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Solidarność Solidarität als Geschichte. 5 polnische Bücher mit Analysen und Quellenpublikationen über die NSZZ Solidarność Als wir in der „Solidarność“ waren galt dort der Grundsatz der Verteidigung der Schwächsten. Heute geben die Erben unserer Gewerkschaft diesen Grundsatz zugunsten der Verteidigung der Besitzenden auf. (Jacek Kuroń und Karol Modzelewski, Gazeta Wyborcza, 27/28. Januar 2001) Am 13. Dezember 2001 jährt sich zum 20. Mal die Einführung des Kriegsrechtes in Polen. Es wird Ausstellungen geben, Bücher, Artikel, Radio- und Fernsehsendungen. Kurz zuvor, am 23. September, sind Parlamentswahlen, welche die „postkommunistische“ Sozialdemokratie mit Sicherheit gewinnen wird. Seit Monaten liegt sie in den Umfragen stabil über 45 Prozent. Die Hoffnungen der bürgerlichen Mitte ruhen auf einem Kandidaten, der vor 12 Jahren am Runden Tisch noch auf Seiten der „kommunistischen“ Regierung gesessen hatte. Der politische Arm der heutigen Solidarność, die stramm rechte „AWS- Prawicy“, steht ebenso kurz vor dem parlamentarischen Aus wie ihr Widerpart im Solidarność - Lager, die liberale UW. Nur in der Erinnerung hat die Solidarność noch eine alle Polen umfassende Macht. Was aber wird da erinnert, wie und vor allem – von wem? Als vor einem Jahr der 20. Jahrestag des Gdańsker Abkommens, der “Gründungsurkunde” der unabgängigen, selbstverwalteten Gewerkschaft (NSZZ) Solidarność am 31.08.2000 gefeiert wurde, blieb die Begeisterung begrenzt. 2.000 Menschen kamen zu einer feierlichen Messe, die von 25 Bischöfen am historischen Denkmal in Gdańsk zelebriert wurde. Vielleicht ebenso viele Warschauer versammelten sich auf dem Schlossplatz der Hauptstadt, wohin Historiker der Opposition mit einem “unpolitischen Schreiben” zu einem „Tag der Solidarność“, zu einem “Treffen ohne Teilungen” eingeladen hatten. 1 Hier wie dort wurden Ausstellungen eröffnet und Reden gehalten. Doch auch die massenmediale Aufbereitung und offizielle Würdigung konnte die Gräben, welche die in der Politik verbliebenen Aktivisten voneinander und vor allem von ihren ehemaligen Kollegen und der großen Mehrheit der Bevölkerung trennen, nicht überbrücken. Die 15 Monate der Solidarność charakterisierte eine breite öffentliche, soziale und politische 1 Gazeta Wyborcza, 1.09.2000; Rzeczpospolita, 1.09.2000. Sebastian Gerhardt 1 http://planwirtschaft.wordpress.com/

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Solidarność

Solidarität als Geschichte.

5 polnische Bücher mit Analysen und Quellenpublikationen über die

NSZZ Solidarność

Als wir in der „Solidarność“ waren galt dort der Grundsatz der Verteidigung der

Schwächsten. Heute geben die Erben unserer Gewerkschaft diesen Grundsatz

zugunsten der Verteidigung der Besitzenden auf.

(Jacek Kuroń und Karol Modzelewski, Gazeta Wyborcza, 27/28. Januar 2001)

Am 13. Dezember 2001 jährt sich zum 20. Mal die Einführung des Kriegsrechtes

in Polen. Es wird Ausstellungen geben, Bücher, Artikel, Radio- und

Fernsehsendungen. Kurz zuvor, am 23. September, sind Parlamentswahlen,

welche die „postkommunistische“ Sozialdemokratie mit Sicherheit gewinnen wird.

Seit Monaten liegt sie in den Umfragen stabil über 45 Prozent. Die Hoffnungen

der bürgerlichen Mitte ruhen auf einem Kandidaten, der vor 12 Jahren am

Runden Tisch noch auf Seiten der „kommunistischen“ Regierung gesessen hatte.

Der politische Arm der heutigen Solidarność, die stramm rechte „AWS- Prawicy“,

steht ebenso kurz vor dem parlamentarischen Aus wie ihr Widerpart im

Solidarność - Lager, die liberale UW. Nur in der Erinnerung hat die Solidarność

noch eine alle Polen umfassende Macht.

Was aber wird da erinnert, wie und vor allem – von wem? Als vor einem Jahr der

20. Jahrestag des Gdańsker Abkommens, der “Gründungsurkunde” der

unabgängigen, selbstverwalteten Gewerkschaft (NSZZ) Solidarność am

31.08.2000 gefeiert wurde, blieb die Begeisterung begrenzt. 2.000 Menschen

kamen zu einer feierlichen Messe, die von 25 Bischöfen am historischen Denkmal

in Gdańsk zelebriert wurde. Vielleicht ebenso viele Warschauer versammelten

sich auf dem Schlossplatz der Hauptstadt, wohin Historiker der Opposition mit

einem “unpolitischen Schreiben” zu einem „Tag der Solidarność“, zu einem

“Treffen ohne Teilungen” eingeladen hatten.1 Hier wie dort wurden Ausstellungen

eröffnet und Reden gehalten. Doch auch die massenmediale Aufbereitung und

offizielle Würdigung konnte die Gräben, welche die in der Politik verbliebenen

Aktivisten voneinander und vor allem von ihren ehemaligen Kollegen und der

großen Mehrheit der Bevölkerung trennen, nicht überbrücken. Die 15 Monate der

Solidarność charakterisierte eine breite öffentliche, soziale und politische

1 Gazeta Wyborcza, 1.09.2000; Rzeczpospolita, 1.09.2000.

Sebastian Gerhardt 1 http://planwirtschaft.wordpress.com/

Solidarność

Aktivität der arbeitenden Bevölkerung. Das Ende der legalen Solidarność im

Dezember 1981 markierte die Wiederherstellung einer Ordnung, in der die

Arbeitenden arbeiten, die Leiter leiten und die Politiker Macht ausüben. 1989, am

Ende des “Kommunismus” in Polen, wurden die vielen Aktiven von 1980 nur noch

von wenigen repräsentiert. Die Wirkung der Solidarność wandelte sich mehr und

mehr ins Symbolische. Paradoxe Konsequenzen waren unausbleiblich:

Ausgerechnet unter den Regierungen und dem Schutzschirm einer Gewerkschaft,

die wie wenige andere Anfang der 80er Jahre für Solidarität, Gleichheit und

Gerechtigkeit eingetreten war, wurde Anfang der 90er Jahre in kurzer Zeit eine

brutale Verarmung insbesondere der polnischen Arbeiterklasse durchgesetzt. In

Gdańsk saß in der ersten Reihe der Ehrengäste die bekannte

Gewerkschaftsfreundin Margaret Thatcher als frischgebackene Ehrenbürgerin der

Hafenstadt.

Samoopisująca się rewolucja- eine sich selbst beschreibende Revolution2

Zu den Anfängen der Solidarność in Gdańsk gehört die Erinnerung an die

Dezemberstreiks von 1970, an die erschossenen Werftarbeiter und die Forderung

nach einem Denkmal für sie. Die Verteidigung der “wirklichen” gegenüber der

offiziellen Geschichte, der “Wahrheit” gegen die “Lüge” begleitete jeden Schritt

der Gewerkschaft. Es ging nicht nur um die historische Bestätigung der eigenen

Rechte und Ideale, sondern um die Herstellung eines öffentlichen Raumes. Es

ging um das Recht auf eine eigene Sicht auf die Gesellschaft - und um seine

Realisierung. Der Zugang des Streikkomitees zur Druckerei und zum

Werksrundfunk der Leninwerft markiert den Schritt zu einer ebenso öffentlichen

wie selbständigen Willensbildung außerhalb des Korsetts der offiziellen

Institutionen. Das Mikrophon und das Tonband, die Verbreitung und

Dokumentation mündlicher Auseinandersetzungen nahmen in dieser neuen,

“proletarischen Öffentlichkeit” eine zentrale Rolle ein.3 Die Öffentlichkeit wurde

als Schutz verstanden: durch das Wissen der anderen konnte der Einzelne ihrer

Solidarität teilhaftig werden. Mit erstaunlicher Offenheit und Präzision machten

die Beteiligten ihre Erlebnisse und Erfahrungen außenstehenden Berichterstattern

zugänglich, seien es nun ausländische Journalisten oder polnische Soziologen. So

2 Idee und Terminus entlehne ich von Piotr Marciniak, Stan badań nad historią ruchu społecznego “Solidarność” 1980 – 1981, in: Ku syntezie historii ruchu społecznego (1980-1981), Referaty z konferencji, Stowarzyszenia Archiwum Solidarności i Instytutu Stosowanych Nauk Społecznych Uniwersytetu Warszawskiego, Pod red. Elżbiety Kaczyńskiej, Warschau 2000. URL: http://strony.wp.pl/wp/archsol/Archives.htm.

3 Das hatte durchaus Tradition. Vgl. das Tonbandprotokoll von der Versammlung der streikenden Szczeciner Werftarbeiter mit Gierek u.a. am 24.02.1971 in: Rewolta szczecińska i jej znaczenie, Paris, Instytut Literacki 1971 (dt.: Rote Fahnen über Polen. Trikont München 1972)

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Solidarność

brachte die “sich-selbst-beschreibende Revolution” eine ebenso dichte

Überlieferung auf Seiten der Beteiligten wie auf Seiten der Beobachter hervor,

wobei einige Beobachter – als Berater der Gewerkschaft zum Beispiel – sich

durchaus auch beteiligt haben.

Die Durchsetzung des “Kriegsrechtes” nach dem 12.12.1981 beendete die Phase

solcher demonstrativen Öffentlichkeit. Die illegalen Gewerkschaftsorganisationen

hatten kein Interesse an der Dokumentation ihres Innenlebens.4 Regionale

Solidarność - Archive wurden vernichtet.5 Es ging nunmehr darum, die Spuren

einer einmaligen Erfahrung zu sichern und, wenn möglich, zu verarbeiten, den

langen Sommer der Solidarität gegen die tägliche Ohnmachtserfahrung und die

Verleumdungen der Staatsmacht zu verteidigen. Im Untergrund und im Ausland

erschienen die ersten und als solche bis heute nicht überholten

Gesamtdarstellungen von Jerzy Holzer und Timothy Garton Ash.6 Eine Reihe von

soziologischen Forschungsarbeiten entstand, die teils in offiziellen – d.h.

zensurierten – Organen, teils im unzensierten Manuskriptdruck, teils in der

Untergrundpresse publiziert wurden. Im letzteren Fall erschienen die Arbeiten oft

unter Pseudonym, oder eine Anmerkung der Redaktion war vorangestellt: “Wir

drucken die Arbeit ohne Wissen und Einverständnis des Autors.”

Noch während des Kriegsrechtes gründeten Journalisten und Historiker 1983 in

Warschau im Untergrund eine Institution, die sich die Sammlung, Erschließung

und Publikation von Quellenmaterial über die Solidarność zum Ziel setzte, das

“Archiwum Solidarności”7. Ohne formale Verbindung zu den

Untergrundstrukturen der Solidarność gelang es den Aktivisten unter der Leitung

von Andrzej Paczkowski8, eine Vielzahl von Dokumenten und Berichten zu

sammeln und einige auch zu veröffentlichen, sei es in den Zeitschriften des

Untergrunds9 oder in einer eigenen Reihe des “Archiwum Solidarności” in

verschiedenen Untergrundverlagen.10 Dabei beschränkten sie sich nicht auf die

4 Zur Untergrundgewerkschaft vgl. Hartmut Kühn, das Jahrzehnt der Solidarność. Berlin 1999. S. 269ff.

5 Kaczyńska in Postulaty 1970- 71 i 1980. Materiały źródlowe do dziejów wystąpień pracowniczych w latach 1970- 1971 i 1980 (Gdańsk i Szczecin). Gesammelt und herausgegeben von Beata Chmiel und Elżbieta Kaczyńska, Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA, Warszawa 1998, S. 9.

