleichzeitig (auch anti-SS-B/La).

4.) M3-mAcetylcholin-Rezeptor mit einer > 95 % Spezifität5.) Rheumafaktor bei sekundärem Sjögren-Syndrom bei rheu-

matoider Arthritis

Aber auch Sarkoidose [6], Allergien, Entzündungen, Graft vs.Host-Reaktionen, AIDS und andere Erkrankungen mit immuno-logischem Hintergrund wie Lupus erythematodes und Rosaceasind verursachend. Abhängig von dem Zielorgan der Entzün-dung (Tränen- oder Accessorische Drüse) zeigt sich eine typi-sche Tränen-Phasenstörung mit entsprechender Klinik.

Toxisch: Lösungsmittel, Reizstoffe, Nikotin und andere externeReizfaktoren (z. B. Computer, Klimaanlage) sind maßgeblichan der Entstehung, aber auch Verstärkung des schon durch in-terne Faktoren verursachten Sicca-Syndroms beteiligt. Durchdie Einwirkung dieser Faktoren (Lösungsmittel, Rauch) wirdvor allem die strukturelle Integrität der benetzenden Tränen-flüssigkeit herabgesetzt, welches zu einer schnelleren Tränen-filmaufrisszeit (break up-time) führt.

Hormonell: Bedingt durch die teilweise hormonabhängigeSekretion (Östrogen [7], Androgen [8, 9], Hypophyse, Thyro-idea [10]) der Drüsen des Tränensystems sind Veränderungendes Hormonstatus physiologischer (Menopause [11]) und pa-thologischer Genese (Diabetes [12], Karzinome) wichtig,

Tabelle 2: Formen des Sjögren-Syndroms

Primäres Sjögren-SyndromSekundäres Sjögren-Syndrom bei● Rheumatoider Arthritis● Systemischem Lupus erythematodes● Progressiver systemischer Sklerodermie● Primär biliärer Zirrhose● Autoimmunhepatitis● Multipler Sklerose● Autoimmuner Thyreoiditis● Mixed Connective Tissue-Syndrom● Myastenia gravis

Sicca-Syndrom

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aber auch iatrogene Beeinflussung des Hormonsystems (z. B.Kontrazeption, Hormonersatztherapie) können ein trockenesAuge verursachen.

Psychische Faktoren wie innere Spannung, Nervosität, Ängsteund Depression [13] entfalten ihre Pathogenität über die Fehl-funktion der Lider (z. B. Tics, Spasmen, Verringerung derLidschlußfrequenz) und auch indirekt über Beeinflussung deshormonellen Systems (Stichwort Kortison).

IV. PathogeneseDie Pathogenese des Tränenfilms kann den Schichten entspre-chend eingeteilt werden. Da die Tränenfilmphasen multifak-toriell gesteuert und verändert werden, ist bei den meisten Be-troffenen eine gemischte Phasenstörung zu beobachten.

Störungen der Lipidphase, der äußeren Schicht des Tränenfilmes,entstehen durch Minderfunktion und/oder in weiterer Folgesukzessiver Atrophie [14] der Lipid-produzierenden Drüsen(z. B. Maibom’sche Drüsen, Abb. 7), aber auch bei Entzündun-gen im Rahmen einer Blepharitis (Abb. 8), Lupus erythematodesoder Rosacea. Diese Veränderung ist vor allem im höherenAlter häufig und resultiert oft in Epiphora (tränende Augen).

Störungen der wässrigen Phase entstehen durch eine Minder-funktion der Glandula lacrimalis, z. B. durch lymphozytäreInfiltration beim Sjögren-Syndrom. Die Denervierungen beiTraumen, aber auch bei Störungen des vasointestinalen Peptids(VIP), Substanz P, Calcitonin-Gen-regulierenden Peptids(CGRP), atrialen natriuretischen Peptids (ANP) sowie Peptideder Proenkephalin-Familie bewirken einen Mangel an wässri-ger Phase [15]. Es sind vor allem Patienten mit Autoimmuner-krankungen, also meist im mittleren Alter, von dieser Störungbetroffen.

Störungen der Proteinphase [16] sind abgesehen von der im-munologischen Komponente und diversen Mangelerscheinun-gen wie z. B. Protein- und Vitamin-A-Mangel, bei Patientenmit Kontaktlinsen zu beobachten. Dementsprechend sind vorallem jüngere Patienten betroffen.

Therapieansatz

Der Zugang zur Therapie des Sicca-Syndroms ergibt sich ausder Pathologie des Tränenfilms [17, 18]. Nach Ausschluss vonMangelerscheinungen und Behandlung eventuell vorhandener

Grunderkrankungen ist die befeuchtende Therapie darauf aus-gerichtet, die fehlende Phase zu ersetzen. Da die Pathologieeiner Phase weitere Veränderungen der anderen Schichten nachsich zieht, sollte die Therapie bei persistierenden Beschwerdenmit auffälliger Anamnese rasch initiiert werden.

