systemtheorie und kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · prinzip...

12

Click here to load reader

Upload: ngokiet

Post on 06-Feb-2018

215 views

Category:

Documents


2 download

TRANSCRIPT

Page 1: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme in der Kommunikationswissenschaft

I N H A L T

1. EINLEITUNG ...............................................................................................1 2. ZU BEGRIFF UND ENTWICKLUNG....................................................................2 3. ANSÄTZE MODERNER SYSTEMTHEORIE.............................................................4

3.1 Autopoiesis-Konzept in der Theorie selbstreferentieller Systeme nach Varela und Maturana .............................................................................................. 4 3.2 Der Strukturell-Funktionale Ansatz nach Talcott Parsons .............................. 4 3.3 Der System-Funktionale Ansatz nach Buckley und Miller .............................. 5 3.4 Der Funktional-Strukturelle Ansatz nach Niklas Luhmann ............................. 5

4. NIKLAS LUHMANNS THEORIE SOZIALER SYSTEME.............................................6 5. SYSTEMTHEORETISCHE VORSTELLUNGEN VON KOMMUNIKATION.........................7

5.1 Systemtheoretische Definition................................................................. 7 5.2 Kommunikation und Bewußtsein als voneinander getrennte Systeme ............. 7 5.3 Kommunikation als Handlung.................................................................. 8 5.4 Kommunikation als Ereignis .................................................................... 9 5.5 Selektionsverstärkungen der Kommunikation ............................................. 9

6. ANHANG .................................................................................................. 10 6.1 Personenverzeichnis ............................................................................ 10 6.2 Literaturverzeichnis............................................................................. 11

Page 2: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ... EINLEITUNG, Seite 1

1. EINLEITUNG

Um Kommunikation in einem systemtheoretischen Zusammenhang verstehen zu können,

ist die Beschäftigung mit der Entwicklung heutiger Systemtheorie, be-sonders mit dem

Ansatz Niklas Luhmanns, unausweichlich. Daher wird im fol-genden zunächst eine

chronologische Darstellungsweise gewählt, so-dann der Schwerpunkt auf Luhmanns

Theorie der sozialen Systeme gesetzt, um anschlie-ßend systemtheoretische

Vorstellungen von Kommunikation ver-ständlich machen zu können. Eine engere

Eingrenzung schien nicht möglich, da dies zu erhebli-chen Verständnisschwierigkeiten

führte, angesichts der Vielschichtigkeit des Themas. Vernachlässigt wurden allerdings

Themata frü-herer Systemtheorie, wie Geschlossenheit versus Offenheit eines Systems,

d.h. Black Box, Fließgleichgewicht u.ä. Auf Zitate wurde weitgehend ver-zichtet,

allerdings konnte eine gewisse sprachliche Ähnlichkeit zu den bearbei-teten Texten nicht

vermieden werden, da das der Systemtheorie eige-ne Vokabular vonnöten ist bei der

Beschäftigung mit diesem Thema.

Page 3: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ... ZU BEGRIFF UND ENTWICKLUNG, Seite 2

2. ZU BEGRIFF UND ENTWICKLUNG

System (gr.) bedeutet so viel wie Zusammenstellung oder Ordnung, Methode, Prinzip.

Schon hieraus ist die antike Vorstellung zu erkennen, daß Gegen-stände und

Zusammenhänge nicht einfach, einheitlich und homogen sind, sondern daß ein "Ganzes"

immer aus seinen Teilen besteht. In der Antike war die Beschäfti-gung mit diesem Thema

auf die Diskussion kontroverser Mei-nungen begrenzt: "Unabhängigkeit versus Dialektik

von Ganzheit und Tei-len", "Primat der Ganz-heit versus Primat des Teils" (Holistisches

Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

jahrhundertelang die Diskussion, wobei gerade im Mittelalter das holisti-sche Prinzip

vorherrschte.

