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State of the art - Psychodynamische Aspekte bei depressiven Störungen Wolfgang Söllner Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, Klinikum Nürnberg

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State of the art -Psychodynamische Aspekte bei depressiven Störungen

Wolfgang Söllner Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, Klinikum Nürnberg

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Übersicht

� Verschiedene Formen der Depression� Konzepte zur Ätiologie� Was ist neu in der Behandlung?� Konsequenzen für die Psychodynamische Behandlung

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Verschiedene Formen der Depression

„Ätiologische“ Einteilung:� Endogene Depression� Neurotische Depression

Phänomenologische Einteilung (ICD-10, DSM-IV):

� Episodisch verlaufende Depressionen� unipolar (eine Episode,

rezidivierend)� bipolar

� Chronisch verlaufende Depressionen (>2 J.)� Chronifizierung nach episod.

Verlauf� Primär chronisch (Dysthymie,

Zyklothymie)

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Kriterien für depressive Episode

Psychische Beschwerden:• Niedergeschlagenheit, Weinen• Interesse- und Lustlosigkeit• Reizbarkeit• Gefühl der Gefühllosigkeit• Hilflosigkeit• Hoffnungslosigkeit• Pessimist. Gedankenkreisen• Selbstwertprobleme• Schuldgefühle• Suizidgedanken• Sozialer Rückzug

Körperliche Beschwerden:• Antriebslosigkeit, Müdigkeit

tagsüber• Appetitlosigkeit oder

Appetitzunahme• Gewichtsverlust oder

Gewichtszunahme• Schlafstörung • Konzentrationsstörung• Libidoverminderung

Mindestens 5 der folgenden Symptome (mind. 2 Leitbeschwerden)mit täglicher Beeinträchtigung über mind. 2 Wochen

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Major und Minor Depression(DSM-IV)

> 5 SymptomeMajor Depression

leicht:2 Leitsy + 3 Zusatz-Sy

mittel:2 Leitsy + >3 Zusatz-Sy

schwer:2-3 Leitsy + >4 Zusatz-Syev. psychotische Sy.

< 5 SymptomeMinor D., depressiveAnpassungsstörung

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Differentialdiagnose

Organische Erkrankung:• Neurologische Erkrankungen:

Multiple Sklerose, M. Parkinson, Hirntumor, beginnende Demenz (CT, MRT)

• Endokrinologische Erkrankungen (Schilddrüsenfunktion)

• Anämien (Blutbild)• Immunologische Erkrankungen

(Prodromalstadium einer Autoimmunerkrankung)

• Vorbote einer schweren körperlichen Erkrankung (z. B. Pankreas-Ca)

Psychische Erkrankungen:• Depress. Anpassungsstörung

• Reaktion auf belastendes Ereignis

• Hilf- und Hoffnungslosigkeit• häufig Angst und Depression

gemischt• erfüllt nicht die Kriterien einer

depressiven Episode• Dauer selten länger als 6 Mo

• Generalisierte Angststörung• Substanzmissbrauch• Persönlichkeitsstörung• Psychose (schizoaffektiv,

Residualzustand)

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Depressive Störungen: Prävalenz

Lebenszeitprävalenz:• 5-10% alle depressiven

Störungen (ohne subklinische)• 4% depressive Episoden• 2% Dysthymien• 1% bipolare Störungen

• D: 4 Mio. Menschen• weltweit > 100 Mio.

Wittchen et al. 1992

0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

Taiwan D USA

6-Monat Lebenszeit

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Depression: Verlauf

Verlauf:� 15% nur eine Episode� 50-75% mehrere

Episoden� Ø 4 bei unipolarer D.� Ø 6 bei bipolarer D.

� 10-15% chronischer Verlauf (>2 Jahre)

Suizid:� Suizid Ø 4%; bei

schweren D. 8-13%

Picinelli & Wilkinson 1996, Volk et al. 1998, Linden et al. 2003

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Depressive Störungen: Gesicherte Risikofaktoren

� Frauen (OR 2-3)� Jüngeres Alter� Depression in der Familie

(Verwandte 1. Gr.: OR 1.5-3)� Chron. körperliche Erkrankung� Substanzmissbrauch� Belastende Lebensereignisse

(Verluste)� Unbewältigter chron. Stress� Mangelnde soziale

Unterstützung� Städtische Umgebung� Niedriger sozioökonom. Status

RF für Rezidive und Chronifizierung:

