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Social Ecology Social Ecology Working Paper 59 iff Social Ecology | Schottenfeldgasse 29 | A-1070 Vienna | www.iff.ac.at/socec/ Das Leitbild „Nachhaltige Stadt“ Florentina Astleithner Wien, 1999 ISSN 1726-3816

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SocialEcologyS o c i a l E c o l o g y W o r k i n g P a p e r 5 9

i f f S o c i a l E c o l o g y | S c h o t t e n f e l d g a s s e 2 9 | A - 1 0 7 0 V i e n n a | w w w . i f f . a c . a t / s o c e c /

Das Leitbild „Nachhaltige Stadt“

Florentina Astleithner

Wien, 1999

ISSN 1726-3816

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung1 Nachhaltige Entwicklung: Eine Einführung

1.1 Zentrale internationale und nationale Dokumente1.1.1 Die Erklärung von Cocoyok (1974) und der Dag-Hammarskjöld-Bericht (1975)1.1.2 Der Brundtland-Bericht (1987)1.1.3 Die Agenda 21 (1992)1.1.4 Der Österreichische Nationale Umweltplan (NUP) (1994)1.1.5 Die Aalborg Charta

1.1.5.1 Durch Konsens angenommene Erklärung: Europäische Städte und Gemeinden auf dem Weg zur Zukunftsbeständigkeit

1.1.6 Die Habitat-Agenda (1996)1.1.7 Rio+5 Konferenz (Juni 1997)

1.1.7.1 Bericht Österreichs an die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (1997)

1.2 Wissenschaftliche Konzepte und zentrale Begriffe zur Idee nachhaltiger Entwicklung1.2.1 Metabolismus und Kolonisierung von Natur1.2.2 Umweltberichterstattung1.2.3 Das Konzept des Umweltraums1.2.4 Ökologischer Fußabdruck1.2.5 Bottom-Up - Inseln der Nachhaltigkeit1.2.6 Nachhaltige Entwicklung - Ein Paradoxon?1.2.7 Prozeßhaftigkeit

2 Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder2.1 Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert

2.1.1 Die veränderte Rolle der Architekten2.2 Ausgewählte Leitbilder des Städtebaus im 20. Jahrhundert

2.2.1 Gartenstadt2.2.1.1 Gartenstadt und Nationalsozialismus

2.2.2 Die gegliederte und aufgelockerte Stadt2.2.3 Der organische Städtebau und das damit vermittelte Gesellschaftsbild2.2.4 Die funktionelle Stadt

2.2.4.1 Die Charta von Athen2.3 Zur Idee der Steuerung der Gesellschaft durch die Stadtplanung

3 Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine moderne Utopie3.1 Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung der Gegenwart

3.1.1 Die Bedeutung von Städten in der Diskussion um nachhaltige Entwicklung3.1.2 Räumliche Situation moderner westeuropäischer Städte und der materielle und energe-tische Aspekt3.1.3 Wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen

3.2 Das Leitbild der “Nachhaltigen Stadt”3.2.1 Top-Down vs. Bottom-Up oder: Wer sind die Akteurinnen und Akteure?3.2.2 Ziele und Strategien

3.2.2.1 Das Konzept von Ekhart Hahn zum "Ökologischen Stadtumbau" (1992)3.2.3 Umsetzungsschwierigkeiten3.2.4 Resümee mit Blick auf die sozialen Aspekte nachhaltiger Entwicklung

4 Zusammenfassung5 Literaturverzeichnis

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt”

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EINLEITUNG

Nachhaltige Entwicklung ist ein Synonym für eineGesellschaftsutopie der Gegenwart. Angesichtsder ökologischen Grenzen, die menschlicheEingriffe in die Natur erreicht haben, soll eineEntwicklung initiiert werden, die sowohl dieseGrenzen berücksichtigt, als auch ein wirtschaftli-ches und soziales Gleichgewicht aufrechterhält.Die Diskussion um nachhaltige Entwicklung istein vorwiegend wissenschaftlicher und politischerDiskurs, in dem Auseinandersetzungen über dengegenwärtigen Zustand der Gesellschaft in ihremBezug zur Natur geführt, und mögliche ge-sellschaftliche Entwicklungsoptionen überlegtwerden.

Moderne westliche Städte spielen bei diesem Pro-zeß eine wesentliche Rolle. Sie sind nicht nur jeneOrte, in denen die BewohnerInnen entscheidendzur Umweltkrise beitragen, sondern auch der viel-versprechendste Raum für die notwendigenInnovationen.

Neben technischen Innovationen zur Steigerungder Ressourceneffizienz - die als die gängigsteAntwort auf die Umweltprobleme betrachtet wer-den kann - , wird es eines grundsätzlichen gesell-schaftlichen Wandels bedürfen, um die Ent-wicklungsdynamik nicht in Selbstzerstörung dermenschlichen Kultur(en) münden zu lassen. Obdieser Wandel gelingt und wodurch bleibt unge-wiß. Welche Überlegungen dazu im Rahmen derStadtplanung angestellt werden, und wie sich diesein einem Leitbild der „nachhaltigen Stadt“ nieder-schlagen, ist Thema der vorliegenden Arbeit.

Der Entstehungsprozeß der Diplomarbeit warvon meiner parallelen Tätigkeit bei einer WienerInitiative namens Oikodrom - Forum Nachhalti-ge Stadt - begleitet. Dies hat meinen Blick aufdieses Thema mit Sicherheit geprägt; es war aberauch eine willkommene Hilfestellung, um einenWeg durch die Fülle des Materials zu finden.Oikodrom bemüht sich darum, den Prozeß derNachhaltigkeit in der Stadt zu fördern - eine Auf-gabe, die international noch im Anfangsstadiumsteckt. Da die Idee nicht nur weitreichendegesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologischeDimensionen umfaßt, sondern bisher auch nochnicht von einer breiten Öffentlichkeit getragenwird, ist es schwierig, Ansatzpunkte zu finden,mit denen sich möglichst viele AkteurInnenidentifizieren können. Zudem existieren keineallgemeingültigen Operationalisierungsrichtli-nien, die den Weg vorgeben würden. Das heißt,daß es im weitesten Sinne und auf allen Ebenenmögliche Strategien zu verhandeln und auszu-probieren gilt.

Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick darüberzu gewinnen, was nachhaltige Entwicklung insbe-sondere in Bezug auf europäische Städte bedeu-ten kann, welche Ansätze es dazu von welchenAkteurInnen gibt, und worin die Schwierigkeitenliegen, dieses Konzept in der Praxis umzusetzen.Ich habe versucht, sowohl eine „Beobachter-perspektive“, als auch eine „problembezogenePerspektive“ einzunehmen, wie dies Brand ideal-typisch für mögliche soziologische Herangehensweisen zur Thematisierung von Nachhaltigkeitbeschreibt. (vgl. Brand, 1997, S. 29f)

„Generell steht die Soziologie (nicht anders als die Politik-und Wirtschaftswissenschaften) relativ hilflos vor den prak-tischen Fragen, die mit der Debatte über die Umsetzung desLeitbilds ‘nachhaltiger Entwicklung’ aufgeworfen werden.(...) In einer problembezogenen Perspektive werden darüberhinaus die Grenzen der Soziologie als Einzeldisziplinsichtbar.“ (ebd., S. 30f)

Ein großer Teil dieser Arbeit ist von einem histo-rischen Rückblick - vor allem auf frühe Leitbilderim 20. Jahrhundert - geprägt. Dieser Zugang warmir als Einstieg in die Stadtplanung wichtig: zumeinen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welcheInhalte Stadtplanung bisher beschäftigt haben,und in welcher Form das Leitbild der nachhaltigenStadt daran anschließt; zum anderen, um zu erken-nen, was das spezifisch Neue an der gegen-wärtigen Diskussion ist.

Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert: das ersteKapitel stellt eine Einführung zur Idee der Nach-haltigkeit dar, wobei anhand offizieller, vorwie-gend internationaler Dokumente die Verbreitungdes Konzeptes verfolgt und unterschiedlicheZugänge/Begriffe dazu beschrieben werden.

Im zweiten Kapitel stehen verschiedene histori-sche Leitbilder der Stadtentwicklung im Zentrum.Dabei hielt ich es für wichtig, auch einigeRahmenbedingungen anzudeuten, da Leitbilderaus den spezifischen historischen Bedingungenwachsen, die die jeweilige Zeit prägen, und vorallem Antworten auf die jeweils davor liegendenVorstellungen über und Auswirkungen auf diestädtische Entwicklung darstellen. Daraus ergibtsich die Frage nach den Gesellschaftsbildern, diemit den Leitbildern transportiert werden.

Das dritte Kapitel bezieht sich auf das Leitbild dernachhaltigen Stadt. Es soll die Frage geklärt wer-den, worin heute die ökologischen und gesell-schaftlichen Probleme in der Stadt gesehen, wel-che Ziele und Strategien diskutiert werden, undwelche besonderen Herausforderungen das neueLeitbild an die StadtplanerInnen und alle sonsti-gen davon betroffenen AkteurInnen stellt.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 1

1 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG:EINE EINFÜHRUNG

Der Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ isteine - von mehreren1 - Übersetzungen von„sustainable development“, die sich im deutsch-sprachigen Raum weitgehend durchgesetzt hat;diese Übersetzung geht zurück auf die deutschewaldwirtschaftliche Diskussion zu Beginn des 19.Jahrhunderts und deren Prinzip der beständigenlangfristigen Waldbewirtschaftung. Das Prinzipbesagt, daß nicht mehr Holz gerodet werden sollals nachwächst, um eine kontinuierliche Holz-versorgung zu gewährleisten und die übrigenWaldfunktionen zu erhalten. Die Naturwissen-schaften, insbesondere die Biologie, haben denBegriff erweitert und auf das ökologischeGleichgewicht in Ökosystemen bezogen. Heutesteht der Begriff für die Bemühungen unter-schiedlichster AkteurInnen aus allen gesellschaft-lichen Bereichen, die Zukunft so zu gestalten, daßÖkonomie, Ökologie und der soziale Frieden aufder ganzen Welt jetzt und in Zukunft gesichertsind.

Dieses Vorhaben wirkt so kurios und utopisch,wie es gleichzeitig unumgänglich zu sein scheint,wenn auch zukünftige Generationen noch dieChance haben sollen, „ihre Bedürfnisse zu befrie-digen“. Die globalen Umweltprobleme (Klima-wandel, Verdünnung der Ozonschicht, Er-schöpfung nicht-erneuerbarer Ressourcen - umnur die plakativsten zu nennen) bedürfen globalerZusammenarbeit, wenn es auch nur eine leiseHoffnung zu ihrer Lösung geben soll.

„Wenn man das Ergebnis menschlicher Tätigkeiten auf-zeichnet, ergeben sich fast immer exponentielleWachstumskurven, gleichgültig, ob es sich etwa um denEinsatz von Düngemitteln handelt oder um dieAusbreitung von Städten. (...) Seit Beginn der industriel-len Revolution vor 200 Jahren ist exponentiellesWachstum das wichtigste Charakteristikum aller mensch-lichen Aktivitäten; es wurde nahezu allgemein begrüßt.“(Meadows, u.a., 1995, S. 35)

Das Konzept nachhaltiger Entwicklung gründetin der Einsicht, daß die Erde die menschlichenEingriffe, die exponentiellem Wachstum unterlie-gen, nicht mehr tragen kann. Es ist in erster Linieeine Antwort auf die durch unsere wirtschaftlicheund gesellschaftliche Entwicklung erzeugtenUmweltprobleme, thematisiert aber auch als zen-tralen Punkt Fragen der Verteilungsgerechtigkeit,

und zwar intergenerationell - zwischen heute le-benden und zukünftigen Generationen - als auchintragenerationell - der globalen Verteilung vonLebenschancen und Ressourcen in der Gegen-wart. Ein gewichtiger Aspekt liegt im zunehmen-den Bevölkerungswachstum in den Ländern desSüdens und den Bestrebungen der Regierungendieser Länder, ein ähnliches Wohlstandsniveauwie im Norden zu erreichen. Die katastrophalenUmweltwirkungen der Lebensweise in Ländernder nördlichen Hemisphäre machen allerdingsdeutlich, daß der Weg der sogenannten „nachho-lenden Entwicklung“2 der Länder des Südens dasGleichgewicht auf der Erde vollends kippenwürde. Weder sind ausreichende Ressourcen vor-handen, noch würde die Erde die Umweltbe-lastung auf einem so hohen Niveau übertragenauf die gesamte Weltbevölkerung verkraften.

Die Einsicht in diese Problematik ist allerdingsnichts Neues. Das Konzept nachhaltiger Ent-wicklung faßt Aspekte und Ansätze zusammen,die sich seit jeher kritisch mit gesellschaftlicherEntwicklung und ihrer Wirkung auf Umweltbefaßten. Joseph Huber (1995) stellt diesbezüg-lich fest, daß das Konzept der nachhaltigen Ent-wicklung im wesentlichen aus Elementen besteht,die in der umweltpolitischen Diskussion inverschiedenen Ländern an verschiedenen Stellenlängst entwickelt worden waren.

„Es stellt in diesem Sinn eine neue Etappe der fortlaufen-den Auseinandersetzungen um die ökologischen Grenzendes industriegesellschaftlichen Wachstums dar, eine neueEtappe auf der Suche nach einem ökologisch und sozialdauerhaft tragfähigen Entwicklungsmodell der modernenZivilisation.“ (Huber, 1995, S. 14)

Was neu ist, ist die Bezeichnung der Debatte alsnachhaltige Entwicklung und der weltweiteDiskurs, der in verstärktem Maße dadurch ange-regt zu sein scheint. Es wird immer deutlicher,daß so gravierende Probleme wie Umwelt-zerstörung, wirtschaftliche Entwicklung, zuneh-mende Arbeitslosigkeit in den Industrieländern,Armut, Bevölkerungsentwicklung, Frauendiskri-minierung, Urbanisierung, Hunger, u.ä., keineisolierten Phänomene sind, sondern Teil eineskomplexen und vielfältig vernetzten Gesamt-problems. Der Diskurs um nachhaltige Entwick-lung forciert diese Einsicht.

Bisher findet der Diskurs allerdings vorwiegendauf einer wissenschaftlichen und makro-politischen

Nachhaltige Entwicklung: Eine Einführung2

1 Synonym verwendet werden: „zukunftsfähige Entwicklung“, „dauerhaft umweltgerechte Entwicklung“, „dauerhafte Entwicklung“, „trag-fähige Entwicklung“ oder „Aufrechterhaltbarkeit“.

2 zu diesem Begriff siehe weiter unter in diesem Kapitel.

Ebene statt. Weite Teile der Bevölkerung habennoch keine Vorstellung von diesem Begriff. Daszeigt sich unter anderem in der Literatur zumThema, in der häufig darauf verwiesen wird, daßes noch weitgehender Informationskampagnenauf allen Ebenen der Gesellschaft bedarf. Aufder anderen Seite ist aber auch ein inflationärerGebrauch des Begriffes der nachhaltigenEntwicklung festzustellen, da es sich um ein Kon-zept handelt, das im Detail noch nicht festgelegtist, bzw. sich gegen eine solche Festlegung sperrt.Es ist ein weitgehend offener Prozeß, der in wei-ten Bereichen erst erprobt werden muß und aufdem neue Wege zu beschreiten sind. Gerade dieseOffenheit ermöglicht es den unterschiedlichstenDisziplinen und Politikfeldern, den Begriff fürsich zu besetzen und zu instrumentalisieren.Deshalb sind Rahmenbedingungen möglichstpräzise zu formulieren, die zumindest deutlichmachen, was nicht nachhaltig ist und die - wennmöglich - Optionen für nachhaltiges Handelnaufzeigen.

Die Einführung zur Idee der nachhaltigenEntwicklung möchte ich nun über zwei Schienenführen: Zum einen in Form der Darstellung wich-tiger internationaler und nationaler Dokumente;zum anderen über die Darstellung zentraler wis-senschaftlicher Konzepte.

1.1 ZENTRALE INTERNATIONALEUND NATIONALE DOKUMENTE

Am Beginn dieser Arbeit steht ein kurzerÜberblick über die meines Erachtens wichtigstenoffiziellen Dokumente der Diskussion um nach-haltige Entwicklung - womit der so genannte„Top-Down-Zugang“ zum Problem der nach-haltigen Entwicklung beschrieben wird. DerSchwerpunkt liegt dabei auf jenen Dokumentenund Aspekten, die sich auf nachhaltige Stadt-entwicklung beziehen.

1.1.1 Die Erklärung von Cocoyok (1974) undder Dag-Hammarskjöld-Bericht (1975)

Um frühe Wurzeln der Idee der nachhaltigenEntwicklung aufzuzeigen, verweise ich hier nurkurz und exemplarisch auf die beiden folgendenDokumente, die als Vorläufer zum Brundtland-Bericht betrachtet werden können. Die Erklärungvon Cocoyok wurde 1974 verabschiedet, nacheinem Symposium über „Rohstoffnutzung,Umweltschutz und Entwicklung“, das vom

„United Nations Environment Programme“ undvon der „United Nations Conference on Tradeand Development“ gemeinsam veranstaltet wor-den war.

„Das Problem heute ist nicht Knappheit, sondern wirt-schaftliche und soziale Fehlverteilung und Mißbrauch; diemißliche Lage der Menschheit beruht vor allem auf denwirtschaftlichen und sozialen Strukturen und denVerhaltensweisen in den einzelnen Ländern und zwischenihnen.“ (zitiert nach Harborth, 1993, S. 125)

Die Erklärung wandte sich gegen die Idee deraufholenden Entwicklung und unterstrich dieNotwendigkeit, „viele verschiedene Wege zurEntwicklung zu verfolgen“, wobei die „Bedürf-nisse zukünftiger Generationen“ bereits mit ein-bezogen werden sollten.

Das Dag-Hammarskjöld-Projekt, an dessenDurchführung insgesamt etwa 150 Personen aus48 Ländern aller Weltregionen, 14 UN-Organisa-tionen und 24 Forschungsinstitute beteiligtwaren, versuchte die von Maurice Strong vorge-gebene Frage zu beantworten: „Können dieGrundbedürfnisse aller Menschen befriedigt wer-den, ohne daß die „äußeren Grenzen“ überschrit-ten werden?“ Der Bericht des Projekts erschien1975 unter dem Titel: „Was tun?“ und stellte eineWeiterentwicklung und Vertiefung der Positionendar, die bereits in der Erklärung von Cocoyokvertreten worden waren.

1.1.2 Der Brundtland-Bericht (1987)

Vor zehn Jahren erschien der Brundtland-Berichtder Weltkommission für Umwelt undEntwicklung mit dem Titel „Unsere gemeinsameZukunft“ (Hauff, 1987). Durch diesen Bericht,der nach der damaligen norwegischenMinisterpräsidentin und Kommissionsvor-sitzenden, Gro Harlem Brundtland, benannt ist,fand der Begriff der nachhaltigen Entwicklungein weites internationales Echo.3Dort wird „dau-erhafte Entwicklung“ als eine Entwicklung ver-standen, „die den Bedürfnissen der heutigenGenerationen entspricht, ohne die Möglichkeitenkünftiger Generationen zu gefährden, ihre eige-nen Bedürfnisse zu befriedigen und ihrenLebensstil zu wählen.“ (ebd., S. XV) DieseDefinition ist wohl die häufigst zitierte in demZusammenhang. Der Bericht ist das Ergebnismehrjähriger Arbeit der Kommission, die denAnspruch hatte, „Handlungsempfehlungen (zu

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 3

3 Einen guten Einblick in die Entstehung des Konzepts der „dauerhaften Entwicklung“ bis zum Brundtland-Bericht und eine Analyse desBerichtes selbst liefert Harborth (1991).

erarbeiten), die den Prozeß der dauerhaften Ent-wicklung einleiten sollten“ (ebd., S. XV). DieKommission vertritt den Standpunkt, daß die ge-genwärtigen globalen Bedrohungen für unsereErde in erster Linie ihren Ursprung in den Indu-strieländern haben, daß aber auch die Armut inden Entwicklungsländern eine der Hauptur-sachen für Umweltzerstörungen ist, und erhob indiesem Sinne die „Forderung nach einem neuenZeitalter wirtschaftlichen Wachstums“ (ebd., S.XIV). Dahinter steht die Ansicht, daß die Armutin den Ländern der Dritten Welt nur durch ver-mehrtes wirtschaftliches Wachstum innerhalbdieser Länder und nicht zuletzt auch in den Indu-striestaaten bekämpft werden kann.

In Kapitel neun des Brundtland-Berichtes unterdem Titel „Die urbane Herausforderung“ wirdfestgestellt, daß sich die Anzahl der Bevölkerungin den Städten vervielfacht hat, und daß dieseEntwicklung sich noch fortsetzt. „ In den nur 60Jahren zwischen 1920 und 1980 ist die städtischeBevölkerung in den Entwicklungsländern um dasZehnfache angewachsen, von etwa 100 Mio. auffast 1 Milliarde.“ (ebd., S. 232) Wenn auch dieIndustrieländer mit dem Wachstum der Städte zukämpfen haben, so verfügen sie doch noch übermehr Mittel und Ressourcen, dieses Problemanzugehen. In den Entwicklungsländern treffeneine Menge unterschiedlicher Probleme aufeinan-der, die vorwiegend in der enormen Geschwin-digkeit der Entwicklung und in dem Handlungs-defizit der darauf nicht eingestellten nationalenRegierungen begründet sind. „An vielen Ortensind die Probleme verbunden mit ungünstigenStrukturen industrieller Entwicklung und denunzusammenhängenden Strategien landwirt-schaftlicher und städtischer Entwicklung“. (ebd.,S. 238) Die herrschende Rolle, die die Zentreninnerhalb der Nationalwirtschaft spielen, ist derBeweggrund für viele, in diese Zentren zu ziehen.Deshalb plädiert die Kommission dafür, „eineausgeprägte nationale Siedlungsstrategie und -politik zu entwickeln, innerhalb derer innovative,wirksame Lösungen für die Stadtprobleme sichentwickeln und entfalten können.“ (ebd., S. 243)Weiters sei es zentral, örtliche Behörden zu stär-ken und nicht zuletzt das Selbsthilfepotential derBevölkerung auszunutzen und zu unterstützen.„Die Regierungen sollten den informellen Sektormehr unterstützen und seine lebenswichtigenFunktionen für die Stadtentwicklung aner-kennen“. (ebd., S. 247)

Der Brundtland-Bericht markiert den Beginn derweltweiten Diskussion um die Idee nachhaltigerEntwicklung.

1.1.3 Die Agenda 21 (1992)

Eine große Breitenwirkung erzielte der nächstewichtige Schritt: die „Konferenz der VereintenNationen über Umwelt und Entwicklung“(UNCED), die 1992 in Rio de Janeiro stattfand.Über 170 Staaten unterschrieben das umfassendeAbschlußdokument, die Agenda 21, und ver-pflichteten sich damit, in ihren jeweiligenLändern eine nachhaltige Entwicklung einzulei-ten und zu unterstützen. (Dangschat, 1997, S.169) Die rechtlich unverbindliche Agenda 21erläutert in 4 Kapiteln bzw. in vier Teilen(1. Soziale und wirtschaftliche Dimension; 2. Er-haltung und Bewirtschaftung der Ressourcen fürdie Entwicklung; 3. Stärkung der Rolle wichtigerGruppen; 4. Möglichkeiten der Umsetzung) Leit-linien und Empfehlungen für eine nachhaltigeEntwicklung im 21. Jahrhundert. Hervorzuhebenist besonders Punkt drei, da hier erstmals dieBedeutung von Frauen und Jugendlichen, NGOsund anderen wichtigen Gruppen für dieVerwirklichung der angestrebten Entwicklungbetont wird. Die Agenda 21 stellt heute das poli-tische Basisdokument zur Diskussion um nach-haltige Entwicklung dar. Im Artikel 28 derAgenda ist der Auftrag enthalten, daß Städte undGemeinden bis 1996 “Lokale Agenda 21” -Prozesse initiieren sollen. Dieser Prozeß befindetsich allerdings auch 1999 noch weitgehend imAnfangsstadium.

1.1.4 Der Österreichische Nationale Umwelt-plan (NUP) (1994)

Ausgehend von dem Auftrag durch die Agenda 21erarbeitete die österreichische Bundesregierungden Nationalen Umweltplan, der im Juli 1996 vonder Bundesregierung beschlossen und im Frühjahr1997 vom Nationalrat verabschiedet wurde. Inihm manifestiert sich eine grundsätzlich positiveHaltung der Regierung Österreichs dem Konzeptnachhaltiger Entwicklung gegenüber. Erstmalswaren AkteurInnen aus den unterschiedlichstenBereichen offiziell an dem Prozeß beteiligt, was alsNovum zwar zu begrüßen ist, von manchen aberauch kritisiert wird, da das endgültige Papier als zugroßer Kompromiß zwischen den einzelnenPositionen betrachtet wird. Außerdem bezieht sichder NUP noch ausschließlich auf die SchnittstelleÖkonomie und Ökologie. Offen ist die Integra-tion der sozialen Dimension in die Überlegungen.Auch dieses Dokument ist allerdings rechts-unverbindlich, so daß eine mögliche Umsetzungvon dem guten Willen potentieller AkteurInnenabhängt. Es gibt aber auch schon Folgestudien, diesich mit einer möglichen Umsetzung der im

Nachhaltige Entwicklung: Eine Einführung4

Nationalen Umweltplan beschriebenen Maßnah-men beschäftigen.4

1.1.5 Die Aalborg Charta (1994)

Diese Charta ist das Ergebnis der „EuropäischenKonferenz über zukunftsbeständige Städte undGemeinden“ in Aalborg, Dänemark, das am 27.Mai 1994 verabschiedet wurde.5 Sie besteht ausdrei Teilen: Teil 1 „Durch Konsens angenomme-ne Erklärung: Europäische Städte und Gemein-den auf dem Weg zur Zukunftsbeständigkeit“;Teil 2 „Die Kampagne europäischer zukunftsbe-ständiger Städte und Gemeinden“; Teil 3 „In“Lokale Agenda 21”- Prozesse eintreten: Kom-munale Handlungsprogramme für Zukunfts-beständigkeit.“

Der inhaltlich wichtigste Teil I der Charta ist in 14Kapitel unterteilt, die im folgenden knapp darge-stellt werden:

1.1.5.1 Durch Konsens angenommeneErklärung: Europäische Städte und Gemein-den auf dem Weg zur Zukunftsbeständigkeit

I.1 Die Rolle der europäischen Städte und Gemeinden:Städte sind als „Zentren gesellschaftlichenLebens, als Träger unserer Wirtschaften, Hüterder Kultur, des Erbes und der Traditionen“ dieGrundelemente unserer Gesellschaften undStaaten. „Die Städte sind Zentren der Industrie,des Handwerks und Handels, der Bildung und derVerwaltung.“ (Dumreicher, 1995, S. 33)

Die derzeitige städtische Lebensweise, derLebensstandard der Bevölkerung ist für die vielenUmweltprobleme wesentlich verantwortlich. Diesist besonders bedeutsam, weil „80 Prozent dereuropäischen Bevölkerung in städtischen Gebie-ten leben“. Der heutige Pro-Kopf-Verbrauch vonRessourcen in den Industriestaaten ist nicht füralle Menschen möglich, ohne das natürlicheKapital zu zerstören.

Menschliches Leben wird ohne dauerhaft undumweltgerecht geprägte Kommunen keinen Be-stand haben. Die Kommunalverwaltung ist diebürgernaheste Ebene, wo die Umweltprobleme

wahrgenommen werden, „und trägt gemeinsammit Regierungen und Verwaltungen auf allenEbenen Verantwortung für das Wohl von Menschund Natur.“

I.2 Die Idee und die Grundsätze der Zukunfts-beständigkeit: Die Idee der zukunftsbeständigenund umweltgerechten Entwicklung hilft, unserenLebensstandard mit der Tragfähigkeit der natürli-chen Umwelt in Einklang zu bringen. „Wirbemühen uns um soziale Gerechtigkeit, zukunfts-beständige Wirtschaftssysteme und eine nachhal-tige Nutzung der natürlichen Umwelt“, d.h. dieErhaltung des natürlichen Kapitals. „Sie erfordertvon uns, daß die Verbrauchsrate von erneuerba-ren Rohstoff-, Wasser- und Energieressourcennicht höher ist als die Neubildungsrate, und daßnicht-erneuerbare Ressourcen nicht schneller ver-braucht werden, als sie durch dauerhafte, erneu-erbare Ressourcen ersetzt werden können. Esbedeutet auch, daß die Emission von Schad-stoffen nicht größer sein darf als die Fähigkeitvon Luft, Wasser und Boden, diese Schadstoffezu binden und abzubauen.“ (ebd., S. 34) Nach-haltige Umweltnutzung schließt die Erhaltung derArtenvielfalt, der menschlichen Gesundheit sowieder Sicherung von Luft-, Wasser- und Boden-qualität mit ein.

I.3 Kommunale Strategien für Zukunftsbeständigkeit:Städte sind die geeignetste Einheit, die zahlrei-chen Probleme, die unsere moderne Welt schädi-gen, anzugehen. Jede Stadt muß dabei ihren eige-nen Weg finden und die jeweiligen Stärken zurGrundlage ortsangepaßter Strategien machen.

I.4 Zukunftsbeständigkeit als kreativer, lokaler, gleichge-wichtssuchender Prozeß: Zukunftsbeständigkeit ist„weder eine bloße Vision noch ein unveränderli-cher Zustand, sondern ein kreativer, lokaler, aufdie Schaffung eines Gleichgewichts abzielenderProzeß, der sich in sämtliche Bereiche der kom-munalen Entscheidungsfindung erstreckt.(...)Indem die Verwaltung einer Stadt auf den ineinem solchen Prozeß gesammelten Infor-mationen beruht, kann die Stadt als ein organi-sches Ganzes verstanden werden.“ (ebd., S. 35)Eine gute Informationsgrundlage ist demnachwichtig, damit die Stadt und die Bürger Entschei-

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 5

4 Siehe die Studie „Grundlagen einer integrativen Umsetzung des Nationalen Umweltplans für Österreich“, die vom ÖsterreichischenInstitut für Nachhaltige Entwicklung erarbeitet wurde. Information aus: Friends of the Earth, Zeitschrift für Umweltschutz undMenschenrechte, SOL Nr. 80, März 1997.

5 An der Ausarbeitung des Textes der Charta waren Heidi Dumreicher und Richard S. Levine von Oikodrom - Forum Nachhaltige Stadtmaßgebend beteiligt. Heidi Dumreicher zeichnet außerdem für den Bericht verantwortlich, der im Auftrag der Stadt Wien über die„European Conference on Sustainable Cities and Towns“ verfaßt wurde, und in dem der Text der Charta wiedergegeben ist. (Dumreicher,1995). Vgl. auch Dangschat, 1997, 173ff.

dungen treffen können, die nicht nur die Belangeder heutigen Interessensgruppen, sondern auchzukünftiger Generationen berücksichtigen.

I.5 Problemlösung durch stufenweises Weitervermittelnnach außen: Städte und Gemeinden können es sichnicht mehr leisten, Probleme in die Umgebungoder in die Zukunft zu verlagern. „Daher müssenalle Probleme und Ungleichgewichte einer Stadtzunächst intern auf lokaler Ebene ausgeglichenoder aber durch eine externe größere Körper-schaft auf regionaler oder nationaler Ebene auf-genommen werden“, d.h. daß Städte auf dieZusammenarbeit mit der sie umgebenden Regionangewiesen sind.

I.6 Städtische Wirtschaft auf dem Weg zurNachhaltigkeit und Zukunftsbeständigkeit: Der ein-schränkende Faktor für die wirtschaftliche Ent-wicklung der Städte ist das natürliche Kapital, indas folglich investiert werden müsse: „1. Investi-tionen in die Bewahrung des noch vorhandenennatürlichen Kapitals (...); 2. Förderung derEntwicklung des natürlichen Kapitals durch Ver-ringerung der derzeitigen exzessiven Nutzung(...); 3. Investitionen zur Verringerung der Bela-stung der natürlichen Kapitalbestände (...); 4. Er-höhung der Effizienz von Produkten bis hin zumEndverbraucher (...).“ (ebd., S. 35)

I.7 Soziale Gerechtigkeit als Voraussetzung für eineZukunftsbeständigkeit der Stadt: Die Armen leidenam stärksten unter den Umweltbelastungen. „Dieungleiche Verteilung von Reichtum verursachtzum einen umweltschädliches Verhalten underschwert zum anderen Verhaltensverände-rungen.“ (ebd., S. 36) Die sozialen Grundbedürf-nisse der Menschen sowie Gesundheitsfürsorge,Beschäftigung und Wohnungsversorgung sollenmit dem Umweltschutz integriert werden, wobeies um die Erhöhung der Lebensqualität derBürger - nicht des Verbrauchs - geht.

Wichtiges Ziel ist die Verminderung der Arbeits-losigkeit, wobei insbesondere solche Unternehmengefördert werden sollen, deren Geschäftsideen dieNachhaltigkeitsüberlegungen stützen (Langzeit-arbeitsplätze, langlebige Produkte).

I.8 Zukunftsbeständige Flächennutzung: WirksamerFlächennutzungs- und Bebauungsplanung durchdie kommunalen Gebietskörperschaften, die auchdie strategische Umweltprüfung sämtlicher Pläneumfaßt, kommt große Bedeutung zu. Um denMobilitätsbedarf zu verringern gilt es, leistungs-fähige öffentliche Verkehrsversorgung und effizi-ente Energieversorgung bereitzustellen. Dazusind höhere Bebauungsdichten, Mischnutzung

und ein menschliches Maß bei der Bebauungdienlich. Weiters sollen die Leistungsströme zwi-schen Stadt und Land ins Gleichgewicht gebrachtwerden, um zu verhindern, daß die Städte dieRessourcen des Umlandes nur ausbeuten.

I.9 Zukunftsbeständige Strukturen städtischer Mobilität:Eine zukunftsbeständige Stadt muß die erzwun-gene Mobilität unbedingt verringern und dieFörderung und Unterstützung von unnötigemKraftfahrzeuggebrauch beenden. Ökologischverträglichen Fortbewegungsarten ist Vorrangeinzuräumen. Der Verbund von Zufußgehen,Radfahren und öffentlichem Nahverkehr steht imMittelpunkt der Planungsarbeiten, den motori-sierten Individualverkehrsmitteln sollte nurergänzende Aufgaben zukommen.

I.10 Verantwortung für das Weltklima: Die globaleErwärmung aufgrund der Emission vonTreibhausgasen ist zu verringern. Genauso wich-tig ist der Schutz der globalen Biomasse-Ressourcen, die im Kohlenstoffkreislauf derErde eine entscheidende Rolle spielen. DerVerbrauch fossiler Brennstoffe ist deutlich zureduzieren und durch die Nutzung erneuerbarerEnergiequellen zu ersetzen.

I.11 Vermeidung der Vergiftung von Ökosystemen:Weitere Stoffeinträge giftiger und gefährlicherSubstanzen in die Luft, das Wasser, den Bodenund die Nahrung müssen gestoppt und an derQuelle vermieden werden.

I.12 Kommunale Selbstverwaltung als Voraussetzung:Städte und Gemeinden sollen im Einklang mitdem Subsidiaritätsprinzip das Recht auf kommu-nale Selbstverwaltung haben. „Die lokale Ebenemuß mit ausreichenden Kompetenzen ausgestat-tet sein, und die kommunalen Gebietskörper-schaften müssen über eine solide finanzielleGrundlage verfügen.“ (ebd., S. 37)

I.13 Bürger als Schlüsselakteure und die Einbeziehungder örtlichen Gemeinschaft: Die Städte undGemeinden verpflichten sich, „mit allen gesell-schaftlichen Kräften in unseren Kommunen - denBürgern, Unternehmen, Interessengruppen - beider Aufstellung von Lokalen Agenden 21 zusam-menzuarbeiten. (...) Wir werden dafür Sorge tra-gen, daß alle Bürger und interessierten GruppenZugang zu Informationen erhalten und es ihnenmöglich ist, an den lokalen Entscheidungsprozes-sen mitzuwirken. Wir bemühen uns um Aus- undFortbildungsmöglichkeiten (...) nicht nur für diebreite Öffentlichkeit, sondern auch für Abge-ordnete und Bedienstete der Kommunalver-waltungen.“ (ebd., S. 38)

Nachhaltige Entwicklung: Eine Einführung6

I.14 Instrumentarium für eine auf Zukunftsbeständig-keit gerichtete Kommunalverwaltung: „Wir Städte undGemeinden sichern zu, das gesamte verfügbarepolitische und planerische Instrumentarium füreinen ökosystembezogenen Ansatz kommunalerVerwaltung zu nutzen“, beispielsweise „dieErhebung und Verarbeitung von Umweltdaten;die Umweltplanung; ordnungspolitische, wirt-schaftliche und kommunikative Instrumente wieSatzungen, Steuern und Gebühren; Instrumentezur Sensibilisierung der Öffentlichkeit sowie zurBürgerbeteiligung“. (ebd., S. 38) Dazu werdenunterschiedliche Arten von Indikatoren bedeut-sam sein, wie solche der städtischen Umwelt-qualität, der städtischen Ressourcenströme, derStadtstrukturen und vor allem der Zukunftsbe-ständigkeit städtischer Systeme. Insbesondere soll„das örtliche Wirtschaften durch einen umfas-senden Prozeß der Suche nach Zukunftsbestän-digkeit“ beeinflußt werden, da die bisherigen Maß-nahmen und Programme zwar eine gute Grund-lage darstellen, aber noch keine Umkehr der unbe-ständigen Entwicklung der Gesellschaft bewirken.

Die Aalborg-Charta unterstreicht also die wichti-ge Rolle der europäischen Städte und Gemeindenfür die Entwicklung zur Zukunftsbeständigkeit.Sie stellt die Grundlage für die Formulierung vonStrategien nachhaltiger Stadtentwicklung dar.

1.1.6 Die Habitat-Agenda (1996)

Eine der letzten großen UN-Weltgipfelkon-ferenzen6 vor der Jahrtausendwende war die„Konferenz über das menschliche Siedlungswesen- Habitat II“ in Istanbul vom 3. - 14. Juni 1996.

Zwei zentrale Themen waren auf der Konferenzvon Bedeutung: „Adequate shelter for all“ (dasRecht auf angemessenes Wohnen für alle) und„Sustainable human settlements development inan urbanizing world“ (nachhaltige Entwicklungmenschlicher Siedlungen in einer Welt zuneh-mender Urbanisierung)7. Die Habitat-Konferenzist Beleg für die internationale Anerkennung derentscheidenden Rolle der Städte für die Zukunft.Habitat II setzte auch ein Zeichen für dieBedeutung der Rolle der lokalen Behörden,indem diese (neben den NGOs) schon imVorbereitungsprozeß intensiv beteiligt wurden.Unterstrichen wird auch die schwierige Situationfür MigrantInnen, Kinder und Jugendliche, indi-gene Bevölkerungsgruppen, Frauen, Menschen

mit Behinderungen und ältere Menschen, für diedas Recht an Mitsprache in Entscheidungs-prozessen gefordert wird.

Otto Frey, Mitarbeiter der Magistratsdirektion -Stadtbaudirektion Wien, Gruppe Planung, dermit der Koordinierung der Wiener Aktivitätenzur Habitat II befaßt war, zieht positive Bilanz.Die „Notwendigkeit der Dezentralisierung derEntscheidungsprozesse, (...) die Stärkung derlokalen Autonomie und die entsprechende finan-zielle Ausstattung der lokalen Behörden (...), dieverstärkte direkte Kooperation der Städte aufnationaler, regionaler und globaler Ebene, diezukünftig verbesserte und möglicherweise festverankerte Zusammenarbeit zwischen VereintenNationen, den lokalen Behörden, dem privatenSektor und den NGOs“ (Frey, 1996, S. 68) sindForderungen der Städte, die in der Habitat II -Agenda Berücksichtigung fanden.

Frey verweist insbesondere auf das „Urban BestPractice and Local Leadership Program (sieheauch Frey, 1997), bei dem Wien von den Ver-einten Nationen als zukunftsorientierte Stadtanerkannt und der Stadt angeboten wurde, das zugründende „Regionale Institut für Europa“ inWien zu installieren. Die “Best-Practice- Initiativevon UNCHS (United Nations Centre for HumanSettlements) soll den Austausch von vorbild-haften Lösungsansätzen zur nachhaltigenSiedlungsentwicklung fördern. „Dabei wurden600 solcher Lösungen weltweit eingebracht,bewertet, vergleichbar in einem Datensystemerfaßt und daraus zwölf Projekte mit dem “Awardof Excellence in Improving the Living Environ-ment” ausgezeichnet.“ (ebd., S. 69) Die StadtWien hat sich daran mit fünf Projekten beteiligt(„Stadterneuerung in Wien“, „Frauen-Werk-Stadt-Wien“, „Stufenplan der Stadt Wien zurReintegration von Obdachlosen“, „Wiener Luft-meßnetz“ und „Wiener MüllverbrennungsanlageSpittelau“), für die sie zwar keinen Preis erhielt,die aber sowohl in Istanbul als auch in Wien inForm einer Ausstellung präsentiert wurden.

Wien sei bestrebt, „sich als Kompetenzzentrumfür Innovation, insbesondere am Sektor “UrbanTechnologies”, aber auch als eine Stadt mit zu-kunftsorientierter, nachhaltiger Ausrichtung“(ebd., S. 71) zu etablieren und möchte die positi-ven Impulse aus der Konferenz weiterführen.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 7

6 Neben anderen insbesondere: Rio-Konferenz (1992, siehe oben); Weltkonferenz über Menschenrechte (Wien 1993); Weltbevölkerungs-konferenz (Kairo 1994); Weltsozialgipfel (Kopenhagen 1995); 4. Weltfrauenkonferenz (Peking 1995).

7 siehe Habitat-Agenda im Vorwort: http://www..undp.org/un/habitat/agenda

1.1.7 Rio+5 Konferenz (Juni 1997)

Fünf Jahre nach der Rio-Konferenz fand inManhattan/New York die neunzehnte Son-dergeneralversammlung der Vereinten Nationen(UNGASS: United Nations General AssemblySpecial Session) statt, mit dem Ziel, die Fort-schritte der letzten Jahre zu analysieren und dieVereinbarungen der Agenda 21 erneut zubekräftigen und rascher voranzutreiben.8 DieErgebnisse sind allerdings ernüchternd: dieTrends globaler Entwicklung gehen heute nochweniger in Richtung Nachhaltigkeit als 1992. DieGlobalisierung schreitet weiter rasch voran, nurwenige schwach entwickelte Länder könnendavon profitieren, wobei andere noch weiter mar-ginalisiert werden. Die absolute Zahl derjenigen,die in Armut leben, ist weiter gewachsen. DieSchere zwischen den am wenigsten entwickeltenLändern und den anderen ist in den vergangenenJahren noch schneller größer geworden. VieleEmissionen - insbesondere von giftigen Sub-stanzen und Treibhausgasen - sowie die Mengeder Abfälle nehmen weiter zu, obwohl die Men-gen in einigen Industrieländern auch geringerwerden. Aber die globalen negativen Trends kön-nen von den Bemühungen einiger wenigerLänder nicht aufgehalten werden. Mit der Ver-wendung nicht erneuerbarer Ressourcen sieht esganz ähnlich aus.

Die Forderungen, die schon in der Agenda 21aufgestellt wurden, bleiben bestehen und sollenmit größerem Engagement umgesetzt werden: anerster Stelle steht die Notwendigkeit wirtschaftli-chen Wachstums - nicht ohne die ökologischenKosten miteinzubeziehen. Entwicklung müsseaber auch den sozialen Aspekt mit berücksichti-gen, das heißt, Stärkung der Demokratien,Achtung der Menschenrechte, transparente undverantwortliche Regierung und die effektiveEinbeziehung aller BürgerInnen. Unterstrichenwird immer wieder, daß die Rolle und Positionvor allem von Frauen, aber auch von Kindernund Jugendlichen, indigenen Bevölkerungs-gruppen, usw. gestärkt werden müssen, und daßalle ein Recht zur Mitsprache und Entscheidungs-findung haben, das von den Verantwortlichengefördert werden soll. Zentral ist auch die engereZusammenarbeit der unterschiedlichsten Sek-toren auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Dazubedarf es eines großen Spektrums politischer In-strumente, einschließlich Durchführungsbe-

stimmungen, ökonomische Instrumente, derInternalisierung von Umweltkosten in dieMarktpreise, länderspezifische Analyse undInformationen bezüglich der sozialen und ökolo-gischen Belastungen.

Die „Commission on Sustainable Development“(ebd., S. 38ff), ein Forum zur Beobachtung desImplementationsprozesses, sieht sich als Motor,der die Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeitvorantreibt. Als weitere Schritte hat sich dieKommission vorgenommen: a) Anstrengungenzu unternehmen, die Beteiligung der Minister undhohen Politikverantwortlichen im BereichWirtschaft und Soziales sowie Umwelt und Ent-wicklung an der Auseinandersetzung umNachhaltigkeit zu forcieren; b) weiterhin einForum zu bieten für den Austausch nationalerund besonders auch regionaler Erfahrungen und„Best Practices“ auf dem Gebiet nachhaltigerEntwicklung, wobei besondere Aufmerksamkeitden nationalen Umweltberichterstattungs-systemen und den Ergebnissen der Untersu-chungen über Indikatoren für nachhaltigeEntwicklung gewidmet werden soll; c) engereZusammenarbeit zwischen internationalenFinanz-, Entwicklungs- und Handelsinstitutionenzu etablieren; d) die Auseinandersetzungen mitVertretern wichtiger Gruppen (Wissenschaf-terInnen und ForscherInnen, die sich mit demMensch-Natur-Verhältnis beschäftigen; Frauen;Kinder und Jugendliche; Indigene Bevölkerung;NGOs; Ortsbehörden; Wirtschafts- undIndustriegruppen) verstärkt zu führen.

1.1.7.1 Bericht Österreichs an die Sonder-generalversammlung der Vereinten Nationenüber Umwelt und Entwicklung (1997)

Die österreichische Bundesregierung legte derKommission einen Bericht vor, in dem dieSituation Österreichs im Hinblick auf die in derAgenda 21 festgeschriebenen Prinzipien nachhal-tiger Entwicklung dargestellt wird. Er besteht auszwei Teilen, wobei der erste eine zusammenfas-sende Darstellung der Dynamik der öster-reichischen Entwicklung zu den Prinzipien derAgenda 21 ist. Im zweiten Teil wird beispielhaftfür die Bereiche Landwirtschaft, Tourismus undVerkehr - in Anlehnung an die Einteilung desNUP - aufgezeigt, was die Forderungen derAgenda 21 für diese in Österreich wichtigenSektoren bedeutet. (vgl. SUSTAIN, ÖVAF, 1997)

Nachhaltige Entwicklung: Eine Einführung8

8 Die Informationen dazu stammen aus einem Online-Dokument des „United Nations Department for Policy Coordination and Sustain-able development (DPCSD): ES5.TXT at gopher.un.org (Gopher), das ich vom Österreichischen Umweltministerium erhalten habe.

Am 11. 3. 1997 hat sich die nationale UNCED-Kommission als österreichischer Rat fürNachhaltigkeit neu konstituiert, um derForderung nach einem breiten partizipatorischenProzeß gerecht zu werden.(vgl. ebd., S. 8) DerBericht zählt eine Reihe von Fortschritten auf, die„insbesondere in der Weiterentwicklung desinternationalen Rechtsbestandes für nachhaltigeEntwicklung“ liegen (ebd., S. 9). Vorrangig wer-den in Österreich weiters Aktivitäten im Bereichdes Klimaschutzes gesetzt. Auch sei dieEinbindung der Bevölkerung erweitert wordenund es vertiefe sich die Zusammenarbeit mitNGOs aus dem Umweltbereich. Die globalenTrends in Richtung Umweltzerstörung und damitder Bedrohung menschlichen Lebens auf derErde bestehen jedoch nach wie vor. Als Ausblickscheint ein neuer Anlauf zur Umsetzung desKonzepts der nachhaltigen Entwicklung vorallem in folgenden Bereichen notwendig: 1. Eineneue Bildungs- und Informationskampagne zurNachhaltigkeit; 2. Neue politische Weichen-stellungen; 3. Neue Allianzen; 4. Neue Ansätzeund Instrumente; 5. Die Entwicklung einer neuenEthik der Nachhaltigkeit. (ebd., S. 15)

In dem Bericht wird dem NUP wichtigeBedeutung zugesprochen, es wird aber auch dar-auf hingewiesen, daß „der Nationale Umweltplandurch den sektoralen Ansatz keinen wirklichenAnreiz für den Einstieg von Gemeinden aufzeigt,(wodurch) es notwendig sein (wird), andereAktivitäten, etwa das Klimabündnis oder dieDorferneuerung als Instrumente einzubauen.“(ebd., S. 73) Derzeit befindet sich ein Projekt zur„Regionalisierung der NUP-Umsetzung“ inPlanung.

Obwohl die österreichische Regierung sich gernerühmt, zu den in Umweltbelangen fort-schrittlichsten Ländern zu zählen, wird dennochauch ein dringender Handlungsbedarf für dieZukunft festgestellt.

Der relativ kurze Abriß über die wichtigsten offi-ziellen Dokumente im Prozeß zur Nachhaltigkeitmacht deutlich, daß auf internationaler Ebeneviel besprochen und konferiert wird, globaleTrends bisher dennoch nicht umgekehrt werdenkonnten, sondern im Gegenteil, die Auswirkun-gen unserer modernen Wirtschaft weiterhin dazubeitragen, nicht nur die Schere zwischen Arm und

Reich - sowohl international als auch national - zuvergrößern, sondern auch die Umwelt-belastungen zu vermehren. Dieser Umstand soll-te eigentlich dazu beitragen, die Prämissen undAuswirkungen der globalen Wirtschaft zu hinter-fragen. Doch das findet - zumindest auf dieserEbene - nicht statt.