Die Wurzeln moderner Systemtheorie sind allgemein in der Komplexwerdung der Welt

(Funktionale Differenzierung: z.B.: Arbeitsteilung, Weiterdifferen-zie-rung der

Wissenschaften etc.) während der Industrialisierung zu finden, die zu-nächst zur

Hinwendung zum atomistischen Prinzip führte. In der Nachkriegszeit wurden

systemtheoretische Ideen auf wissenschaftlicher Basis neu diskutiert. Man wollte

praktische Problemlösungen durch eine neue wis-senschaftliche Me-thodik belegen

können, da Probleme Ganzheiten betreffen und die Integration von Einzelerkenntnissen

erfordern. So forderte auch Ludwig von Bertalanffy in-terdisziplinäres Zusammenarbeiten

der Wissen-schaften und statuierte 1949 in seiner "Allgemeinen Systemlehre", daß "das

Ganze...mehr als die Summe seiner Teile, nämlich auch die Summe der Be-ziehungen

dieser Teile zueinander" sei. Mit dieser Theorie griff er auf die im 18.Jahrhundert

konzipierte "Kategorie des Allgemeinen" zurück, welche be-sagt, daß jeder Mensch

zentrale Regeln und Gesetze des gesellschaftlichen Zusammenlebens angeboren

beziehungsweise unbewußt verinnerlicht hat. Er war es auch, der erstmals das

Begriffspaar "System und Umwelt" verwandte und stärker gewichtete als das antike

"Ganzes und Teil". Weitere Einfluß-größe war das Entstehen der Kybernetik, einer

Steuerungs-lehre, die das Ver-hältnis zwischen Kontrolleur und Kontrolliertem, sowie die

Rückkopplungsef-fekte von dynamischen, sich selbst verstärkenden Prozessen untersucht.

Auch beeinflußte das Phänomen des strukturellen Denkens der mo-dernen Mathe-matik

die Entwicklung der Systemtheorie. Weitere Einflußgröße war auch der

Paradigmenwechsel innerhalb der Biologie, die mehr und mehr Systeme und Relationen

untersuchte, anstatt Einzelphänomene. Schon hier wird die Inter-disziplinarität der

Systemtheorie deutlich und ihre Vielzahl an Ansätzen in unterschiedlichen

Page 4: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ... ZU BEGRIFF UND ENTWICKLUNG, Seite 3

Wissenschaften (auch in Ökonomie, Pädagogik, Soziologie, Politikwissenschaft,

Psychologie, Medizin, Neurologie, Metereologie, Astro-nomie etc.).

Ebenso setzte auch hier die Theorie selbstreferentieller Systeme der chileni-schen Biolo-

gen Humberto R.Maturana und Francisco Varela mit ihrem Konzept der Auto-poiesis an,

welches weiter unten erklärt werden wird.

Allgemein ist der heutige Systembegriff durch vier Eigenschaften definiert: Es müssen

unterschiedliche Teile vorhanden sein, die in einer bestimmten Art und Weise geordnet

sind (Struktur); außerdem sollen diese Teile nicht beliebig aufeinander einwirken

(Funktion) und das System sich gegenüber seiner Um-welt abgrenzen. Die Definition, was

System, was Umwelt ist, fällt manchmal schwer, da Systeme gleichzeitig Umwelten für

kleinere, weniger komplexe Subsysteme darstellen können.

Page 5: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ... ANSÄTZE MODERNER SYSTEMTHEORIE, Seite 4

3. ANSÄTZE MODERNER SYSTEMTHEORIE

3.1 AUTOPOIESIS-KONZEPT IN DER THEORIE SELBSTREFERENTIELLER SYSTEME NACH

VARELA UND MATURANA

Autopoiesis meint zunächst die Selbsterzeugung, Selbstherstellung eines le-ben-den

Systems, das heißt, daß autopoietische Gebilde sich selbst erhalten durch die ständige

Herstellung ihrer Komponenten durch sich selbst (Rekursivität). Das System gibt sich

selbst Regeln, organisiert sich selbst, be-zieht sich auf sich selbst und differenziert sich

von seiner Umwelt. In dieser Selbststeuerung, der "Erzeugung der eigenen Organisation

durch Operation" (vgl.Willke, 1991, S.191) ist das System also selbstreferenziell-

geschlossen und unabhängig von seiner Umwelt, also autonom. Gleichzeitig sind lebende

Systeme aber auch of-fen, da sie in einem gesteuerten Kontakt mit ihrer Um-welt stehen

(materieller und energetischer Austausch). In der Systemtheorie stehen sich also

Geschlos-senheit und Offenheit nicht entgegen, sondern be-dingen sich gegenseitig (nur

selbstreferentiell-geschlossene Systeme können in Abgrenzung zu ihrer Umwelt in

gesteuertem Kontakt zu dieser stehen). Zu-sammenfassend läßt sich sagen, daß

autopoietische Systeme sich also durch Selbstherstellung, Rekursivität, selbstre-

ferentielle Geschlossenheit und gleichzeitige Offenheit charakterisieren. Betont sei schon

hier, daß autopoieti-sche Systeme nicht außerhalb ihrer Grenzen operie-ren können

(Geschlossenheit).