� Zahl und Schwere der Episode(n)

� vorhergehende Dysthymie� begleitende Angsterkrankung� Persönlichkeitsstörung� unzureichende Behandlung

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Ätiologie: Somatische Modelle

� Genetische Hypothese: Hinweise für polichromosomale Störung insbes. bei bipolarer Störung (Chromosome 18, 4 und 21)

� Transmitterstörung: Mangel an Bioverfügbarkeit von Noradrenalinbzw. Serotonin (aber auch Dopamin, GABA und Glutamat) in best. Hirnarealen (Präfrontaler Cortex, Basalganglien, medialer Thalamus, Hippocampus, Amygdala etc.)

� Neuroendokrine Störung:Dysregulation (Überaktivität) derHypothalamus-Hypophysen-NNR-Achse

Immunologische Störung:Sickness Behaviour

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Ätiologie: Psychologische Modelle

� Folge einer unzureichenden Verarbeitung von belastenden Life events und chronischem Stress� Life-event Studien (Brown & Harris 1980, Katschnig 1989)

� Frühkindliches Defizit an emotionaler Zuwendung und Sicherheit� Reaktion des Kleinkindes auf prolongierte Trennung: Protest -

Verzweiflung - Distanzierung, depressiver Affekt (Bolwby 1969)

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Ätiologie: Psychodynamische Modelle1. Autoaggressionshypothese

� K. Abraham (1912), S. Freud (1917): � Gegen das Selbst gerichtete Aggression, wenn eine intensiv

ambivalent besetzte „Objektbeziehung“ verloren geht; � Spaltung und Verschmelzung eines Teils des Selbst mit dem

internalisierten „Objekt“ („Regression der Libido in das Ich“)� Todestriebmodell

� M. Klein (1940), E. Jacobson (1971): � Frühes Spaltungsphänomen: Säugling erlebt Beziehung zur

Mutter idealisierend und aggressiv-verfolgend; beide Aspekte werden internalisiert und dadurch Schuldgefühle (strenges verfolgendes Über-Ich) und permanente Ambivalenz ausgelöst

� (Realer) Verlust des „Objekts“ wird ubw. als Folge der eigenen Aggression phantasiert - Folge sind anhaltende Schuldgefühle und Depression

� Benedetti (1987): Abhängigkeit - Autoaggressivität - gestörte Idealbildung

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Ätiologie: Psychodynamische Modelle2 Narzisstischer Mechanismus

� Primär narzisstische Wunde in der Kindheit, spätere narzisstische Kränkung (Wisdom 1967)

� Depressiver Affekt = „Antwort auf den Verlust externer und interner guter Objekte“ (Kernberg 2000)

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MultifaktoriellesModell

Weitere LE undDistress

Genetische Faktoren

Vulnerabilität

Chronifizierung

Rezidiv

Kindheit: Verluste, unsichere Bindung,destruktive innere Objekte

Unbewältigte belast. LE (Verluste) und chron. Distress

Beziehungsdysfunktion

Veränderung desVerhaltens

Depression

Hormonelle und immunolog. Faktoren

Körperl. Erkrankung

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Therapie: Ziele

Ätiologisch� ?

Symptomatisch:Körperlich:� Transmitterstörung

beeinflussen � Endokrinolog. Stress-

dysregulation beeinflussen

Psycho-sozial:� Aktivität fördern� Dysfunktionale Kognitionen

verändern� Ungünstige Affektdisposition

verändern� Ungünstige

Beziehungsdisposition verändern

� Intrapsychische Folgen von Traumata bearbeiten

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Depression: Anzahl von Publikationen zur Therapie 1994-2004

2300

25050 100

0

500

1000

1500

2000

2500

Allg KVT PDT IPT

(nach Schauenburg 2005)

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Psychotherapeutische Grundhaltung bei akuter Depression

� Ernstnehmen� Entstigmatisieren� Entängstigen� Befindlichkeit und Gefühle ansprechen� Ausdruck von Gefühlen fördern� Negative Kognitionen (pessimistisches Gedankenkreisen,

Selbstwertzweifel) aufgreifen, klären, verändern� Suizidgedanken ansprechen� Sich auch dem Positiven zuwenden, Ressourcen klären� Perspektiven eröffnen

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Pharmakologische Behandlung: Substanzen