Obwohl die offiziellen Dokumente undBemühungen zu kritisieren sind, stellen sie mei-nes Erachtens doch einen wichtigen Beitrag zurVerbreitung des Themas dar. Sie beinhalten janicht zuletzt die Aufforderung an alle gesell-schaftlichen AkteurInnen, sich an dem Prozeß zubeteiligen und lassen damit die Chance offen,durchaus auch kritische Beiträge zu leisten.

1.2 WISSENSCHAFTLICHE KONZEPTEUND ZENTRALE BEGRIFFE ZUR IDEENACHHALTIGER ENTWICKLUNG

1.2.1 Metabolismus und Kolonisierung vonNatur

Diese beiden Begriffe sind Teil eines Konzepts,das einen Rahmen bietet, das Gesellschaft-Natur-Verhältnis an der Schnittstelle von Natur- undSozialwissenschaften sowohl theoretisch als auchempirisch näher zu beleuchten.9 Es ist ein anthro-pozentrisches Konzept, das heißt, daß derMensch und „wirtschaftliche und sozialeProzesse mit ihren Wirkungen auf Natur“ imMittelpunkt stehen (Fischer-Kowalski, u.a. 1997,S. 22). Die Sichtweise von Umweltproblemen hatsich verändert.

„Standen in den siebziger Jahren Immissionsprobleme imVordergrund der Umweltdiskussion und achtete man inden achtziger Jahren auf Emissionen, so ist die integrier-te und reflexive Betrachtung des gesellschaftlichen Stoff-wechsels ein Kennzeichen der neunziger Jahre.“ (Fischer-Kowalski, u.a. 1997, S. IX)

Der Fokus ist dabei auf die Austauschbe-ziehungen zwischen Gesellschaft und Naturgerichtet.

Der Begriff des Metabolismus ist ein geeignetesBild, das Verhältnis zwischen Gesellschaft undNatur zu beschreiben, weil sich Menschen ausden unterschiedlichsten Disziplinen darunter

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 9

9 Der Begriff des Metabolismus ist zentraler Bestandteil der internationalen Bemühungen zur Operationalisierung des Konzepts der Nach-haltigkeit. Ich beziehe mich in den folgenden Ausführungen aber in erster Linie auf die Arbeiten der Abteilung „Soziale Ökologie“ desInteruniversitären Instituts für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung und deren Publikation „Gesellschaftlicher Stoffwechsel undKolonisierung von Natur“ (Fischer-Kowalski, et. al., 1997, Teil 1).

etwas vorstellen können, und damit dieKommunikation über die Grenzen von Wirt-schaft, Technik, Naturwissenschaft, Sozial-wissenschaft und anderen gesellschaftlichenSystemen hinaus möglich wird. Die Herausforde-rung interdisziplinärer Zusammenarbeit ist einwesentliches Moment im Konzept der Nach-haltigkeit. Insbesondere ist es eine Heraus-forderung für die Soziologie, da sie sich im Zugeihrer historischen Genese speziell von den Natur-wissenschaften abzugrenzen versuchte.

Außerdem wird mit dem Konzept desMetabolismus und der Kolonisierung von Naturein Modell beschrieben, das die Austausch-beziehungen mit Natur „nicht nur für die in-dustrielle Gesellschaft, sondern für den gesamtenVerlauf menschlicher Geschichte auf diesemPlaneten, verstanden als Koevolution von sozia-len und natürlichen Systemen“ angemessenbeschreiben kann. (ebd., S. IX)

Stoffwechsel - als ein Begriff der Biologie - bezeich-net den Stoff- und Energiefluß, den Organismenmit ihrer Umwelt aufrechterhalten, um ihr Überle-ben und die Reproduktion zu sichern. Übertragenauf Gesellschaften wird ebenso von Material- undEnergieflüssen gesprochen, die die sogenannte„Anthroposphäre“ - die gesellschaftlichen Systeme -mit der Biosphäre - den natürlichen Systemen - aus-tauscht. Der Stoffwechsel ist also die minimaleGrundbedingung für jegliches Leben ebenso wie fürgesellschaftliche Systeme.

Es wird zwischen einem sogenannten „basalen“und einem „erweiterten Metabolismus“ unter-schieden. Vereinfacht gesprochen sind Jäger undSammler Gesellschaften mit einem „basalenMetabolismus“. Die materiellen Inputs, die derMensch aus der Natur benötigt, bestehen aus er-neuerbaren Ressourcen; die Outputs fügen sich indie Naturkreisläufe ein. Der basale energetische Stoff-wechsel basiert in erster Linie auf Sonnenenergie.

Von einem „erweiterten Metabolismus“ wirddann gesprochen, wenn die Gesellschaft aufnicht-erneuerbare Ressourcen (beispielsweiseMetalle oder fossile Energieträger) zurückgreift,um letztlich die Erträge natürlicher Ressourcenzu vermehren. Hierbei handelt es sich um die„Kolonisierung natürlicher Systeme“. Die genaue

Definition lautet: Kolonisierung ist „die Kombi-nation gesellschaftlicher Aktivitäten, die gezieltgewisse Parameter natürlicher Systeme verändernund sie in einem Zustand halten, der sich vondem Zustand unterscheidet, in dem sie sich ohnediese Aktivitäten befänden.“ (ebd., S.10) In derMenschheitsgeschichte ist von zwei in diesemZusammenhang entscheidenden Revolutionendie Rede: der neolithischen und der industriellenRevolution. Beide markieren einen gravierendenUmbruch in Bezug auf die Kolonisierung vonNatur. Erstere bezieht sich auf den Übergangvon Jäger und Sammler zu Agrargesellschaften;zweitere auf den Übergang zu industriellenGesellschaften, die in ihrem Kern auf der Aus-beutung fossiler Energieträger beruhen. DieseEntwicklung verfeinerte die Techniken derNaturaneignung und erhöhte damit die Lebens-chancen beträchtlich. Die gezieltere Ausbeutungnatürlicher Ressourcen und deren effizientereNutzung ermöglichten zudem ein enormes Be-völkerungswachstum. Die Kehrseite davon ist derUmstand, daß im Rahmen eines erweitertenMetabolismus Materialien verwendet werden, diesich nach dem Ausscheiden aus dem gesellschaft-lichen System nicht mehr in die natürlichenKreisläufe einfügen. Dies ist so lange keinProblem, solange es sich um relativ kleineMengen handelt. Die Entwicklung - insbesondereseit der intensiven Nutzung fossiler Energieträger- hat aber gezeigt, daß der „Absorptionsfähigkeitnatürlicher Systeme für die Reststoffe aus derNutzung nicht erneuerbarer Ressourcen“ (ebd., S.8) Grenzen gesetzt sind, die wir heute schonerreicht haben.

Was den erweiterten energetischen Metabolismusbetrifft, so beginnt er im Verhältnis zum materiel-len erweiterten Metabolismus relativ spät, näm-lich mit der Nutzung von Kohle, was den Beginnder industriellen Revolution markiert. Durch dieVerwendung von Steinkohle10 war die Entwick-lung der Dampfmaschine und schließlich derEisenbahn möglich, und es begann der Prozeßder rasanten Beschleunigung menschlicher Tätig-keiten, die Entwicklung zur modernen Gesell-schaft. Ein zweiter Sprung in dieser Entwicklungerfolgte durch die Verwendung von Erdöl undder damit einhergehenden Mobilisierung derMassen mit Hilfe des Autos.

Nachhaltige Entwicklung: Eine Einführung10

10 Zu den Vorbedingungen und der Entwicklung, die zur Entdeckung der Steinkohle und ihrer wachsenden Bedeutung führten undschließlich in die industrielle Revolution mündeten, siehe Sieferle, 1982.

Entscheidend ist also, daß sich durch dieVerwendung fossiler Energie der gesellschaftlicheMetabolismus stark veränderte. Die Probleme lie-gen heute vor allem auf der Seite des Outputsmenschlicher Gesellschaften, die das Ökosystemzu kippen drohen. Dazu zählt in erster Linie derenorm erhöhte CO2 - Ausstoß (durch die Ver-brennung der fossilen Energieträger), der alswichtigster Verursacher der Klimaveränderungenbetrachtet wird. Das Funktionieren der moder-nen Gesellschaft basiert auf der Ausbeutung vonRessourcen, die über Jahrmillionen entstandensind und nicht unendlich zur Verfügung stehenbzw. auch nicht die Chance haben, sich in einemkurzen Zeitraum zu regenerieren. Unzähligetechnische Errungenschaften und in weitererFolge das Bevölkerungswachstum auf der Erdeund auch unser derzeitiger relativer Wohlstandwären in der Form nicht möglich gewesen, hättenwir nicht gelernt, diese neuen Energieträger zunutzen. Heute sind aber nicht nur dieseRessourcen bald erschöpft, sondern die ungeahn-ten Nebenfolgen werden wirksam.

Probleme in Bezug auf die Nachhaltigkeit vonGesellschaften können also sowohl auf derInput- als auch auf der Outputseite auftreten:zum einen zwang der Mangel an Nahrungs-mitteln die Menschen zu Erfindungen, die dieAusbeutung der Ressourcen immer weiter zuoptimieren versuchten (das ist zumindest einErklärungsansatz dafür, wie es zur neolithischenRevolution kam); auf der anderen Seite sind dieKolonisierungsstrategien derart „optimiert“ wor-den, daß nun weniger der Mangel an Ressourcenbedrohlich ist, als vielmehr die Schäden, die durchdie Massen an gesellschaftlichen Abfällen undEmissionen entstehen. Diese Dialektik imVerhältnis von Kolonisierung und Nachhaltigkeitbesteht auch heute, indem „die Antwort auf dieErkenntnis ökologischer Grenzen für den gesell-schaftlichen Metabolismus (...) erneut in einemVersuch ihrer Überwindung durch neue Koloni-sierungsstrategien zu bestehen“ scheint. (ebd.,S.12)

Das Konzept der Kolonisierung faßt Gesellschaftals Akteur auf, „der absichtsvoll die ihn umgeben-de Natur umgestaltet, in ablaufende Natur-prozesse eingreift und damit durchaus langfristigwirksame Veränderungen auslöst.“ (ebd., S. 23)

1.2.2 Umweltberichterstattung

Um das dynamische Verhältnis zwischenAnthroposphäre und Biosphäre beschreiben undin weiterer Folge daraus Strategien einer nach-haltigen Entwicklung ableiten zu können, bedarf

es zu allererst, den Zustand der Umwelt inBeziehung zu menschlichen Aktivitäten abzubil-den. „Umweltberichterstattung“ oder „Umwelt-information“ bemühen sich deshalb darum, einSystem von Umweltindikatoren zu erarbeiten, daseine Meßgröße darstellt, an die folgendeAnforderungen zu stellen sind: Indikatoren solleneinfach (verständlich), eindeutig, anerkannt(Stand der Wissenschaft), wo dies geht quantitativmeßbar, in Zeitreihen verfügbar, problemadäquatund, wenn möglich, regionalisierbar sein.(Gerhold, 1994, S. 595)

Der Aufbau von Umweltindikatoren wird aufinternationaler Ebene sehr forciert. Ein wichtigerAspekt ist auch die internationale Kompatibilität.Als Modellrahmen hat sich das von der OECDentwickelte Pressure-State-Response-Modelldurchgesetzt.

„Ziel ist es, ausgehend von einem bestimmten definiertenUmweltproblem die dafür hauptverantwortlichensozioökonomischen Aktivitäten zu identifizieren und mitHilfe von geeigneten Pressure-Indikatoren zu beschreiben,sodann den Zustand der betroffenen Medien mit Hilfe vonState-Indikatoren und schließlich die vom Gesellschafts-system als Antwort auf diesen Zustand gesetzten Maß-nahmen in Form von Response-Indikatoren darzustellen.”(ebd., S. 594)

Die Entwicklung der Umweltberichterstattungbefindet sich noch in den Anfängen. InDeutschland und Japan werden nationaleMaterialbilanzen bereits in der amtlichen Statistikeingesetzt. In Österreich wird darüber noch dis-kutiert. Allerdings gibt es bereits umfassendeVorarbeiten, wie die Materialflußrechnung Öster-reich, die im Oktober 1996 vom Bundesminis-terium für Umwelt, Jugend und Familie herausge-geben wurde.

In den Studien selbst werden einige Problemedieser Vorgehensweise benannt. Ein zentrales Di-lemma besteht beispielsweise in dem Anspruch,möglichst einfache und eine eng begrenzte Listean Indikatoren zu verwenden und mit ihneneinen anschaulichen Überblick zu liefern, dereiner breiten Öffentlichkeit zugänglich gemachtwerden kann. Auf der anderen Seite soll ein breitgefächertes systemar angelegtes Indikatorensystementwickelt werden, um den Zusammenhang zwi-schen menschlichen Aktivitäten und ihrenAuswirkungen auf die Funktionsfähigkeit derÖkosysteme möglichst detailliert und umfang-reich zu beschreiben, und damit die ökologischenGrundanforderungen an ein Indikatorensystemum so besser zu erfüllen.(vgl.Bund/Misereor,1996, S. 41)

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 11

Der Versuch der Eingliederung solcherIndikatorensysteme in gängige statistische Erhe-bungsverfahren - wie der volkswirtschaftlichenGesamtrechnung - wirft das Problem auf, einer-seits an die bestehenden Systeme anzuschließenund möglichst mit schon vorhandenen Daten zuarbeiten, damit der Aufwand vertretbar bleibt,andererseits sich auch bewußt zu sein, daß diegängigen monetären Statistiken größere Lückenaufweisen, bzw. auch überhaupt Erweiterungenbedürfen. Die vom BMUJF in Auftrag gegebeneStudie zur Integration einer jährlich aktualisiertennationalen Materialflußrechnung für Österreichin die amtliche Statistik kommt zu dem Schluß,daß dies ohne erheblichen Mehraufwand mach-bar sei. Dies ist eine wichtige Maßnahme zurEtablierung einer Umweltökonomischen Gesamt-rechnung, die der laufenden Verknüpfung vonUmwelt- mit Wirtschaftsdaten dient.

1.2.3 Das Konzept des Umweltraums

Studien, wie „Sustainable Netherlands“ (Institutfür sozialökologische Forschung, 1994); „Zukunfts-fähiges Deutschland“ (Bund/Misereor, 1996) und„Action Plan “Sustainable Austria” - Auf demWeg zu einer nachhaltigen Entwicklung in Öster-reich“ (Kosz, 1994) versuchten, mit Hilfe desKonzepts des Umweltraumes darzustellen, wiegroß die Eingriffe von Industriegesellschaften indie Natur sind. Es handelt sich also ebenfalls umeinen Versuch, das Mensch-Natur-Verhältnisquantitativ abzubilden, und in weiterer Folgeüberprüfen zu können, ob Strategien nachhaltigerEntwicklung Erfolge zeigen. Das Konzept desUmweltraums wurde ursprünglich in denNiederlanden entwickelt.

„Der Umweltraum bezeichnet den Raum, den dieMenschen in der natürlichen Umwelt benutzen können,ohne wesentliche Charakteristika nachhaltig zubeeinträchtigen.“ (Bund/Misereor, 1996, S. 27)

„Der Umweltraum wird auf unterschiedliche Weisebestimmt: Der weltweite Umweltraum ist definiert durchdie ökologischen Schranken, die durch die natürlichenSysteme hinsichtlich globaler Auswirkungen wirtschaftli-cher Tätigkeit vorgegeben sind. Dieser Umweltraum be-steht also aus einem Bündel unterschiedlichster Parameter,d.h. daß Maßzahlen für den Ver- und Gebrauch vonRessourcen, die Entlassung von Schadstoffen und denEingriffen in Lebensprozesse, die globale Auswirkungenhaben, vorgegeben werden.“ (Kosz, 1994, S. 13)

Ausgehend von vorab festgelegten Nach-haltigkeitskriterien im jeweils gültigen räumlichenKontext wird ein Umweltraum definiert, der diemaximal mögliche Menge an Ressourceninan-spruchnahme angibt. Diese global oder kontinen-tal definierten Umwelträume liefern den Aus-gangspunkt, von dem aus ein Pro-Kopf-Ver-brauch von Ressourcen berechnet wird, aus demdann Reduktionsziele abgeleitet werden.

Oben genannte Studien haben versucht, den Pro-Kopf-Umweltraum zu bestimmen, der einemMenschen zusteht, unter der Voraussetzunggerechter globaler Verteilung. Das Konzept desUmweltraumes ist ein ökologisches Nutzungs-konzept. Es ist ein Operationalisierungsversuchfür die Idee der nachhaltigen Entwicklung. Einentscheidender Aspekt liegt darin, daß sowohlzukünftige Generationen als auch innerhalb einerGeneration alle Menschen auf der Erde die glei-chen Rechte haben, Natur in Anspruch zu neh-men, ohne sie zu übernutzen.

Alle diese Studien kommen zu dem Schluß, daßder Verbrauch an Ressourcen (Energie, Roh-stoffe, Wasser, Fläche, etc.) in den untersuchtenIndustrieländern um ein Vielfaches zu hoch istund enden mit Forderungen, wie beispielsweiseeiner Reduktion der Verwendung nicht-er-neuerbarer Ressourcen um 80 - 90 %. Inwieweitsich solche Forderungen tatsächlich umsetzenließen, ist Gegenstand weitergehender Überle-gungen. Sie zielen auf die Erkenntnis ab, daß sicheine derartige Reduktion nur unter Bedingungeneines gesamtgesellschaftlichen Wandels durchzu-setzen vermag. Wie dieser Wandel zu bewerk-stelligen sei, bzw. ob er sich aus bestimmtengesellschaftlichen Dynamiken vielleicht auch„von selbst“ ergeben könnte - wenn beispielswei-se die nicht-erneuerbaren Ressourcen tatsächlichausgehen oder die Kaufkraft soweit sinkt, daßsich die Bevölkerung den gegenwärtigenWohlstand nicht mehr leisten kann - bleibt weit-gehend offen.

Sich dieser Problematik bewußt, wollen diegenannten Untersuchungen vor allem eines lei-sten: die Begrenztheit der Umweltressourcen be-wußt machen, den derzeitigen Stoff- und Ener-gieverbrauch transparent darstellen und sowohldie Lebensstile der Menschen als auch die tech-nologischen Möglichkeiten derart verändern, daßdie konsumierten Materialmengen insgesamt ver-ringert werden.

Nachhaltige Entwicklung: Eine Einführung12

1.2.4 Ökologischer Fußabdruck

Der ökologische Fußabdruck ist ein ähnlichesKonzept wie das des Umweltraumes; es liefert ein„Planungswerkzeug, das helfen soll, die Kritik ander Zukunftsfähigkeit unserer Lebensweise in ge-meinsames Handeln umzumünzen.“ (Wacker-nagel, 1997, S. 16) Dieses Konzept haben WilliamRees, Professor an der Schule für Regional- undKommunalplanung der University of BritishColumbia (Vancouver/Kanada) und sein Mitar-beiter Mathis Wackernagel entwickelt. Derökologische Fußabdruck mißt den Naturver-brauch der Menschen, indem die Energie- undMaterialflüsse in einer Wirtschaftseinheit ge-schätzt und in Wasser- und Landflächen umge-rechnet werden, die nötig sind, um diese Flüsseaufrecht zu erhalten.

Es handelt sich also um ein Rechenverfahren, dasin ausdrucksstarke Bilder umgesetzt werdenkann, und damit den Umstand des übermäßigenVerbrauchs von Ressourcen und der Überbean-spruchung des Umweltraumes als solchen leichterverständlich und vermittelbar macht.

Dieses Verfahren ist ein Modell, den Naturver-brauch abzubilden, was nur als Annäherung andie realen Verhältnisse geschehen kann, da keinModell in der Lage ist, alle Faktoren mitzu-berücksichtigen. Der individuelle und der natio-nale ökologische Fußabdruck hängen außerdemstark ab vom Einkommen, den Preisen, denKaufgewohnheiten und den vorherrschendenTechnologien. Die Methode erfaßt die Naturbe-lastung durch eine Bevölkerung, indem sie derengesamten Verbrauch analysiert.

Die ökologische Gesamtlast der Menschen wirderkennbar im Produkt aus Bevölkerungszahl malPro-Kopf-Verbrauch. Dieses Produkt wird ineine biologisch produktive Fläche umgerechnet.Da die Autoren zur Vereinfachung der Methodeeher günstigere Vorannahmen treffen, als dieRealität bietet (z.B. daß das erforderliche Land inder Forst- oder Landwirtschaft nachhaltig genutztwird) ist das Ergebnis eine Unterschätzung deswirklichen Flächenverbrauchs der Menschen.

Trotzdem machen die Berechnungen dieSituation sehr deutlich. In Österreich verbrauchteine Person durchschnittlich 5,63 ha Land, dielokal verfügbare Kapazität beträgt 4,84ha/Person. Die global verfügbare Kapazität(inklusive des Fußabdruckes im Meer) ergibtlediglich 2 ha/Person. Seit Anfang diesesJahrhunderts hat die ökologische Fläche pro

Kopf stark abgenommen: statt 5 HektarLandfläche zu Beginn dieses Jahrhunderts sind esheute nur mehr 1,45 Hektar. (vgl. Wackernagel,1997, S. 107ff) Die 25 reichen Länder der Erdemit weniger als 20 Prozent der Weltbevölkerunghaben einen ökologischen Fußabdruck von derGröße der weltweit verfügbaren biologischproduktiven Fläche. (ebd., S. 117) Der Fußab-druck der Menschheit ist also größer als das ver-fügbare Land auf unserem Planeten, das heißt,daß das Naturkapital abgebaut wird, wir also denKapitalstock angreifen.

1.2.5 Bottom-Up - Inseln der Nachhaltigkeit

Neben den bisher dargestellten Ansätzen und Ar-beiten im Prozeß zur Nachhaltigkeit gibt es auchunzählige Bemühungen „von unten“, von Einzel-personen, BürgerInneninitiativen, NGOs, Um-weltorganisationen, Volkshochschulen, usw., dieauch als Bottom-Up-Strategien bezeichnet werden.

Strategien dieser Art sind vielfältigster Natur undmüssen nicht unbedingt mit dem Stichwort„Nachhaltigkeit“ versehen sein (vgl. Agenda 21 -Broschüre). Sie sind oft auf sehr spezifische,regionale Probleme bezogen und es fehlt ihnenan Breitenwirkung. Auf der anderen Seite bietetgerade der Bezug auf den regionalen Raum unddie unmittelbare Nähe zum Problem eine genaueKenntnis der Situation, die um so gezieltere Ein-griffe möglich macht. Die beteiligten Personensind die ExpertInnen auf diesem Gebiet unddamit auch hoch motiviert. Derartige Initiativensind ebenso ein wichtiger Schritt, um dem Zielnachhaltiger Entwicklung näher zu kommen.NGOs oder Einzelpersonen sind unabhängigerund können so vielleicht eher unkonventionelle,innovative Aktionen setzen. Nichtsdestotrotz be-darf es auch gesamtgesellschaftlicher Leitbilder,mit denen sich weite Teile der Gesellschaft identi-fizieren können und die die Kommunikation übertraditionelle Systemgrenzen hinweg ermöglichen.

Wallner, Narodoslawsky und Moser (1996),Wissenschafter der Grazer Technischen Univer-sität, arbeiten an dem Konzept „Inseln der Nach-haltigkeit“, das einen Versuch darstellt, einenBottom-Up Ansatz im Hinblick auf konkreteUmsetzungsversuche theoretisch zu formulieren.Der Ansatz geht von vier Arbeitshypothesen aus:„1) Anthropogene Materialflüsse dürfen die loka-len Aufnahmekapazitäten nicht überschreitenund sollten kleiner sein, als die natürlichenSchwankungen geogener Flüsse. 2) Anthropo-gene Materialströme dürfen die Qualität und dieQuantität globaler Stoffkreisläufe nicht ver-

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 13

ändern. 3) Erneuerbare Ressourcen sollen nursoweit genutzt werden, daß ihre natürlicheRegenerationsrate nicht überschritten wird. 4)Die natürliche Vielfalt der Arten undLandschaften soll erhalten oder verbessert wer-den.“ (ebd., S. 1746) Außerdem sind für den Pro-zeß der Nachhaltigkeit Verteilungsgerechtigkeitzwischen den Generationen, interregionaleVerbindungen und trade-offs, Wiederverwend-barkeit von Produkten und Abfällen,Unsicherheiten im Hinblick auf Langzeitent-wicklungen und die Integration von Ökonomieund Ökologie von zentraler Bedeutung.

Ein Weg zur Nachhaltigkeit auf globaler Ebenekönnte demnach darin bestehen, daß Regionenihre Tragfähigkeitsgrenzen nicht überschreiten,und damit in Form von „Inseln der Nach-haltigkeit“ Kristallisationspunkte bilden, vondenen ausgehend das Prinzip der Nachhaltigkeitsich global verbreiten kann. Um solche Nach-haltigkeitsinseln entstehen zu lassen und definie-ren zu können, was diese ausmacht, bedarf esallerdings noch genauerer Kenntnisse der mensch-lichen Einflüsse auf die Regionen.

Die Autoren versuchen mit Hilfe der System-theorie darzustellen, in welcher Weise eine Regionund deren Interaktion mit der Anthroposphäreals Systeme beschrieben werden können, undwelche Konsequenzen diese Einsichten in Bezugzur Nachhaltigkeit fordern. Sie kommen zu demSchluß, daß der Weg zu regionaler Nachhaltigkeitein Prozeß ist, der Folgendes beinhalten muß: DieRegion als Kristallisationspunkt nachhaltigerEntwicklung hat dynamisch definierte System-grenzen; es handelt sich um ein Netzwerk höch-ster Komplexität, dessen einzelne Subsysteme inintensivem Austausch stehen; interne Kom-munikation11 hat höchsten Stellenwert; ihre loka-len Potentiale werden unter Berücksichtigung desPrinzips der Nachhaltigkeit voll ausgeschöpft; dieStofflüsse durch die Region werden imUnterschied zu den Stofflüssen der Umgebungminimiert, und statt dessen werden die internenStoffkreisläufe optimiert; die Region sucht eineBalance zwischen interner und externer Kom-munikation (das heißt, daß weder die voran-schreitende Globalisierung der Wirtschaft, nochvöllige Subsistenz oder wirtschaftliche Autarkiewünschenswerte Ziele sind); nachhaltige Regio-nen bemühen sich um ein ausgewogenes Verhält-

nis zwischen ökonomischer Vielfalt und Überfluß,indem sie sowohl große als auch mittlere und klei-ne Unternehmen beherbergen, und auch unter-schiedliche Industriebranchen, Land- und Forst-wirtschaft; dadurch sollen solche Inseln derNachhaltigkeit für eine bestimmte Zeit stabil seinund eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüberStörungen aus der Umwelt und dem außerhalbder Region befindlichen ökonomischen Systemaufweisen.

Der Veränderungsprozeß einer Region hin zueiner Insel der Nachhaltigkeit findet nicht ineinem Schritt statt, sondern in mehreren Stufen.Am Beginn steht der Versuch, regionale ökono-mische Netzwerke zu gründen, indem beispiels-weise Abfälle aus einer Industriebranche alsRohmaterial für eine andere dienen. Auf einer all-gemeineren Ebene geht es um das Bemühen, dieKommunikation innerhalb einer Region zwischenden unterschiedlichsten AkteurInnen zu intensi-vieren, um zu vernetzten Handlungen zu gelan-gen. Das Ergebnis einer solchen Entwicklungkann eine Region sein, die zwar innerhalb ihrerGrenzen nachhaltig wirtschaftet, aber immernoch Produkte oder Dienstleistungen importiert,die in nicht-nachhaltigen Zusammenhängen ent-standen sind. Das bedeutet, daß die Regionimmer noch auf Kosten ihrer Umgebung lebt,indem sie nicht-nachhaltige Prozesse auslagert.

Eine wirkliche Insel der Nachhaltigkeit verzichtetweitgehend auf nicht-nachhaltige Dienst-leistungen. Eine solche Insel kann zu einem Aus-gangspunkt werden, von dem aus Nachhaltigkeitsich weiter verbreitet, da jede Region - egal in wel-cher Weise sie wirtschaftet - Auswirkungen aufandere Regionen oder Systeme hat, indem siediese stört. Wallner, Narodoslawsky und Moserformulieren die Hoffnung, daß solche Inseln derNachhaltigkeit als Entwicklungszellen fungierenkönnen, die - unter bestimmten Bedingungen,wie sie in dem fortschreitenden Paradigmen-wechsel von einem mechanistischen zu einemholistischen Weltbild bereits anklingen - der Ideeder Nachhaltigkeit auf globaler Ebene zumDurchbruch verhelfen. (vgl. ebd., S. 1775)

Die Autoren stellen fest, daß die Verwirklichungder Vision sowohl eines nachhaltigen sozio-öko-nomischen Systems als auch von Inseln derNachhaltigkeit noch weit entfernt ist, daß es aber

Nachhaltige Entwicklung: Eine Einführung14

11 Die Autoren erweitern den Begriff der Kommunikation auf alle Formen des Austausches mit der Umwelt sowohl innerhalb des Systemsals auch nach außen. Die Medien des Austausches können Materialien, Energie, Information, Kultur, Kapital und auch Menschen sein.(vgl. ebd., S. 1769)

bereits Anzeichen für erste Schritte in dieseRichtung gibt. Als Beispiel verweisen sie auf dieTrier-Region in Deutschland; die Region Güssingin Österreich; und die Basaisa Region im ägypti-schen Nil-Delta. Die Autoren selbst engagierensich im Projekt „ÖKOFIT“. Dieses Projektbezieht sich auf die „Ökologische RegionFeldbach mit Integrierten Technologien“ undversucht dort, neue Formen von Netzwerken zuinitiieren, wie zum Beispiel die Kombination vonSchlachthäusern, Zuchtfarmen und dem Energie-system der Region in Bezug auf die Produktionvon Biogas.

1.2.6 Nachhaltige Entwicklung - ein Para-doxon?

Bisher herrscht in der Wissenschaft und auch inder Soziologie ein Begriff von „Entwicklung“vor, der eine spezifische Deutung von Verände-rungsprozessen impliziert. „Soziale Veränderungwird konzipiert erstens als natürlich, zweitens alsgerichtet, drittens als immanent, viertens als kon-tinuierlich, fünftens als notwendig und sechstensals hervorgehend aus gleichbleibenden Ursa-chen.“ (Robert Nisbet, 1969, S. 166ff; zit. nachWehling, 1997) Entwicklung wird als linear - zuhöheren Stufen fortschreitend - betrachtet und istaußerdem eng mit quantitativem Wachstum ver-knüpft. Auf Entwicklungsländer bezogen, wirddann von einer nötigen „nachholenden Ent-wicklung“ gesprochen insbesondere in Bezug aufwirtschaftliches Wachstum zur Bekämpfung derArmut. (vgl. Brundtland-Report)

Maria Mies (1995) entlarvt die Idee der „nachho-lenden Entwicklung“ eindeutig als Mythos, der zu„einer globalen Ideologie geworden“ (ebd., S. 89)ist, und der aufrechterhalten wird, um die Länderdes Südens weiter in Abhängigkeit zu halten, aus-zubeuten und die Kosten unseres Wohlstandes so-wohl auf die Menschen als auch auf den Natur-raum dieser Länder abzuwälzen. Das Gefälle, beidem die eine Seite „es schon geschafft hat“, dieandere Seite noch einige Anstrengungen zu inve-stieren hat, um es auch zu schaffen, bezieht sichaber nicht nur auf Industrie- und Entwicklungslän-der, sondern auch auf Gegensätze wie Weiß -Farbig, Mann - Frau, Stadt - Land usw. Maria Mieszeigt auf, was auf der Hand liegt: dieEntwicklungsländer, Frauen, Bauern, Farbigenkönnen nicht „aufholen“, weil die Verteilung derRollen sowohl systemimmanent sind, als auch zudessen Aufrechterhaltung notwendig. Zum einenwird die Zeit nie reichen, denn die Industrieländer

entwickeln sich ja auch immer weiter, womit derAbstand konstant bleibt, da bei dieser Form derEntwicklung theoretisch keine Grenzen existieren.Zum anderen, und das ist das Hauptargument,basiert diese Ideologie auf Gewalt, mit der res-sourcenreiche Länder (Frauen, Bauern,MigrantInnen, ...) kolonisiert und ausgebeutet wer-den. Doch die Erde ist begrenzt, es fehlt also wei-terer Raum, den sich die Ausgebeuteten aneignenkönnten, um eine ähnliche Entwicklung zu voll-bringen und nicht zuletzt fehlt den Kolonisiertendie Macht, eine solche Herrschaft auszuüben. Miesargumentiert weiter, daß der Lebensstandard dermodernen Industriegesellschaften noch nicht ein-mal für alle auf der Erde wünschenswert ist, da derPreis hoch ist für den stets steigenden Lebens-standard: „das psychische Elend, die Einsamkeit,die Ängste, die Süchte und Abhängigkeiten, dasUnglück und der Verlust an Identität“ (ebd., S. 91).

Nachhaltige Entwicklung erhebt im Gegenteilden Anspruch gleicher Verteilung der Ressourcenund Möglichkeiten. Sie öffnet den Blick dafür,daß Entwicklung im evolutionären, linearen undtechnologischen Sinn die Grenzen der ökologi-schen Tragfähigkeit weit überschreiten würde,würde nicht versucht werden, neue Perspektivenauf gesellschaftliche Veränderungen zu werfen.Demnach sprengt sustainable development dastradierte Bedeutungsfeld von „Entwicklung“ vorallem in zwei Richtungen auf:

„Nachhaltige Entwicklung kann nicht als immanentkonzipiert werden, da hierbei nicht nur endogene gesell-schaftliche Potentiale entfaltet, sondern diese auch mitnatürlichen Entwicklungsmöglichkeiten (und -grenzen)verknüpft werden müssen. Ebensowenig ist nachhaltigeEntwicklung als gerichtet, kontinuierlich und notwendigvorstellbar: sie kann Strukturbrüche mit einschließen undstellt einen offenen und kontingenten Prozeß dar, in demGesellschaften immer wieder versuchen müssen, ihreDynamik mit der Stabilisierung ihrer natürlichen Grund-lagen in Einklang zu bringen“. (Wehling, 1997, S. 42)

Nachhaltige Entwicklung beschreibt demzufolgegar keinen „Entwicklungsprozeß“ (im herkömm-lichen Sinn von Entwicklung), sondern eine Kon-stellation gesellschaftlicher und ökologischer Ver-änderungen, für die die Soziologie bisher keineBegrifflichkeit besitzt. Wehling plädiert dafür,nachhaltige Entwicklung als einen „Analyse-,Handlungs- und Konflikt-Rahmen (zu betrach-ten), innerhalb dessen unterschiedliche Gesell-schaften jeweils eigene Entwicklungspfade de-finieren, einschlagen und erproben“ (ebd., S.40).

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 15

Von nachhaltiger Entwicklung zu sprechen, kannalso irreführend sein, solange diese Vorstellungvon Entwicklung in modernen Gesellschaftendominiert, bzw. auch das Fundament der kapitali-stischen Marktwirtschaft ausmacht. Die interna-tionalen Anstrengungen zum Diskurs umNachhaltigkeit sind erst durch genau dieseEntwicklung und ihre Folgen notwendig oderauch möglich geworden.

Auch Christoph Spehr thematisiert den Macht-aspekt in der Diskussion um nachhaltige Ent-wicklung kritisch. Er geht sogar so weit, zu sagen,daß die Auseinandersetzungen um Nachhaltigkeitim Grunde nur der Versuch der Herrschendensei, das ins Wanken geratene System derDominanz und Ausbeutung zu konsolidieren.

In seinem Buch „Die Ökofalle“ (1996) erläuterter seine Ansicht, der zu Folge der gängige Dis-kurs um Nachhaltigkeit weit weniger Ausdruckeiner ökologischen als vielmehr einer sozialenKrise sei. Die herrschenden Machteliten - vorallem die Akteure der globalen Wirtschaft -bedienten sich dieses Diskurses, um ihreHerrschaft zu sichern. Die „Ökofalle“ besteht fürSpehr in dem Umstand, daß ökologischeVerhältnisse ohne Bezug auf den Herrschafts-charakter von Gesellschaften betrachtet werden.(vgl. ebd., S. 154) Die Ausdehnung der globalenWirtschaft ist für ihn kein Weg, die ökologisch-soziale Krise zu lindern, sondern im Gegenteil,sie stabilisiert das Gefälle zwischen Norden undSüden nur weiter, worauf bisher auch alle Anzei-chen hindeuten. Sein Weg aus der Krise bestehtdarin, die Interventionsmacht des Nordens zuverringern, das hieße aber auch, das Zurück-drängen des globalen Sektors im eigenen Land,um der lokalen Wirtschaft eine Chance zu geben.

Wie auch immer die Intentionen der unterschied-lichen AkteurInnen aussehen mögen, ich vertreteden Standpunkt, daß der Diskurs um „nachhalti-ge Entwicklung“ die Grenzen des Wachstums,und damit die Grenzen moderner Industriegesell-schaften und der kapitalistischen Marktwirtschaftauf einer neuen - globalen - Ebene verdeutlicht.Ich sehe darin auch eine Chance, an derGestaltung der Zukunft teilzunehmen. Es wirdallerdings keine Rezepte geben, die die Situationvon heute auf morgen verändern. Im Gegenteil:um einer lebenswerten Zukunft entgegen zu

gehen, wird es mühsamer Prozesse bedürfen, indenen Vieles neu auszuverhandeln sein wird - imKleinen wie im Großen. Deshalb schlage ich vor,statt von nachhaltiger Entwicklung, von einemWeg zur Nachhaltigkeit zu sprechen. Wannimmer der Begriff der nachhaltigen Entwicklungverwendet wird, ist es jedenfalls wichtig, dabei mitzu bedenken, daß sich auf dem Weg zurNachhaltigkeit auch das herkömmliche Bild vonEntwicklung verändern wird.

1.2.7 Prozeßhaftigkeit

Der Diskurs um nachhaltige Entwicklung eröff-net die Möglichkeit, traditionelle, wissen-schaftliche Paradigmen und auch Methodengrundsätzlich in Frage zu stellen. Die zunehm-ende Komplexität moderner Gesellschaften, unddie von ihr erzeugten nicht kalkulierbaren Un-sicherheiten und Risiken drängen auf neueStrategien, um mit den Unbestimmtheiten derZukunft umzugehen. Dies erfordert neueHerangehensweisen an die selbstgemachtenProbleme und an die Forschung zu deren Lösung.Das lineare Denken hat sich erübrigt, mehr noch,es hat sich selbst als ein zentraler Problemver-ursacher entlarvt. Damit werden auch traditionel-le Problemlösungsstrategien hinfällig. Es bedarfStrategien, „die ermöglichen, die Zukunft fürbestimmte Entwicklungen offen zu halten. SolcheOptionen sind selbst unbestimmt und unbe-stimmbar. Sie sind als Prozesse, nicht alsEndzustände oder visionäre Utopien zu denken,selbst wenn Zukunftsbilder immer ein unabding-barer Bestandteil des Prozeßdenkens bleibenmögen.“ (Nowotny, 1996, S. 159)

Dies verweist auf einen weiteren zentralenAspekt: Die Geschichte ist reich an Sozialutopien- insbesondere was Stadtmodelle betrifft - dieeinen statischen Endzustand proklamieren. Dabeiwird der dynamische Aspekt der Gesellschaftzugunsten mehr oder weniger konkret entwickel-ter Gesellschaftsordnungen weitgehend ausge-blendet.12

In der Soziologie hat Comte die Dichotomie vonStatik und Dynamik eingeführt, wobei er - ineiner Analogie zur Physik - die beiden Aspekte alsgetrennte postuliert, die mit unterschiedlichenMethoden zu analysieren seien und so zwei ver-schiedene Zweige der Soziologie begründen soll-

Nachhaltige Entwicklung: Eine Einführung16

12 Vgl. beispielsweise Howards Modell der Gartenstadt (Kap. 2), in dem insofern ein statisches Modell von Städten entworfen wird, alsderen Wachstum an konkreten Grenzen Halt macht. Darüber hinaus gehender Bedarf soll in Form der Gründung neuer Gartenstädtegedeckt werden. Ziel ist, daß letztendlich jede menschliche Siedlung aufgrund des Erfolges der Pionierstädte zu einer Gartenstadt wird.Weder ökologische noch andere Grenzen sind in dem Modell angedacht, das zu der Zeit von den „unendlichen Schätzen“ des Planetenausgeht. (Howard, 1968, S. 136)

ten. Comte drückte diese Dichotomie zugleich inpolitisch-kulturellen Begriffen als Verhältnis von„Ordnung“ und „Fortschritt“ aus. (vgl. Wehling,1997, S. 43) Diese Sichtweise ist bis heute aktuell,allerdings erwies und erweist sich „die separateBehandlung der beiden Dimensionen (...) gegenü-ber der gesellschaftlichen Realität als unangemes-sen.“ (ebd.) Für die Soziologie charakteristisch ist,daß dieser Gegensatz bislang fast ausschließlichals innergesellschaftliches Verhältnis thematisiert,nicht aber auf das Verhältnis der Gesellschaft zurNatur bezogen und in seiner Verschränkung mitihr erkannt worden ist. Richtet man den Blick aufdie ungeheure Dynamik des Gesellschaft-Natur-Verhältnisses, wie sie sich besonders rasch in denletzten 200 Jahren abgespielt hat, wird dieVorstellung eines stabilen, gesellschaftlichenZustandes obsolet. Es hat sich gezeigt, daß sozia-le Utopien nicht zu realisieren sind, weil „dasstofflich-energetisch-industrielle System offen-sichtlich eine Eigendynamik besitzt, die sich jen-seits der kulturellen-politischen Organisations-formen vollzieht, von diesen vielleicht gestört,nicht aber gesteuert wird. Das System scheinteine eigentümliche evolutionäre Selbständigkeitgewonnen zu haben, die Willens- und Entschei-dungsprozessen unzugänglich bleibt.“ (Sieferle,1997, S. 159)

Da ein permanent wachsendes System eine physi-kalische Unmöglichkeit ist, kann „Wachstum“prinzipiell nur ein Übergangsphänomen sein; dasheißt, daß wir uns in einem stetigen Transfor-mationsprozeß befinden. Daher existiert, Sieferlefolgend, eine „Industriegesellschaft“ im Sinneeiner dauerhaften sozialen, ökonomischen oderpolitischen Struktur überhaupt noch nicht.

„Was immer wir in den letzten zweihundert Jahren beob-achtet haben mögen, was immer Gegenstand soziologischeroder ökonomischer Theoriebildung gewesen sein mag, eshatte lediglich den Charakter eines Schnitts durch einenhochdynamischen Prozeß, der prinzipiell nicht von Dauersein kann. Was man für die Strukturanalyse einer Gesell-schaft gehalten hat, waren nichts als Momentaufnahmenvon Wandlungsprozessen, deren scheinbare Stabilität sichder Täuschung verdankt, daß man die kurze lebensweltli-che Zeit des Beobachters mit der länger angelegten Dauerder Systemzeit verwechselt hat. Die Merkmale desZustandes aber, auf welchen dieser Prozeß einschwenkenwird, lassen sich aus den beobachteten Ordnungsmusternder Prozessualität selbst nicht ableiten.“ (ebd., S. 160)

Sieferle geht sogar so weit, die Idee der „Moderne“

- als einer stabilen, auf Dauer angelegtenIndustriegesellschaft - ins Reich der Fiktion zuverweisen. Seines Erachtens bleibt der Begriffvöllig inhaltsleer angesichts der Tatsache, daßmodern „der jeweilige Status quo sowie die Über-windung dieses Status quo zugleich (ist); es istdas, was geschieht, und zugleich das, was gesche-hen soll. Da man aber kein Wissen davon besit-zen kann, wohin sich dieser Prozeß bewegt, ist‘modern’ schlechthin alles, und das bedeutet:nichts.“ (ebd., S. 162) Das Denken unter derBegrifflichkeit der Moderne bedeutet einFesthalten an dem alten Fortschrittsglauben. Daaber der Endzustand der Entwicklung offen blei-ben muß, können sämtliche Orientierungs-anstrengungen immer nur in Hinblick auf dieVergangenheit vorgenommen werden, von dersich der Prozeß wegbewegt. „Die Zukunft dage-gen bleibt prinzipiell offen und entzieht sich jederBeschreibung.“ (ebd., S. 161)

Solche Denkmuster sind allerdings recht verbrei-tet. Die Sehnsucht nach Stabilität scheint sehrgroß zu sein. Zumindest existiert eine gewisseErwartungshaltung in diese Richtung. InDiskussionen über mögliche Strategien auf demWeg zur Nachhaltigkeit ist oft zu beobachten, daßdie teilnehmenden AkteurInnen sich handfesteZiele und Programme wünschen, deren Anwen-dung zu konkreten Ergebnissen führt, die sich ambesten auch noch messen lassen. Doch dies istnur ein (wichtiger) Teil, der mit herkömmlichenMethoden noch relativ einfach zu bewerkstelligenist. Woran es mangelt und was es zu entwickelnund zu erproben gilt, sind neue Kommunika-tions- und Handlungsformen, die Teil eines steti-gen Prozesses und damit auch ständig revidierbarsein müssen.

„Wo eine Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklungnicht möglich, geschweige denn beherrschbar ist, gewinntder lokale, variable, zeitliche und räumliche Kontext anBedeutung. Die Vielzahl multipler Endoperspektiven ge-winnt Vorrang vor einer universellen oder gene-ralisierbaren Exoperspektive. In einem Meer anInstabilität entstehen kleine Inseln von relativer Stabilität,die sich in einem emergenten, selbstorganisierenden Prozeßuntereinander verbinden.“ (Nowotny, 1996, S. 160)

In dem Zitat von Helga Nowotny ist auch derVerweis auf die Bedeutung des lokalen Kontextesund die Dimensionen Raum und Zeit enthalten,die besonders in Bezug auf Stadtentwicklung einewichtige Rolle spielen.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 17

2 STADTENTWICKLUNG: HISTORI-SCHE ASPEKTE UND LEITBILDER

Das Leitbild der „nachhaltigen Stadt“ hat seineWurzeln nicht nur in der Geschichte des Begriffesder Nachhaltigkeit, sondern auch und vor allemin der Stadtentwicklung der letzten 200 Jahre, alsAntwort auf die im Zuge dieser Entwicklung ent-standenen Probleme. Der rasante Wandel und vorallem das Wachstum der Städte infolge der Indus-trialisierung ist schon seit Beginn des 19.Jahrhunderts Gegenstand vielfältiger Kritik.Insbesondere in London und Paris, die Europaserste Millionenstädte waren, regte sich sehr frühso etwas wie Großstadtfeindlichkeit und paralleldazu wurden Konzepte und Modelle entworfen,wie die Übel der Großstadt zu bewältigen wären.Solche Überlegungen schlugen sich in Sozial- undStadtutopien nieder.

Ziel dieses Kapitels ist es, historische Leitbilderals Hintergrund für das Leitbild der nachhaltigenStadt zu untersuchen, um herauszufinden, wodieses anschließt, und was es von den histori-schen Leitbildern unterscheidet. Welche Miß-stände beschreiben und bekämpfen die Leitbilderzu Beginn des Jahrhunderts? Welche Lösungs-vorschläge werden dafür geboten? Und welcheVorstellungen von Gesellschaft lassen sich dahin-ter erkennen? Nicht zuletzt geht es um die Frage,welche Konsequenzen diese Leitbilder nach sichzogen, bzw. ob sich die formulierten Absichtenverwirklichen ließen?

Idealvorstellungen von Stadt gibt es zumindestseit der Antike. Auch im zwanzigsten Jahrhundertsind eine Unzahl von Leitbildern formuliert unddiskutiert worden. Dabei spielen das Leitbild der„Gartenstadt“ und das der „funktionellen Stadt“eine besondere Rolle, weil sie anscheinend erheb-lichen Einfluß auf die Stadtentwicklung hatten -und bis heute viel Beachtung finden, bzw. denpolitischen und gesellschaftlichen Vorstellungenentgegenkamen. Die Idee der Gartenstadt korre-spondierte beispielsweise mit dem Wunsch nacheinem „Eigenheim im Grünen“ - ein Wunsch, derheute noch von vielen gehegt wird. Die „funktio-nelle Stadt“ orientierte sich an einer fordistischenBetriebsorganisation und verstärkte die zuneh-mende Funktionstrennung.

Zuvor werden einige grundsätzliche Aspekte derStadtentwicklung des 19. Jahrhunderts dargestellt,da diese den Rahmen für die darauf folgendeStadtkritik darstellen.

2.1 RAHMENBEDINGUNGEN DERSTADTENTWICKLUNG IM 19. JAHR-HUNDERT

Ich gehe von der These aus, daß städtischeStrukturen gesellschaftliche Strukturen und derenMachtverhältnisse abbilden. So formuliertHoffmann-Axthelm, daß die Stadtstruktur „diematerielle Seite, das gebaute Gehäuse sozialerBindungen“ ist. (1993, S. 192) Demnach läßt sichdas „Artefakt Stadt“ als Ausdruck politischer,wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse lesen.Städtebauliche Leitbilder sind Versuche, Wunsch-vorstellungen von Gesellschaft in gebauteStrukturen zu übersetzen. Sie stehen in engemZusammenhang mit den gesellschaftlichen Ver-hältnissen und Visionen einer bestimmtenEpoche.