6 Jerzy Holzer, Solidarność, 1983. Timothy Garton Ash, Solidarity. A polish revolution. London 1983. Allerdings ist diesen Pionierarbeiten inzwischen, zumindest für den deutschen Sprachraum, die genannte Darstellung von Hartmut Kühn zur Seite zu stellen.

7 http://strony.wp.pl/wp/archsol/Archives.htm.8 Institut für politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

(http://www.isppan.waw.pl/)9 Powstanie KKP, Krytyka, Nr. 18, S. 71ff. 10 Der erste Band war die Reportage von Małgorzata Szejnert und Tomasz Zalewski: Szczecin.

Grudzień – Sierpień – Grudzień. Warszawa, nowa 1984. Andere Bücher erschienen bei Oficyna

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Solidarność

Zeit bis zum Kriegsrecht, sondern schlossen die aktuelle Geschichte der

Untergrundgewerkschaft mit ein. Bis 1990 erschienen in dieser Buchreihe 24

Bände, darunter bereits 5 Bücher mit den Tonbandprotokollen der Sitzungen der

Krajowa Komisja Porozumiewawcza (KKP), des Leitungsgremiums der

Solidarność.11 Andere Bände behandelten die Regionalgeschichte der Solidarność

oder zentrale Konflikte zwischen Gewerkschaft und Staatsmacht. Dabei lag aber

immer wieder die “innere Seite” der Staatsmacht außerhalb des darstellbaren

Bereiches, da hierfür die Quellen fehlten. Nur Risse im Machtblock ließen

zuweilen Informationen nach außen dringen.

Herrschaftswissen: Perspektiven der Macht in Ost und West

1986 konnte Grażyna Pomian in Paris Dokumente des Parteiapparates

veröffentlichen.12 1987 erschien in der Pariser “Kultura” ein 53-seitiges Interview

mit dem langjährigen Informator des CIA und polnischen Obersten Ryszard

Kukliński.13 Jedoch erst nach dem Zusammenbruch des Ostblocks begannen die

Quellen reicher zu fließen, sei es in Gestalt der Erinnerungen von führenden

Funktionären,14 sei es in Gestalt von Dokumentenfunden und Editionen. So legte

der Exilverlag Aneks 1992 eine umfangreiche Dokumentation von Protokollen des

Politbüros der PZPR aus den Jahren 1980/81 vor.15 Damit wurde nun eine nähere

Aufklärung der Motive und Diskussionen der Parteiführung möglich, z.B. anhand

der ökonomische Zwänge, in denen sie sich im Sommer 1980 sah. Diese Zwänge

führten u.a. zu einem Beschluß über Massenentlassungen im vergesellschafteten

Sektor.16 Allerdings setzt die Dokumentation erst mit dem Juni 1980 ein und ist

Literacka, PoMost, Wolne Słowo.11 4/11.-12.12.81; 5/23.-24.3.81; 8/22.-23.10.81; 11/31.3.-1.4.81; 16/2.-3.11.81; Das Projekt

konnte erst 1995 fortgesetzt und 1999 mit der Publikation des letzten Bandes abgeschlossen werden.

12 Protokoły tzw. Komisji Grabskiego. Tajne dokumenty PZPR, pod red. G.Pomian, Paryż 198613 "Wojna z narodem widziana od środka," Kultura (Paris), 4/475 (April 1987)14 Einige liegen auch auf deutsch vor, so die beiden Bücher von Wojciech Jaruzelski, Mein Leben

für Polen, München 1993, Hinter den Türen der Macht, Leipzig 1996 sowie von Mieczyław Rakowski, Es begann in Polen.Hamburg 1995.

15 Tajne dokumenty Biura Politycznego. PZPR a “Solidarność” 1980- 1981. Bearb. Zbigniew Włodek. Londyn 1992. In gleicher Aufmachung erschienen weiterhin eine Dokumentation zum Dezember 1970: Tajne dokumenty Biura Politycznego. Grudzień 1970. Bearb. Pawel Domański. Londyn 1991 sowie Tajne dokumenty Biura Politycznego i Sekretriatu KC. Ostatni rok władzy 1988 – 1989. Bearb. Stanisław Perzkowski. London 1994.

16 Tajne dokumenty 80-81, In der Vorlage der Plankommission wird der Umfang der nötigen Entlassungen mit 240.000 Personen beziffert (S. 14), im Protokoll der Sitzung heißt es dazu: “Es wurde unterstrichen, daß die Einschränkung der Beschäftigung nicht den Charakter einer einmaligen Aktion haben solle. Man muß vor allem die Disziplin stärken, nicht von neuem jene beschäftigen, die willkürlich die Arbeit unterbrechen, ihre Verpflichtungen schlecht erfüllen.”(S. 6) Wie angesichts dieser klaren Worte ein Experte der Tageszeitung “junge welt” unter Berufung auf diese Quelle darauf verfallen kann, man habe zur Verhinderung von Entlassungen sogar die Arbeitsproduktivität senken wollen, ist mir ein Rätsel – allerdings gibt die Serie von Marian Stankiewicz noch mehr solcher Rätsel auf. (Der Flächenbrand, , 26.08.2000, www.jungewelt.de).

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Solidarność

vielfach unvollständig.

Dennoch werden die Veröffentlichungen von Aneks allgemein verwendet und sind

das bis heute beste zugängliche Material. Sie stützen sich auf “Kopien der

Dokumente, die sich in privaten Sammlungen befinden”. Dies ist leicht erklärlich.

Nirgendwo gibt es einen vergleichbar offenen Zugang zur Hinterlassenschaft der

Politbürokraten und ihrer Dienste wie in Deutschland. Anders als in der DDR, wo

die Machtfrage schließlich durch den Import einer fertigen Staatsmacht geklärt

wurde, waren die Erbauer einer neuen, marktwirtschaftlichen Ordnung in

Osteuropa auf die Umfunktionierung der vorhandenen, sozialistischen

Staatsmacht angewiesen, da ein anderer Gewaltapparat nicht zur Verfügung

stand. Nicht nur zur Verhinderung möglichen gewaltsamen Widerstands der alten

Machteliten waren gute Verbindungen zu den vorhandenen Staatsorganen und

ihren Organisatoren unabdingbar. Der Machtapparat wurde gebraucht, um den

unausbleiblichen gesellschaftlichen Widerstand gegen die horrenden Unkosten

des “Schocks ohne Therapie”, der Preisfreigabe und Privatisierung zu

neutralisieren. Schließlich erwiesen sich Kontakte zur Macht auch als hilfreich bei

der eigenen Durchsetzung in der Konkurrenz der neuen Eliten. Solche

Abhängigkeit wurde selbstverständlich auch von den alten Funktionären genutzt.

Statt zu einer pauschalen Abrechnung mit dem alten Regime kam es daher zum

politischen Streit um die Opportunität dieser oder jener Art des Umgangs mit

ihnen. In Polen gewann dieser Streit seine besondere, auch persönliche Schärfe

aus der Tatsache, daß die Opposition nun mit den Protagonisten des

Kriegszustandes zusammenarbeiten musste. Die Auseinandersetzung begann

bereits 1989 mit der Kritik am Runden Tisch, sie setzte sich fort mit Adam

Michniks Artikel “Euer Präsident – unser Premier” vom 3. Juli ´89 und dem “Krieg

an der Spitze” des Jahres 1990, sie prägte Triumph und Zerfall des Solidarność -

Lagers in den frühen 90er Jahren.

Sie prägte auch die Geschichtsschreibung. Dabei gehörte die Säuberung der

Archive zu den beiläufig erledigten Hausaufgaben der Funktionäre in der

Übergangsperiode vom Sozialismus zum Kapitalismus. So wurden Ende 1989 die

stenographischen Protokolle der Sitzungen des Politbüros der PZPR aus den

80ern vernichtet.17 Ein prinzipielle Öffnung der Archive erfolgte weder nach den

Präsidentschaftswahlen Ende 1990 noch nach den Parlamentswahlen vom

Oktober 1991. Wie alle gewöhnlichen Akten staatlicher Institutionen unterliegen

z.B. auch die Überlieferungen des Verteidigungsministeriums einer 30- jährigen

17 Rozkaz: zniszczyć protokoły. Jerzy Morawski, Rzeczpospolita, 11-01-2001.

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Solidarność

Sperrfrist und sind im wesentlichen nicht zugänglich.18 Ende 1991 bildete der

Sejm eine Komisja Odpowiedzialności Konstytucyjnej, welche die Fragen der

Verfassungsmäßigkeit der Einführung der Kriegszustandes und der

Verantwortlichkeit der beteiligten Personen prüfen sollte. Dahinter stand die

Absicht der polnischen Rechten, die 40 Jahre Volkspolens als Ära einer

verbrecherischen sowjetischen Fremdherrschaft aus der nationalen Tradition

auszugrenzen. Die Kommission arbeitete bis 1996, wobei sicher auch die neuen

Mehrheitsverhältnissen – die “postkommunistische” SLD hatte am 19. September

1993 die Wahlen gewonnen – nicht ohne Einfluß auf den Verlauf ihrer Arbeit und

das Ergebnis blieben.

Zu einer Vielzahl von Fragen standen der Kommission hinreichende

Aktenbestände nicht zur Verfügung. Insbesondere gilt dies, wie gesagt, für die

Überlieferung des Militärs, so für die Entscheidungsfindung der entscheidenden

Komisja Obrony Kraju (Nationalen Verteidigungsrat), für die Diskussion der

Parteiführung sowie für die Beziehungen der polnischen Staats- und

Parteiführung zur Sowjetunion.19 Ausgehend von der vollständigeren

Überlieferung des Innenministeriums, den umfangreichen Befragungen von

Beteiligten und schriftlichen Erinnerungen wichtiger Funktionäre war jedoch eine

Rekonstruktion der Planungen und Handlungen des Sicherheitsapparates und

entscheidender Schritte der Staatsführung möglich.20 Zur Frage des äußeren

Einflusses stützte sich die Kommission vor allem auf verschiedene Aktenbestände

postsowjetischer und DDR- deutscher Herkunft.21 Letztere, vom

Forschungsverbund SED- Staat anhand der offenen Archive erarbeitet, gestatten

einen weitgehenden Überblick über die Haltung, den Informationsstand und die

Vorhaben der SED- Führung bezüglich der polnischen Krise und ermöglichen

darüber hinaus einen Einblick in die Meinungsbildung im Warschauer Vertrag.22

Dagegen handelt es sich bei den postsowjetischen Aktenbeständen um

ausgewählte Bestände, die keinen Rückschluß auf die Gesamtheit der

vorhandenen Akten zulassen, sondern deutliche Lücken aufweisen. In diesem

18 Jüngst wurden wieder einige ausgewählte Aktenstücke zum August 1980 freigegeben. Rzeczpospolita, 29-08-2001.

19 Zur Quellenbasis vgl. Andrzej Paczkowski, Odpowiedzialność za stan wojenny (Die Verantwortung für den Kriegszustand), Rzeczpospolita, 29.07.1995. Das Gutachten für die Sejm- Kommission, auf das sich der Artikel stützt, soll ebenso wie das Gutachten Andrzej Werblans demnächst im Rahmen der Working paper des CWIHP auch online veröffentlicht werden. Siehe unten.