3.2 DER STRUKTURELL-FUNKTIONALE ANSATZ NACH TALCOTT PARSONS

Die Systemtheorie nach Talcott Parsons kennzeichnet sich durch die Bedeu-tung der

Begriffe Struktur und Funktion. Strukturen werden als gegeben und statisch

angenommen, Funktionen dienen zur Erhaltung dieser Struktur, und somit zur Erhaltung

des Systems. Der oberste Bezug liegt hier demnach in der Bestandser-haltung des

Systems, also systemintern. Insofern ist die Struktur der Funktion vorgeordnet. Systeme

sind also auf spezifische Leistungen an-gewiesen, wobei die zentrale Fragestellung ist:

"Welche funktionalen Lei-stungen müssen vom System erbracht werden, damit dieses

System mit seinen gegebenen Strukturen erhalten bleibt?" (Willke, 1991, S.3). In diesem

Sinne haben Systeme kollektive, verbindliche Werte oder Normen, denen sich die

Systemfunktionen angleichen müssen. Aufgrund der zwangsläufig notwendi-gen,

kausalen Zusammenhänge zwischen spezifischen Funktionen und Systemerhaltung spricht

man hier von Kausalfunktionalismus.

Page 6: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ... ANSÄTZE MODERNER SYSTEMTHEORIE, Seite 5

3.3 DER SYSTEM-FUNKTIONALE ANSATZ NACH BUCKLEY UND MILLER

Der systemtheoretische Ansatz Buckleys und Millers sieht Systeme als "komple-xe,

anpassungsfähige und zielgerichtete Gesamtheiten" (Willke, 1991, S.3). In Abgrenzung

zu Parson wird hier die Systemstruktur als verän-derbar angenommen, also als Variable.

Die Struktur verändert sich bei verän-derten Umweltbedingungen, um die Leistungs- und

Überlebensfähigkeit des Systems zu garantieren. Allerdings ist auch hier die

Systemerhaltung oberstes Prinzip.

3.4 DER FUNKTIONAL-STRUKTURELLE ANSATZ NACH NIKLAS LUHMANN

In Abgrenzung zu Parsons entwickelte Luhmann den funktional-strukturellen An-satz, bei

dem die Funktion der Struktur vorgeordnet ist. Systeme sind hier nicht auf spezifische

Leistungen angewiesen, da ausfallende Leistungen durch andere ersetzt werden können.

Das beinhält, daß die Systemstruktur variabel ist und Systeme keine Werte oder Normen

haben. Die zentrale Fragestellung lautet hier: "Welche Funktionen haben bestimmte

Systemleistungen? Durch welche funktional-äquivalenten Möglichkeiten können diese

ersetzt werden?". Daher spricht man hier von Äquivalenzfunktionalismus (als Opposition

zu Par-sons Kau-salfunktionalismus). Schwerpunkt dieses Äquivalenzfunktionalis-mus' ist

die Abgrenzung zwischen System und Umwelt, sowie die Untersu-chung der Relatio-nen

zwischen System und Umwelt.

Zentraler Gedanke der Luhmannschen Systemtheorie ist das Konzept der Auto-poiesis, das

von Humberto R.Maturana und Francisco Varela in ihrer Theorie selbstreferentieller

Systeme entwickelt worden ist (s.o.).

Während Maturana und Varela den Begriff der Autopoiesis nur auf lebende Systeme (also

biologische Organismen) beziehen, generalisiert Luhmann die-sen, wobei er Differenzen

bei unterschiedlichen Systemarten einbezieht. So statuiert er zu-nächst, daß auch

psychische Systeme autopoietisch sind: Sie sind selbstreferen-tiell-geschlossen (keine

Abgabe oder Annahme von Bot-schaften, kein In-/Output), sie sind gleichzeitig offen

(gesteuerter Kontakt mit Umwelt), sie sind selbstherstellend und rekursiv (Produktion

von Gedanken durch Gedanken). Auch das psychische System kann nicht außerhalb seiner

Grenzen operieren; ein Gedanke kann nicht als solcher das Bewußtsein verlas-sen.