Seit Beginn der industriellen Revolution habensich sowohl das Stadtbild, als auch derenFunktionen drastisch gewandelt. Viele Bedingun-gen des modernen Städtebaus ergaben sich durchdie wirtschaftlichen und politischen Veränderun-gen im 19. Jahrhundert, deren Relikte bis in unse-re Zeit wirken. Eines der markantesten Merkmaledieser Veränderungen ist die enorme Geschwin-digkeit, in der sie sich vollziehen. ZentralesMoment der Entwicklung ist die moderneMarktwirtschaft, die die Ausformung der Städteentscheidend mitbestimmt. Die Entstehung desKapitalismus hat sich über lange Zeit vorbereitet;durch die Industrialisierung konnte er sich auf-grund neuer Energieformen und damit ein-hergehender neuer Massenproduktionsformenvoll entwickeln. Die Dynamik der neuenWirtschaftsordnung verwandelte die hierarchisch-gegliederte Ständeordnung in eine von wider-sprüchlichen ökonomischen Interessen geprägteKlassengesellschaft mit neuen bürgerlichenSchichten und einem anwachsenden Industrie-proletariat.

Das 19. Jahrhundert ist politisch durch den libe-ralen Rechtsstaat geprägt, der die Interessen derbürgerlichen Gesellschaft als Träger eines ökono-mischen Strukturwandels vertritt, und „der diemerkantilistische, auf Subsistenz und derInstitution des “Ganzen Hauses” gründendeWirtschaft in eine dynamische Industriegesell-schaft verwandelte. „Den politischen Natur-rechts- und Vertragstheorien entsprach dabei aufwirtschaftlicher Ebene die Theorie des freienMarktes“, wie sie insbesondere von Adam Smithim ausgehenden 18. Jahrhundert formuliert

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder18

wurde. (Böhme, 1996, S. 71) Ökonomen empfah-len ganz im Sinne des wirtschaftlichenLiberalismus, den öffentlichen Einfluß, auch inder Stadt- und Bauplanung, einzuschränken.Daraus resultierte die Freiheit der privaten Unter-nehmer im Immobilienbereich, wodurch derBodenspekulation Tür und Tor geöffnet wurde.

„Nicht nur der Besitz an Grund und Boden wurde zueinem bürgerlichen Herrschaftsinstrument, sondern auchdessen räumliche Differenzierung im Stadtgebiet und seineschichtenspezifische Zuteilung. Die Stadtorganisationwurde nun gleichfalls verändert, so daß das zu ökonomi-scher und politischer Macht gelangte BürgertumStadtnutzungsschemata durchsetzen konnte, die einmal er-oberte Privilegien in der materiellen Umwelt der Städteverankerten.“ (Reinborn, 1996, S. 24f)

In dieser „liberalen Stadt“ überlagerten sich pri-vate und öffentliche Initiativen, die weder umfas-send geplant noch aufeinander abgestimmtwaren, so daß als Ergebnis eine ungeordnete undunbewohnbare Umgebung entstand.

„Die unternehmerische Freiheit des Einzelnen, die alsGrundvoraussetzung für die Entwicklung der kapitalisti-schen Industriegesellschaft galt, erwies sich als ungeeignet,um die mit dem wirtschaftlichen Aufschwung verbundenenVeränderungen im Bereich des Wohnungs- und Städte-baus in geordnete Bahnen lenken zu können. Die ärmerenTeile der Bevölkerung waren von den schlechten Lebens-bedingungen in den Industriestädten am stärksten undunmittelbarsten betroffen, aber auch die höherenGesellschaftsschichten konnten sich ihnen nicht völlig ent-ziehen.“ (Benevolo, 1983, S. 803)

Dieser soziale und ökonomische Wandel schufein radikal verändertes Bild der Stadt. (vgl.Reinborn, 1996, S. 26) Sie verlor ihre politischbegründete Einheit und Identität und ihrenCharakter als bürgerliches Gemeinwesen. Nachder Revolution von 1848 entwickelte die siegrei-che Bourgeoisie ein neues Modell der Stadt-planung. Die absolute unternehmerische Freiheitwurde durch Eingriffe der staatlichen Ver-waltungsorgane eingeschränkt, die Bauvorschrif-ten erließen und öffentliche Baumaßnahmendurchführten. Innerhalb der nun etwas engergesteckten Grenzen hatte der einzelne Bauherrjedoch weiterhin völlige Freiheit. Nach demneuen Modell anerkannten sowohl die öffentlicheVerwaltung als auch die privaten Grundstücks-besitzer die Verfügungsgewalt des anderen in des-sen jeweiligem Bereich mit genau festgelegtenGrenzen. Die Verwaltung verfügte nun über so-

viel Grund und Boden, wie für die städtischeInfrastruktur benötigt wurde. Alle Grundstücke,die durch diese städtische Infrastruktur urbani-siert, d.h. bebaubar gemacht wurden, standenihren Besitzern zur freien Verfügung, die dadurchvom Zuwachs an Wertsteigerung profitierten.Weiters wurde die Nutzung der einzelnen Grund-stücke vom jeweiligen privaten oder öffentlichenBesitzer festgelegt, wobei die Straßenfronten dieGrenzlinien zwischen den öffentlichen und denprivaten Bereichen waren und die Grundstrukturder Stadt bestimmten.

Die Bauweise in dieser „post-liberalen Stadt“basierte auf einem „Fluchtlinienplan“, nach demdie Gebäude grundsätzlich in zwei verschiedenenPositionen stehen konnten: direkt an derStraßenfront oder abgelegen von der Straße.Ersteres war am besten geeignet für die Gebäudeim Stadtkern, dem Zentrum des Handels, weildies Straßen die Funktion von Korridoren fürden Verkehr hatten und den im Parterre befindli-chen Geschäften als Zugang dienten. Die in denoberen Stockwerken gelegenen Wohnungen undBüros mußten sich diesem primär an denAnforderungen des Verkehrs und des Handelsausgerichteten Schema unterwerfen und die da-mit verbundenen Unannehmlichkeiten in Kaufnehmen. Die weniger dichte Bauweise - abgele-gen von der Straße - bot angenehmeres Wohnen,war aber nur am Stadtrand möglich. Beides warökonomisch, denn die Bebauung mit geringererDichte (z.B. Villen) für Wohlhabende war teuer,und die weniger kostspielige Bebauung für untereSchichten war dafür mehrstöckig und von hoherDichte. Da die Zahl der Wohnhäuser der einenoder anderen Art derartig zunahm, war in derStadt selbst für ausgedehntere Gebäudekomplexeoder Industrieanlagen und Lagerhäuser, die stän-dig vergrößert werden mußten, kein Platz mehr.Diese Elemente wurden in einem dritten, kon-zentrisch um die Stadt verlaufenden Bereichangesiedelt. Dieser vorstädtische Bereich stellteeine Mischung aus Stadt und Land dar und wurdeimmer weiter zurückgedrängt, je mehr sich dieStadt ausdehnte.

Aufgrund des stetig zunehmenden Flächen-mangels begannen die Akteure in der „post-libe-ralen“ Stadt die aus früheren Zeiten stammendenStadtanlagen zu zerstören. Aus den ursprüngli-chen Straßen machten sie Durchgangsstraßenund schafften die Bereiche ab, die früher sowohlöffentlich als auch privat genutzt wurden.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 19

Historisch waren allerdings nicht nur die politi-schen und wirtschaftlichen Umstände maßge-bend für die städtische Entwicklung. Unter derPerspektive der jeweils zur Verfügung stehendenEnergieform lassen sich verschiedene Arten vonGesellschaften und deren Metabolismus unter-scheiden.13 Die Art des gesellschaftlichen Meta-bolismus hat Auswirkungen auf die Gestaltungder Landschaft und der Städte. Die vor etwa 5000Jahren sich durchsetzende agrarische Zivilisationbedingte ein gegenüber Jäger- und Sammlerge-sellschaften starkes Bevölkerungswachstum, daszum Aufbau hierarchischer Strukturen beitrug.(vgl. Sieferle, 1997, S. 99f) Die Basis der agrari-schen Zivilisation war die bäuerliche Be-völkerung, die mindestens 80% der Gesellschaftausmachte. Daneben entstand ein städtischer undgewerblicher Sektor, der in der Regel auf die Be-dürfnisse der herrschenden Klasse zugeschnittenwar. Städte, die im Laufe der Entwicklung derAgrargesellschaften entstanden, waren häufig derSitz des Herrschaftsapparates, der aus den Über-schüssen der bäuerlichen Wirtschaft getragen wurde.

Die agri-kulturelle Stadt war von dem geprägt,was wir heute „Urbanität“ nennen. Sie vereinteunterschiedlichste Funktionen in sich, die eng mitdem Herrschaftssystem in Verbindung standen.Sie besaß fast immer eine militärische Festungund ein religiöses Verehrungszentrum; als Ver-waltungszentrum bot die Residenzstadt Be-schäftigung für eine Vielzahl von Menschen, diemit Vorratshaltung, Tributerhebung, Rüstung,Rechtspflege und Archivierung befaßt sind. Inder Stadt wohnten Aristokraten, die die Nähezum Hof suchten. Nahrungsmittel und Roh-stoffe, die vom Land in die Stadt fließen, wurdendort weiterverarbeitet und konsumiert. Es siedel-ten sich zahlreiche Dienstleistungsberufe an,Handwerker, Tagelöhner, Künstler, Ärzte undHändler, die die Masse der städtischen Bevölke-rung bildeten. (vgl. ebd., S. 108ff) Dadurch ent-stand ein reges und buntes Stadtleben auf einersehr geringen Fläche, das durchaus nicht nur sorosig war, wie wir uns das heute gerne vorstellen.Aufgrund der unhygienischen Lebensbedin-gungen und der kurzen Übertragungswege fürKrankheitserreger lag die Sterblichkeit dauerhaftüber der Geburtenrate. Deshalb waren vorindu-strielle Städte eine Art „Bevölkerungssenke“, diein der Lage war, ländlichen „Bevölkerungs-überschuß“ aufzunehmen, der in den Städtengleichsam „verschwand“. (vgl. ebd. S. 132)

In der Agri-Kulturlandschaft bildeten sich

menschliche Siedlungen in einer unnachahmli-chen ästhetischen Individualität heraus. Obwohldie Hochkultur dazu neigte, sich universell auszu-breiten, waren Architektur und Städtebau dochsehr regional geprägt. Ein Grund dafür war, daßzum überwiegenden Teil mit regional verfügbarenMaterialien gebaut wurde, und daß sich regionale,handwerkliche Traditionen entwickelten, derenStile nicht beliebig manipuliert werden konnten.

„Selbst die idealen Planungsstädte rational geprägter agra-rischer Zivilisation gewannen deshalb eine naturwüchsigeIndividualität, die sie untrennbar mit der umgebendenLandschaft verband. Sie können heute als Zeugnisse dafürgelesen werden, daß das Strukturprinzip der Agrargesell-schaft, ihre Dezentralität, Insularität und Nichtverallge-meinerbarkeit sich selbst auf solchen Gebieten durchsetzte,wo ihm ein starker uniformierender Wille entgegengesetztwurde.“ (ebd. S. 123f)

Bis heute gilt das Bild der mittelalterlichen Stadtund das in ihr imaginierte Leben als Idealbild fürStadt überhaupt. Noch bestehende, historischeStadtteile dienen der Bevölkerung als wichtigesidentitätsstiftendes Moment. Nicht umsonst gibtes seit Beginn des 20. Jahrhunderts Bestrebungen,im Sinne eines Heimat- und Denkmalschutzesdiese historische Bausubstanz zu erhalten. DieMerkmale mittelalterlicher Städte wie Kleinteilig-keit und Differenziertheit, aber auch dieWiederholung der baulichen Strukturen undElemente, führen zu Raumfolgen mit einemWechsel von Enge und Weite und zur Trennungvon Öffentlichkeit und Privatheit.

„Die Einheit von Form und Material, die Integration derDetails in einen Gestaltrahmen und die Geschlossenheitvon Form und Funktion sind (..) keineswegs Zufalls-produkte, sondern (...) Ergebnis eines Regelwerkes“.(Reinborn, 1996, S. 12)

Die kompakte Stadtanlage als Ausdruck einergegliederten Gemeinschaft beruht auf der sozia-len Ordnung der damaligen Gesellschaft, diesowohl durch innere Notwendigkeiten undZwänge, als auch durch äußeren Druck geprägtwar. Heide Berndt ist der Ansicht, daß dieVerklärung der mittelalterlichen Stadt als Idealeines „organisch gewachsenen, harmonischenGebildes“ sich weniger auf die ästhetischenVorzüge bezieht, als auf die zu Wunschbildernästhetisierten gesellschaftlichen Ordnungsverhält-nisse; verklärt werde also die mittelalterlichehierarchische Ständeorganisation. (vgl. Berndt,1968, S. 55f)

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder20

13 vgl. den Abschnitt über "Metabolismus und Kolonisierung von Natur" in Kapitel 1.

Die mittelalterliche Funktionsmischung auf eng-stem Raum wurde das Opfer einer räumlichenAusdifferenzierung der menschlichen Funktions-bereiche. Durch zunehmend arbeitsteiligeWirtschaftsprozesse kam es zu Spezialisierungenund damit zu Funktionstrennungen, die auchdurch neue technische Möglichkeiten forciertwurden. Vor allem die Entwicklung neuerVerkehrsmittel, die zunehmend für immer breite-re Bevölkerungsschichten zur Verfügung standen,ermöglichte die räumliche Ausdehnung derStädte. Im Gegensatz zum Städtebau unserer Zeithandelte es sich aber im 19. Jahrhundert immernoch um baulich gefaßte, und damit räumlichmehr oder weniger geschlossene Stadträume.Größere Unterbrechungen im Stadtbild oder garlockere Bauweise waren Hinweise auf denStadtrand und den Übergang zur freienLandschaft.

Die nach der industriellen Revolution entstande-nen veränderten Stadtstrukturen verdanken ihreExistenz - unter anderem - einem grundsätzli-chen Wandel der Systembedingungen, und zwarder Nutzung von fossilen Ressourcen als Ener-gieträger. Erst mit Hilfe des massiven Einsatzesvon Steinkohle im 19., Erdöl und Erdgas im 20.Jahrhundert entfaltete sich das, was üblicherweiseals Industrialisierung oder Modernisierung bezei-chnet wird. Durch diesen Wandel des Energie-systems, der mit einer spezifischen ökonomischenund sozialen Dynamik einherging, kam es zueiner Phase von außerordentlichem Wachstumder Wirtschaft, das von einem eben solchenWachstum der Bevölkerungszahl, des Pro-Kopf-Verbrauches, des Stoffumsatzes und der Umwelt-verschmutzung begleitet war. „ExplosiverWandel, Wachstum und Transformationen sindzur Signatur eines ganzen Zeitalters geworden.“(Sieferle, 1997, S. 150)

Zu Beginn formierten sich die Industrieanlagennoch in relativer Nähe zu den Förderstätten undbildeten damit eindrucksvolle Ausnahmen ineiner sonst noch weitgehend von Landwirtschaftgeprägten Landschaft. Durch die industrielleMassenproduktion wurde nun eine große Mengestandardisierter Waren erzeugt, die mit Hilfe derEisenbahn zunehmend flächendeckend verteiltwerden konnten. Damit wurden traditionelleHerstellungsmethoden nach und nach obsolet,was zu gravierenden Veränderungen hin zu einerästhetischen Nivellierung vor allem auch imBauwesen führte. Zunächst wurden die Stile

beliebig. (vgl. ebd. S. 184) Im frühen 20.Jahrhundert formierten sich schließlich zweiGegenbewegungen zu dieser Tendenz der stilisti-schen Verflüssigung und Pluralisierung: einerseitsder Historismus und Denkmal- und Heimat-schutz, und andererseits der architektonischeFunktionalismus. Diese beiden Richtungen habenihre Wurzeln in zwei deutlich unterscheidbarenTendenzen im städtebaulichen Denken des 19.Jahrhunderts, nämlich in einem „retrospektiv-konservativem“ und in einem „optimistisch-pro-gressiven“ Denkansatz. Solche Polaritäten findensich auch in der Auseinandersetzung zwischeneinem künstlerischen gegenüber einem techni-schen Städtebau, die z.B. um die Jahrhundert-wende durch die Namen Sitte (1889) undBaumeister (1876) bestimmt wird; sie setzt sichfort in dem teilweise erbittert verfochtenenGegensatz von konservativem bis natio-nalistischem (z.B. Gartenstadtbewegung) undfortschrittlichem bis technikgläubigem (z.B.Neue-Bauen-Bewegung) Städtebau. (vgl. Rein-born, 1996, S. 18 und S .34)

2.1.1 Die veränderte Rolle der Architekten

Die technischen Errungenschaften der industriel-len Revolution brachten auch für den Berufsstandder Architekten Veränderungen. Ursprünglichdürfte die Regelung des Baugeschehens direkt aufder Baustelle durch den Baumeister und denBauherren vorgenommen worden sein.14 Erstdurch Fortschritte in der Zeichentechnik, beson-ders in der Perspektivdarstellung, wird es ab derRenaissance möglich, großzügige und geradlinigeStadtumbauten und Neugründungen planerischdurchzuführen, da die Plandarstellungen auchvermessungstechnisch immer besser umgesetztwerden konnten. Neben den Regeln für dasBauen entstanden zusätzliche städtebaulicheRegeln. Durch die zunehmende zeichnerischeVorbestimmung bekamen die Stadtgrundrisseeinen immer stärkeren grafischen Charakter.(Reinborn, 1996, S. 16f)

Mit verbesserten Möglichkeiten der Darstellungänderte sich auch der professionelle Status desKünstlers und Architekten. Da er durch eine klareTrennung zwischen Planung und Ausführungnicht mehr an Aufträge einer Stadt gebunden warund an verschiedenen Orten arbeitete, erlangte ergrößere Unabhängigkeit von den Auftraggebern,mit denen er bis dahin nur durch ein Vertrauens-verhältnis verbunden war. Seine Aufgaben bezo-

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 21

14 Darüber können nur Vermutungen angestellt werden, weil es weder aus dem Mittelalter noch aus der griechischen oder römischenAntike erhaltene Pläne gibt.

gen sich nunmehr ausschließlich auf die Planungder Gebäude; die Ausführung lag in den Händenvon Bauarbeitern und ihren Organisationen.Dadurch war der Architekt nicht mehr Handwer-ker, sondern rückte in die Nähe der freienKünste, der Wissenschaft und der Literatur. Auchfür den Städtebauer ergaben sich neueAufgabenfelder: Technische Erfordernisse ver-langten nach rationalen Planungen, während dieAusbildung der Stadträume künstlerischesGestaltungsvermögen voraussetzte.

„Diese Spaltung des Berufsbildes hat besonders um dieJahrhundertwende die Gemüter der Fachleute erhitzt, ohnedaß Lösungen gefunden wurden. Die Komplexität ver-schiedener Planungsaufgaben hat schließlich dazu geführt,daß viele Fachdisziplinen sich des Themas Stadt angenom-men haben und häufig in Kooperation planerisch wirken.“(ebd. S. 17)

Hoffmann-Axthelm, der sich auch mit derGeschichte der Stadterweiterungen der letztenhundert Jahre auseinandergesetzt hat, beschreibteinen weiteren Aspekt, der sich gegen Ende des19. Jahrhunderts mit der Herstellung derStadterweiterungen ergab: die Stadtplanung wirdzu einem vermeintlichen Instrument derGesellschaftsplanung, „die über eine als Instru-ment verstandene Stadtplanung Sozialpolitikbetreibt und über Lebens- und Gewinnchancenzu entscheiden vorgibt. Der technische Zugriffauf die Gesellschaft ist dabei der entscheidendePunkt: Hier entsteht die Fiktion einer Modellier-barkeit über Planungsverfahren in der Fläche.“(1995, S. 1397) Fiktion deshalb, weil die prakti-sche Verfügungsgewalt der Planer gegen denWiderstand der tradierten Verhältnisse seit jehereher gering sei.

„Jede Planungsgeschichte eines Idealgrundrisses ist eineGeschichte der Fehlschläge, der Widerstände, der Rück-fälle und der Wiederaneignung idealisierter Räume durchdie nutzwertorientierten Untertanen.“ 15 (ebd. S. 1398)

Die Entstehung der „modernen Planfigur“ ergabsich aus der Ablösung von der Willkür des ancienrégime, die zu jener Figur „politikneutraler Sach-kompetenz“ und „unbedingter Staatsidentifika-tion“ führte, die bis heute den Kern des Planer-bewußtseins ausmacht, wie Hoffmann-Axthelmmeint. Es ging nun nicht mehr darum, dasVorhandene rationaler zu organisieren, sondern esgab seit der Französischen Revolution ein neues

Thema: die neue Gesellschaft. Der Glaube nahmüberhand, daß diese neue Gesellschaft durchStadtplanung, durch den Bau der neuen Stadt,erzeugt werden könnte. Diese Vorstellung schlugsich in einer Unzahl von Idealstadtmodellen nie-der. Hoffmann-Axthelm spricht von der„Diktatur des Technikers im Interesse desGesamtwohls“. Das liberale Bürgertum war dabeider Träger der Kommunalpolitik, in derenInteresse die „soziale Frage“ mit städtebaulichenMitteln gelöst werden sollte. Die Lösung „dersozialen Frage“ ergab kein Stadtbild, sondernerschöpfte sich in technischen Maßnahmen, wieKanalisation, Verkehrswege, Belüftung, Grün-flächen, Krankenhäuser und Asyle. Die „bevor-zugten neutralen Kanäle“ zur Bewältigung desMassenelends waren Verkehr und Hygiene, eine„zähe Allianz“, die bis heute wirksam ist und dieunter anderem das „Stadtideal der funktional ent-flochtenen, in Siedlungszellen zwischen Stadt-autobahnen aufgegliederten Stadt geschaffen undpraktisch durchgesetzt hat.“ (ebd. S. 1399)Entscheidend ist, daß die „soziale Frage“ politischals Wohnungsfrage wahrgenommen und bearbei-tet wurde, wobei sich „Strategie und naturwüchsi-ge Dynamik, Ideologie und Druck der Ver-hältnisse“ hoffnungslos zu vermischen begannen.

2.2 AUSGEWÄHLTE LEITBILDER DESSTÄDTEBAUS IM 20. JAHRHUNDERT

Diese Entwicklung möchte ich exemplarisch anzwei zentralen Leitbildern im 20. Jahrhundertabhandeln: an der Gartenstadt und an der funk-tionellen Stadt. Dabei habe ich mir die Frage ge-stellt, auf welche Funktionsprobleme diese Leit-bilder eine Antwort zu geben versuchen, und wel-che gesellschaftlichen Modelle hinter denLeitbildern stehen. Einzelne Leitbilder isoliertdarstellen zu wollen, birgt gewisse Probleme, dadies eigentlich nicht möglich ist. Leitbilder sindnicht eindeutig abzugrenzen, sie überlappen sichund entstehen oft als Kritik zur vorangehendenEpoche; sie nehmen immer auch Ideen und Ele-mente aus früheren Zeiten auf und wirken aufunterschiedliche Weise und zeitlich verzögert inder Zukunft.

Die Leitbilder sind verwoben in die jeweiligenhistorischen Bedingungen, in deren politischesund soziales Gefüge und die wissenschaftlichenund verwaltungstechnischen Vorgehensweisen imStädtebau.

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder22

15 Die Aneignung der städtischen Räume durch die BewohnerInnen ist in der Vergangenheit kaum thematisiert worden. Im Zuge dermDiskussion um Nachhaltigkeit erhält dieser Aspekt neue Bedeutung.

„Leitbilder des Städtebaus und der Stadtplanung, wie siedie Geschichte aufweist, stellen meist eine Mischung ausaktueller Städtebaulehre mit politischen, sozialen undkulturellen Faktoren dar.“ (Schmidt, 1990, S. 11)

Daneben spiegeln sie immer auch die zeitbeding-te Diskussion um die „richtige“ Stadtgestalt wie-der. Ein städtebauliches Leitbild ist damit alsErgebnis eines umfassenden gesellschaftlichenProzesses und Ausdruck gesellschaftlicherStrömungen zu betrachten.

Einzelne Vertreter entwickeln ihre Vorstellungenauch im Laufe ihrer Arbeit oft über Jahrzehntehinweg weiter, sie setzen sich gegen ganzbestimmte andere Vorstellungen ab und artikulie-ren Konflikte, die nur vor dem Hintergrund derZeit anschaulich werden. Dennoch habe ich ver-sucht, gewissermaßen in idealtypischer Form,einige Grundideen herauszuarbeiten. Ähnlichverhält es sich auch mit den dahinter liegendenGesellschaftsbildern der Stadtplaner.

Leitbilder werden in den gängigen Darstellungenoft zu bestimmten Jahrzehnten zugeordnet (z.B.das Prinzip der gegliederten und aufgelockertenStadt als Leitbild der 50er Jahre). Eine solche Zu-ordnung kann aber lediglich zu einer ungefährenzeitlichen Verortung dienen, da sie bei verschie-denen Autoren zum Teil auch unterschiedlichausfällt (vgl. Reinborn, 1996; Müller-Raemisch, 1990).

2.2.1 Gartenstadt

Aus der Industrialisierung resultierte eine starkeLandflucht, die entscheidend zu dem schnellenUrbanisierungsprozeß besonders ab Mitte des 19.Jahrhunderts beitrug. Angesichts der unmenschli-chen Verhältnisse der Industriestädte und derAngst vor dem Verlust jeglicher sozialer Struktur,wurde - zunächst in England - politischer Hand-lungsbedarf auf drei Ebenen formuliert:Wohnungsreform, Bodenreform und Sozial-reform. (vgl. Reinborn, 1996, S. 31ff) Die Woh-nungsreform sollte einerseits eine Verbesserungder hygienischen Bedingungen bewirken undandererseits angemessenen Wohnraum für dieArbeiterklasse bereitstellen. Die Sozialreformbeschäftigte sich mit den gesellschaftlichenFolgen der Wohn- und Umweltbedingungen. Ihr

Anliegen war die Veränderung der Gesellschaft,die sich in einer großen Anzahl vonGesellschaftsutopien äußerte. Gegen Ende des19. Jahrhunderts war - neben einer technisch-rechtlichen Ausprägung - ein wesentlicher Teilder Stadtplanung stark sozial orientiert. Dabeistellte sich - unter anderem auch für EbenezerHoward, dem Begründer der Gartenstadtidee -die Frage nach einem „dritten Weg“ zwischenKapitalismus (der damals noch als Individual-ismus bezeichnet wurde) und Kommunismus.

„Man wendet gegen den Kommunismus und sogar gegeneinen restlos verwirklichten Sozialismus ein, daß er demMenschen nicht die Freiheit läßt, seine von Natur vielsei-tigen Bestrebungen zu verwirklichen. Vielleicht wird erallen Brot geben; aber der Mensch lebt nicht vom Brotallein. Die Zukunft liegt wahrscheinlich bei denen, die denGegensatz zwischen Sozialismus und Individualismus ineiner echten, lebendigen und organischen Gesellschaft über-wunden sehen wollen. An ihrem Staat wird Indivi-dualismus sowohl als Sozialismus teilhaben. Dann wirddie Barke, welche den Menschen unserer Kultur und seinSchicksal trägt, einen sicheren Kurs zwischen der ScyllaAnarchie und der Charybdis Tyrannei steuern.“ (DailyChronicle, 2.7. 1894; zitiert nach Howard, 1968, S.115)

Die Bodenreform, die untrennbar mit derWohnungs- und Sozialreform verknüpft war,stellt immer wieder eine zentrale Frage für städte-bauliche Leitbilder dar. Die kontinuierlicheVerstädterung und das starke Anwachsen derstädtischen Bevölkerung führte zu einer stetigenVerteuerung des Bodens, die besonders die Masseder Arbeiter, die in den Stadtvierteln mit denhöchsten Bodenpreisen wohnten, traf. Der Besitzan Boden war in den Händen nur weniger, dievon dem Wertzuwachs des innerstädtischenGrundes profitierten und damit spekulierten. InBezug auf die Bodenreform wurde dieBesteuerung oder die Verstaatlichung bzw.Kommunalisierung des Bodens diskutiert.

Das Konzept der Gartenstadt hat seine Wurzelnim frühen 19. Jahrhundert. Schon damals werdendie ersten Vorschläge gemacht, wie man dieStädte auflösen könnte. Seitdem haben Dichterdie Großstadt beschrieben und verflucht16,Sozialreformer, Verwaltungsleute, sogar Politiker

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 23

16 Heinrich Heine beschrieb zum Beispiel schon 1828 das Phänomen der nicht mehr faßbaren Größe einer Menschenansammlung: “Ichhabe das Merkwürdigste gesehen, was die Welt dem Geiste zeigen kann, ich habe es gesehen und staune noch immer - noch immerstarrt in meinem Gedächtnisse dieser steinerne Wald von Häusern und dazwischen der drängende Strom lebendiger Menschengesichtermit all ihren bunten Leidenschaften, mit all ihrer grauenhaften Hast der Liebe, das Hungers und des Hasses ... dieser bare Ernst allerDinge, diese kolossale Einförmigkeit, diese maschinenhafte Bewegung, diese Verdrießlichkeit der Freude selbst, dieses übertriebeneLondon erdrückt die Phantasie und zerreißt das Herz.” (diese “Englischen Fragmente” wurden erst nach Heines Tod 1868 veröffent-licht; zitiert aus dem Vorwort Poseners zu Howard, 1968, S. 20)

haben den Wildwuchs der Stadt beklagt, und eini-ge haben immer wieder nach Mitteln und Wegengesucht, dieses „krebsartige Wachstum“ aufzu-halten.

Aus dieser Haltung resultierte die Großstadt-feindlichkeit, die viele dazu motivierte nachAlternativen zu suchen, die oft darauf hinauslie-fen, Stadt und Land wieder in einen engerenZusammenhang zu stellen.17 Die zahlreichen re-gressiven Utopien einer konservativen Groß-stadtkritik, die im 19. und zu Beginn des 20.Jahrhunderts formuliert wurden, waren Teil einerumfassenden Zivilisationskritik. Die Vertreterdieser Utopien sahen die Schuld an derZerstörung nicht in der Industrialisierung imRahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems,sondern schlicht in der Großstadt selbst mit ihrerunmäßigen Zusammenballung von Menschen ausverschiedenen Schichten, die Elend, Krankheit,Kriminalität und Aufruhr provozierte.

„Für sie [die Vertreter der Utopien; Anm. d. Verf.] hießdie Lösung des Problems deswegen Rückkehr zu einerständisch gegliederten agrarisch geprägten, sozial heil ge-wünschten Gesellschaft und die Auflösung der Groß-stadt.“ (Böhme, 1996, S. 72)

Die Frühsozialisten Robert Owen, CharlesFourier und Etienne Cabet forderten dagegennicht die Rückkehr zu einer alten, bereits über-holten Gesellschaftsordnung, sondern ein völligneues Modell der Gesellschaft. Obwohl die Ex-perimente der utopischen Sozialisten scheiterten,gingen viele ihrer Vorstellungen in die bürgerli-chen Reformbestrebungen ein18: die sich selbstgenügende, autarke Gemeinde, Aufhebung desBodeneigentums, eine begrenzte Einwohnerzahlund der Versuch einer Synthese von Stadt undLand.

Durch Marx und Engels erfuhren die frühsoziali-stischen Entwürfe eine besonders scharfe Kritik,da zuerst die politischen und gesellschaftlichen

Verhältnisse revolutionär verändert werdenmüßten. Für Engels war die Lösung derWohnungsfrage und damit das Problem derStädte verbunden mit der Abschaffung der kapi-talistischen Wirtschaft.

„Die marxistische Kritik war vor dem Hintergrund desliberalistischen Manchester-Kapitalismus zutreffend. Aberdadurch, daß sie auf einer revolutionären Umwandlungder Gesellschaft insgesamt bestand und an der Diskussionum stadtplanerische Maßnahmen nicht mehr teilnahm,entglitt ihr dieser Bereich der kritischen politischenDiskussion, die mit zunehmender Staatsintervention anAktualität gewann.“ (ebd., S.74)

Trotz allem war es das Verdienst der Früh-sozialisten, die gegenseitige Abhängigkeit vonSozial- und Raumplanung aufgezeigt zu haben,wobei für sie die politisch-sozialen Überlegungenim Vordergrund standen. In Bezug auf die politi-schen Durchsetzungsstrategien waren sie aller-dings sehr naiv und sie überschätzten den Beitragbaulicher Modelle zur Lösung sozialer Probleme.

Seit dem frühen 19. Jahrhundert gab es alsounterschiedlichste Ansätze und Bemühungen indiese Richtung, auf die Ebenezer Howard sichbereits beziehen konnte.19 Howards Stadtentwurf„Garden Cities of Tomorrow“20 wurde beson-ders berühmt.

Ebenezer Howard, ein englischer Parlament-stenograf, entwickelte die Idee der Gartenstadtals soziale Utopie, mit der er dem Problem derstetigen Bevölkerungszunahme in den Städtenund den damit in Zusammenhang stehenden Pro-blemen eine Alternative entgegensetzen wollte.Sein Modell hatte zum Ziel, neue Städte zu grün-den, die letztlich eine so positive Ausstrahlung aufdie bestehenden Städte hätten, daß sich auch dieProbleme in ihnen lösen würden. Für ihn war dasHauptproblem nicht nur das Wachstum derStädte, sondern der Umstand, daß die Stadt dasLand leersaugt, und daß sie damit Elend anhäuft.

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder24

17 "So wie Mann und Weib einander durch ihre verschiedenartigen Gaben und Fähigkeiten ergänzen, so sollen es auch Stadt und Land tun.(...) Stadt und Land müssen sich vermählen, und aus dieser erfreulichen Vereinigung werden neue Hoffnung, neues Leben und eine neueKultur entstehen." (Howard, 1968, S.58)

18 Insbesondere Cabets Modell, der ein völlig rationalisiertes, minutiös geregeltes, vom Staat kontrolliertes, angepaßtes und eingerichtetesLeben plante, kam, ganz wider seine Absichten, den konservativen bürgerlichen Füh-rungseliten und ihren Bemühungen entgegen, durchpartielle technische Maßnahmen und Reformen ihre Vorrangstellung zu festigen und revolutionären Erhebungen vorzubeugen.

19 Howard selbst erwähnt in seinem Buch drei verschiedene Pläne, die er zu einem Ganzen zusammengeschmolzen habe, wobei er diebesten Bestandteile entnommen hätte und die Gefahren und Schwierigkeiten zu vermeiden suchte: 1. Die Vorschläge von E.G.Wakefield (um 1849) und Prof. Alfred Marshall für eine organisierte Siedlungsbewegung der Bevölkerung; 2. Das System einesBodenrechts, wie es zuerst von Thomas Spence (um 1775) vorgeschlagen und später - mit Abänderungen - von Herbert Spencer (um1891) vertreten worden ist; 3. Die Musterstadt von James Silk Buckingham (um 1849). (vgl., Howard, 1968, S.121)

20 Howard veröffentlichte seine Ideen bereits 1898 unter dem Titel „Tomorrow“. 1902 gab es eine Neuauflage mit dem Titel „GardenCities for tomorrow“. Die deutsche Ausgabe „Gartenstädte in Sicht“ erschien 1907 und wurde von Julius Posener 1968 neu herausgege-ben, um dieses „gründlich mißverstandene Buch“ wieder ins rechte Licht zu rücken.

Howard hält eine tiefergehende Analyse derUrsachen, die das Volk bewegen, in die großenStädte zu ziehen, nicht für notwendig, da für ihnfeststeht, daß es sich dabei schlicht um„Anziehungskräfte“ oder „Magneten“ handelt,denen noch stärkere Magneten entgegengesetztwerden müßten, damit die Menschen sich wiedervom Land angezogen fühlten.

„Da nun jede Stadt als ein Magnet und jeder Mensch alseine Magnetnadel angesehen werden kann, so ist es ein-leuchtend, daß man eine gesunde Neuverteilung derBevölkerung ohne gewaltsame Mittel nur herbeiführenkann, wenn man neue Magneten von noch größererAnziehung zu schaffen weiß, als es unsere Städte sind.“(Howard, 1968, S. 54)

Einen solchen „Magneten“ sieht er in seinem neuenStadtmodell gegeben, dem Stadt-Land (Town-Country), das frei von allen Nachteilen ist, wie siesowohl ein Leben auf dem Land, als auch dasLeben in der Stadt darstellen. Howard resümiert:

„Kurz, der Zweck des Planes besteht darin, daß man allenwirklich tüchtigen Arbeitern, gleichviel welcher Klasse sieangehören, ein höheres Maß von Gesundheit und Wohl-behagen bieten will. Das Mittel für diesen Zweck ist einegesunde, natürliche und wirtschaftliche Vereinigung vonStadt- und Landleben, und zwar auf Grund und Boden,der sich im Gemeindeeigentum befindet.“ (ebd. S. 60f)

Wenn sich seine Idee erst einmal durchgesetzthätte, würden alle Menschen die Vorteile des Stadt-Land sehen und nur in einem solchen leben wollen.

Die Verhältnisse in der Großstadt selbst zu ver-ändern, hält er für einen zu großen Schritt aufeinmal. Dieses Problem würde sich ebenso lösen,sobald sein Experiment den Beweis angetretenhabe, daß es funktioniere und sich universell aus-breiten würde. Dann nämlich lebten so vieleMenschen in Gartenstädten, daß sich die Groß-stadt automatisch entvölkern würde, und damitRaum offen ließe, sie nach den Prinzipien derGartenstadt zu gestalten. (vgl. ebd. Kap. 13)

Die Ziele, die Howard verfolgte, sind sowohlräumlicher, als auch sozialer und organi-satorischer Art. Er schlägt vor, neue Städte aufbisher landwirtschaftlichem - also weitgehendunbebautem - Boden zu gründen. Industrie undBodenspekulation sollten nicht abgeschafft, son-dern anders organisiert werden. Die neue Stadtsollte ihre Einkünfte aus genossenschaftlichenVereinigungen beziehen, wobei vor allem Grundund Boden der Gemeinde gehörten, der die

Spekulationsgewinne zustünden. Auf diese Weisewürden die Gewinne aus der Wertsteigerung beiErschließung des Bodens nicht in private Handgelangen, sondern „sozialisiert“ werden, damit sieallen Gemeindebürgern in Form verbesserteröffentlicher Dienstleistungen (gute Straßen,Schulen und Krankenhäuser), sowie durchSteuernachlaß zugute kämen. Durch die engeVerbindung der Stadt mit der Landwirtschaft, diesich in einem Ring um die Stadt befindet, solltengleichzeitig direkte Absatzmärkte für die Bauernvorhanden sein. Durch die Reduktion derTransportkosten erhoffte er sich Gewinne, diesowohl den Bauern als auch den Konsumentenzugute kommen würden. Er dachte auch daran,die biologischen Abfälle als Dünger wieder zu-rück auf die Felder zu bringen. Das heißt, es fin-den sich eine Reihe von Ansätzen, wie sie auchheute wieder mit dem Prinzip der Kreislauf-wirtschaft gefordert werden.

Howard machte sich weiters Gedanken über dieArbeitsmöglichkeiten: Ausreichend Arbeitsplätzegäbe es einerseits durch die notwendige Bautätig-keit und andererseits durch die Industrie, die sichebenso ansiedeln soll. Es war auch an die Schaffungvon Arbeitsplätzen in „Eigenbetrieben“ gedacht.

Wichtig und viel betont ist bei Howard der Um-stand der Freiwilligkeit, sein Plan basiert auf kei-nerlei Zwangsmaßnahmen, sondern verläßt sichauf die regulativen Kräfte einer überschaubarenGemeinschaft, die sich selbst organisiert. „Ihninteressierte die freie Initiative des einzelnenebensosehr wie die Kontrolle, die die Gemein-schaft ausübt.“ (Osborn, zitiert nach Howard,1968, S. 165)

Die Wirtschaft sollte sich im Rahmen bestimmtergemeinschaftlicher Übereinkünfte im Sinne derUnternehmer und Händler frei entfalten können.Howard entwickelte ein relativ detailliertesVerwaltungsschema, das aus einer Zentral-verwaltung und verschiedenen Gruppen vonVerwaltungsabteilungen zusammengesetzt ist,deren Mitglieder von den Grundstückspächterngewählt werden sollen. (vgl. ebd. Kap. 6, S. 94ff)Diese Verwaltung würde sich je nach Bedarfentwickeln, so daß „pro-munizipale Unter-nehmungen“ (philanthropische und wohltätigeInstitutionen, religiöse Gesellschaften undErziehungsanstalten der verschiedensten Art,Spar- und Unterstützungskassen, Baugenossen-schaften, etc.) entstünden, um die „Wohlfahrtund Weiterentwicklung dieses Gemeinwesens zufördern.“ (ebd. S. 109)

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 25

Howard sieht dabei auch die Notwendigkeit einergewissen Erziehungsfunktion für die Durch-schnittsbevölkerung, durch „diejenigen ihrerGlieder, deren soziale Anschauungen die desDurchschnitts überragen“, diese sollten „denGeist der staatlichen oder kommunalen Or-ganisationen beeinflussen und beleben.“21

Das theoretische Schema der Gartenstadt - vondem Howard betont, daß es sich lediglich um einDiagramm handle, das der jeweiligen konkretenSituation angepaßt werden müßte - sieht folgenderäumliche Aufteilung der Stadt vor (sieheAbbildung 1 und Abbildung 2): im grünenZentrum befindet sich eine schöne Gartenanlagemit Wasserkünsten, umgeben von den öffentli-chen Gebäuden, wie dem Rathaus, der Konzert-und Vortragshalle, dem Theater, einer Bibliothek,einem Museum und dem Krankenhaus, die ineinem Park mit weiten Spiel- und Erholungs-plätzen liegen.

Rund um den Zentralpark läuft eine breiteGlashalle („der Kristallpalast“) - unterbrochennur durch breite Boulevards, die sich vom

Zentrum der Stadt zu deren Peripherie ziehen.Diese ist das „Einkaufszentrum“ bzw. auch einWintergarten, der die Menschen anziehen soll.Um diesen inneren Ring herum sind kreisförmigdie Wohnviertel mit den Schulen und Kirchen an-gelegt. Weiter außen folgen dann die Fabrikenund andere gewerbliche Einrichtungen, die durcheine Ringbahn verbunden sind. Die gesamte Stadtist von einem breiten Streifen landwirtschaftlichgenutzter Flächen umgeben.

Das Grün in der Stadt ist essentieller Bestandteilzur Abgrenzung verschiedener Nutzungsgebiete.Zu den Prinzipien der Gartenstadt zählen Dezen-tralisierung der Industrie, niedrige Bebauungs-dichte, begrenzte Einwohnerzahl und begrenzteExpansion der Siedlungsfläche, Eigenheime mitGarten, oder aufgelockerte Zeilenbauweise. Auchdie Trennung von einzelnen Wohnbereichen durchGrüngürtel und andere Freiflächen ist vorgesehen.

Das räumliche Konzept beinhaltet sowohl denörtlichen als auch einen regionalen Aspekt. Essollten sich um eine Zentralstadt mit etwa 58 000Einwohnern unterschiedlich ausgeprägte kleinere

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder26

21 Er sagt weiter: “Allmählich wird sich der Kommune ein weites soziales Arbeitsfeld eröffnen, aber weder sie selbst als Ganzes noch dieMehrzahl ihrer Glieder werden im Anfang die Bedeutung mancher solcher Fragen in ihrem ganzen Umfang verstehen oder sich der rich-tigen Mittel zu ihrer Lösung zu bedienen wissen. Darum wäre es auch unnütz, wenn man von der Gemeinde erwartete, daß sie an solcheAufgaben heranträte. Diejenigen aber, denen das Allgemeinwohl am Herzen liegt, werden bei dem freien Geist, der in der Stadt herrscht,immer in der Lage sein, auf eigene Verantwortung Versuche zur Prüfung neuer Formen des sozialen Lebens zu unternehmen, um aufdiese Weise das öffentli-che Gewissen anzustacheln und das Verständnis des Publikums zu vertiefen.” (ebd., S. 108)

Abbildung 1: Diagramm der Gartenstadt

Quelle: Howard, 1968, S. 60

Gartenstädte mit etwa 32 000 Einwohnern grup-pieren, die untereinander mit der Zentralstadtdurch Eisenbahnlinien verbunden sind.

Um die Durchführbarkeit seiner Ideen unter Be-weis zu stellen, gründete Howard bereits 1899 dieGartenstadtbewegung, durch die in derUmgebung von London zwei neue Städte ange-legt wurden: Letchworth im Jahre 1902 undWelwyn Garden City 1919. Die Idee, mit denneuen Städten autarke, wirtschaftlich verwalteteEnklaven zu schaffen, die der Allgemeinheitzugute kommen sollten, konnte sich in der Formnicht durchsetzen; aber vor allem das räumlicheModell war allerdings für weitere Konzepte undLeitbilder anschlußfähig. 1941 wurde die „GardenCity Association“ zur „Town and CountryAssociation“, und einige Grundsätze fandenEingang in ein Gesetz über Stadt- und Lan-desplanung.22 Der „Greater London Plan“ vonPatrick Abercrombie sah zehn Gartenstädte fürLondons äußeren Ring vor. In der Zeit von 1946

- 1949 wurden zur Entlastung Londons acht wei-tere „New Communities“ gebaut, die aber nichtmehr viel mit der ursprünglichen Idee zu tun hat-ten. Sie sind der Beginn der sogenanntenSatelliten- oder Trabantenstädte, die von der übli-chen großstädtischen Bebauung abweichen.

Auch international gab es eine Reihe vonLändern, in denen sich Gartenstadtbewegungengründeten.23 In Deutschland leistete TheodorFritsch unabhängig von Howard mit seinem Buch„Die Stadt der Zukunft“, das 1896 im Eigen-verlag erschien, gedankliche Vorarbeit für diedeutsche Gartenstadtbewegung. Im Gegensatz zuHoward, der in seinem sozialreformerischenAnsatz großes soziales Engagement und einenhohen Idealismus an den Tag legte, um dieSituation der gesamten Bevölkerung zu verbes-sern, waren Fritschs Vorschläge von einer natio-nalistischen und antisemitischen Haltung geprägt.Fritschs räumliches Modell ähnelt dem Howardssehr, bei Fritsch sollte die Stadt aber in unter-

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 27

Abbildung 2: Teil des Planes der Gartenstadt

22 So zum Beispiel: Entballung überfüllter Städte, Verteilung des Überschusses der Industrie und der Bevölkerung in neue Lebenszentrenund das Offenhalten breiter Gürtel offenen Landes zwischen besiedelten Gegenden. (Osborn, Vorwort zur englischen Neuausgabe von1946, zitiert nach Howard, 1968, S. 171)

23 Seit 1904 wurden außer in Großbritannien auch in Frankreich, Deutschland, Holland, Italien, Belgien, Polen, der Tschechoslowakei,Spanien, Rußland und den Vereinigten Staaten solche Verneigungen gegründet. Die meisten davon wandelten sich später inGesellschaften für Stadt- und Regionalplanung im allgemeinen um, oder schlossen sich solchen Verbänden an. (ebd. S. 175)

Quelle: Howard, 1968, S. 61

schiedliche Nutzungsringe unterteilt sein, „diesich entsprechend der sozialen Bedeutung derBewohner wie Jahresringe eines Baumes aneinan-derfügten“. (Reinborn, 1996, S.69) Fritsch träum-te vom Ideal einer elitären Wohngemeinschaftund hatte einen Hang zur Exklusivität. DieSiedlergenossenschaften sollten bei der Auswahlihrer Anwohner wählerisch sein.

„Als Genossenschaft könnte sie sich das Recht wahren, dieAufnahme-Fähigkeit an strenge Bedingungen zu knüpfenund alle unliebsamen Elemente fernzuhalten. Körperlicheund moralische Gesundheit wären vor allem zu fordern.“(Fritsch, 1896, zitiert nach Berndt, 1968, S. 37)

Fritschs neue Gemeinde soll einen „wohlgeglie-derten Organismus“ darstellen, in dem „das orga-nische Gefüge auch in dem äußeren Aufbau ihresWohnsitzes zum Ausdruck kommen“ soll.

Dieses Konzept wurde nicht in dem Ausmaßrezipiert wie jenes von Howard. Die deutscheGartenstadt-Bewegung nahm sich im Gegenteileher die Bewegung in England zum Vorbild undwollte mit ihren wohnungs- und sozialreformeri-schen Anliegen ein neues urbanistisches Leitbildverwirklichen. Obwohl die organisatorischenAnfänge eher von sozialistischem Gedankengutgeprägt waren, konnte sie sich allerdings von derNähe zu nationalsozialistischen Ideen nie richtigentfernen.

