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6. HolzBauSpezial Bauphysik HBS 2015
Statik versus Schallschutz | D. Müller
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Statik versus Schallschutz
Daniel Müller
PIRMIN JUNG Büro für Bauphysik AG
CH-Rain
6. HolzBauSpezial Bauphysik HBS 2015
Statik versus Schallschutz| D. Müller
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Statik versus Schallschutz | D. Müller
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Statik versus Schallschutz
1. Einleitung
Bauingenieure/innen betrachten bei der Tätigkeit das Tragwerk eines Gebäudes, wobei
insbesondere die Bemessung von Bauteilen, Lastabtragungen, Aussteifungen, Auflagersi-
tuationen im Vordergrund stehen. Die Nachweisführung erfolgt aufgrund von berechne-
ten Spannungen in Gegenüberstellung mit statistisch ermittelten Festigkeits- und Steifig-
keitseigenschaften der einzusetzenden Materialien. Bauphysiker/innen ermitteln die
Schalldämmwerte von Bauteilen ebenso mit Steifigkeitswerten, Massen und Schalenab-
ständen. Die Aussage erfolgt anschliessend über einen Vergleich mit dem definierten
Anforderungswert.
Das Vorgehen beider Disziplinen scheint auf den ersten Blick ähnlich.
Vorgehen Statiker/innen Vorgehen Akustiker/innen
Auch wenn diese beiden Vorgehensweisen ähnlich sind, ist die Aussage eine ganz andere.
Während es sich im Nachweis des Tragwerkes in erster Linie um die Standfestigkeit eines
Gebäudes handelt, geht es im Schallschutz primär um das Zufriedenstellen von Komfort-
bedürfnissen. Natürlich spielt der Komfortanspruch auch bei der Statik beim Nachweis
der Gebrauchstauglichkeit eine Rolle. Umgekehrt kann beim Schallschutz auch die
Gesundheit gefährdet sein, wenn sich der Lärm im Übermass auswirkt.
Die Ansprüche an den Schallschutz haben in den vergangenen Jahren stark zugenom-
men. Im Vergleich zur Tragsicherheit eines Bauwerkes, welche vom Benutzer nicht direkt
spürbar ist, wird Lärm bewusst wahrgenommen. Unter anderem der Lärm der Nachbar-
schaft oder jener von vorbeifahrenden Fahrzeugen stört und gibt Anlass zu Reklamatio-
nen.
Für die Akustik stehen Messinstrumente zur Verfügung, um die Schalldämmung direkt
am Objekt zu beurteilen und zu quantifizieren. Bei Tragwerksbemessungen erfolgt ein
Vergleich der berechneten Spannungen mit reellen, am Objekt ermittelten Werten nur
selten, da dieser mit hohem Aufwand verbunden ist.
Der Unterschied zwischen den Anforderungen an das Ruhebedürfnis und der Standfestig-
keit eines Gebäudes zeigt sich damit bei der Einflussnahme von Sicherheitsbeiwerten.
Während bei der Bemessung von Tragwerken mit einem semi-probabilistischen Sicher-
heitskonzept gearbeitet wird, versuchen Akustiker/innen die Schalldämmwerte so realis-
tisch wie möglich zu ermitteln und arbeiten lediglich mit Projektierungszuschlägen von
einzelnen Dezibel.
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2. Elemente
Bei der Planung eines Gebäudes gibt es unzählige Anforderungen zu erfüllen. Die Tragsi-
cherheit und der Schallschutz sind nur zwei Punkte von vielen.
In jedem Bauprojekt sind die Aussteifung und das Tragsystem zu definieren.
Ingenieure/innen versuchen mit möglichst ideal angeordneten
Scheiben eine Aussteifung zu erreichen und die resultierenden
Lasten in das Fundament zu leiten. Durchlaufende, statisch
verbundene Elemente sind zwingend erforderlich.
Währenddessen prüfen und definieren Akustiker/innen unter
Berücksichtigung der einzelnen Nutzungseinheiten die Anforde-
rungen an den Schallschutz.
Geschlossene Wandscheiben werden dabei ebenso verwendet
wie bei Tragwerksplanungen.
Die Nutzungstrennungen sollen einen möglichst guten Schall-
schutz leisten können.
