sozialer geist in der rechtsprechung des reichsfinanzhofs

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Sozialer Geist in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs Author(s): Dr. Bank Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, 44. Jahrg., H. 2 (1927), pp. 27-39 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40907641 . Accessed: 10/06/2014 15:16 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 194.29.185.141 on Tue, 10 Jun 2014 15:16:28 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Page 1: Sozialer Geist in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs

Sozialer Geist in der Rechtsprechung des ReichsfinanzhofsAuthor(s): Dr. BankSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, 44. Jahrg., H. 2 (1927), pp. 27-39Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40907641 .

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Sozialer Geist in der Rechtsprechung des Reichsflnanzhofs. Von Regierungsrat Dr. jur. Bank (Hamburg).

Die Kunst der Gesetzesinterpretation, der Rechtsfindung im Einzel- fall bei gegebener allgemeiner Rechtsnorm, ist von jeher für die Juristen ein hochbedeutsames Problem gewesen. So zwiespältig auch heute noch, nach dem kampfesfreudigen Auftreten der bekannten „Freirechts- schule", in vieler Hinsicht die Meinungen in dieser Frage sind, darin sind sich mit Ausnahme von Kelsen und seiner Wiener Schule wohl sämtliche Theoretiker und ausnahmslos alle Praktiker einig : eine rein rationale Rechtsfindung lediglich auf Grund der Anwendung der Gesetze der Logik, eine rein logische Beweisführung wie in der Mathe- matik, ist im allgemeinen in der Rechtswissenschaft nicht möglich. Irgendwo und irgendwie steckt fast immer in den rechtlich interessanten und bis zur höchsten Rechtsinstanz gelangenden Zweifelsfällen ein zwar nicht irrationales, aber aus dem Gesetz selbst nicht ohne weiteres zu entnehmendes wertendes Element, und gerade die im Ver- hältnis zu dem gesamten inneren Staatsbau richtig erkannte und danach veranlasste Herausstellung dieses Wertelements ist uns heute höchste Kunst der Rechtsfindung. Der Gesetzgeber hat dies längst gewusst: Verträge sind so auszulegen und geschuldete Leistungen so zu bewirken, wie „Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrs- sitte es erfordern" (§§ 157, 242 B.G.B.) und „bei Auslegung der Steuer- gesetze sind ihr Zweck, ihre wirtschaftliche Bedeutung und die Ent- wicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen" (§ 4 R.A.O.).

Nun hat es die Entwicklung der staatlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit sich gebracht, das soziale Empfinden, das Gefühl für die Notwendigkeit, die wirtschaftlich Schwachen durch staatliche Massnahmen besonders zu stützen und vor noch tieferer Herabdrückung zu bewahren, allenthalben zu verbreitern und zu vertiefen. Entgegen mancher gegenteiligen Behauptung ist es nicht schwer, zu beweisen: auch der Reichssteuergesetzgeber der Nachkriegszeit hat sich diesem neu erstarkten sozialen Geist nicht verschlossen. Ob er freilich in ver- schiedener Richtung noch hätte ein gutes Stück weitergehen können, ist eine zweite, hier nicht zu untersuchende Frage. Und ein kurzer Ueber-

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blick über die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs in dieser Hinsicht zeigt, dass der Gesetzgeber für seine Bestrebungen bei der höchst- richterlichen Spruchstelle weitgehendes Verständnis gefunden hat. Zugleich wird dieser Ueberblick die Veranlassung bieten, gewisse steuer- rechtliche und volkswirtschaftliche Begriffe und Erkenntnisse schärfer als vordem zu erfassen.

Nach dem Aufbau der Steuergesetze erscheinen die sich in ihnen findenden Bestimmungen spezifisch sozialen Inhalts formell durchweg als Ausnahmevorschriften. Umso wichtiger ist es daher, mit welcher allgemeinen Stellungnahme der Richter wie der Verwaltungsbeamte den Ausnahme Vorschriften bei ihrer Anwendung auf den Einzelfall ge- genübertritt. Hier hat der Reichsfinanzhof den weniger in der Theorie, als vielfach noch in der Praxis herrschenden, zu falschen Polgerungen führenden Grundsatz, Ausnahmevorschriften seien „eng" oder „streng" auszulegen, unzweideutig abgelehnt. „Einen Rechtssatz des Inhalts, dass Steuerbefreiungsvorschriften eng auszulegen sind, gibt es in dem Sinne, wie die Vorinstanz ihn versteht, nicht. Steuerbefreiungsvor- schriften sind wie andere Vorschriften so auszulegen, wie der Gesetz- geber sie gemeint hat, nach § 4 R.A.O. insbesondere unter Berück- sichtigung ihres Zweckes, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und der Entwicklung der Verhältnisse. Jener Rechtsgrundsatz besagt also nicht mehr, als dass Befreiungsvorschriften auf Fälle nicht anzuwenden sind, bei denen nach Erschöpfung der Regeln der Auslegungskunst nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber sie in die Befreiungsvorschrift habe einbeziehen wollen. In diesem Sinne enthält der Rechtsgrundsatz eine Selbstverständlichkeit" (R.F.H. Bd. 8 S. 135; vgl. jetzt auch Steuer und Wirtschaft Ergänzungshefte 1926 Nr. 658 S. 2157 a. E.). Das ist allerdings tautologisch ausgedrückt, aber es trifft doch den Kernpunkt der Auslegungsfrage. Nicht die rein formale Logik ist allein dafür ent- scheidend, wie weit die Grenzen der einzelnen Ausnahmevorschrift abzustecken sind, sondern der Sinn des gesamten Gesetzeswerkes, der „Geist der Gesetze" ist richtunggebender Wegweiser. Unzweideutig hat es neuerdings der Reichsfinanzhof ausgesprochen : selbst gegenüber klarem Wortlaut ist dem Zweck und der wirtschaftlichen Bedeutung des Gesetzes Geltung zu verschaffen, wenn diese eine von an sich klarem Wortlaut abweichende Auslegung verlangen (R.F.H. 16 S. 64 - Steuer und Wirtschaft IV. Nr. 194).