2.2.1.1 Gartenstadt und Nationalsozialismus

Die Idee der Gartenstadt wurde dann auch vomNationalsozialismus vereinnahmt. Sie war leichtin die Propaganda zu integrieren: Großstadt-feindsschaft und Landsehnsucht paßten ins Ideal-bild der Mittelstadt mit etwa 20.000 Einwohnern,das von den Nationalsozialisten vorgeschriebenwurde und in der sich überschaubare Nachbar-schaften herausbilden würden, die gut zu lenkenwären. Städte und Dörfer sollten natürlich auchso umgestaltet werden, daß sie den Machtan-spruch der NSDAP verkörperten, was sich in gi-gantischen Monumentalbauten und breiten Auf-marschstraßen äußerte. Eines der wichtigstenWerke der Zeit war das Buch „Die neue Stadt“von Gottfried Feder aus dem Jahr 1939, das denbezeichnenden Untertitel „Versuch einer Begrün-dung einer neuen Stadtplanungskunst aus dersozialen Struktur einer Bevölkerung“ trägt.24

Feder untersuchte 120 Städte (alle mit etwa

20.000 Einwohnern) um die Fragen zu klären,was alles in eine Siedlung hinein gehöre, wievieldavon, wie groß die einzelnen Einrichtungen seinsollten, und wohin sie gehörten. DieserArbeitsvorgang wird mit Verweis darauf, daß jedeStadt ein „Organismus“ sei, begründet:

„Das uns vorschwebende Bild von der Harmonie undinneren Ordnung eines gut gewachsenen Menschen odereines sonstigen wohlgeformten Lebewesens hat uns dieÜberzeugung gegeben, daß wir auf dem richtigen Wegsind, wenn wir uns bemühen, für alle Organe und Bedürf-nisse des täglichen, öffentlichen, privaten und wirtschaftli-chen Lebens Richtwerte und Normen festzulegen. Wiewichtig und notwendig die Arbeit war, wird am klarsten,wenn wir uns am Bild des menschlichen Körpers Rechen-schaft ablegen über Größe und Zahl, über die gegenseitigenBeziehungen und Funktionen der einzelnen Organe undGlieder des menschlichen Körpers.“ (Feder, 1939, S. 2)

Ähnlich wie bei Howard werden die Vor- undNachteile sowohl des Lebens in der Großstadt alsauch auf dem Land analysiert, mit dem Schluß,daß die „kleine Stadt“ alle Nachteile vermeidetund nur die Vorteile in sich vereint. Eine solche„Landstadt“ von rund 20 000 Einwohnern ist als„Organismus“ einerseits in einzelne „Zellen“ mitverschiedenen Unterkernen um den Stadtmittel-punkt gruppiert, und andererseits in einer stren-gen Hierarchie an den „höheren Organismus desLandes und des Reiches angeschlossen“. Die or-ganischen Vorstellungen, die auch in den Einzel-begriffen zum „Stadtkörper“ zum Ausdruckkommen, sind eindeutig ideologisch geprägt undwerden in Bezug zur „Deutschen Volksgemein-schaft“ gebracht. Eine Gemeinschaft müssegesucht und gefunden werden, „in der sozusagenjeder durch und für den anderen lebt“. Oft wür-den mehrere Unterkerne zu einem Zellverbandhöherer Ordnung zusammentreten, indem danndie einmaligen, der ganzen Gemeinde dienendenEinrichtungen Platz fänden. Der einzelne Zell-kern müsse so gestaltet werden, daß sich das Le-ben jedes Ortsteils klar auf seinen Mittelpunktund erst dann auf die nächsthöheren Kern-bildungen bis zum Stadtmittelpunkt orientiere.Von hier aus erst müsse die Stadt an den wieder-um höheren „Organismus des Landes und desReiches“ angeschlossen sein. (vgl. Feder, 1939, S.19) Diese Beschreibung einer „organischen Stadt-und Staatsstruktur“ gibt die hierarchischeMachstruktur des totalitären Regimes wieder, diesich auch räumlich manifestieren sollte.

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder28

24 Reinborn zufolge blieb Feders Buch bis Ende der 60er Jahre das Standardwerk für Stadtplaner, die es allerdings wegen der eindeutignationalsozialistischen Intention in Planungsämtern und Büros nur versteckt benutzten (vgl. Reinborn, 1996, S. 150)

Die Vorstellungen eines „organischen Städte-baus“ - ein viel zitiertes Buch von Hans BernhardReichow (1948) trägt eben diesen Titel - bleibenbis in die Nachkriegszeit erhalten. Von derGartenstadtbewegung über den Nationalsozialis-mus läßt sich jedenfalls eine gerade Linie hin zumLeitbild der „gegliederten und aufgelockertenStadt“ verfolgen, das sich ebenso an dem Bildorganischer Stadtplanung orientiert.

2.2.2 Die gegliederte und aufgelockerte Stadt

Die Theorie der gegliederten und aufgelockertenStadt als das gestalterische Leitbild der fünfzigerJahre erhielt ihren Namen durch die erst zumEnde des Jahrzehnts verfaßte Schrift mit gleich-lautendem Titel von Göderitz, Rainer und Hoff-mann (1957). Der enge Bezug zum National-sozialismus besteht schon allein darin, daß dieArbeit der Autoren bereits im zweiten Weltkrieggrößtenteils abgeschlossen war.25

Die Autoren beklagen das unmäßige Wachstummoderner Städte, „den ungeheuren Aufwand undVerschleiß an Menschen, Material und Energie,ihre unwürdigen Wohnverhältnisse, ihre gefährli-che Abhängigkeit von einem ebenso empfindlich-en wie kostspieligen Leitungs- und Verkehrsnetzusw.“ (Göderitz, u.a., 1957, S. 12) Sie kritisierendas blinde Vertrauen in die Technik: „eine Zeit,die die Menschen in großen Massen zu mechani-sierter Arbeit zusammenführt, bedarf für dasWohnen nicht neuer Mechanisierung und Ka-sernierung, sondern Ruhe, Abgeschlossenheitund Naturnähe.“ (ebd., S. 13)

Um ihre Vorstellungen von einem „gesunden undleistungsfähigen Stadtkörper“ zu verwirklichen,entwickeln sie ein Idealstadtmodell mit klarbeschränkter Stadtgröße, das die große Massevon Menschen organisiert, „indem man sie inkleinere, übersehbare, einander über- und unter-geordnete Einheiten, Gruppen usw. aufgliedert.Entscheidend für den Erfolg ist dabei die Über-sichtlichkeit der Gliederung nach menschlichemMaß.“ (ebd., S. 23)

„Wie die Masse der Menschen durch Gruppierung undGliederung organisiert und übersichtlich gemacht wird, sokann auch der Stadtraum, die Masse der städtischenBaugebiete als das bauliche und räumliche Gefäß desmenschlichen Lebens, nur durch Gliederung in überschau-

bare Einheiten geordnet, d.h. “organisiert” werden. Dasbedeutet grundsätzlich die Aufgliederung der großen Massegroßstädtischer Baugebiete, wie überhaupt jedes größeren,nicht einfach übersehbaren Stadtgebildes in mehrere in sichabgeschlossene Stadtbezirke, Stadtzellen, Nachbarschaf-ten usw., die deutlich voneinander abzutrennen sind, bis zueinem gewissen Grade zu einem Eigenleben fähig sein undsich trotzdem in ihrer Gesamtheit zu einem größeren Gan-zen fügen müssen.“ (ebd., S. 24)

In dem neuen, aufgelockerten Siedlungsraum sol-len ebenso vorteilhafte Verflechtungen vonWohn-, Arbeits- und Kulturstätten erzielt werdenwie in den alten großstädtischen Ballungsräumen.Es ist aber auch eine klare räumliche Trennungder einzelnen Teile durch Grünstreifen vorgese-hen, die sowohl den Bedarf an Sport- undSpielstätten befriedigen, als auch Zonen intensi-ver Landwirtschaft mit Erwerbsgärtnereien undNutzgärten der Bewohner ermöglichen. Ziel isteine in sich geschlossene, klar begrenzte„Stadtlandschaft“. Dabei soll auf topographischeGegebenheiten Rücksicht genommen werden;Oberflächenwässer sollen möglichst von gegebe-nen Wasserläufen aufgenommen werden, so daßsich sowohl eine kostspielige Infrastruktur erü-brigt, als auch ein gesundes Stadtklima geschaffenwird. Die Abfallentsorgung soll möglichst dezen-tralisiert werden. Industrie und Gewerbe sollenzwar einen eigenen Bereich darstellen, aber dochin recht unmittelbarer Nähe der Stadt liegen, umdie Arbeitswege kurz zu halten.

Neben der Beschränkung der Stadtgröße kom-men die Autoren der „gegliederten und auf-gelockerten Stadt“ in ihrer Untersuchung zu fol-genden Ergebnissen: Das Ziel sei eine grundsätz-liche Neuordnung der Städte durch Gliederung,Auflockerung und organische Gestaltung. Dazusind wenige, aber durchgreifende neue boden-und baurechtliche Regelungen erforderlich. Dieoptimale Dichte liege im zweigeschossigenReihenhausbau bei etwa 40 Wohneinheiten/ha.In ausführlichen Berechnungen wird nachgewie-sen, daß der Flächenverbrauch einer gesunden,gegliederten und aufgelockerten Stadt nurunwesentlich größer ist, als in herkömmlichenStädten aller Größen zur damaligen Zeit, und daßdamit auch keine nennenswerte Verringerung derlandwirtschaftlichen Flächen, noch eine untragba-re Verlängerung der Verkehrswege zu erwartenist. (vgl. ebd., S. 72) Der Verkehr sollte im Gegen-

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 29

25 "Trotz der veränderten Verhältnisse, die vor allem durch den im Gang befindlichen Aufbau zerstörter Städte eingetreten sind, dürfte dieUntersuchung, an der einige Ergänzungen und Verbesserungen vorgenommen wurden, im Grundsätzlichen durchaus aktuell sein undzur Klärung auch dieser Probleme beitragen." (Göderitz, u.a., 1957, S. 5)

teil auf ein Mindestmaß reduziert werden.Vorgesehen war die Trennung der Verkehrs-flächen, so daß jeder Art von Verkehr ein mög-lichst eigenes Verkehrsnetz zur Verfügung steht.Auch der Verkehr sollte gegliedert sein: inSchnellverkehr einerseits, der an den Grün-streifen liegen soll, die die Stadtzellen voneinan-der trennen, und nur an bestimmten Punkten mitdem örtlichen Verkehrsnetz verbunden wäre; undeinem Netz möglichst fußläufiger Wege für denAlltag. Der Verkehr wird „als dienendes Hilfs-mittel“ gewertet, das zur Ergänzung der gesun-den, räumlichen Ordnung und zur Erweiterungdes Lebens- und Wirtschaftsbereiches beiträgt.Das Verkehrsbedürfnis wäre in der optimalenStadt verhältnismäßig gering, da die Bewohnerdie meisten Tätigkeiten in der Stadt selbst erledi-gen könnten und auch genügend Erholung in ihrfänden, so daß alle Verkehrsschwierigkeiten ander Wurzel gefaßt würden. (vgl., S. 27) Die zuneh-mende Freizeit sollte nämlich vermehrt zu Hauseverbracht werden, und nicht mit dem Konsumkurzlebiger Güter. Die Bewohner kleinerer, ge-sünderer Städte könnten „wertvolle Teile ihrerNahrung im eigenen Garten ziehen und dabeigleichzeitig den erholsamsten Ausgleich zu eintö-niger Berufsarbeit finden“. (ebd., S. 14)

Daneben sollte auch die Gebäudehöhe be-schränkt werden: Um den Bewohnern ein Opti-mum an Besonnung zukommen zu lassen und dieAusstattung mit Freiflächen für die Bewohner derBauten aller Geschoßzahlen gleichwertig zu ge-stalten, wäre eine Geschoßzahl von 3 oder 4 Ge-schossen das Maximum. Der Flächengewinn, derbei einer höheren Geschoßzahl erzielt werdenkönnte, würde nicht nur diese Qualitäten für dieBewohner beeinträchtigen, sondern auch dieMöglichkeit einer eindrucksvollen Silhouette ver-wehren, die entsteht, wenn die im Ganzen flach-gebaute Stadt von den größeren Bauten derGemeinschaft überhöht ist. Bei dieser Vorstellungwird auf die mittelalterliche Stadt verwiesen, inder sich über gleichartigen, bescheidenenWohnhäusern die Türme gotischer Städte erhe-ben, „als weithin sichtbare Sinnbilder der Kräfte,die das Leben der Stadt beherrschen“.

Vor allem für kinderreiche Familien wird aller-dings das Einfamilienhaus als Ideal betrachtet.Das Einfamilienhaus ist in besonderer Weise ge-eignet, „die Schädigungen am Volkskörper infolgezweier Kriege“ (ebd., S. 91) wieder gut zu machen.Da aufgrund unterschiedlicher Familien-verhältnisse und Bedürfnisse je nach Lebens-abschnitt verschiedene Anforderungen bestün-den, würde sich eine gesunde Mischung zwischen

mehrgeschossigen Bauten und Einfamilien-reihenhäusern ergeben.

„Das allgemein anerkannte Ziel besteht letzten Endesdarin, der einzelnen Familie ein Maximum an persönli-cher Freiheit und Selbständigkeit in einem eigenen räumli-chen Bereich - am besten dem eigenen Hause - zu geben,bei gleichzeitiger möglichst enger Verbindung dieser Ein-heit zu Nachbarschaften mit gemeinschaftlichen Einrich-tungen für Versorgung, Erschließung, Verkehr, usw.“(ebd., S. 19)

Dabei sollten die einzelne Parzellen - der Anteildes Einzelnen am Boden der Stadt - zwar so großsein, daß ein Einfamilienhaus mit kleinem Wohn-garten möglich ist, aber doch so klein, daß öffent-liche Verkehrsmittel rentabel, die Erschließungsparsam und die Wege kurz sind.

Die relativ ausführliche Darstellung des Leitbildesder Gartenstadt über den Nationalsozialismus zurgegliederten und aufgelockerten Stadt sollte diefließenden Übergänge der städtebaulichen Leit-bilder verdeutlichen, die aber durch die jeweiligenpolitischen Umstände ihre spezifische Ausprä-gung entwickeln, und besonders im Nationalsozi-alismus extrem ideologisch benutzt und überformtwurden. Im Leitbild der gegliederten und aufge-lockerten Stadt fließen auch Elemente aus demFunktionalismus ein, der weiter unten ausführli-cher beschrieben wird. Auffällig sind die Hinwei-se auf eine angestrebte Kreislaufwirtschaft (unteranderem in Hinblick auf die - vor allem biologi-schen - Abfälle) und die Kritik an der starken Ver-siegelung des Bodens in modernen Städten, sowiedie Beachtung der topographischen Gegeben-heiten in der Planung. Diese Aspekte tauchen inden siebziger Jahren mit dem Leitbild des ökolo-gischen Bauens wieder verstärkt auf und findensich auch im Leitbild der nachhaltigen Stadt.

2.2.3 Der organische Städtebau und dasdamit vermittelte Gesellschaftsbild

Sowohl die Gartenstadt als auch die gegliederteund aufgelockerte Stadt sind Idealstadtmodelle,das heißt sie sind Entwürfe für völlig neue Städteaußerhalb der alten großstädtischen Strukturen.Sie setzen sich zwar mehr oder weniger mit denMängeln und Problemen in den Großstädten aus-einander, suchen aber nicht nach einer Lösunginnerhalb dieser, sondern entwickeln ganz neueKonstruktionen, in denen sich auch ein bestimm-tes soziales Leben ausbilden soll. Vorbild für dassoziale Leben ist ein organizistisches Denken,nicht umsonst wird auch von einem „organischenStädtebau“ (Reichow, 1948) gesprochen.

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder30

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die städtebauli-che Situation, wegen der Wohnungsnot und derstarken Zerstörung der Städte, für die Umsetzungder neuen Leitbilder besonders günstig, da nundie Möglichkeit bestand - zumindest amStadtrand - neue Stadtteile zu bauen. Deshalbwurde die Diskussion um die Leitbilder regeweitergeführt, wobei der „organische Städtebau“zu einer wesentlichen Tendenz der Nachkriegs-stadterweiterungen wurde. Seit der Garten-stadtbewegung intensivierte sich ein biologisti-scher Sprachgebrauch, der durch Begriffe wie„zellenförmiger Aufbau“, „Gesundung derStadt“, „natürliches Wachstum“ und schließlichals Konsequenz der konzipierten „Auflösung derStadt“ in kleinere Einheiten das „Schrumpfen derStadt“ verdeutlicht wird. Besonders ausgeprägtwar diese Tendenz in der Nazizeit.

„In der Tradition solcher Diktion brauchten nur einigeVokabel ausgetauscht zu werden, um die Konzeptesprachlich zu entnazifizieren.“ (Durth/Gutschow,1988, Bd.1, S. 194)

Aber gerade auch die „gestalterische “Entnazifi-zierung” und der demonstrative Verzicht aufAchsen, Monumente und symmetrische Stadt-anlagen“ führte zu einer „Enthistorisierung desDenkens der Architekten und Verdrängung derjüngsten Geschichte. (...) Vor allem im Bild der Stadtals Organismus läßt sich Planung nun - ganz imSinne der materialistischen Definition von Ideologie- als Stabilisierung einer natürlichen Ordnung vor-stellen und der Planer ist als dem Leben verpflichte-ter Chirurg, als Fachexperte autonom gegenüber derGesellschaft und ihrer Geschichte, in unverdächti-ger Kontinuität tätig.“ (ebd., S. 217)

Das Streben nach einem „organischen Städtebau“spiegelt die Vorstellung bzw. den Wunsch eines orga-nischen Aufbaus der Gesellschaft wieder. Dahintersteht nicht nur die Verurteilung der Mißstände in denGroßstädten, wie sie durch die Industrialisierungentstanden sind, sondern auch die Besorgnis um denZerfall der Gesellschaft. Beklagt wird der Verlustwertvoller Bindungen für das Individuum durch dieAuflösung traditioneller Zusammenhänge, die damiteinhergehende Verunsicherung der Einzelnen, diezunehmende Vereinsamung in der Anonymität derGroßstadt, der Verfall des Familienlebens, usw. DieGroßstadt wird aber auch aufgrund ihres emanzipa-torischen Potentials gefürchtet.

„In dem Bemühen um die richtige Einordnung derIndividuen in das gesellschaftliche Gefüge schwingt dieSorge mit, daß sich die Menschen nicht mehr wider-spruchslos in die ihnen vorgeschriebenen untergeordnetenPositionen fügen wollen, sondern sich dagegen auflehnenkönnten. Im Bilde des organischen Gesellschaftsaufbauessoll die Reflexion der Individuen über ihren gesellschaftli-chen Standort zu freiwilliger Anerkennung der “natürli-chen” gesellschaftlichen Rangunterschiede versöhnt wer-den.“ (Berndt, 1968, S. 25)

Heide Berndt macht in ihrem Buch „Das Gesell-schaftsbild bei Stadtplanern“ auf den Bezug die-ser Sichtweise zu den Auffassungen vonTheoretikern zur Zeit der Jahrhundertwende wieRiehl, Spengler und Tönnies aufmerksam (vgl.1968, S. 24ff). In diesen Theorien wird die Un-gleichheit der Menschen als „natürliche“ undjedenfalls gewollte festgeschrieben. So sind RiehlsEmpfehlungen zu einer „sozialen“ Politik alsErleichterung von Regierungsaufgaben gedacht.Sie dienen der Unterstützung bestehenderMachtverhältnisse und sollen zur Festigung stän-discher Abstufungen beitragen. Urbild für denStaat soll die Gemeinde sein, weil in ihr die sozia-le Geltung des Besitzes einzelner Gemeindebür-ger selbstverständlicher respektiert würde. DieStadtfeindschaft richtet sich gegen die industrielleGroßstadt, weil sie als Ort der Emanzipation diebestehenden Herrschaftsverhältnisse aufgelösthat.

Spengler beispielsweise kritisiert die Großstadtnicht wegen ihrer schlechten hygienischen Ver-hältnisse, sondern wegen ihres gefährlichen poli-tischen Potentials. Der Sinn der Geschichte lägeim Recht des Stärkeren. Auflehnung gegen Herr-schaft bedeutet für ihn Auflehnung gegen die„Urtatsachen des Lebens“, die er eben in derAusübung von Herrschaft über Menschen sieht.Bei Tönnies, der sich in vielen Teilen dieMarxsche Kritik an der bürgerlichen Gesellschaftzu eigen gemacht hat und mit den Sozialisten dieÜberzeugung teilt, daß es in der kommunisti-schen Gesellschaft keine Unterdrückung vonMenschen gäbe, gründet die Idee der Herrschaftim „Vaterthum“. Er konstruiert Gemeinschaft alsGegensatz zur bürgerlich-kapitalistischenGesellschaft - die für ihn Gesellschaft schlechthindarstellt - und sieht Gemeinschaft am reinsten inder patriarchalischen Großfamilie verwirklicht.26

Tönnies zeichnet ein höchst idealisiertes Bild

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 31

26 “Gemeinschaft ist das dauernde und echte Zusammenleben, Gesellschaft nur ein vorübergehendes und scheinbares. Und dem istgemäß, daß Gemeinschaft selber als ein lebendiger Organismus, Gesellschaft als ein mechanisches Aggregat und Artefact verstandenwerden soll.” (Tönnies, Ferdinand (1887): Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung des Communismus und des Socialismus alsempirischer Culturform. Leipzig. Zitiert nach: Bernd, 1968, S. 30)

einer besseren Gesellschaft, in dem es Fabrikenund Schornsteine, Hunger und Elend einfachnicht gibt; statt dessen steht Gemeinschaft fürgegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit auchinnerhalb von Abhängigkeitsverhältnissen. Auchfür Tönnies liegt das Problem in denGroßstädten, da dort die Familie als wichtigsteStütze gemeinschaftlichen Lebens hinfällig wird.(vgl. Berndt, 1968, S. 24ff)

Die Gleichsetzung der Gesellschaft mit einembiologischen Organismus soll also die „Natur-wüchsigkeit sozialer Ungleichheit“, die sich in dengegebenen, aber bedrohten Herrschaftsverhält-nissen ausdrückt, bekräftigen. Die Verklärungagrarisch-feudaler und ständischer Verhältnisseschwingt nicht nur in diesem Vergleich mit, son-dern zeigt sich auch in der immer wieder kehren-den Idealisierung der mittelalterlichen Stadt.

Besonders kraß zeigt sich die Analogie von biolo-gistischem Denken und Stadtplanung inReichows Werk „Die autogerechte Stadt“ (1959).Dieses Buch ist ein Beispiel für viele, wieIdealvorstellungen aufgrund der viel komplexe-ren Realität mißverstanden werden können, bzw.sich in eine andere, als die intendierte Richtungauswirken. Der Begriff wird auch heute noch alsSynonym für die Beherrschung der Stadt durchdas Auto verstanden, während der Autor sich fürein nebeneinander von Mensch und Autos ineinem „neuen Stadtgrundriß“ ausspricht:

„Die Entwicklung einer dem Wesen des Menschen unddes Autos gleichermaßen gerecht werdenden Stadt bleibtalso das dringlichste Anliegen der Stadtbau-Wissenschaft.Die innerstädtischen Auto-Schnellstraßen, wie sie in vielenGroßstädten zwingend geworden sind, stellen nur diegroßen “chirurgischen Eingriffe” in den Verkehrs-Organismus dar. Von ihnen ist aber keineswegs einegrundsätzliche und allgemeine Behebung der Verkehrsnötezu erwarten, wie ja auch in der Medizin ein chirurgischerEingriff kein organisches Leiden beheben kann. Im glei-chen Sinn bedürfen unsere total kranken Stadtkörpereiner umfassenden “psychosomatischen” Therapie. Dasheißt, den Verkehrsablauf, die Straßenplanung, dieVerkehrsordnung, -erziehung und -lenkung nach mensch-lichem Verhalten, nach menschlichem Auffassungs- undReaktionsvermögen als Einheit sehen und dafür das auto-gerechte Verkehrssystem mit allen seinen städtebaulichenKonsequenzen entwickeln.“ (ebd., S. 5)

Der wachsende (Auto-) Verkehr wurde bereitsseit der Jahrhundertwende als Problem betrach-tet. In den fünfziger Jahren verschärfte sich diesesProblem allerdings in einem gewaltigen Ausmaß,da mit der Durchsetzung von Erdöl und Erdgas

als Energieträger die Grundlage für dieMassenmotorisierung geschaffen wurde. Deshalbsprechen Umwelthistoriker von einer „Epochen-schwelle“, dem sogenannten „Fünfziger-Jahre-Syndrom“, in dem sich „der endgültige Abschiedvon den Resten der Agri-Kulturlandschaft“abzeichnet, und das den Ausgangspunkt der aktu-ellen Umweltzustände bildet. „Es ging also umeine flächendeckende Ausbreitung der Industriali-sierung und der mit ihr verbundenen Verhaltens-muster.“ (Sieferle, 1997, S. 186) Die geplantenAbsichten der Städtebauer konnten dieser Ent-wicklung nur hinterherhinken.

Reichow wandte seine Überlegungen zum organi-schen Städtebau jedenfalls auch auf den Verkehran, dessen Auswirkungen und den daraus zu zie-henden Konsequenzen für die Stadtstruktur. Einideales Vorbild und Ziel sieht er in „Fließvorgän-gen in lebenden Organismen“ (Reichow, 1959, S.19) und in natürlich gewachsenen Verkehrslinien:

„Für Flächenerschließungen finden wir in der belebtenNatur stets die Verästelung, etwa im Blatt- undBlutgeäder. Weil sie die Erschließung mit dem geringstenAufwand erfüllt, kommt auch der Kulturingenieur beiDrainagen und Wasserversorungsanlagen zum gleichenPrinzip - ähnlich den Gerinnen und Wasseradern einesFlußdeltas. (...) Zum anderen erkennen wir Symptomeeiner einfachen und natürlichen Verkehrsgestaltung, wennwir den Blick weit genug rückwärts wenden. Nicht zu denAnfängen bewußter Stadtbaukunst, sondern zu dennatürlich gewachsenen Verkehrslinien der Feldflur undkleinen Dörfer.“ (ebd., S. 12)

Reichows organisches Verkehrs- und Erschließ-ungssystem sollte mit einem Minimum anKnotenpunkten Sicherheit, Wirtschaftlichkeitund Leistung steigern und Lärm, Kosten undgesundheitsschädliche Gase mindern. An denStichstraßen und Sackgassen seiner blattförmigenVerkehrsanlagen würden ruhige Wohnanlagengünstige Fahr- und Fußwege zu beiden Polen ge-sunden Stadtlebens bieten, zur Stadtmitte und zurNatur. Durch die räumliche Trennung von Fahr-und Fußwegen sollten Verkehrsunfälle undGeruch- und Lärmbelästigung vermieden werden.

Diese „einfache und natürliche Verkehrs-gestaltung nach menschlichem Maß und Verhal-ten“ war nicht zu verwirklichen. Statt dessen för-derte die Umsetzung des organischen Bauens amStadtrand den Suburbanisierungsprozeß. Dieneuen Siedlungen entwickelten sich zu „Schlaf-städten“, denen jedes urbane Leben abhandenkam. Sie förderten zusätzliches Verkehrsauf-kommen, da viele der Bewohner zur Arbeit in die

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder32

Städte pendeln mußten. Diese Dynamik wurdezwar kritisiert, konnte aber bis heute nicht in denGriff bekommen werden.

„Das Auto erzeugt die Stadtflucht und die Stadtfluchtbegünstigt das Auto - das Prinzip des Individualverkehrsgerinnt auf diese Weise zu einer festen Struktur aus As-phalt und Beton, gegen die sich sämtliche Versuche derUmsteuerung als hilflos erwiesen haben.“ (Sieferle, 1997,S. 190)

2.2.4 Die funktionelle Stadt

Von großer Bedeutung für den modernenStädtebau war der Funktionalismus, von dessenzahlreichen Vertretern - wie Mies van der Rohe,Gropius, Hilberseimer, Adolf Loos, Frank LloydWright, Alvar Aalto, u.v.a. - ich hier näher auf dieArbeiten Le Corbusiers eingehen möchte, der auchheute noch besonders häufig zitiert wird, und des-sen Ideen in vielfältigen Publikationen kontroversi-ell diskutiert werden.27 Hilpert, der sich eingehendmit Le Corbusiers Werk auseinandergesetzt hat,spricht von ihm als dem „zentralen theoretischenVermittler für das konzeptionelle Denken derModerne“. (Hilpert, 1984, S. 32) Trotz - im Detail- unterschiedlicher Auffassungen mit anderenavantgardistischen Architekten und Stadtplanernder Moderne steht Le Corbusier also beispielhaftfür die grundlegenden Gedanken und Entwürfe.

Auch der Funktionalismus versucht eine Antwortauf die Probleme, die durch die Industrialisierungentstanden sind, zu geben.

„Das Heraufkommen des Maschinenzeitalters hat unge-heure Verwirrungen im Verhalten der Menschen, in ihrerVerteilung auf der Erde, in ihren Unternehmungen her-

vorgerufen: eine nicht mehr zu zügelnde Konzentrations-bewegung in den Städten mit Hilfe mechanischerGeschwindigkeiten, eine brutale Entwicklung, die in derGeschichte ohnegleichen ist und die ganze Welt erfaßt hat.Das Chaos hat in den Städten Einzug gehalten.“ (LeCorbusier, 1984, S. 121f)

Sein Ansatz liegt jedoch nicht in der Ablehnungder Großstadt, sondern in ihrer bewußten, radi-kalen Umgestaltung, wobei insbesondere dieneuen Möglichkeiten der Technik und der natur-wissenschaftlichen Forschung genutzt werdensollten, und auch eine Faszination über dieVerdichtung von Raum und Zeit durch neueVerkehrsmittel und Kommunikationstechnikenzu spüren ist. Neben einer geradezu „euphori-schen Einstellung der Planer gegenüber denerwarteten ‘Erfordernissen des Verkehrs’ alsneuem Regulativ der Stadtentwicklung, dieHoffnung auf die Eigendynamik der Technik“(Druth/Gutschow, 1988, S. 202) wird besondersdas Hochhaus essentieller Bestandteil der Ent-würfe. Der Funktionalismus folgt darin amerikani-schen Vorbildern, allen voran Henry Ford, in des-sen Schriften Vorboten einer „neuen Wirtschafts-und Gesellschaftsepoche“ gesehen werden, dieeine rationelle Lenkung industrieller Massenpro-duktion und -konsumtion mit Formen sozialerFürsorge verbindet. Die neue effiziente Organisa-tion von Arbeit wurde nicht nur als ein ökonomi-sches, sondern zunehmend auch als ein sozialesund für die Architekten und Stadtplaner auch alsein räumliches Organisationsmodell betrachtet.

Weltweit bekannt wurde Le Corbusier bereits1922 durch den Plan der „Ville Contemporaine“,einer „Stadt der Gegenwart für drei MillionenEinwohner“. (siehe Abbildung 3 und Abbildung 4)

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 33

27 vgl. zum Beispiel: Hilpert, 1978; Le Corbusier 1984; Riehl, 1992; Grundmann, 1995; Vogt, 1996.

Quelle: Reinborn, 1996, S. 99

Abbildung 3: Stadt der Gegenwart

Diesen Plan wollte er bewußt nicht als Utopie,sondern als der Gegenwart und den gegebenenMöglichkeiten durchaus angemessen verstandenwissen. Die Ville Contemporaine enthält bereitsalle wesentlichen Komponenten der Urbanistikvon Le Corbusier: geometrisches und ortho-gonales Grundrißraster; scheibenförmige Hoch-häuser als Wohnmaschinen mit integriertenGemeinschaftseinrichtungen; zwischen den ein-zeln stehenden Bauten grüne, parkähnlicheFreiflächen; getrennte Verkehrserschließung fürFahrzeuge und Fußgänger, wobei durch die großeHöhenentwicklung der Gebäude die Wege mini-miert und dadurch Fahrverkehr vermieden wer-den soll.

Böhme faßt Le Corbusiers Ansichten ausführlichzusammen:

„Seine Vorschläge bedeuteten eine totale Veränderung desgesamten Stadtraums. Statt Dezentralisation fordert erverstärkte städtische Konzentration, den totalen Abriß deralten Stadtkerne und die Übernahme amerikanischerWolkenkratzer - im Gegensatz zu den Wildwüchsen inNew York oder Detroit jedoch in einer geordneten “carte-

sianischen” Turm-Stadt. Diese Türme bilden dasZentrum der Stadt und sind ihre Befehls- undKommandozentrale, der Sitz der Elite. An diesesAdministrations- und Geschäftszentrum schließt sich dieZone des Wohnens, die “Villenblocks” der großbürger-lichen Führungsschicht an. Diese haben eine Ähnlichkeitmit Ozeandampfern, die in einem “Meer von Bäumen”schwimmen. Ihre Bewohner leben wie Luxuspassagiere.Die unteren Etagen sind dem Heer der Dienstboten, dieder Elite das “Reich der Freiheit’”(K. Marx) ermöglichen,vorbehalten. Außerhalb des Stadtkonzepts sind diePendler, die Fabriken und die Masse der Arbeiter, die in“Wohnmaschinen zum Atemholen” (ähnlich denVillenblocks ohne Dienstboten) untergebracht sind. ImHerzen dieser neuen Städte mit Sportanlagen und Gärten,in Licht, Luft und Sonne, wird das soziale Gleichgewichtwiederhergestellt, die Arbeitskraft für die nervtötendeArbeit an den Fließbändern regeneriert. (...) Diese Stadtder Gegenwart war frei von Geschichte, Chaos, Elend undStraßenkämpfen. Wie die Gartenstadt Howards warauch diese Stadt von Le Corbusier konzipiert zurDisziplinierung der Massen, als soziales Befriedungsmittelund als Alternative zur gesellschaftlichen Umwälzung.Für ihn gab es nichts “Erbärmlicheres” als eine “undis-ziplinierte Masse”“. (Böhme, 1996, S. 79)

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder34

Abbildung 4: Blick vom Zentrum einer “Stadt der Gegenwart”

Quelle: Reinborn, 1996, S. 99

In diesem Zitat wird Le Corbusiers konservativ-autoritäres Gesellschaftsbild deutlich. Er wolltedurch die Planung und Gestaltung der Stadt nichtnur eine neue Gesellschaft schaffen, was er alsAufgabe der Stadtplanung verstand, sondernerwartete auch von einer „autoritären Staats-macht“ die Umsetzung seiner Ideen. In seinemersten Buch von 1925 „Urbanisme“ (deutsch:„Städtebau“ 1929) fordert Le Corbusier eine auto-ritäre Planung rationalisierter Stadtstrukturen, beider Architekten die Rolle des „Chirurgen“ über-nehmen sollten, die mit klaren Schnitten das städ-tische „Gewebe“ von seinen historisch überkom-menen “Wucherungen” befreien 28:

„Organisieren heißt Geometrie schaffen; Geometrie hin-eintragen in die Natur oder in das Chaos, das sich ‘aufnatürlichem Wege’ durch die Anhäufung der Menschen inStadtzusammenballungen bildet, heißt Chirurgie treiben.“(Le Corbusier, 1964, S. VIII)

Wie das konkret aussehen würde, stellt LeCorbusier am Fall Paris dar. 1925 wandte er dietheoretische, standortungebundene Studie der„Ville Contemporaine“ auf den besonderen Falldes Zentrums von Paris an. Es entstand der „PlanVoisin“, der die historische urbane Struktur durch18 jeweils 200 m hohe Superwolkenkratzer erset-zen wollte. Der Platz dafür sollte durch immenseAbbrüche geschaffen werden. Seine autoritärenVorstellungen werden auch in der Beschreibungdes Plan Voisin deutlich:

„Ein Büro ist ein umrissener Organismus, der mit derWohnung nichts gemein hat. Die Arbeit erfordert Stätten,die Werkzeuge der Arbeit sind. Die Geschäftsstadt desPlan Voisin macht einen formellen, gleichförmigen, exak-ten und ausführbaren Vorschlag, der dem Lande einenMittelpunkt der Leitung und des Befehls schaffen würde.Nach dem logischen Lauf der Tatsachen muß Paris, dieHauptstadt Frankreichs, in diesem 20. Jahrhundert sei-nen Befehlssitz erbauen. Eine reine Analyse hat uns zudieser Formulierung eines vernünftigen Vorschlags geführt.

Jeder Wolkenkratzer kann 20 000 bis 40 000 Angestelltefassen. Die vorgesehenen 18 Wolkenkratzer können also500 000 bis 700 000 Personen bergen, die Armee, die dasLand regiert.“ (Le Corbusier, 1964, S. 237)

Durch eine solche Bebauung wäre nur mehr 5%der Oberfläche bedeckt, die zuvor zu 70 - 80%bebaut war. Die übrigen 95% blieben demVerkehr, den Garagen und Parkplätzen und auchGrünflächen vorbehalten.

2.2.4.1 Die Charta von Athen

1943 publizierte Le Corbusier die Charta vonAthen29, in der er seine Ansichten zu verallge-meinern versuchte. Sie ist das Resultat vielfacherÜberarbeitungen und kontroverser Ausdeutungder Tagungsergebnisse des IV. Kongresses überdie „Funktionelle Stadt“ der CIAM (CongrèsInternationaux d’Architecture Moderne), derschon 1933 in Athen stattfand.

Die CIAM ( in der deutschen Version „Interna-tionale Kongresse für Neues Bauen“) gründetesich auf Anregung Le Corbusiers 1928 alsAntwort auf einen Streit um die Wettbewerbs-beiträge für das „Palais des Nations“ in Genf.Dieser Streit drehte sich um den zentralenKonflikt zu Beginn des Jahrhunderts, den dieAvantgarde mit den Traditionalisten austrug. DieVerantwortlichen des Völkerbundes entschiedensich 1927 für eine Realisierung des projektiertenPalais in der Gestalt einer Architektur des„Historismus“. Es kam zu einem Kongreß in LaSarraz, bei der der sogenannte „Historismus“30,den die Akademien vertraten, mit dem Ziel kriti-siert wurde, „fortan die Architektur vor ihre tat-sächlichen Aufgaben zu stellen“. Es wird ein radi-kaler Bruch mit den historischen Stadtstrukturenangekündigt.

„Nach hundert Jahren ästhetischer Debatten, konstrukti-ver Forschungen und technischer Errungenschaften sollte

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 35

28 Im Bild des Stadtplaners als Chirurgen, der am städtischen Organismus herumdoktert, wird die Nähe zum organischen Denken deutlich,wie ich es ja auch mit der Idee der Gartenstadt und den daraus folgenden Leitbildern beschrieben habe. Der Unterschied besteht darin,daß Le Corbusier in seiner Vorstellung an sehr radikale, im wörtlichen Sinn einschneidende Eingriffe denkt, wohingegen bei Howardsich die Veränderungen durch die gelebten positiven Beispiele von selbst einstellen würden.

29 Im deutschsprachigen Raum fand die Charta erst nach 1950 Verbreitung..30 Habermas beschreibt die Ablösung des Historismus, der einen von der Alltagswirklichkeit abgehobenen Stilpluralismus vertrat, durch die

Moderne folgendermaßen: “Einerseits bedeutet der Historismus eine Fortsetzung und Radikalisierung der Aufklärung, die, wieNietzsche sofort erkennt, die Bedingungen für die Ausbildung moderner Identitäten noch schärfer, noch unerbittlicher definiert; an-dererseits macht der Historismus geschichtliche Überlieferungen in idealer Gleichzeitigkeit disponibel und ermöglicht einer unsteten, vorsich selbst fliehenden Gegenwart eine Kostümierung in geliehenen Identitäten. Der Stilpluralismus, an dem man bis dahin eher gelittenhatte, wird nun zur Errungenschaft. Auf diese Situation hat der Jugendstil, hat dann die klassische Moderne eine Antwort gefunden, diebis heute aktuell ist.” (Habermas, 1985, S. 13) Er kommt zu dem Schluß, daß die moderne Architektur “der erste und einzige verbindli-che, auch den Alltag prägende Stil seit den Tagen des Klassizismus” sei. Diese Baukunst sei dem Geist der Avantgarde entsprungen; siehabe “die Traditionsli-nie des okzidentalen Rationalismus fortgesetzt und war selber kräftig genug, Vorbilder zu schaffen, d.h. klassischzu werden und eine Tradition zu begründen, die von Anbeginn nationale Grenzen überschritten hat.” (ebd., S.15)

die Stunde für eine geregelte, gebilligte Entfaltung schlagen,geeignet, die Architektur weltweit zu beeinflussen, die altenSchulquerelen, den Streit zwischen “Alten” und“Modernen”, zu begraben und das Sprungbrett für eineneue Baukunst zu liefern, die, auf alle Gebiete des Bau-ens, in Stadt und Land, angewandt, überall die solideWirklichkeit und den wahrhaft humanen Wert ihrerKonzeptionen unter Beweis stellen würde.“ (aus demVorwort zur Erklärung von La Sarraz: Hilpert,1984, S. 93)

In der Gründungserklärung der CIAM liegt dieBetonung auf den „Strukturveränderungen“ inder Gesellschaft, es wird von veränderten„Tatsachen der Zeit“ als Grundlage für eine neueArchitektur gesprochen, die sich gegen „gestalte-rische Prinzipien früherer Epochen und vergan-gener Gesellschaftsstrukturen“ richtet.31

In der Charta von Athen werden die BereicheWohnen, Freizeit, Arbeiten und Verkehr analy-siert und im Anschluß Forderungen zu den ein-zelnen Punkten aufgestellt, die als „Lehrsätze fürden Städtebau“ bezeichnet werden.

Im analytischen Teil wird beispielsweise festge-stellt, daß die Stadt nur ein Teil der Region ist, dieein ökonomisches, soziales und politischesGanzes bildet. Sowohl die topographische Lageals auch die ökonomische Situation und die poli-tische Lage sind von Bedeutung.

„Man kann ein Problem des Städtebaus nur ins Augefassen, indem man sich beständig auf die bestimmendenElemente der Region bezieht und besonders auf seineGeographie.“ (Le Corbusier, 1984, S. 117)

Die Probleme des Städtebaus seien das Ergebnismassiver gesellschaftlicher und ökonomischerVeränderungen, die sich in der Gestaltung derStadt auswirken. Durch die Industrialisierungwäre die alte Harmonie des Stadtgefüges zerstörtworden. Maschinen bestimmten die Arbeits-bedingungen, und diese wiederum die Anord-nung von Arbeitsstätten und deren Lage in derStadt. Zwischen Wohnung, Arbeitsstätte undFreiflächen sind durch die große Flächenausdeh-nung der Städte beträchtliche „Zwangswege“(„erzwungene Mobilität“) entstanden. Gleich-

zeitig stellt der dadurch erzeugte Verkehr eineGefährdung der Fußgänger dar und belastet dieWohnenden mit Lärm und Abgasen. (vgl. ebd., S.140f) Die vorhandenen Straßen sind aber auchfür den zunehmenden Verkehr und die „neuenmechanischen Geschwindigkeiten“ nicht ange-messen. „Angesichts der mechanischen Ge-schwindigkeiten erweist sich das Straßennetz alsunrationell, da es ihm an Genauigkeit, anAnpassungsfähigkeit, an Differenziertheit und anZweckmäßigkeit fehlt.“ (ebd., S. 147) Ein zusätz-liches Problem stellt das Eisenbahnnetz dar, dasein schweres Hindernis für die Stadtentwicklunggeworden ist, weil es Wohnviertel voneinanderabschließt.

Bemängelt wurden besonders die unmenschli-chen Wohnverhältnisse für die breite Masse derstädtischen Bevölkerung, die sich aus diesenBedingungen ergaben. Wohnungen seien spekula-tives Ausbeutungsobjekt, parteiisch verteilt undschlecht mit Freiflächen ausgestattet. Die Woh-nungen als Waren des freien Marktes fänden sichmit hoher Dichte in ungünstigen Stadtvierteln,aber mit geringer Dichte in begünstigten Vierteln.Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal,unter anderem weil die Freiflächen zumeist weit-ab von den Wohnvierteln der Masse sind. Dieohne Plan und ohne geregelte Verbindung mitder Stadt errichteten Vororte werden als „einesder schlimmsten Übel dieses Jahrhunderts“bezeichnet, „die das Schicksal der Stadt und ihreMöglichkeiten, nach einem Gesetz zu wachsen,ernstlich gefährden“. (ebd., S. 130)

Die Wirtschaftsentwicklung ist Improvisationvon Einzelwesen bzw. Spekulanten. Art, Umfangund Lage von Industriebetrieben würden unkoor-diniert von Einzelnen festgelegt. Ebenso vollzögesich die Anhäufung von Büros inGeschäftsvierteln nach dem Gesichtspunkt derRenditenmaximierung. (vgl. ebd., S. 142) Die öko-nomischen Kräfte setzten sich gegenüber admini-strativer Kontrolle und sozialer Solidarität durch,so daß die rücksichtslose Brutalität einigerPrivatinteressen das Unglück zahlloser Menschenbewirkt, die in den benachteiligten Teilen derzumeist ungeplanten und chaotischen Städteleben müssen.

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder36

31 Die Kritik am Ornament nimmt dabei eine besondere Stellung ein, da das Ornament symbolhaft und stellvertretend für die Reste feuda-ler Herrschaftsformen kritisiert wird und beseitigt werden soll. ”Der Funktionalismus bekämpfte im Ornament die angesichts der neuenMittel zur Naturbeherrschung substanzlos werdende Symbolik einer alten Gesellschaftsordnung.” schreibt Klaus Horn (Berndt, 1968, S.110). Die Kritik am Ornament hatte Loos schon 1908 in seiner Schrift “Ornament und Verbrechen” ausführlich geübt. Für ihn warOrnamentlosigkeit ein Zeichen “geistiger kraft”, das Ornament hingegen “Ersatzästhetik” der Hochstapler, Degenerierten und Unterpri-vilegierten. “Seht, das macht ja die größe unserer zeit aus, daß sie nicht imstande ist, ein neues ornament hervorzubringen. Wir habendas ornament überwunden, wir haben uns zur ornamentlosigkeit durchgerungen. Seht, die zeit ist nahe, die erfüllung wartet unser. Baldwerden die straßen der städte wie weiße mauern glänzen. Wie Zion, die heilige stadt, die hauptstadt des himmels. Dann ist die erfüllungda.” (Loos, 1908, in: Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts, 1964, S. 16)

Aus dieser - kurz zusammengefaßten - Analysewerden für den zukünftigen Städtebau folgendeForderungen abgeleitet:

Das Kernstück von Le Corbusiers Forderungenist die funktionelle Einheit der Stadt mit den städ-tebaulichen Hauptfunktionen, Wohnen, Arbeiten,Sich Erholen (in der Freizeit), Sich Bewegen.Damit setzt die moderne Architektur diePrioritäten neu, die in der „post-liberalen“ Stadteindeutig die Produktion und vor allem dieAktivitäten des tertiären Sektors (Handel,Verkehr) begünstigten, denen gegenüber die übri-gen mehr oder weniger geopfert wurden. So wirdder Wohnbereich zum wichtigsten Element derStadt, der in enger Verbindung zu den übrigenBereichen, die ihn unmittelbar ergänzen, steht.Alle Sektoren des produktiven Bereiches(Landwirtschaft, Industrie und Handel) gelten alsgleichgewichtig und bestimmen die dreiGrundtypen menschlicher Ansiedlungen: dieüber das ganze Land verteilten landwirtschaftli-chen Betriebe, die langgestreckte lineare Indus-triestadt, die radiozentrisch angelegte Stadt fürden Handel. Die Freizeitaktivitäten werden inihrer Bedeutung aufgewertet und bedürfen eigensgeschaffener, offener Bereiche, die über dasganze Stadtgebiet verteilt sein sollen. So würdedie Stadt zu einem einzigen großen Park, der soangelegt ist, daß er allen Funktionen und An-forderungen des städtischen Lebens gerecht wird.

Das herkömmliche Verkehrswesen wird je nachder Art der eingesetzten Verkehrsmittels undnach den Anforderungen und der Bedeutung dereinzelnen städtischen Funktionen und Bereichegegliedert. Die „Korridor-Straße“ - so wird dieherkömmliche Straße mit ihren Bürgersteigen fürdie Fußgänger und der Fahrbahn für alle Artenvon Fahrzeugen bezeichnet - soll durch einSystem verschiedener, getrennt verlaufenderVerkehrswege ersetzt werden, wobei für jede Artder Verkehrsteilnehmer (Fußgänger, langsameund schnelle Fahrzeuge) eigene Wege bzw.Straßen angelegt werden. Dieses System soll dengesamten Raum der neuen „Park-Stadt“ in freigezogenen Linien durchziehen, bzw. auch über-einander geführt werden (so ist der Autoverkehrbeispielsweise auf Hochstraßen vorgesehen, umdie Fußgänger nicht zu behindern). (vgl.,

Benevolo, 1983, S. 909ff) Der Verkehr muß zwarden neuen Anforderungen angepaßt werden, erhat grundsätzlich aber nur eine dienendeFunktion, indem er die drei anderen Funktionennutzbringend in Verbindung bringt.

Die Funktionstrennung bezog sich in der Chartavon Athen - entgegen späterer Interpretationen,wonach sie auf den gesamten Stadtraum projiziertworden wäre - nur auf eine kleinräumige Trennungvon Wohnen, Arbeiten und Freizeit im Sinne vonStadtbezirksdifferenzierungen. Dazu dient dieZoneneinteilung, die „eine auf dem Stadtplandurchgeführte Operation mit dem Ziel [ist], jederFunktion, jedem Individuum den richtigen Platzzuzuweisen.“ (Le Corbusier, 1984, S. 127)Ausgehend vom Wohnen als dem eigentlichenZentrum der städtebaulichen Bestrebungen solldie größte Zeitersparnis gewährleistet sein, wes-halb auch gefordert wird, daß die Entfernung zwi-schen Arbeitsplatz und Wohngebiet auf ein Mini-mum reduziert werden müssen. (vgl., ebd. S. 143)

„Sonne, Grün, Raum sind das Ausgangsmaterialdes Städtebaus.“ (ebd., S. 126) Diese Forderung istdie Antwort auf die beengten, unhygienischenund unmenschlichen Wohnbedingungen der über-kommenen Städte. Die erste Aufgabe des Städte-baus sei es, mit den fundamentalen Bedürfnissendes Menschen32 in Einklang zu kommen. Um daszu bewerkstelligen und vor allem jeder Wohnunggenügend Lichteinfall zu ermöglichen, spricht sichLe Corbusier für eine Zeilenbauweise aus, weil erden „Block“ - die traditionelle Bauform - als zubeschränkend erachtet.