� Trizyklika: bei körperlich Kranken wg. Nebenwirkungen Mittel 2. Wahl (anticholinerg, sedierend, Gewichtszunahme, kard. Reizleitungssystem, Glaukom)

� SSRI: Mittel 1. Wahl, insbesondere Med. die weniger mit anderen Pharmaka interagieren (Cytochrom P450-Isoenzyme): Citalopram, Sertralin

� SNRI: Mirtazapin, Venlafaxin, gute Wirkung, Interaktionen weniger gut untersucht

� Hypericum (Johanniskraut): leichte bis mittelschwere Depression; aber cave Interaktionen (z. B. mit Cyclosporin, Theophyliin, HIV-Medikamenten)

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Pharmakologische Behandlung: Prinzipien

� einschleichend dosieren� ausschleichen!� über NW informieren� Erhaltungstherapie: nach 1. Eisode 4-6 Monate; selbe

Dosierung die zur Remission führte� Rezidivprophylaxe: nach 2./3. Episode 2 Jahre

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Psychotherapeutische Behandlung: Methoden 1

Verhaltenstherapie: Lehwinson et al. 1974� Ziele: Förderung der Aktivität, Verminderung des sozialen Rückzugs� Methoden: Stimmungs- und Aktivitätstagebuch, Aktivitätstraining,

Training der sozialen Kompetenz und der Problemlösungsfähigkeit

Kognitive Therapie: Beck et al. 1967, Hautzinger et al. 1992� Ziele: Veränderung der erlernten Hilflosigkeit, Kognitionen und

Gefühle der Wertlosigkeit� Methoden: Analyse dysfunktionaler Kognitionen, Prüfung an der

Realität („sokratischer Dialog“), Erarbeitung alternativer Kognitionen

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Psychotherapeutische Behandlung: Methoden 2

Interpersonale Psychotherapie (IPT): � Anerkennung der D. als Krankheit und der Krankenrolle des

Patienten (Edukation)� Fokus auf depressive Symptomatik und deren Bewältigung� Strategien zur Bewältigung interpersoneller Probleme (Trennung,

Trauer, soziale Rollenkonflikte oder -veränderungen)

Psychoanalytische bzw. psychodynamische Psychotherapie: � zielt auf Klärung, Interpretation und Durcharbeiten bew. und ubw.

interpersonaler und intrapsychischer Konflikte bzw.� frühe Traumatisierung und „Objektverluste“� Analyse der Übertragung in der therapeutischen Beziehung� Einsicht, Konfliktbewältigung, Veränderung von Beziehungsmustern

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Psychotherapeutische Behandlung: Prinzipien

� Anpassung der Therapie an die Schwere und an die Phase der Depression (akut - nach Stabilisierung -Remission)

� Suizidalität klären� Information über die Erkrankung� Klaren Therapieplan erstellen

� Ambulante oder (teil-)stationäre Therapie� Monotherapie oder Kombinationstherapie� Kooperation mit Arzt, Psychiater

� Einbeziehung Angehöriger (zumindest in Akutphase)

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Psychotherapeutische Behandlung: Akutphase

� Fokussierung auf aktuelle Situation

� Therapie der Kernsymptome(Rückzug, Aktivitäts-minderung, Stimmung)

� Ermutigung zu aktiven Strategien der Krankheits-verarbeitung (lösungsorientiert)

� Aktives Ansprechen der individuellen und sozialen Ressourcen (Stärken) des Patienten

� Angstvermindernde Techniken� Vorsichtige Techniken, um den

Ausdruck von Gefühlen zu fördern: ev. Kombination mit non-verbalen Techniken

� Komb. mit Gruppentherapiesinnvoll (social support)

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Psychotherapie: nach Stabilisierung

Stabilisierungsphase:� Bearbeitung ungünstiger

Kognitionen� Bearbeitung ungünstiger

Beziehungsmuster� konkrete Problemlösung� Steigerung von

Kompetenz und Selbstwirksamkeit

Remission:� Fortsetzung der Therapie

nach Stabilisierung der D.� Bearbeitung (früher)

Traumata und konflikthafterambivalenter Beziehungsmuster

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Interpersonale Psychotherapie(Klerman & Weissman 1984, Schramm 1996)

• Pragmatischer Ansatz speziell zur Behandlung (akuter) depressiver Störungen

• Wurzeln: Interpersoneller Ansatz in der psychodynamischen Therapie (H. S. Sullivan)

• Fokus auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und deren Zusammenhang mit der Symptomatik

• Behandlung „im Hier und Jetzt“, auf bewusster kognitiver Ebene

• Kurztherapie 12-20 Sitzungen• Unterschied in therapeutischer Strategie, nicht in der Haltung

und der Technik

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Interpersonale PsychotherapieBehandlungsstrategien

Anfangsphase:� Anerkennung der D. als

Krankheit; Symptome werden ausführlich besprochen

� Anerkennung der Krankenrolle des Pat.