In Verfolg dieser Auslegungsgrundsätze hat sich der Reichsfinanzhof ein hervorragendes Verdienst zur scharfen, aber nicht formal überengten

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Umgrenzung des Begriffs der „gemeinnützigen" und der „wohltätigen" Zwecke im Sinne des § 3 des Kapital sertragsteuer- gesetzes vom 29. März 1920, und der entsprechenden Begriffe der „ausschliesslich gemeinnützigen oder wohltätigen" Zwecke eines Unternehmens gemäss § 3 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes vom 24. Dezember 1919 (jetzige Fassung vom 8. Mai 1926) erworben. Die Ausführungsbestimmungen (jetzt §§ 29 ff. der Durchführungs- bestimmungen) zum Umsatzsteuergesetz enthalten in fast epischer Breite den Niederschlag dieser Rechtsprechung zwecks Sicherung der einheitlichen verwaltungsmässigen Anwendung im Einzelfalle. Aus der Fülle des dort gesetzgeberisch verarbeiteten Materials, auf das in seiner Gesamtheit verwiesen werden mag, seien nur einige hier interessierende Einzelheiten herausgegriffen.

Ein Unternehmen kann nur dann als ausschliesslich gemeinnützig oder wohltätig und damit als umsatzsteuerfrei anerkannt werden, wenn die Umsätze den Empfängern der gemeinnützigen oder wohltätigen Leistungen unmittelbar zugute kommen (§ 34 Abs. 1 Durch- führungsbestimmungen). Dieses Erfordernis der „Unmittelbarkeit" der Umsätze zwischen den gemeinnützigen oder wohltätigen Unter- nehmen und seinen Destinatären ist in der Tat berechtigt; denn da nach der Absicht des Gesetzes die Umsatzsteuer grundsätzlich auf die Empfänger der Leistung übergewälzt werden soll, so hat es keinen Sinn, Steuerfreiheit für Unternehmen mit solchen Leistungsempfängern eintreten zu lassen, die nicht gleichzeitig Destinatäre der gemein- nützigen Unternehmen, sondern dritte Personen sind. Wenn daher eine evangelische Stadtmission eine Brockensammlung betreibt und die Abfälle durch Verkauf an das Publikum im allgemeinen ver- wertet, so sind diese Umsätze nicht steuerfrei (R.F.H. 5, 65) ; ebensowenig sind es die Schreibarbeiten, die eine Schreibstube ehemaliger Straf- gefangener dem Publikum leistet (R.F.H. 5, 125), oder die Eintritts- und Programmgelder eines an sich als gemeinnützig anerkannten Rennvereins (Steuer und Wirtschaft II Nr. 387). Aber dieses Erfordernis der Unmittelbarkeit gilt selbstverständlich dem Sinne, nicht dem Wort- laut nach. Es muss zwar der Nutzen eines gemeinnützigen Unternehmens unmittelbar beim Leistungsempfänger angestellt werden, aber hierfür genügt es, dass der Nutzen der Allgemeinheit zufällt, wenn er auch vorerst einem anderen Unternehmen erwächst, das seinerseits wie- derum gemeinnützige Zwecke verfolgt. Deshalb sind die Umsätze einer Provinzialwerkstätte an solche Provinzialanstalten, die ihrerseits aus-