Obwohl Le Corbusier davon überzeugt ist, daßdie „Dimensionierung aller Gegenstände in denräumlichen Anordnungen der Stadt (..) nur vommenschlichen Maß“ (ebd., S. 157) bestimmt wer-den kann, entwickelt er Pläne überdimensionalerHochhausbauten (vgl. Plan Voisin), was für michin einem gewissen Widerspruch steht. Das„Element Höhe“ einzuführen, bedeutet für ihnaber, eine Lösung gefunden zu haben für denmodernen Verkehr und gleichzeitig für dieFreizeit durch die Nutzung der so geschaffenenFreiräume. (vgl., ebd., S. 160) Es ermöglicht auch,daß der Stadtumfang wieder enger gezogen wird,und das damit die Entfernungen verkürzt werden.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 37

32 An anderer Stelle erklärt Le Corbusier in Bezug auf die Wohnungseinrichtung, die unseren Bedürfnissen zu dienen habe: ”Alle Men-schen haben die gleichen Bedürfnisse, sie haben sie zur gleichen Stunde, jeden Tag, das ganze Leben lang. Die Werkzeuge, die diesenFunktionen entsprechen, sind leicht zu definieren.” Da wir alle mit den gleichen Gliedmaßen ausgerüstet seien, was Zahl, Form undMaße angeht (hinsichtlich letzteren bestünden zwar Unterschiede, die aber nicht weiter ins Gewicht fielen), sei es ohne weiteres möglich,Durchschnittswerte festzulegen. Es ginge darum, Standard-Funktionen, Standard-Bedürfnisse, Standard-Gegenstände und Standard-Maße zu bestimmen, an die sich die moderne Stahlmöbelindustrie halten könne. Die ganze Welt habe es geschafft, sich über das Formatund die Maße des Briefpapiers zu einigen und sich darauf einzustellen. Die Standardisierung sollte nun alle Lebensbereiche betreffen.(Le Corbusier, 1964, S. 107f)

„Man muß versuchen, die Fläche der Städte zu reduzie-ren.“ (Le Corbusier, 1964, S. 231)

Le Corbusier bezieht die Region, in der die Stadtliegt, in seine Überlegungen mit ein. Ein Regio-nalplan hat den einfachen gemeindlichen Plan zuersetzen. Er entwirft die neue Stadt in seinerUtopie aber auch - wie schon viele vor ihm - alseine „finite“, räumlich begrenzte Stadt, obwohlsie das schon lange nicht mehr ist. (vgl., Hilpert,1984, S. 28) Er kritisiert insbesondere auch dieVororte, „die ohne Plan und ohne geregelteVerbindung mit der Stadt errichtet“ worden sindund die er auch als einen „städtebaulichen Irr-tum“ und als „eines der schlimmsten Übel diesesJahrhunderts“ bezeichnet. (Le Corbusier, 1984, S.129) Die Grenze einer Ansiedlung sollte statt des-sen in Abhängigkeit vom Radius ihrer wirtschaft-lichen Tätigkeit klar festgelegt werden. DieExistenzbedingungen einer Stadt sollten unter-sucht und in Zahlen ausgedrückt werden, „die esgestatten, die Etappen einer wahrscheinlichenkünftigen Entwicklung vorauszusehen.“ So könn-ten Zuordnungen, Beschränkungen, Kom-pensationen beschlossen werden, „die jeder vonRegion umgebenen Stadt einen eigenen Charakterund ein eigenes Schicksal verleihen. So wird jedeStadt ihren Platz und ihren Rang in der allgemei-nen Wirtschaft des Landes einnehmen. (...) Dasist totaler Städtebau, und er ist imstande, dasGleichgewicht in der Provinz und im Lande her-zustellen“. (ebd., S. 160f) Das Werk „wird einewirkliche biologische Schöpfung sein, die klardefinierte, organische Bestandteile umfaßt, dieimstande sind, ihre wesentlichen Funktionen voll-endet zu erfüllen“. (ebd., S. 162) Ganz im Sinnedes Fordismus meint Le Corbusier:

„Die Stadt wird den Charakter eines im voraus durch-dachten Unternehmens annehmen, das den strengen Regelneines allgemeinen Plans unterworfen ist. (...) Ihre Ent-wicklung wird - anstatt in eine Katastrophe zu führen - dieVollendung bedeuten.“ (ebd., S. 161)

„Um diese großen Aufgaben, die sich demStädtebau stellen, zu lösen, ist es unerläßlich, dieHilfsmittel der modernen Technik zu nutzen.“ Inseinem ungeheuren Technikoptimismus will LeCorbusier „der Technik die Lösung des Problemsabverlangen“, des Problems der Ordnungslosigkeitund der Umwälzungen in den Städten nämlich, die- wie auch Le Corbusier es sieht - unter anderemgerade die Ursache des Problems sind. Um von derTheorie zu Taten zu kommen, ist außerdem dasZusammenwirken folgender Faktoren notwendig:

„Eine politische Macht, die so ist wie man sie sich wünscht- klarblickend, sicher und entschlossen, die besten Möglich-keiten zu verwirklichen, die auf dem Papier der Pläneausgearbeitet und eingeschrieben worden sind; Eine aufge-klärte Bevölkerung, die versteht, wünscht und fordert, wasdie Spezialisten für sie ins Auge gefaßt haben; Eine wirt-schaftliche Situation, die erlaubt, Arbeiten, von denen eini-ge beachtlich sind, in Angriff zu nehmen und auszu-führen.“ (ebd., S. 164)

In dieser Aussage wird die Bevormundung derBevölkerung deutlich, aber auch die Rolle derPolitik, die Le Corbusier in seinem Sinne han-delnd wissen will. Der Rolle des Architektenräumt er eine bedeutende Stellung ein:

„Die Architektur waltet über das Geschick der Stadt. (...)Die Architektur ist für das Wohlbefinden und dieSchönheit der Stadt verantwortlich. Sie hat die Aufgabe,die Stadt zu schaffen oder zu verbessern, und ihr fallen dieWahl und die Verteilung der verschiedenen Elemente zu,deren geglückte Proportionen ein harmonisches und dau-erndes Werk begründen wird. Die Architektur ist derSchlüssel zu allem.“ (ebd., S. 164f)

Auch in puncto Grundbesitz stellt Le Corbusiereindeutige Forderungen: Das Gemeinschafts-interesse muß Vorrang vor dem Privatinteressebekommen, wobei besonders das schmutzigeSpiel der Bodenspekulation zu verhindern ist. Umdas Problem des grenzenlos zerstückeltenZustandes des Grundbesitzes zu bewältigen, wer-den zahlreiche Parzellen enteignet werden müs-sen. Die Verfügbarkeit allen nutzbaren Bodensmuß mit legalen Mitteln geregelt werden, „um dielebenswichtigen Bedürfnisse des Individuums involler Harmonie mit den Bedürfnissen derGesellschaft zu befriedigen.“ (ebd., S. 165)

2.3 ZUR IDEE DER STEUERUNG DERGESELLSCHAFT DURCH DIE STADT-PLANUNG

Reinborn (1996) ist der Ansicht, daß die „Über-schätzung der Planbarkeit der Stadt“ ein wenigbeachtetes Phänomen sei. Es gibt zwar zahlreicheBeispiele planmäßig erstellter Städte undStadtgebiete vom Mittelalter über Siedlungen der20er Jahre bis hin zu neuen Stadtgebieten nachdem zweiten Weltkrieg. Das ändere aber nichts ander Tatsache, daß sich ein großer Teil der Stadteiner wirklichen Planung entzieht. Die umfassen-de Planung von neuen Städten, als Gegensatz zufast ungesteuerten Wachstumsprozessen vonSiedlungen, ist in verschiedenen Zeitepochen zu

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder38

beobachten. Reinborn vertritt in dem Zu-sammenhang die These, daß „geplante Städte“Zeichen und Ausdruck von abstraktem Denkenund rationellem Handeln einer Gesellschaft zusein scheinen, wie es in kulturellen Blütezeitenanzutreffen war. Planmäßiges Handeln wurdedann zur unabdingbaren Notwendigkeit, wenn inkurzer Zeit Wohn- und andere Siedlungsflächenzum Bauen vorbereitet werden mußten, wie dieszum Beispiel seit der griechischen Antike in derErbauung von Kolonisationsstädten der Fall war.Je größer der „Entwicklungsdruck“ war, destohöher wurde der Planungsanteil.33 Diese Theseläßt sich auch auf die Umstände nach der indu-striellen Revolution übertragen, da diese Zeit bisheute aufgrund ihrer stetigen Expansion unterbesonderem „Entwicklungsdruck“ steht. DiePlanung von Städten mündet allzu leicht in eineÜberbetonung technischer Details und Aspekte,die andere - z.B. ideologische - Momente in ihremGewicht überdecken können.

Idealstadtmodelle sind in aller Regel aber mitVorstellungen über eine wünschenswerteOrganisation der Gesellschaft verbunden, und sietransportieren die Überzeugung, daß sich eine„neue Gesellschaft“ genauso planen ließe, wieeine Stadt geplant werden kann. Sie versucheneine Antwort auf die ungeordneten, städtischenVerhältnisse zu geben, wie sie durch die rasantekapitalistische Entwicklung infolge der Industria-lisierung und die recht planlose Durchsetzungindividueller unternehmerischer Interessen ent-standen sind. Diese Entwicklung ist auch bedingtdurch den Verlust an traditionellen Zusammen-hängen und Ordnungsstrukturen. Ein weitererAspekt ist das enorme Wachstum der Städtedurch die veränderten, wirtschaftlichenBedingungen und den Zuzug großer Bevölke-rungsmassen vom Land in die Stadt. Die durchdie neue Produktionsweise verursachtenProbleme, die grundsätzlich ja auf Stadt undLand zutrafen, wurden auf die Großstadt alsräumliche Organisationsform projiziert, und alsKritik an der Großstadt thematisiert. Damit wur-den sie allerdings sehr verkürzt wahrgenommen.

„Die Großstadtkritik lenkt die Aufmerksamkeit aufein räumliches Subsystem, wo allerdings die Widersprüchekonzentriert auftreten, nämlich in der Großstadt. Demökonomisch bedingten Verstädterungsprozeß stellt dieGroßstadtkritik rückwärts gerichtet die Scheinalternativedes vorindustriellen ländlichen Lebens und Arbeitens

gegenüber. Indem die Großstadtkritik zwar Probleme teil-weise korrekt benennt, aber verzerrt und politisch moti-viert interpretiert, wird sie zur Ideologie, deren Funktiondarin liegt, den Schauplatz von strukturellen gesell-schaftlichen Problemen abzulenken und auf einNebengleis zu führen.“ (Schubert, 1990, S. 32)

So wie von einzelnen gesellschaftlichen Phäno-menen, die in der Großstadt lediglich häufigerauftreten, in der Großstadtkritik kollektiv bewußtoder unbewußt der Schluß auf fatale Fehler desräumlichen Systems Großstadt gezogen wird, exi-stiert auch der Umkehrschluß, daß es einer spezi-fischen anderen (besseren) räumlichen Strukturbedarf, um diese Probleme zu lösen. Und es herr-scht die Überzeugung vor, daß sowohl eine solcheräumliche Struktur, als auch die gesellschaftlichen(positiven) Konsequenzen planbar seien.

Selle spricht in diesem Zusammenhang vom„Gott-Vater-Modell“ der Planung. Unterstelltwird eine Situation, in der ein allmächtigesSubjekt, das zugleich allwissend ist, in einerTabula-Rasa-Situation eine neue Welt schafft.(vgl. Selle, 1996, S. 22) In diesem Planungsver-ständnis gibt es auf der einen Seite die Fachleuteund auf der anderen Seite „ein zu gestaltendesGanzes“.

„Diese Rollenverteilung blieb über die Jahrzehnte imwesentlichen unverändert, allerdings wandelte sich dieKostümierung. Dem Stadt-Bau-Künstler und dem fürsor-genden Planer-Vater folgte der diagnostizierende und hei-lende Stadt-Arzt (der in der Lage ist, Städte zu “sanie-ren”, also wieder gesund zu machen); und der wurde in densechziger Jahren abgelöst durch den Wissenschaftler, derdie Entwicklung der Räume (unter Verwendung großerDatenmengen) systematisch analysiert und die Verteilungder räumlichen Ressourcen sachlogisch optimiert. Aufdiese Weise sollte, wie es damals hieß, die gesamte Ent-wicklung der Umwelt global gesteuert werden.“ (ebd.,S.22)

Auch Howard ist von der Planbarkeit einer Stadtnicht nur überzeugt, sondern erhebt die „Plan-mäßigkeit“ zum Prinzip,

„dem der Bau der Stadt von Anfang an unterliegt, unddas der ganzen Frage städtischer Verwaltung mit einemweit ausschauenden und abgeschlossenen Plan vorgreift. Esist keineswegs nötig und auch gar nicht menschenmöglich,daß der endgültige Plan das Werk eines Einzelnen ist.(...) Aber das Wesentliche ist, daß der Plan durchaus ein-

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 39

33 Ein äußeres Zeichen davon ist beispielsweise die Rechtwinkligkeit des Stadtgrundrisses (hippodamisches Rasterprinzip, benannt nachdem griechischen Baumeister und Stadtplaner Hippodamos von Milet des 5. Jhdts. v. Chr.). (vgl. ebd., S. 15f)

heitlich ist und den Entwicklungsgang der Stadt bis zu ih-rem Abschluß ins Auge faßt und regelt, damit sie sich spä-ter nicht in so sinnloser Weise entwickeln kann, wie diesbei den meisten englischen Städten und mehr oder wenigerbei den Städten aller Länder der Fall war. Wie eineBlume oder ein Baum oder ein Tier sollte eine Stadt injedem Stadium ihres Wachstums Einheitlichkeit,Symmetrie und Abgeschlossenheit an den Tag legen.Einheitlichkeit und Symmetrie dürften durch dasWachstum nicht gestört, sondern müßten immer mehr her-ausgebildet und entwickelt werden, und die Voll-kommenheit einer früheren Entwicklungsperiode sollte inder noch vollendeteren Vollkommenheit späterer Entwick-lung ganz und gar aufgehen.“ (Howard, 1968, S.81f)

Bei Howard wird deutlich, daß er sich so etwaswie eine fertige Stadt vorstellt, eine in der dieEntwicklung abgeschlossen ist. Bestimmt wirdeine genaue Größe und Flächenausdehnung derStadt, über die hinaus es keine Expansion gebendarf. Ist eine solche Stadt abgeschlossen, mußeine neue gegründet werden. Ein solches Modellwünscht einen statischen Endzustand von einzel-nen Städten herbei. Es verweist aber auch aufVorstellungen, denen zufolge die Erde und derauf ihr befindliche Raum unerschöpflich sind,denn alles weitere Wachstum sollte ja in neueStädtegründungen münden. Die Vorstellung, daßdie Fläche auf der Erde irgendwann erschöpftsein könnte, existierte damals noch nicht.34

Bei Howard soll die soziale Reform - vor allemauch des Bodenrechtes - durch „die Kraft desBeispiels“ bewirkt werden, „das heißt, durch dieVerwirklichung eines besseren Systems, dadurch,daß man ein besseres Zusammenwirken dergesellschaftlichen Kräfte ermöglicht und sich dieErgebnisse volkswirtschaftlichen Forschens nutz-bar macht.“ (ebd., S. 137) Howards räumlichesModell - das die Basis für eine sehr idealistischeSozialreform darstellt, wird in der Folge von dertotalitären Ideologie des Faschismus verein-nahmt. Das zeigt besonders deutlich, daß räumli-che Entwürfe offen für ideologische Zu-schreibungen jeder Art sind, und daß sie auch zur

Manifestation politischer Verhältnisse dienen.

Immer wieder taucht in den Modellen derWunsch nach einer „perfekten Schöpfung“ auf.35

Le Corbusier sah sich „gleichsam als Demiurg36,der außerhalb der Politik durch Bauten undPlanung eine neue Gesellschaft schuf“, schreibtBöhme (1996, S. 78). Diese Haltung wird in vie-len Passagen deutlich, insbesondere in der Chartavon Athen. In seiner ausgeprägten Technik-gläubigkeit versprach sich Le Corbusier - so wiealle anderen Vertreter des „Neuen Bauens“ auch- die Lösung der Probleme durch die neuen tech-nischen Errungenschaften, allen voran dieMöglichkeit des Hochhausbaus. Diese Überzeu-gung führte soweit, sich die Stadt als durchratio-nalisiertes Unternehmen vorzustellen, das ge-nauso wie ein Industriebetrieb geplant und opti-miert werden könne. Eine solche - fordistische -Vorstellung geht aber an den realen städtischenBedingungen vorbei; das „menschliche Maß“, die„menschlichen Bedürfnisse“, die Le Corbusieranscheinend so am Herzen lagen - werden damitnicht erfaßt. Aber auch komplexere, systemischeZusammenhänge werden nicht reflektiert, daseine Sichtweise sehr linear und eindimensionalist.

Aus der Perspektive der funktionalistischenÄsthetik nimmt Heide Berndt auf die Eindi-mensionalität Bezug, in der die Technik eine zen-trale Stellung einnimmt:

„Der heutige Funktionalismus in der Architektur ist eine“eindimensionale” Ästhetik. Er spiegelt jene Eindimen-sionalität der gesamten gesellschaftlichen Entwick-lungsrichtung wider, die Verselbständigung der technischenMittel gegenüber gesellschaftlichen Zielsetzungen - eben dieVerselbständigung der Zweckrationalität (...). Der eindi-mensionale Charakter der modernen Industriegesell-schaften gründet in der Koppelung von rationalen Mittelnund irrationalen Zwecken in der Verknüpfung vonProduktivität und Vernichtung. Der verwirrendsteAspekt dieser Gesellschaft ist der “rationale Charakterihrer Irrationalität”.” (Berndt, 1968a, S. 40)

Stadtentwicklung: Historische Aspekte und Leitbilder40

34 Das wird auch in folgendem Zitat deutlich, wo unter anderem die Rede von den “unendlichen Schätzen” des Planeten ist: “Der Planet,auf dem wir leben besteht seit Millionen von Jahren, und seine Bewohner haben vielleicht gerade erst die Schwelle zu höherer Kulturüberschritten. Diejenigen unter uns, die daran glauben, daß ein großer Zweck in der Natur verborgen liegt, können nicht annehmen, daßdie Entwicklung auf unserem Planeten abgeschlossen ist, jetzt wo schönere Hoffnungen in den Herzen der Menschen aufsteigen, wodiese den Schleier von einigen seiner weniger dunklen Geheimnisse gelüftet und durch Arbeit und Mühe die Mittel gefunden habe, einenedleren Gebrauch von seinen unendlichen Schätzen zu machen.” (ebd., S. 136)

35Bei Howard drückt sich das in seinem Streben nach der Vollkommenheit seines Werkes aus: “Viel Arbeit wartet unser in der Gartenstadt.Zunächst muß eine größere Zahl von Häusern und Fabriken gebaut werden. Je schneller also die Gräben ausgehoben, die Tunnel vollen-det, Häuser und Fabriken gebaut sind und für Licht und elektrische Kraft gesorgt wird, desto schneller kann die Stadt, die einem fleißi-gen, glücklichen Volk eine Heimat gewähren soll, im Bau vollendet werden. Diese Städte werden der ersten nicht gleich sein, sondernsich immer mehr vervollkommnen, bis sie die erste in demselben Maß übertreffen wie unsere heutigen Lokomotiven die ersten tasten-den Versuche der Pioniere auf dem Gebiet mechanischer Fortbewegung..” (Howard, 1968, S. 85)

36 Das bedeutet Weltbaumeister oder Weltenschöpfer.

Berndt führt diese Reduktion in der Wahrneh-mung der Gesellschaft auf die allgemeine Ge-schichtsfeindlichkeit des Funktionalismus zurück.Ihr fällt auf, daß in der Charta von Athen derBeginn der Industrialisierung als ein sehr plötzli-ches, nicht weiter ableitbares Phänomen beschrie-ben wird. „Die historische Kontinuität derEntwicklung wird dabei übersehen; gesellschaftli-che Verhältnisse werden naturalisiert, anstatthistorisch interpretiert.“ (ebd., S. 12) Der Versuchdes modernen Funktionalismus, in seinerGeschichtsfeindlichkeit die Architektur als unab-hängig von historischen Gebundenheiten zu be-trachten, bewirkte aber gerade, „daß sich in ihmdie gesellschaftlichen Schwerkräfte stärker, weilweniger reflektiert durchsetzten.“ (ebd., S.18)Daraus ergibt sich eine Unterwerfung an diegesellschaftlichen Funktionsanforderungen,denen im einzelnen mit Beschränkung aufbestimmte Zwecke Folge geleistet wird, wobei dieVielschichtigkeit der gesellschaftlichen Beziehun-gen außer Acht gelassen wird.

Zu einem ähnlichen Schluß kommt auch JürgenHabermas (1985), obwohl er darüber hinaus dar-zustellen versucht, was der Funktionalismus gelei-stet hat. Habermas faßt die bekanntesten dreiHerausforderungen zusammen, denen Baukunstund Stadtplanung angesichts der Veränderungenin der Folge der industriellen Revolution gegenü-berstehen: den qualitativ neuen Bedarf an archi-tektonischer Gestaltung, die neuen Materialienund Techniken des Bauens, die Unterwerfung desBauens unter neue funktionale, vor allem wirt-schaftliche Imperative.

Er ist der Ansicht, daß die moderne Bewegungdie Herausforderungen des qualitativ neuenBedarfs und der neuen technischen Gestaltungs-möglichkeiten erkennt und im Prinzip richtigbeantwortet, daß sie aber den „systemischen Ab-hängigkeiten von Imperativen des Marktes undder planenden Verwaltung“ eher hilflos begegnet.

Das Neue Bauen brachte einen neuen Stil hervor,der sich durch alle Lebensbereiche zieht.

„Die moderne Bewegung nimmt die Herausforderung an,denen die Architektur des 19. Jahrhunderts nicht gewach-sen war. Sie überwindet den Stilpluralismus und jeneAbtrennungen und Aufteilungen, mit denen sich die Bau-kunst arrangiert hatte.“ (Habermas, 1985, S. 20)

Das gelingt ihr insbesondere, weil sie dieHerausforderung, die in dem immens erweitertenSpielraum technischer Gestaltungsmöglichkeitenlag, mit „ästhetischem Eigensinn“ verarbeitet hatte.

Der Funktionalismus erweiterte den Architektur-begriff nach Habermas aber auch dahingehend,daß die Theoretiker des Neuen Bauens Lebens-stile und Lebensformen im ganzen dem Diktatihrer Gestaltungsaufgaben unterworfen sehenwollten. Damit mußte er scheitern, was sich zumBeispiel auch darin bemerkbar machte, daß beider Realisierung konkreter Projekte die Gemein-schaftseinrichtungen ungenutzt blieben oder ab-geschafft wurden.

„Die Utopie einer vorgedachten Lebensform, die schon dieEntwürfe Owens und Fouriers getragen hatte, konnte sichnicht mit Leben füllen. Und dies nicht nur wegen einerhoffnungslosen Unterschätzung der Vielfalt, Komplexitätund Veränderlichkeit moderner Lebenswelten, sondernauch, weil modernisierte Gesellschaften mit ihren System-zusammenhängen über Dimensionen einer Lebenswelt, dieder Planer mit seiner Phantasie ausmessen konnte, hinaus-reichen. Die heute sichtbar gewordenen Krisenerscheinungender modernen Architektur gehen weniger auf eine Kriseder Architektur zurück als vielmehr darauf, daß diese sichbereitwillig hat überfordern lassen.“ (ebd., S. 23)

Vor allem bleiben so die Widersprüche, zwischenden Bedürfnissen einer geformten Lebensweltauf der einen, den über die Medien Geld undMacht mitgeteilten Imperativen auf der anderenSeite, die die kapitalistische Modernisierung gera-de auf dem Gebiet der Stadtplanung kennzeich-nen, unbeachtet.

„Die Probleme der Stadtplanung sind nicht in erster LinieProbleme der Gestaltung, sondern Probleme der versagen-den Steuerung, Probleme der Eindämmung und Be-wältigung von anonymen Systemimperativen, die in städti-sche Lebenswelten eingreifen und deren urbane Substanzaufzuzehren drohen.“ (ebd., S.24)

Die Frage nach der Steuerung städtischerEntwicklung ist bis heute aktuell und zentralerDiskussionspunkt. Das gleiche gilt für dasDilemma zwischen den „über die Medien Geldund Macht vermittelten Systemimperativen“ undden jeweils individuellen Wünschen undSehnsüchten „nach einer besseren Zukunft“. DasBild von Stadtplanung hat sich mittlerweile verän-dert, unter anderem da die historischen Versucheder Schaffung einer „neuen Gesellschaft“ immerwieder gescheitert sind, und das Bewußtsein vonder Komplexität der Zusammenhänge gewachsenist. Die heutige Stadtplanung steht vor derAufgabe, sich der Dynamik der Entwicklung, diehistorisch ihresgleichen sucht, bewußt zu werdenund in ihr zu agieren. Ein Endzustand der gegen-wärtigen Entwicklung läßt sich nicht vorherbe-stimmen, „so daß sämtliche Orientierungs-

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 41

anstrengungen immer nur in Hinblick auf dieVergangenheit vorgenommen werden können,von welcher der Prozeß sich wegbewegt. DieZukunft dagegen bleibt prinzipiell offen und ent-zieht sich jeder Beschreibung“, meint Sieferle(1997, S. 161). Er stellt weiter fest:

„Die physische Dynamik der sich vollziehendenTransformation hat sich spontan entfesselt und damit auchvon Anfang an der Steuerung entzogen; sämtliche Versuche,sie dennoch der Steuerung oder gar Planung zu unterstellen,haben sich immer nur blamiert. Der Prozeß, inmitten des-sen wir leben, hat den Charakter eines Naturschauspielszweiter Ordnung: Er ist Resultat “menschlicher”, das heißtkultureller Aktivitäten, doch steht er keinem “Subjekt”zur Verfügung, das in der Lage wäre, auf dem Niveau zuagieren, auf welchem dieser Prozeß sich organisiert.“

3 NACHHALTIGE STADTENTWICK-LUNG: EIN NEUES LEITBILD - EINEMODERNE UTOPIE

Sowohl die Idee der Gartenstadt, als auch die Chartavon Athen werden in aktuellen Diskussionen überStadtentwicklung immer wieder in Erinnerung geru-fen. Es herrscht die Überzeugung, daß ein Rückblickauf vergangene Rahmenbedingungen und die dar-aus abgeleiteten Strategien und Modelle vonStadtentwicklungsplanung Lehrbeispiele für aktuelleNotwendigkeiten bieten kann. Zum einen, weil diehistorischen Leitbilder auf die Stadtplanung Einflußhatten - und ihre Auswirkungen die Problemlagenvon heute sind -, zum anderen, weil bestimmte - vorallem die idealistischen - Aspekte bis heute keinenbreiten Niederschlag fanden.

Juan Rodriguez-Lores, wissenschaftlicher Mitar-beiter für Planungstheorie an der technischenHochschule Aachen, faßte das historische Erkennt-nisinteresse in Bezug auf die Stadt folgendermaßen:

„Bei der Betrachtung der Geschichte interessieren (..) zwei(..) Zusammenhänge: die kollektiven Praxen (von denendie individuelle Praxis mehr oder weniger bewußterBestandteil ist) und ihr Niederschlag in Strukturen,Institutionen und Ideologien; die Art und Weise, wie jenehistorischen, kollektiven Praxen in den überkommenenStrukturen, Institutionen und Ideologien weiterleben unddadurch die Gestaltung der Gegenwart beherrschen. (...)Die Stadt ist eine solche Struktur, die, aus vielfältigen,häufig widersprüchlichen, historischen Praxen entstanden,diese Praxen einverleibt hat und sie weiter transportiert.

Die Stadtplanung, mehr oder weniger wissenschaftlicherZusammenhang von Instrumenten, Methoden und Ideenfür eine ordnende Intervention in die Stadt, ist eine ähnlichgeartete Institution.“ (Rodriguez-Lores, 1987, S. 237)

Das Leitbild nachhaltiger Entwicklung kann als Teileines Kontinuums von Leitbildern in der Stadtentwick-lung betrachtet werden, deren Vorstellungen über Zieleund Möglichkeiten der Planung jeweils aus einer spezifi-schen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politi-schen Situation heraus entstehen.37 Leitbilder sind keineeindeutig abzugrenzenden Untersuchungsgegenstände.Sie entwickeln sich in einem Aushandlungsprozeßunterschiedlichster AkteurInnen innerhalb spezifischerhistorischer Rahmenbedingungen. Was davon in gesell-schaftlicher Praxis umgesetzt wird, folgt eigenenGesetzen, die jedenfalls von einzelnen PlanerInnennicht zu steuern sind.

So unterschiedlich die einzelnen Leitbilder undStadtvisionen in diesem Jahrhundert ausgefallensind, versuchen sie dennoch, alle eine Antwortauf städtische Probleme oder Herausforderungenzu geben, die historisch - im Zuge des sich sounglaublich schnell vollziehenden Industrialisie-rungsprozesses - gewachsen sind, und die sichnur graduell, nicht aber substantiell gewandelthaben. Das ist auch der Grund dafür, warum esso aufschlußreich ist, sich mit den vergangenenAntworten auseinanderzusetzen. Eine Spezifikder historischen Leitbilder liegt in ihrer Re-gelungsdichte und in ihrem Versuch, Gesellschaftdurch Stadtplanung zu verändern.

„An den Umbruchstellen des gesellschaftlichen und politi-schen Wandels entstehen neue Bilder von utopischer“Gesellschaft” und ideal gedachter politischer Ordnung.Diesem Denken entspricht meist eine technisch-sinnlicheKonkretheit kristalliner Strukturen einer zeitlos vorge-stellten, vollendet geregelten und entsprechend entworfenenräumlichen Welt.“ (Böhme, 1996, S.68)

Utopien haben und hatten immer eine wichtigeFunktion auf der Suche nach neuen Lösungen inhistorischen Krisenzeiten. Da wir gerade in einersolchen „als Wende, als Umbruch beurteilten Zeit“leben, meint Böhme, daß die Frage nach einer neuenpolitischen und sozialen Definition von Stadt, ihrerZukunft als politischer Faktor sehr aktuell gewordenist.38 Die Suche nach neuen Leitbildern - unter demGesichtspunkt der Nachhaltigkeit - wird in vielenTexten als notwendig erachtet.

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee42

37 Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts spielten noch eine Reihe weiterer Leitbilder eine Rolle, die näher auszuführen den Rahmen die-ser Arbeit gesprengt hätten; das Leitbild der Nachhaltigkeit schließt insbesondere an den Überlegungen zum ökologischen Bauen an, dieseit den späten siebziger Jahren Einfluß auf die Stadtgestaltung hatten.

38 Böhme (1996) beschreibt anhand von Idealstadtentwürfen seit der Antike über das Mittelalter bis zur Gegenwart die Ambivalenz vonidealem Stadtentwurf und totalitärer Gesellschaftssteuerung. Vgl. auch Korte (1996): “Das Himmelreich auf Erden? Über die Chancenund Risiken gesellschaftlicher Utopien.”

„Leitbilder sind in hohem Maße verinnerlichte, bildhafteVorstellungen, die inhaltlich ganz unterschiedlicheLebensbereiche ansprechen können und sich durch erheblichePrägekraft auszeichnen, welche sie aus einer präzisenAusbalancierung der beiden prinzipiell einem inhärentenWiderspruch unterliegenden Dimensionen Machbarkeit undWünschbarkeit beziehen. Als ihre drei wesentlichenFunktionen für Gesellschaft und Individuum lassen sichunterscheiden: Orientierung, Koordinierung und Motivierung;insbesondere die enge Verflechtung dieser Funktionen stelltdie Grundlage dar für die Leitbildern innewohnende Fähig-keit, handlungsleitend zu wirken.“ (Kahlenborn, W., u.a.;1995; zitiert nach: Sieverts, 1997, S.120)

Im Nachhaltigkeitsdiskurs manifestiert sich auchein gesellschaftsutopisches Moment, vor allemwas die Dimension der Verteilungsgerechtigkeitbetrifft, aber auch in Bezug auf den Suffizienz-aspekt39, in dem die Veränderung der Lebensstilezentraler Angelpunkt ist.

Der Umstand, daß bisherige Planungsbemühun-gen die Modernisierungsdynamik mit allen ihrenpositiven und negativen Effekten - trotz der oftexplizit formulierten Absicht - in ihrer Richtungnicht hat verändern können40, macht deutlich,daß es im Grunde um diese Dynamik selbst geht,die zu analysieren ist, und nicht nur um derenAuswirkungen. Gleichzeitig wird auch klar, daßSymptombewältigung alleine nicht greift. Es gehtum unsere Gesellschaftsform als Ganzes, die inihrer Entwicklungsdynamik nicht auf alle derzeitlebenden oder zukünftigen Generationen ver-allgemeinerbar ist. Einfache Rezepte dagegen gibtes nicht. Es bedarf mühsamer, kleinteiligerArbeit, sich dem Sog dieser Entwicklung zu ent-ziehen - und es bleibt offen, ob das überhauptmöglich ist.

Wir müssen lernen, unsere gesellschaftlicheEntwicklung zu hinterfragen und auf ihre Taug-lichkeit hin abzuklopfen. Es könnte dafür ein ähn-liches Vorgehen angemessen sein, wie Hoffmann-Axthelm dies für das Begreifen städtischerEntwicklung vorschlägt. Er ist der Ansicht, daßLeitbilder so gut wie nichts zur Identifizierung dertatsächlichen Leitfiguren beitragen, nach deneneine Stadt sich so entwickelt, wie sie sich entwickelt.

„Je länger und eindringlicher man sich auf eine Stadteinläßt, desto klarer wird einem, daß die Mängel dieserStadt nur vordergründig die allgemein bekannten Mängelsind, für die die allgemein bekannten Abhilfen mit ihrerallgemein anerkannten Wirkungsarmut bereitzustellensind. Vielmehr konzentriert man sich zunehmend auf dieFrage, was darunter liegt: Für welche Neigungen undDefizite einer Stadt sind diese allgemeinen Mängel funk-tional? Es gilt also, das besondere aufzudecken, was dieseeine Stadt ausmacht, und daraufhin den nächst abwei-chenden Schritt zu formulieren, den sie in ihrerEntwicklungslogik wird tun können. Es gilt, die Physio-gnomie einer Stadt zu begreifen: Wie ist sie gebaut? Wowill sie hin? Was kann man ihr abverlangen, was nicht?“(Hoffmann-Axthelm, 1996, S. 217)

Hoffmann-Axthelms Blick richtet sich aufbestimmte einzelne Städte und deren Entwick-lungslogik, die durch die je spezifischen histori-schen Konstellationen, die auf die Stadt wirkten,manifest wird und sich in den Artefakten und im„Charakter“ einer Stadt ausdrücken.

„Was historisch geworden ist, ist nicht weg, sondern sedi-mentiert sich zu einer neuen Schicht des Stadtcharakters.Wir erleben im Augenblick, wie die NachkriegszeitCharakter wird. Die Situation ist überholt, aber dieStädte bewegen sich in einer tieferen Schicht als der der un-mittelbaren stadt- und wirtschaftspolitischen Oberflächeganz so, als wäre die historische Situation noch inGeltung. Charakter erkennt man an diesem Unterschiedzwischen Situation und von ihr nicht ergriffenerPermanenz.“ (ebd., S. 217f)

Diese Gedanken drücken den sich abzeichnendenWandel in der Stadtentwicklungsplanung aus:Planen und Bauen wird nicht mehr als Schöp-fungsakt empfunden, in dem auf einer Tabularasa neue Städte oder zumindest Stadtteilegeschaffen werden, die vor allem den An-forderungen neuester Technik folgen. Das Wis-sen über die Komplexität gesellschaftlicher Struk-turen und Subsysteme ist gewachsen. Zu-nehmend wird nach Anschlußmöglichkeiten andas Bestehende gesucht. Stadt wird analysiert aufder Suche nach Spuren, die ihre Entwicklungs-und Systemdynamik begreifbar machen.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 43

39 Neben der Effizienzstrategie, die auf die technologische Effizienzsteigerung des Nutzens vor allem nicht-erneuerbarer Ressourcen undEnergie abzielt, wird eine Suffizienzstrategie formuliert, die unter dem Motto “Gut leben statt viel haben” steht. (vgl. Bund/Misereor,1996)

40 “Die Visionen der modernen Architekten waren elitäre Konzepte, die ihre Faszination nur im Prototyp bewahren konnten. Ihre mas-senhafte Anwendung zeigt, daß sie als eindimensionale Lösung für die Probleme des Verkehrs, des Massenwohnungsbaus oder derFreizeitgestaltung die vorhandene Stadtstrukturen und die Umwelt zerstören.” (Reiß-Schmidt, Zwoch, 1990, S. 2412)

„Stadtentwicklungsplanung, vor 30 Jahren in Zeitenzunehmender Regulierungen und weitreichender Planungs-bemühungen als neues Instrument zur allumfassendenPlanung der Stadt kreiert, erfährt heute, in Zeiten von Ef-fizienzsteigerung, Ökonomisierung und Flexibilisierungder Stadtplanung, unter also völlig veränderten Rahmen-bedingungen, eine Renaissance.“ (Wentz, 1996, S.13)

In Hinblick auf die Operationalisierung ist dasLeitbild „nachhaltige Stadt“ allerdings noch sehroffen. Thomas Sieverts, ein Architekt und Stadtplaner,der sich seit Jahrzehnten mit Fragen der Stadtplanungauseinandersetzt, ist dennoch folgender Ansicht:

„Wenn es gegenwärtig überhaupt ein unstrittiges Ziel derStadtentwicklung gibt, dann besteht es in dem Ziel der“Nachhaltigen Stadtentwicklung (sustainable city develop-ment)”“. (Sieverts, 1997, S. 51)

Und Martin Wentz (1996) meint:

„Die UN-Weltkonferenz Habitat II in Istanbul führteim Sommer 1996 vor, wie es um unsere Städte steht - undformulierte Anforderungen an Stadtentwicklungspolitik.Sie ging dem Thema der Entwicklungschancen der Groß-städte und der Nachhaltigkeit ihrer Entwicklungs-strategien nach. Der Begriff der Nachhaltigkeit drangdamit neben der strategischen Komponente von Stadt-entwicklung endgültig in den Mittelpunkt der Leitbild-diskussion und wirft auf politischer wie fachlicher Ebenedie Notwendigkeit auf, Aussagen über die Tragfähigkeitund die Folgen weiteren Wachstums und zusätzlichenLandverbrauchs zu treffen.“ (Wentz, 1996, S. 16)

Es bleibt offen, wie sich (europäische) Städte ent-wickeln und verändern werden. Die Tendenzen derletzten Jahre weisen in eine Richtung, die alles ande-re als nachhaltig ist. Die Diskussion um Nach-haltigkeit bietet zumindest die Chance, sich dessenbewußt zu werden und neue Modelle ge-sellschaftlichen Handelns zu entwickeln, die von denvermeintlich konsistent aufgebauten, häufig allzulinearen Strategien der Vergangenheit abweichen.

In der Metapher der Medizin - die im Städtebau einelange Tradition hat - ginge es in diesem Sinne in Zukunftdarum, den „Stadtkörper“ als Ganzes zu betrachten.

„Von Heilung hat zwar die moderne Urbanistik seitCerdá immer wieder geredet, keine Metapher lag ihrnäher. Aber woran man dachte war - Höhepunkt LeCorbusier - die Chirurgie, das radikale Abschneiden undNeuansetzen. An die Stelle dessen sollte heute ein thera-peutisches Denken treten, das in den gewollten modernenZerstörungen das historisch Verdrängte liest und demStadtbewußtsein in einem schmerzhaften Prozeß der Pro-vokation und der Erinnerung wieder zur Verfügungstellt.“ (Hoffmann-Axthelm, 1996, S. 219ff)

Hoffmann-Axthelm plädiert dafür, „Stadt-agglomerationen zusammenzudenken“, „das ein-zelne, das lokale Detail zu sehen, aber in stoff-wechselgenauer Abhängigkeit vom Ganzen“.(ebd., S. 215) Veränderung bedeutet für ihnDynamisierung: „Nachrüsten des Bestehenden,Öffnen und Anreichern“; eine Aufgabe, die imWiderspruch steht zur Tendenz, „veränderungs-bedürftige Zustände aus politischen oder finanzi-ellen Rücksichten zu bestätigen, um sie einenBogen zu machen und lieber weiter draußenNeuflächen in Anspruch zu nehmen“. Damit ver-stellt sich die Planung seiner Ansicht nach ihreeigentlichen Handlungsspielräume. Demgegen-über sollte es die Aufgabe eines Stadtentwick-lungsplanes sein, „über eine Gesamtbestimmungder Stadt jede Teilfläche im neuen Licht auch neuzur Diskussion zu stellen, ihre veränderteFunktion im Ganzen zu diskutieren und Instru-mente der Anpassung an den neuen Sachstandvorzuschlagen. Ein Stadtentwicklungsplan ist einGesamtplan, der auf die innere Beweglichkeit,den kapillaren Stoffwechsel aller Stadtgebietezielt. Seine Aufgabe ist die Auflösung gerade allerStillstellungen und toten Zonen, zugunsten einerlebendigen Reaktionsfähigkeit jeder lokalenEntwicklungseinheit auf die Bewegung alleranderen.“ (ebd., S.216f)

Wie wird also im Sinne der Nachhaltigkeit denstädtischen Problemen begegnet? Sind neue Lö-sungsansätze sichtbar? Erschöpfen sich die Ideenin neuen Regelkatalogen? Wo werden die An-sichten aus der Vergangenheit weitergeführt undwo werden sie durch neue Überlegungen ersetzt?

Vorerst soll aber abgeklärt werden, warum geradeStädten eine besondere Bedeutung in der Dis-kussion um Nachhaltigkeit zukommt und wel-chen Rahmenbedingungen Stadtentwicklungheute begegnet.

3.1 RAHMENBEDINGUNGEN DERSTADTENTWICKLUNG DER GEGEN-WART

3.1.1 Die Bedeutung von Städten in derDiskussion um nachhaltige Entwicklung

Der Diskurs um Nachhaltigkeit hat sich aus einerinternationalen, weltweiten Diskussion um dasökologische Gleichgewicht auf der Erde einer-seits, und die Verteilung von Lebenschancen undUmweltraum andererseits entwickelt (vgl. Kapitel1). Es geht „schlicht und einfach um ein neuesGesellschaftsmodell, um einen “Vertrag”, ineinem Land so zu wirtschaften und zu leben, daß

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee44

allen Menschen im eigenen und jedem anderenLand, gegenwärtig und zukünftig die gleichenChancen zum Leben eingeräumt werden kön-nen“, wie Dangschat (1997) es formuliert. Trotzdieses globalen Anspruchs kommt Städten eineganz besondere Bedeutung in diesem Diskursund vor allem auf der Umsetzungsebene zu.Städte werden aus mehreren Gründen zu einemzentralen Schauplatz zukünftiger Entwicklung.Jürgen Friedrichs (1983, S. 14) meint dazu:

„Analysen der Stadt lassen sich zunehmend weniger vonAnalysen der Gesellschaft trennen. Je stärker sich dieBevölkerung eines Lands in den metropolitanen Gebietenkonzentriert und sich die Verhaltensmuster der metropoli-tanen Bevölkerung ausbreiten, um so schwieriger wird es,“(Groß-) Stadt” und “Gesellschaft” als spezifischeUntersuchungsobjekte zu konstituieren. Stadtanalysensind Gesellschaftsanalysen, Gesellschaftsanalysen auchStadtanalysen.“

In den Industrieländern leben schon heute 60 -80% der Bevölkerung in Städten (Hahn, 1992, S.15), und das Bevölkerungswachstum in denAgglomerationen ist sowohl im Süden als auch imNorden ständig im Wachsen begriffen. Darüberhinaus beginnt sich die Unterscheidung zwischenStadt und Land zunehmend zu verwischen. Zumeinen dehnen sich städtische Agglomerationenimmer weiter in das Umland aus, zum anderenschwinden traditionelle ländliche Lebensformensukzessive. Dies drückt sich auch in der „ästheti-schen Homogenisierung“ von Stadt und Land aus.

„Es gibt keine Unterschiede zwischen Bauten in der Stadt,am Stadtrand und auf dem Land, so daß der herkömm-liche qualitative Sprung zwischen Stadt und Land zueinem reinen Kontinuum verflacht, zu einer bloßenAngelegenheit der Größe und Menge. Eine moderne Stadtist nur ein großes Dorf, oder umgekehrt, ein modernes Dorfnur ein Stadt im Kleinformat.“ (Sieferle, 1997, S. 192)

In den industrialisierten Ländern beruht das städ-tische Wachstum vor allem auf Wanderungsge-winnen; der Geburtenzuwachs ist tendenziellnegativ. Die Bevölkerungsgewinne zeigen sichvorwiegend in den suburbanen Gebieten, ganzgenerell beobachtet man heute ein stärkeresWachstum der Mittelstädte, sofern sie im Ein-zugsbereich großer Agglomerationen liegen. DieWohnbevölkerung in den Kernstädten großer Agglo-merationen nimmt seit wenigen Jahrzehnten tenden-ziell wieder ab. (vgl. Hamm, Neumann, 1996, S. 96)

Städte sind ein konkreter Ort, an dem sich dieAuseinandersetzung um ein Leitbild wie das dernachhaltigen Entwicklung manifestieren kann.

Nachhaltigkeit braucht nicht nur einen konkretenSchauplatz; materiell betrachtet sind gerade dieStädte der Ort, an dem die ökologischen Problemeihren Ursprung haben. Städte sind Gebilde, dieohne Material- und Energiezufuhr von außen nichtüberlebensfähig wären. Sie verbrauchen die mei-sten Ressourcen und bedürfen gleichzeitig auchder Umwelt zur Aufnahme ihrer Emissionen undAbfälle. Eine zentrale Problemstellung im Hinblickauf Nachhaltigkeit liegt in dem enormenFlächenverbrauch von Städten, der weiterhinzunimmt. Im Bild des ökologischen Fußabdrucksgesprochen, verbraucht Wien beispielsweise eineFläche, die 1.336 mal so groß ist, wie dieGemeindefläche (Dumreicher, 1995, S. 34). Diekompakte historische Stadt existiert nicht mehr.An ihre Stelle sind städtische Gebilde getreten, diedie Landschaft vereinnahmen, in sie zerfließen.Dieser Prozeß der Stadtexpansion, der durch eineDekonzentration von Bevölkerung und Pro-duktion, Verwaltung und Handel gekennzeichnetist, wird soziologisch als Suburbanisierungbezeichnet (Friedrichs, 1983, S. 168ff). Die so ent-stehenden „Zwischenstädte“ (Sieverts, 1997) spie-len in der Stadtplanung eine entscheidende Rolle.(vgl. auch weiter unten: „Räumliche Situation ...“)

Auf der anderen Seite findet sich aber gerade inden Städten das größte innovative Potential. Städtesind von Vielfalt in jeder Hinsicht geprägt. In derStadt treffen sich die Interessen diversesterAkteurInnen auf allen unterschiedlichen räumli-chen Ebenen: wirtschaftliche Aktivitäten er-strecken sich von transnationalen Unternehmenbis zu Familienbetrieben und den einzelnen Kon-sumentInnen; städtische Politik hat globale,internationale, nationale, kommunale, lokale, aufeinen Stadtteil oder auch nur eine/mehrere Woh-nungen bezogene Dimensionen; Technologie wirdvorwiegend in den Städten entwickelt und ange-wandt; ebenso die meisten anderen Wissen-schaften; auch die größte Zahl an NutzerInnenleben in den Städten, die von zunehmender kultu-reller Pluralität geprägt sind. Konflikte, die sich ausunterschiedlichen Interessen ergeben, müssen aufeiner beschränkten Fläche ausgetragen werden.

„Dieses Nebeneinander ereignet sich in einem Kontext, indem einerseits die Internationalisierung der Wirtschaftdrastisch zugenommen hat und die Städte für das globaleKapital von zunehmender strategischer Bedeutung werdenund andererseits die an den Rand gedrängten Menschen anrepräsentativer Macht gewonnen haben und ebenfallsAnsprüche an die Stadt anmelden. Ins Blickfeld rücktdieses Nebeneinander vor allem auch deshalb, weil dieKluft zwischen den beiden Extremen immer tiefer wird.“(Sassen, 1996, S. 168)

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 45

3.1.2 Räumliche Situation moderner westeu-ropäischer Städte und der materielle undenergetische Aspekt

Die Stadtentwicklung in Deutschland - was wohlauch für Österreich zutrifft - wird von Prinzipieneiner technisierten, hochgradig arbeitsteiligen undindividualisierten Gesellschaft bestimmt undschlägt sich vor allem in drei großen Trends nie-der, die ursächlich miteinander verknüpft sind(vgl. Bundesforschungsanstalt für Landeskundeund Raumordnung, 1996, S. 5ff):

* Die räumliche Ausdehnung der Siedlungsfläche in dasweitere Umland der Agglomerationsräumenimmt infolge veränderter und intensivierterSuburbanisierungsprozesse zu. Dieser “flä-chenfressende” Siedlungsdruck ist durch hoheBevölkerungszuwächse in den großen Agglo-merationen, sowie durch Veränderungen in derHaushaltsstruktur41 bedingt. Daneben sindGewerbe- und Industrieflächen sowie Ver-kehrsflächen überproportional gewachsen. DieAusdehnung von Städten in das Umland wirddadurch begünstigt, daß die Baulandreserven inden Kernstädten schwinden, daß Boden- undMietpreise weiter hoch sind und noch steigen,und daß Umlandgemeinden aus fiskalischenGründen ein Interesse an dieser Entwicklunghaben und sie begünstigen.