� D. in den interpersonellen Kontext bringen

� Problembereicheidentifizieren

� Konzept der IPT erklären und Therapievertragabschliessen

Mittlere Phase:� Verluste bearbeiten:

Trauerprozess fördern, Hilfe neue Interessen und Beziehungen aufzubauen

� Interpers. Konflikteidentifizieren, Erwartungen u/o gestörte Kommunikation verändern

� Rollenwechsel: Verlust der alten Rolle betrauern, neue Rolle akzeptieren lernen

� Soziale Isolation verringern

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Interpersonale PsychotherapieBehandlungsstrategien und -technik

Endphase:� Nahendes Ende ausführlich

besprechen� Abschiednehmen� Gefühl für Autonomie stärken

Techniken und ther. Haltung� Exploration� Analyse der Kommunikation � Klärung� Ermutigung zu

Gefühlsäußerungen� Einsatz der therapeutischen

Beziehung im supportiven Sinn� grössere Aktivität des

Therapeuten� keine genetischen oder

Übertragungs-Deutungen

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Psychoanalytische bzw. psychodynamische Therapie

Psychoanalyse (Klassisches Verfahren)

� Zurückhaltung und „Abstinenz“ des Therapeuten

� Fokus auf die Persönlichkeitsveränderung und die Gestaltung der therapeutischen Beziehung und nicht auf die Reduktion der aktuellen Symptomatik

� Langzeittherapie

Psychodynamische Therapie (Tiefenpsychologisch fundierte Therapie, Fokaltherapie, Malan1979, Strupp 1982, Luborsky1984, Klüwer, Lachauer)

� Fokus auf Symptomatik und auf den „zentralen Beziehungskonflikt“

� Aktivere Haltung des Therapeuten

� zumindest am Beginn weniger konfrontierend, angstreduzierend

� Kürzere Dauer (25-80 Sitz.)

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Psychodynamische Therapie: Indikation und Kontraindikation

Klassisches VerfahrenIndikation:� chron. Depression, Dysthymie � begleit. Persönlichkeitsstörung� frühe Traumata� Reflexionsfähigkeit

(„psychological mindedness“, Horowitz 1994)

Kontraindikation:� Akutphase � psychotische Depression� bipolare Depression

Fokussierte psychodynam. Therapie

Indikation:� wie klassisches Verfahren� bei entsprechender

Fokussierung auf die Symptomatik auch in Akutphase

(relative) Kontraindikation:� psychotische Depression� bipolare Depression

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Psychodynamische Therapie: Behandlungsphasen nach Benedetti

� Phase der Abwehr, der Negativität, der Ablehnung von Hilfe (Akutphase)

� Phase der Öffnung: Beginn der Suche nach dem grundlegenden Konflikt

� Phase der Reflexion: eigentliche tiefenpsychologische Arbeit; „eigene Beteiligung“ an der Symptombildung

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Psychodynamische Therapie: Probleme im therapeutischen Prozess

� Negative therapeutische Reaktion

� Gegenübertragungs-probleme:� Gefühle von Ohnmacht,

Hilflosigkeit und Ärger� führen zu Machtkampf,

Distanzierung oder Überaktivität

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Psychotherapie: Wirksamkeit

Metaanalyse von Westen & Morrison, J Consult Clin Psychol 2001;69:875-99

� alle RCTs <= 20 Sitzungen!� 51% nach abgeschlossener

Therapie gebessert� 37% gebessert bei intent to

treat� nach 1-2 Jahren keine

Konstanz der EffekteKritik von Lambert (JCCP 2001):� Ergebnisse besser und

überdauernder

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Psychotherapie: Wirksamkeit

� Methode: 0-5%� Spezielle Techniken: 0-5%� Arbeitsbündnis: 5%� Allegiance*: 10%� Person d. Therapeuten: 6-9%� Faktoren ausserhalb Th: 70%

Bruce Wampold: The GreatPsychotherapy Debate 2001

* Überzeugtheit des Therapeuten

� Unspezifische Faktoren: 30%� Erwartung (Plazebo): 15%� Methode/Techniken: 15%� Faktoren ausserhalb Th: 40%

Lambert & Barle

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Vergleich Pharmako- mit Psychotherapie:NIMH Depression Study (akute D.)