Weiterhin macht Luhmann deutlich, daß auch soziale Systeme autopoietisch sind: Sie

sind selbstreferentiell-geschlossen (Produktion aller zur Erhaltung nöti-ger Elemente,

kein In-/Output), gleichzeitig offen (gesteuerter Kontakt mit Um-welt), sie sind

selbstherstellend und rekursiv (Produktion von Kom-munikation durch Kommunikation).

Page 7: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ... NIKLAS LUHMANNS THEORIE SOZIALER SYSTEME, Seite 6

4. NIKLAS LUHMANNS THEORIE SOZIALER SYSTEME

Im Sinne der Luhmannschen Systemtheorie ist jeder soziale Kontakt ein System, das sich

von seiner Umwelt abgrenzt. Untersucht wird stets die Rela-tion zwi-schen System und

Umwelt. In ihrer Differenzierung zwischen Innen und Außen, zwischen System und

Umwelt wirken Systeme als komplexitäts-regulierende In-stanzen.

Zur Erläuterung: In der Untersuchung der Relation zwischen System und Um-welt liegt

der Bezugspunkt immer außerhalb des Systems (nicht systemintern, wie bei Parsons),

nämlich in der Umwelt, beziehungsweise in der Welt als Ein-heit von Systemen und

Umwelten. Die Vielzahl dieser verschiedenen Systeme und Umwelten, macht die

Komplexität der Welt deutlich. Komplexi-tät ist hierbei als "Gesamtheit aller möglichen

Ereignisse und Zustände" (Kneer/Nassehi, 1993, S.40) zu verstehen. Sie bezeichnet den

"Grad der Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes"

(Willke, 1991, S.192). Da die Weltkomplexität demnach ungeheuer groß ist, liegt der

Sinn sozialer Systeme in der Komplexitätsreduzierung für die menschliche

Wahrnehmungs- und Aufnah-mekapazität, die sehr begrenzt ist. Diese Verringerung von

Komplexität geschieht durch Selektion der Systeme, das heißt: Systeme schließen

Möglichkeiten aus, machen manche Möglichkei-ten wahrscheinlicher als andere und

machen Situa-tionen berechenbarer (Beispielsweise wäre die Möglichkeit eines

Gespräches über indische Eßkultur im sozialen System "Autokauf" so gut wie

ausgeschlos-sen). Daß Systeme ei-ne gewisse Eigenkomplexität benötigen, um die

Komplexi-tät der Welt zu er-fassen, aber stets weniger komplex als ihre Umwelt sind, sei

hier nur kurz erwähnt.

Ein soziales System ist nach Luhmann nicht durch Werte oder Normen defi-niert, sondern

durch mehrere sinnhaft verknüpfte, also aufeinander weisende, soziale Handlungen.

Niklas Luhmann erhebt für seine Theorie sozialer Systeme Universalitätsan-spruch: Sie ist

weitverzweigt, heterogen und interdisziplinär und versucht, den gesamten

Gegenstandsbereich der Soziologie mit Hilfe des systemtheoretischen Vokabulars

beschreibbar machen. Die Systemtheorie soll eine "Theorie mit Auf-löse und

Rekombinationsvermögen sein, die hilft, die moderne Gesellschaft in den Blick zu

bekommen" (Vgl.: Kneer/Nassehi, 1993, S.9).

Kleinstes soziales System ist, so Luhmann, die Kommunikation.

Page 8: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ...SYSTEMTHEORETISCHE VORSTELLUNGEN VON KOMMUNIKATION, Seite 7

5. SYSTEMTHEORETISCHE VORSTELLUNGEN VON KOMMUNIKATION

5.1 SYSTEMTHEORETISCHE DEFINITION

In der Systemtheorie wird Kommunikation nicht als Übertragung einer Bot-schaft vom

Sender zum Empfänger verstanden, sondern als eigenständiger, dynami-scher Prozeß, der

von der organischen, neuronalen und psychischen Ebene aus-geschlossen ist.