20 Paczkowski, ebenda.21 Andrzej Werblan, Czy w 1981 roku groziła interwencja? (Drohte 1981 eine Invasion?), Dziś, Nr.

6 (45), 1994, S. 38ff.22 SED- Politbüro und polnische Krise 1980- 82. Berlin 1994

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Solidarność

Zusammenhang wurde 1994 auch die Authentizität einer “Bitte der polnischen

Führung um militärische Unterstützung”, die schon im Dezember 1981 im

Politbüro der KPdSU bezweifelt wurde, in Frage gestellt.23

Die fachliche wie politische Kontroverse der Historiker vor der Kommission

konzentrierte sich nicht zuletzt auf die Frage der Reformwilligkeit und -fähigkeit

der “Macht” einerseits und der Solidarność andererseits.24 Für die politische

Entscheidung über die rechtliche Beurteilung der Verantwortlichen blieb dies

ohne Relevanz. Der Sejm beschloß Ende 1996, entsprechend dem Vorschlag der

Kommission, die Verantwortlichen nicht vor dem Staatsgerichtshof anzuklagen.

Damit hatte sich die Verteidigungsstrategie Wojciech Jaruzelskis durchgesetzt,

der mit dem Hinweis auf eine seinerzeitige Gefahr eines Bürgerkrieges und einer

äußeren Intervention durch den Warschauer Vertrag die Ausrufung des

Kriegsrechtes als “kleineres Übel” in einer Situation “höherer Notwendigkeit”

gerechtfertigt hatte. Eine Argumentation, die nach Meinungsumfragen von der

Mehrheit der polnischen Bevölkerung geteilt wird.25 Auch die Rückkehr des

verbliebenen Solidarność – Lagers in die Regierung im Jahre 1997 und die damit

verbundenen geschichtspolitischen Entscheidungen (Gründung des Instytut

Pamięci Narodowej26) konnten daran nichts ändern.

Den internationalen Verwicklungen des polnischen Konfliktes und seiner Akteure

entsprechend bedarf auch die historiographische Aufarbeitung der internationalen

Kooperation. Federführend ist hierbei das National Security Archive (NSA) - keine

staatliche Einrichtung!27, das 1992 ein langfristiges Vorhaben startete, das

23 Werblan, op. cit. p. 44.24 Vgl. Andrzej Werblan, Trudny wybór,(Eine schwierige Wahl) Dziś Nr. 7 (58), 1995, S. 112ff und

Andrzej Paczkowski, Odpowiedzialność za stan wojenny, Rzeczpospolita, 29.07.1995.25 Für die 80er Jahre vgl. die Untersuchungen der Soziologen um W. Adamski: Polacy `84:

Dynamika społecznego konfliktu i konsensu und Polacy `88: Dynamika konfliktu a szanse reform. Einen englischsprachigen Überblick über diese Untersuchungen gibt der Band Societal Conflict and Systemic Change. The Case of Poland 1980- 1992 (Hg. W. Adamski, Warschau 1993). Für die 90er Jahre vgl. Renata Wróbel, Zdarzył się stan wojenny, (Es geschah der Kriegszustand) Rzeczpospolita 13.12.1996 und dieselbe, Większość uważa, że Jaruzelski postąpił słusznie, (Die Mehrheit meint, dass Jaruzelski richtig vorging) Rzeczpospolita 13.12.1997.

26 Das IPN (www.ipn.gov.pl) nahm seine Tätigkeit nach erbitterten Kontroversen, u.a. um die Besetzung des Präsidentenpostens, im Jahre 2000 auf. Das Institut vereinigt Strafverfolgungsbehörde, Archiv und eine Bildungseinrichtung (Biuro Edukacji Publicznej). Letztere hat vor allem mit ihrer Verherrlichung des antikommunistischen bewaffneten Untergrundes erhebliche Kritik auf sich gezogen.

27 Das Projekt entstand 1985 als Sammelpunkt für deklassifizierte Akten, die aufgrund des Freedom of Information Act zugänglich wurden. Das Archiv enthält "the largest collection of contemporary declassified national security information outside the United States Government". Es konzentriert die eigene Arbeit auf die politische Praxis der US- Außenpolitik. Die Arbeit wird v.a. durch private Stiftungen finanziert, ohne Regierungsmittel. Das Archiv befindet sich in der Gelman Library der George Washington University in Washington, DC. Eine Vielzahl von Publikationen und die sehr nützliche Website (http://gwis.circ.gwu.edu/%7Ensarchiv/) machen Arbeitsergebnisse rasch erreichbar.

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Solidarność

“Openness in Russia and Eastern Europe Project”, welches die Sicherung,

Analyse und Veröffentlichung historischer Quellen zur Nachkriegsgeschichte

Osteuropas betreibt. Daneben besteht seit Ende 1991 das Cold War International

History Project, das ein ausführliches Programm zur Erforschung des Kalten

Krieges, u.a. anhand nunmehr zugänglicher Akten aus Osteuropa und

deklassifizierter Akten der US- Administration betreibt.28 Das CWIHP arbeitet mit

historischen Institutionen in den betreffenden Ländern zusammen. Polnischer

Partner des Projektes ist das Institut für Politische Studien der Polnischen

Akademie der Wissenschaften.29 Beide Projekte – CWIHP und NSA – behandeln

Europa als nur einen unter vielen Schauplätzen des Kalten Krieges. Deutlicher

Ausdruck der sehr produktiven Kooperation dieser beiden Forschungsprojekte ist

eine Reihe von Konferenzen, in denen Forscher und Zeitzeugen der

gegensätzlichen Seiten zu erhellenden Auseinandersetzungen zusammengeführt

werden konnten.

So fand im Rahmen dieses Programms im November 1997 bei Warschau eine

Konferenz unter dem Titel “Poland 1980-1982: Internal Crisis, International

Dimensions” statt, an der neben polnischen Beteiligten, Oppositionellen wie

Zbigniew Bujak, Karol Modzelewski und Janusz Onyszkiewicz, sowie Staats- und

Parteifunktionären wie Wojciech Jaruzelski, Stanisław Kania und Mieczysław

Rakowski auch internationale Mitspieler auftraten: u. a. der Marschall der

Sowjetunion und damalige Chef der Vereinigten Streitkräfte des Warschauer

Vertrages Viktor Kulikow und der Sowjetunionexperte US - Präsident Reagans,

Richard Pipes. Ausgangspunkt war ein Dokumentenband des NSA, der sich u.a.

auf ein polnisches Forschungsprojekt stützte.30 Das CWIHP hat über die Tagung

berichtet (Bull.10) Inzwischen ist auch der Konferenzband erschienen.31 Im

Zentrum der Konferenz stand die Frage nach dem Realitätsgehalt und den

Konsequenzen der Drohung mit einer Intervention der Truppen des Warschauer

Vertrages. Angesichts des Beispieles des Prager Frühlings spielte diese Gefahr

28 Das Projekt ist angesiedelt am Woodrow Wilson International Center für Scholars in Washington. Die sehr gut gemachte Website: http://cwihp.si.edu/Default.htm. Einerseits finden sich hier Analysen und Dokumente im html- Format, mit der Möglichkeit zur Volltextrecherche, andererseits auch in “Papierform” - die bisher publizierten Bulletins und die Mehrzahl der Arbeitspapiere im pdf- format. Daneben Nachrichten zur Forschung. Links etc.

29 Die entsprechende Abteilung leitet Andrzej Paczkowski.30 Malcolm Byrne, Pawel Machcewicz, Christian Ostermann, eds., Poland 1980-1982 Internal

Crisis, International Dimensions. A Compendium of Declassified Documents and Chronology of Events ( Washington, DC: National Security Archive, 1997). Das polnische Projekt stand unter dem Titel “Kryzys polityczny 1980-1982: strategia i taktyka PZPR” und wurde von A. Paczkowski, P. Machcewicz, Krzysztof Persak und Andrzej Friszke bearbeitet.

31 Andrzej Paczkowski und Nina Smolar. Wejdą Nie Wejdą: Polska 1980-1982: Konferencja w Jachrance. (Sie kommen; sie kommen nicht! Polen 1980-1982: Konferenz in Warschau – Jachranka, 8.-10. November 1997) London and Warsaw, ANEKS, 1999.

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Solidarność

von Anfang an eine entscheidende Rolle in der innerpolnischen

Auseinandersetzung: sowohl für die Solidarność (was im Konzept der “sich-

selbst- begrenzenden Revolution” seinen Ausdruck fand), als auch für die Leute

der “Macht”, der Partei- und Staatsführung, die ja nicht zuletzt mit der Gefahr

einer sowjetischen Intervention die Ausrufung des Kriegrechtes als patriotische

Pflicht legitimieren. Gerade über diesen Punkt kam es zu deutlichen

Kontroversen, da insbesondere ehemalige sowjetische Militärs jede Drohung mit

einem Einmarsch verneinten.32

Ebenso wie der Beginn, so fand auch das Ende des “Jahrzehntes der Solidarność”

(Hartmut Kühn), als weiterer “Brennpunkt des Kalten Krieges” großes Interesse.

Im institutionellen Rahmen des Programms des NSA folgte u. a. im Oktober 1999

eine Konferenz ”Poland, 1986-1989: The End of the System”.33 In anderem

Zusammenhang organisierte die University of Michigan in Ann Arbor eine

Konferenz mit ebenfalls prominenter Beteiligung zum Runden Tisch in Polen.34

Weniger erforscht ist nach wie vor der politische Alltag des polnischen Konfliktes

in den 80er Jahren. Einen eigentümlichen Beitrag zu diesem Thema leistete Peter

Schweizer 1994 mit seinem Buch über “die geheime Strategie, die den Kollaps

der Sowjetunion beschleunigte”.35 Darin geht er auch auf die Unterstützung der

Solidarność ein. Seinerzeit lief bekanntlich die realsozialistische Propaganda auf

Hochtouren, um der staunenden Bevölkerung die imperialistische Steuerung der

Solidarność glaubhaft zu machen.36 Wie aber war es tatsächlich um die

Beziehungen der Solidarność zum Westen bestellt? Auf die Öffnung der

einschlägigen Aktenbestände wird man wohl noch lange warten müssen.

Angesichts des Mangels an anderen Unterlagen ist es vielleicht sinnvoll, anhand

eines heimlichen Klassikers zum Thema den derzeit möglichen Kenntnisstand

kurz zu rekapitulieren, zumal eine sachliche Auseinandersetzung mit diesem

Thema noch nicht recht begonnen hat. Dies scheint um so mehr geboten, da

32 Im ersten Teil des 11-ten CWIHP- Bulletins (Winter 1998) finden sich neben einigen, auf der Konferenz vorgestellten Analysen auch die Position von Mark Kramer und die gut argumentierte Gegenposition von W. Jaruzelski zum Gehalt des später präsentierten “Anoshkin- notebooks”. Mark Kramer ist Direktor des Harvard Project on Cold War Studies am Davis Center for Russian Studies, Harvard University.

33 Miedzeszyn-Warsaw , October 21-23, 1999. Co-organized with the Institute for Political Studies of the Polish Academy of Sciences (Warsaw).