* Die zunehmende räumlich-funktionale Entmischungvon Wohnungen, Arbeitstätten, Versorgungs-und Freizeiteinrichtungen, die dasVerkehrsaufkommen vermehren und dieErlebnisvielfalt städtischer Räume reduzieren.Die Ursachen dafür liegen ebenso im Bo-denmarkt, aber auch in Konzentrations- undRationalisierungsprozessen in allen Wirtschafts-bereichen, insbesondere im Einzelhandel undbei kommerziellen Freizeitangeboten.

* Der Anstieg und die räumliche Ausweitung desIndividual- und des Wirtschaftsverkehrs bedingeneine Zunahme der verkehrsbedingten Emis-sionen und der Lärmbelästigung. Die wesentli-chen negativen Folgen sind der Verbrauchnicht-erneuerbarer Energieträger, die Flächen-inanspruchnahme (auch des ruhendenVerkehrs) und die Zerschneidung von Natur-

räumen. Die Ursachen liegen in den beidenzuvor genannten Trends und in der zunehmen-den Individualisierung und wachsenden Erleb-nisorientierung, die eine Ausdehnung und Dif-ferenzierung der Aktionsräume zur Folge haben.

Für diese Entwicklung wird das Leitbild der„gegliederten und aufgelockerten Stadt“ und dievollzogene - wenn auch in der Form nicht inten-dierte - Funktionstrennung42 verantwortlich ge-macht. Diese Funktionstrennung wirkte sich auchim Bereich der Planung aus, die immer stärker ineinzelne Fachbereiche zerfiel

„In der Zeit seit dem Beginn der Industrialisierung habendie Planer gelernt, die Stadt analytisch in einzelne Tätig-keitsbereiche zu zerlegen, um diese jeweils isoliert - alsoohne Beeinträchtigung oder Störung durch andere Berei-che - baulich perfekt zu bedienen.“ (Feldtkeller, 1994,S. 26)

Diese Vorstellung steht dem traditionellenVerständnis von Stadt diametral entgegen, merktFeldtkeller weiter an. Sie hat sich im Planungs-recht niedergeschlagen und wird durch ihreUmsetzung in bauliche Wirklichkeit immer wie-der bestätigt. Dieser Umstand drückt sich auchdarin aus, daß Bauwerke als Solitär geplant wer-den, so als stünden sie „quasi auf einem beson-deren Podest wie ein Kunstwerk“.

„Das Werk ist nicht mehr Teil einer Straße oder einesStadtviertels, sondern steht abgelöst von jedem Kontext ineiner von der konkreten Stadt unabhängigen Welt - ineiner Welt, die durch Licht, Luft, Sonne, Natur, Weite,letztlich durch eine ins Ideale erhobene Wüste re-präsentiert wird. Die Idee des Heraustrennens hat sich inder modernen Architektur (und möglicherweise in ande-ren Lebensbereichen ebenso) zu einem Mythos desIsolierens verdichtet. Die Frage, was Trennen undVerbinden im Gefüge der Stadt bedeuten, stellt sich garnicht mehr: Das Herausgeschnittene, Abgesonderte, ausdem Kontext heraustretende wird zum Modernenschlechthin.“ (ebd., S. 27)

Mit verweis auf Roland Barthes stellt Feldtkellerfest, daß diese Form der Isolierung des einzelnenWerkes von seiner Umgebung eine Möglichkeitist, das architektonische und städtebauliche Han-deln in seiner Aussage zu entpolitisieren.

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee46

41 Ein- und Zwei-Personen-Haushalte nehmen zu. “In Städten über 100 000 Einwohner sind 40 % aller Haushalte Ein-Personen-Haushalte.” (Häußermann, Siebel, 1987, S. 13) Dieser Umstand alleine bedeutet eine Zunahme der durchschnittlichen Fläche für priva-tes Wohnen. Darüber hinaus schlägt sich aber auch der steigende Wohlstand in einer Nachfrage nach mehr Wohnraum nieder.

42 Das Leitbild der “funktional gegliederten Stadt” wurde “allen Baugesetzen zugrunde gelegt, insbesondere der Baunutzungsordnung,nach der bis heute praktische Flächennutzungsplanung betrieben wird. In der Regionalplanung entspricht diesem Leitbild dieVorstellung von der räumlich-funktionalen Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Regionen.” (Neddens, 1986, S. 242) DiesePlanungsansätze wurden zwar etwas korrigiert, daraus folgten aber nur marginale Änderungen, die das Leitbild nicht grundsätzlich inFrage stellten.

„In allen Phasen von der klassischen Moderne bis hin zurPostmoderne und zum Dekonstruktivismus ist dieDefinition des Orts durch das Werk (bzw. seinen Ar-chitekten) und nicht das Einfügen des Werks in den Kont-ext des Orts das prägende Thema.“ (vgl. ebd., S. 29f)

Die beschriebenen quantitativen Trends haben aberauch zu erheblichen qualitativen Veränderungen inden Städten geführt. Unsere Vorstellungen von Stadtorientieren sich immer noch oder wieder am Bild der„Alten Stadt“, mit ihrer Nutzungsmischung, ihrer Par-zellenstruktur und ihren von Gebäudewänden gebil-deten öffentlichen Räumen. Obwohl Stadt schon seitlangem diese kompakte Gestalt und die traditionellensozialen Bezüge verloren hat und zunehmend frag-mentiert wurde, fehlt uns eine adäquate Versinnbildli-chung der modernen Agglomerationsräume.

Die „Zwischenstadt“ „ist die Stadt zwischen denalten historischen Stadtkernen und der offenenLandschaft, zwischen dem Ort als Lebensraumund den Nicht-Orten der Raumüberwindung,zwischen den kleinen örtlichen Wirtschaftskreis-läufen und der Abhängigkeit vom Weltmarkt.“(Sieverts, 1997, S. 7) „Zwischenstädte“ sind einPhänomen, das sich auf der ganzen Welt beob-achten läßt. Trotz aller gewaltigen Unterschiedein den einzelnen Ländern haben sie die gemein-same Eigenschaft, daß sie kaum noch etwas mitden jeweiligen örtlichen vorindustriellen Stadttra-ditionen zu tun haben, sondern eher quer überalle Kulturen der ganzen Welt hin bestimmte ge-meinsame Merkmale tragen:

„Eine auf den ersten Blick diffuse, ungeordnete Strukturganz unterschiedlicher Stadtfelder mit einzelnen Inselngeometrisch-gestalthafter Muster, eine Struktur ohne ein-deutige Mitte, dafür mit vielen mehr oder weniger starkfunktional spezialisierten Bereichen, Netzen undKnoten.“ (ebd. S. 15)43

Gleichzeitig nähert sich auch die „Alte Stadt“, derStadtkern hinter den historischen Fassadenimmer mehr den Einkaufszentren der Peripheriean. Damit wird die „Identitätsstruktur“ der„Alten Stadt“ überlastet und bricht zusammen.(vgl., ebd., S. 31)

Die Veränderungen des öffentlichen Raumes sindein weiteres Zeichen für die Auswirkungen ge-sellschaftlichen Wandels. So kommt RichardRogers beispielsweise zu dem Schluß, daß dasGrundproblem der modernen Stadt in derZerstörung der öffentlichen Sphäre bestehe.44

„Wir erleben die Zerstörung des Inbegriffs vonStadt. (...) Das Fehlen lebendiger öffentlicherRäume hat schreckliche soziale Konsequenzen.“(Rogers, 1995, S. 30) Es führt zu einer „Spiraledes Niedergangs“: zum Rückzug aus der (Innen-)Stadt, wachsende innerstädtische Armut, zuneh-mendes Ausweichen auf privaten Wachschutzund Individualverkehr, die Vermehrung mono-funktionaler (eindimensionaler) Orte und dieExplosion von Auseinandersetzungen.

Feldtkeller, Architekt und Stadtplaner und seit1972 Leiter des Stadtsanierungsamtes inTübingen, setzte sich explizit mit dem baulich-räumlichen Gefüge und dessen Bedeutung fürdas Zusammenleben der Menschen in der Stadtauseinander. Sein Interesse gilt der Frage, „wieeine Stadt räumlich organisiert, wie sie aus einzel-nen Elementen wie aus einem Baukasten zusam-mengesetzt sein muß, damit Urbanität entstehenkann - oder damit, umgekehrt formuliert,Urbanität wenigsten nicht unterdrückt wird.“(Feldtkeller, 1994, S. 21) Er vertritt die These, daßdie Stadt ihren gesellschaftlichen Zweck verlorenhat. So wie die gesellschaftlichen Werte undNormen des Zusammenlebens sich verändernund damit traditionelle Bezugspunkte verlorengehen, geht auch die Stadt als Medium dieserWerte - als „Kraft, durch die die gesellschaftlichenWerte immer wieder aufgefrischt und an verän-derte Wirklichkeiten angebunden wurden“ - ver-loren.

„Eine zweckentfremdete Stadt ist eine Stadt, der dieeigentliche, die gesellschaftliche Bestimmung verlorengegan-gen ist. Die den Zweck aufgegeben hat, eine auf Zukunftausgerichtete Stadtkultur zu produzieren. Dabei wirdauch der Begriff Stadt seinem ursprünglichen Inhalt ent-fremdet. Die Stadt ist nicht mehr unaufhebbar mit demStädtischen verbunden, sondern ein bloßer Name für eineSiedlungseinheit ohne Inhalt.“ (ebd., S. 13)45

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 47

43 Ein besonders ausgeprägtes Beispiel stellt das Ruhrgebiet dar, da dort die historischen, traditionellen stadtbildenden Kräfte gar nicht erstzur Wirkung kamen, und die Städte zu einer Ansammlung von Stadtfeldern zusammengewachsen sind.

44 Habermas (1996) untersuchte den “Strukturwandel der Öffentlichkeit” eingehend. Er entwickelte einen Idealtypus bürgerlicher Öffent-lichkeit aus den historischen Kontexten der englischen, französischen und deutschen Entwicklung im 18. und frühen 19. Jahrhundertund beschreibt dessen Struktur- und Funktionswandel, der in die Transformation von Staat und Ökonomie eingebettet ist. Habermas'Beschreibung dieses Prozesses macht deutlich, welche gesellschaftlichen und politischen Kräfte hinter den räumlichen Veränderungenstehen.

45 Ganz ähnlich, aber etwas weitreichender, argumentiert auch Hoffmann-Axthelm (1993) in seinem Buch “Die dritte Stadt”. Er stellt fest,daß der Gründungsvertrag der antiken Stadt bis zum Ende der Antike gehalten hat, und daß die Möglichkeiten des auf der Grundlageder mittelalterlichen Trennung von Stadt und Land geschlossenen zweiten Gründungsvertrages, der der europäischen Stadt, unwiderruf-lich erschöpft sind. Sein Plädoyer gilt der Aushandlung einer dritten Stadt, bei der es vor allem darum geht, den Herausforderungen der“ökologischen Untragbarkeit” unseres Handelns und der “Einwanderung der Armutswelten des Südens und des Ostens” mit mutigenEntscheidungen gegen fortgesetztes industrielles Wachstum zu begegnen.

Diese Entwicklung schlägt sich insbesondere inder Veränderung des öffentlichen Raumes nieder,der traditionell einen Bereich darstellte, „der einerkonkreten vorbestimmten Nutzung entzogenwar“, was eine Voraussetzung dafür lieferte, daßsich städtisches Leben oder “Urbanität” über-haupt entfalten konnte. (vgl. ebd. S. 42) Diesefunktionale Unbestimmtheit ließ ein engesNebeneinander von privater und öffentlicherSphäre zu, erzwang dies sogar. Die Straße spieltnach Feldtkeller eine entscheidende Rolle: an ihrstießen Öffentliches und Privates hart zusammen;entlang der Grenzlinie ergab sich aber auchzugleich die Chance der Verzahnung.

Am Beispiel eines mittelalterlichen Platzes (desCampo von Siena) arbeitet Feldtkeller fünfspezifische Elemente heraus, die den Platz bestim-men (vgl. S. 56): 1. Die den Platz begrenzendeBebauung beinhaltet eine große Vielfalt vonNutzungen (Wohnen, Gewerbe, Stadtregierung).2. Das Leben auf dem Platz steht in engemWechselspiel mit dem Leben in den angrenzen-den Gebäuden. 3. Die Bauteile, die eine Verbin-dung herstellen zwischen dem Öffentlichen unddem Privaten (Fenster, Läden, Tore) sind nichtnur zweckmäßige Werkzeuge des Heraus undHerein, sondern auch Abbilder der Kom-munikation, für die es eine verbindliche Normder Gestaltung gab. 4. Der Platz wird als ge-schlossener Raum wahrgenommen, der dennochdurch mehrere Zugänge geöffnet ist. Er hat abernicht die Funktion einer Straßenkreuzung. 5. DerPlatz erhält durch die „poetische Aus-schmückung“ (z.B. ziegelsteinernen Bodenbelag,Brunnen, Ausnutzung der Topographie etc.)seine spezifische Identität.

Heute existiert das alles nicht mehr, oder besten-falls als Relikt vergangener Zeiten. Nutzungs-mischung wurde von der Funktionstrennung und„Nutzungsverdünnung“ abgelöst. Die Straße hatihre Funktion als verbindendes und trennendesElement verloren, sie dient dem Verkehr undschließt andere Nutzungsformen regelrecht aus.Der erfahrbar umschlossene Raum ist verschwun-den; mit der Konstruktion von Gebäuden alsSolitäre wird der Raum zwischen den Gebäudenzur reinen Abstandsfläche, die von den Bewoh-

nerinnen und Bewohnern nicht mehr angeeignetwerden kann. Freier Raum reduziert sich auf einÜberwindungshindernis, in dem sich kommunika-tive Aspekte auf ein Minimum reduzieren. Fensterund Tore verlieren in der modernen Architekturnicht nur ihre kommunikative Dimension, sondernauch ihre Zweckmäßigkeit. Man braucht sich nurein verglastes mehrstöckiges Gebäude46 vorzustel-len, dessen Fenster vielleicht gar nicht mehr zu öff-nen sind, weil die Klimaanlage den Luftaustauschübernommen hat. Die Eingangsbereiche wirkenoft mehr wie der Zugang zu einer Höhle, einemundefinierten Inneren, und erwecken keinenbesonders einladenden Eindruck.

Diese baulich-räumlichen Aspekte sind hier nurim Sinne einer Illustration der Entwicklung er-wähnt. Es ist zwar spannend, den Gesellschafts-wandel auch an den Artefakten abzulesen, es solldeshalb aber nicht der Eindruck entstehen, daßdas Wissen um baulich-räumliche Effekte bereitseine Veränderung zukünftiger Gestaltung bewir-ken würde. Der Raum und die in ihm befindli-chen Artefakte drücken gesellschaftliche Werteund Normen aus, sie schaffen sie nicht.47

Was die materielle und energetische Seite derStadt betrifft, zeigt sich, daß sowohl derVerbrauch von Material als auch von Energie vorallem seit den fünfziger Jahren enorm gestiegenist. Der Stoffwechsel industrialisierter Volkswirt-schaften ergibt sich im wesentlichen aus der Bau-intensität, den Ernährungsgewohnheiten und derEnergieversorgung, also aus der Befriedigung der„elementarsten Bedürfnisse - räumliche Gebor-genheit, Schutz vor Witterung, Hunger undDurst.“ Demgegenüber spielt die Masse derKonsumgüter (Autos, Wohnungseinrichtung,Werkzeuge, HiFi-Geräte, Computer, Spielwaren,usw.) eine eher geringfügige Rolle, wenn man ein-mal von den Herstellungsbedingungen und -ver-bräuchen absieht, die sicher auch ein hohesEinsparungspotential beinhalten. Hüttler/ Payer/Schandl resümieren: „Die Naturabhängigkeitgesellschaftlicher Prozesse ist durch denIndustrialisierungsprozeß nicht geringer gewor-den. Deutlich verändert haben sich allerdings dieDimensionen der materiellen Austausch-prozesse.“ (Hüttler/ Payer/ Schandl, 1997, S. 72)

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee48

46 Das Haas-Haus am Stephansplatz oder das IBM-Gebäude auf der Lassallestraße im 2. Bezirk in Wien sind gute Beispiele dafür.47 Feldtkeller beschreibt eindrucksvoll anhand der Geschichte des Palais Royal, wie sich ein Ort in Anlehnung an gesellschaftliche

Veränderungen in seiner Funktion langsam wandelt. Bereits im 17. Jahrhundert wird aus dem Garten des Kardinals Richelieu ein öffent-licher Park und später dann “ein aus dem Straßenbetrieb herausgelöster, zurückgezogener Treffpunkt für Literaten, Zeitungsmacher undandere Leute, die ein urbanes Milieu suchen, aber den Banalitäten des Alltagslebens auf den verkehrsreichen Straßen mit ihren unange-nehmen Belästigungen aus dem Weg gehen wollen. Später säumen das Quartier Wohnungen, Cafés und Läden für einen gehobenenBedarf.” Es kommt langsam “zum Umschlag von der Zwanglosigkeit des Alltags zu einer Verbindung von Müßiggang und Kommerz”.(S. 103) Die alltagsweltliche Nutzung verschiebt sich hin zur Repräsentation von Luxus und marktorientierter Nutzung.

„Rund die Hälfte des Materialinputs (115 Mio t mine-ralische Materialien) wird in Form von Bauten undAnlagen (Infrastruktur und Investitionsgüter) langfristiggebunden und stellt damit einen jährlichen Nettozuwachsvon Beständen dar (Abbruchmaterial bereits saldiert).Vom gesamten Bedarf an mineralischen Rohstoffen ent-fallen rund zwei Drittel auf die Grundstoffe fürBautätigkeiten (Schotter, Sand, Kies, Kalk, Ton etc.).Insbesondere die hohe Bautätigkeit macht deutlich, daßnicht nur akute Risiken, zum Beispiel in Form toxischerSubstanzen, sondern auch der Materialumsatz an sich einessentielles Kriterium nachhaltiger Entwicklung darstellt.“(ebd., S. 78)

3.1.3 Wirtschaftliche und soziale Rahmen-bedingungen

„Spätestens seit Beginn der neunziger Jahre bestimmt diewirtschaftliche Sanierung der Städte das politischeHandeln der Kommunen. Mitverursacht durch dieSchaffung des europäischen Binnenmarktes, sehen sie sichgezwungen, ihre Wettbewerbsfähigkeit auch im europäi-schen Maßstab unter Beweis zu stellen, ein eigenständigesProfil zu entwickeln und schonsam mit dem Mittel Geldumzugehen. Die “schlanke Verwaltung” ist seither ihreLosung, mit deren Hilfe sie ihre Kommunalverwaltungenumstrukturieren, Hierarchien abbauen und neueHandlungsspielräume für die Kostensenkung entdecken.“(Bund/Misereor, 1996, S. 253)

Daß Städte zunehmend „in ihrer Funktion aufUnternehmen und Wirtschaftsstandorte redu-ziert“ werden stellt auch Dangschat fest.PolitikerInnen, VerwalterInnen und PlanerInnender Städte greifen in immer stärkerem Maße zuunternehmerischen Strategien, um „einen Teil desimmer umfangreicher um den Globus zirkulie-renden spekulativen Anlagekapitals in die eigenenMauern zu lenken“. Zu diesem Zweck werdenvor allem die „weichen“ Standortfaktorengestärkt (Kultur, Architektur, Lebensqualität,Schaffen eines “wirtschaftsfreundlichenKlimas”), und die zentralen Einkaufs-, Hotel-,Messe- und Flughafenbereiche und die innen-stadtnahen Wohngebiete (Gentrification) aufge-wertet, um den Geschmack der aufstrebendenMittelschichten der Dienstleistungsklasse zu be-friedigen. (vgl., Dangschat, 1997, S. 183)

Diese Strategie verursacht eine zunehmende sozi-alräumliche Spaltung der Stadtgesellschaften,„wobei die These aufgestellt wird, daß in ökono-misch erfolgreichen Jahren die Polarisierung sehrviel schneller zunimmt“. Dies führt Dangschat zuder Aussage: „Je stärker eine Stadt sich in einen

Standortwettbewerb um ‘Schlüsselproduktionen’und oder zentrale Dienstleistungen begibt, destoeher verstoßen die Strategien gegen die Ziele derNachhaltigkeit.“ (ebd., S. 184)

Hamm und Neumann (1996) zeigen auf, daß „dieMöglichkeiten eigenständigen kommunalenHandelns (..) überaus eingeschränkt“ (S. 274f)sind, obwohl - in Deutschland - eine grundge-setzlich garantierte Kommunalautonomiebesteht. Zudem sind die Gemeinden von denEinnahmen der Gewerbesteuer abhängig, dienicht nur extrem konjunkturanfällig, sondern„inzwischen auf relativ wenige Großbetriebebeschränkt“ sind.

„Damit bleiben die Gemeinden von solchen Betrieben ab-hängig und geraten in scharfe Konkurrenz untereinanderum die Ansiedlung solcher Unternehmen.“ (ebd., S. 281)

Diesem Imperativ begegnen die Gemeinden mitvorauseilendem Gehorsam und „transnationaleUnternehmen machen sich die Notlage seitJahren zunutze und erpressen die Gemeindenregelrecht“. (ebd.) Wie wenig Einfluß kommuna-le Behörden haben, zeigt sich auch in derTatsache, daß zahlreiche Betriebe nur noch aufder Ebene des lokalen Managements in einerGemeinde vertreten sind, und viele Entscheide inweit entfernten Konzernzentralen unter weitge-hendem Ausschluß spezifischer lokaler Interessengefällt werden.

Die AutorInnen der Wuppertalstudie heben alspositiven Nebeneffekt dieser Entwicklung, dieauch zur Streichung von Sozialhilfen, sozialenEinrichtungen und Dienstleistungen führte, her-vor, „daß Kooperation und Integration in derStadt zunehmen und die Bürgerin und der Bürgerals Mitwirkende gefragt sind“. (Bund/Misereor,1996, S. 253) Dies äußere sich nicht nur inBürgeranhörungen und Bürgerforen - die schonseit längerem zum normalen Alltagshandeln kom-munaler Politik gehören -, sondern auch an derzunehmenden Einbeziehung der Öffentlichkeit indie Diskussion um Stadtentwicklungspläne undkonkrete Projekte. Obwohl diese Entwicklungzutreffen mag, ist dem dennoch entgegen zu hal-ten, daß der Einfluß, den Bürgerinnen undBürger auf die Planung haben, immer noch sehrgering ist. Das kann auch nicht weiter verwun-dern, wenn man den Blick auf die städtischeAbhängigkeit vom Weltmarkt richtet. Auch in derWuppertalstudie wird festgestellt:

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 49

„Die Folgen städtischen Lebens werden heutzutageweiträumig externalisiert. (...) Rohstoffe und Waren kom-men aus aller Welt, ökologisch negative Folgen, wieAbwässer und Müll, werden über weite Strecken, teilwei-se in andere Länder oder sogar Erdteile transportiert. Dieehemals überwiegend regionalen Beziehungen undAbhängigkeiten haben sich global ausgeweitet und dasfrühere Stadt-Land-Verhältnis wurde zu einem Stadt-Weltmarkt-Verhältnis weiter entwickelt. Mit der Folge,daß sich Städte wie in einem Supermarkt aus “ihren”weltweit verstreuten Zulieferer-Regionen bedienen.“(Bund/Misereor, 1996, S. 254f)

Saskia Sassen (1996), Professorin fürStadtplanung an der Columbia University in NewYork, beschäftigte sich eingehend mit denAuswirkungen der Globalisierung auf die Städte,wobei sie eine transnationale Perspektive ein-nimmt, die davon ausgeht, „daß wir es mit einemdynamischen System oder Gefüge von Trans-aktionen zu tun haben, die sich naturgemäß zwi-schen verschiedenen Standorten abspielen, wel-che auf mehr als nur ein Land verteilt sind.“(Sassen, 1996, S. 26)48 Sie prägte den Begriff„Global Cities“ für bestimmte größere Städte, die„nunmehr eine strategische Rolle spielen“ - dazuzählen zum Beispiel New York, London, Tokio,Paris, Frankfurt, Zürich, Amsterdam, Sydney,Hongkong.

„Einige dieser Städte fungieren bereits seit Jahrhundertenals Zentren des Welthandels und Bankgeschäfts, aberabgesehen von diesen althergebrachten Funktionen dienendie Global Cities von heute erstens als Steuerungszentraleninnerhalb der Organisation der Weltwirtschaft, zweitensals wesentliche Standorte und Marktplätze für die derzeitführenden Wirtschaftszweige, d.h. für das unter-nehmensorientierte Finanz- und Dienstleistungsgewerbe,und drittens als wesentliche Produktionsstandorte dieserGewerbezweige, wozu auch die Produktion vonInnovationen gehört. Manche Städte erfüllen im kleinerengeographischen Maßstab trans- und subnationalerRegionen ähnliche Funktionen.“ (ebd., S. 20)

Sassen analysiert auch, welche Auswirkungentransnationale Städtenetze auf die Ökonomie ein-zelner Städte und auf deren Raumgestaltung hat.Ihr Blick geht dabei über den in den Sozial-wissenschaften üblichen analytischen Rahmendes Nationalstaates - der dadurch in vielfältige

Bestandteile zerlegt wird - hinaus und orientiertsich an Städten als miteinander verwobene Schau-plätze von transnationalen Prozessen, Orte also,die in einem dynamischen Systemzusammenhangstehen.

Die Entwicklung moderner Gesellschaften vomSekundärsektor hin zum Tertiärsektor, die sichschon in den sechziger Jahren abzuzeichnenbegann, hat in den achtziger Jahren noch zusätz-liches Gewicht durch die Globalisierung derWirtschaftstätigkeit erhalten; nicht nur aufWeltniveau, sondern bei entsprechend geringererKomplexität auch im kleineren, regionalenMaßstab. Im Gegensatz zu der weitverbreitetenThese, daß jede Form von Unternehmen durchdie Informationstechnologien ihre Standorteüberall, also auch außerhalb der Städte wählenkann, stellt Sassen fest, daß es in den achtzigerJahren in den Geschäftsvierteln der Großstädtezu einer explosionsartigen Zunahme an Firmenkam, die ihre höchste Dichte ausgerechnet dannerreichten, als die Telekommunikation massiv inallen fortgeschrittenen Industriezweigen einge-führt wurde. Es ist also eine „neue Logik zurAgglomeration“ am Werk: „Die territorialeStreuung der wirtschaftlichen Unternehmungen,wovon die Globalisierung eine Form darstellt,fördert das Wachstum zentralisierter Funktionenund Abläufe.“ (ebd. S.161) Die größeren Städtegewinnen erneut als Schauplatz bestimmterAktivitäten und Funktionen an Bedeutung, daglobale Streuung und globale Integration derWirtschaft zugleich stattfinden.

Global Cities sind also strategische Produktions-stätten der heute führenden Wirtschaftssektoren.Das spiegelt sich auch in der wachsendenBedeutung dieser Tätigkeiten für die städtischenÖkonomien. „Auf diese Weise materialisierensich die räumlichen Effekte der wachsendenDienstleistungsintensität sämtlicher Industrien inStädten.“ (ebd. S.162)

Manche Städte sind als strategische Orte inner-halb der globalen Wirtschaft zu betrachten, diemeisten Städte gehören allerdings nicht dazu. DieStädtesysteme der westeuropäischen Länder wie-sen und weisen weltweit den höchsten Grad anAusbalanciertheit49 auf. (vgl. ebd., S. 59) In den

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee50

48 Ihre Perspektive unterscheidet sich damit von den herkömmlichen Ansätzen der Stadtforschung, die in erster Linie einzelne Städte undeinzelne Länder untersuchen. Sassen konzentriert sich auf die “Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung auf die Stadt, dieneuen Ungleichheiten zwischen den Städten und innerhalb der Städte sowie auf die neue städtische Ökonomie”; Veränderungen also,die wesentliche Merkmale unserer Zeit widerspiegeln. (Sassen, 1996, S .26)

49 In der Forschungsliteratur über Städte werden nach Sassen zwei Haupttypen von Städtesystemen unterschieden: die “balanced urbansystems” - die ausbalancierten oder multipolaren Städtesysteme (Beispiel: westeuropäische Länder) - und die “primate urban systems” -die unipolaren Städtesysteme, in denen eine Stadt die absolute Vormachtstellung einnimmt, wofür die lateinamerikanischen Länder alsParadebeispiel gelten. (vgl. Sassen, 1996, S. 50)

80iger Jahren (insbesondere in der zweiten Hälftedes Jahrzehnts) verzeichneten die wichtigsteneuropäischen Großstädte erneut Bevölkerungs-und beachtliches Wirtschaftswachstum.Entsprechend verlangsamte sich das Wachstumder kleineren Städte oft ausgesprochen drastisch.Der wirtschaftliche Wandel, wie er in allenIndustrieländern beobachtet werden kann, hatorganisatorische und räumliche Auswirkungen,und zwar insofern, als sich die traditionellennationalen Städtesysteme wandeln. „Mit Blick aufdie Rekonfiguration der westeuropäischen Städte-systeme“ lassen sich drei unterschiedlicheTendenzen feststellen:

„Erstens kam es zur Herausbildung mehrerer subeu-ropäischer, regionaler Zusammenhänge (...). Zweitenskonnte eine begrenzte Zahl von Städten innerhalb desTerritoriums der alten EWG und einiger angrenzenderStaaten (Österreich, Dänemark, Griechenland) ihre Rollein dem sich herauskristallisierenden Städtesystem stärken.Schließlich sind einige dieser Städte auch Teil eines aufglobaler Ebene agierenden Städtesystems.“ (ebd., S. 60)

Durch den Wandel in Osteuropa wird dieBedeutung der westeuropäischen Städte wiederzunehmen, was umgekehrt die Position andererrandständiger Städte in diesen Regionen mitgroßer Wahrscheinlichkeit schwächen wird. Soentwickeln sich Wien und Berlin zu internationa-len Geschäftszentren mit Drehscheibenfunktionnach Mitteleuropa.50 (vgl. ebd., S. 62)

Weiters ist zu erwarten, daß die Immigration - ausOsteuropa, Afrika und dem Nahen Osten -zunehmen und das Bild vieler europäischer Städtedauerhaft prägen wird.51 Für einige Städte (vorallem Hafenstädte wie z.B. Marseille, Palermo,und Neapel) bedeutet das, daß sie in derRangordnung der führenden Städte Europas wei-ter nach unten rutschen, wodurch sich die inter-urbane Polarisierung weiter verschärfen wird.(vgl. ebd. S. 63f) Aber auch Berlin und Wien sind

bevorzugte Wanderungsziele.

Städte sind also in verschiedene wirtschaftlicheVerknüpfungen über nationale Grenzen hinwegeingebunden. „Darüber hinaus gibt es eine wach-sende Zahl von Verknüpfungen, die nur indirektökonomischer Natur sind.“ (ebd., S. 68) Dazuzählen ein Reihe von Initiativen, die von denStadtverwaltungen selbst ergriffen werden, wiezum Beispiel Städtepartnerschaften, deren Zahldrastisch zunimmt. Diesen könnte eine ganz neueBedeutung zukommen, wenn Städte unterUmgehung ihrer jeweiligen Staatsregierungen aufinternationaler Ebene aktiv werden.

Neben den Global Cities und kleineren Städtenmit vergleichbaren Funktionen gibt es weite, zu-nehmend randständige Gebiete, die aus denwesentlichen Wirtschaftsprozessen, die dasWachstum der neuen globalen Ökonomie anhei-zen, ausgegrenzt sind. Damit entwickelt sich eine„neue Geographie von Zentralität undMarginalität“ (ebd., S. 162). Sowohl in denIndustrie-, als auch in den Entwicklungsländernkommt es zu einer geographischen Neuverteilungvon Zentrum und Rand quer zu althergebrachtenScheidelinien zwischen armen und reichenLändern, aber auch zwischen armen und reichenRegionen. (vgl. ebd. S. 20f) So entsteht eine neueUngleichheit zwischen, aber auch innerhalb vonStädten, die von der regionalen Wirtschafts- undBeschäftigungsstruktur geprägt ist. In den GlobalCities kommt es zu einer ungeheuren Kon-zentration der wirtschaftlichen Macht, währendandere Städte, die historisch zum Beispiel wichti-ge Industriestandorte oder Handelszentren (z.B.Hafenstädte) waren, sich weitgehend im Nieder-gang befinden. Auch das Lohnniveau klafftzunehmend auseinander, wobei hochqualifizierteSpezialisten, die nur in beschränkter Anzahlbenötigt werden, mehr denn je verdienen undniedrig qualifizierte Arbeitskräfte sich mit fallen-den Einkommen abfinden müssen.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 51

50 “Zahlreiche Beobachter sind der Auffassung, daß sich Berlin zum wichtigsten internationalen Geschäftszentrum für Mitteleuropa ent-wickeln wird, so daß Budapest und Wien an Bedeutung entsprechend verlieren werden. Möglich wäre aber auch, daß die drei Städte fürdie gesamte Region ein regionales, dabei transnational orientiertes Städtesystem bilden und durch Wettbewerb und Aufgabenteilung dasGeschäftspotential der Region insgesamt stärken werden.” (ebd., S. 62)

51 Hoffmann-Axthelm sieht in der Migration und der Ökologie die “zwei Bewährungsproben für das Instrument Stadt”: “Die eine ist inkurzen Zeiträumen zu denken, die andere in extrem langen; die eine ist unübersehbar ge-genwärtig, sichtbarer, als es ihrem Ausmaß ent-spricht, die andere nur im Kopf zu vergegenwärtigen, unter der Drohung, daß das, was man heute tut oder unterläßt, erst in 10, 20, oder30 Jahren eine Wirkung zeigen wird. Um das richtige Maß zu finden, die Ebene, auf der beide Zusammenhänge die Stadt unmittelbarbetreffen, muß jeweils in der Gegenrichtung gedacht werden: aktualisierend in Sachen Ökologie, langfristig und normalisierend in SachenMigration.” (Hoffmann-Axthelm, 1993, S. 36)

Die unternehmensorientierten Dienstleistungen52

weisen in den meisten entwickelten Volkswirt-schaften die höchsten Wachstumsraten auf, sieentwickelten sich zum dynamischsten Wirt-schaftssektor. Weltweit geht der Trend dahin, daßsich die Finanz- und bestimmte unternehmens-orientierte Dienstleistungen in den Innenstädtender internationalen Hauptfinanzzentren konzen-trieren. Zur Agglomeration drängt auch derFaktor Zeit. (vgl. ebd., S. 91) Firmen, die beiäußerstem Konkurrenzdruck in einer hoch inno-vativen Branche tätig und/oder stark weltmarkto-rientiert sind, ziehen aus der Einrichtung ihresHauptsitzes in einem der großen, internationalbedeutenden Geschäftszentren offenbar einen sogroßen Nutzen, daß selbst die dabei auftretendenhöheren Kosten keine Rolle mehr spielen.

Im Mittelpunkt ihrer Analyse steht für Sassennicht, inwiefern die Politik der Regierungen unddie Entwicklung der Volkswirtschaften durch dieMacht der Großkonzerne bestimmt wird, „son-dern die ganze Bandbreite an Aktivitäten undorganisatorischen Arrangements, die für dieDurchsetzung und Aufrechterhaltung eines glo-balen Netzes von Fabriken, Dienstleistungen undMärkten - Prozesse, die von den transnationalenKonzernen und Banken nur zum Teil bewerkstel-ligt werden - unerläßlich sind“. (ebd., S. 19) Damitwerden die Prozesse wirtschaftlicher Globali-sierung „als konkrete Produktionskomplexedurchsichtig, die sich an spezifischen Standortenbefinden, an denen auch eine ganze Reihe vonAktivitäten und Interessen ihren Platz haben, diemit den globalen Prozessen vielfach in keinerleiZusammenhang stehen.“ (ebd.)

Entgegen der „herrschenden Erzählung“, die sichmit den oberen Kapitalkreisläufen, aber nicht mitden unteren beschäftigt, weist Sassen explizit dar-auf hin, „daß wichtige Bestandteile der globalenInformationsökonomie ortsgebunden sind“.(ebd., S. 24)

„So werden aus der Geschichte der Globalisierung eineganze Reihe von Tätigkeiten und Beschäftigtengruppenausgegrenzt, die für den Globalisierungsprozeß ebensounabdingbar sind wie die internationalen Finanzmärkteund die globale Telekommunikation.“ (ebd.)

Vernachlässigt werden nicht nur die vielfältigenkulturellen Zusammenhänge. Richtet man denBlick auf den Produktionsaspekt53 der Dienst-leistungen, dann wird die Bandbreite an Arbeitendeutlich, die von hochbezahlten bis zu niedrigent-lohnten reichen. Die Veränderungen in derOrganisation des Arbeitsprozesses schlagen sichin einer Veränderung des Arbeitsplatzangebotesnieder, das eine Folge der neuen Wirtschaftssekto-ren, aber auch der Umorganisation in den altenund neuen Sektoren ist. Es wird eine höhereFlexibilität eingefordert, die Absatzmärkte werdenzunehmend instabil und der politische Wille, denArbeitsmarkt durch staatliche Programme zu stüt-zen, hat abgenommen. Das führte zu einer wach-senden Destabilisierung der Beschäftigung undgleichzeitig zu einer wachsenden Polarisierung derBeschäftigungsmöglichkeiten, und damit zu neuensozialen Schichtunterschieden. (vgl., ebd., S. 138f)

Sassen weist insbesondere darauf hin, daßschlecht bezahlte Jobs integraler Bestandteil auchhochdynamischer, technologisch fortgeschritte-ner Wachstumssektoren sind. DerProduktionsprozeß hochentwickelter Dienst-leistungen umfaßt auch eine Vielfalt vonArbeiterInnen und Unternehmen, die fürgewöhnlich nicht zur Informationsökonomie ge-rechnet werden. Dazu zählen beispielsweisePutzkolonnen, Sekretärinnen, Hausmeister, etc.Auch der informelle Sektor gewinnt zunehmendan Bedeutung.54 Die Segregation in den Städtennimmt zu; darüber hinaus verändern sich diestädtischen Konsumformen - zumindest in denUSA ist dies deutlich zu sehen, weniger ausge-prägt sind diese Muster aber auch in vielen west-europäischen Städten zu beobachten..

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee52

52 Unternehmensorientierte Dienstleistungen beziehen sich auf die finanziellen, rechtlichen und allgemeinen Managementaufgaben:Innovation, Entwicklung, Design, Verwaltung, Personalwirtschaft, Produktionstechnologie, Wartung, Transport, Kommunikation,Großhandel, Werbung, Gebäudereinigung, Sicherheitsdienst und Lagerhaltung. Zentral sind dabei eine Reihe von Wirtschaftszweigen,deren Dienste sowohl von der Wirtschaft wie auch vom Endverbraucher nachgefragt werden. (Versicherungen, Banken, Immobiliena-genturen, Finanz-, Steuer- und Rechtsberater)

53 ”Die spezialisierten Dienstleistungen, die in allen entwickelten Volkswirtschaften nunmehr eine Schlüsselkomponente bilden, werdennormalerweise nicht in Begriffen des Produktions- oder Arbeitsprozesses analysiert, sondern als eine Art von Wirtschaftsleistung, d.h.als technische Expertise verstanden.” (ebd., S. 22)

54 Unterschieden wird dabei eine “interne Sphäre”, die überwiegend den Bedarf der in der informellen Ökonomie tätigen Menschen deckt(z.B. die kleinen Läden im Besitz von ImmigrantInnen, in denen vorwiegend ImmigrantInnen einkaufen); und eine “externe Sphäre”, diemit dem “formellen” Sektor der Wirtschaft eng verwoben ist, und unmittelbar der Profitmaximierung dient. (vgl. ebd., S. 144)

„In den Vereinigten Staaten führte die Zunahme hochbe-zahlter Stellen in Verbindung mit der Entstehung neuerkultureller Formen zu Herausbildung von ausschließlichdiesen oberen Einkommensschichten vorbehaltenen Wohn-und Einkaufsvierteln, die letztendlich auf derVerfügbarkeit einer zahlreichen Klasse schlechtbezahlterArbeiter und Arbeiterinnen beruhen.“ (ebd., S. 153)

Die Analyse Sassens macht deutlich, daß die wirt-schaftlichen und sozialen Veränderungen imZuge der Globalisierung das gesamte Gefüge vonStädten und Nationalstaaten massiv verändern.Dies hat natürlich Auswirkungen auf dieStadtentwicklung, die heute vor zwei zentralenHerausforderungen steht: auf der einen Seitewetteifern Städte und Stadtregierungen um inter-nationale Konkurrenzfähigkeit, und versuchendamit den Ansprüchen der globalen Wirtschaftgerecht zu werden - was sich in einer zunehmen-den Vereinheitlichung und Nivellierung ausdrücktund den Stadtregierungen auch nur wenigSpielraum läßt; in diesem Zusammenhang sehensich gerade die westeuropäischen Städte vor derNotwendigkeit der Erhaltung örtlicher bzw.regionaler, sozialer und kultureller Eigenart, auch,um im internationalen Wettbewerb mithalten zukönnen.

Auf der anderen Seite verschärfen sich die sozia-len Unterschiede zwischen und innerhalb derStädte, so daß viele Regionen, Städte und auchStadtteile wirtschaftlich und sozial benachteiligtsind. Diese Entwicklung fördert ein Protest-potential, das sich unter anderem im Zulauf zuneuen rechten Parteien und Bewegungen aus-drückt. Nicht ohne Grund warnt Beck vor derGefährdung der Demokratie durch die Auflösungdes „Wertekerns der Arbeitsgesellschaft“, derdarin besteht, daß „die Demokratie auf derBeteiligung an der Erwerbsarbeit aufruht“ (Beck,1996, S. 189). Mit Verweis auf die steigendenArbeitslosenzahlen und den Umstand, daßArbeitslosigkeit kein Randschicksal mehr ist, son-dern potentiell alle betrifft55, sieht Beck die mate-rielle Sicherheit gefährdet, die gleichzeitig dieVoraussetzung für politische Freiheit und damitDemokratie ist. Gleichzeitig ist aber auch derMarkt selbst bedroht, denn die kapitalistischeWirtschaftsweise sei nur im Wechselspiel mitmaterieller Sicherheit, sozialen Rechten undDemokratie überlebensfähig. „Wer nur auf den

Markt setzt, zerstört mit der Demokratie auchdiese Wirtschaftsweise.“ (ebd., S. 191) so BecksThese. Was den Kapitalismus seiner Legitimationberaube sei nicht der Umstand, daß mit immerweniger Arbeit immer mehr produziert wird, son-dern daß er die Initiative zu einem neuenGesellschaftsvertrag blockiert.

Auch Beck unterstreicht die Notwendigkeit, daßdas, was als Ende und Verfall erscheint, in „eineGründerzeit für neue Ideen und Modelle, dieStaat, Wirtschaft und Gesellschaft für das 21.Jahrhundert öffnen“, umgemünzt werden muß.

Ansätze dazu sind vorhanden; sie zeigen sich invermehrtem Engagement von Bürgerinnen undBürgern, das sich in der Forderung und Hoffnungnach mehr Mitbestimmung ausdrückt. Gerade inden benachteiligten Räumen können so Spielräumefür neue Formen gesellschaftlichen Handelns ent-deckt werden und entstehen, die vielleicht auch be-sondere Anknüpfungspunkte für eine nachhaltigeEntwicklung bieten. Gerade da hat ein kleinräumi-ge, lokale (Kreislauf-) Wirtschaft möglicherweiseeine Chance, den globalen Tendenzen eineAlternative entgegen zu stellen. Oder umgekehrtformuliert, bleibt benachteiligten Regionen viel-leicht gar keine andere Wahl, als im lokalen undregionalen Kontext mit kleinteiligen, über-schaubaren Maßnahmen das Überleben zu sichern.

„Weltweit wird Stadtplanung von den Kräften desMarktes und kurzfristigen finanziellen Zwängenbeherrscht.“ (Rogers, 1995, S. 31) Diese Aussageeines international tätigen Architekten, der sichintensiv mit der Frage der Nachhaltigkeit vonStädten auseinandersetzt, teilen viele Stadtplanerder Gegenwart wie auch der Vergangenheit (vgl.Kap. 2 - vor allem in Bezug auf die Boden-spekulation). Die Frage ist, ob diese Perspektivenicht eine ganze Bandbreite von städtischerRealität ausblendet. Die Aspekte nämlich, die sichauf die Vielfalt des Umgangs mit demLebensraum Stadt beziehen. Stadt wird von denBewohnerInnen auch angeeignet, dabei spielenwirtschaftliche Faktoren zwar eine entscheidendeRolle, sie sind aber nicht die einzigen - und schongar nicht ausreichenden - Kriterien, die für dieseAneignung und die Identifikation mit unseremWohn- und Arbeitsumfeld eine Rolle spielen.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 53

55 “Der Kapitalismus schafft die Arbeit ab.” ( Beck, 1996, S. 187)

Für Sieverts (1997) ist die „Zwischenstadt“ - ermeint damit die großen Agglomerationsräume -Ausdruck einer Entwicklung, die die Stadt zueinem Phänomen „zwischen Ort und Welt, Raumund Zeit, Stadt und Land“ (S. 159) hat werdenlassen; Ausdruck also für das Spannungs-verhältnis „zwischen den Polen “Globalisierungder Wirtschaft” und ‘kulturelle Ortsbezogen-heit’“. (ebd., S. 85) Auch er verweist auf dengrundsätzlichen Widerspruch, daß die Globalisie-rung der Wirtschaft die Handlungsmöglichkeitender Nationalstaaten und auch der Städte undGemeinden stark einschränkt, und damit diefinanziellen Spielräume von weltwirtschaftlichenKonstellationen und dem Finanzverhalten der„Konzern-Multis“ abhängig werden. Wirtschaft-liche Imperative verursachen eine „Beschleuni-gung und Enträumlichung unserer alltäglichenLebensverhältnisse: einzelne isolierte Lebens-und Arbeitsinseln werden durch möglichstschnelle Verkehrsmittel funktional verknüpft, (...)Nicht mehr die räumlichen Entfernungen, son-dern der Zeitaufwand der Verknüpfungen bzw.die Kosten des Informationstransfers bestimmendie funktionalen Strukturen“. (S. 160) Je schnellerein Ort erreicht werden kann, um so „näher“rückt er, unabhängig von tatsächlichen geographi-schen Entfernungen. Deshalb kommt Sieverts zudem Schluß, daß nicht nur eine „neue Geographievon Zentralität und Marginalität“ (siehe Sassen)entsteht, sondern daß die tiefgreifenden Verände-rungen auch auf das Raum-Zeit-Verhältnis wirken.

„Es entstehen ganz neue Raum-Zeit-Karten, die kaumnoch etwas mit der alten Topographie und Geschichte zutun haben. Diese Karten gelten freilich überwiegend für diein das Weltwirtschaftsgefüge eingebundenen Menschen; derandere größere Teil lebt nach wie vor überwiegend ortsge-bunden. Außerdem ist für das neue Raum-Zeitgefüge einhoher ökologischer Preis in Form von Energieaufwand undLandschaftszerschneidungen zu zahlen.“ (ebd., S.161)

Um diesem Phänomen im Sinne derNachhaltigkeit zu begegnen, muß nach Sieverts„ein neuer Typ von Planung entwickelt werden,der der veränderten Dynamik angepaßt ist“.(ebd., S. 95) Er plädiert ausdrücklich für dieNotwendigkeit neuer Vorstellungsbilder, denndas „Prinzip Nachhaltigkeit muß auch mit Hilfevon Leitbildern zuerst im Bewußtsein Platz fin-den, bevor es real umgesetzt werden kann.“ (ebd.,S. 96) Das Besondere seines Ansatzes liegt darin,daß er in der Zwischenstadt ein neues Gestal-tungsfeld sieht. Die Zwischenstadt, die aus derPerspektive herkömmlicher Architekturästhetik

völlig unterschiedlich gesehen und interpretiertund meist negativ bewertet wird, soll als Aus-druck „fast vollständig menschengemachterMaterialität“ (ebd., S. 106) akzeptiert und begreif-bar werden.56

3.2 DAS LEITBILD DER „NACHHALTI-GEN STADT“

Das vorangehende Kapitel sollte aufzeigen, daßviele der Ideen, die heute noch zentraler Bestand-teil aktueller Diskussionen sind, auch schon Teilfrüherer Leitbilder waren. Die Probleme, auf diedas Leitbild der nachhaltigen Stadt eine Antwortzu geben sucht, sind über die letzten 200 Jahregewachsen und haben sich - zwar quantitativ - inihrer Struktur aber kaum verändert. DieSichtweise auf sie hat sich allerdings gewandelt;zum einen wird Gesellschaft als zunehmend kom-plexer gesehen, und zum anderen ist die Wahr-nehmung vor allem der ökologischen Dimensionhinzugekommen.