Nebst der Aussteifung betrachten Ingenieure/innen das Tragsys-
tem für die vertikale und horizontale Lastabtragung. Horizontale
Bauteile wie Decken und Dächer sind als geschlossen zu betrach-
ten und bedingen kaum eine spätere Anpassung bei einer allfälli-
gen Nutzungsänderung. Die statisch wirksamen vertikalen
Bauteile lassen nur bedingt Anpassungen im Grundriss zu und
sind somit als positioniert zu betrachten.
Innerhalb der Nutzungseinheiten gibt die Norm keine zwingende
Einhaltung von Schallschutzanforderungen an. Trotzdem sind die
Komfortansprüche zu beachten. Auch Zimmertrennwände inner-
halb einer Nutzungseinheit sollen einen genügenden Schallschutz
aufweisen.
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2.1. Zusammenspiel von Statik Schallschutz
Das Zusammenspiel von Statik zum Schallschutz lässt sich grob in drei Elemente eintei-
len:
Raumtrennende/Flächige/Aussteifende Bauteile wie Wände, Decken
Wohnungstrennwände, Treppenhäuser
Stützen für die vertikale Lastabtragung
Anschlüsse bei Decken zur Wand für die Aussteifung
Bei Elementen, bei welchen sowohl Anforderungen an die Statik als auch an den Schall-
schutz gestellt werden, soll eine Abstimmung beider Fachplaner/innen erfolgen. Solche
Konstruktionen werden als „Kombielemente“ bezeichnet. Beispiele sind eine Holzbeton-
Verbunddecke oder ein in Massivbau erstelltes Treppenhaus.
Ingenieure/innen machen in einer frühen Planungsphase einen Positionsplan mit dem
Tragwerkskonzept.
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Abbildung 1: Positionsplan Statik
Ebenfalls in einer frühen Planungsphase verfassen Akustiker/innen einen Anforderungs-
bericht, in welchem die Nutzungseinheiten und die Anforderungen an die Raumtrennun-
gen festgelegt werden.
Abbildung 2: Anforderungsplan Schallschutz
Der Positionsplan der Ingenieure/innen und der Anforderungsbericht der Akustiker/innen
sollen gemeinsam besprochen und aufeinander abgestimmt werden. Mögliche Konstrukti-
onen, bei welchen Anforderungen an die Statik als auch an den Schallschutz gestellt
werden, sollen dabei gemeinsam erarbeitet werden. Es sind nicht nur die Decken und die
Wände zu betrachten, sondern auch aussteifende Elemente und Anschlüsse bei
Geschossübergängen oder Verbindungen von Scheiben. Die Basisbesprechung bietet
Ingenieuren/innen die Möglichkeit, die nötigen Massen und Schichten in der Vorbemes-
sung mit einfliessen zu lassen.
Grundsätzlich sind Bauteile im Vorteil, welche beiden Anforderungen in einem Element
genügen. Falls dies nicht der Fall ist, wird mit zusätzlichen Schichten der Schallschutz
erfüllt.
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3. Beispiele aus der Praxis
Nachfolgend sind einige Beispiele aufgeführt, bei welchen das Zusammenspiel von
Schallschutz und Statik direkten Einfluss haben.
Liebrüti
Das Schulhaus Liebrüti ist ein dreigeschossiges Schulgebäude in Holzbauweise. Die Dach-
scheibe wird für Wind- und Erdbebeneinwirkungen als Aussteifungselement eingesetzt.
Mit einer Dreischichtplatte werden die Einwirkungen kontinuierlich in die raumtrennenden
Wände abgeleitet. Die zweischalig aufgebauten Wände bieten an, die Deckenscheibe
direkt über diesen zu trennen, womit die Schallnebenwegübertragungen reduziert
werden.
Eine Alternative wäre, die Dachscheibe örtlich mit Masse zu beschweren oder
innenliegend vollflächig eine zusätzliche abgehängte Decke (nicht Raumakustikdecke) zu
montieren.