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schliesslich gemeinnützige Zwecke verfolgten, für steuerfrei erklärt worden (R.F.H. 5 S. 79), und ebenso diejenigen einer Gesellschaft, die lediglich für den als ausschliesslich gemeinnützig anzuerkennenden „Kriegsausschuss für Ersatzfutter, G. m. b. H." arbeitete (R.F.H. 6 S. 233). Der Begriff der „Unmittelbarkeit" wird, wie hier ergänzend angemerkt werden mag, auch für die Auslegung anderer gesetzlicher Befreiungsbestimmungen mit Nutzen verwandt werden können. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Kapitalertragssteuergesetzes vom 29. März 1920 sind Kapitalbeträge, die den Pensionskassen für Beamte und Angestellte zufliessen, steuerfrei. Mehrfach ist streitig geworden, ob danach auch solche Kapitalbeträge frei wären , die reinen Witwen- und Hinterbliebenen- kassen zugute kämen. Der Reichsfinanzhof hat die Frage zweimal mit der Begründung bejaht (R.F.H. 5, 19, 6, 215) „für Beamte und Angestellte" bedeute sinngemäss soviel wie „zugunsten von" ; und zu- gunsten von Beamten und Angestellten dienten bei der natürlichen moralischen Verpflichtung des Familienhaupts, die Zukunft seiner etwaigen Witwe und verwaisten Kinder tunlichst sicherzustellen, auch die bloss der Versorgung oder Unterstützung dieser seiner etwaigen Hinterbliebenen gewidmeten Pensionskassen, die infolgedessen ent- sprechend seine eigene Entlastung herbeiführten. Die Entscheidung ist fast selbstverständlich, aber die grammatikalisch-doktrinäre Be- gründung klingt nicht gerade überzeugend. Es wäre richtiger zu sagen, dass bei den „Pensionskassen für Beamte und Angestellte" im Sinne der vorgenannten Gesetzesbestimmung allerdings in erster Linie an solche Kassen gedacht sei, deren Leistungen den früheren Beamten oder Angestellten unmittelbar zugute kämen, dass darüber hinaus aber sinngemäss auch solche Kassen mit umfasst seien, deren Leistungen zwar unmittelbar lediglich den Hinterbliebenen der Beamten oder Angestellten, somit aber mittelbar, und zwar in engstem wirtschaftlichen Zusammenhang, auch den Beamten oder Angestellten als solchen zuflössen.

In einer ganzen Reihe von Entscheidungen, die zur Auslegung des Begriffs der „ausschliesslichen Gemeinnützigkeit" ergangen sind, ist ferner die folgende wirtschafts- und sozialpolitisch hochbedeutsame Streitfrage behandelt. Nach § 32 Abs. 2 Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz fehlt es an dieser Ausschliesslichkeit und besteht demgemäss Steuerpflicht, wenn ein Unternehmen eigennützige Zwecke verfolgt oder doch wenigstens in nennenswertem Umfange mitverfolgt: ganz richtig, denn der Gegensatz zur „Gemeinnützigkeit"

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ist die „Eigennützigkeit", und da das Gesetz zur Steuerfreiheit aus- schliessliche Gemeinnützigkeit erfordert, so kann es keineswegs etwa auf den überwiegenden Zweck im Einzelfalle ankommen, vielmehr ist die Steuerbefreiung schon dann zu versagen, wenn überhaupt eigen- nützige Zwecke mit in Frage stehen. Dieses letztere ist z. B. der Fall, wenn eine Privatklinik trotz Beschränkung der Verpflegungskosten auf die Selbstkosten die Grundlage und das Mittel für die ärztliche Praxis bildet (R.F.H. 4 S. 2), und auch Werkküchen und Kantinen- betrieb dienen im allgemeinen der Eigennützigkeit des Unternehmens, nämlich der Erhaltung eines Arbeiterstammes (R.F.H. 5, 40). Dagegen hat es der Reichsfinanzhof abgelehnt, eine ausschliessliche Gemein- nützigkeit bei solchen im öffentlichen Interesse geschaffenen und ohne Reingewinn arbeitenden Unternehmen anzuerkennen, deren Betätigung den freien Handel durch Unterbietung der von diesem erzielten Preise Abbruch zu tun geeignet ist. Die Begründung, die der Reichsfinanzhof dem ersten zu dieser Frage ergangenen Beschluss (vom 15. März 1921, I B 37/21 in R.F.H. 5 S. 194) gab und auf die er in späteren Entschei- dungen wiederholt (so R.F.H. 7, 91; noch jetzt R.F.H. 18 S. 50 u. 20, S. 70) verwiesen hat, ist in ihrem Gedankengang so bezeichnend, dass sie auszugsweise wörtlich wiedergegeben sein mag:

„Der freihändige Ankauf und Weiterverkauf von Nahrungsmitteln kann nicht als ausschliesslich gemeinnützig anerkannt werden. Zwar ist die von der Verkaufsstelle mit dieser Tätigkeit angestrebte Versorgung der städtischen Bevölkerung mit billigen Lebensmitteln an sich zweifellos ein gemeinnütziger Zweck. Diesem Zwecke zu dienen ist aber in erster Linie die Aufgabe des Lebensmittelhandels, der damit seinerseits eine wichtige und unentbehrliche volkswirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen hat und sich kraft der preisregulierenden Wirkung der Konkurrenz unter normalen Verhältnissen dieser Aufgabe auch gewachsen zeigt. Inwieweit unter abnormen Zeitverhältnissen dem Handel diese Aufgabe zu ent- ziehen und öffentlichen Organen zu übertragen ist, ist eine grundsätz- liche Frage von so weitgehender volkswirtschaftlicher und politischer Bedeutung, dass ihre Entscheidung der Gesetzgebung vorbehalten bleiben muss. Demgemäss hat denn auch während der Kriegs- und Nachkriegszeit eine äusserst weitgehende Einschränkung des Handels durch gesetzgeberische Massnahmen stattgefunden. Ob eine über die gegenwärtige gesetzliche Regelung dieser Frage hinausgehende Ein- engung des Handels für die Allgemeinheit förderlich oder schädlich sein würde, mit anderen Worten, ob ein weiter beschleunigter Abbau