Kommunikation ist ein soziales System, also auto-poietisch (Kommunikation produziert

sich selbst). Allerdings setzt Kommuni-kation min-destens zwei psychische Systeme

voraus. Luhmann beschreibt Kommunikation als dreistelligen Selektionsprozeß, das heißt

als Kombination von Information, Mitteilung und Verstehen: Jede Information, jede

Mitteilung und jedes Verstehen stellt jeweils eine Selektion aus verschiedenen Möglich-

keiten dar. Kommunika-tion ist nur vorhanden, wenn es sich um eine Synthe-se aller drei

Selektionslei-stungen handelt. Dies macht deutlich, daß Kommu-nikation nicht auf ein

mono-logisches Subjekt zurückgehen kann, nicht auf ei-ne Person, da z.B. eine Infor-

mationsmitteilung allein nicht ausreicht, um von Kommunikation zu sprechen; ein

Verstehen (oder Mißverstehen) ist nötig. Diese Definition schließt sprach-freie

Kommunikation mit ein, wobei Sprache größere Unterscheidungsfähigkeit und

Auswahlfähigkeit bei gezielter An-schlußsuche für neue Kommunikation, also größere

Komplexität und somit bessere komplexitätsreduzierende Eigenschaften aufweist.

5.2 KOMMUNIKATION UND BEWUßTSEIN ALS VONEINANDER GETRENNTE SYSTEME

Information, Mitteilung und Verstehen sind Konstrukte sozialer Systeme, nicht

Operationen der beteiligten psychischen Systeme, das heißt Kommuni-kation

kommuniziert und bewußtseinsinterne Operationen (z.B. Gedanken) gehen nicht in dieser

Form in die Kommunikation ein (Selbstreferentielle Ge-schlossenheit: Kein System kann

außerhalb seiner Grenzen operieren). Somit ist keine bewußte Herbeiführung von

Kommunikation durch den Menschen, keine kausale Steue-rung, keine Determination

möglich und "der Mensch ist nicht das Subjekt, nicht der Ur-heber, nicht die Ursache von

Kommunikation" (Kneer/Nassehi, 1993, S.90).

Allerdings muß festgestellt werden, daß Kommunikation menschlicher Systeme bedarf,

wobei der Mensch nicht als System, sondern als Vielzahl von Systemen (organisches

System, psychisches System, neuronales System etc.) verstanden wird. Der Mensch liefert

Beiträge für die Kommunikation, die al-lerdings Um-weltbeiträge, also außerhalb des

sozialen Systems Kommunika-tion, bleiben. Der Mensch kommt in der Umwelt sozialer

Systeme vor, nicht innerhalb sozialer Systeme. Dies bedeutet,daß psychische Systeme

Page 9: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ...SYSTEMTHEORETISCHE VORSTELLUNGEN VON KOMMUNIKATION, Seite 8

irritieren, stören, reizen oder anregen, aber nicht direkten Einfluß auf die Kommunika-

tion nehmen können. Mindestens zwei psychische Systeme sind beteiligt, die individuelle

Vorstellun-gen haben, so daß keines der beiden Bewußtseinssysteme direkt Einfluß

nehmen kann, keines kann außerhalb des eigenen Systems operieren. Die Irritationen der

psychischen Systeme bedin-gen sich aber gegenseitig und indirekt auch die Kom-

munikation. Hierbei spricht man von sog. struktureller Kopplung ("Systeme sind

aufeinander an-gewiesen, operieren aber zugleich autonom" (Jakubowski (1993):

Grundbe-griffe der Systemtheorie [Hand-Out])).

In diesem Sinne kommuniziert Kommunikation also alleine (kombiniert Infor-mation,

Mitteilung und Verstehen), kommuniziert aber über bewußtseinsinterne Operationen

(Gedanken, Vorstellungen etc.). Betont wird hier, daß Verstehen nicht als

bewußtseinsinterner, bedeutungszuweisender Akt verstanden wird, son-dern als

Konstrukt der Kommunikation. Da Verstehen aber allgemein als Be-wußtseinsakt

verstanden wird, wird es selbst themati-siert oder problematisiert ("Hast du das

verstanden?" etc.). Dies ermöglicht Anschlüsse für neue Kommu-nikation und trägt zur

Autopoiese bei, da das, was als Verstehen begriffen wird, nur durch

Anschlußkommunikation festge-legt wird.