Es stellt sich die Frage, wer ein Leitbild wie dasder „nachhaltigen Stadt“ formuliert, das heißt, woder Diskurs anzusiedeln ist. Weiters soll aufge-zeigt werden, welche Bausteine diese Idee trans-portiert, bzw. als Antwort auf welche Problemewelche Lösungsansätze geboten werden. Da die-ser Diskurs so umfassend ist, können dabei wie-der nur einzelne Aspekte herausgegriffen undnäher beleuchtet werden. Letztlich ist auch so vie-les noch in Entwicklung und Ausarbeitung be-griffen, bzw. kann gar nicht als konkreteHandlungsanleitung dargeboten werden, daß derVersuch einer solchen Darstellung in jedem Fallnur temporären Charakter haben kann. DieEntwicklung dieser Idee ist von so zahlreichenRahmenbedingungen abhängig, daß erst dieZukunft zeigen wird, wie weit gesellschaftlicheAkteurInnen sich darauf einlassen können.

3.2.1 Top-Down vs. Bottom-Up oder: Wersind die Akteurinnen und Akteure?

Im Gegensatz zu den Leitbildern, die ich im vori-gen Kapitel dargestellt habe, ist das Leitbild der„nachhaltigen Stadt“ von einer enormen Vielzahlvon AkteurInnen geprägt. Mag es zum Teil zuvereinfachend sein, die Ausprägung von histori-schen Leitbildern einzelnen Personen zuzuschrei-ben, so lassen sich doch einige besonders enga-gierte Persönlichkeiten als Hauptvertreter festma-chen. Das Leitbild der „nachhaltigen Stadt“ - so-fern der Singular überhaupt der Sache gerecht

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee54

56 Am Beispiel der IBA Emscher Park (siehe auch weiter unten) zeigt Sieverts, “daß vor der ökonomisch-materiellen In-Wert-Setzung eineökologische und eine künstlerische Besetzung und 'Umcodierung' stattfindet.” (Sieverts, 1997, S. 128)

wird - zeichnet sich durch eine Pluralität derVertreterInnen aus, die nicht nur auf unterschied-lichen gesellschaftlichen Ebenen agieren, sondernauch unterschiedliche Interessen mit derPropagierung eines solchen Leitbildes vertreten.Genau diese Pluralität an Interessen erfordertauch neue Herangehensweisen, die mittlerweilezumindest viel diskutiert, aber auch erprobt wer-den.

Theorie- und Handlungsansätze werden sowohlals „Top-Down-Strategien“ als auch „Bottom-Up“ formuliert. Es scheint Konsens darüber zubestehen, daß Strategien aus beiden Richtungennotwendig sind. Das heißt, daß es sich hierbeinicht um eine Frage des entweder - oder handelt,sondern lediglich um den Ausgangspunkt, vondem aus eine Initiative startet. Das Ziel beiderRichtungen ist letztendlich die Einbeziehung allerBürgerInnen, in welcher Funktion auch immer. Jeweniger Raum zur Verfügung steht, bzw. je mehrNutzungskonflikte auftreten, desto mehrMenschen sind betroffen, die ihr Recht anMitsprache auch einfordern. Die zunehmendeZahl an Personen, die an der Gestaltung ihresLebensraumes teilnehmen wollen oder sollen,führt natürlich auch dazu, daß die Aushandlungs-prozesse komplexer werden. Deshalb ist einwesentliches Element nachhaltiger (Stadt-)Entwicklung die Erprobung und dasExperimentieren mit neuen Partizipations-formen, die eine grundsätzliche Umorientierungfür die bisherige sektorale und hierarchischePlanung bedeuten.

Zur Top-Down-Ebene sind in erster Linie jeneBemühungen zu zählen, die von Stadtregierungenund -verwaltungen ausgehen. Eine Vielzahl vonStädten hat mittlerweile die Aalborg-Charta (sieheKapitel 1) unterzeichnet, die ja nicht nur grundle-gende Prinzipien formuliert, sondern mit der sichdie Städte auch verpflichten, einen „LokalenAgenda 21 Prozeß“ zu initiieren. Wien beispiels-weise hat 1996 sowohl die „Umwelt-Charta der

Europäischen Union“ (Charta von Valencia) alsauch die Aalborg-Charta unterschrieben, unddamit die Absicht erklärt, das Konzept derNachhaltigkeit umzusetzen. In der Folge wurdedie „Wiener Internationale Zukunftskonferenz“unter dem Vorsitz von Dennis Meadows abgehal-ten, die Ansätze zur Vernetzung von Verwaltungund Wissenschaft schuf. Es entstand ein„Zukunftsforum Magistrat“, das von der„Zukunftsstation“ moderiert wird und vorläufigeVorschläge für die Politik erarbeiten soll, die eineBasis für konkrete Maßnahmen darstellen. Die„Zukunftsstation Wien“ wurde beauftragt, eineStudie mit Vorschlägen für einen „ZukunftsplanWien“ zu verfassen, die von Gottfried Pirhofer(Zukunftsstation) in Zusammenarbeit mit RobertKorab (Ökologieinstitut) und Dietmar Kanat-schnig (Österreichisches Institut fürNachhaltigkeit) ausgearbeitet wurde.57

Das fertige Konzept harrt immer noch der politi-schen Entscheidung, zu der sich dieStadtregierung noch nicht durchringen konnte.Obwohl Otto Frey, Oberbaurat der GruppePlanung der Baudirektion Wien, attestiert, daßdas „Wesentliche für einen lokalen Agenda 21Prozeß (..) der Sprung in die breite Öffentlich-keit“ sei, sind die Schritte in diese Richtung nochäußerst vage. (vgl., Astleithner, 1997, S. 23f) Esbesteht eine gewisse Zurückhaltung, das Themaoffensiv in die Öffentlichkeit zu tragen, da esdafür zum einen international noch kaumVorbilder gibt, zum anderen noch so vieles offenist, daß nicht mit Sicherheit baldige sichtbareErgebnisse erwartet werden, mit denen alleBeteiligten zufrieden sein können. DiesesProblem ist aber dem Prozeß der Nachhaltigkeitals solchem inhärent. Am Beispiel Wien zeigtsich, wie schwierig es einer Stadtverwaltung fällt,Wege einzuschlagen, die über traditionellePlanungsstrategien hinausreichen. Vor allem mitder Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit sindsehr viele Unsicherheiten verbunden.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 55

57 Der Vorschlag liefert Leitlinien für ein integratives Konzept zur Initiierung einer lokalen Agenda 21. Er basiert auf drei Säulen: Ver-waltung, Öffentlichkeit und Wirtschaft. Zwei inhaltliche Schwerpunktbereiche wurden definiert, über die der Prozeß einer lokalenAgenda 21 lanciert werden soll, und zwar: Arbeit und Ausbildung, sowie Freizeit und Wohnen. Diese Schwerpunkte dienen als Auf-hänger, in die andere Aspekte, die für einen Nachhaltigkeitsprozeß entscheidend sind, integriert werden können, wie beispielsweise dasThema Verkehr. Das Konzept sieht die Schaffung einer eigenen Organisationsstruktur vor, die zum einen aus einer Lenkungsgruppe alsübergeordnete Ebene mit Vertretern aus allen drei Bereichen (Öffentlichkeit, Verwaltung und Wirtschaft) besteht, und zum anderen ausFachforen, die auf einer gesamtstädtischen Ebene für die Schwerpunktbereiche zuständig sind. Diese Fachforen sollen eigens für dreiWiener Regionen (Wien-Nord, Wien-Mitte und Wien-Süd) gegründet werden. Die Ergebnisse aus den Fachforen würden in ein Stadt-forum einfließen. Auf der operativen Ebene ist ein Agenda-Büro vorgesehen, das ebenso mit MitarbeiterInnen des Magistrats, wie auchmit externen Personen besetzt sein soll.

Als ersten Schritt in diese Richtung kann dasPilotprojekt eines Agenda-Büros in WienAlsergrund bezeichnet werden, das von der StadtWien und vom Bezirk unterstützt und finanziertwird und in den Räumen der VolkshochschuleWien Nordwest ansässig ist. Das von derPsychologin Cornelia Ehmayer geleitete Projektstartete - nach einer halbjährigen Vorbereitungs-zeit - offiziell am 28. Jänner 1999.58 Während undim Anschluß an die Eröffnungsveranstaltungwurden bereits Arbeitskreise gebildet, die sich mitder Zukunft des Bezirkes auseinandersetzen wer-den. Sollte dieses Projekt Schule machen, sindweitere Agenda-Büros auch in andern WienerBezirken geplant.

München, eine Stadt, an der sich Wien orientiert,ist einige Schritte weiter. Im Rahmen der Erar-beitung des neuen Stadtentwicklungsplanes„Perspektive München“ befindet sich die Landes-hauptstadt seit 1992 in einer intensiven fachlichenLeitbild- und Strategiediskussion über ihre Zu-kunft. Die daraus resultierenden Diskussions-grundlagen wurden vom federführendenPlanungsreferat in vier fachübergreifendenThemenheften59 1995 als Verwaltungsentwurfpräsentiert und werden seither im Stadtrat und inder Öffentlichkeit diskutiert.60 Im Sommer 1997fand eine breit angelegte Kampagne statt, mit demZiel, möglichst viele BewohnerInnen Münchensanzusprechen und erste Aktionen zu starten, wiezum Beispiel das Projekt „21 Testhaushalte für dieAgenda 21“, bei dem aus über 130 Bewerbungen21 Münchner Haushalte ausgewählt wurden, dieein Jahr lang probeweise nach den Leitlinien derAgenda leben wollen. Das Ziel dieser Aktion seies, „die möglichen Bausteine eines neuen, ‘nach-haltigen’ Lebensstils auf ihre Praxistauglichkeithin zu prüfen“. Dabei sollen nicht nur die ökolo-gischen Auswirkungen untersucht werden, son-dern auch die sozialen Auswirkungen und diewirtschaftlichen Bedingungen. (MünchnerStadtgespräche 2/1997) Dieses Projekt ist Teil desFachforums „Zukunftsfähige Lebensstile“, dasneben den Fachforen „Eine Welt“, „Wohnen,Siedeln, Mobilität“ und „Arbeit und Wirtschaft“zu den wichtigsten Einrichtungen der MünchnerAgenda 21 zählt.

Daneben existiert seit März 1995 ein Forschungs-verbund, an dem die Städte München, Leipzig

und Dresden beteiligt sind. Der Forschungs-verbund untersucht am Beispiel der beteiligtenGroßstädte die Muster von Flächennutzung unddie Möglichkeiten zur Lösung von Flächen-nutzungskonkurrenzen, mit dem Ziel, Entwürfefür eine ökologisch-ökonomische Gestaltung,Instrumentierung und Organisation urbanerSysteme zu erarbeiten. (Brake, Richter, 1996) Dieaktuellen Ziele und Leitbilder bezüglichSiedlungs- und Wirtschaftsentwicklung der betei-ligten Kernstädte bilden den Ausgangspunkt derUntersuchungen im Forschungsvorhaben.

„Die immanenten Zielesysteme der beteiligten Städte bil-den dabei die Grundlage. Sie sollen im Verlauf des Pro-jektes vor dem Hintergrund der jeweiligen lokal-spezifischen Bedingungen und Eigenarten nach denKriterien Konsistenz, Kompatibilität und Vollständigkeit,mit der Konzeption eines sustainable urban developmentsowie nach Zielerreichungsgrad, Instrumentenanwendung,Wirkungsmechanismen und Verfahrenseffizienz analy-siert und bewertet werden.“ (Heller, Richter, 1996, S.83)

München sucht also bewußt die Auseinander-setzung sowohl mit der Bevölkerung, als auch mitwissenschaftlichen FachexpertInnen, die denProzeß begleiten.

Strategien, die als Bottom-Up-Ansätze entstehen,sind gegenüber Top-Down-Strategien konkreter.Das Beispiel München ist in dem Versuch, mög-lichst viele gesellschaftliche Bereiche einzube-ziehen, sehr fortschrittlich. Auf der Strategie- undKonzeptebene werden allerdings auch Lückenund Widersprüche deutlich, wie in der Unter-suchung des Forschungsverbundes herausgekom-men ist. In der Perspektive München werdenzwar die wichtigsten stadtökologischen Prinzipienangesprochen, dennoch werden in allen vierThemenheften „nur andeutungsweise Vorschlägezur Umsetzung von Verwaltungsreform oderQualifizierung zu ämterübergreifendem, projek-torientiertem, partizipativem Verwaltungshandelnfür die angestrebte “integrierte Planung in einemintegrierenden Prozeß” unterbreitet. Ebenso-wenig existiert ein Kommunikationskonzept fürdie öffentliche Diskussion der “PerspektiveMünchen”, die dem selbstformulierten hohenAnspruch an Transparenz und Dialogbereitschaftgerecht würde“. (Heller, Richter, 1996, S. 89)

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee56

58 Nähere Informationen über die aktuelle Entwicklung und die Arbeit vor Ort finden sich auf der Home-Page des Agenda-Büros:http://www.vhs.at/agenda21/

59 Die Titel der Themenhefte lauten: “Wirtschaftsstandort München”, “Sozialraum Stadt”, “Räumliche Entwicklung” und “Region”.60 Eine Dokumentation der Diskussionen zu den Bereichen der Themenhefte wurde 1996 vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung

unter dem Titel: “Perspektive München - Experten und Akteure diskutieren das neue Stadtentwicklungskonzept” herausgegeben.(Landeshauptstadt München, 1996).

Generell zeichnen sich die Erklärungen, die aufdem Niveau von Stadtentwicklungsplänen oderauch einer internationalen Charta gemacht wer-den, dadurch aus, daß sie auf einer sehr abstrak-ten Ebene gehalten sind und meist alsAbsichtserklärungen formuliert werden, ohnekonkret auf mögliche, umfassende Umsetzungs-schritte einzugehen. (vgl., dazu die ausführlichzitierte Aalborg-Charta in Kapitel 1). Es findetsich auch generell meist keine trennscharfeAbgrenzung von Leitbildern/ Zielen undUmsetzungsstrategien und -konzepten, oft über-wiegen die Zielvorstellungen auch dort, woeigentlich von Maßnahmen und Instrumentengesprochen wird oder werden sollte.

Den Wiener Stadtentwicklungsplan (STEP) kom-mentierte Helga Fassbinder (1993), Leiterin desArbeitsbereichs Stadtbau/Stadtplanung an derTechnischen Universität Hamburg-Harburg, ineben diese Richtung. Sie stellt fest, daß derWiener STEP in vielen Punkten im europäischenVergleich zwar eine Vorreiterrolle einnimmt, den-noch aber auch zentrale Fragen unbeantwortetläßt, und zwar insbesondere die der Durchsetz-barkeit des Planes, obwohl die Meinung vor-herrscht, aus den Fehlern in der Vergangenheitgelernt zu haben. Die zweite zentrale Aufgabe,die ein Flächennutzungsplan zu lösen hat, laute:Ist er sich der tiefgreifenden Veränderungen dersozialen und kulturellen Struktur der europäi-schen Städte bewußt, und bietet er Perspektiven,diesen Weg zu räumlichen Lösungen mit einersozialkulturellen Integration zu verbinden, unddamit zu einer gesellschaftlichen Stabilisierungbeitragen zu können? Inwieweit werden wenig-stens Umrisse von Antworten deutlich, die einePerspektive der Bewältigung dieser Problematikaufweisen?

Fassbinder fordert die Umsetzung folgenderThese:

„Neben die Ausarbeitung von Leitvorstellungen und pla-nerischen Maßnahmen muß gleichwertig die Ausarbeitungeines Konzeptes für eine strategische Vorgangsweise zurrealitätsgerechten Umsetzung der Zielvorstellungen treten.Hierzu reicht die Angabe von Maßnahmen im konventio-nellen Sinn nicht aus. Das Konzept ist vielmehr neben sei-nen konkreten inhaltlichen Teilen gleichzeitig als ein offenmethodisches zu denken. Eine so verstandene Planungstellt ihren Prozeßcharakter in den Mittelpunkt undmacht sich selbst transparent als Unterhandlungsprozeßüber Maßnahmen und Strategien zur Erreichung seinesLeitbilds.“ (Fassbinder, 1993, S. 93)

Angesagt ist also das „Experimentieren in einem

offenen Suchprozeß.“ Es bedarf in einem neuenSinn einer Politisierung der Planung, und zwarum eine breite Mitwirkung bei der Suche nachLösungen in Gang zu setzen, mit der alle lebenkönnen, und auf deren Einhaltung sich alleverpflichten lassen. Dabei sei es wichtig, dieBeteiligung nicht auf die zwei großen Gruppen -die der „Bürgervertreter“ und die derFachvertreter - zu beschränken, sondern aufjeden Fall auch die Gruppe der Investoren in die-sen Prozeß miteinzubeziehen.

Fassbinder resümiert:

„Ein Stadtentwicklungsplan muß heute einen großenWurf in die Zukunft wagen, eine Zukunft, die unterneuen Bedingungen abläuft. Weder in seinen Antwortennoch in seiner Vorgehensweise kann er sich am Geländerder vergangenen Jahrzehnte fortbewegen. Die Gesellschaftist mündiger, heterogener und dynamischer geworden, unddie Formen und Spielregeln des heutigen gesellschaftlichenVerteilungskampfes um die Raumnutzung müssen zueinem guten Teil erst gefunden werden.“ (ebd., S. 96)

Der Vorteil von Bottom-Up-Strategien liegt inihrem regionalen Bezug und in der Aus-einandersetzung mit akuten Problemen gesell-schaftlichen Wandels an einem konkreten Ort.Diesbezüglich möchte ich die These formulieren,daß engagierte Projekte „von unten“ am ehestendort zustande kommen, wo der Problemdruckbesonders groß bzw. von den Bürgerinnen undBürgern der Region auch unmittelbar spürbar ist.Dies ist in Regionen der Fall, die wirtschaftlichund von ihrer Bevölkerungssituation her benach-teiligt sind, die also im Entstehungsprozeß der„neuen Geographie von Zentralität und Margi-nalität“ (siehe Sassen weiter oben) zunehmend indie marginalisierten Räume abrutschen - zumBeispiel das Ruhrgebiet. Umgekehrt stellt sich dasProblem, daß in Regionen oder Städten, die wirt-schaftlich relativ prosperieren, anscheinend keindringender Handlungsbedarf in Bezug auf Nach-haltigkeit besteht. In einer fast ausschließlich aufKonsum orientierten Gesellschaft gibt es vorder-gründig - solange die Kaufkraft hoch ist - keinenGrund, das heißt, keinen unmittelbaren Problem-druck oder, andersherum, keine Anreize, um dasVerhalten zu ändern, beispielsweise in RichtungReduktion der Material- und Stoffströme.

Auch Wachten (1996, S. 27) vertritt die These, daßvor allem die Altindustriegebiete als erste diesen„Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs-gesellschaft“ spürten und spüren und daher imVersuch, Problemlösungsstrategien zu entwickeln,eine „Vorreiter-Funktion“ einnehmen.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 57

Eines der herausragendsten Beispiele sehe ich inder Internationalen Bauausstellung EmscherPark61 im Ruhrgebiet/ Nordrhein-Westfalen, diedie ökologische und ökonomische Erneuerungeiner alten Industrieregion zum Ziel hat. DasProjekt wurde 1989 initiiert und soll 1999 in eineEndpräsentation münden. Die treibende Krafthinter dieser Initiative ist der geschäftsführendeDirektor der Bauausstellung in Gelsenkirchen,Karl Ganser.

Die Industrialisierung des Ruhrgebietes begannschon sehr früh, noch im 18. Jahrhundert. Sie er-reichte 1943 mit einer Förderung von 128Millionen Tonnen Steinkohle ihren Höhepunktund befindet sich seit den fünfziger Jahren zuneh-mend in einer Krise. Deshalb begann derStrukturwandel in dieser Region früh und ist iminternationalen Vergleich relativ fortgeschritten.Die Region steht heute nicht nur vor dem Problem,mit den Industriebrachen - und den dadurchbedingten Umweltlasten - umgehen zu müssen,sondern ist auch mit einer weitgehend unkontrol-lierten Siedlungsentwicklung in diesem Raum kon-frontiert. Die IBA Emscher Park ist bemüht, aus-gehend von Konzepten unter dem Schlagwort„Nachhaltiges Wirtschaften“ Zeichen zu setzen,indem abstrakte Visionen mittels konkreterProjekte glaubhaft gemacht werden. Um dies zubewerkstelligen, wurde ein neues Instrument mitfolgender Organisationsstruktur geschaffen:

„Die Basis bilden 17 Städte des Emscherraumes. DieseStädte, aber auch Unternehmen, private Organisationenund Bürgerinitiativen können nach dem Prinzip derFreiwilligkeit Projekte in die InternationaleBauausstellung hineintragen. (...) Die ökologischen undkulturellen Qualitäten werden zusammen mit der Interna-tionalen Bauausstellung definiert und über eine“Qualitätsvereinbarung” im Verlauf der Realisierungs-phase gesichert. Für die Entwicklung und die Sicherungdieser Qualitäten sowie für die Präsentation der Projekteinsgesamt wurde eine “zentrale Organisation”, die IBAEmscher Park gegründet. Diese Gesellschaft ist imEigentum des Landes. (...) Die Aufgaben beschränkensich auf Konzeption, Moderation und Präsentation. Einmit Vertretern aus den verschiedenen gesellschaftlichenGruppen zusammengesetzter “Lenkungsausschuß” ent-scheidet über die Aufnahme und Entlassung vonProjekten. Er ist auch für die Entwicklung der Strategienund der Qualitätskriterien letztlich verantwortlich.“(Ganser, 1995, S. 197)

Ziel dieses Projektes ist die stärkere ökologischeund kulturelle „Qualifizierung“ der öffentlichenund privaten Investitionstätigkeiten, wobei nichtmehr öffentliche und private Mittel aufgewendetwerden sollen, als in der Region ohnehin in demdefinierten Zeitraum ausgegeben worden wären.Es ist außerdem ein großes Programm für„Arbeit und Umwelt“, das heißt, daß gleichzeitigauch das Problem der zunehmenden Arbeitslo-sigkeit in Angriff genommen wird. Zentral istalso die starke ökologische Ausrichtung derGrundthematik, wobei Landschaftsaufbau undLandschaftsgestaltung im Mittelpunkt stehen(daher auch der Name Emscher Park). Es handeltsich um einen integrierten regionalpolitischenAnsatz, der besonderen Wert auf die Prozeß-orientierung legt. In der bisherigen Praxis habensich drei Säulen für das ökologisch orientierteHandeln herausgebildet: 1) Der Schutz desFreiraumes und der Wiederaufbau vonLandschaft; 2) das ökologische Planen undBauen; und 3) die Transformation der Wirt-schaftsstruktur in Richtung auf umweltverträgli-che Produkte und Produktionsverfahren.

Kunibert Wachten, der Deutsche Kommissar derVI. Internationalen Architekturausstellung derBiennale Venedig 1996, stellte ausgewählteProjekte der Internationalen BauausstellungEmscher Park in den Mittelpunkt der Biennale,unter dem Titel „Wandel ohne Wachstum“. Indem gleichnamigen Ausstellungskatalog (1996)wird auf die Frage eingegangen, inwieweit einsolches Modell generalisierbar sei. SowohlStrategie als auch Projekte der IBA Emscher Parkseien in erster Linie auf die konkrete historischeSituation im Emscherraum abgestellt. Insofernsei mit der Übertragbarkeit zurückhaltend um-zugehen.

„Jede regionale Gesellschaft muß sich selbst um die Lösungder Probleme kümmern, ohne zu glauben, man könne wo-anders eine bequeme Anleihe machen.“ (Ganser, inWachten, 1996, S. 19)

Übertragbar seien allenfalls generelle Einsichten,beispielsweise, daß die Bemühungen, Wachstumaufrechtzuerhalten, die Standortbedingungen umso mehr zerstören, so daß Wachstum erst rechtausbleibt. Es müsse rückhaltlos auf Qualität ge-setzt werden, vor allem auf ökologische Qualität.Zentral sei es, mit dem Flächenverschleiß aufzu-

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee58

61 Ein besonderer Bezug Wiens zu diesem Projekt besteht in der Person Prof. Kunibert Wachtens. Prof. Wachten ist Architekt undStadtplaner und hat seit 1979 ein Planungsbüro in Dortmund, durch das er an konkreten Planungen in der Emscher-Region beteiligt istund aktiv den dortigen Prozeß nachhaltiger Regional- und Stadtentwicklung mitgestaltet. Er ist außerdem seit 1994 O. Univ. Prof. fürStädtebau und Raumplanung an der Technischen Universität Wien, wo er seine Ideen und Ansätze auch in die Lehre einbringt und inAuseinandersetzung mit den StudentInnen weiterentwickelt.

hören und zur Kreislaufwirtschaft in der Flächen-nutzung überzugehen. Möglicherweise könntenauch Teile des Steuerungsprinzips der IBA vonallgemeinem Interesse sein, beispielsweise dieKonzentration auf eine große Zahl von Projek-ten; die integrierte Projektentwicklung in demSinne, daß jedes Projekt gleichrangig einen ökolo-gischen, sozialen, kulturellen und ökonomischenNutzen abzuwerfen hat; oder die Finanzierungs-strategie durch eine effiziente Bündelung ver-schiedener öffentlicher und privater Mittel.

Wachten verweist auf die identitätsstiftendeWirkung auf lokaler, regionaler und historischerEbene, die so geschaffene „Inseln“ der Nach-haltigkeit in einem „Meer“ der Austauschbarkeittraditioneller städtischer Strukturen schaffen kön-nen. So sei es möglich, „daß verstreute Projekteauf hohem Niveau neue Orientierungen gebenund auf die Umgebung ausstrahlen“. (vgl. ebd., S.27) Nichtsdestotrotz müßten aber diese punktuel-len Interventionen durch Projekte in den Rahmeneiner Leitvorstellung eingebettet sein, „in eineglaubwürdige, in sich schlüssige, nachhaltige Regio-nalstrategie zum notwendigen ökonomischen undökologischen Umbau. Eine solche Strategie bedarfkeines allgemeingültigen, regulativen Plans, keinesstarren Instruments, sondern muß flexibel vor Ortdurch ihre Projekte bestehen.“ (ebd.)

Die Verschränkung von Leitvorstellungen undPrinzipien der Nachhaltigkeit mit dem Experimen-tieren in konkreten, möglichst kleinteiligenProjekten wird also von beiden Seiten (sowohlTop-Down als auch Bottom-Up) zumindest alsnotwendig erachtet. Wie weit sich das jeweils reali-sieren läßt, hängt nicht nur von der Offenheit derbeteiligten AkteurInnen ab, sondern ist ein Prozeßund eine Frage, die erst in Ansätzen behandeltwird, die aber in jedem Fall nur in einem über-schaubaren regionalen Kontext handhabbar ist.

Bottom-Up-Ansätze sind sehr an regionaleBedingungen gebunden. Im Regionalbezug wirdbesonders deutlich, daß es keine Rezepte für einenachhaltige Entwicklung geben kann, sonderndaß das Konzept eher einen „Analyse-,Handlungs- und Konfliktrahmen“ (vgl., Wehling,1997 und Kapitel 1) aufspannt, innerhalb dessennicht nur unterschiedliche Gesellschaften, son-dern auch regionale „Einheiten“ jeweils eigeneEntwicklungspfade definieren, einschlagen underproben. Aus der Perspektive der Region wirftdas natürlich auch gewisse Probleme auf:

Konfliktfelder treten in der unmittelbarenUmgebung auf und müssen in schwierigenAushandlungsprozessen gelöst werden. Ausge-handelte Lösungen lassen sich nicht unmittelbarauf andere Regionen oder Themenbereiche über-tragen. Das heißt, daß auch die sozialen Um-setzungsstrategien kleinteilig in Angriff genom-men werden müssen. Zum Erfahrungstauschwerden Vernetzungen angestrebt und es bildensich auch neuartige Netzwerke.

Gleichzeitig besteht das Problem, bzw. dieHerausforderung darin, auch größere Zu-sammenhänge im Auge zu behalten; d. h. überder Beschäftigung im regionalen oder lokalenKontext nicht auch die Auswirkungen auf globa-lere Dimensionen außer Acht zu lassen. Damiteröffnet sich aber auch ein Dilemma, da ja nichtalle Auswirkungen immer bekannt oder abschätz-bar sind. Wieder ist die Antwort das „Offen-Halten“, mögliche Revidierbarkeit von Ent-scheidungen, Flexibilität und Kleinteiligkeit, umdie Überschaubarkeit möglichst groß zu halten.

Wachten ist der Ansicht, daß die IBA EmscherPark in ihrer „Verknüpfung einzelner Projekte zueiner Strategie der dauerhaft tragfähigenSiedlungsentwicklung“ bisher einmalig ist. DerVielzahl an innovativen Einzelprojekten - wiekommunale Klimaschutz-Initiativen, Konzepteder Nutzungsmischung, Modellprojekte für die„Stadt der kurzen Wege“, Konzepte für autofreieSiedlungen, qualitätsvolle Umbauten alterFabrikgebäude mit einer hohen Flexibilität undbesten Nutzungsbedingungen, faszinierendeSolarbauten und konsequent ökologisch orien-tierte Bauten fehlt eben dieser Aspekt derVerknüpfung mit anderen Elementen bzw. dieEinbindung in eine Regionalstrategie.

3.2.2 Ziele und Strategien

Das übergeordnete Ziel „nachhaltiger Stadt-entwicklung“ besteht - wie schon im Brundtland-Bericht definiert - darin, die ökologischen, alsauch die wirtschaftlichen und die sozialenAspekte menschlicher Entwicklung so zu inte-grieren, daß „sowohl die Bedürfnisse der gegen-wärtigen, als auch die zukünftiger Generationenbefriedigt werden können.“ Diese recht unkon-krete Definition, die sehr viele Leute teilen kön-nen, gilt es in der städtebaulichen Planung undPraxis umzusetzen.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 59

Die Zielkataloge sind lang. Sie ergeben sich zueinem Großteil aus der Kritik an den destruktivenZügen bisheriger städtischer Entwicklung. In die-ser Kritik wurde schon vor der Nachhaltigkeits-diskussion eine Reihe von Konzepten für dieAbleitung tragfähiger kommunaler Entwicklungs-strategien und Maßnahmen entwickelt. Dazuzählen beispielsweise - aus der praktizierten Stadt-planung - polyzentrale Entwicklung, Achsen-konzepte zur Freihaltung von Grünflächen, qua-lifizierte Dichte, Forcierung des öffentlichenNahverkehrs, usw. Andererseits fließen Elementedes ökologischen Bauens - wie es seit den siebzi-ger Jahren propagiert wird - in die Diskussion umnachhaltige Entwicklung ein. Dazu zählenAspekte der Freiraumplanung, des Boden-schutzes, des Stadtklimas, sowie des Wasser-,Stoff- und Energiehaushalts und desLärmschutzes (vgl. Raith, 1996).

Derartige Bausteine gibt es viele, von denen ange-nommen wird, daß sie einen Beitrag zu nachhalti-ger Entwicklung leisten können. Bisher kann abernicht geklärt werden, in wieweit solche Elementeund Bausteine tatsächlich eine Wirkung im Sinneder Nachhaltigkeit erzielen. Umgekehrt reichensolche Bausteine auch nicht aus.

Die oben genannten Beispiele beziehen sichausschließlich auf räumliche Aspekte. Grob ver-einfachend - und idealtypisch auseinandergehal-ten - umfaßt das Leitbild der nachhaltigen Stadtfolgende zwei Ebenen: die baulich-räumlicheGestaltung unter Berücksichtigung energetischerund materieller Aspekte und die gesellschaftlicheOrganisation der Umsetzung, bei der meist auf neueFormen der Demokratie und Mitbestimmungverwiesen wird. Dangschat (1997) unterscheidetin ähnlicher Weise zwei Typen der Stadt(teil-)ent-wicklungsplanung. Er spricht von einer stadtpla-nerischen Umsetzung der Lokalen Agenda 21 inForm eines technokratisch-rationalen Ansatzesder Nachhaltigkeit und von einer diskursivenUmsetzung im Sinne eines kommunikativ-partizi-patorischen Ansatzes. Ersteres bezieht sich aufdie Notwendigkeit einer stärkeren Orientierungan der Zielsetzung einer ökologischen Stadtent-wicklung, wozu er Prinzipien der Nachverdich-tungen, der Funktionsmischung, der Verkehrsver-meidung, des ökologischen Bauens und dieNotwendigkeit der Überarbeitung der Planwerkezählt. Das Ziel sei in diesem Sinne ein „neuesLeitbild des “ökologischen Stadtumbaus“. DieDurchsetzung des Leitbildes einer „nachhaltigen

Stadtentwicklung“ erfordere aber „kommunika-tiv-partizipatorische Strategien“ und eine „zusätz-liche Zahl an kreativen und kooperativenAkteuren“. (Dangschat, 1997, S.187)

„Der Nachhaltigkeitsprozeß bedarf völlig neuerDialogformen, Argumentationsstile und Opti-mierungsverfahren, die mit dem Begriff einer „neuenPlanungskultur“ zwar bezeichnet, aber noch nicht aufge-dröselt sind. Hier bedarf es jeweils lokaler Erfahrungenund mutiger Experimente, aber auch eines Austauscheszwischen den Städten.“ (ebd., S.189)

Die Idee der Bürger-Beteiligung bestand schonvor dem Nachhaltigkeits-Diskurs und stellt oftdie einzige Sensibilisierung für „das Soziale“ imEntwicklungs- und Umsetzungsprozeß derNachhaltigkeit dar. Dabei geht es darum, neueDialogformen einzuüben, wie zum BeispielZukunftswerkstatt, Bürgergutachten, Planungs-zelle. Die große Bürgernähe ist auch der wesent-liche Grund, warum Kommunen zum Träger desUmsetzens der globalen Agenda 21 gemacht wur-den. Durch Verfahren der Bürgerbeteiligung wirdzwar ein sozial integrativer Ansatz gewählt, aberauch hier stellt sich die Frage, inwieweit einzelneProjekte die Idee der Nachhaltigkeit befördernkönnen, bzw. ob es mit dieser Strategie gelingt,die tradierten Entwicklungslinien aufzubrechenund eine Zukunft zu erarbeiten, die mit erheblichveränderten Wertvorstellungen verbunden seinmüßte. Es bleibt die Frage, ob und wieBruchstellen in den bestehenden Systemgrenzengefunden und für Prozesse genutzt werden kön-nen, innerhalb derer die Zukunftsoptionen mög-lichst offen gehalten werden.

Um die Ziele und Strategien einer nachhaltigenStadtentwicklung näher zu beschreiben, möchteich ausführlicher auf Ekhart Hahns62 Konzepteines „Ökologischen Stadtumbaus“ eingehen.Dieses Theorie- und Handlungskonzept bieteteinen guten Überblick über zentrale Aspektenachhaltiger Stadtentwicklung und erlaubt einerelativ kompakte Darstellung wichtiger Punkte,die auch in vielen anderen - stadtplanerischen -Zusammenhängen diskutiert werden. Obwohl imTitel die ökologische Dimension betont wird, ver-sucht Hahn allerdings, sowohl den ökonomi-schen, als auch den sozialen Aspekt mit einzube-ziehen. Dabei werden dennoch - professionsspe-zifische? - Grenzen deutlich, die ich im Anschlußdiskutieren möchte.

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee60

62 Ekhart Hahn ist Architekt und Stadtökologe, der bereits 1982 den Begriff “Ökologischer Stadtumbau” prägte. 1984 entwickelte er eineerste Handlungskonzeption zu diesem Thema. Von 1988 - 1991 leitete er die erste internationale Ost-West-Forschungskooperation zumÖkologischen Stadtumbau am Wissenschaftszentrum Berlin.

3.2.2.1 Das Konzept von Ekhart Hahn zum„Ökologischen Stadtumbau“ (1992)

Zielsetzung des Ökologischen Stadtumbaus63 istdie Anpassung der städtischen Strukturen undder künftigen Stadtentwicklung an dieErfordernisse ökologischer Verträglichkeit aufindustriegesellschaftlichem Niveau. Es stellt aberauch den Versuch einer integrierten Betrach-tungsweise von gesellschaftlichem Mikro- undMakro-Bereich dar, das heißt, daß sein Konzeptsich um die Synthese von Top-Down undBottom-Up Ansatz bemüht. Zum anderenberücksichtigt er die sozio-ökonomischen undsozio-kulturellen Ursachen der heutigen Umwelt-probleme, das heißt, er reduziert seine Sichtweisenicht auf die Entwicklung neuer umweltverträgli-cher Stadttechniken, sondern ist auch an derVeränderung der städtischen Lebensstile und ander Förderung verantwortungsbewußter ethischerGrundhaltungen interessiert. In diesem Sinnespricht er sich für ein Umdenken in allenLebensbereichen und ein Umbauen in allengesellschaftlichen Strukturen aus.

„Diese Aufgabe kann nicht am Reißbrett oder in wissen-schaftlichen Instituten, sondern nur in gesellschaftlicherPraxis gelöst werden.“ (Hahn, 1992, S. 13)

Aus diesem Grund hat Hahn seine Konzeption inAuseinandersetzung mit konkreten städtischenFallbeispielen64 erarbeitet.

Wichtigstes Ergebnis des Forschungsprojektes wardie Herausarbeitung von vier Eckpunkten, an denensich ein Ökologischer Stadtumbau orientieren kann:1.) Die Strategie ökologische Quartiersentwicklung;2.) das Modell Handlungsbereiche und Bausteine;3.) das „Konzept Ökostationen“; und 4.) Ökologi-sche Orientierungen. Diese vier Eckpunkte stelleich als gekürzte Zusammenfassung von Hahns Textvorerst kurz dar.

Der Kern von Hahns Modell liegt in derAuseinandersetzung mit der Quartiers- oderStadtteilebene (Strategie ökologische Quartier-

sentwicklung). Das Quartier/der Stadtteil bieteteine entscheidende Schnittstelle zwischen städti-schem Mikro- und Makro-Bereich. Im Makro-Bereich geht es vor allem um die Gestaltung derübergeordneten technischen und sozialenInfrastrukturen (Energie, Wasser, Abfall, Verkehr,Bildungswesen, Gesundheit) sowie der rechtli-chen, ökonomischen, sozial- und kulturpoliti-schen Rahmenbedingungen. Er ist gekennzeich-net durch ein hohes Maß an Anonymität, durchgeringen Betroffenenbezug und entsprechendreduzierte direkte Beteiligungsmöglichkeiten. Dierelevanten Akteursebenen beginnen hier beimStadtbezirk und reichen bis hin zur internatio-nalen Ebene. (vgl. ebd., S. 68ff) Merkmale desstädtischen Mikro-Bereichs hingegen sindgrößere Überschaubarkeit, direkte Sinnes-wahrnehmung und Betroffenheit, bzw. höhererIdentifikationsgrad. Die relevanten Handlungs-ebenen reichen hier von der Wohnung oder demArbeitsplatz bis hin zur Nachbarschaft bzw. zumQuartier. Im Quartier bieten sich vielfältigeMöglichkeiten zur Erprobung von technischenund sozialen Einzelmaßnahmen und ihrerVernetzung zu integrierten stadtökologischenGesamtkonzepten (vgl. S. 67f).

Hahn hat in dem Zusammenhang drei grundle-gende Thesen formuliert (vgl. S. 109ff).

1.) Vernetzungsthese: Erst mit zunehmenderVernetzung sich gegenseitig ergänzender und för-dernder Maßnahmen innerhalb und zwischen dengenannten Handlungsbereichen und Bausteinenhat der Ökologische Stadtumbau eine wirklicheImplementationschance und es können die vierImplementationsfaktoren entscheidend verbes-sert werden, nämlich die ökologische Effektivität,die ökonomische Effizienz, die soziale Akzeptanzund damit dann auch die politische Durchsetz-barkeit.

2.) Quartiersthese bzw. Betroffenheitsthese:Stadtquartiere als Schnittstelle zwischen Mikro-und Makro-Bereich stellen die geeignetsteHandlungsebene für vernetzte Strategien des

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 61

63 Eine Kurzfassung dieses Konzepts von Udo E. Simonis, der ebenfalls Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin ist, findet sich in:Forum Wissenschaft 2/95, S. 28-33

64 Hahns Forschung, die bereits in den Jahren 1985 - 1987 konzipiert und vorbereitet worden war, hatte zum Ziel, die Perspektiven stadt-teilbezogener Umweltstrategien auf Basis eines internationalen Vergleichs zu untersuchen und den möglichen Beitrag einer ökologischenUmorientierung des Städtebaus zum Umweltschutz näher zu bestimmen. Zur empirischen Fundierung des Vorhabens wurden verglei-chende Fallstudien in den Städten Bratislawa, Krakow und Berlin (West) durchgeführt. In der Makro-Analyse ging es um die ökologi-schen, historischen, sozio-ökonomischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Gesamtstadt. Bei der Analyse wurdenfünf Bereiche unterschieden: Luft, Wasser, Boden, Lärm und die synergetischen Wirkungen zwischen den genannten Bereichen. DasZiel war eine “gründliche Ursachenanalyse” der städtischen Umweltprobleme. In der Mikro-Analyse wurden dieselben Dimensionen aufStadtteil und Quartiersebene untersucht und darüber hinaus exemplarisch lokale Projekte und Konzepte des Ökologischen Stadtumbausbeschrieben. Diese stellten auch den Schwerpunkt für die perspektivische Weiterentwicklung stadtökologischer Handlungsansätze dar.

Ökologischen Stadtumbaus dar, da gerade aufdieser Ebene die unmittelbare Betroffenheit zahl-reicher AnsprechpartnerInnen eine Vielfalt vonAnsätzen für kleinteilige Verbesserungen derlokalen Umweltverhältnisse bietet. Auf derEbene des Quartiers werden Umweltproblemeund -belastungen greif- und spürbar, und dadurchauch behandelbar. Außerdem erfolgt eineSensibilisierung über die Verursacher undVerursachungszusammenhänge. Wie auf keineranderen Handlungsebene können hier diegenannten Vernetzungsgewinne innerhalb dereinzelnen Bausteine und zwischen ihnen nutzbargemacht werden. Wichtig bleibt, einen orts- undsituationsspezifischen, d.h. den lokalen Verhält-nissen angepaßten Weg zu finden.

3.) Mobilisierungsthese: Auf der Quartiersebenekonzentrieren sich in besonderer Weise bisherbrachliegende oder ineffektiv genutzte materielle,finanzielle, als auch soziale Ressourcen, derenMobilisierung entscheidend zum Erfolg des Öko-logischen Stadtumbaus beitragen kann (beispiels-weise Investitionen für Neubauten, Umbautenund Sanierungsvorhaben, für die Modernisierungvon Produktionsbetrieben und Wohnungen -sowohl von privater als auch von öffentlicherSeite; vorhandene Infrastrukturen undEinrichtungen - Schulen, Kultur- und Sozialein-richtungen, Vereine, Kirchen, Umweltgruppen,Selbsthilfegruppen, usw.; oder internationale,nationale und kommunale Förderprogramme - imSinne von „Hilfe zur Selbsthilfe“). Als sozialeMobilisierungsressourcen kann das Potential unddie Kraft informeller gesellschaftlicher Aktivitätenbetrachtet werden, die für Hahn eineSchlüsselrolle einnehmen.65

Das Modell Handlungsbereiche und Bausteine stellteine „Denk- und Arbeitshilfe zum Umgang mitdem Widerspruch zwischen den weiterhin existie-renden, sektoral ausgerichteten Fachplanungenund Verwaltungsressorts auf der einen Seite undder Notwendigkeit neuer, “integrierter” Denk-und Handlungsweisen auf der anderen Seite dar”.(vgl. ebd., S. 73) Drei Handlungsbereiche haben

sich für den Ökologischen Stadtumbau als beson-ders wichtig herausgestellt (siehe Abbildung 5, S.63): Stadttechnik und Stadtgestaltung; Umwelt-kommunikation und lokale Demokratie; Ökono-mie und Ökologie.

Die Handlungsbereiche werden durch mehrere„Bausteine“ definiert und konkretisiert, die sichauf konkrete Planungs- und Fachplanungs-bereiche, Politik- und Forschungsfelder beziehen,die für den ökologischen Stadtumbau von beson-derer Bedeutung sind, und für die es direkteAnsprechpartner, Personen, Institutionen undVerbände gibt. Es können konkrete Aufgaben fürdie Weiterentwicklung bisheriger Planungs- undHandlungsweisen formuliert, die Hindernisse, dieihrer Realisierung entgegenstehen, benannt undLösungen eingefordert werden. (vgl. ebd., S. 92)Jeder Baustein erhält seine eigentliche Tragfähig-keit erst im Zusammenwirken mit anderen. Esmüssen aber bei der Planung und Durchführungkonkreter Projekte nicht von vornherein alle Bau-steine berücksichtigt werden. Das Bausteinmodellist ein Orientierungsrahmen, um die geeignetenHandlungsansätze und Maßnahmen in der kon-kreten Situation eines Projektes erkennen undlokal gegebene Chancen in die Diskussion ein-bringen zu können.

Ziel des Bereiches Stadttechnik und Stadtgestalt-ung ist es, auf Basis der acht ökologischen Orien-tierungen (siehe weiter unten) zu einem „sozial-ökologischen Technikverständnis“ zu gelangen.Dieses zeichnet sich durch Problemvermeidungund das Verwenden von Vorsorgetechniken aus,wofür ein Denken in Kreisläufen nötig ist.66 Eswird zunehmend erkennbar, daß „eine wirklicheLösung der Umweltprobleme nur durch Einbe-ziehung ihrer sozialen und kulturellen Dimen-sionen möglich ist”, denn darin liege “das eigentli-che Lösungspotential”. (ebd., S. 96) Das heißt, dieUmwelt- und Sozialbeziehungen von Technik(wieder) erlebbar und erfahrbar zu machen, “dieAnonymisierung und das auf das reine Angebotvon “Betriebsstoff ” reduzierte Verständnis vonUmweltressourcen” zu überwinden.

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee62

65 Hahn schreibt diesen informellen “human-ökologischen Mobilisierungsressourcen” einen hohen Stellenwert zu. Er denkt dabei anschei-nend vorwiegend an selbstorganisierte Gruppen (Umwelt- und Selbsthilfegruppen), die im Gegensatz zu den “formellen Akteuren” - dieüber große Bereiche der materiellen und finanziellen Ressourcen verfügen - “mit unkonventionellen Mitteln” darauf Einfluß nehmenkönnten, wie mit diesen Ressourcen umgegangen wird, womit sie über politische Einflußmöglichkeiten verfügten. Verlagerungen imindividuellen und gesellschaftlichen Zeitbudget von formeller Arbeitszeit zu Freizeit bzw. informellen Tätigkeiten setzen Zeit und Ar-beitskraft frei, die im Sinne des Ökologischen Umbaus genutzt werden könnte. Die beteiligten Personen verfügten durch ihre Parallel-tätigkeit im formellen Berufsleben über ein breites Spektrum an Qualifikation und Professionalität, darüber hinaus sei ihr Engagementdurch Motivation und Kreativität gekennzeichnet, wodurch sich informelle Akteure in selbstorganisierten Gruppen vielfach als flexiblerund handlungsfähiger herausgestellt haben als sektoral gegliederte Verwaltungsinstitutionen (vgl. ebd., S. 122ff).

66 Hahn sieht im “Sozio-ökologischen Technikverständnis” eine neue Innovationsstufe, die nach dem Setzen auf Maßnahmen unter dem“Prinzip der hohen Schornsteine”, und dann der “technischen Nachsorge”, nun “Vorsorge-techniken und Problemvermeidung” zumZiel hat, wobei es auch um die “Zurückgewinnung der sinnlichen Erfahrbarkeit der Beziehung zwischen Technikentstehung, Technik-nutzung und natürliche Umwelt” geht. (vgl. S. 94ff)

“Die Rolle des Menschen als verantwortlich Handelndenund diese Beziehung gestaltenden Partner der Natur mußwieder deutlich werden.“ (ebd., S. 97)

Der Handlungsbereich „Umweltkommunikationund lokale Demokratie“ bezieht sich auf die Tat-sache, daß der Ökologische Stadtumbau sinnvol-lerweise nicht von oben (Staat, nationale und in-ternationale Institutionen und Wirtschafts-verbände) vorgegeben werden kann, sondernGegenstand eines Prozesses ist, der sich nur indem Maße durchsetzen wird, wie er „von derMotivation, der Kreativität und den Problem-lösungspotentialen der in ihren konkretenLebensbedingungen von Umweltproblemenbetroffenen Menschen” (ebd., S. 98) getragen

wird. Dieser ökologische Kommunikations-prozeß kann durch den Aufbau und die Vermitt-lung von Umweltwissen durch Information,Bildung und Beratung in Gang gebracht werden.Daneben gehe es um die Dezentralisierung vonEntscheidungskompetenzen und die Entwick-lung eines neuen Politikstils, letztendlich um die“Weiterentwicklung der Demokratie”. Ansatz-punkte sieht Hahn in zwei zu beobachtendenEntwicklungen: der Ausbreitung basisgesell-schaftlicher Umwelt- und Selbsthilfebewegungen;und dem Trend zu neuen Formen der Koopera-tion und Koproduktion zwischen formellen undinformellen gesellschaftlichen Akteuren. Zu bei-den führt Hahn Beispiele an. (vgl. ebd., S. 110f)

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 63

Stadttechnik undStadtgestaltung

Umweltkommunikationund lokale Demokratie

Ökonomieund Ökologie

Architektur undBauökologie

Strom- und Wärme-versorgung

Wasser

Verkehr

Abfallvermeidung undökologisches Recycling

Grünräume und Stadt-vegetation/Naturschutz

Stadtklima undAtemluft

Boden- und Grund-wasserschutz

Lärmschutz

Gesundheit undErnährung

Mitbestimmung undMitverantwortung durchBetroffene

Umweltinformations-/Umweltberichterstattungs-konzepte

Dezentralisierung derVerwaltung undEntscheidungen

Umweltbildungs-,Beratungs- undQualifizierungsprogramme

neue Träger- undGenossenschaftsmodelle

Ökostatiom als dezentralesUmweltkommunikations-und Kulturzentrum

Energie-, Wasser- undAbfallagenturen

neue Wohn und Nachbarschaftsmodelle

Resourcensteuer

Emissionsabgaben

verbrauchsbezogeneAbrechnung

ökologische Buchhaltungfür Betriebe undEinrichtungen

Anpassung von Planungsinstrumenten,Baunormen, Bau- undPlanungsgesetzenFörderinstrumenten

ökologische Wirtschafts-und Gewerbestrategie

ökologisches Dienst-leistungs-, Handels- undGewerbezentrum

ökologischeBeschäftigungsinitiativen

Abbildung 5: Handlungsbereiche und Bausteine

Quelle:Hahn, 1992, S. 91

Der Handlungsbereich „Ökonomie und Ökolo-gie“ bezieht sich auf die ökonomischen Gegeben-heiten unserer Gesellschaft, in denen Denken undHandeln durch Kriterien wie wirtschaftliche Ren-tabilität und Kosten-Nutzen-Verhältnis bestimmtwerden. Dieser Komponente des Handelns mußdaher in den Handlungsstrategien des Ökologi-schen Stadtumbaus ein zentraler Stellenwertzukommen. In diesem Sinne sollten die ökonomi-schen Anreize (bzw. Sanktionen) als Antriebs-kräfte für „ökologisches Umorientieren undUmbauen“ gestaltet werden. Dabei geht es inerster Linie darum, die ökologischen Folgekostender Produktion und des Konsums, die bisherexternalisiert, das heißt volkswirtschaftlich umge-legt bzw. auf zukünftige Generationen verscho-ben werden, zu internalisieren, das heißt in diebetriebliche Kostenrechnung einzubeziehen.