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der Zwangswirtschaft zu einer Verbilligung oder einer Verteuerung der Lebensmittelversorgung führen würde, ist eines der schwierigsten und umstrittensten Probleme. Die Steuerbehörden und der Reichsfinanzhof sind nicht dazu berufen, zu diesem Problem in der Form Stellung zu nehmen, dass sie eine andere Regelung dieser Frage, als sie den Ent- scheidungen der gesetzlich zuständigen Behörden entspricht, für gemein- nützig zu erklären hätten. Wenn eine Gemeinde in der Art, wie es hier die städtische Verkaufstelle tut, in die Verhältnisse der Lebensmittel- versorgung eingreift mit dem ausgesprochenen Zwecke, damit zugleich einen Preisdruck auf den freien Handel auszuüben, so wird sie damit allerdings dem Kreise ihrer Gemeindeangehörigen zeitweise den Bezug billiger Lebensmittel in gewissem Umfang ermöglichen. Sie nimmt damit aber gleichzeitig Parteistellung zu der oben angedeuteten volkswirt- schaftlichen Grundfrage. Sie nimmt damit für sich das Recht in An- spruch, einem Erwerbsstand in der ihm gesetzlich freistehenden Be- tätigung Beschränkungen aufzuerlegen, um dem gegenwärtigen Bedürf- nis der Konsumenten ihres Bezirkes dienen zu können. Ob ein solches Vorgehen von einem Standpunkt aus zu billigen ist, der die wider- streitenden Interessen der verschiedenen Bevölkerungskreise, hier des Handels einerseits, der Konsumenten anderseits, im Sinne der Gemein- nützigkeit richtig abwägt, ist eine andere Frage. Würden alle Gemeinden zur Verbilligung der Deckung des Bedarfs ihrer Gemeindeangehörigen deren Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Bedürfnissen des täglichen Lebens unter Verzicht auf eigenen Gewinn in die Hand nehmen, so wäre damit ein Handel in diesen Dingen völlig unmöglich gemacht. Diese Ausführung zeigt, dass sich die hier besprochene Mass- nahme gleichzeitig als eine Einschränkung des freien Handels darstellt. Jeder derartige Eingriff einer öffentlichen Korporation fördert nicht nur die Konsumenten, sondern bezweckt und erreicht gleichzeitig eine Schädigung des Handels, zum mindesten des Detailgeschäfts in den betreffenden Waren. Wenn auch unzweifelhaft damit nur die Bekämp- fung von Uebelständen beabsichtigt ist und die öffentliche Körper- schaft davon ausgeht, dass der den Kleinhändlern durch ihre Massnahme zugefügte Schaden vom Standpunkt der Allgemeinheit aus mehr als aufgewogen wird durch einen unverhaltnismässig grösseren Nutzen, der weiteren Bevölkerungskreisen damit zugeführt wird, so kann doch ein derartiges Eingreifen in die vom Gesetze zugelassene Form der gegenwärtigen Gestaltung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse nicht als gemeinnützig anerkannt werden. Diese Erwägungen ergeben, dass

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eine Befreiung der Gemeinden für die Entgelte, die sie beim Vertriebe von Bedarfsgegenständen in Konkurrenz mit dem freien Handel durch Unterbietung der von diesen geforderten Preise erzielen, auf Grund des § 3 Ziff. 3 des Umsatzsteuergesetzes nicht gefordert werden kann."

Es ist klar, dass die hier eingeschlagene und, wie unten näher zu zeigen ist, fehlerhafte Richtung alsbald bei anderen Fällen zu Zwie- spältigkeiten und Widersprüchen führen musste» Bereits kurz nach dem Ergehen der obigen Entscheidung erklärte der Reichsfinanzhof durch Beschluss vom 23. Juni 1921 (I B 56/21 in R.F.H. 6 S. 240) eine von einer Gemeinde unterhaltene Kindermilchanstalt, deren aus- schliesslicher Zweck auf Versorgung der Kinder aller Kreise der Be- völkerung mit gesundheitlich einwandfreier Kindermilch gerichtet sei, für ein gemeinnütziges Unternehmen, da auch die Entgelte für diese Milch hinter den sonst bei auf Erwerb abzielenden Privatanstalten üblichen Entgelten zurückblieben. Seine Abweichung von der erst- genannten Entscheidung begründete er damit, in dem vorherigen Falle habe es sich um eine Einrichtung gehandelt, die zwar einerseits die Ver- soTgung der Bevölkerung mit billigen Nahrungsmitteln aller Art, ander- seits aber auch die Ausübung eines Druckes auf den freien Handel bezwecke. In der gegenwärtigen Sache aber sei eine Schädigung und Ausschaltung des freien Handels keineswegs bezweckt. Hier handele es sich nur um die Beschaffung einwandfreier Kindermilch zu einem die Kaufkraft der Bevölkerung nicht übersteigenden Preise, um die Säug- lingssterblichkeit zu bekämpfen. Hierdurch werde der Milchhandel im allgemeinen nicht beeinträchtigt, denn dieser vermöge das Bedürfnis der Allgemeinheit nach diesem einzelnen lebensnotwendigen Nahrungs- mittel, das besonderen hygienischen Zwecken diene, in genügendem Masse nicht zu befriedigen, da er insbesondere den minder- bemittelten Klassen diese Milch zu einem ihrer Kaufkraft angemessenen Preise nicht liefern könne!