5.3 KOMMUNIKATION ALS HANDLUNG

Kommunikation ist in der Systemtheorie Niklas Luhmanns nicht nur (Mitteilungs-)

Handlung, wird aber allgemein stets als Handlung einer Person zugerechnet. Zweck

dieses Phänomens ist die Selbstherstellung, Autopoiese der Kommunikation. Wie schon

gesagt, braucht Kommunikation Anknüpfungspunkte für neue Kommunikation und diese

entstehen besonders dann, wenn das Gesche-hen personenorientiert aufgefaßt wird,

wenn also Kommunikation kommunikativ auf Handlung reduziert wird (z.B.: "Clemens

sagte mir,..." - Kommunikation wird kommunikativ auf eine Mitteilungshand-lung

Clemens´ reduziert. "Clemens war doch gar nicht da, außerdem sagte mir Margit,..." -

Anschlußkommunikati-on wird angeknüpft durch Perso-nenorientierung.). In diesem

Sinne nennt Luh-mann Personen nicht Systeme, sondern Identifikationspunkte der

Kommunika-tion. Obwohl die Sichtweise, Kommunikation sei Handlung, einen Sinn hat,

ist sie wissenschaftlich falsch: Die Eigenständigkeit und Komplexität des Systems

Kommunikation bleibt un-beachtet.

Weitere Erhaltungsprozesse von Kommunikation bestehen in der Kommuni-kation über

das Verstehen (s.o.), sowie in der Tatsache, daß man nicht nicht kommunizieren kann,

Page 10: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ...SYSTEMTHEORETISCHE VORSTELLUNGEN VON KOMMUNIKATION, Seite 9

sobald zwei psychische Systeme aufeinander treffen (nach Paul Watzlawick), sowie die

Funktion von Kommunikation als Ereig-nis.

5.4 KOMMUNIKATION ALS EREIGNIS

In der Systemtheorie ist die Kommunikation die kleinste Einheit des Sozialen, das letzte

unauflösbare Element sozialer Systeme. Diese kleinsten Elemente (also Kommunikation)

werden aufgrund ihrer extrem kurzen Dauer als Er-eignisse be-zeichnet. Diese

Kurzlebigkeit der Kleinstelemente macht deutlich, daß das System entweder ständig, von

Moment zu Moment neue Kommuni-kation reprodu-zieren muß oder die Operation

abschließt und selbst zerfällt. Dies beinhält, daß Bestandserhaltung nicht die Erhaltung

einer stabilen Struktur, sondern die stän-dige Reproduktion von Systemelementen

(Information, Mitteilung, Verstehen) meint, es geht also um die Erhaltung der

Geschlossenheit und der Unaufhörlich-keit der Elementreproduktion, nicht um die

Strukturerhaltung (Funktionalismus anstatt Strukturalismus). Der Begriff der Struktur wird

bei Luhmann dement-sprechend anders definiert.

5.5 SELEKTIONSVERSTÄRKUNGEN DER KOMMUNIKATION

Die Kommunikation hat als soziales System die Aufgabe, Komplexität durch Selektion zu

reduzieren. Hierzu bedient sie sich vor allem zweier selektions-ver-stärkender

Eigenschaften.

Die Struktur von Systemen ist, wie schon erwähnt, nicht stabil, sondern hat ih-ren Sinn

in der Einschränkung der im System zugelassenen Anschlußmög-lichkei-ten, das heißt:

sie macht einige Möglichkeiten wahrscheinlicher als andere. Dies wirkt als

Selektionsverstärkung: Bestimmte, nicht beliebige Elemente setzen die Autopoiesis fort.

Strukturen sozialer Systeme sind Erwar-tungsstrukturen, die ei-ne "Vorauswahl" treffen

und somit Möglichkeiten ein-schränken (z.B.: s.o., Ab-satz 4). Die Selektionsverstärkung

besteht also in einer Vorauswahl durch Ex-klusion (Vgl.: Kneer/Nassehi, 1993, S.95).

Ein Prozeß wird von Luhmann als die selektive Verknüpfung von Einzeler-eignis-sen

definiert. Das bedeutet, daß vorangegangene Kommunikation die folgende beeinflußt, es

gibt also bestimmte, nicht beliebige Anschlußmöglich-keiten. Hier-bei handelt es sich

also um eine Selektionsverstärkung durch An-schlußsuche (Vgl.: Kneer/Nassehi, 1993,

S.95).

Page 11: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ... ANHANG, Seite 10

6. ANHANG

6.1 PERSONENVERZEICHNIS

Ludwig von BERTALANFFY (Dr.phil.): geb.am 19-09-1901, gest. am 12-06-1972,

österreichischer Biologe (Studium in Innsbruck und Wien), zahlreiche Lehraufträge

(Innsbruck, Wien, London, McGill-University Montreal, Ottawa, Stanford-University

California, Topeka (USA), Al-berta), zahlreiche forschende/leitende Tätigkeiten (Leitung

des Zoolo-gischen Instituts Wien, Direktor der biologischen Forschungsabteilung des

Psychiatrischen/ Psychosomatischen Instituts in Los Angeles, Lei-tung des Centre for

Advanced Study in Theoretical Psychology). Werke (u.a.): "Theoretische Biologie"

(1932/42), "Vom Molekül zur Organismenwelt" (1949).