34 Communism`s negoitiated Collapse. The polish round table talks of 1989, ten years later. 07.-10.04.1999. Materialien zur Konferenz und die Transkripte der Diskussionen unter: http://www.unmich.edu/~iinet/PolishRoundTable/

35 Peter Schweizer. Victory. The Reagan Adminstration`s Secret Strategy. That Hastened the Collapse of the Soviet Union. New York 1994.

36 Vgl. z.B. J. Kornilow, M. Kusnezow, J. Nikolajew: Wie eine Verschwörung entsteht. Progress Moskau 1985.

Sebastian Gerhardt 9 http://planwirtschaft.wordpress.com/

Solidarność

unter Bezugnahme auf dieses Buch neue alte Legenden verbreitet werden.37

Peter Schweizer ist ein glühender Verehrer des erfolgreichen Antikommunisten

Ronald Reagan. Er stützt sich vor allem auf mündliche Mitteilungen seiner

Helden, zuständiger Politiker der Reaganadministration. Sein zentraler

Bezugspunkt ist die Meinungsbildung in der Umgebung des US- Präsidenten.38

Der Hauptheld, CIA- Chef William Casey, konnte von ihm allerdings nur noch

posthum gewürdigt werden. Er starb 1988. Das Buch behandelt chronologisch

den Zeitraum von Anfang 1981, der Bildung der ersten Reaganregierung, bis

Ende 1986, den letzten glücklichen Tagen vor Beginn der Iran – Contra – Affäre.

(Auf diese Affäre und ihre Hintergründe geht Schweizer nicht ein.) Neben Fragen

des internationalen Wirtschaftskrieges (Ölpreis, Technologieexporte in den

Ostblock), der Rüstungspolitik (SDI) und Afghanistan bilden die Entwicklungen in

Polen eines der durchgängigen Themen.

Für die Aktivitäten der Vorgängerregierung Carter (bis Januar 81) zur

Unterstützung der Solidarność hat Schweizer nur Verachtung übrig. Im

Gegensatz zum Einsatz des AfL-CIO, der aus seinen Mitteln allein 1980 ca.

150.000 Dollar als materielle und finanzielle Unterstützung bereitgestellt hatte,39

war die Beihilfe durch die US- Regierung zu vernachlässigen.40 Noch vor

Verhängung des Kriegsrechtes gab es Planungen für direkte Kontakte zur

Solidarność, u.a. zum Zwecke der gegenseitigen Information. Schweizer bezieht

sich hierbei auf die Spionageergebnisse zu Polen, auch auf die Geschichte des

Obersten Kuklinski.41 Solche direkten Kontakte sollten mit Hilfe des Mossad

37 junge welt, 31.08.2000. Marian Stankiewicz kann das von ihm angeführte Buch schwerlich gelesen haben, er kennt es bestenfalls aus zweiter Hand: die Differenzen zwischen seinen Behauptungen und der Darstellung Schweizers sind zu offensichtlich. Nach Schweizer hat der CIA weder die legale Solidarność der Jahre 80/81 finanziert, noch später die amerikanischen Gewerkschaften dazu benutzt. Auch der “formelle Pakt” zwischen dem Vatikan und dem amerikanischen Präsidenten entspringt allein den ressentimentgeleiteten Phantasien des Autors.

38 Vgl. insbesondere die Ausführungen zur National Security Planing Group und zur Beschlusslage (national security decision directive - NSDD): NSDD-32: S. 76ff , NSDD-66: S. 125ff, NSDD-75: S. 131ff, NSDD-166: S. 213f. Ein großer Teil der NSDD der Reagan- Administration ist 1999 deklassifiziert worden und im Netz als gif- Datei zugänglich: http://www.fas.org/irp/offdocs/nsdd/index.html. Von 325 NSDD ist bei 6 nicht einmal das Thema freigegeben. Etwa 17% sind außer dem Titel gesperrt, darunter die oben genannte NSDD-166 (US Policy, Programs and Strategie in Afghanistan) vom 27. März 1985. Dagegen wurden NSDD-32 (US National Security Strategie, 20- Mai 1982) teilweise, sowie NSDD- 66 (East- West Relations and Poland Related Sanctions, 29. 11.1982) und NSDD-75 (US Relations with the USSR, 17.01.1983) vollständig freigegeben. Weiterhin teilweise freigegeben ist NSDD-54, die bei Schweizer nicht erwähnt wird, dennoch zum Thema gehört (US Policy Towards Eastern Europe, 02.09.1982).

39 Schweizer, S. 60f.40 Schweizer schreibt über die Carter – Regierung “ But it was all pretty minor stuff and extremely

limited in scope. ... All the activity was taking place outside of Poland. It was considered too risky to do anything in the country. Solidarity was 100 percent made in Poland.”(32)

41 Schweizer, S. 55ff. Zu Kukliński vgl. oben FN 12, sowie den Artikel von Mark Kramer im CWIHP Bulletin Nr. 11 und den instruktiven Artikel von Benjamin B. Fischer von der CIA in den “Studies

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Solidarność

hergestellt werden, was jedoch erst im Jahre 1982 gelang.42

Den Beginn der Planungen für finanzielle Unterstützung der Solidarność datiert

Schweizer auf die Zeit nach Verhängung des Kriegsrechts, den Beginn der

verdeckten Zahlungen auf März 1982.43 Daneben wurde auch technische

Unterstützung geleistet.44 Zunächst wurden vor allem die Medien der

Untergrundgewerkschaft gefördert, so der Untergrundverlag nowa und das Radio

der Solidarność.45 Bis Ende 1982 gelang die gedeckte Einführung eines C3I –

Systems46 für die Solidarność.47 Codierte Nachrichten wurden in das Programm

der „Voice of America“ eingefügt.48 Schweizer bezeichnet Zbigniew Bujak als den

Verantwortlichen für die Verteilung insbesondere der ausländischen

Unterstützung.49 Spätestens seit 1983 flossen jährlich einige Millionen Dollar in

den polnischen Untergrund, der Höhepunkt wurde 1985 mit etwa 8 Millionen

Dollar erreicht.50 Zur Finanzierung der Solidarność bediente sich die CIA weder

des Vatikans51 noch der amerikanischen Gewerkschaften.52 Die in beiden Fällen

durchaus vorhandene Zusammenarbeit bestand vielmehr vor allem im Austausch

von Informationen. Zum direkten Nachschub diente ab 1983 der Weg von

Schweden über die Ostsee zu den polnischen Häfen.53 Selektiv versorgte der CIA

den polnischen Untergrund auch mit Informationen.54 Erfolge der polnischen

Staatssicherheit, selbst die Verhaftung Bujaks am 5. Juni 1986 – nach 4 ½

Jahren im Untergrund - konnten diese Verbindungen nicht mehr vollständig

unterbrechen.55 Die kurz darauf erfolgende Amnestie (22.7.86) führt der Autor

auf den erfolgreichen Wirtschaftskrieg gegen Polen zurück. Eher beiläufig,

wenngleich nicht uninteressiert verweist Schweizer auf die Kooperation

osteuropäischer, vor allem polnischer und tschechischer Oppositioneller56, z. B.

in Intelligence”: http://www.cia.gov/csi/studies/summer00/index.html. 42 Die sogenannte „ratline“ des Mossad gab die Möglichkeit, Personen nach Osteuropa zu

schmuggeln. Schweizer S. 34, vgl. S. 56, 70, 86.43 Schweizer, S. 69f. S. 75f, 44 “It would be similar to the Afghan supply operation, the only difference being that the cargo for

Poland would not be lethal.” (S. 146)45 Schweizer, S. 89ff.46 C3I – command, control, communicate and intelligence – militärische Bezeichung für integrierte

Kommunikations- und Aufklärungstechnik, d.h. Funktechnik und andere passende Elektronik.47 Schweizer, S. 86f und 123. Information Robert Mc Farlane.48 Schweizer, S. 75, S. 89, 121. S. 224 (+RFE)49 Schweizer, S. 144f. Namentlich genannt werden von Organisatoren des Widerstands auch

Wiktor Kulerski, Ewa Kulik und Konrad Bieliński. Ebenda.50 Schweizer, S. 76, 146 und 225.51 Schweizer, S.35ff, “The fact was, they where already helping with important intellegence.” (38)

70. Zitat Pointdexter. S. 107 inf., S. 160f., S. 181ff.52 Schweizer, S. 60f, S. 75, S. 146. 53 Schweizer, S. 146, S. 164f, S. 184, S. 257ff.54 Schweizer, S. 75f.55 Schweizer, S. 222ff, 257ff, 264ff.56 Schweizer, S. 184, 227f, 256.

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Solidarność

auf den gemeinsamen Brief zum 30. Jahrestag des Ungarischen Aufstands im

Oktober 1986, der ebenfalls gesponsort wurde.57

Schweizer betont die entscheidende Bedeutung der ökonomischen

Auseinandersetzung: durch den Wirtschaftskrieg und die qualitative Rüstung58

sollte die prinzipielle Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Ordnung zum

Tragen kommen, die Kosten der Aufrechterhaltung des sozialistischen Lagers

unerträglich werden. Die ökonomischen und sozialen Verhältnisse, an denen

dieser Hebel angesetzt werden sollte, interessieren ihn nur als mehr oder

weniger passender Ausgangspunkt für die Beeinflussung des Gegners. Damit

bleibt jedoch die Entstehung und Gestaltung der betrachteten politischen Eliten

in Ost und West unberücksichtigt.

Die Arbeiter und die Politik – Dokumente

Zudem waren diese Eliten nicht die einzigen politischen Akteure. In den 15

Monaten der Solidarność zum Beispiel wurde ihnen ihr Monopol auf politische

Entscheidungen bestritten. Ohne eine Analyse der Bewegung, der Leute, ihrer

Motive und Handlungen, die den herrschenden Politbürokraten in “ihr” Geschäft

pfuschten, ist die Dynamik der Auseinandersetzung nicht zu verstehen. Diese

Dynamik ergibt sich nicht aus den Machinationen von Geheimdiensten,

Diplomaten und Militärs – auch wenn die Mehrheit der damaligen Akteure sich im

Gegensatz zu diesen nicht wieder zu Wort gemeldet hat. Die Sicherung und

Publikation der Dokumente ihres Aufbruches bilden auch unter den neuen

marktwirtschaftlichen Bedingungen einen besonders schwierigen, aber

unentbehrlichen ersten Schritt zur Analyse der Solidarność.

Das Archiwum Solidarności legte in der ersten Hälfte der 90er Jahre nur wenige

neue Bücher auf – zu den Streiks von 1988, zum Studentenstreik in Lodz `81

und zum Prozess gegen die Mörder des Priesters Jerzy Popiełuszko. Nach

dreijähriger Unterbrechung gelang ab 1995 die Publikation der noch fehlenden

Protokolle der Sitzungen der KKP.59 Mit dem Wiedererwachen des öffentlichen

Interesses an der Geschichte der Solidarność in der zweiten Hälfte der 90er Jahre

ergab sich auch eine erneute Nachfrage nach Dokumentationen und Analysen

57 Schweizer, S. 267. 58 Qualitative Rüstung zielt auf eine technologische Überlegenheit über den Gegner, die auch eine

größere Anzahl von Waffensystemen neutralisieren konnte. Zur Beunruhigung in der DDR vgl. H.-J. Gießmann, Qualitative Rüstung – neue Herausforderung für die Abrüstung, IPW- Forschungsheft 1/90, Berlin 1990.

59 In den Bänden 28, 29 und 30 legte das Archiv 1995/96 die Protokolle der Sitzungen vom 23.04., 04.06. und 09./10.04.1981 vor. Erst 1999 folgte der letzte Band mit dem Protokoll zum 3./4. 11.1981.