Ebenso klar, wie hier, tritt in einem weiteren Falle die Zwiespältig- keit in der Entscheidungsreihe zutage. Der Reichsfinanzhof hat nämlich die Kleiderverkaufsstelle einer Grossstadt, die sich auf die Abgabe von Kleidern und Schuhen an Arme und Minderbemittelte der Stadt be- schränke, für ein ausschliesslich gemeinnütziges Unternehmen erklart (R.F.H. 13 S. 210/11). Hier findet sich die seltsam klingende Begründung, gerade die Beschränkung des Unternehmens auf die minderbemittelte Bevölkerung schliesse eine Unterbindung des freien Handels aus und

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nötige nicht, wie in früheren Fällen, deshalb die Gemeinnützigkeit zu verneinen. Eine noch jüngere Entscheidung (R.F.H. 18 S. 41, II A 593/25 vom 17. November 1925) besagt, einer G. m. b. H., die bezweckt, Minderbemittelten die Bestattungskosten zu verbilligen, könne nicht allein um deswillen die Natur einer gemeinnützigen Gesellschaft (im Sinne des § 4 c Kap. Verk.St.G.) abgesprochen werden, weil sie durch ihre Tätigkeit einen Preisdruck auf das freie Gewerbe ausübe. In diesem Falle begründet der Reichsfinanzhof seine abweichende Stellung gegen- über den früher erwähnten Entscheidungen damit, der Eingriff in das Privatgewerbe sei in den damals zur Entscheidung stehenden Fällen durch öffentliche Körperschaften erfolgt und Ausfluss einer Politik gewesen, zu der massgebend Stellung zu nehmen das Gericht ablehnen müsse. Eine allerjüngste Entscheidung (I A 296/26) vom 9. Dezem- ber 1926 R.F.H. Bd. 20 S. 70) gibt nun auch diesen Grundsatz wieder preis. Sie verneint die Frage, dass die üblichen Konsumvereine aus- schliesslich gemeinnützigen Zwecken dienten mit der Begründung :

„Würden die Konsumvereine in ihren Bestrebungen sich mit vollem Erfolg durchsetzen, so würde das zu einer Vernichtung des freien Handels, zum mindesten des Kleinhandels, in vielen Geschäftszweigen führen. Ob die grundsätzliche Sozialisierung des Handels in der von den Kon- sumvereinen vertretenen Form oder der freie Handel oder vielleicht ein Nebeneinanderbestehen von Konsumvereinen und freiem Handel für die Allgemeinheit am förderlichsten ist, muss heute noch als eine offene Frage gelten. Nur wenn die Existenzberechtigung des freien Handels zu verneinen oder so wenig zu veranschlagen wäre, dass sie gegenüber den Vorzügen der Konsumvereine ganz zurücktreten müsste, liesse sich die Anerkennung ausschliesslicher Gemeinnützigkeit der Konsumvereine rechtfertigen."

Dabei spricht die Entscheidung ausdrücklich aus, es könne nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein, ob das Unternehmen, das in Verfolgung des an sich gemeinnützigen Zweckes (sie !) andere berechtigte Interessen schädige, auf behördliche oder private Initiative zurück- zuführen sei. Die Anrufung des Grossen Senat (§ 46 R.A.O.) gegenüber der Entscheidung in R.F.H. 18 S. 49 erübrigte sich diesmal noch aus dem zufälligen Umstand, dass es sich im letzten Falle um die „aus- schliessliche Gemeinnützigkeit" nach§ 5 Abs. 1 Nr.7 des Vermögensteuer- gesetzes vom 8. April 1922, in den vorerwähnten Fällen dagegen um solche im Sinne des Kapitalverkehr-, Kapitalertrag- und Umsatzsteuer- gesetzes handelte.