W.BUCKLEY: ?

Niklas LUHMANN (Prof.Dr.sc.pol.): geb. am 08-12-1927, deutscher So-ziologe (Studium

der Rechtswissenschaften in Freiburg, Soziologie in Harvard (Mass.) und Münster),

zunächst Beamter der öffentlichen Verwaltung, Oberregierungsrat und Landtagsreferent

des Kultusministeriums Niedersachsen, Forschung im Forschungsinstitut für

Verwaltungswesen in Speyer, Forschungsstelle in Dortmund, dann Lehrstuhl an der

Universität Bielefeld, heute pensioniert. Auszeich-nungen: Hegel-Preis (1988),

Ehrendoktorate in Gent, Bologna, Mac-cerata, Lecce, Recife. Werke (u.a.): "Soziale

Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie" (1984), "Wissenschaft und Gesellschaft"

(1991).

Humberto R.MATURANA (Dr.): geb.1928, chilenischer Biologe (Studium der Biologie und

Promotion in Harvard, Studium der Medizin in Santiago de Chile), Forschungsarbeiten in

England und den USA. Werke (u.a.): "Erkennen. Die Organisation und Verkörperung der

Wirklichkeit".

J.MILLER: ?

Talcott PARSONS (Prof.Dr.): geb. am 13-12-1902, gest. am 08-05-1979, amerikanischer

Soziologe, Prof. für Soziologie in Harvard (Mass.), Leitung des Department of Social

Relations Harvard. Werke (u.a.): "The Social System" (1951), "Sozialstruktur der

Persönlichkeit" (1964), "Das System moderner Gesellschaften" (1971).

Francisco J.VARELA : geb. 1946, chilenischer Biologe (Studium der Me-dizin in Santiago

de Chile, Studium der Biologie in Harvard), For-schung im Bereich der

biologischen/kybernetischen Grundlagen des Erkennens, Forschungs-auftrag am Max-

Page 12: Systemtheorie und Kommunikation - muenster.delaus/texts/ha/systemtheorie.pdf · Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten

Systemtheorie und Kommunikation ... ANHANG, Seite 11

Planck-Insitut Frankfurt, heute an der Ecole Polytechnique, Paris. Viele

Veröffentlichungen in Zu-sammenarbeit mit Maturana.

Paul WATZLAWICK (Prof.Dr.phil.): geb. 1921, amerikanisch-österreichi-scher

Psychotherapeut und Kommunikationsforscher (Studium der Psychologie und

Fremdsprachen in Venedig, Ausbildung zum Psycho-therapeut und Analytiker), Lehrstühle

in El Salvador und Stanford. Werke (u.a.): "Menschliche Kommunikation" (1969), "Wie

wirklich ist die Wirklichkeit?" (1976), "Anleitung zum Unglücklichsein" (1983).

6.2 LITERATURVERZEICHNIS LUHMANN, Niklas (1988): Wie ist Bewußtsein an Kommunikation betei-ligt? In: Gumbrecht, Hans Ulrich/

Pfeiffer, K.Ludwig (Hrsg.)(1988): Materialität der Kommunikation. Frankfurt am Main. S.884-901. KNEER, Georg/ NASSEHI, Armin (1993): Niklas Luhmanns Theorie so-zialer Systeme. ROPOHL, Günter (1978): Einführung in die Allgemeine Systemtheorie. In Lenz, Hans/ Ropohl, Günter

(Hrsg.) (1978): Systemtheorie als Wis-senschaftsprogramm. S.9-49. SCHOLL, Armin (1990): Systemtheorie: Eine kurze Einführung in ihre Ge-schichte und Probleme. In: Scholl,

Armin/ Krämer, Frank: Seminar-ordner Alternative Medien, Alternative Öffentlichkeit. Münster. SILBERMANN, Alfons (1982): Handwörterbuch der Massenkommunikati-on und Medienforschung. Berlin. WILLKE, Helmut (1991³): Systemtheorie. Eine Einführung in die Grund-probleme der Theorie sozialer

Systeme. Stuttgart/New York.