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Solidarność

zum Thema. Ein Ausgangspunkt waren dabei die Produktionen der “grauen

Literatur” der 80er Jahre, von denen einige nun tatsächlich veröffentlicht werden

konnten oder als Basis für neue Arbeiten dienten.60

Zu den klassischen Arbeiten der 80er Jahre über die unabhängige

Arbeiterbewegung in Polen zählen die Dokumentation von Andrzej Drzycimski

und Tadeusz Skutnik “Zapis Wydarzeń. Gdańsk – Sierpień `80”61 aus dem Jahr

1986 und die von Beata Chmiel und Elżbieta Kaczyńska herausgegebene Arbeit

“Postulaty. Materiały do dziejów wystąpień pracowniczych w latach 1970/71 i

1980 (Gdańsk/Szczecin)”62 aus dem Jahre 1988. Die letztere Arbeit erschien

1988 als Manuskript in einer Auflage von 99 Exemplaren (d.h. poza cenzurą-

außerhalb der Zensur). Über die Dokumentation hinaus enthielt dieser Band in

einem ersten Teil eine Reihe von Aufsätzen zum Thema (etwa 250 Seiten). Im

Rahmen eines umfassenderen Forschungsprojektes63 der Polnischen Akademie

der Wissenschaften konnte der zweite, dokumentarische Teil 1998 als Band 32

des Archiwum Solidarności publiziert werden – für die Veröffentlichung des

analytischen Teils reichten die finanziellen Mittel nicht aus.64 Das Buch präsentiert

im Hauptteil 56 Dokumente, drei weitere in Anhängen. Den Dokumenten sind

ausführliche Anmerkungen beigegeben, in denen ortsübliche Abkürzungen und

Wendungen erläutert werden.

Der Schwerpunkt der „Postulaty“ liegt auf dem Zeitraum Dezember 1970 bis

Februar 1971. Die Streikwelle des Dezembers 1970 war nach der Verkündung

einer Preiserhöhung am 14. Dezember ausgebrochen. Die hier mitgeteilten Texte

aus Szczecin setzen am 18.12. ein, mehrere Tage nach Beginn der

Okkupationsstreiks in den großen Werften und einen Tag nach der Beendigung

von Straßenunruhen durch Einsätze von Militär und Polizei, die allein hier zu

mindestens 16 Todesopfern führten. An erster Stelle der dokumentierten

Forderungen stehen daher das Ende des Einsatzes von Feuerwaffen und der

Rückzug von Polizei und Militär.65 Die Freilassung der verhafteten Kollegen und

die Bestrafung der Verantwortlichen werden ebenso verlangt wie die Beendigung

60 Vgl. z.B. Polacy ’81. Postrzeganie kryzysu i konfliktu, pod red. W.Adamskiego. Warszawa 1996. I.Krzemiński, Solidarność. Projekt polskiej demokracji, Warszawa 1997.

61 Aufzeichnung der Ereignisse. Gdańsk – August 1980.62 Die Forderungen. Materialien zur Geschichte der Arbeiterunruhen in den Jahren 1970/71 und

1980 (Gdańsk/Szczecin).63 Die unabhängige Aktivität der Gesellschaft als Voraussetzung der Systemtransformation des

Jahres 1989 (unter besonderer Berücksichtigung des Zeitraums 1980- 1981).64 Postulaty 1970- 71 i 1980. Materiały źródlowe do dziejów wystąpień pracowniczych w latach

1970- 1971 i 1980 (Gdańsk i Szczecin). Gesammelt und herausgegeben von Beata Chmiel und Elżbieta Kaczynska, Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA 1998

65 NB:Einige Texte unterstellen unzutreffender Weise, daß sich die Miliz lediglich in Uniformen der allseits geachteten Armee verkleidet habe.

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Solidarność

der einseitigen Berichterstattung in der Presse und ein ungehinderter Zugang zu

den Werften, d.h. zu den Streikenden. Weiterhin betonen viele Schreiben den

organisierten Charakter des eigenen Auftretens und grenzen sich von

gewalttätigen Ausschreitungen ab. Viele betonen die sozialen, nicht-politischen

Ziele der Streiks - was selbst eine, teilweise zweifellos auch bewußte politische

Strategie darstellt. Sie kritisieren die Unfähigkeit der Gewerkschaften zur

Verteidigung ihrer Interessen und stellen die Solidarität mit den anderen

streikenden Belegschaften und ihren “berechtigten Forderungen” heraus. In

einem zentralen Falle, den gemeinsamen Forderungen der Streikkomitees der

Warski- Werft und der Gryf- Reparaturwerft vom 18.12.70 findet sich bereits die

Aussage: “Wir fordern unabhängige Gewerkschaften, die der Arbeiterklasse

unterstehen.” (Dok. 6, S.30).

Bereits beim ersten Lesen fällt die große Spannweite in Form, Autoren und

Adressaten der Texte auf. Es handelt sich um Erklärungen im Namen der

Belegschaft, in denen deren Forderungen fixiert sind, um Mitteilungen und

Beschlüsse von Streikkomitees oder um Protokolle von Versammlungen, auf

denen solche Forderungen artikuliert wurden. Daneben gibt es Briefe an

streikende Belegschaften oder Briefe von Belegschaften an die Direktion oder

lokale Machtorgane. In vielen Fällen wurden die Dokumente namentlich

unterzeichnet. In einem Fall hat sich die Direktion eines Betriebes selbst

darangemacht, ihren übergeordneten Stellen die Forderungen der Belegschaft in

einem offiziellen Schreiben zuzuleiten.

Der PZPR gelang es zunächst, durch die Ablösung W. Gomulkas und die

Verkündung zusätzlicher Sozialmaßnahmen für arme Familien die Konfrontation

zu entschärfen. Aber die Auseinandersetzungen um die Gewaltanwendung und

die Preiserhöhungen führten rasch zu neuen Streiks. Am 16. Januar trat die

Leninwerft in Gdańsk wieder in den Streik, mit Forderungen aus diesem Streik

beginnt die Dokumentation von Positionen aus dem Raum der “Dreistadt”

Gdańsk-Gdynia-Sopot, für den aus dem Dezember 1970 keine Texte abgedruckt

sind.

Am 22.01. trat auch die Warski- Werft in Szczecin wieder in Streik. Lokale Partei

und Administration versuchten den Ausstand zu isolieren: in der Stadt wurden

Flugblätter verteilt, welche den Streikenden eine Sabotage am Kurs der neuen

Parteiführung vorwerfen. Auf diese Vorbereitung zur Niederschlagung des Streiks

antwortet das einzige in der Sammlung enthaltene Flugblatt vom 23.01.70. Auf

Sebastian Gerhardt 14 http://planwirtschaft.wordpress.com/

Solidarność

der Werft kommt es am 24.01. zur großen Debatte mit der Partei- und

Regierungsdelegation unter Gierek.66 Im zweiten der drei Anhänge findet sich

übrigens ein 5-seitiges Protokoll des Treffens der Partei- und Regierungsspitze

unter Gierek mit Vertretern der Belegschaften in Gdańsk am folgenden Tag. Den

Abschluß der Dokumentation der Ereignisse der Jahreswende 70/71 bildet eine

mehr als 50 Seiten lange Liste von 872 Forderungen der verschiedenen

Abteilungen der Leninwerft aus dem Februar 1971 sowie ein Protokoll einer

Parteiversammlung einer Grundorganisation der Leninwerft aus dem gleichen

Zeitraum.

Die Preiserhöhungen wurden erst im März 1971 angesichts unkontrollierbarer

Streiks der Textilarbeiterinnen in Lodz zurückgenommen. Eine vergleichbare

Dokumentation dieser Geschichte steht noch aus.

Auch im August 1980 gab es neben den relativ kurzen Forderungslisten einzelner

Belegschaften und Abteilungen umfangreiche Zusammenfassungen der

Forderungen der Abteilungen eines Betriebes sowie überarbeitete, teilweise

vereinheitlichte Forderungskataloge, mit denen die Belegschaften Direktion und

Staatsmacht gegenübertraten. Die im Band dokumentierten Forderungen zum

Verhalten der Staatsmacht gegenüber den Streikenden sind kürzer und,

angesichts der bitteren Erfahrungen von 1970 wie des geringeren

Repressionsniveaus 1980, anders gefasst. Offensichtlich ist auch der Einfluß der

organisierten Opposition, einerseits im Bezug auf die “bürgerlichen” Freiheiten

und der Forderung nach Freilassung der politischen Gefangenen (einer de facto

Legalisierung der Opposition), andererseits in der Formulierung der zentralen

Forderungen nach freien Gewerkschaften (Bezug auf die 1956 durch Polen

ratifizierte Konvention 87 der ILO)67 und nach einem Teuerungsausgleich.68

Schließlich macht die Vielzahl von übereinstimmenden oder ähnlichen

Forderungen deutlich, wie wenig sich in den Betrieben geändert hatte.

Die Dynamik der Entwicklung, die im August 1980 die Aktivisten von der Freien

Gewerkschaft des Küstengebietes in das Zentrum der Entstehung einer

66 Zum Protokoll siehe die Literatur in FN 2.67 Der Bezug auf die Konvention der ILO wird verdeckt, wenn (wie z.B. bei H. Kühn, S. 29), in der

Übersetzung der damals in Polen tatsächlich unübliche Terminus Arbeitgeber (pracodawcy) mit “Betriebsleitungen” wiedergegeben wird.

68 Vgl. die Karta Praw Robotniczych (Charta der Arbeiterrechte) vom Juli 1979, in: Zygmunt Hemmerling, Marek Nadolski (Hg.) Opozycja Demokratyczna w Polsce 1976- 1980, Warszawa 1994, S. 602ff, zu deren Unterzeichnern u.a die Aktivisten von der Freien Gewerkschaft des Küstengebietes gehörten.

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Solidarność

unabhängigen und selbstverwalteten Gewerkschaft brachte, lässt sich an der

Dokumentation von Drzycimski/Skutnik studieren. Sie bildete die Grundlage für

einen weiteren Dokumentationsband (36) des Archiwum Solidarności.69 Der Band

enthält in chronologischer Ordnung den Text von 338 Dokumenten aus dem

August 1980, vom Streikaufruf der “Gründungskomitees der Freien

Gewerkschaften” an die Arbeiter der Gdańsker Werft vom 14. August 1980 bis

zum Kalendarium des Streiks, das am 31.08.1980 im Bulletin der Streikenden

erschien. Aufgenommen wurden ausschließlich solche Dokumente, die noch

während des Auguststreiks von den Beteiligten wahrgenommen wurden und

insofern direkt auf den Gang der Ereignisse “einwirken” konnten. Auch die Seite

der “Macht”, Partei und Regierung, wird nicht anhand interner Schreiben,

sondern auf der Grundlage ihrer Verlautbarungen in Presse, Funk und Fernsehen

vorgestellt. Der Band enthält ein kurzes Vorwort der Redaktion, ein

Abkürzungsverzeichnis, eine Liste der Dokumente und eine englischsprachige

Zusammenfassung.