Massnahmen:
- Deckenscheiben wo möglich trennen
- Örtliche Beschwerung auf Dreischichtplatte
Abbildung 3: Dach bei Trennwand
Artho
Das Gebäude der Firma Artho wird für Büro- und Wohnnutzung verwendet. In den ersten
zwei Etagen sind Büroräume und im darüber liegenden Geschoss Wohnungen entstan-
den. Die Decke ist als Hohlkastenelement ausgeführt. Die Dachscheibe, in Form einer
Dreischichtplatte, läuft statisch über die Wohnungstrennwand durch. Die Messung ohne
innenseitige abgehängte Decke zeigt ein Resultat von Di,tot = 57dB. Nach der Montage
der geplanten abgehängten Decke wird diese um rund 8 dB erhöht. Der Einfluss dieses
Nebenweges durch die Deckenscheibe ist hoch.
Eine Abstimmung der Wohnungstrennwand ist unter Berücksichtigung der auftretenden
Nebenwege durch aussteifende Scheiben erforderlich um optimale Resultate zu errei-
chen.
Massnahmen:
- Deckenscheiben wo möglich trennen
- Zusätzliche abgehängte Decke
Abbildung 4: Dach bei Wohnungstrennwand
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Beromünster
Das Mehrfamilienhaus Beromünster ist ein dreigeschossiger Holzbau mit Blockholzplat-
ten. Innenseitig ist die Holzoberfläche sichtbar. Die aussteifenden Aussenwände wurden
über eine Dreischichtplatte im Bereich des Geschossübergans direkt miteinander verbun-
den. Mit dieser Massnahme ist die Statik zwar einfach gelöst, der Schallschutz reduziert
sich jedoch aufgrund der daraus entstehenden Nebenwege erheblich. Messungen ergaben
einen Luftschalldämmwert von Di,tot = 48dB (nach SIA 181) und erfüllen die Anforderun-
gen damit nicht. Als Lösung wurde innenliegend im mittleren Geschoss eine zusätzliche
Gipsfaserplatte d=18mm angebracht, welche die 35mm starke Blockholzplatte dämpft.
Durch diese Massnahme wurde eine Verbesserung von 7dB erreicht und damit die
Anforderungen erfüllt. Anschliessen wurde eine Dreischichtplatte montiert, um den visu-
ellen Charakter des geplanten Gebäudes beizubehalten.
Massnahmen
- Zusätzliche Beschwerung frequenzanfälliger
Plattenaufbauten
- Geschossübergang nicht mit durchlaufenden
Platten ausbilden
- Geschossübergang entkoppeln
Abbildung 5: Deckenauflager
Abbildung 6: Deckenauflager mit Massnahmen
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Kapuzinerweg
Der Kapuzinerweg ist ein Zweifamilienhaus mit einer Geschossdecke als Wohnungstren-
nung. Der Bauherr wollte einen optimalen Schallschutz erreichen. Die Konstruktionsauf-
bauten sind identisch mit dem vorher beschriebenen Projekt Beromünster.
Der Geschossübergang wurde jedoch entscheidend entkoppelt. In enger Zusammenarbeit
mit dem Ingenieur wurde eine Lösung gefunden, welche einerseits die Aussteifung über
die Wandscheiben ermöglicht und andererseits die Anforderungen der Akustik erfüllt.
Der für die Aussteifung eingesetzte Wandabschluss im Auflagerbereich ist durch einen
Betonriegel beschwert und mindert damit die Schallübertragung markant. Zudem sind
sämtliche Anschlüsse so gut wie möglich entkoppelt (Schalltrennlager im Wandlager und
Anschlag mit Weichfaserplatten).
Das Resultat überzeugt mit einem sehr hohen Schalldämmwert von Di,tot = 65dB.
Massnahmen:
- Deckenauflager vollständig entkoppelt
- Örtliche Befestigung für Aussteifung
gehalten
Abbildung 7: Deckenauflager entkoppelt
Bründler
Das Objekt Bründler ist ein Umbau eines bestehenden Gebäudes. In diesem wurden neue
Wohnungen in den damals als Estrich benutzen Teil des Gebäudes eingebaut. Die beste-
henden Wohnungen waren während der Bauzeit bewohnt. Die Deckenuntersicht wurde
nicht entfernt. Als statisches Element wurde eine Rippendecke konstruiert, welche selbst-
tragend von Auflager zu Auflager läuft und keine direkte Verbindung zur bestehenden
Balkenlage aufweist. Damit sind die Körperschallübertragungen optimal entkoppelt und
die Gesamtstärke des Deckenaufbaus ist reduziert. Die Schallmessungen zeigen ein
Ergebnis von Di,tot = 65dB, L‘tot =43dB.