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In der Zusammenstellung sieht man es deutlich: der einseitig manchesterlich-individualistische und insoweit staatsgegnerische Ge- dankengang der erstgenannten Entscheidung (R.F.H. 5 S. 194) hat bis heute fortzeugend Böses geboren. Zu entscheiden war in allen Fällen die gleichliegende Frage, ob nachweislich ohne Eigennützigkeit, ohne Eeingewinn zugunsten der Versorgung der Bevölkerung oder doch eines grossen nicht abgegrenzten Teiles der Bevölkerung mit lebensnotwen- digen Artikeln arbeitende Unternehmen ausschliesslich gemeinnützigen Charakter haben, und diese Frage war in a 1 1 e n erwähnten und gleich- liegenden Fällen zu bejahen. Gewiss bezweckte ein Teil dieser Unter- nehmen gleichzeitig, einen Preisdruck auf den freien Handel auszuüben, während der andere Teil der Unternehmen zwar nicht ausgesprochener- massen diesen Zweck hatte, naturgemäss aber doch die gleiche Wirkung haben musste. Die an diese Unterscheidung anknüpfende Rechtsprechung ist nicht zu halten. Schon der Gedankengang in der ersten Entscheidung, die Gemeinde habe durch die Errichtung des städtischen Ernährungsamtes in die gesetzlich zugelassene Form der gegenwärtigen Gestaltung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse un- zulässig eingegriffen, enthält die manchesterliche petitio principii, als bedeute die jedermann zustehende, gesetzlich freistehende Erwerbs- betätigung zugleich auch ein Verbot für den Staat und alle staatlichen Körperschaften, insbesondere die Kommunen, sich jeder konkurrierenden Erwerbstätigkeit zu enthalten. Der Reichsfinanzhof war allerdings nicht dazu berufen, darüber zu entscheiden, ob und inwieweit Aufgaben des Handels öffentlichen Organen zu übertragen seien. Aber wenn eine Kommune durch statutarischen, also gesetzlichen Akt in einem Einzelfall diese Uebertragung vorgenommen hatte, so musste auch der Reichsfinanz- hof diesen kommunalgesetzlichen Akt als für ihn massgeblich und bin- dend anerkennen und hatte nur zu prüfen, ob unter Zugrundelegung der Richtigkeit der wirtschaftspolitischen Massnahme der Kommune, über die als solche er gerade kein Urteil zu fällen hatte, das betreffende Unternehmen ausschliesslich gemeinnützigen Zwecken diente. Aus der falschen gedanklichen Einstellung des ersten Beschlusses rühren dann die auffälligen Unterscheidungen in den späteren Begründungen. Dass die Beschränkung eines Unternehmens auf den Kreis der minder-? bemittelten Bevölkerung eine Unterbindung und Beeinträchtigung des freien Handels ausschliesse (so R.F.H. 13 S. 310), klingt beinahe so, als seien die minderbemittelten Kreise auch für lebensnotwendige Bedarfsartikel (Kleider und Schuhe) keine nennenswerten Konsumenten !

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Nach der Entscheidung über die anzuerkennende Gemeinnützigkeit der G. m* b. H., die bezweckt, Minderbemittelten die Bestattungskosten zu verbilligen (R.F.H. 18 S. 49), soll ein gleiches Unternehmen, das durch eine Öffentliche Körperschaft betrieben würde, nicht gemein- nützig sein (S. 51 daselbst)¿ Nun, diese Verwirrung war zu offensichtlich, als dass sie Nachfolge finden konnte, und die aller jüngste Entscheidung (R.F.H.20 S. 70, vgl. oben) lehnt denn auch dieses Kriterium entschieden ab und greift bewusst auf den Gedankengang der ersten Entscheidung (R.F.H. 5 S.194) aus dieser Reihe zurück. Das Ergebnis ist: Die an sich gemeinnützigen Zwecke der Konsumveteine, die keinen Gewerbe- betrieb darstellen, da die Absicht der Gewinnerzielung fehlt (R.F.H. 15 S. 347; jetzt daran festhaltend R.F.H. 20 S. 72 und Nr. 44), sind deshalb nicht ausschliesslich gemeinnützig, weil sie die - als solche nicht beabsichtigte - Nebenwirkung haben oder doch haben können, den freien Handel, insbesondere den Kleinhandel, zu schädigen.

Das Unlogische und volkswirtschaftlich Fehlerhafte dieser Ar- gumentation springt in die Augen. Man scheut sich fast, es auszu- sprechen : Der Reichsfinanzhof verkennt die wirtschaftliche Tatsache, dass zur Befriedigung von fast allen Bedürfnissen in den zivilisierten Ländern mit hochentwickelter Industrie die schärfste Unternehmer- konkurrenz herrscht und dass überall da, wo überhaupt nachhaltige Bedürfnisse auftreten, auch sofort der private Unternehmer und der freie Handel steht. Lücken im Wirtschaftsnetz gibt es so gut wie garnicht ; auch die als ausschliesslich gemeinnützig anerkannte kommunale Kindermilchanstalt (R.F.H. 6 S* 240; vgl. oben) hat selbstverständlich eine schädigende Wirkung auf den lokalen Milchhandel; der Reichö- finanzhof mag getrost die Milchhändler der betreffenden Kommune befragen. Betrachtet man mit dem Reichsfinanzhof den bestehenden Kreis der privaten Unternehmen, insbesondere den freien Handel in seinem gegenwärtigen Umfang, als sakrosankt und unantastbar, so kann es neue, ausschliesslich gemeinnützigen Zwecken dienende Unter- nehmen irgendwelchen Charakters überhaupt nicht mehr geben. Denn es ist klar: jede neue gemeinnützige Krankenanstalt schädigt die be- stehenden Privatkliniken, jedes neue gemeinnützige Erziehungs- und Bildungsinstitut die entsprechenden Privatunternehmen, jedes gemein- nützige Verkehrsunternehmeü die entsprechenden privaten Verkehrs- institute, jedes gemeinnützige Elektrizitätswerk den Privatunter- nehmer gleichen Geschäftszweiges, jedet Konsumverein schliesslich den freien Handel. Oder soll man sagen : Kranken-, Bildungs- und Verkehrs-