Der Band zeigt im Nebeneinander der Dokumente das Ineinandergreifen

unterschiedlichster Bewegungen in der Streikwelle sowie ihre Ausbreitung und

Veränderung als den zentralen Prozess. So macht er mit der Wiedergabe der

Forderungen verschiedener Belegschaften das Spektrum der Zielvorstellungen,

gegenseitige Bezüge und Solidarisierungen deutlich. Besonderes Interesse

verdient zweifellos die Dokumentation von Krisensituationen der

Streikbewegung. Dazu zählen, um nur einige zu nennen, die Weiterführung des

Streiks auf der Leninwerft nach dem 16.8. 1980 trotz der beschlossenen

Beendigung des Streiks durch das Streikkomitee unter Wałęsa und die Bildung

des Überbetrieblichen Streikkomitees (MKS), die Durchsetzung des MKS als des

alleinigen Verhandlungspartners der Regierung sowie die Verhandlungen selbst.

So musste in Gdańsk der Verzicht auf die ursprüngliche und gut verankerte

Forderung nach einem Teuerungsausgleich (Dok. 2, S. 5) gegen die Forderung

nach unabhängigen Gewerkschaften abgewogen werden. Kommentare und

Berichte beider Seiten zum Fortgang der Verhandlungen bilden einen weiteren

wichtigen Teil der Dokumentation. Die Regierung versuchte während dessen, die

Gdańsker Streiks vom Rest des Landes zu isolieren. An den ebenfalls

wiedergegebenen Solidaritätserklärungen, Briefen, Geldsendungen und

Nachrichten über Streikaktionen anderswo ist das Scheitern dieser Strategie zu

69 Zapis wydarzeń. Gdańsk – Sierpień 1980. Dokumenty. Gesammelt und herausgegeben von Andrzej Drzycimski und Tadeusz Skutnik. Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA. Warszawa 1999, 536 S.

Sebastian Gerhardt 16 http://planwirtschaft.wordpress.com/

Solidarność

erkennen. Immer wieder wird durch die Wiedergabe von Flugblättern beider

Seiten, von Artikeln und offiziellen Positionen die politische, öffentliche

Dimension der Auseinandersetzung deutlich. Es entsteht dabei nicht das Bild

einer Konfrontation zweier bestehender Lager, vielmehr wird die Bildung und

Veränderung der Grenzlinien zwischen „Ihnen“ und „uns“, zwischen der „Macht“

und der „Gesellschaft“ erkennbar.

Dokumentiert werden auch verschiedene Stellungnahmen zur Streikbewegung,

Versuche, Unterstützung zu geben und Einfluß zu gewinnen: durch die Tätigkeit

von Priestern und kirchlichen Institutionen, durch Stellungnahmen von

Oppositionsgruppen, mit der Formierung der Beratergruppe, deren Ratschläge

dokumentiert sind (Dok. 139, S. 184ff) usw. Eine Vielzahl von Spekulationen

über den Einfluß der Kirche und der Opposition könnte qualifiziert werden,

nähme man die hier mitgeteilten Gebete, Presseerklärungen, Predigten und

Ratschläge zur Kenntnis.

Die Streiks in Szczecin und Gdańsk 1980 endeten mit der Anerkennung der MKS

durch die Regierung. Diese akzeptierte einen Vertragspartner, der sich nicht

auflösen, sondern in Gestalt der unabhängigen Gewerkschaften die Realisierung

der Übereinkünfte kontrollieren und sicherstellen wollte. Verhandlungen und

Unterredungen zwischen Vertretern der Regierung und der Solidarność haben die

folgenden Monate ebenso geprägt wie Straßendemonstrationen und Streiks.

Einen Beitrag zur Erforschung dieser Verhandlungen als “eines der Mechanismen

des politischen Kampfes” leistet ein 1998 erschienener Quellenband. Die von

Bogusław Kopka, Andrzej Paczkowski und Tomasz Tabako zum Druck

vorbereitete Arbeit dokumentiert die Gespräche zwischen einer Delegation der

Solidarność und Regierungsvertretern vom 15. bis 18. Oktober 1981. Die

Gespräche fanden in der kurzen Zeit zwischen dem Ende des ersten Kongresses

der Solidarność am 7. Oktober und der Einführung des Kriegsrechts am 13.

Dezember statt. Die Dokumentation stützt sich größtenteils auf

Tonbandmitschnitte, die transkribiert wurden.70 Über den Gang der

Verhandlungen hinaus enthält sie eine Reihe von Texten zur Vorgeschichte und

den Begleitumständen des Treffens. Das Vorwort skizziert kurz die

unterschiedlichen organisatorischen Ressourcen beider Seiten und versucht, die

Verhandlungen im Rahmen der Strategie der Machthaber zu verorten.

70 Rozmowy z rządem PRL. Negocjacje pomiędzy NSZZ “Solidarność” a rządem w dniach 15- 18 pażdziernika 1981. Zum Druck vorbereitet durch Bogusław Kopka, Andrzej Paczkowski, Tomasz Tabako. Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA, Warszawa 1998

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Solidarność

Zwischen der 1. und 2. Tagung des Solidarność – Kongresses hatte die

Militärführung die organisatorischen Vorbereitungen zur Einführung des

Ausnahmezustandes abgeschlossen, ohne sich jedoch bereits für diese Option zu

entscheiden.71 Die günstigste Möglichkeit einer Einbeziehung der Solidarność in

eine Neuauflage der “Nationalen Einheitsfront” unter Führung der Partei oder die

Spaltung der Solidarność in einen “gesunden” und einen “radikalen” Teil wurden

noch nicht ausgeschlossen. Die Regierungsseite wollte die Gewerkschaft in ein

System der Krisenbekämpfung einbinden, das vielen gesellschaftlichen Gruppen

wie der Mehrheit der Bevölkerung insgesamt eine weitere Absenkung des

Lebensniveaus um einer ungewissen zukünftigen Stabilisierung willen zumuten

sollte. Eine zentrale Rolle spielten dabei Preiserhöhungen und die Ausweitung

von Exportproduktionen.72

Seit dem August `80 hatte sich die Versorgungslage der Bevölkerung

kontinuierlich verschlechtert. Proteste und lokale Streiks, insbesondere gegen

den Skandal der unzureichenden Deckung der Lebensmittelkarten auf Fleisch

einerseits und den gegen den gleichzeitigen Export von Fleisch andererseits.

Weder die Regierung noch die Gewerkschaft konnten sich durchsetzen, das Land

aber konnte nicht “nach zwei Fahrplänen funktionieren” (Jacek Kuroń). Die

Solidarność forderte auf ihrem Kongreß nicht nur die konsequente Realisierung

der Abkommen aus dem August 1980, sondern in Anbetracht der

Gesellschaftskrise den Abschluß neuer “gesellschaftlicher Übereinkommen”, in

denen der Ausgang aus der Krise, die Wirtschaftsreform und der Übergang zur

Zielvorstellung der Gewerkschaft, einer “selbstverwalteten Republik” mit den

Herrschenden ausgehandelt werden sollten. Mit dem Kongreß hatte die

Solidarność verdeutlicht, daß sie schon lange den Rahmen einer reinen

Gewerkschaftsbewegung verlassen hatte.

Die Verhandlungen vom 15. bis 18. Oktober waren der erste Versuch, die Ziele

des Kongresses auch umzusetzen. Ihr Ergebnis wurde in der Solidarność

mehrheitlich als Mißerfolg angesehen.73 Die Solidarność - Vertreter zielten über

die öffentliche Diskussion um die Frage der Lebensmittelversorgung und eines

71 Andrzej Paczkowski, Odpowiedzialność za stan wojenny, Rzeczpospolita, 29.07.199572 Zur Diskussion vgl. Rozmowy, pp. 179- 244. Die im Mai `81 in die Welt gesetzten

populistischen Thesen des Parteifunktionärs Marian Rajski aus Gdańsk, wonach der ungünstige Handel mit der Sowjetunion und die Unterstützung teuren Revolutionsexportes für die ökonomische Misere entscheidend gewesen wären, lehnten die Solidarność - Experten explizit (S. 195) oder implizit (S. 201) ab. Für die deutsche Diskussion vgl. Renate Damus, Die polnische Wirtschafts- und Gesellschaftskrise: Folge des Ost- West- Handels, sowjetischen Raubhandels oder verfehlter wirtschaftlicher Entwicklungsstrategie. In: Prokla Nr. 48 (3/1982), S. 19ff.

73 J. Holzer, Solidarität, S. 323.

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Solidarność

Teuerungsausgleichs explizit auf die Erlangung eines Zugangs zu den

Kommandohöhen der Wirtschaft, um die Interessen ihrer Mitglieder auch unter

den Bedingungen der Wirtschaftskrise vertreten und so der zunehmenden

Resignation und Verzweiflung entgegnen zu können. Das vom

Verhandlungsführer der Solidarność, Gregorz Palka, präsentierte Modell eines

“Gesellschaftlichen Volkswirtschaftsrates” war eindeutig auf die Solidarność

konzentriert und auch in der Gewerkschaft weder unumstritten noch

ausdiskutiert.74 Das Eigenleben dieses Themas prägte den weiteren Verlauf der

Verhandlungen75, zumal nach einer breit publizierten, äußerst scharfen

Presseerklärung Rakowskis vom 16.10. (“Anschlag auf die verfassungsmäßige

Ordnung”, die Solidarność strebe nach “Zurückweisung der demokratischen

Wandlungen” und zur “Errichtung einer totalitären Diktatur”)76 auch das

Verlangen der Solidarność nach öffentlicher Richtigstellung und Verteidigung

ihrer Positionen zum Verhandlungsthema wurde.77

Der Versuch der gegenseitigen Erpressung im Namen der nationalen

Verantwortung blockierte die Verhandlungen. Die Gewerkschafter beriefen sich

auf das fehlende Vertrauen zur Regierung, um im Austausch gegen die Teilhabe

an den wirtschaftspolitischen Entscheidungen ihre Autorität in der

Massenbewegung zur Absicherung der Wirtschaftsreform anzubieten.78 Die

Regierungsseite versuchte demgegenüber, die einzigen Mittel der

Gewerkschafter, die Streiks und Proteste, anhand ihrer negativen ökonomischen

Folgen zu blamieren und daraus die Vorzüge eines konstruktiven,

“partnerschaftlichen” Verhältnisses abzuleiten. Die schließlich veröffentlichten

“Feststellungen” über das Treffen enthielten nicht viel mehr als ein Moratorium.

Ein Erfolg für die Gewerkschaft war das sicher nicht. Weitere Gespräche zogen

sich noch, ergebnislos, bis zur Einführung des Kriegsrechtes hin.79 Die Lage

wandelte sich: Während Ende 1980 die Ergebnisse einer soziologischen

Befragung darauf hinwiesen, daß die Polen die Verantwortung für die

Wirtschaftskrise nahezu ausschließlich auf Seiten der Regierung sahen, so hatte

sich dies Bild ein Jahr später gewandelt. Der Anteil derer, die die Regierung allein

schuldig sprachen, war von 1980: 61, 5 % auf 39,7 % gesunken, und der Anteil

derer, die Solidarność und Regierung gleichermaßen verantwortlich machten, war

74 pp. 42-48.75 pp. 49- 61, pp. 104ff, 76 im Anhang, S. 308ff, vgl. 149.77 pp. 173ff, pp. 196ff, pp. 286ff.78 Ebenda, pp. 112f, vgl. pp. 162ff, pp. 274ff.79 Wojciech Jaruzelski, Stan wojenny dlaczego, S. 324ff.