Massnahmen
- Schallentkoppeltes Element in die
bestehende Struktur, ohne Schallbrücken
Abbildung 8: Aufbau Trenndecke
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Gartenstrasse
Die Überbauung Gartenstrasse besteht aus mehreren Mehrfamilien- und Einfamilienhäu-
sern. Die gewählte Konstruktion für die nutzungstrennenden Decken ist ein Holz-
Betonverbundsystem. Mit diesem wird einerseits die Statik mit dem Beton als Druck- und
mit dem Holz als Zugglied gelöst und andererseits auch sehr gute Schalldämmwerte
erreicht. Die Auflagerbereiche können mit dem Überbeton zusätzlich fixiert und
beschwert werden, womit die Schallübertragungen reduziert werden. Das HBV-Element
überzeugt als eine Art Kombielement, in welchem effizient und kostengünstig die Statik
und der Schallschutz mit wenigen Schichten gelöst werden kann. Damit wird im Projekt
Gartenstrasse ein Resultat von Di,tot = 63dB, L‘tot =41dB erreicht und kann somit auch im
tieffrequenten Bereichen optimale Werte zeigen.
Massnahmen
- Kombielement als HBV- Decke
Abbildung 9: HBV-Decke
Rotkreuz
Im Projekt Rotkreuz sind fünf Mehrfamilienhäuser mit einer Brettsperrholzbauweise
erstellt worden. Die Wohnungstrennenden Wände sind zweischalig aufgebaut und werden
statisch als aussteifend wirkende Wandscheiben eingesetzt. Die Brettsperrholzplatten
werden mit einer Vorsatzschale vor einer allfälligen Schallanregung geschützt. Dadurch
erhält der Ingenieur wichtige Freiheiten für die Gestaltung der Anschlüsse.
Dieser mehrschichtige Aufbau zeigt in tiefen Frequenzbändern Einbrüche, kann aber mit
Di,tot = 66dB problemlos die erhöhten Anforderungen erfüllen.
Massnahmen
- Entkoppelte Vorsatzschalen
Abbildung 10: Wohnungstrennwand
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Hungerbühl
Im Hungerbühl ist ein Mehrfamilienhaus in Hybridbauweise entstanden. Der Architekt
hatte den Wunsch, dass die statisch wirksamen Stützen in Holz sichtbar bleiben.
Die Nutzungseinheiten sind geschossweise getrennt und mit einer Filigrandecke als
Betondecke ausgebildet. Die durchlaufenden Holzstützen werden im Deckenbereich
getrennt und durch den durchlaufenden Beton entsteht ein Massesprung. Dieser wirkt
sich positiv auf die Schalldämmwerte aus.
Massnahmen
- Massesprung im Geschossübergang
- Zusätzliche Bekleidung der Stütze
- Entkopplung mit Trennlager
Abbildung 11: Stützen bei Geschoss
4. Zusammenfassung
Bei der Bemessung von Tragwerken und der Begleitung des Schallschutzes ist eine enge
Zusammenarbeit zwischen Akustikern/innen und Ingenieuren/innen sehr wichtig. Die
Zusammenarbeit sollte in einer möglichst frühen Planungsphase erfolgen. Nach dem
Definieren des Tragwerkskonzepts und der Zusammenstellung der Anforderungen an den
Schallschutz sind die Bauteile gemeinsam bezüglich Statik und Schallschutz auszulegen.
Dadurch können Lösungen gefunden werden, welche nicht nur kostengünstig sondern
auch effizient sind. Insbesondere die raumtrennenden Bauteile, lastabtragende Stützen,
Aussteifungselemente und Anschlüsse im Geschossübergang oder im Bereich von Trenn-
wänden sollen beachtet werden.
Besonders interessant sind Kombielemente, welche sowohl Schallschutz als auch Statik
beinhalten.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird in Zukunft weiter zunehmen – und das macht
auch Sinn, denn nur damit können alle Wünsche und Bedürfnisse befriedigt werden.