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Sozialer Geist in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs. 37

Wesen sind nach heutiger allgemeiner Staats- und wirtschaf tspolitiscker Anschauung öffentlich zu regeln (vgl. Art. 173, 171 R.V.), dagegen ist die Freiheit des Handels und Gewerbes durch die Reichsverfassung ausdrücklich gewährleistet (Art. 151 Abs. 3 E.V.) und damit - ein logischer Sprung - auch ihre Uneingeschränktheit und die Erhaltung in ihrem bisherigen Umfang? Hierauf kommt die Argumentation des Reichsfinanzhofs hinaus, nur lässt sich mit ihr schlechterdings nicht einem ohne Reingewinn und für das allgemeine Beste arbeitenden Unter- nehmen der ausschliesslich gemeinnützige Charakter deshalb absprechen, weil es die vielleicht ungewollte automatische Nebenwirkung hat, das freie Unternehmertum zu schädigen. Vielmehr kann meines Erachtens dieser Charakter nur nach dem inneren Aufbau des gemeinnützigen Unternehmens und seinen wirtschaftlichen Beziehungen zu den Desti- natären, nicht aber nach dem Kriterium einer Nebenwirkung gegenüber dritten Konkurrenten bestimmt werden.

Kulturpolitisch begrüssenswert und von sozialem Geist getragen ist der folgerichtig durchgeführte Standpunkt des Reichsfinanzhofs, dass die „Gemeinnützigkeit" im Gegensatz zur „Wohltätigkeit" nicht lediglich Bedürftige und durchaus minderbemittelte Empfänger der Leistungen des Unternehmens voraussetze. Deshalb kann auch bei gegebenen sonstigen Voraussetzungen die mensa aca- démica einer Universität (R.F.H.6, 41), eine Mittelstandsküche (R.F.H. 4, 141), eine klösterliche Erziehungsanstalt ebenso gut wie das Töchter- heim eines evangelischen Pfarrvereins (R.F.H. 5, 123; 6, 348) als aus- schliesslich gemeinnützig anerkannt werden. Gemeinnützig sind in diesem Sinne nicht nur die Zwecke eines im öffentlichen Interesse unterhaltenen städtischen Theaters (R.F.H. 6, 290; jetzt durch § 30 Abs. 1 Satz 2 Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz gesetzlich fest- gelegt), sondern auch ein nicht auf Gewinn und Ueberschuss arbeitender Tiergartenverein (Zoologische Gesellschaft in Hamburg, R.F.H. 4, 150) verfolgt einen gemeinnützigen Zweck. Der Zweck eines Gesangvereins, den deutschen Männergesang zu pflegen und deutsche Gesinnung und Vaterlandsliebe zu kräftigen, ist ausschliesslich gemeinnütziger Natur; der weitere Zweck eines solchen Vereins, freundschaftliche und gesellige Beziehungen unter den Mitgliedern anzubahnen und zu unterhalten, ist es naturgemäss nicht. Entscheidend kommt es hier auf den Haupt- zweck des Unternehmens an (R.F.H. 12 S. 308). Immer aber ist zur Anerkennung der ausschliesslichen Gemeinnützigkeit eines Vereins erforderlich, dass er seine Zwecke uneigennützig betreibt. Hieraus

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ergibt sich aber nicht, dass er seine Darbietungen unentgeltlich gewähren muss; er kann vielmehr auch Entgelte erheben, die nicht vollständig oder nur gerade dazu ausreichen, seine Selbstkosten zu decken (R.F.H. 8, 339, zu § 35 Abs. 1 Ziff. 2 des Erbschaftssteuergesetzes von 1919; auch für das Umsatzsteuerrecht passend).