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Solidarność

von 27,5 % auf 40% gestiegen.80

Solidarność - Analysen einer sozialen Bewegung

Seit mehreren Jahren organisiert der Historiker Marcin Kula, Spezialist für

lateinamerikanische (Revolutions)geschichte an der Warschauer Universität

Forschungsarbeiten zur Geschichte und Soziologie der Solidarność der Jahre

1980/81. Zusammen mit seinen Studenten hat er nun in einem Buch eine erste

Analyse der Solidarność vorgelegt, die in der Druckfassung durch zwei von ihm

betreute Magisterarbeiten begleitet wird.81

Ihre Analyse über “Faktoren, welche die Dynamik der Solidarność- Bewegung in

den Jahren 1980-1981 bestimmten” haben Professor Kula und seine Studenten in

den Jahren 1997 bis 99 erarbeitet und als kollektives Produkt veröffentlicht – es

sind 21 Autoren aufgeführt. Ausgangspunkt der Untersuchung waren die im

Archiwum Solidarności publizierten Protokolle der KKP der Solidarność. Die

Studie ist systematisch, oder eher problematisch, um gewisse Fragestellungen

herum organisiert. Deren Darstellung erfolgt in mehr oder minder kurzen,

teilweise essayistisch pointierten Texten, die zum jeweiligen Kapitel

zusammenmontiert sind. Nicht unbeteiligt und durchaus bei der Sache, fehlt den

Autoren doch das Pathos jener Märtyrologen, die mit jeder Zeile die heroischen

Opfer im Kampfe um die Unabhängigkeit des Vaterlandes heiligen wollen. Sie

erörtern die Motive des Aufruhrs: die Spannung zwischen den Vorstellungen vom

Gemeinwohl als dem Zweck der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Tätigkeit

und dem tatsächlichen Gang der Dinge. Sie lassen sich ein auf eine ausführliche

Erörterung der Gedankenwelt der Arbeiter, mit ihrer dualistischen Sicht der

Gesellschaft und ihren Erwartungen an eine gerechte Ordnung – eine

Gedankenwelt, die sich im Anschluß an E.P. Thompson als die moralische

Ökonomie der polnischen Arbeiterklasse bezeichnen ließe.82

Die Analyse hebt an mit der Frage nach dem Charakter und den Grenzen der

Solidarność als einer spontan und gleichzeitig an vielen Orten entstehenden

Bewegung. Die Autoren sehen hierin die Grundlage für die schwache

Institutionalisierung der Gewerkschaft, den starken Hang zu Formen direkter

Demokratie, die große Bedeutung lokaler Fragen und die geringe Autorität der

eigenen Vertreterstrukturen. Zugleich begünstigte aber die Entstehung der

80 Polacy `81, S. 85ff.81 Solidarność w ruchu 1980- 1981. Studia pod redakjcją Marcina Kuli. Niezależna Oficyna

Wydawnicza NOWA. Warszawa 2000.82 E.P. Thompson, The Making of the English Working Class, 1963, dt. (suhrkamp) 1987.

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Solidarność

Solidarność aus den Betriebsbelegschaften, das Bestehen gemeinsamer

Lebensbedingungen und geteilter Erfahrungen die Herausbildung einer stabilen

und handlungsfähigen Organisation. Wiederholt weisen die Autoren auf die

organisierende Wirkung der Kirche und der nationalen Symbolik sowie auf die

charismatische Rolle Walesas hin, ohne diesen Faktoren wundersame Wirkungen

nachzusagen. Sie prüfen die politischen Konsequenzen des Manichäismus: wir,

die Gesellschaft, die Solidarność, gegen sie, die Macht, die Partei. Vorsichtig

bejahend beantworten sie die Frage, ob und wie die Zielvorstellungen der

Gewerkschaft von der realsozialistischen Gesellschaft beeinflusst waren, in der

sie entstand.

Neben diesen, sozusagen subjektiven Faktoren thematisiert die Studie am

historischen Detail die fördernden und hemmenden Faktoren in der Entwicklung

der Gewerkschaft, den langen Weg vom Durchbruch zu einer landesweiten und

nationalen Bewegung bis zur Flucht nach vorn, zum Verbalradikalismus der

letzten Wochen vor dem Kriegsrecht. Die Autoren zeigen, daß sich die Dynamik

der Solidarność im Herbst `81 zunehmend erschöpft hatte. Insbesondere mit

diesem Ergebnis gibt die Studie Anlaß zu nicht nur wissenschaftlichen

Kontroversen.

Ausgehend von einer beeindruckend sicheren Beherrschung des Stoffs geben

Marcin Kula und seine Studenten die Skizze einer Problemgeschichte der

Solidarność. Mit einem wachen Blick für die Eigenheiten und Widersprüche dieser

großen Bewegung öffnen sie einen sachlichen Zugang zur Frage nach dem

Zusammenhang zwischen der Gewerkschaftsbewegung und der späteren

Systemtransformation, ohne die Unterschiede in den Zielvorstellungen und

Methoden zu beschweigen.

So reflektiert und sicher im Urteil wie die Kollektivstudie über die Solidarność ist

Dionizy Smoleńs Magisterarbeit nicht.83 Er versucht, anhand eines Vergleichs des

Auguststreiks in Gdańsk mit mehreren historisch dokumentierten städtischen

Unruhen der Jahre 1789 (Paris), 1794 und 1831 (Warschau) den Unterschied

zwischen einer “organisierten Gesellschaft” und gewalttätigen, spontanen und

unkontrollierbaren Menschenmassen zu bestimmen. Dabei entgeht ihm nicht nur

der sehr unterschiedliche soziale Hintergrund der von ihm untersuchten

Ereignisse. Fixiert auf die Begrifflichkeit von Gustav Le Bons “Psychologie der

83 Dionizy Smoleń, Tłum czy społeczność zorganizowana? Strajkujący w Stoczni Gdańskiej w sierpniu 1980. In: M. Kula (red.): Solidarność w ruchu 1980- 1981. Studia pod redakjcją Marcina Kuli. Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA. Warszawa 2000, S. 151- 217.

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Solidarność

Massen” übersieht er völlig, daß seine Darstellung der unkontrollierbaren

städtischen Massen aus den Mitteilungen unbeteiligter bis feindlicher Beobachter

gewonnen ist – an keiner Stelle kommt ein Teilnehmer “zu Wort” – während

seine Darstellung des Auguststreiks dagegen wesentlich auf den Dokumenten der

Streikenden selbst beruht. Gänzlich ausgeblendet wird die Bedeutung des

Verhaltens der Gegenseite, insbesondere der Umstand, daß die Staatsmacht

eben nicht zur gewaltsamen Isolierung und Niederschlagung der Streiks schritt.

Während Smoleń das offiziöse Selbstbild der Solidarność zur Grundlage seiner

Überlegungen macht, konzentriert sich die Arbeit von Marcin Meller auf die

Entstehung genau dieses Selbstbildes. Er thematisiert die Rolle des Denkens über

die Geschichte in der Solidarność- Bewegung und versucht, den historischen

Kanon der Bewegung zu rekonstruieren, d. h. das geordnete System der

historischen Ereignisse, auf welches sich die Bewegung in der Bestimmung ihrer

eigenen Identität bezog.84 An erster Stelle standen in diesem System die

Arbeiterunruhen von 1970, 1956 und 1976, daneben die Auseinandersetzung mit

der Legitimation der Macht (Katyn) und die nationalen Traditionen, die gegen die

Symbole der “sozialistischen” Herrschaft gewendet wurden. Die Zuordnung einer

historischen Erscheinung zur eigenen Tradition war nicht immer unproblematisch.

So wurde der Streit, ob neben dem nationalen 3. Mai, dem Tag der Verfassung

von 1791, auch der 1. Mai, der traditionelle Tag der Arbeiterklasse zu feiern sei,

nicht zuletzt aufgrund pragmatischer Erwägungen entschieden: Man konnte der

Macht den längst üblich gewordenen Feiertag schließlich nicht einfach überlassen.

Anhand solcher Debatten kann Meller auch die “wichtigste Frage” beantworten:

Wer ist – in der Sicht der Solidarność – das Subjekt der Geschichte? Er

untersucht die drei in Frage kommenden Kandidaten: die “Gesellschaft”, das

“Volk” und die “Arbeiterklasse”. Die “Gesellschaft” war insbesondere unter den

Beratern aus der Tradition des KOR85 populär, blieb aber auch hier Teil eines

nationalen Diskurses. Heller kommentiert das Vorhaben einer “Zusammenarbeit

mit anderen Völkern” aus der Gründungserklärung der Klubs “Freiheit- Gleichheit

– Unabhängigkeit”, einer im Herbst `81 aus dem KOR entstandenen Strömung

wie folgt: “Und so wohnen – im Denken der “Gesellschafter” – im Ausland Völker,

aber an der Weichsel eine Gesellschaft.”86 Der Begriff der “Arbeiterklasse” war

84 Marcin Meller, Rola myslenia o historii w ruchu “Solidarność” w latach 1980- 1981. In: ebenda, S. 219- 266.

85 Komitet Obrony Roboczych (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter) – nach den Streiks von 1976 von linken und liberalen, katholischen und laizistischen Intellektuellen gegründete politische Organisation.

86 Ebenda, S. 259.

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Solidarność

von Anfang an durch die sozialistischen Assoziationen belastet, die er mit sich

führte. In den Texten der Gewerkschaft und selbst in der Erinnerung an die

proletarischen Unruhen und Opfer wird er zunehmend von der Berufung auf das

polnische Volk verdrängt. “Naród”, das – ethnisch verstandene – Volk87 war für

die Solidarność das eigentliche Subjekt der Geschichte.88 Zu den wenigen

kritischen Stimmen gegen einen übersteigerten Nationalismus im Solidarność-

Lager zählte schon 1981 der Historiker und Mitbegründer des KOR, Jan Józef

Lipski. Im nach ihm benannten Wettbewerb historischer Arbeiten wurden die

Texte von Smoleń und Heller prämiert.

Marcin Kula beteiligte sich auch an einer Konferenz, in der das oben genannte

Projekt des Archiwum Solidarności “Die unabhängige Aktivität der Gesellschaft

als Voraussetzung der Systemtransformation des Jahres 1989 (unter besonderer

Berücksichtigung des Zeitraums 1980- 1981)” seine Arbeit resümierte. Die

Konferenzbeiträge wurden im Internet publiziert.89 Der ”Band” steht nicht zufällig

unter dem Titel “Zu einer Synthese der Geschichte der sozialen Bewegung 1980

–81”. Die gemeinsame politische Nähe der Autoren zur “linken” Strömung in der

polnischen Opposition um das KOR wird unter anderem in der wenig

rücksichtsvollen Schärfe ihrer Analysen deutlich.

In ihrem Vorwort geht Elżbieta Kaczyńska kurz auf die Diskussion auf der

Konferenz ein. Im Mittelpunkt standen die Frage nach der Berechtigung

unterschiedlich gesetzter Zäsuren und die Frage nach der Definition der

gesellschaftlichen Bewegung. Die Besonderheit der Solidarność sahen die

Diskutanten in der Vereinigung unterschiedlicher Strömungen der

Unzufriedenheit (ökonomisch, politisch, national). Die Frage nach der

Bestimmung von Bewegung und Widerstand wurde mehrheitlich so beantwortet,

daß die Seite der Macht durch ihre Kriterien den Umfang des “Widerstands”

bestimme. Schließlich wurde die Frage erörtert, inwieweit die Solidarność ein

illegitimes Kind des herrschenden politischen System war, inwieweit die

Herrschenden unbeabsichtigt zur Gestaltung der Opposition beitrugen.

87 Es gibt im polnischen auch ein zweites Wort für “Volk”, “lud” – in einem sozialen Sinne: “Unterschichten” (oft auch pejorativ). Die entsprechenden Adjektivbildung “ludowy” gehört traditionell zum Namen der Bauernpartei und diente in den realsozialistischen Zeiten als Attribut, welches den volkstümlichen Charakter des Staates und aller seiner Organe hervorheben sollte. (Volksrepublik Polen = Polska Rzeczpospolita Ludowa).