“Gefordert wird daher die Anpassung der Rahmenbedingun-gen des ökonomischen Handelns an die “realen Bedingungen”in einem ganzheitlichen und langfristigen Sinne.” (ebd., S.104)

Dazu müßten Steuern, Abgaben, Subventionenund Förderprogrammen, Haftungsprinzipien undrechtliche Rahmenbedingungen im allgemeinen sogestaltet werden, “daß die Innovationskraft vonMenschen, Betrieben und Kommunen in eineRichtung gelenkt wird, die den Widerspruch auf-hebt, der sich aus kurzfristigen betriebswirtschaft-lichen Vorteilen auf der einen Seite und derUmweltzerstörung und der Verlagerung ihrerFolgekosten auf die Allgemeinheit und dieZukunft auf der anderen Seite ergibt.“ (ebd.)

Die Mobilisierung bisher brachliegender Ressour-cen ist abhängig von der Schaffung geeigneterquartiersbezogener Infrastrukturen. Mit demKonzept Ökostationen soll eine solche Infrastrukturgeschaffen werden. Ökostationen sind ökologischorientierte Kommunikations-, Bildungs-, Bera-tungs-, Kultur-, Handels- und Diensteistungs-zentren in gemeinnütziger Trägerschaft, die vorallem auf die ökologischen Umbauerfordernisseund Marktchancen im Quartier ausgerichtet sind.Sie sollen neben lokalen und quartiersbezogenenAufgaben auch gesamtstädtische und überörtlicheFunktionen erfüllen. Vorgeschlagen wird die Er-richtung eines Netzes dezentraler Ökostationen,die auf nationaler und internationaler Ebene imAustausch stehen. Solche Netze würden zuerstsukzessive innerhalb der Städte aufgebaut unddann national und international über moderneKommunikationstechnik miteinander verbundenwerden. Netzwerkaufgabe wäre der lokale wie

überörtliche Erfahrungsaustausch, die gegenseitigeUnterstützung und die projekt- bzw. forschungs-bezogene Kooperation.

„Mit den Ökostationen sollen baulich-räumlicheSituationen geschaffen werden, in denen sich Personen undInstitutionen gegenseitig fördern können. Solche Ökosta-tionen können zu neuen städtebaulichen Funktionsele-menten werden, die einerseits aus der Notwendigkeit sol-cher Infrastruktureinrichtungen für eine der zentralenZukunftsaufgaben resultieren und andererseits zu einemstädtebaulichen Symbol eben dieser Zukunftsaufgabenwerden können.“ (ebd., S.125)

Die acht ökologischen Orientierungen wurden als„inhaltliche Leitlinien“ für ein sozial-ökologischesTechnikverständnis postuliert. Hahn sieht sie „als‘streitfähige’ Diskussionsgrundlage für konkreteProjekte, Strategien und Einzelmaßnahmen“. Siebetonen den sozio-kulturellen Verursachungs-zusammenhang und Lösungspotentiale, die indiesem Zusammenhang bestehen. Es handelt sichum folgende Punkte: Humanethologische Ori-entierung; Beteiligungsorientierung und Demo-kratisierung; Kreislauf- und Vernetzungso-rientierung; Natur- und Sinnesorientierung;Orientierung an Mischung und qualifizierterDichte; Orientierung am „genius loci“; Ökologieund Ökonomie (Orientierung an ökologischenKosten); Internationale Orientierung.

Soweit zum Konzept von Ekhart Hahn, das sehrviele Aspekte, die entscheidend für eine nachhalti-ge (Stadt-)Entwicklung sind, integriert. Besondersbemerkenswert finde ich die Idee der Ökostatio-nen, die auch einem grundsätzlichen MankoRechnung tragen, nämlich der Tatsache, daß esbisher keine institutionellen Räume gibt, die spe-ziell für den Prozeß der Nachhaltigkeit zuständigoder vorhanden wären. Solange „Nachhaltigkeit“an die Umweltressorts delegiert wird, wird nichtgenügend transparent, daß dieses Thema nur imZusammenspiel möglichst vieler oder besser: allergesellschaftlichen Subsysteme umsetzbar ist.

Nicht zuletzt könnten solche Ökostationen einetragende symbolische Funktion übernehmen. DasNicht-Vorhanden-Sein des Diskurses überNachhaltigkeit in der breiten Öffentlichkeit, läßtsich unter anderem daran erkennen, daß es kein all-gemein verständliches und unübersehbaresSymbol für diesen Prozeß gibt. Ein solches Symbolbetrachte ich nicht nur als äußerst notwendig fürdie Umsetzung von Nachhaltigkeit, sondern auchals Ausdruck eines Bewußtwerdungsprozesses.67

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee64

67 Im Rahmen des Pilotprojektes “Agenda-Büro Wien - Alsergrund” haben pinkfarbene mobile Straßenschilder diese Funktion, die imneunten Bezirk aufgestellt wurden.

Andererseits wird bei Hahn ein grundsätzlichesProblem deutlich: es werden große Hoffnungen indie „Mobilisierungsmöglichkeiten sozialer Res-sourcen“ gesetzt. Hahns Betonung des potentiel-len Einflusses selbstorganisierter Gruppen wirktallerdings zu idealisierend. Seine Annahme, daß“Verschiebungen im individuellen und gesell-schaftlichen Zeitbudget” (von formeller Arbeits-zeit zu mehr Freizeit oder informellenTätigkeiten) im Sinne des ökologischen Stadtum-baues investiert werden könnten, birgt eine Mengevon Problemen, die hier nicht angerissen werden -ganz abgesehen von der Tatsache, daß dieseAnnahme per se in Frage gestellt werden kann.

Diese These setzt beispielsweise einen veränder-ten Stellenwert von Erwerbsarbeit überhaupt vor-aus. Aus der Tatsache, daß Arbeitslosigkeit in vie-len Berufsgruppen zunimmt, kann aber nichtgeschlossen werden, daß die dadurch zurVerfügung stehende Zeit automatisch im Sinneökologischen Engagements genutzt wird.Einerseits liegt in der Erwerbsarbeit ein bedeu-tendes identitätsstiftendes Moment, für das erstErsatz gefunden werden müßte; andererseits mußdie dadurch zur Verfügung stehende Zeit z.B. fürFortbildungsmaßnahmen genutzt werden, umerneut Anschluß an den Arbeitsmarkt zu finden,da die Erwerbsarbeit ja immer noch für die Ein-kommenssicherung, und damit die Befriedigungelementarer Bedürfnisse, notwendig ist. Zudemwerden die Erwerbsarbeitsverhältnisse selbstzunehmend prekärer und erfordern insgesamtmehr Flexibilität, was sich auch auf ein erheblicherschwertes Zeitmanagement niederschlägt.

Dies weist Eckart Hildebrandt als Ergebnis seinerStudie über die Auswirkungen neuer Arbeitszeit-modelle (eines Modells “beschäftigungssichern-der Arbeitszeitverkürzung”) bei der Firma VW inWolfsburg nach. Er zeigt auf, daß “der möglicheZeitwohlstand” durch die Nebenfolgen derneuen Arbeitsformen und Arbeitsverhältnisseweitgehend “aufgefressen” wird. In den vergan-genen Jahrzehnten seien durch relativ langeArbeitszeiten (Ganztagsarbeit, Mehrarbeit) undinsbesondere durch die Zunahme von Schicht-arbeit “die Dispositionsmöglichkeiten über dieeigene Freizeit erheblich eingeschränkt” worden.

“Ein qualitativ neuer Prozeß ist die massive Variierungund Flexibilisierung der Lage und Länge der Arbeitszeitinnerhalb der Belegschaften und auch für die einzelnenBeschäftigten. Die entscheidende Auswirkung ist dieZerstörung eines gleichmäßigen und stabilen Rhythmuszugunsten einer anforderungsorientierten Flexibilisierung.

Dies führt für die einzelnen Beschäftigten zu einer sinken-den Planbarkeit ihres Privatlebens (z.B. Absprachen inder Familie, regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungenetc.) und zu sinkenden Möglichkeiten der Gemeinsamkeit,da die Arbeitszeitmuster sich z. B. innerhalb desFreundeskreise ausdifferenzieren (Fahrgemeinschaften,Fußballmannschaften).” (Hildebrandt, 1998, S. 103)

Arbeitszeitverkürzung kann also durchaus umge-kehrte Effekte im Privatleben hervorrufen:Nämlich Zunahme an Organisationszeiten undVerschiebung von Tätigkeiten, z.B. Arztbesuchein die Freizeit, die vorher auch im Rahmen derErwerbsarbeitszeit erledigt werden konnten, odermussten (Öffnungszeiten). Die Situation derVolkswagen AG in Wolfsburg ist mit Sicherheiteine sehr spezielle, und die Ergebnisse sind wohlnicht bedenkenlos verallgemeinerbar. Sie zeigenaber ein Stück weit die Komplexität des Themasauf und verweisen auf die Einbettung vonFragen der Arbeitszeit in vielfältige Lebenszu-sammenhänge, die davon betroffen sind (z.B.Familie, Freundeskreis, usw.).

Arbeitszeitverkürzung wird im Sinne einer gerech-teren Verteilung von Arbeit für alle diskutiert. Dasdamit aber automatisch Freizeit verlängert wirdund auf vielfältigere Weise zur Verfügung steht, istnicht garantiert. Dazu bedarf es nicht nur einesbreiten gesellschaftlichen Diskussionsprozesses,sondern auch konkreter politischer und wirt-schaftlicher Rahmenbedingungen (z.B. Grundein-kommen), die über den Horizont eines ökologi-schen Stadtumbaues hinaus in Angriff genommenwerden müßten. Das heißt, daß auch breiteregesellschaftliche Themen integraler Bestandteilder Diskussion um Nachhaltigkeit sind, die umge-kehrt die Grenzen einer städtischen Perspektivezur Problemlösung deutlich machen.

Hahns Ansatz in Bezug auf die Mobilisierungsozialer Ressourcen ist prinzipiell brauchbar,insofern als der Blick auf das Bestehende, dasVorhandene gerichtet wird; es ist aber auch nurein weiterer Aspekt, der zum Prozeß der Nach-haltigkeit beitragen kann. Es ist zwar wichtig,Selbstorganisation zu fördern und ihr Raum zugeben, aber das globale gesellschaftliche Handelnverändert sich nicht einfach durch mehr Wissenoder durch ein vertieftes „sozial-ökologischesTechnikverständnis“. Diese sind wichtige Be-standteile, aber die Wirkungen auf Natur undsozial-ökologische Zusammenhänge ergeben sichaus einem Zusammenspiel unterschiedlicherSystemdynamiken, die weitaus detaillierter analy-siert und hinterfragt werden müßten.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 65

Die Stadt ist mit widersprüchlichen Erwartungenund Hoffnungen der Menschen, die in ihr leben,konfrontiert: einerseits soll sie Heimat und Ortder Aneignung sein, andererseits Ort der Ano-nymität, der die Möglichkeit bietet, sozialer Kon-trolle in kleineren Gemeinschaften zu entgehen,und nicht zuletzt schlicht eine funktionierende“Versorgungsmaschinerie”. Jeder einzelne befin-det sich zudem in einem „Spannungsverhältnisambivalenter Bedürfnisse und konfligierenderInteressen und Werte“, die sich nicht nur als„Produkte von historischen Prozessen“ stetigwandeln, sondern auch im Laufe eines Lebensund je nach Situation durchaus vielschichtig ver-ändern können. (vgl., Siebel, Gestring und Mayer,1992, S. 42)

Gegenwärtig lassen sich zwar „Veränderungen inLebensstilen und Werthaltungen beobachten, diedurchaus in Richtung auf eine ökologisch ver-träglichere Lebensweise deuten“ (ebd., S.43), dar-über darf aber nicht übersehen werden, daß „dieLebensweise des städtischen Konsumenten-haushaltes“ (ebd., S. 35) hochattraktiv ist und fürdie überwiegende Mehrheit der Menschen dasBild einer erstrebenswerten Zukunft.

Da diese Lebensweise nicht universalisierbar ist,„verliert sie auch ihren humanen emanzi-patorischen Gehalt und entpuppt sich als aufHerrschaft beruhendes Privileg“ meinen Siebel,Gestring und Mayer (ebd., S. 35); nichtsdestotrotzscheint diese Lebensweise emanzipatorischeHoffnungen zu realisieren, die von Anfang an mitder Stadt verknüpft waren.

„Die Gründe für die Kluft zwischen Wissen und Handelnliegen - so unsere These - darin, daß der ökologischeUmbau mit Verhaltenszumutungen verknüpft ist, die imWiderspruch zu zentralen Werten der Politik und zuEmanzipationshoffnungen geraten können, die sich mitder Lebensweise des städtischen Konsumentenhaushaltesverknüpft haben: im Widerspruch zum Ziel sozialerGerechtigkeit, im Widerspruch zum Ziel individuellerAutonomie, im Widerspruch zum Versprechen aufEntlastung von Arbeit.“ (ebd., S. 39)

Der ökologische Stadtumbau erfordert auch, dieeigene Lebensweise zu ändern, und damit unter

anderem ein Mehr an Arbeit, Selbstdisziplin undWissen, gewissermaßen also einen Verzicht aufTeile der Errungenschaften, die die technischeund soziale Infrastruktur in der Stadt bieten (z.B.disziplinierte Handhabung eines Mülltrenn-systems, Müllvermeidung oder den Verzicht aufChemie im Haushalt).

Diese Widersprüchlichkeit gilt es wahrzunehmen,abzuwägen und zu verhandeln. Solange nur derVerzichtsaspekt hervorgehoben wird, oder einMehr an Arbeit (Haus-, Eigenarbeit, Ehrenamt,usw.), Auseinandersetzung und Konflikten,erscheint Nachhaltigkeit als ziemlich einseitigesModell zur Beschränkung individueller Han-dlungsoptionen. Demgegenüber wäre es ein ver-änderter Zugang, zu untersuchen, was positiveAnknüpfungspunkte wären, was gewonnen wer-den könnte.68 Arbeitslosigkeit könnte in diesemSinne als Erreichen eines Zieles interpretiert wer-den, das im Grunde durch die Rationalisierungengeleistet worden ist; und damit als Befreiung vonden Zwängen einer Arbeitsgesellschaft. Dannstellt sich die Frage, ob und wie ein Pendant zumhöchsten Wert und Gut westlicher Demokratiengefunden werden kann, und in welcher Form aufandere Art und Weise ein finanzielles Ein-kommen für alle gesichert werden könnte.

3.2.3 Umsetzungsschwierigkeiten

Das Konzept nachhaltiger Entwicklung steht voreiner Reihe von Operationalisierungsschwierig-keiten, die auf unterschiedlichen Ebenen zusuchen sind. Dabei werden vielfach Kriterien dis-kutiert, wie z. B. Indikatoren für ökologischeNachhaltigkeit, bzw. Grenzen der Tragfähigkeit;wie die ökonomische Dimension von Nach-haltigkeit (Gibt es ein qualitatives oder ökologischmodernisiertes Wachstum?); oder die Frage, inwelche (Gerechtigkeits-) Dimensionen Sozialver-träglichkeit zu übersetzen sei. (vgl. Brand, 1997, S.23ff) Alle diese Problembereiche werden je nachgesellschaftlicher Position und Interessen behan-delt, ohne daß ein Konsens in Aussicht wäre.Darüber hinaus weist die Entwicklungsdynamikin eine entgegengesetzte Richtung, wie ja auch inder Rio+5 Konferenz (siehe Kap. 1) erneut be-stätigt wurde.

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee66

68 "Das Entscheidende bei der Erarbeitung einer neuen Utopie scheint mir jedoch, daß diese nicht bloß im Gewand eines moralinsaurenVerzichtappells einer menschenverachtenden Regelungsdichte auf-treten darf. Es muß vielmehr darum gehen, aufzuzeigen, was wir anQualitäten durch unsere heutige Lebensweise verlieren und durch eine andere (wieder-)gewinnen können. Es muß also darum gehen, dienotwendigen Veränderungen unserer Lebensweise auch als wünschenswert und nachhaltig anzustrebend im Bewußtsein zu verankern."(Böhme, 1996, S. 89)

So wichtig die Diskussion um Kriterien ist, dieNachhaltigkeit konkreter - als Orientierungs-rahmen - faßbar machen, wird dieser Weg alleinenicht ausreichen. Denn jede Art von Kriteriumkann immer nur eine Zielvorstellung sein, dieimmer noch nichts über den Weg dahin aussagt.Und dieser Weg, das Umsetzen und Handeln sinddas Entscheidende.

Darüber hinaus kann es keine „objektiven“Kriterien geben. Nachhaltigkeit ist ein anthro-pozentrisches Konzept, das heißt, daß es sich umeine gesellschaftliche Perspektive handelt. Ob dieSpezies „Mensch“ ihren Lebensraum auf derErde zerstört, kann nur unser eigenes Interessesein, nicht aber das der Natur. Deshalb ist dieFrage, wie das menschliche Überleben imRahmen des gegebenen Umweltraums gesichertwerden kann; das „Überleben der Natur“ isteigentlich nur aus dieser Perspektive für unsMenschen von Bedeutung. Insofern bedeutetNachhaltigkeit in erster Linie ein Konzept zurSelbstbeobachtung menschlicher Gesellschaften.

Kriterien, was als nachhaltige oder tragfähigeLebensweisen bezeichnet oder akzeptiert wird,können auf Grund unterschiedlicher Interessenund eines immer nur begrenzten Wissensstandesnur für die Gegenwart verhandelt werden. Aufstädtische Systeme bezogen sollten nach Biehler(1996) deshalb auch zwei Aspekte stärker in denVordergrund treten: der Prozeßcharakter derNachhaltigkeit; und der Umstand, daß Nach-haltigkeit immer neu definiert werden muß.Nachhaltigkeit könne demnach nicht als Zustanddefiniert werden, sondern es handle sich umeinen Weg, der eingeschlagen wird. Dieser Wegmüsse im Prinzip offen bleiben, das heißt, daßNachhaltigkeit heute und mit dem derzeitigenWissensstand etwas anderes bedeutet oder bedeu-ten kann, als in näherer und fernerer Zukunft,und daß es auch an unterschiedlichen Ortenandere Bedeutung haben kann, je nach histori-schen und ökologischen Bedingungen.

„Wir können nicht sagen: Wir haben nachgedacht, wirwissen, was nachhaltige Entwicklung in einer Großstadt-region ist, und das muß jetzt umgesetzt werden, das mußjetzt mit Leben gefüllt werden. Vielmehr müssen wir unswahrscheinlich darauf beschränken, darüber nach-zudenken, wie wir verhindern können, daß dieEntwicklung in eine bestimmte Richtung nicht weitergeht,bzw. wie wir andererseits Hindernisse abbauen, so daßeine andere Entwicklung möglich wird.“ (Biehler, S. 96)

Die Operationalisierung des Begriffs derNachhaltigkeit fordert eine weitgehende Umori-entierung, was die gängigen Denk- undHandlungsmuster betrifft. Dieser Prozeß steckterst in den Anfängen. Nachhaltigkeit bedarf einesgrundsätzlichen Umdenkens in allen Bereichen;und eines Blickes auf längere Zeitspannen - demwiderspricht aber unsere auf immer kürzereFrequenzen ausgerichtete Lebensweise. Wenn es„schlicht und einfach um ein neues Gesellschafts-modell geht“ (Dangschat, 1997, S. 173), dannreicht es auch nicht, Nachhaltigkeit „additiv an diebestehenden Trends“ anzuhängen (Biehler, 1996,S. 93) - eine Vorstellung, die weit verbreitet ist.

Das Konzept der Nachhaltigkeit kann zumindestso interpretiert werden, daß es einen Anstoß gibt,nach Alternativen zu suchen. Und es manifestiertsich in ihm ein Paradigmenwechsel - der sich ins-besondere in den Naturwissenschaften abzeich-net -, von einem „mechanistisch-reduktionisti-sche Weltbild“ hin zu einem Denken, das vonBegriffen wie: Komplexität, Nichtlinearität, Unsi-cherheit, Irreversibilität und Selbstorganisationgeprägt ist.

„Dieser Paradigmenwechsel ist noch nicht verarbeitet,weder in den Wissenschaften noch in der politisch-admini-strativen Praxis. Was aus den neuen naturwissen-schaftlichen Konzeptionen und Modellen für ökonomische,soziologische, verwaltungs- und rechtswissenschaftlicheFragestellungen fruchtbar gemacht werden kann, ist derzeitKernpunkt einer interessanten wissenschaftstheoretischenSelbstverständnisdebatte. Und wie Politik und Verwal-tung mit komplexen Situationen unter Unsicherheitsbe-dingungen umgehen können, wird derzeit in mühevollenlangwierigen Lernprozessen erprobt.“ (Ritter, 1995, S.18)

Nachhaltigkeit kann nicht als Programm erfaßtwerden. Bleibt man in der Logik des Konzepts,kann es auch keine übergeordnete Instanz geben,die dafür zuständig wäre. Dennoch bräuchte dieIdee eine Verortung - vielleicht in Strukturen undInstitutionen, die quer zu den bestehenden liegen,oder in einem neu in Besitz genommenen „multi-funktionalen, öffentlichen Raum“. In diesemZusammenhang spielen Vernetzungen einebedeutende Rolle. Nachhaltigkeit weist in eineRichtung, in der einem Denken in Gegensätzenund Ausschließlichkeiten die Integration bei-spielsweise von sektoralen Planungs- undPolitikbereichen entgegengesetzt wird.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 67

Auch im Bereich der Wissenschaft wird nachneuen, integrativen Modellen gesucht, um diekomplexen Zusammenhänge besser begreifbar zumachen. Ein Beispiel dafür ist Rolf Peter SieferlesAnsatz zur Darstellung des sozial-ökologischenSystems. Soziologie und Humanökologie sindzwei bisher relativ separiert nebeneinander ste-hende Perspektiven, die wechselseitig Defiziteaufweisen.69 Sieferle unternimmt den Versuch,ein systemtheoretisches Modell zu konstruieren,das einen Anschluß zwischen diesen beiden Pers-pektiven sucht. Dieses Modell bietet unter ande-rem einen Erklärungsansatz, warum die„Kommunikation“ zwischen einem ökologischenund einem sozialen System so schwierig ist, unddamit das Selbstgefährdungspotential modernerGesellschaft(en) kaum - zumindest nicht wir-kungsvoll - realisiert, bzw. abgewendet wird.

Das sozial-ökologische System enthält sowohlsoziale wie auch ökologische Teilsysteme, dieüber die physische menschliche Population - alsSchnittstelle - in einem Wirkungszusammenhangstehen (siehe Abbildung 6).

Sowohl Natur als auch Kultur besitzenSystemcharakter.70 Die Kultur wird dabei als im-materielles System - aus zahlreichen Subsystemenbestehend - betrachtet, das nur über die Po-pulation physische Effekte auf die Natur hat. Diemenschlichen Organismen stehen mit der Natur

in spezifischer Wechselwirkung: einerseits wirkensie auf das ökologische System, von dem sieandererseits Wirkungen empfangen, die kulturellweiterverarbeitet werden können.

„Entscheidend ist nun, daß sich die durch die Arbeit ver-mittelten technischen Wirkungen innerhalb der Natur zueinem Komplex der ‘Artefakte’ (in der Darstellung AN)auskristallisieren, die innerhalb der Kultur symbolisch alsAK repräsentiert sind. Diese Welt der Artefakte kannbelebte wie auch unbelebte Züge tragen: Zu denArtefakten gehören nicht nur die Baulichkeiten undMaschinen, die Straßen, Äcker und forstwirtschaftlichenNutzflächen, sondern auch Tiere und Pflanzen, sofern sieunter Kontrolle der Menschen stehen und vielleicht gargenetisch verändert sind.“ (Sieferle, 1997a, S. 51)

Dieses Prinzip wird von Fischer-Kowalski als“Kolonisierung von Natur” bezeichnet (vgl. Kap.1). Die von menschlicher Arbeit geschaffenenneuen Ordnungszusammenhänge stehen nachwie vor in Wechselwirkung mit anderen Elemen-ten oder Teilsystemen der Natur, „so daß sie ausderen Perspektive als “Störungen” angesehenwerden können, auf welche das naturale Rest-system mit Anpassungsprozessen reagierenmuß“. Solche Anpassungsprozesse drücken sichim Klimawandel, der Bodenerosion, etc. aus undwerden von der Population wiederum unterUmständen als unerwünschte Nebeneffekte oderStörungen wahrgenommen.

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee68

69 Sieferles Modell ist ein Versuch, der Komplexität und dem eigenständigen Charakter sozialer wie auch naturaler Systeme gerecht zu wer-den, ein Ansatz, dem bisher in einer soziologischen Umwelttheorie noch weitgehend die Basis fehlt. “Die paradigmatischen Grundlagender Umweltwissenschaften liegen zwischen einer Umweltsoziologie, die sich vor allem mit der sozialen Verarbeitung von Umweltpro-blemen befaßt, und einer Humanökologie, die den Menschen in erster Linie als Naturwesen ansieht.” (Sieferle, 1997a, S. 37) Beide Per-spektiven stellen eine gewisse Verkürzung dar, weil im ersten Fall “die Natur” lediglich als “unspezifische Umwelt” betrachtet wird -sofern sie nicht in “ökologischen Kommunikationen” auftaucht - und im zweiten Fall “der Mensch” - idealtypisch konstruiert - als han-delndes Subjekt aufgefaßt wird, dessen “soziale Institutionen im wesentlichen instrumentell-adaptiven Charakter besitzen oder besitzensollen”, und dabei der Systemcharakter von Gesellschaft unterbelichtet bleibt.

70 “”System” kann man jede Menge von Elementen nennen, der es gelingt, in Abgrenzung zu einer Umwelt, die in Richtung Diffusion bzw.Entropie drängt, einen Ordnungszusammenhang aufzubauen und zu bewahren. (...) Systeme müssen auf der ihnen eigentümlichen Ord-nungsebene beschrieben werden. (...) Dies gilt auch für soziale bzw. kulturelle und humanökologische Systeme, die nicht als Ausdruck vonEigenschaften “des Menschen” beschrieben werden können, sondern einer eigenen Beschreibungsart bedürfen.” (Sieferle, 1997, S. 43)

Abbildung 6: Sozial-ökologischer Wirkungszusammenhang

Quelle: Rolf Peter Sieferle, 1997a, S. 51

„Da P nicht nur der Funktionsträger von K ist, sondernauch gewissermaßen deren einzige Sinnesorgane bildet,werden diese Störungen auf der symbolischen Ebenerepräsentiert, und zwar auf die spezifische Weise desjeweiligen kulturellen Subsystems: als wissenschaftlicheErkenntnis, als sozialer Konflikt, als ökonomischer Preis,als kulturkritische Klage, als politische Kampagne, alsästhetische Innovation, als religiöses Sinndefizit, usw.“(ebd., S. 51)

Diese Repräsentation darf dabei nicht als exakteAbbildung verstanden werden, im Gegenteil,Wirkungen oder Störungen, die von der Natur aus-gehen, richten in der Kultur zunächst nurUnordnung an, worauf in vielfältiger Weise reagiertwerden kann; eine „kausale“ Reaktion, die sich aufden tatsächlichen Grund der Störung bezieht, istdabei nicht einmal wahrscheinlich, denn „der sym-bolische Komplex bildet nicht etwa den materiellenKomplex einfach ab oder versucht es auch nur,sondern er konstruiert seine eigentümlichenBedeutungs- und Sinnzusammenhänge.“

Die Wechselwirkungen von Natur mit demKomplex der Artefakte einerseits und innerhalbder Kultur mit den Repräsentationen vonArtefakten andererseits, gehorchen völlig unter-schiedlichen Regeln.

„Wenn wir ein einzelnes Artefakt daher als Knotenpunktvon Kräftefeldern ansehen, so sind dies in N völlig andereals in K. Die kulturelle Repräsentation findet daher viel-leicht einen Namen für ein Objekt, doch ist sie niemals inder Lage, dieses vollkommen in der Weise zu verstehen,wie es im Kontext von N funktional (oder dysfunktional)eingebunden ist. (...) Der materielle Funktionszusam-menhang zwischen N und AN wird ebensowenig voll-ständig in K repräsentiert, wie sich die (naturwissenschaft-lichen, ökologischen, technologischen oder ökonomischen)Vorstellungen von AK vollständig in N materialisieren.Dies ist der prinzipielle Grund dafür, daß “Umwelt-probleme” auftauchen können und daß es sehr schwierigist, mit ihnen umzugehen.“ (ebd., S. 52)

Eine vollständig sachgerechte und kausaleVerarbeitung der Störungen in der Natur müßtevoraussetzen, daß die Struktur und die prozessua-le Dynamik des gesamten sozial-ökologischenSystems in allen Einzelheiten bekannt wäre.Darüber hinaus müßte das kulturelle System, dasja auch die „Steuerungsimpulse im Sinne vonmotivierenden Normen und Zielbeschreibun-gen“ setzt, in der Lage sein, diese Steuerungs-impulse so zu lenken, daß keine schädlichenWirkungen und Rückwirkungen auf die und vonder Natur mehr zu erwarten wären.

Dazu ist Kultur aber nicht in der Lage, weil sie

einen systemischen Überbegriff einer Reihe vonSubsystemen darstellt, die die Störungen, die vonaußen kommen, in die je eigene Symbolspracheübersetzen, wobei die jeweiligen Reaktionen derSubsysteme keineswegs in die gleiche Richtunggehen müssen. „K ist daher blind, wenn es um dievollständige Repräsentation seiner Wirkungen aufP und N geht. [...] K ist eben nicht, (wie es dieKulturökologie sieht) ein adaptives Instrument,das von P entwickelt und eingesetzt wird, um mitN zurecht zu kommen. Die Beziehung zwischen Pund K ist viel schwieriger und zugleich fragiler.“(ebd., S. 53) Eine Kultur kann allerdings nur solan-ge aufrecht erhalten bleiben, solange die Existenzder sie tragenden Population nicht gefährdet ist.

Die prekäre gegenwärtige Situation liegt unteranderem darin begründet, daß sich die Pluralitätder Kulturen auf dieser Erde tendenziell zugun-sten einer einzigen aufgelöst hat. Solange eineVielzahl von Kulturen nebeneinander existierte,konnte der Zusammenbruch einer Kultur zumeinen im Verschwinden der sie tragendenPopulation bestehen, aber auch darin, daß sichdiese Kultur in einer anderen auflöste. „DieBildung eines “Gleichgewichts” zwischen K, Pund N war daher einem normalen evolutionärenVorgang anheimgestellt und nicht Resultat einerbewußten Thematisierung oder gar Planung.“(ebd., S. 53) Da keine Ausweichmöglichkeitenmehr bestehen, mag dies bedeuten, „daß das alteevolutionäre Muster der Integration von K, P undN nicht mehr weiterwirken kann (bzw. soll)“.

3.2.4 Resümee mit Blick auf die sozialenAspekte nachhaltiger Entwicklung

Dieser Darstellung des sozial-ökologischenSystems mittels eines integrativen Ansatzes,könnten weitere Beispiele zur Seite gestellt wer-den, die zeigen, wie auf wissenschaftlicher Ebeneunterschiedliche Herangehensweisen zu integrie-ren versucht werden, um einerseits das Problemder ökologischen Krise in seiner Komplexität undWechselwirkung mit dem sozialen Wandel zuerfassen, und andererseits problemorientierteLösungsvorschläge zu erarbeiten. Das würde hieraber zu weit führen. Mit diesem Beispiel wirdgewissermaßen ein Bogen zum Beginn dieserArbeit gezogen, und noch einmal darauf verwie-sen, daß die Idee und die Diskussion um nach-haltige Entwicklung - oder allgemeiner die Pro-blemlösungsstrategien in Hinblick auf die ökolo-gische Krise unter Berücksichtigung sozialerGerechtigkeitsaspekte - ganz generell zur Erarbei-tung neuer Sichtweisen und zur Erprobung unge-wohnter Handlungsweisen - in allen gesellschaft-lichen Subsystemen - führt oder führen kann.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 69

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daßsich das Thema nachhaltiger Entwicklung inBezug auf Städte weitgehend auf die materiellenund energetischen Aspekte, bzw. die technischenMöglichkeiten zu deren Optimierung beziehen.Gerade die Diskussion über gegenwärtigeLeitbilder in der Stadtentwicklung und dieDenkweisen in den damit beschäftigtenDisziplinen richten sich in erster Linie auf bau-lich-räumliche Aspekte der Planung und nur amRande auf partizipative Möglichkeiten derGestaltung von Planungsprozessen - das heißt aufdie Einbeziehung möglichst vieler unterschiedli-cher Interessen, auch jener von sozial benachtei-ligten Gruppen -, bzw. auf die Verschränkung mitsozialen Prozessen im allgemeinen.

Darin äußert sich ein noch immer vorherrschen-des disziplinäres Spezialistentum und eine großeUnsicherheit bezüglich der Kooperation zwi-schen unterschiedlichen Disziplinen, bzw. mitBevölkerungsgruppen, die in der Regel bishervon Planungsprozessen weitgehend ausgeschlos-sen sind. Diese Unsicherheit kann unter Umstän-den auf eine fehlende “gemeinsame Sprache”bzw. auch auf sehr unterschiedliche Ausgangs-punkte (Paradigmen) wissenschaftlicherDisziplinen bzw. der Alltagswahrnehmungzurückgeführt werden. Der Diskurs über nach-haltige Entwicklung könnte möglicherweise alsBasis zur Entwicklung einer “gemeinsamenSprache” dienen, da er durch seine Vagheit - wiebeschrieben - hohe Anschlußfähigkeit nicht nurfür divergierende wissenschaftliche Disziplinen,sondern auch für verschiedenste gesellschaftlicheSubsysteme besitzt.

Läßt sich in den Naturwissenschaften und in derTechnik also eine hohe Anschlußfähigkeit an dieAuseinandersetzung mit ökologischen Problemenfinden, so muß für die Sozial- und Wirtschafts-wissenschaften festgestellt werden, daß derenBezugspunkte zu dem Thema erst in Ansätzenhergestellt worden sind. Umgekehrt werden aberdurch diese Bemühungen auch die Grenzen tradi-tioneller wissenschaftlicher Herangehensweisenim allgemeinen aufgezeigt und es eröffnen sichneue Chancen inter- und transdisziplinärerKooperation, durch die die notwendigen gesell-schaftlichen Innovationen vielleicht überhaupterst möglich werden.

Im Prinzip sind wir auch heute nicht sehr weitentfernt von der Vorstellung, daß sich Gesell-schaftsentwicklung durch (Stadt-)Planung steuernläßt. Die Widersprüche zwischen den “Bedürfnis-

sen einer geformten Lebenswelt” auf der einen,den “über die Medien Geld und Macht mitgeteil-ten Imperativen” auf der anderen Seite, die diekapitalistische Modernisierung gerade auf demGebiet der Stadtplanung kennzeichnen (vgl. ZurIdee der Steuerung der Gesellschaft durch dieStadtplanung) stellen auch weiterhin eine zentraleHerausforderung für eine den Zeichen der Zeitfolgende Stadtentwicklung dar. Darüber hinaushat sich gerade in den Beispielen aus derGeschichte gezeigt, daß zwischen Intention undRealisation bzw. Wirkung zumeist gewaltigeGräben entstehen können.

Besonders anschaulich wird dies in der Arbeit vonAndrea Gleiniger (1995), die am Beispiel derFrankfurter Nordweststadt - einem charakteristi-schen Großbauprojekt - sehr detailliert aufgezeigthat, wie sich die Diskrepanz zwischen Idee/ idea-lem Anspruch und gebauter Wirklichkeit ent-wickelt. In dieser Arbeit wird die Kontinuität vonden sozialen und organisatorischen Ansprüchender Moderne, auf die sich die Planer undPlanungsbeamten auch und gerade der 50er und60er Jahre beriefen, und die schließlich in dieGroßbauten der siebziger Jahre mündeten, in ihrerKomplexität nachgezeichnet. Deutlich wird diesunter anderem an den biographischen Ver-flechtungen sowohl des zuständigen Stadtbaurates(Hans Kampffmeyer) als auch des Architekten, derfür das städtebauliche Grundkonzept verantwort-lich zeichnete (Walter Schwagenscheidt).Kampffmeyer sah sich beispielsweise nicht nur derTradition Ernst Mays als “Organisator” des NeuenFrankfurt verpflichtet, sondern brachte auch einganz persönliches Erbe mit, das er bewußt ange-treten hatte: er stammte aus jener Familie, aus derdie Initiatoren und Protagonisten der DeutschenGartenstadtgesellschaft hervorgegangen waren.Diesen Verpflichtungen folgend war er allerdingsauch mit den wirtschaftlichen, planungstechni-schen und gesellschaftspolitischen Prämissen der50er und 60er Jahre konfrontiert, die sich auf dieEntstehungsgeschichte der Nordweststadt ent-scheidend auswirkten. (vgl. Gleiniger, 1995, S. 15f)

Neben der Kritik an solchen Großprojekten wirdmittlerweile also auch nach deren Entwicklungs-geschichte gefragt, wobei sich der Blick wohlwol-lender, unvoreingenommener und ein Stück auchneugieriger auf die damaligen Bedingungs- undMotivationszusammenhänge richtet, wie Gleinigermeint (ebd. S. 12). Nicht zuletzt wird in Hinblickauf die weiterhin anstehenden Großbauvorhabennach den Potentialen gesucht, die in derartigenStrukturen auch stecken können.

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ein neues Leitbild - Eine neue Idee70

Die Kontinuität zu historischen Leitbildern istdamit in vielschichtiger Weise - in Überlegungenzur Anschlußfähigkeit als auch zu notwendigenVeränderungen - gegeben. Das Leitbild der nach-haltigen Stadt schließt aber nicht nur in gewisserWeise an die Geschichte an, sondern weitet mei-nes Erachtens auch den Blick, indem sich dieProblemwahrnehmung vergrößert hat. So werdenbeispielsweise Interessenskonflikte nicht nurzunehmend thematisiert, sondern es wird auchnach neuen Formen für Aushandlungsforen und-prozesse gesucht.

Um ganz generell eine andere Richtung einzu-schlagen - deren Notwendigkeit außer Frage steht- ist es, wie ich zu Beginn dieses Kapitels ausge-führt habe, wichtig, die Dynamik gesellschaftli-cher Modernisierung in ihrer Komplexität besserverstehen zu lernen. Die Diskussion um nachhal-tige Entwicklung stellt meines Erachtens einenBegriff bereit, der diesem Bemühen in unter-schiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen undanderen gesellschaftlichen Subsystemen einengemeinsamen Namen gibt. Städte stellen einenentscheidenden Untersuchungsrahmen in dieserFrage dar, weil sie die moderne Lebensweise prä-gen wie kaum ein anderer Ort. Das PlädoyerHoffmann-Axthelms - die je spezifischen städti-schen Eigenheiten in ihrer Entwicklungs-geschichte zu suchen und damit den Charaktervon Städten herauszufinden - fügt sich ein in dasBild von Nachhaltigkeit, das darauf abstellt, aufdie lokalen Bedürfnisse und Potentiale in ihrerhistorischen Gewachsenheit einzugehen und dar-auf aufzubauen.

Das schließt auch ein, die Stadt in Hinblick aufihre “dunklen Seiten” zu untersuchen, das heißtjene Orte, die vordergründig keine Touristen-attraktionen darstellen. Sie sind ja ebenfalls einErbe der Geschichte und können durchaus auchPotentiale enthalten. Solche Orte sind verände-rungswürdig und gestaltbar - eine Qualität, diewohlgeformten Ergebnissen der Stadterneuerungoder -erweiterung weit weniger eigen ist. AlsIndikator für solche Orte beschreibt dieKünstlerin Bady Minck Graffitis:

“Wenn ich jetzt an die Tatorte meiner Graffitis zurück-denke, dann fällt mir auf, daß es fast immer Orte waren,an denen sich städtebauliche Schwächen manifestierten.Wir haben mit der Spraydose die Wunden der Stadt auf-gespürt und per Graffiti kommentiert. Dort, wo dieStadtlandschaft schon abgestorben schien, haben wirWiederbelebungsversuche gewagt. Unsere besten Lein-wände waren Parkgaragen, tote Giebel, Brückenpfeiler,abweisende Mauern, Abbruchhäuser, Stadtbahnbögen,

Baustellenverkleidungen, Fußgängerunterführungen, elendlange Fabriksfassaden, nicht zu vergessen schmerzlichdumme Werbeplakate. Denn dort, wo die Stadt pulsiert,sind Graffitis weniger nötig als dort, wo sie im Sterbenliegt.” (Minck, 1998, S. 40)

Wenn Thomas Sieverts (1997) nach denGestaltungsmöglichkeiten der “Zwischenstadt”fragt, dann verfolgt er eine ähnliche Strategie, dieversucht, durch das “Experimentieren in einemoffenen Suchprozeß” (Fassbinder, 1993) neueMöglichkeitsräume in der Stadt zu entdecken.Und auch die Anstrengungen in Richtung einerLokalen Agenda 21 nehmen diesen Gedankenauf: sie setzen an gegebenen/gewachsenenStadtteilen an und versuchen, mit der dort woh-nenden und arbeitenden Bevölkerung Verbesser-ungen zu erarbeiten. Die Veränderungsabsichtenzielen dabei nicht nur auf baulich-räumlicheOptimierungen. Im Mittelpunkt dieses Konzep-tes steht die Förderung der Kommunikations-und sozialen Austauschprozesse, die zurSchaffung bzw. Erhaltung eines lebendigenStadtraumes führen. Dazu zählt auch dieStärkung funktionierender kleinteiliger Struk-turen, wie z.B. der Nahversorgung oder dervermehrten Nutzung bzw. Nutzbarmachungöffentlicher Räume.

Der umfassende Anspruch des Konzeptes nach-haltiger Entwicklung verweist neben dieser lokalausgerichteten Perspektive aber immer auch aufden globalen Kontext. Die Befriedigung lokalerBedürfnisse sollte demnach den Bezug zu weiträu-migeren Bedingungen und den Bedürfnissenanderer Gebiete und den in ihnen lebendenMenschen nicht verlieren. Um diesen Anspruchzu gewährleisten, werden Vernetzungen auf inter-nationaler Ebene mit dem Ziel angestrebt, vonden “Best Practices” aus anderen Regionen zu ler-nen und Erfahrungen auszutauschen.

“Nachhaltigkeit und Dezentralisierung” stellteinen alternativen Zukunftspfad zur gegenwärti-gen Entwicklung dar, die mit “Konkurrenz undGlobalisierung” (Bossel, 1998, S. 52) bezeichnetwerden kann. Welche Beschreibung auch immerfür die industrielle Entwicklung bis zur Gegen-wart gefunden wird, der Befund ist einhellig: DieErrungenschaften der Moderne haben mit ihrenNebenfolgen Risiken produziert, die die mensch-liche Spezies bedrohen (in der Sprache Beck’s for-muliert). Der Begriff der Nachhaltigkeit steht fürdas Bemühen, nicht nur diese Entwick-lungsdynamik besser verstehen zu lernen, son-dern ihr auch alternative Entwicklungsoptionengegenüber zu stellen.

Das Leitbild “Nachhaltige Stadt” 71

4 ZUSAMMENFASSUNG

Der Diskurs über nachhaltige Entwicklung wirdvorwiegend auf internationaler politischer undwissenschaftlicher Ebene geführt, mit dem Ziel,die Zukunft so zu gestalten, daß das ökologischeGleichgewicht, wirtschaftlicher Wohlstand undsozialer Frieden auf der ganzen Welt jetzt und inZukunft gesichert sind.

Städte in frühindustrialisierten Ländern spielen indieser Diskussion eine entscheidende Rolle: inihnen wird ein großer Teil der Umweltproblemeverursacht, und es kommt ihnen im Zuge derGlobalisierung im wirtschaftlichen Konkur-renzkampf eine immer größere Bedeutung zu.Da heute schon 60-80% der Bevölkerung inStädten leben, verschärfen sich hier die sozialenKonfliktfelder. Auf der anderen Seite findet sichin Städten ein hohes innovatives Potential, das fürzukünftige Entwicklung genutzt werden kannund muß.

Probleme, die im Zuge der Industrialisierung inStädten entstanden sind, wurden schon früh im19. Jahrhundert thematisiert und in Form vonKritik an Großstädten im Allgemeinen angepran-gert. In Idealstadtmodellen und Stadtutopienwurde nach Antworten gesucht, die sich in derAnnahme niederschlugen, daß Stadtplanung eingeeignetes Instrument sei, um gesellschaftlicheEntwicklung zu steuern. Der historische Rück-blick zeigt, daß die Entwicklungsdynamik, derenrisikoreiche Nebenfolgen zur globalen Bedroh-ung geworden sind, nicht umgelenkt werdenkonnte, sondern, im Gegenteil, auch durchmoderne städtebauliche Leitbilder ideologisch ge-stützt wurde.

Im Leitbild der nachhaltigen Stadt wird deutlich,daß es keine Rezepte für zukünftige Entwicklunggeben kann. Die Erfahrungen aus der Vergangen-heit und die Wahrnehmung des sich zunehmend

beschleunigenden gesellschaftlichen Wandelszwingen förmlich dazu, nach neuenEntwicklungswegen zu suchen. Theorie- undHandlungsansätze werden sowohl als Top-Down-Strategien - also von politischen und wissen-schaftlichen Institutionen - als auch „Bottom-Up“- von Einzelpersonen, BürgerInneninitiativen,NGOs, usw. - formuliert. Bottom-Up-Strategienerweisen sich als konkreter und handlungsbezoge-ner. Sie richten sich in erster Linie auf die lokaleUmsetzung der Idee der Nachhaltigkeit(Stichwort: Lokale Agenda 21 Prozesse). Deutlichwird, daß von beiden Seiten Operationalisierungs-schwierigkeiten bestehen.

Die Realisierung fordert eine weitgehendeUmorientierung gängiger Denk- und Hand-lungsmuster. Sie kann nur prozeßorientiert ver-laufen. Es kann auch keine allgemeingültigenKriterien geben, was als nachhaltige oder trag-fähige Lebensweise bezeichnet oder akzeptiertwird. Die Komplexität moderner Gesell-schaft(en), unterschiedliche Interessen individuel-ler AkteurInnen und ein zu jeder Zeit nur be-grenzter Wissensstand führen dazu, daßNachhaltigkeit immer neu definiert werden muß.Aushandlungsprozessen kommt in dieser Hin-sicht wachsende Bedeutung zu. Die prinzipielleOffenheit zukünftiger Entwicklung im Kontexteines steigenden Selbstgefährdungspotentials dermenschlichen Spezies und wachsender Kontin-genz der Handlungsoptionen macht die Er-probung neuer Kommunikations- und Hand-lungsmuster zu einer zentralen Aufgabe.

Die Auseinandersetzungen um die Frage nachhal-tiger Entwicklung, insbesondere nachhaltigerStadtentwicklung, stellen eine Herausforderungfür interdisziplinäre Forschung dar. Für dieSoziologie bedeutet das, den Blick über das kultu-rale System hinaus auch auf die materiellenAspekte des Gesellschaft-Natur-Verhältnisses zuerweitern.

Zusammenfassung72

KURZBIOGRAPHIE

Florentina Astleithner, geb. 1969 in Wien, studierte Soziologie, Feministische Forschung und Spanisch.Mit der vorliegenden Arbeit beendete sie ihr Studium im Juli 1998 im Fachbereich "Umweltsoziologie".Seit Oktober 1998 ist sie Scholarin am Institut für Höhere Studien (Wien). Im Rahmen ihrerDissertation arbeitet sie derzeit an der Frage, wie das Leitbild "Nachhaltige Stadt" in drei WienerBezirken von unterschiedlichen Initiativen in Handlungsstrategien übersetzt wird.

Kontaktadresse: [email protected]

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