Von gleichem Geist beherrscht sind diejenigen Entscheidungen des Reichsfinanzhofs, die zu den Begriffen der „Erwerbsunfähigkeit", „Bedürftigkeit" und „Minderbemitteltheit" ergangen sind, sofern diese Begriffe in den einzelnen Gesetzen nicht bereits bindend festgelegt sind (wie z. B. die „Bedürftigkeit" und „Minderbemitteltheit" im Gesetz vom 16. Juli 1925 über die Ablösung öffentlicher Anleihen §§ 19, 47 das.). So kann die unter gewissen weiteren Voraussetzungen nach § 33 Abs. 1 Nr. 4a des Erbschaf tssteuergesetzes vom 10. September 1919 zur Steuer- befreiung führende Erwerbsunfähigkeit schon bei „beträchtlicher Min- derung der Erwerbsfähigkeit" als gegeben anzuerkennen sein (R.F.H. 8 S. 296), und es kann aus der Fähigkeit einer Erwerberin, ihren und ihrer Kinder Haushalt zu führen, nicht ohne weiteres a,uch die Fähigkeit zur Ausübung eines erwerbstätigen Berufs abgeleitet werden, vielmehr kann eine solche Hausfrau infolge körperlicher Gebrechen sehr wohl in ihrer Erwerbsfähigkeit stark beschränkt und damit im Sinne der genannten Gesetzesbestimmung als „erwerbsunfähig" zu betrachten sein. Dass ein „kleines Vermögen" eine „Bedürftigkeit" nicht aus- schliesst, hat der Reichsfinanzhof bereits 1919 zu § 56 des Erbschafts- steuergesetzes vom 3. Juni 1906 ausgesprochen (R.F.H. 1 A S. 35); diese Entscheidung dürfte auch für sonstige gesetzliche Bedürftigkeits- grenzen beachtlich sein. Nicht zweifelhaft ist es, dass Lehrer „Minder- bemittelte" gemäss § 8 Abs. 1 Nr. 9 Grunderwerbssteuergesetz sein können (R.F.H. 16 S. 326); schon in einem früheren Erlass vom 21. Fe- bruar 1921 hat der Reichsminister der Finanzen die mittleren Beamten schlechthin zu den Minderbemittelten gerechnet (zitiert in R.F.H. 19 S. 73). Eine jüngste Entscheidung (R.F.H. a. a. 0.) lehnt ausdrücklich die Auffassung ab, als müsse die infolge des verlorenen Krieges und des Währungsverfalls eingetretene allgemeine Verarmung der Bevölkerung des Deutschen Reiches dazu führen, auf Grund eines Vergleichs zwischen den wirtschaftlichen Verhältnissen der einzelnen Bevölkerungs- klassen die zwischen Minderbemittelten und Bemittelten zu ziehende Grenze an einen entsprechend niedrigeren Einkommens - und Ver- mögensbetrag zu knüpfen; die allgemeine Verarmung habe vielmehr nur die Wirkung, dass der zu den Minderbemittelten zu rechnende Teil

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der Bevölkerung sich erheblich vergrössert habe. Den Massstab für den Grad der „Minderbemitteltheit" entnimmt hienach der Reichsfinanzhof dem allgemeinen materiellen Kulturniveau der zivilisierten Welt, und das ist durchaus richtig : so weit sind wir trotz des Vertrages von Versailles denn doch nicht heruntergekommen, dass wir unseren Lebens- standard, sklavisch und knechtisch, lediglich an dem Massstab des uns aufgezwungenen materiellen Elends zu messen vermöchten.

Wenn ich noch mit einem Wort auf die mannigfachen, aber durchweg von echt sozialem Geist erfüllten Entscheidungen hinweise, die der Reichsfinanzhof zu den steuergesetzlichen Privilegien für die Förderung des Kleinwohnungsbaues und -erwerbes gefällt hat (so R.F.H. 11 S.78; 13 S. 37 ; 19 S. 341 zu § 29 des Reichssiedlungsgesetzes vom 7. Juni 1923 ; ferner R.F.H. 16 S. 182; 16 S. 326; 17 S. 198; 19 S. 278 zu § 8 Abs. 1 Nr. 9 des Grunderwerbssteuergesetzes ; R.F.H. 17 S. 200 zu §59 Abs. 1 Ziff. 6 und Abs. 3 Einkommensteuergesetz vom 29. März 1920 u. a. m.), so bin ich mir gleichwohl bewusst, einen lückenlosen Ueberblick über sämtliche hier heranzuziehende Entscheidungen nicht haben geben zu können. Aber die eingangs aufgestellte These, dass es auch in der höchstrichterlichen, der reinen Revisionsinstanz mit lediglich logischer Interpretation der Gesetze und blossem juristischen Fachwissen nicht getan ist, beweisen die ausführlicher besprochenen Entscheidungen zur Genüge. Das Fachwissen ist freilich dort wie in der Verwaltung die unentbehrliche Grundlage und Voraussetzung, aber zum vollwertigen Richter und Verwaltungsbeamten ist m e h r nötig : Allgemeinbildung, Kulturqualität im umfassendsten und tiefstgehenden Sinne. Es scheint mir nicht unwichtig, dieses Moment in einer Zeit des unaufhaltsamen Umsichgreifens der Bürokratisierung und der dadurch überall zu- nehmenden Bedeutung des Fachwissens (vgl. Max Weber, Grundrissder Sozialökonomik, III. Abt. Kap. VI S.677. Tübingen 1922) auch bei dieser Gelegenheit hervorzuheben. Vielleicht hat das niemand mit schöneren Worten ausgesprochen als schon seinerzeit Wilhelm v. Humboldt:

„Nichts ist so wichtig bei dem Beamten, als welchen Begriff er eigent- lich nach allen Richtungen hin von der Menschheit hat, worin er ihre Würde und ihr Ideal im ganzen sieht, mit welchem Grade intellektueller Klarheit er hierüber denkt, mit welcher Wärme er empfindet, welche Aus- dehnung er dem Begriff der Bildung gibt, welche Achtung er vor den niederen Volksklassen hegt, ob er Erziehung und Religion eine bildende Kraft zutraut, wie es endlich mit seinem Glauben an die Umgestaltung seiner Nation steht."

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