88 Ebenda, S. 256.89 Ku syntezie historii ruchu społecznego (1980-1981), Referaty z konferencji, Stowarzyszenia

Archiwum Solidarności i Instytutu Stosowanych Nauk Społecznych Uniwersytetu Warszawskiego, Pod red. Elżbiety Kaczyńskiej, Warschau 2000. URL: http://strony.wp.pl/wp/archsol/Archives.htm.

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Solidarność

Im ersten Artikel gibt Piotr Marciniak einen Überblick über die polnischsprachige

Literatur zur Solidarność, ihre unterschiedlichen Strömungen und Konjunkturen.90

Danach fragt Marcin Kula nach jener revolutionshistorischen Synthese, in der die

vorliegenden Teilstudien und die Gesamtdarstellungen von Holzer und Ash

aufgehoben werden könnten. Und er fragt im direkten Sinne des Wortes: nach

einleitenden Erwägungen über die Art und Weise, die Geschichte von

Revolutionen zu behandeln, breitet er auf 10 Seiten ein weites, thematisch und

rhetorisch strukturiertes Spektrum von Problemstellungen und vielen, vielen

Fragen aus, welche er in einer Geschichte der Solidarność behandeln würde.

Sein Interesse liegt auf einer möglichst präzisen Rekonstruktion der sozialen und

politischen Dynamik, d.h. zuallererst einer Übersicht über die sozialen und

politischen Akteure, ihre Handlungsmöglichkeiten und Zielstellungen, ihre

gegenseitige Wahrnehmung und ihre Veränderung in und mit der Geschichte,

deren Akteure sie waren. Die provozierenden Implikationen eines solch nüchtern

Ansatzes verdeutlicht eine Eingangs formulierte Frage: Müssen in einer

Geschichte der Solidarność auch die Entwicklungen in der PZPR berücksichtigt

werden und inwiefern? Oder darf die Partei, der Seite des Gegners zugehörig, nur

als äußerer Faktor auftreten?

Als Warnung vor einem allzu naiven Vertrauen in die historischen Quellen und

ihre objektiven Auskünfte versteht Elżbieta Kaczyńska ihr Referat über die

Arbeiterunruhen Ende des 19. Jahrhunderts und die Revolution von 1905 im

russischen Teilungsgebiet. Sie unterscheidet grundsätzlich zwischen einem

organisatorischen, unmittelbaren Einfluß politischer Gruppierungen, und einer

vermittelten, nur propagandistischen Wirkung und erörtert am historischen

Beispiel Widersprüche und Gefahren der populistischen Instrumentalisierung

einer Massenbewegung.

Den historischen Hintergrund der Entstehung der Solidarność zeichnet Andrzej

Friszke mit einer Forschungsskizze zum Thema des gesellschaftlichen

Widerstands in Volkspolen 1956 – 1980. Er geht aus von einem allgemein

üblichen Verständnis von – bewusster – Opposition und eher diffusem

gesellschaftlichem Widerstand, und findet diese Begriffe auch für die heftigen

Auseinandersetzungen der unmittelbaren Nachkriegszeit weitgehend adäquat. Mit

der Niederlage des antikommunistischen Untergrunds, vor allem aber mit der

90 Infolge der Konzentration auf die Zeit der Solidarność wird ein äußerst interessantes Buch nicht erwähnt: Antonin Dudek, Tomasz Marszałkowski, Walki uliczne w PRL (Straßenunruhen in der Volksrepublik Polen), Kraków 1992 (2. Ausgabe 1999).

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Solidarność

1956 (Rückkehr Gomulkas, Polonisierung der Politik und Propaganda der PZPR)

gewonnenen nationalen Legitimation der Staatsmacht seien die klaren Grenzen

zwischen Partei und Gesellschaft geschwunden. Dementsprechend sei auch an

die Stelle klarer Differenzen zwischen Opposition und Kollaboration, wie sie in

Analogie zur Kriegszeit immer wieder gesucht werden, eine weites Feld von

vermischten Formen widerständigen wie akzeptierenden und unterstützenden

Verhaltens zur Macht getreten. Seinen Ansatz entfaltet Friszke anhand

verschiedener Beispiele: am Verhältnis von Gläubigen, Kirche und Staat, der

Emigration aus Polen, der begrenzten Bewegungsfreiheit in zugelassenen “niszy”

(Nischen) – wie den Klubs der Katholischen Intelligenz oder den Pfadfindern, der

Resistenz beruflicher Milieus (Hochschulen, Rechtsanwälte) und Unruhen unter

den Jugendlichen. Er geht auf das Wahlverhalten und manifesten Protest

(Flugblätter, Inschriften) im Umfeld von Wahlen und Parteitagen ein, hebt die

besondere politische Bedeutung der Studenten hervor, auch der vom

Sicherheitsapparat als unpolitisch (Drogen) charakterisierten Hippies. Als

Resümee verweist er nicht nur auf das Fehlen von radikalen, auf die prinzipielle

Veränderung des Systems zielenden Losungen und die Vielzahl sozialer,

kultureller und ökonomischer Motive im gesellschaftlichen Widerstand nach

1956, sondern vor allem auf die unterschiedliche Qualität abweichenden

Verhaltens je nach den Anforderungen und Zumutungen der Macht.

Piotr Marciniak untersucht in seinem Referat den Zusammenhang zwischen der

Solidarność der Jahre 80/81 und der Systemtransformation der Jahre ab 1989.

Obwohl das nominelle Ziel der Opposition in der zweiten Hälfte der 80er Jahre

gerade in der Wiederherstellung der Situation vor dem Kriegsrecht bestanden

habe (Legalisierung der Solidarność), hatten sich die gesellschaftlichen

Bedingungen so sehr geändert, daß die Rückkehr zum status quo ante unmöglich

war. Das Kriegsrecht – dessen soziale und politische Analyse immer noch

aussteht – war nicht einfach eine Winterszeit, nach deren Ende die eingefrorene

Massenbewegung wieder erwacht wäre. Im Gegenteil, die Grundlagen für die

massenhafte Aktivität und soziale Kreativität des langen Sommers der Solidarität

waren nicht mehr gegeben. Marciniak verdeutlicht die Differenzen zunächst in

einem Vergleich der Streikbewegung von 1988 und 1980.91 1988 dauerten die

Streiks nicht lange, blieben auf einzelne, wenn auch wichtige Betriebe

beschränkt, die Solidarisierung anderer Belegschaften und der städtischen

91 Er stützt sich dabei auf seine präzise Analyse der Auguststreiks in dem Artikel “Horyzont programowy strajków 1980 r.” In: Studia nad ruchami społecznymi, t.2, Hg.:P.Marciniaka/ W.Modzelewskiego, Warszawa 1989.

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Solidarność

Bevölkerung blieb aus. Die 88er Streiks waren von Anfang an hoch politisiert und

trafen auf den entschiedenen, auch gewaltsamen Widerstand von Partei und

Staatsmacht. Die Streikbewegung entwickelte keine eigene Dynamik, keine

eigene Organisationen, sondern bildete ein untergeordnetes Moment der

politischen Auseinandersetzung.

Die Gründe für diese Differenzen sieht der Autor in der Entzauberung des Streiks

als eines politischen Kampfmittels. Schon im Verlauf des Jahres 1981 habe der

Streik nicht mehr als effektives Mittel zur Verteidigung der Interessen der

Beschäftigten gewirkt. Hatten die Streiks 1980 mit der Veränderung der

ungerechten Verteilung zugleich die gesellschaftliche Krise lösen wollen, so war

nach den Erfahrungen von 1981 und den Wirtschaftsreformen der 80er Jahre

dieser Optimismus geschwunden. Damit waren aber auch keine

gesellschaftlichen Grundlagen für eine Rückkehr zum alten, immer noch gültigen

Programm der “selbstverwalteten Republik” gegeben. Mit der Massenbewegung,

die es hervorgebracht hatte, gehörte es der Vergangenheit an und fungierte

nurmehr als Fundus einer integrierenden Symbolik der Opposition im Kampf um

die Macht. Statt dessen gewannen die Reformvorstellungen der Kirche und der

oppositionellen Intelligenz, die 1980 als Berater aufgetreten waren,

eigenständige politische Bedeutung. So erst wurden die Bedingungen geschaffen,

um aus dem Erbe einer egalitären Bewegung das Schutzschild einer

radikalliberalen Privatisierungspolitik zu schmieden. Während die “erste”

Solidarność eine Massenbewegung in der realsozialistischen Gesellschaft war, die

nicht auf eine Transformation des System zielte, wurde 1989 die Transformation

ohne Massenmobilisierung erreicht. Daß letzteres aber überhaupt möglich war,

hatte zweifellos eine seiner Grundlagen in den personellen, ideologischen und

organisatorischen Folgen der Jahre 1980/81.

Dem heutigen Verhältnis der Polen zur Solidarność widmete sich der Soziologe

Sergiusz Kowalski, Ende der 80er Jahre Autor einer zu recht gerühmten Studie

über die Ideologie der Solidarność.92 Mit dem milden Pessimismus eines

Aufklärers reflektiert er pragmatische wie fundamentalistische Verirrungen auf

dem Wege aus dem “Kommunismus”. Er kritisiert scharfsinnig Antimodernismus

und Antiliberalismus der christlich-nationalen Rechten, ihre Ablehnung der

“unmoralischen” neuzeitlichen Kultur, die sich aus ihrer Sicht vor allem durch

92 S. Kowalski, Krytyka solidarnośćiowego rozumu, Warszawa 1990. Der polnische Titel entspricht der Übersetzung von Kants „Kritik der reinen Vernunft“ (Krytyka czystego rozumu) und ist daher etwa als: Kritik der Vernunft, des Selbst- und Weltverständnisses der Solidarität zu verstehen.

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Solidarność

Rockmusik, Drogen und religiösen Relativismus auszeichnet. An jenen, die noch

heute in jedem Mangel die fortdauernde “Kommune” erkennen wollen, entdeckt

er die erstaunliche Möglichkeit, den gesellschaftlichen Umbruch der letzten Jahre

einfach zu übersehen. Woher kommt solche Blindheit? Sergiusz Kowalski sieht

sie in einem Mangel greifbarer Symbole für den Wandel von 1989 begründet.

Dieser Mangel ist doch aber selbst nur ein Symbol für das Fehlen einer

allgemeinen Mobilisierung der Bevölkerung zugunsten von Privatisierung,

Marktwirtschaft und Kapitalismus. Kowalski akzeptiert, trotz der

gesellschaftlichen Kosten von Balcerowicz`s Schocktherapie die

Systemtransformation nach 1989 als den “historischen Triumph der Solidarność”.

Die Beurteilung dieses Triumphes wird aber wohl unterschiedlich ausfallen

müssen – je nach dem, ob man unter der Solidarność eine unabhängige

Gewerkschaft im Realsozialismus oder den Nährboden einer erfolgreichen

Gegenelite sieht. Und wenn auch zukünftig, nach der erwarteten Aufnahme in die

EU die alten Klassenfragen sich in einer modernen Bürgergesellschaft als aktuell

erweisen werden, dann spätestens wird man über Erfolg und Niederlage neu

nachdenken müssen. Aber das ist dann eine andere Geschichte.

Erstveröffentlichung: Horch und Guck (www.horch-und-guck.info), Heft 35

(=3/2001), Seite 78-88

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