Elkin et al., Arch GenPsychiatry 1989;46:971-82

� KVT vs. IPT vs. AD vs.Plazebo

� Leichte Depression: KVT ist den anderen Verfahren überlegen

� Schwere Depression (HAMD>20): AD überlegen

Blatt et al., J Consult Clin Psychol 1996;64(1):1276-84

� Erfolgreicher waren Therapeuten, die eher ein „psychologisches Bild“ der Depression hatten, längere Therapien befürworteten und Psychotherapie als erfolgreicher einschätzten als AD (Alliance!)

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Vergleich Pharmakotherapie und Psychotherapie

Kool S & Decker (J Aff Dis 2002, Br J Psychiatry 2004)

� 2 3-armige RCTs� Patienten: MD, HAMD-

Score<20, nicht suizidal� Psychotherapie: 8 bzw. 16

Sitzungen, störungsspezifisch, psychodynamisch,manualisiert, Tonband, 2-wöchentl. Supervision

� Med. Therapie: SNRI>SSRI>TCA

� Kombinationstherapie

Erfolgsraten:� Psth=Komb>Med� Psth: 8 = 16 Sitzungen� Psth besser akzeptiert

(weniger drop-outs)

% gebesserte Patienten

01020304050607080

PatientTherapeut

HAMDSCL-90

Med

Psth

Komb

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Vergleich Psychodynamische Therapie -Kognitive Verhaltenstherapie

Metaanalyse bei akuter DepressionLeichsenring, Clin Psychol Rev 2001;21:401-19� alle RCTs inkludiert, die mindestens 13 Sitzungen und mind. 20

Patienten je Gruppe umfassten� kein Unterschied gefunden

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Psychotherapie: Wirksamkeit

� „different kind of folks need different kind of strokes“� Patienten mit komorbider Persönlichkeitsstörung haben sign.

schlechtere Ergebnisse: schizoid> borderline> vermeidend> zwanghaft (Grilo et al., JCCP 2005;73:78-85)

� Frühe Interaktionserfahrungen beeinflussen Bindungsverhalten und Persönlichkeit und diese das Depressionsrisiko und die Wirksamkeit von PT

� Hypothese: Abhängige und altruistische Persönlichkeit reagieren besser auf PT, narzisstische und schizoide Persönlichkeiten besser auf AD (Luyten et al. 2005)

� Bei stationärer PT: „Vermeidender Typ“ erzielt bessere Ergebnisse in Gruppentherapie als „verstrickter Typ“ (Schauenburg et al. Z Gruppendyn Gruppenther 2001;37:337-48)

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Verhinderung von Rückfällen

Protektive Faktoren:� Wissen um eigene adaptive

MechanismenElkin et al. 1989

Erhaltungstherapie:� AD: 70% Reduktion des RF-

Risikos� PT > AD

Evans et al., Arch Gen Psychiatry1992;49:802-9

Schauenburg & Clarkin, Z Psychosom Med Psychother 2003;49:377-390

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Kombination von Pharmako- und Psychotherapie: Indikationen

� Schwere der Depression:� Indikation für Kombination v. a. bei mittelschwerer D.� leichte D.: (zunächst) Psychotherapie allein� schwere bzw. psychotische D.: (zunächst) somatische Therapie

+ psychosoziale Grundversorgung allein � ausgeprägte somatische Symptome (Konzentrationsstörung,

Schlafstörung)

� Unzureichender Therapieerfolg mit einer Methode allein� Prolongierte Episoden, Chronifizierung� Wunsch des Patienten

Schramm 2003

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Besonderheiten der Kombination vonPharmako- und Psychotherapie