Zusammenfassend befinden sich Patienten mit solitärer Lipid-phasenstörung meist in höherem Alter, die Pathologie ist durchhormonelle Veränderungen, Atrophie der lipidproduzierendenDrüsen oder entzündliche Prozesse am Lid bedingt. DiesePatienten profitieren von der gezielten Bekämpfung der Ent-zündung, der Berücksichtigung und Behandlung der hormo-nellen Lage und lokal von fetthältigen Salben.

Wasserphasenstörungen entstehen zumeist im mittleren Alter,sie stehen in Verbindung mit immunologischen Prozessen undTraumen, diese Patienten brauchen vor allem hochfrequenteTherapie mit niedrigviskösen Augentropfen.

Patienten mit solitärer Proteinphasenstörung=Mucinphasen-störung sind meist jüngeren Alters, die Pathogenese steht inZusammenhang mit immunologischen Vorgängen, Mangel-erkrankungen und Kontaktlinsen. Hier ist eine Neustrukturie-rung der Eiweißschicht notwendig, sodass die Patienten vonGelen profitieren.

Der Routinebefund „Trockenes Auge“ weist individuelle Stö-rungen der Phase auf, welche solitär und gemischt sein kön-nen. Hier werden in weiterer Folge nach fachärztlicher Unter-suchung Kombinationsprodukte und Kombinationen vonmehreren Produkten verschrieben. Die Anwendung von loka-len Immunsuppressiva (z. B. Cyclosporin A, Kortison) solltevom Facharzt eingeleitet und kontrolliert werden.

Bei allen angewandten Mitteln sind Verträglichkeit und Com-pliance von höchster Bedeutung. Insbesondere bei Anwendunghöher-visköser Mittel (Gele, Salben) kommt es zu einer Seh-einschränkung nach Applikation, sodass sie bei der arbeitendenBevölkerung mit Vorbehalt angenommen wird!

Diskussion

Der Gebrauch unseres visuellen Systems hat sich in den letztendreihundert Jahren stetig geändert. Die Mehranforderungenund die Belastungen sind mit der industriellen Revolution unddamit verbundenen Arbeitsplatz-Veränderung drastisch ge-stiegen. Die Utilisation von Kontaktlinsen führte zu einer fa-

Abbildung 7: Gesunde Maibom-Drüsen-Ausgänge (Lipidphase-produzierende Drüsen). Abbildung 8: Blepharitis (Lidrandentzündung).

GesundeMaibom-Drüsen-Ausgänge(Lipidphase-produzierendeDrüsen)

Sicca-Syndrom

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kultativen Züchtung des Sicca-Syndroms bei einem Teil unse-rer Bevölkerung. Die bisherige Kulmination der Belastungdes Sehapparates findet mit der rasanten Entwicklung derelektronischen Hilfsmittel und deren Anwendung statt.

Das trockene Auge zeigt sich in der Anamnese von seinerinteressantesten Seite. Abseits der eindeutigen Pathologienprägen Begriffe wie Dauer des konzentrierten Schauens, Um-weltfaktoren, medikamentöse Nebenwirkungen und psycho-soziale Komponente die Ätiologie. Lange wurde nach unitä-ren, gut definierbaren Ursachen und Zusammenhängen fürdie Diagnose Sicca-Syndrom gesucht. Die Pathophysiologievon einigen wenigen, klar umschriebenen Krankheitsbildernund deren Zusammenhang konnte geklärt werden. Vor allemdas Sjögren-Syndrom und seine Ätiologie und die Zusam-menhänge waren das Thema der Forschung der letzten Jahre.Einige Mechanismen sind jedoch noch zu klären. Neben derWeiterentwicklung von besseren, mehr der Physiologie ent-sprechenden Tränenersatzmitteln, der weiteren Erforschungvon kurativen Mitteln für das systemisch bedingte trockeneAuge, ist das bewusste Umgehen mit seinem Sehapparat unddas Begreifen seiner Grenzen und Schwächen die stärksteWaffe in der Therapie des Sicca-Syndroms.

Es sind vor allem das Wahrnehmen der Individualität einesjeden Patienten, das intensive zeitaufwändige Eingehen auf dieAnamnese und das Erkennen der dahinter liegenden Mehrbe-lastungen für das Auge, welche die Therapieerfolge bringen.

Relevanz für die Praxis

● Therapie entsprechend der Tränenfilmpathologie● Differentialdiagnose der subjektiven Beschwerden● Gewichtung der subjektiven Beschwerden als Leitlinie

für die Therapie● Therapiealgorithmus für fachfremde KollegInnen

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Sicca-Syndrom

Dank

Wir danken Dr. J. Nepp für das Zur-Verfügungstellen der Ab-bildungen.

Literatur:

Mitteilungen aus der Redaktion

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