Durch den selben ärztlichen Therapeuten

� erfordert Kompetenz in beiden Bereichen

� Vorteile in Akutphase � beeinflusst die Übertragungs-/

Gegenübertragungsbeziehung � Ev. ritualisierte Trennung in

therapeutischer Sitzung

Durch verschiedene Therapeuten

� Abstimmung/Kooperation erforderlich

� Problem: Suizidalität� Vorteile in Remissionsphase

Keine negativen Interaktionen in empirischen Untersuchungen nachgewiesen– Med. Behandlung führt nicht zu Abbruch der Psychotherapie– Höhere Akzeptanz der Behandlung (Weissman & Klerman 1990)

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Kombination Pharmako- Psychotherapie:Metaanalysen bei akuter Depression

Thase, Arch Gen Psychiatry 1996;54:1009-15� Kombination den Einzelbehandlungen überlegenHegerl et al., Eur Arch Psych Clin Neurosci 2004;254:99-107� Kombination den Einzelbehandlungen bei älteren Patienten

überlegendeRubeis et al., Am J Psychiatry 1999;156:1007-13� Kombination den Einzelbehandlungen nicht überlegenFrank et al., J Clin Psychiatry 2000;61(1):51-57� Beste Ergebnisse bei sequentiellem Vorgehen; primär PT, bei

unzureichender Remission nach 6-8 Wo AD Fava et al., Psychother Psychosom 2002;71:195� Beste Ergebnisse bei sequentiellem Vorgehen; primär AD, bei

unzureichender Remission nach 6-8 Wo PTLeff et al., Br J Psychiatry 2001;177:95-100� Ergänzende Paartherapie ist ergänzender Medikation überlegen

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Sequentielle Therapie

Schwere Depression:� Akutphase:

Pharmakotherapie� Nach 3 Monaten Assessment� Psychotherapie der

Residual-Sy (Angst, Stimmungsschwankungen)

� Langsames Ausschleichen der Medikamente nach Remission

� Psychotherapie und Lebensstilmodifizierung

� Medikamente absetzen� Nach 3 Monaten gründliches

AssessmentFava et al., Psychother Psychosom

2002;71:195

Leichte Depression:� Akutphase: Psychotherapie� Nach 6-8 Wochen Assessment� Bei unzureichender Remission

Pharmakotherapie

Frank et al., J Clin Psychiatry2000;61(1):51-57

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Psychotherapie: Neurobiologische Subtypen

� Resignierter Subtyp: chronische Unterfunktion des ACC� PFC-Subtyp: hilfloses Erleben der Selbst-Ideal-

Diskrepanz, bessere Prognose

Davidson et al., Ann Rev Psychol 200?;53:545-74

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Neue Psychotherapieformen

� Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf): Förderung hinsichtlich struktureller Schwächen

� Mindfulness-based Therapy (Seagal, Teasdale): bes. Augenmerk auf Steigerung der Selbstachtsamkeit; Anleihen beim Zen-Buddhismus

� Cognitive Behavioral Analysis System ofPsychotherapy (McCullough, Keller et al., NEJM 2000;342:1462-70): direkter, strukturierter, aber auch interaktionell, auf positive Übertragung ausgerichtet; in Kombination mit AD erfolgreich bei chron. Depression

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Zusammenfassung 1

� Es gibt verschiedene Arten von Depressionen mit unterschiedlichem Verlauf

� Depression ist eine multifaktoriell bedingte Erkrankung (psychosomatisch-somatopsychisches Kontinuum)

� Die Behandlung muss der Schwere und der Phase der Depression angepasst sein

� In der Akutphase muss die Therapie strukturiert sein und auf die Kern-Symptome der D. fokussieren (störungsspezifisch)

� Die Therapie soll ressourcenorientiert sein

Page 46: State of the art - Psychodynamische Aspekte bei ... · PDF fileWolfgang Söllner, Nürnberg Übersicht Verschiedene Formen der Depression Konzepte zur Ätiologie Was ist neu in der

Wolfgang Söllner, Nürnberg

Zusammenfassung 2

� Psychotherapie scheint bei leichten und mittelschweren D. gleich wirksam wie Pharmakotherapie zu sein

� Bei schweren D. Pharmakotherapie unverzichtbar� Eine Kombinationstherapie scheint - insbesondere als

sequentielle Therapie - der Einzeltherapie überlegen zu sein

� Mit einer modifizierten psychodynamischen Therapie werden in der Akut- und Erhaltungsphase ebenso gute Ergebnisse erzielt wie mit der KVT und der IPT